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6 ZfCM | Controlling & Management Sonderheft 1 | 2011 ÜBERBLICK Unternehmen und Person ZfCM: Sehr geehrter Herr Sohn, Sie waren zuletzt 14 Jahre lang Vorsitzender der Degussa Taiwan Ltd. – Teil eines Spezial- chemieherstellers, der heute unter dem Namen Evonik Industries AG firmiert. Was war der damalige Grund, sich von Seiten des Unternehmens Richtung Asien zu orientieren? Sohn: Asien hatte für die Degussa AG schon immer einen hohen Bedeutungs- grad, alleine wegen des enormen Markt- potenzials. Jedoch ist Asien nicht gleich Asien. Es lassen sich erhebliche Unter- schiede zwischen den einzelnen asiati- schen Ländern feststellen, nämlich dort wo die gesellschaftliche und wirtschaft- liche Entwicklung entsprechend unter- schiedlich verlaufen ist. Um als Spezialchemieunternehmen in einem Land erfolgreich zu sein, setzt die Degussa AG grundsätzlich eine be- stimmte Technologie in ebendiesem Land voraus. So sind Expansionen in Länder, wo das Hauptaugenmerk auf dem Kon- sum und der Verarbeitung von Commo- dities liegt, nicht sinnvoll. Um das volle Potenzial unseres Geschäftes ausnutzen zu können, benötigen wir daher eine exis- tierende Grundindustrie. Wenn man die asiatischen Länder nun genauer betrach- tet, kommen dabei schnell Japan, Korea und Taiwan sowie aktuell China ins Ge- spräch. Alle weiteren Länder des asia- tischen Raums sind aus meiner Sicht in erster Linie Sekundärmärkte, wo unter- schiedliche Schwerpunkte vorliegen. Hier lässt sich insbesondere die Stellung von Thailand hervorheben, welches unter den Sekundärmärkten eine starke Position einnimmt, ebenso wie Vietnam, das durch die hohe Bevölkerungsdichte sehr viel Potenzial aufweist. Singapur und Hongkong sind natürlich ebenfalls inte- ressante Wirtschaftsstandorte, jedoch vorrangig für Banken- oder das Finanz- wesen. ZfCM: Wie beurteilen Sie die Entwicklung dieser Region in der Retrospektive? Sohn: Vergleicht man beispielsweise das heutige China mit dem China vor 30 Jah- ren, wird deutlich, dass sich vieles ver- ändert hat. Ich war damals in Hongkong tätig und zu dieser Zeit war es aufgrund der kulturellen Revolution ein erheblicher Aufwand, überhaupt in das Land zu kom- men. Es war so gut wie unmöglich, End- kunden zu besuchen. Darum wurden damals hauptsächlich Messen für die Ge- sprächsanbahnung genutzt – alles lief über den so genannten Schein der Ex- port-/Import-Organisation. Und heute ist China ein für uns frei zugänglicher Markt. Diese Entwicklung ist wirklich be- achtlich. ZfCM: Wie hat sich dies auf die Struktur des Unternehmens ausgewirkt? Sohn: Als wir 1974 nach Hongkong ka- men, haben wir die Degussa Hongkong Ltd. als Handelsfirma gegründet. Diese hatte sozusagen einen Start-up-Charakter. Von Hongkong aus haben wir in den fol- genden Jahren zusätzlich die Märkte Ma- cao und China bedient – hauptsächlich über den Verkauf auf Messen. Erst Schritt für Schritt stellten wir Überlegungen zu einer eigenen lokalen Produktion in Asien an. Dennoch muss man eins sehen: Un- sere damaligen Investitionen in China waren nicht exportgetrieben, sondern wir haben in erster Linie für den Inlands- markt gewirtschaftet. Dies unterscheidet die Degussa AG mit der Spezialchemie von anderen Industrien wie beispielswei- se der Schuhindustrie, die hauptsächlich die arbeitsintensive Produktion nach China gegeben haben, um den Export an- zutreiben ZfCM: Letztlich führte der Aufbau der Produktion dann zu einer Expansion in die ganze Region und bald über China hinaus? Sohn: Richtig. Wir haben in Hongkong mit 10 Mitarbeitern angefangen und sind heute in China mit fast 2.000 Mitarbei- tern vertreten. Zudem haben wir schät- zungsweise 50 Joint Ventures mit lokalen Partnern und keine einzige 100 %ige In- vestition. Dies hat den Grund, dass in China weiterhin eine gewisse Rechtsunsi- cherheit besteht und dass das Intellectual Property Right sowie Fragen zur Korrup- tion nicht ausreichend geklärt sind. Ge- „Welche Bilanz hätten Sie denn gerne ?“ Interview mit Hanns Sohn, ehem. Regional President der Degussa Taiwan Ltd. Evonik Degussa GmbH Die Evonik Degussa GmbH ist ein in der Spezialchemie tätiger Konzern mit Sitz in Essen, gegründet 1873. Mit mehr als 36.000 Mitarbeitern weltweit und mehr als 10 Milliarden Euro Umsatz ist der Kon- zern einer der Weltmarktführer in der Spezialchemie. Vita: Hanns Sohn startete sei- ne Karriere mit einer Lehre zum Industriekauf- mann bei der Firma De- gussa AG (heute: Evonik Degussa GmbH), welche er im Jahr 1967 abschloss. Nach einer vierjährigen Station in Ägypten kam Herr Sohn 1974 nach Hongkong und war Mitbegründer der De- gussa Hongkong Ltd. für die Region Hongkong, Macao und die Volksrepublik China. Nach einer Zwischenstation in der Türkei, gründete und leitete Herr Sohn die Degussa Korea Ltd. und gestaltete den Aufbau der J.V. ORDEG maßgeblich mit. Nach 12 Jahren wechselte Herr Sohn nach Taiwan. Hier war er zuletzt Regional Presi- dent der Handelsgesellschaft Degussa Taiwan Ltd. als auch der United Silica Ltd. Bei letzterer hatte Herr Sohn die asienwei- te Vertriebs- und Ergebnisverantwortung inne. Berufsbegleitend besuchte Herr Sohn sowohl die Business School INSEAD in Fontainbleau, Frankreich sowie die Wirt- schaftshochschule IMD in Lausanne, Schweiz. Darüber hinaus bildete er sich in der unternehmensinternen Führungs- akademie kontinuierlich weiter.

„Welche Bilanz hätten Sie denn gerne ?“

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6 ZfCM | Controlling & Management Sonderheft 1 | 2011

ÜBERBLICK

Unternehmen und Person

ZfCM: Sehr geehrter Herr Sohn, Sie waren zuletzt 14 Jahre lang Vorsitzender der Degussa Taiwan Ltd. – Teil eines Spezial­chemieherstellers, der heute unter dem Namen Evonik Industries AG firmiert. Was war der damalige Grund, sich von Seiten des Unternehmens Richtung Asien zu orientieren?Sohn: Asien hatte für die Degussa AG schon immer einen hohen Bedeutungs­grad, alleine wegen des enormen Markt­potenzials. Jedoch ist Asien nicht gleich Asien. Es lassen sich erhebliche Unter­schiede zwischen den einzelnen asiati­

schen Ländern feststellen, nämlich dort wo die gesellschaftliche und wirtschaft­liche Entwicklung entsprechend unter­schiedlich verlaufen ist.

Um als Spezialchemieunternehmen in einem Land erfolgreich zu sein, setzt die Degussa AG grundsätzlich eine be­stimmte Technologie in ebendiesem Land voraus. So sind Expansionen in Länder, wo das Hauptaugenmerk auf dem Kon­sum und der Verarbeitung von Commo­dities liegt, nicht sinnvoll. Um das volle Potenzial unseres Geschäftes ausnutzen zu können, benötigen wir daher eine exis­tierende Grundindustrie. Wenn man die asiatischen Länder nun genauer betrach­tet, kommen dabei schnell Japan, Korea und Taiwan sowie aktuell China ins Ge­spräch. Alle weiteren Länder des asia­tischen Raums sind aus meiner Sicht in erster Linie Sekundärmärkte, wo unter­schiedliche Schwerpunkte vorliegen. Hier lässt sich insbesondere die Stellung von Thailand hervorheben, welches unter den Sekundärmärkten eine starke Position einnimmt, ebenso wie Vietnam, das durch die hohe Bevölkerungsdichte sehr viel Potenzial aufweist. Singapur und Hongkong sind natürlich ebenfalls inte­ressante Wirtschaftsstandorte, jedoch vorrangig für Banken­ oder das Finanz­wesen.

ZfCM: Wie beurteilen Sie die Entwicklung dieser Region in der Retrospektive?Sohn: Vergleicht man beispielsweise das heutige China mit dem China vor 30 Jah­ren, wird deutlich, dass sich vieles ver­ändert hat. Ich war damals in Hongkong tätig und zu dieser Zeit war es aufgrund der kulturellen Revolution ein erheblicher Aufwand, überhaupt in das Land zu kom­men. Es war so gut wie unmöglich, End­kunden zu besuchen. Darum wurden damals hauptsächlich Messen für die Ge­sprächsanbahnung genutzt – alles lief über den so genannten Schein der Ex­port­/Import­Organisation. Und heute ist China ein für uns frei zugänglicher Markt. Diese Entwicklung ist wirklich be­achtlich.

ZfCM: Wie hat sich dies auf die Struktur des Unternehmens ausgewirkt?Sohn: Als wir 1974 nach Hongkong ka­men, haben wir die Degussa Hongkong Ltd. als Handelsfirma gegründet. Diese hatte sozusagen einen Start­up­Charakter. Von Hongkong aus haben wir in den fol­genden Jahren zusätzlich die Märkte Ma­cao und China bedient – hauptsächlich über den Verkauf auf Messen. Erst Schritt für Schritt stellten wir Überlegungen zu einer eigenen lokalen Produktion in Asien an. Dennoch muss man eins sehen: Un­sere damaligen Investitionen in China waren nicht exportgetrieben, sondern wir haben in erster Linie für den Inlands­markt gewirtschaftet. Dies unterscheidet die Degussa AG mit der Spezialchemie von anderen Industrien wie beispielswei­se der Schuhindustrie, die hauptsächlich die arbeitsintensive Produktion nach China gegeben haben, um den Export an­zutreiben

ZfCM: Letztlich führte der Aufbau der Produktion dann zu einer Expansion in die ganze Region und bald über China hinaus?Sohn: Richtig. Wir haben in Hongkong mit 10 Mitarbeitern angefangen und sind heute in China mit fast 2.000 Mitarbei­tern vertreten. Zudem haben wir schät­zungsweise 50 Joint Ventures mit lokalen Partnern und keine einzige 100 %ige In­vestition. Dies hat den Grund, dass in China weiterhin eine gewisse Rechtsunsi­cherheit besteht und dass das Intellectual Property Right sowie Fragen zur Korrup­tion nicht ausreichend geklärt sind. Ge­

„Welche Bilanz hätten Sie denn gerne ?“Interview mit Hanns Sohn, ehem. Regional President der Degussa Taiwan Ltd.

Evonik Degussa GmbHDie Evonik Degussa GmbH ist ein in der Spezialchemie tätiger Konzern mit Sitz in Essen, gegründet 1873. Mit mehr als 36.000 Mitarbeitern weltweit und mehr als 10 Milliarden Euro Umsatz ist der Kon-zern einer der Weltmarktführer in der Spezialchemie.

Vita:

Hanns Sohn startete sei-ne Karriere mit einer Lehre zum Industriekauf-mann bei der Firma De-gussa AG (heute: Evonik

Degussa GmbH), welche er im Jahr 1967 abschloss. Nach einer vierjährigen Station in Ägypten kam Herr Sohn 1974 nach Hongkong und war Mitbegründer der De-gussa Hongkong Ltd. für die Region Hongkong, Macao und die Volksrepublik China. Nach einer Zwischenstation in der Türkei, gründete und leitete Herr Sohn die Degussa Korea Ltd. und gestaltete den Aufbau der J.V. ORDEG maßgeblich mit. Nach 12 Jahren wechselte Herr Sohn nach Taiwan. Hier war er zuletzt Regional Presi-dent der Handelsgesellschaft Degussa Taiwan Ltd. als auch der United Silica Ltd. Bei letzterer hatte Herr Sohn die asienwei-te Vertriebs- und Ergebnisverantwortung inne.

Berufsbegleitend besuchte Herr Sohn sowohl die Business School INSEAD in Fontainbleau, Frankreich sowie die Wirt-schaftshochschule IMD in Lausanne, Schweiz. Darüber hinaus bildete er sich in der unternehmensinternen Führungs-akademie kontinuierlich weiter.

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nau an dieser Stelle beklagen insbeson­dere westliche Unternehmen fehlende Controllingmechanismen, Compliance Systeme oder Code of Conducts. Denn in vielen asiati schen Märkten – und das muss jetzt nicht nur für China gelten – ist häufig ein Geschäft ohne finanzielle Un­terstützung nur sehr schwer möglich. Geschäftsführern ist jedoch eine solche Tätigkeit untersagt; dennoch spüren sie den Druck vom Aufsichtsrat, entspre­chende Ergebnisse zu liefern. So bieten sich letztlich Joint Ventures an, da hier der Kontakt zum lokalen Markt auch über ei­nen lokalen Geschäftspartner zustande kommt. Das ist viel unproblematischer, als einen Ausländer in jede noch so ferne Provinz zu entsenden. Man geht quasi den Weg des geringsten Widerstands.

ZfCM: Neben den Fragen zur Corporate Governance und zur Korruption – was waren weitere Entwicklungen, die nicht positiv zu bewerten sind?Sohn: Natürlich wirken die Fragen der Korruption schwer, aber das ist auch von den Produkten abhängig. Denkt man bei­spielsweise an Hightech­Produkte, dann rückt das Intellectual Property Right viel stärker in den Fokus. Kooperationen und Verträge, die in asiatischen Ländern ge­schlossen werden, stellen so oft erst den Anfang einer Verhandlung dar. Doch dies ist vielen Unternehmen nicht direkt be­wusst. Es gibt viele Aspekte zu bedenken und mit Sicherheit existieren auch Ge­setze, die beispielsweise das intellektuelle Eigentum behandeln. Jedoch wird häufig die Durchführung der Gesetze vom Staat nicht konsequent verfolgt. Denn am Ende des Tages profitiert auch der Staat davon, dass die neuste Technologie im eigenen Land hergestellt werden kann – kopiert oder nicht.

ZfCM: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Rolle der Person, die von westlicher Seite her die Verhandlungen bei der Zu­sammenarbeit mit lokalen Geschäftspart­nern führt?Sohn: Die Rolle, die die Person in Asien spielt, ist erheblich. Der erste Faktor, der in Asien entscheidend ist, ist das Alter der entsendeten Person. Denn in Asien geht Seniorität unter Umständen immer noch vor Know­how. Der zweite Aspekt ist die Tatsache, dass sich die entsendete Person mit der dortigen Kultur auseinanderset­zen und viel Geduld mitbringen muss. In den meisten asiatischen Ländern ist es

zudem von Vorteil, wenn die entsendete Person bereits eine eigene Familie hat oder verheiratet ist, um eine gewisse Stabilität vorzuweisen. Der dritte Punkt ist ein ho­hes Maß an Flexibilität und die Fähigkeit sowie die Motivation, die landesübliche Sprache zu lernen und zu sprechen. Ein gesundes Maß an sogenanntem social tal­king sollte somit möglich sein.

Überblick

ZfCM: Durch Ihre berufliche Laufbahn – nicht nur in Taiwan sondern auch in an­deren Teilen Asiens – haben Sie einen um­fassenden Eindruck und Überblick über Management­ und Controllingthemen in verschiedenen Kulturkreisen gewinnen können. Könnten Sie uns diese Themen auf Basis Ihrer Erfahrungen kurz dar­stellen?Sohn: Sehr gerne. Nehmen wir beispiels­weise ein Land wie Korea oder Japan. Hier ist es ausgesprochen wichtig, dass neue Mitarbeiter nach Möglichkeit die gleiche Schul­ oder Universitätsausbildung emp­fangen haben, wie das Topmanagement. Möchte also jemand für die Firma Hyun­dai oder Samsung arbeiten, sollte er den so genannten Korean Standard aufweisen. Dahinter verbergen sich die entsprechen­den Highschools oder Universitäten, die auch die Vorgesetzten besucht haben. Denn letztlich zählt in diesen Unterneh­men nicht unbedingt Wissen, sondern vielmehr die Loyalität gegenüber dem Ma­nagement. Da Top­down­Management­entscheidungen dominieren, ist dieser Aspekt auch sehr wichtig, um die Großun­ternehmen überhaupt steuern zu können. Anders ist das natürlich in der mittelstän­dischen Industrie, wie man sie beispiels­weise in Taiwan vorfindet. Hier sitzen Vorgesetzter und Mitarbeiter unter Um­ständen im gleichen Büro. Abschließend ist China zu nennen, das diesbezüglich einen gewissen Modernisierungprozess durchläuft und insbesondere chinesische Hochschulabsolventen einstellt, die in Europa oder Amerika studiert haben.

ZfCM: … und das Controlling?Sohn: Ein spannender Punkt. Früher ha­ben wir hauptsächlich Marketingspezia­listen ins Ausland entsendet. Allerdings kennen sich die lokalen Marketingfach­leute wesentlich besser im lokalen Markt aus. Viel wichtiger ist jemand, der eine nachvollziehbare Zahl produzieren kann

und das ist eben ein Controller. Natürlich muss auch ein Controller eine gewisse Marketingflexibilität mitbringen und darf nicht ausschließlich auf sein Zahlenwerk vertrauen. Dennoch sind ausländische Controllingexperten den lokalen vorzu­ziehen, denn aus meiner Erfahrung fragt ein lokaler Controller am Ende des Jahres: Welche Bilanz hätten Sie denn gerne? Die, die wir dem Finanzamt geben; die, die wir für uns selber machen; oder die, die wir unseren Aktionären aushändigen? Damit ist natürlich niemandem gedient.

ZfCM: Ließen sich spezielle Steuerungs­kennzahlen etablieren, die die Arbeit er­leichtert haben?Sohn: Nicht direkt, denn das ist sehr schwer. In Asien beruht das Tagesgeschäft zu einem großen Teil auf Geben und Neh­men. Man kann seinem Partner in einem Joint Venture schließlich nicht dauernd vor den Kopf stoßen und sagen: Deine Be­rechnungen stimmen alle nicht. Man ar­beitet quasi im Graubereich, denn Schwarz und Weiß gibt es nicht. Wenn die grobe Linie stimmt, wird das toleriert.

ZfCM: Und die Rolle des Controllers ist an der Stelle navigierend?Sohn: Richtig, das ist der treffende Aus­druck. Der Controller führt das Unterneh­men mit dem Vorstand zusammen und zeigt Felder auf, wo es gefährlich werden kann. Dass er allerdings den Finger lau­fend in die Wunde bohrt und den Ge­schäftspartner in eine Ecke drängt, hilft keinem weiter. Mildes Gegensteuern und ausgleichend tätig sein, das ist an dieser Stelle entscheidend.

ZfCM: Wie deckt sich dies mit den Ethik­vorstellungen und der Verantwortung ge­genüber der Gesellschaft? Auch hier sind die Controller schließlich indirekt gefragt.Sohn: Natürlich halten sich heutzutage insbesondere Großunternehmen an die weltweiten Standards der Accounting Prin­ciples. Da besteht wenig Freiraum. Jedoch helfen diese Principles auch nur, wenn vertrauenswürdige Zahlen eingegeben werden. Und genau an dieser Stelle wird oft manipuliert. Das ist häufig einer Top­down­Entscheidung geschuldet.

ZfCM: Gibt es hierbei Unterschiede zwi­schen den einzelnen asiatischen Ländern?Sohn: Generell lässt sich sagen, dass in Asien häufig das Management entscheidet und alle Mitarbeiter haben zu akzeptieren,

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was entschieden wird. Ob das richtig oder falsch ist, spielt keine Rolle. Das war lange Zeit die Realität und wurde auch vom Ma­nagement erwartet. Viele Firmen waren zudem im Familienbesitz, wo die Nach­kömmlinge ebenfalls in die Unterneh­mensleitung hochgezogen wurden. In der Zwischenzeit hat man jedoch erkannt, dass dies nicht unbedingt gute Manage­mentstile und die Familienmitglieder not­wendigerweise gute Manager sind. So kann man aktuell feststellen, dass in Großunternehmen zunehmend auch ex­terne Manager Einzug erhalten.

Zwischen den asiatischen Ländern gibt es dann jedoch auch Unterschiede. So gilt insbesondere in Japan und in Korea die Konsenskultur. Es gibt hier keine einzel­nen Mitarbeiter, die ihre Meinung durch­setzen wollen, sondern es wird immer ver­sucht, einen Konsens zu erlangen. Das macht es aber auch sehr schwierig, Ge­schäfte zu machen, da nicht immer direkt klar wird, welche Personen auch entschei­dungsfähige Träger sind. Hier zählt die erworbene Akzeptanz in der fremden Fir­ma zu den wichtigsten Assets, die ein Ge­schäftsmann erwerben kann – und diese Akzeptanz muss man sich langwierig er­arbeiten. Häufig klappt das auch erst mit einem gewissen Alter.

ZfCM: Was wäre hier aus Ihrer Sicht eine kritische Schwelle?Sohn: Aus meiner Erfahrung sollte man nicht jünger als Mitte 30 sein. Dies hat auch einen ganz trivialen Grund: Die Counterparts, mit denen die Geschäfte und Entscheidung gefällt werden, sind häufig wesentlich älter. Schaut man sich heute in der Vorstandsetage großer japa­nischer Konzerne um, sind dies häufig Menschen, die sich bereits im gehobenen Alter befinden. Diese werden sich von einem 25­jährigen Geschäftspartner nur ungern etwas sagen lassen.

ZfCM: Wie wirkt sich dies auf die Ausrich­tung der asiatischen Unternehmen aus?Sohn: Man konnte beobachten, dass Großkonzerne unter diesem System teil­weise sehr stark gelitten haben. So war es nicht verwunderlich, dass beispielsweise mit Herrn Ghosen ein verhältnismäßig junger Entsandter des Automobilkon­zerns Renault, um das angeschlagene ja­panische Unternehmen Nissan zu retten, zuerst den kompletten Vorstand ausge­tauscht hatte. Natürlich war dies zunächst ein Schock für die ganze Gesellschaft, da

mit bestehenden Geschäftsregeln und ­traditionen gebrochen wurde. Doch lang­fristig betrachtet hat ihm der Erfolg Recht gegeben.

ZfCM: Wenn Sie nun den Bogen spannen und Orient mit Okzident vergleichen: Was ist aus Ihrer Sicht besonders positiv an der asiatischen Region?Sohn: Hier lässt sich insbesondere der Fleiß der asiatischen Bevölkerung hervor­heben. Zudem verfügen viele Menschen über eine sehr gute Ausbildung und die Länder sind aufgrund der Kostenstruktur nach wie vor konkurrenzfähig. Einzig ar­beitsintensive Industrien wandern inzwi­schen von Land zu Land, doch das gilt nicht für kapitalintensive Industrien wie beispielsweise die Spezialchemie.

ZfCM: Wenn Sie sich an die Zeit zurück erinnern: Waren Sie auch hin und wieder überrascht, wie stark Europa und Asien kulturgetrieben differieren? Sohn: Ich bin mit 24 Jahren ins Ausland gegangen und habe natürlich alles eher aus der deutschen Brille gesehen – bis mich die Realität getroffen hat. Dabei denke ich beispielsweise an ein Joint Venture in China zurück, in dem ein lokaler Ge­schäftspartner gefälschte Umweltberichte vorgelegt und wir entsprechende Strafen kassiert haben. Viele Auflagen wurden nicht erfüllt und der zuständige Mitarbei­ter hat einfach zu blauäugig reagiert … Ich habe für mich gelernt, Vorsicht walten zu lassen. So überrascht mich heute nur noch sehr wenig.

Ausblick

ZfCM: Wie glauben Sie, wird sich Asien und insbesondere die Länder Japan, Süd­korea, Thailand oder China entwickeln?Sohn: Aus meiner Sicht wird es bei der zukünftigen Entwicklung erhebliche Unterschiede geben, wie es sie auch schon in der Vergangenheit gegeben hat. Allei­ne die Verschiebung der Industrien über die letzten Jahre und Jahrzehnte zeugt von hoher Dynamik in der ganzen asia­tischen Region. Von den Primärmärkten hatte beispielsweise Japan schon immer sehr großes Potenzial. Wenn man be­denkt, dass nach dem zweiten Weltkrieg Japan hauptsächlich durch die Kopien internationaler Produkte wieder wett be­werbs fähig wurde und heute über eine starke Hightech­Industrie verfügt, scheint

dieses Land auch für die Zukunft ge­wappnet zu sein. Als zweiten Markt wür­de ich Korea betrachten, wo sich mit Herrn Chung und Hyundai nach und nach auch die Automobilindustrie etab­lierte. Die Entwicklung ging weiter Rich­tung Taiwan – mit 23 Millionen Einwoh­nern ein verhältnismäßig kleines Land. Ich habe die Leute hier sehr wissbegierig erlebt und sehe sie insbesondere in Indus­trien wie der Sportschuhindustrie als führende Fabrikationsnation. Letztlich darf man China nicht vergessen, da das Land allein aufgrund der Bevölkerung eine wahre Großmacht darstellt. Sowohl in der Produktfertigung als auch in der ­nachfrage kann man bereits erkennen, wie das Land auf die vorderen Plätze rückt.

Des Weiteren sind natürlich die Sekun­därmärkte zu nennen, die so genannten ASEAN Countries. Wenn wir vom Zu­kunftspotenzial sprechen, haben insbe­sondere Thailand und Vietnam gute Aus­sichten. In Vietnam sind jedoch eher Commodities gefragt und Spezialchemie­hersteller haben eine vergleichsweise schlechte Marktchance. Daher sticht Thailand heraus, trotz der hin und wieder aufkommenden politischen Unruhen. Dennoch muss man natürlich festhalten, dass es sich immer noch um Sekundär­märkte handelt – abhängig von den entsprechen den Produkten oder Indus­trien.

ZfCM: Welche Themen im Controlling sind aus Ihrer Sicht hier relevant?Sohn: Die Empfehlungen des Control­lings werden zunehmend in Manage­ment entscheidungen einbezogen. Wo die Controllingabteilung früher hauptsäch­lich damit beschäftigt war, das Zahlen­werk für das Management zu liefern, gibt es heute die Tendenz, dass das Control­ling bei der Entscheidungsfindung durch das Management involviert ist und auch gewisse Risiken trägt. Denn letztlich ist die Rechnung ganz einfach: Ohne Risiko gibt es keinen Gewinn. Und genau an dieser Stelle gilt es, die Zukunft des Con­trollings in Asien herauszukristallisieren; zum einen das Zahlenwerk für Mana ge­mententscheidungen bereit zu haben und zum anderen dem Management als Spar­ringspartner zur Seite zu stehen. Das heißt, nicht nur den warnenden Finger heben sondern stattdessen kreativ an ge­meinsamen und produktiven Lösungen arbeiten.

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Persönliches

ZfCM: Sie verleben immer noch einen Großteil des Jahres in China. Was faszi­niert Sie auch heute noch an der Region?Sohn: Die Region ist sehr schnelllebig und zeigt extreme Flexibilität – das gefällt mir und meiner Familie sehr. Insbesondere im Vergleich zu Deutschland fallen diese Charakteristika sehr deutlich auf: Das fängt mit der Suche nach einem offenen Supermarkt am Wochenende an und en­det schließlich mit der hohen Anpas­sungsgeschwindigkeit, die man hier vor Ort findet. Ein weiterer Punkt ist das Kli­ma. Man ist weniger eingeschränkt, als man dies durch extreme Kälte oder Schneemassen in Europa ist. Als letzter Punkt lässt sich zudem die Herzlichkeit und Offenheit der lokalen Leute nennen, die mit ihrer Neugierde und dem Interes­se an Neuem jedem Ausländer die Integra­tion erheblich erleichtern.

ZfCM: Was würden Sie den Lesern mit­geben, die sich für eine Karriere im asia­tischen Raum interessieren?Sohn: Die Frage muss bewusst gestellt werden: Wo will ich langfristig Karriere machen? Ist jemand eher an einer Karrie­re im Stammhaus interessiert, kommt er zwar um einen Auslandseinsatz nicht he­rum, jedoch sind insbesondere gute Kon­takte und Beziehungen zum Hauptsitz ausschlaggebend. Zudem sollte dann der Auslandseinsatz auch nicht zu lange an­dauern, da man sonst die Entwicklungen im Mutterkonzern nicht entsprechend mitbekommt.

Möchte jemand Karriere im Ausland machen, sollte er möglichst extrovertiert sein und über gute Soft Skills verfügen. Dies kann gerade für Controller zu einem Problem werden, da von diesem Beruf häufig Menschen angezogen werden, die zwar Spezialisten in ihrem Fach sind, je­doch weniger stark bei genannten Soft

Skills punkten können, als dies ggf. an­dere Mitarbeiter können. Abschließend gilt es, ein gutes Maß an Geduld mitzu­bringen. Denn Geduld braucht man in Asien immer.

ZfCM: Herr Sohn, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview.

Das Interview führte ZfCM­Redakteur Keke Hiller.

Das Werkstellt neben den klassischen Per-

formance Measurement-Konzep-

ten, wie Balanced Scorecard, auch

neue, prozessorientierte Ansätze

vor. Zahlreiche Fallstudien zeigen

auf, wie Performance Measure-

ment-Systeme in der Praxis struk-

turiert und effektiv implementiert

werden.

Die Schwerpunkten Grundlagen und Konzepte des

Performance Measurements

n Performance Measurement als

Steuerungsansatz

n Performance Measurement in

der Anwendung – Fallstudien

n Grundschema eines Performance

Measurement-Systems

n Handlungsempfehlungen für die

Anwendung von Performance

Measurement-Systemen.

Von Prof. Dr. Ronald Gleich, European Business School, Oestrich-Winkel.2. Auflage. 2011. XXI, 377 Seiten. Gebunden € 49,80ISBN 978-3-8006-3758-4

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