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Karen Horn Welches Wirtschaftssystem passt zur offenen Gesellschaft?

Welches Wirtschaftssystem passt zur offenen Gesellschaft?

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Karen Horn demonstriert, dass nur die Marktwirtschaft mit einer offenen und freien Gesellschaft vereinbar ist. Nur die Marktwirtschaft ermöglicht es allen Menschen, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. „Die Marktwirtschaft ist ein freiheitliches Koordinationssystem; ein insgesamt überaus effizientes System; ein System, das lernt; das einzige System, das sich aufgrund der idealerweise von Eingriffen weitgehend unverzerrten, die individuellen Interessen abbildenden und koordinierenden Rückkopplungsprozesse immer wieder selbst korrigieren kann. Er ist das einzige System, das selbst einen Mangel an Regeln oder an Moral nach gewisser Zeit anzeigt und die Menschen dazu bringt, Regeln oder Moral neuerlich einzufordern.“ InhaltsverzeichnisInhaltsverzeichnis:1. Die offene Gesellschaft2. Mensch und Markt3. Markt und Politik3.1 Der Ansatz von Aristoteles3.2 Der Ansatz der Scholastik 4. Charakteristika der offenen Gesellschaft 5. Die Hayek´sche Wissensteilung 6. Welches Wirtschaftssystem passt zur offenen Gesellschaft? 7. Beschränkung des Staates auf Ordnungspolitik

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Karen Horn

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Der Text dieser Broschüre erschien zuerst in dem von Peter Altmiks und Jürgen Morlok herausgegebenen Sammelband: Noch eine Chance für die Soziale Marktwirtschaft?Rückbesinnung auf Ordnungspolitik und Haftung; Olzog Verlag, München 2012.Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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1. Auflage 2013

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Karen Horn

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Inhalt

1. Die offene Gesellschaft 5

2. Mensch und Markt 7

3. Markt und Politik 8

3.1 Der Ansatz von Aristoteles 8

3.2 Der Ansatz der Scholastik 9

4. Charakteristika der offenen Gesellschaft 11

5. Die Hayek´sche Wissensteilung 13

6. Welches Wirtschaftssystem passt zur offenen Gesellschaft? 14

7. Beschränkung des Staates auf Ordnungspolitik 15

Über die Autorin 20

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„There is no return to a harmonious state of nature. If we turn back, then we must go the whole way – we must return to the beasts. It is an issue which we must face squarely, hard though it may be for us to do so. If we dream of a return to our childhood, if we are tempted to rely on others and so be happy, if we shrink from the task of carrying our cross, the cross of humaneness, of reason, of responsibility, if we lose courage and flinch from the strain, then we must try to fortify ourselves with a clear under-standing of the simple decision before us. We can return to the beasts. But if we wish to remain human, then there is only one way, the way into the open society. We must go on into the unknown, the uncertain and in-secure, using what reason we may have to plan as well as we can for both security and freedom”.1

1. Die offene Gesellschaft

The open society, die offene Gesellschaft – dieser Terminus ist fast so positiv besetzt und bekannt wie die „Soziale Marktwirtschaft“. Er ist allerdings sogar noch ein wenig älter. Den Begriff „offene Gesellschaft“ benutzte der berühmte erst österreichische, später britische Philosoph Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, in dem er den geistigen Wurzeln des Totalitarismus auf der Spur war und das 1945 erschien; er benutzte ihn ein wenig anders als der französische Philosoph Henri Bergson, der ihn 1932 eingeführt hatte.2 Im Unterschied zu Bergson zielt Poppers Differenzierung zwischen der geschlossenen und der offenen Gesellschaft auf den Umgang mit der Vernunft.

„The closed society is characterized by the belief in magical taboos, while the open society is one in which men have learned to be to some extent critical of taboos, and to base decisions on the authority of their own intelligence (after discussion).”3

Der immer wieder aufkommende Mystizismus ist für Popper ein Zeichen der modernen Sehnsucht der Menschen nach der verlorenen Einheit und dem Wahrheitsmythos der geschlossenen Gesellschaft und der Reaktion gegen den Rationalismus der offenen Gesellschaft.

1 Popper, Karl: The Open Society and Its Enemies, Vol. 1: The Spell of Plato, London1945/2005, S. 214.

2 Bergson, Henri: Die beiden Quellen von Moral und Religion, Frankfurt 1932/1992.3 Popper, Karl: ebenda, S. 216.

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Der Begriff der offenen Gesellschaft im spezifischen Sinne Poppers entstand also im letzten Kriegsjahr 1945; der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ kam zwei Jahre später auf. Der Kölner Ökonom und Kultursoziologe Alfred Müller-Armack, späterer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Bundes-wirtschaftsministerium, verwendete ihn erstmals in seinem Werk „Wirtschafts-lenkung und Marktwirtschaft“.4 Dabei ist die „Soziale Marktwirtschaft“, schon von Müller-Armack in großen Lettern geschrieben, ein Konzept, das von der kreativen Spannung, von dem zumindest vordergründigen Widerspruch seiner beiden Bestandteile lebt. Gerade weil sich der Markt und das Soziale nicht von selbst schon harmonisch zu einem Ganzen zu fügen schienen, bot sich Müller-Armacks „irenische Formel“ an, die Frieden stiften und „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs“ produktiv verbinden sollte. Müller-Armack schwebte dabei vor, dass die beiden Elemente nicht etwa un-verbunden neben einander stehen, sondern „atmend“ einander durchdringen und so etwas ganz Neues ergeben sollten: Die soziale Marktwirtschaft ist auf jeden Fall mehr als die Summe ihrer beiden Bestandteile.

Die „offene Gesellschaft“ hatte niemals mit einem solchen konstitutiven inne-ren Konflikt zu kämpfen. Offenheit gilt uneingeschränkt als etwas Positives, als Zeichen von Freiheit, als etwas, das Selbstverwirklichung, Vielfalt, Interaktion und Fortschritt ermöglicht. Frischen Wind gibt es nur mit Offenheit. Der Begriff der Gesellschaft wiederum muss sich, anders als die Marktwirtschaft, ohnehin nicht gegen einen a priori vorhandenen negativen Leumund wehren – außer vielleicht in der Wahrnehmung und in den Schriften eines John Stuart Mill, der sich einst unter dem Druck der so strikten wie verklemmten viktorianischen Gesellschaft Englands krümmte und eine schier unstillbare Sehnsucht nach Toleranz, Freizügigkeit, Privatsphäre und individueller Entfaltungsmöglichkeit entwickelte. Mill erschien „die Gesellschaft“ als organische, insoweit per se geschlossene Entität und damit als wahrhaft beängstigender Moloch – fast wie der staatliche Leviathan.

Weil John Stuart Mill so sehr – und durchaus nachvollziehbar – unter der be-engenden Last sozialer Konventionen litt, beging er in seiner Freiheitsphilo-sophie einen entscheidenden Denkfehler, indem er ihnen dasselbe Gewicht zubilligte wie staatlicher Willkür und staatlichem Zwang. Abgesehen von Mills Befindlichkeit jedoch, welche die Gesellschaft per se als geschlossen setzt und negativ überhöht, kann der Blick auf die Gesellschaft heute ein neutraler blei-ben. Auch wenn es leider oftmals in der Politik anders gesehen wird, so sollte die Gesellschaft außerdem normalerweise kein Projekt der Gestaltung sein,

4 Müller-Armack, Alfred: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Düsseldorf 1947/1999.

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anders als der Markt, sondern bloß ein soziologischer Fakt und zugleich auch nur ein logisches Konstrukt, eine definitorische Abgrenzung. Die Gesellschaft ist keine Institution. Die Gesellschaft entwickelt sich. Sie aktiv zu gestalten, ist stets ein Übergriff. Vom Markt würde derlei kaum jemand behaupten, auch die Liberalen nicht, denen es ja immerhin um Ordnungspolitik zu tun ist. Der Markt indes hat zwei Gesichter. Einerseits ist auch er, wie die Gesellschaft, eine ontologische Konstante, aber gleichzeitig ist er eine Institution und damit ein nicht zuletzt politisches Projekt.

2. Mensch und Markt

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er entsteht aus und in Gemeinschaft, und er kann nur in Gemeinschaft überleben. So wie der Mensch von Natur aus nicht als Monade existiert, sondern sich in Gemeinschaften zusammenfindet und, abstrakter, mit anderen Menschen eine Gesellschaft bildet, so treten Men-schen auch miteinander in wirtschaftlichen Austausch. Jedes Tauschgeschäft, das stattfindet, sei es als Barterhandel oder unter Einsatz des von Menschen erdachten Wertaufbewahrungs- und Tauschmittels Geld, konstituiert einen Markt. Markt ist, wo gehandelt wird. Markt ist, wo Geschäfte abgeschlossen werden. Markt ist überall dort, wo sich Angebot und Nachfrage nach Gütern, nach Dienstleistungen oder auch nach intangiblen, immateriellen Dingen äußern und zueinander finden – zum Beispiel nach Ideen, aber auch nach Anerkennung und Zuneigung. Markt ist überall dort, wo die Präferenzen und Wertschätzungen der Menschen aufeinander treffen und der einzelne mit dem, was er zu bieten hat, einen Spiegel vorgehalten bekommt. In diesem Sinne kann letztlich selbst eine Zentralverwaltungswirtschaft den Markt nicht unterdrücken; sie kann ihn nur verzerren und verschieben. In diesem Sinne ist der Markt eine ontologische, soziale Konstante, die wenig kontroverses Potential besitzt.

Zugleich ist der Markt aber auch ein Projekt. Es reicht nicht, dass Menschen irgendwie miteinander in Austausch treten; dann wäre es nämlich gleichgül-tig, ob man sich in einer Marktwirtschaft oder in der Planwirtschaft befände. Und dass das nicht gleichgültig ist, sollte das langjährige Experiment mit dem real existierenden Sozialismus hinreichend bewiesen haben. Der wirtschaft-liche Austausch, in den Menschen treten, kann grob verzerrt sein; er kann ineffiziente Ergebnisse zeitigen und unter seinem Wertschöpfungspotential zurückbleiben; er kann durch totalitäre Macht oder echte Alternativlosigkeit erzwungen sein und vollkommen bar bleiben der üblichen positiven Kollate-ralwirkung, Vertrauen zu erzeugen. Wesentlich sind mithin die Bedingungen, unter denen sich Markt konstituiert und unter denen der Austausch auf der

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Plattform des Markts stattfindet. Wesentlich ist mithin die Institution. Welche institutionellen Bedingungen dies idealerweise konkret sein sollten, hat uns die spontane kulturelle Evolution im Laufe der Zeit von selbst entdecken las-sen und hervorgebracht: Es braucht verbindliche privatrechtliche Regeln, ein Rechtssystem, eine unparteiische Justiz, die Herrschaft des Rechts. Es braucht Wettbewerb und freien Marktzutritt für jedermann. Es braucht Vertragsfreiheit, Eigentum und Haftung. Dass die kulturelle Evolution diese Dinge hat finden lassen, heißt freilich nicht, dass sie sich auch von selbst erhalten. Und genau das macht den Markt auch zu einem Projekt. Der Markt als gemeinschaftliche Infrastruktur muss institutionell gesichert und darüber hinaus auch von einer Mentalität der Freiheit getragen werden. Die institutionelle Verankerung und dauerhafte Absicherung des Marktes ist eine Gemeinschaftsaufgabe – eine Gemeinschaftsaufgabe der Ordnungspolitik.

3. Markt und Politik

Damit konstituiert sich freilich auch die schwierige Verbindung von Markt und Politik. Der Markt braucht die Politik, die ihm den Rahmen steckt, ihn ermög-licht und einhegt. Aber wer garantiert, dass dies auch in der richtigen Weise geschieht? Der Markt leidet traditionell unter einem Stigma, das dazu führt, dass sein Eigenwert gering geschätzt wird. Man will den Markt regeln, zügeln, kontrollieren, eindämmen; man unterstellt ihm eine Neigung zu Exzessen und will diese unterbinden. Der Markt, der doch allen dient, dient uns kurioserwei-se auch als Feindbild. Und das hat Tradition. Mit der Frage, wie sich der Markt und die Moral zueinander verhalten, haben sich die Menschen zu allen Zeiten befasst, und immer war der Ausgangspunkt die Empfindung oder der Verdacht, dass es einen Widerspruch geben könnte zwischen Gewinnstreben, das sich auf dem Markt ausdrückt, und der Moral. Und das ist nicht etwa eine christliche Erfindung, wie man vielleicht glauben könnte, sondern deutlich älter.

3.1 Der Ansatz von Aristoteles

Es begann mit Aristoteles (384-322 v. Chr.), dem ersten Philosophen unter den antiken Griechen, der in seinen beiden Werken „Politik“5 und „Nikomachische Ethik“6 ein zwar ethisch motiviertes, aber dennoch einigermaßen geschlossenes System auch der ökonomischen Ideen entworfen hat. Dass er sich die Frage nach der Verbindung von Wirtschaft und Moral stellte, hat damit zu tun, dass

5 Aristoteles: Politik, Stuttgart 1989.6 Aristoteles: Nikomachische Ethik, Stuttgart 1986.

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Aristoteles den breiten Blick pflegte und so den Menschen als soziales und politisches Wesen betrachtete – eine Breite des Ansatzes, die erst etwa zwei Jahrtausende später Adam Smith wieder aufgriff. Das ethische Ziel ist „das gute Leben“, die Glückseligkeit, die mit der Vollendung der Tugend einhergeht. Und die Tugend selbst kennt zwei Abteilungen: die sittliche Tugend und die Verstandestugend. Die sittliche Tugend sorgt bei Aristoteles dafür, dass wir uns die richtigen Ziele setzen, und die Verstandestugend hilft uns dabei, diese möglichst auch zu erreichen. Die Verstandestugend ist somit ein Mittel zum Zweck und bedarf der Kontrolle, der Einhegung durch die höhere, die sittliche Tugend. Bezogen auf den Markt heißt das: die Verstandestugend leitet uns an, effizient zu wirtschaften und einen Gewinn zu erzielen, und die sittliche Tugend bremst uns in unserem Gewinnstreben auf dem Markt, auf dass uns unsere Fertigkeit dabei nicht zur nackten Gier verleitet. Die sittliche Tugend ist der Verstandestugend übergeordnet.

Dementsprechend unterschied Aristoteles auch mit Blick auf das Gewinnstre-ben bzw. die Erwerbskunst zwei Richtungen: die Ökonomik, bei der es um das Haushalten, die kluge Verwendung der materiellen Mittel geht, die für das gute Leben notwendig sind, und die Chrematistik, den Erwerb dieser Mittel. Hier gibt es wieder zwei Niveaus: den naturgemäßen Erwerb, der maßvoll mit den materiellen Gütern und dem Geld umgeht, und den naturwidrigen Erwerb, der rasch zum Selbstzweck degeneriert und keine Schranken mehr kennt. Aristo-teles hatte erkannt, dass der Grenznutzen des Geldes nicht so schnell abnimmt wie der Grenznutzen anderer Güter. Ein Erwerb, der nur der Geldvermehrung dient, fand seine Billigung nicht. Deshalb lehnte er auch den Zins strikt ab. Wir haben hier bei Aristoteles also den klassischen Befund: Ein gemäßigtes Gewinn-streben auf dem Markt wird toleriert, ein Gewinnstreben als materialistischer Selbstzweck nicht. Aber wieso eigentlich, wenn niemand zu Schaden kommt? Oder ist das unausweichlich? Wieso, und wann? Und wo verläuft die Grenze? Wie entstehen in einer Gesellschaft die gemeinsamen Werte und Konventionen, die es erlauben, solche Grenzen festzulegen? Mit beiden Fragen hat sich sehr viel später Adam Smith auseinandergesetzt. Die Frage nach dem möglichen Schaden für Dritte beantwortete er mit seiner Erklärung der Arbeitsteilung. Damit öffnete er den Blick dafür, dass Wirtschaften kein Nullsummenspiel ist, wie Aristoteles noch wähnte.

3.2 Der Ansatz der Scholastik

Eine nächste Etappe in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Markt und Moral wurde mit der Scholastik erreicht. Einschlägig ist hier vor allem die „Summa theologica“ des Thomas von Aquin, aus dem 13. Jahrhun-

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dert. Auch Aquinus haderte immer noch mit dem Handel auf dem Markt, den er zwar als nützlich anerkannte, aber als sittlich „niedrig“ einstufte. Der Handel produziert eben nicht, er reicht nur weiter. Die Margen, die sich dabei erzielen lassen, bleiben damit problematisch. Aquinus schrieb:

„Der Gewinn jedoch, welcher der Zweck des Handels ist, mag zwar im Eigenwesen nicht etwas Ehrenmaßliches oder Notwendiges in sich haben, sein Begriff enthält aber doch nichts Lasterhaftes oder Tugend gerade Entgegengesetztes. Deswegen hindert nichts, dass der Gewinn auf irgendeinen notwendigen oder auch ehren-maßlichen Zweck hingeordnet wird. Dergestalt wird das kaufmännische Geschäft erlaubt. Wie dann, wann jemand den maßvollen Gewinn, den er als Kaufmann sucht, auf die Erhaltung seines Hauses hinordnet, oder auch, um den Bedürftigen zu helfen; oder auch, wann einer sich auf den Handel verlegt des öffentlichen Nutzens wegen, damit nämlich nicht die notwendigen Dinge für das Leben im Vaterlande fehlen, und er den Gewinn nicht sozusagen als Zweck, sondern als Lohn der Mühe erstrebt.“7

Das soll heißen: Erst eine Sozialbindung des Gewinns adelt den Gewinn. Der auf dem Markt erzielte Gewinn muss maßvoll bleiben, er muss sich zur Selbsterhaltung rechtfertigen lassen – das ist das gleiche Verständnis von „maß-voll“ wie bei Aristoteles – und er darf nur als erfreuliches, aber nicht unmittel-bar intendiertes Nebenprodukt eines Tuns abfallen, das sich anderen höheren Zwecken verschreibt. Der Händler soll sein Geschäft den Mitmenschen oder dem Vaterland zuliebe betreiben, nicht des Gewinnes wegen, und wenn dabei doch ein Gewinn anfällt, dann darf dieser nicht über das Maß hinausgehen, was er zum Selbsterhalt und allenfalls noch für karitative Zwecke braucht. Eine Freigabe für Materialismus und Hedonismus sieht anders aus. Auch Aquinus konnte sich, gleich wie Aristoteles, mit dem Zins nicht richtig anfreunden, aber er machte auch hier die Tür ein Stück weit auf, indem er den Zins erlaubte zum Ersatz eines möglichen Schadens bei der Ausleihe, insbesondere in Form des entgangenen Gewinns oder als Lohn für eine Kapitalbeteiligung.

Hiermit wird der ideengeschichtliche Exkurs aber wieder beendet. Er sollte nur der Vergegenwärtigung dienen, dass der Markt schon immer mit einem schlechten Leumund kämpfen musste und dass es die Soziale Marktwirtschaft insofern viel schwerer hatte als die offene Gesellschaft. Es hat sich bis heute nicht viel verändert an der Art und Weise, wie die Menschen an den Markt und an die Frage der Vereinbarkeit von Markt und Moral herangehen. Das Bauch-gefühl gegenüber dem Markt ist nach wie vor ein ungutes, wie wir es immer

7 Aquin, Thomas von: Summe der Theologie, Stuttgart 1985.

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im öffentlichen Diskurs sehen, wenn es um Unternehmergewinne oder Mana-gergehälter geht. Darum kommt es auch zu so erstaunlichen Elaboraten der Wirtschaftsethiker wie jenen, die in mit Anglizismen aufgeblähtem Vokabular und gelegentlich gestärkt von lukrativen Beraterverträgen zur Corporate Social Responsibility aufrufen und die ordnungsethische Verantwortung der Unter-nehmerschaft proklamieren. Es ist sogar zu beobachten, dass Unternehmer für sich selbst höhere Steuern fordern.

4. Charakteristika der offenen Gesellschaft

Doch zurück zur offenen Gesellschaft, zu diesem glücklichen, im Vergleich zur Sozialen Marktwirtschaft mit weniger Ballast beladenen Begriff, unter dem wir heute gern alles zusammenfassen, was irgendwie mit größtmöglicher Frei-heit, Demokratie, offenen Grenzen, Meinungsfreiheit und Toleranz zu tun hat. Was genau macht die offene Gesellschaft nach Popper konzeptionell wirklich aus? Wie gesagt fußt die offene Gesellschaft der Moderne im Gegensatz zur geschlossenen Gesellschaft auf dem Gebrauch der Vernunft und nicht auf ob-skuren Mythen, Utopien und Heilsplänen. Im Gegensatz auch zu den historischen Gesellschaften, die Friedrich August von Hayek in seiner zu Popper parallelen Konzeption als solidarische Stammesgesellschaften charakterisierte, kommt die offene Gesellschaft aus ohne eine gedankliche Konstruktion, die

„den Menschen Gleichheit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden verheißt, und mit alledem auch eine Antwort auf den Sinn ihres Tuns und damit eine Art Erlö-sung von dem Übel noch in dieser Welt“.8

Es gibt keine absolute Wahrheit und keine Tabus, wie sie totalitäre und kollek-tivistische Ideologien wie Kommunismus und Nationalsozialismus behaupteten. Solche totalitären Ideologien sind die Feinde der offenen Gesellschaft. Nach Popper besitzt niemand ein Monopol auf die Wahrheit. Von Natur aus haben verschiedene Menschen nun einmal verschiedene Ansichten und Interessen, und die Aufgabe der politischen Philosophie ist es, jene Institutionen zu iden-tifizieren, die es gestatten, in Frieden zusammenzuleben. Für Popper ist die offene Gesellschaft freiheitlich und individualistisch, also eine Gesellschaft „in which individuals are confronted with personal decisions“.9 Das ist ungemütlich, aber erwachsen. Während in einer geschlossenen Gesellschaft jeder seinen im Voraus definierten, festen Platz einnehmen soll, herrscht in der offenen Ge-

8 Fest, Joachim: Die schwierige Freiheit, Berlin 1993.9 Popper, Karl: ebenda, S. 186.

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sellschaft Wettbewerb: „many members strive to rise socially, and to take the place of other members“.10 Popper wirbt für eine pluralistische Gesellschaft, in der ein fortlaufender intellektueller Meinungsaustausch, ein Kurswechsel der Regierung ohne Blutvergießen und sogar ein kultureller Wandel möglich sind. Alles muss sich der Kritik stellen und veränderbar bleiben. Solche offenen Systeme sind nicht nur erfolgreicher, sondern auch humaner. Freilich sind sie auch anspruchsvoller:

„Es ist der große, gleichsam angeborene Mangel liberaler Gesellschaften, dass sie keinen greifbaren, die Leiden und Ängste der Menschen rechtfertigenden Lebens-sinn vermitteln.“11

An der Wurzel dieser politischen Forderungen liegt bei Karl Popper ein vor allem epistemologisches Anliegen, das seine enge geistige Nachbarschaft zu Friedrich August von Hayek zeigt. Poppers Ausgangspunkt ist das Eingeständnis, dass das menschliche Wissen unvollständig, vorläufig und fehlbar ist, wie der Mensch selbst auch. Trotzdem aber sind wir vernunftbegabt. Weil wir immerhin wissen, dass wir nichts wissen, wie Sokrates sagte, sollten wir deshalb alles daran set-zen, in einer offenen Gesellschaft zu leben und diese auch zu bewahren: eine Gesellschaft der Vielfalt, in der die Menschen lernen und die Dinge sich verän-dern können. Das Konzept der offenen Gesellschaft ist im Kern nichts anderes als Poppers Anwendung seines wissenschaftlichen Falsifizierbarkeitsgedan-kens auf die wichtigste Frage der politischen Philosophie. Neues Wissen muss immer wieder frisch entstehen, sich ausdrücken und verbreiten können. Alle politischen Gestaltungsversuche müssen widerlegbar bleiben, sonst werden sie zwangsläufig totalitär – hieraus ergibt sich auch Poppers bekanntes Plädoyer für das „Piecemeal Engineering“, für eine bescheidene politische Salamitaktik anstelle allzu großer Würfe. Dies sollte man sich gerade in der aktuellen Lage wieder vor Augen führen, wo wir uns anschicken, im Interesse der europäischen Währungsunion – überhöht zum Interesse der europäischen Idee schlechthin – und unter dem Druck der ökonomischen Realität Entscheidungen zu fällen, die Zentralisierung, weniger Wettbewerb, weniger demokratische Kontrolle und vor allem noch weniger nationale Souveränität bedeuten, womit wir auch noch die letzten Reste von Systemwettbewerb in Europa aufgeben.

Richard Herzinger hat den Popper´schen Ansatz einmal so schön zusammenge-fasst, dass man dem nichts hinzufügen möchte.

10 Popper, Karl: ebenda, S. 186.11 Fest, Joachim: ebenda, S. 31.

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„Poppers Konzept der offenen Gesellschaft und des kritischen Rationalismus ver-banden den Skeptizismus der postidealistischen bürgerlichen Gesellschaft mit dem Erbe der Aufklärung und ihrer Überzeugung von der unendlichen Verbesse-rungsfähigkeit der menschlichen Verhältnisse. Er forderte, alle – auch die schein-bar unbezweifelbarsten wissenschaftlichen – Wahrheiten infrage zu stellen, und hielt doch – gegen alle Varianten des Relativismus – an der Annahme einer ob-jektiven Wahrheit und der Einheit des Wissens fest. Er schlug damit nicht zuletzt eine Brücke zwischen dem angelsächsischen Empirismus und der kontinentalen Bewusstseinsphilosophie in der Tradition Kants.“12

5. Die Hayek´sche Wissensteilung

Mit der von Popper angerissenen Frage der Rolle, des Erwerbs, der Weitergabe und der Genese des – dezentral vorhandenen – Wissens hat sich der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek eingehend befasst, beginnend in den dreißiger Jahren mit seinem Aufsatz „Economics and Knowledge“.13 Vor dem Hintergrund der auch von ihm ausdrücklich konstatierten „unavoidable imperfection of man’s knowledge“ und dem sich daraus ergebenden Erfordernis eines „process by which knowledge is constantly communicated and acquired14, erklärt Hayek dann in seinem Papier über die Wissensteilung, „The Use of Knowledge in Society“ das Wirken des Preismechanismus auf dem Markt als eine Form von Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern. Wenn sich relative lokale Knappheiten verändern, verändern sich auch die relativen Preise, und diese geben die verfügbaren Informationen über die veränderte Knappheit weiter.

Jeder Einzelne weiß zwar recht wenig. Jeder einzelne Mensch weiß aber an-nähernd über sich selbst Bescheid, über das, was er will und das, was er kann – doch das war es dann auch schon. Wenn die Menschen freiwillig, spontan und von außen nicht künstlich ferngesteuert miteinander Handel treiben und Verträge schließen, dann bringen sie darin aber ihr privates, „lokales“ Wis-sen ein. So legen die Menschen in ihrer Interaktion miteinander ihr jeweiliges Wissen zusammen. Hayek nennt das Wissensteilung, analog zum Begriff der produktiven Arbeitsteilung. Der Wettbewerb sorgt darüber hinaus für kreative

12 Herzinger, Richard: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Portrait, in: Zeit online, http://www.zeit.de/2002/31/200231_popper.xml, 2002.

13 Von Hayek, Friedrich August: Economics and Knowledge, in: Individualism and Economic Order, Chicago 1936/1980, S. 33-56.

14 Von Hayek, Friedrich August: The Use of Knowledge in Society, in: Individualism and Economic Order, Chicago 1945/1980, S. 77-91, hier S. 91.

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Dynamik, wie Hayek schließlich in seinem Aufsatz „Wettbewerb als Entde- ckungsverfahren“ herausgearbeitet hat: Es wird nicht nur schon vorhandenes Wissen zusammengelegt, sondern es entsteht auch neues Wissen. Entschei-dend sind also zwei Dinge: Der Austausch per se, der vermittels der Preissignale abläuft, und der Wettbewerb. Neues Wissen entsteht in diesem Prozess aller-dings nur, wenn die Politik nicht vorgreift. Eine gute Politik muss die Men-schen in ihrer Freiheit und Selbstbestimmtheit ernst nehmen. Sie muss auf der Hypothese aufbauen, dass die Bürger zurechnungsfähig und mündig sind.

6. Welches Wirtschaftssystem passt zur offenen Gesellschaft?

Im Verweis auf Hayek, der übrigens dabei half, Popper in den späten vierziger Jahren an die London School of Economics zu holen, steckt nun auch die Ant-wort auf die Frage, welches Wirtschaftssystem wohl am besten zur offenen Gesellschaft passe: natürlich der Markt, die Marktwirtschaft, das einzige Sys-tem, das die konstitutive Unwissenheit des Menschen aufzunehmen und mit ihr umzugehen vermag. Hierauf hat auch Walter Eucken hingewiesen, der – vermutlich nicht zuletzt in sorgenvoller Anlehnung an Joseph Schumpeter – von der „Interdependenz der Ordnungen“ sprach:

„Es besteht eine Interdependenz der Wirtschaftsordnung mit allen übrigen Le-bensordnungen. Das will verstanden sein. Aber während die Menschen nur in bestimmten Ordnungen leben können, tendieren sie als Masse dazu, gerade die funktionsfähigen Ordnungen zu zerstören.“15

Die Marktwirtschaft ist ein freiheitliches Koordinationssystem; ein insgesamt überaus effizientes System; ein System, das lernt; das einzige System, das sich aufgrund der idealerweise von Eingriffen weitgehend unverzerrten, die individuellen Interessen abbildenden und koordinierenden Rückkopplungs-prozesse immer wieder selbst korrigieren kann. Er ist das einzige System, das selbst einen Mangel an Regeln oder an Moral nach gewisser Zeit anzeigt und die Menschen dazu bringt, Regeln oder Moral neuerlich einzufordern. Nur in der Marktwirtschaft gibt es Krisen, wie wir sie derzeit erleben, ebenso wie das damit verbundene pathologische Lernen der Gesellschaft und die darauf folgende Reinigung und Innovation. In der Gesellschaft fehlbarer und von fundamentaler Unsicherheit umgebener Menschen, die wir sind, schließt soziales Lernen auch auf der politischen Regelebene Ausprobieren, Gelingen,

15 Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952.

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Scheitern, Hinterfragung, Korrektur und eine allfällige Selbstvergewisserung notwendig mit ein – wie nun wieder Popper es gefordert hat. Wir können nur versuchen, unseren Verstand einzusetzen und uns um stets verbesserte Regeln zu bemühen, um den jeweiligen Schaden zu vermindern. Und hierfür gilt es die gesellschaftlichen Strukturen offenzuhalten, im Wirtschaftlichen wie im Politischen und darüber hinaus.

„Das einzige Versprechen der offenen Gesellschaften ist die prekäre, immer von Mühsal begleitete Aussicht auf ein halbwegs zuträgliches Zusammenleben von Menschen mit Menschen.“16

7. Beschränkung des Staates auf Ordnungspolitik

Genau dies ist die Disposition, von der die Väter der Sozialen Marktwirtschaft geprägt waren. Nach den gedanklichen Vorarbeiten der Mitglieder der Freiburger Schule – allen voran Walter Eucken – gilt ein klares Primat der Ordnungspo-litik, das die Aufgaben des Staates auf die Setzung, Erhaltung und Pflege des Ordnungsrahmens weitgehend beschränkt. Grund dafür ist eben die Interde-pendenz der Ordnungen:

„Wie die Wirtschaftspolitik eines aktionsfähigen Staates bedarf, so bedarf es einer gewissen Wirtschaftsordnungspolitik, um den Staat aktionsfähig zu machen.“17

Der Eingriffe in den spontanen Ablauf des Wirtschaftsprozesses, der so ge-nannten Prozesspolitik, sollte sich der Staat also weitgehend enthalten. Sonst würde er den Preismechanismus stören und die segensreichen, Wohlstand und Wissen schaffenden Wirkungen der Wettbewerbsordnung unterlaufen. Ein we-sentlicher Grund für diese Selbstbeschränkung des Staates liegt schlicht und ergreifend auch in seinen begrenzten Fähigkeiten. Wie schädlich eine politische „Anmaßung von Wissen“ ist, die auf die kreativen, spontanen Ergebnisse des Marktes verzichtet und die Menschen ohne Verluste bevormunden zu können glaubt, hat Friedrich August von Hayek mehrfach betont. Besonders prägnant ist Hayeks Rede, die er 1974 in Stockholm hielt, als er dort zusammen mit Gunnar Myrdal den Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen bekam. Hayek ermahnte dort seine Kollegen, die Ökonomen, zur Bescheiden-heit – ebenso wie die Politik, die sich nur allzu gern auf deren Berechnungen und Empfehlungen verlasse.

16 Fest, Joachim: Die schwierige Freiheit, Berlin 1993.17 Eucken, Walter: ebenda, S. 344.

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Natürlich dürfen, können, sollen die Volksvertreter und Mandatsträger in der Politik eigene Vorstellungen darüber haben, wie Wirtschaft und Gesellschaft aussehen sollten. Aber sie können beim besten Willen nicht abschließend be-urteilen, was für die aus Individuen zusammengesetzte Gesellschaft aus de-ren eigener Sicht gut und richtig ist – auch wenn sie diese vertreten. Das ist und bleibt etwas, was die Menschen in ihrem Miteinander immer wieder aufs Neue selbst entdecken müssen. Wir müssen es erleben, es mit uns geschehen lassen. Wir müssen uns darauf einlassen. Wir müssen unser Kreuz tragen, von dem Popper sprach. Wir dürfen uns nicht ständig an der Hand nehmen lassen, auch wenn wir dafür offensichtlich eine Disposition haben, wie jüngst auch der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger James M. Buchanan in sei-nem Aufsatz „Die Furcht vor der Freiheit“ feststellt:

„Die Menschen, die sich fürchten, jene unabhängige Verantwortung zu überneh-men, die notwendig mit der Freiheit einhergeht, verlangen vom Staat, dass er die Elternrolle in ihrem Leben erfüllen soll. Sie wollen, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen und wann; sie suchen Ordnung statt Unsicherheit, und Ordnung geht mit Opportunitätskosten einher, die sie offenbar gern tragen.“18

Popper nimmt diesen Befund in schönster kantianischer Tradition nicht hin und fordert dagegen unseren selbstbewussten Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

“We must go on into the unknown, the uncertain and insecure, using what reason we may have to plan as well as we can for both security and freedom.”19

Auch Eucken warnte nachdrücklich vor den Auswirkungen eines Phänomens, das wir in Meinungsumfragen heute wieder verschärft beobachten: die Be-vorzugung der Sicherheit vor der Freiheit.20 Wenn man die Freiheit einer ver-meintlichen Sicherheit opfere, sei „eine Stärkung der allgemeinen Tendenz zur Staatssklaverei“ die Folge.

„Der Entzug der Freiheitsrechte aber führt zur schlimmsten aller Folgen: zu einer ,Zersetzung der menschlichen Substanz‘ (Arthur Koestler).“21

18 Buchanan, James F.: Die Furcht vor der Freiheit, in: Horn, Karen/Schwarz, Gerhard (Hg.): Der Wert der Werte, Zürich 2011.

19 Popper, Karl: ebenda.20 Vgl. Volkmann, Thomas: Deutscher Wertemonitor 2010, Potsdam: Liberales Institut der

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, 2010.21 Eucken, Walter: ebenda, S. 193.

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Eucken hatte es erlebt; er wusste, wovon er sprach.

Damit der von Popper reformulierte Ausgang aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit möglich ist, sind wettbewerbliche Prozesse erforderlich, die so offen sind, dass wir auf alltägliche Weise herausfinden können, wie wir leben wollen und was gut für uns ist. Das ist es, was am Ende das Gemeinwohl aus-macht – und nicht die Mehrheitsmeinung, die sich vordergründig in Umfragen abzeichnet. Demoskopische Analysen sind immer bloß Momentaufnahmen, und Mehrheitsmeinungen haben mit den konkreten Wünschen des Individuums wenig zu tun. Um die Offenheit der gesellschaftlichen Prozesse zu sichern, sollte sich der Staat also auf Ordnungspolitik beschränken. Er sollte mit Hil-fe von allgemeinen Regeln die Bedingungen dafür schaffen, dass eine solche Selbstfindung der Menschen – Hayek sprach von einer „spontanen Ordnung“ – möglichst frei und offen ablaufen kann. So entsteht dann ein nicht vorher-sagbares soziales Erfahrungswissen. Der Staat ist dabei auch der Gewährleister und oberste Hüter einer Ordnung, die den Menschen „das Leben nach ethischen Prinzipien ermöglicht“.22

Idealerweise sollte die Wirtschaftsordnung so gestaltet sein, dass es von vorn-herein wenig Anlass für den Staat gibt, sich überhaupt an prozesspolitischen Eingriffen zu versuchen. Dadurch, dass sie Fehlentwicklungen unterbindet und solche auch nicht etwa noch selber generiert, ist gute Ordnungspolitik im Üb-rigen immer zugleich Krisenprävention. Sie besteht vor allem in der Sicherung dessen, was Eucken als „konstituierende Prinzipien“ der Wettbewerbsordnung bezeichnete: Es ist die zentrale Aufgabe der Ordnungspolitik, dafür zu sorgen, dass es überhaupt wettbewerbliche Märkte gibt. In seinem zeitlosen Prinzipi-enkanon für die Wettbewerbsordnung unterscheidet Eucken sieben „konsti-tuierende“ und vier „regulierende“ Prinzipien, die gewährleistet sein müssen, damit eine Wettbewerbsordnung entsteht. Euckens konstituierenden Prin-zipien bestehen aus dem Grundprinzip eines funktionierenden Preissystems, dem Primat der Währungspolitik, den offenen Märkten, dem Privateigentum, der Vertragsfreiheit, der Haftung und der Konstanz der Wirtschaftspolitik. Die regulierenden Prinzipien zeigen darüber hinaus Ansatzpunkte für eine Wirt-schaftspolitik, die innerhalb dieser allgemeinen Rahmenbedingungen gestaltend in die Marktergebnisse eingreifen muss, um den konstituierenden Prinzipien Geltung zu verschaffen und die Wettbewerbsordnung so weit wie möglich in-standzuhalten. Es sind dies die Monopolkontrolle, die Einkommenspolitik, die Korrektur externer Effekte und die bewusste Berücksichtigung eines mitunter anomalen Arbeitsangebots. Sämtliche Prinzipien gehören untrennbar zusam-

22 Eucken, Walter: ebenda, S. 199.

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men. Wie Eucken schreibt, erhält jedes einzelne Prinzip „nur im Rahmen des allgemeinen Bauplanes der Wettbewerbsordnung seinen Sinn“.23

Man wünschte sich, dass dieser Euckensche Kanon heute etwas fester im Be-wusstsein von Politik und Öffentlichkeit verankert wäre. Und all dies im Interesse der Freiheit und der Humanität, die Popper so lieb war. “If we wish to remain human, then there is only one way, the way into the open society.”24

23 Eucken, Walter: ebenda, S. 304.24 Popper, Karl: ebenda.

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Über die Autorin

Dr. Karen horn ist Geschäftsführerin der „Wert der Freiheit gGmbH“ und lehrt ökonomische Theoriegeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Zuvor leitete sie das Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Von 1995 bis 2007 war sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie ist seit 2011 Vorsitzende der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied des Council on Public Policy in Bayreuth, Vorstandsmitglied der Herbert-Giersch-Stiftung, Vorsitzende der Jury für den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Kuratoriumsmitglied des Walter-Eucken-Instituts, Mitglied der Mont Pèlerin Society sowie Gründungsmitglied der IZA Policy Fellows.

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Die Fortschrittsinitiative - Zukunft gestalten!

Deutschland hat sich in der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gut be-hauptet. Unser Land steht nicht nur wirtschaftlich gut da – es bietet seinen Bürgern auch viele Chancen, ihre eigenen Lebenspläne zu verwirklichen und zum Gemeinwohl beizutragen. Doch Wohlstand und individuelle Chancen müs-sen immer wieder neu erarbeitet werden. Deshalb gilt:

Deutschland braucht Fortschritt

• zur Schaffung von Zukunftschancen und Freiheitsräumen für alle.• zur Wahrung und Mehrung unseres Wohlstandes.• zur Lösung der zahlreichen Aufgaben, die vor unserer Gesellschaft ste-

hen.

Voraussetzung der überwiegend erfolgreichen Entwicklung der letzten Jahr-zehnte war eine grundsätzliche ordnungspolitische Weichenstellung. Sie muss auch für die Zukunft gelten:

Deutschland braucht die Soziale Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft ist der politische Gestaltungsrahmen, der die rich-tigen Anreize für wirtschaftliches Wachstum, Innovation und zivilisatorischen Fortschritt setzt. Sie ermöglicht eigenverantwortliches Handeln, Initiative und Risikobereitschaft.

Die Soziale Marktwirtschaft eröffnet dem Menschen große Chancen, fordert ihn aber in gleicher Weise. Sie ermutigt und belohnt individuelle Leistung. Die sich dadurch ergebende höhere volkswirtschaftliche Wertschöpfung ermöglicht erst eine Umverteilung zugunsten sozial Bedürftiger.

Deshalb bezieht die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit ihrer Initi-ative klar und eindeutig Stellung für Fortschritt und Soziale Marktwirtschaft.

www.fortschrittsinitiative.org