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23 institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V. Schutzgebühr: 3,00 Euro OSTEUROPA Hannes Hofbauer Wendejahre in Zusammenbruch Transformation Wirtschaftskrise

Wendejahre in OSTEUROPA - isw München...OSTEUROPA Hannes Hofbauer Wendejahre in Zusammenbruch Transformation Wirtschaftskrise Impressum isw-spezial 23, November 2009 Publikationsreihe

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23institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V.

Schutzgebühr: 3,00 Euro

OSTEUROPA

Hannes Hofbauer

Wendejahre in

ZusammenbruchTransformationWirtschaftskrise

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Impressum

isw-spezial 23, November 2009

Publikationsreihe isw-spezial: ISSN 1614-9270

Herausgeber:isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.Johann-von-Werth-Str. 3, 80639 MünchenTelefon 089/130041 Fax 089/168 94 15

[email protected]

Konto: Sparda Bank MünchenKonto-Nr. 98 34 20 (BLZ 700 905 00)

Autore: Hannes Hofbauer

Redaktion: Conrad Schuhler(verantwortlich im Sinne des Presserechts)

Layout: Monika Ziehaus

Schutzgebühr: 3,00 EUR

Der Innenteil dieser Broschüre ist auf 100 % Altpapier, zertifiziert mit dem Blauen Engel, gedruckt.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit vorheriger Genehmigung des isw e.V.

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Vorwort .......................................................................................................................... 2

KAPITEL I

Der Zusammenbruch des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ................................................................................................. 5

Seit Mitte der 1970er Jahre ging es bergab .................................................................... 5

Das sowjetische "Genossenschaftsgesetz" ....................................................................... 6

Weltbank und Währungsfonds in Osteuropa .................................................................. 7

Die Schuldenfalle ............................................................................................................ 7

Neoliberale Vorbereitungen ............................................................................................ 9

KAPITEL II

Kapitalisierung in der Transformation ...................................................................... 11

Hyperinflation enteignet die Besitzlosen ....................................................................... 12

Deindustrialisierung ...................................................................................................... 13

Marktherstellung .......................................................................................................... 15

Sozialer Schock: "transition mortality" ........................................................................... 16

Privatisierung und Eigentumstransfer ........................................................................... 17

Gewinntransfers: Das Kapital fließt von Ost nach West ................................................ 18

Das Beispiel der Banken ................................................................................................ 19

Das Beispiel des Textil- und Bekleidungssektors ............................................................ 20

Neue Eigentümer, neue politische Eliten ....................................................................... 23

Soziale Verwerfungen und regionale Disparitäten ........................................................ 25

KAPITEL III

Die neue Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen ........................................................ 27

FDI: Gewinnrückführungen und Leistungsbilanzdefizite ............................................... 27

Wendejahr 2008 ........................................................................................................... 29

Beispiel Ungarn: Sozialer Kahlschlag ............................................................................. 30

Währungsabwertung und Euroanbindung ................................................................... 31

Gescheiterte nachholende Entwicklung ........................................................................ 31

Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, hat Wirtschafts- und Sozialgeschichte an derUniversität Wien studiert. Er arbeitet als Journalist und Publizist und bereist seit1989 die Länder Osteuropas.

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Vorwort

"Es geht aufwärts", titeln die Wirtschaftsseiten deutsch-sprachiger Tageszeitungen Mitte August 2009 undmeinen zarte Wachstumstendenzen im 2. Quartal ge-genüber dem 1. Quartal ausmachen zu können. DieMenschen in Osteuropa lesen solche Titelzeilen seitzwanzig Jahren, seit mit dem Fall von Mauer undStacheldraht im Herbst 1989 das Versprechen aufeine postkommunistische, bessere Zukunft gegebenworden war. Glauben schenken sie den rhythmischlancierten Jubelmeldungen indes immer weniger.Dies liegt einerseits an der fehlenden sozialen Kom-ponente makroökonomischer Statistiken bzw. amvon diesen nicht wiedergegebenen Klassencharakterder Gesellschaften. Denn soviel war bald auch demeingefleischtesten Antikommunisten klar: Wirtschaft-liches Bergauf bzw. Bergab gilt nicht für alle gleicher-maßen.

Andererseits folgten auch die jeder sozialen oder regi-onalen Differenz entkleideten Auf- bzw. Abschwungs-daten in den vergangenen zwanzig Jahren eher demLauf einer Achterbahn als der immer wieder postu-lierten Aussicht auf kontinuierliches Wachstum. Dasabsolut schwarze Jahrfünft nach 1989 ertrugen diemeisten noch in der Hoffnung, damit Tribut an dieSpätfolgen des Kommunesystems leisten zu müssen.Der leichte Aufschwung zwischen 1995 und 2007war dann nicht nur durch den die Politik der Kollektiv-enteignung und des Ausverkaufs von Boris Jelzin be-endenden Rubel-Crash 1998 unterbrochen, der auchauf die Ökonomien Osteuropas durchschlug, sonderngleichzeitig stark geprägt von der Zurichtung der öst-lichen Volkswirtschaften auf den Bedarf der GlobalPlayers im Westen. IWF-Strukturanpassungsprogram-me und Maastricht-Kriterien formten die späterenEU-Mitglieder wirtschafts- und sozialpolitisch voll-ständig um.

Der tiefe Fall des Jahres 2008 wurde von zwischen-zeitlich vollständig transformierten Medien und Poli-tikern als eine Art Naturkatastrophe dargestellt, diewie ein Tornado vom Westen kam und den AufbauOst zunichte machte. Nur wenige kritische Geistererkannten darin die Systematik kapitalistischer Kri-

senanfälligkeit, die nun auch in den Wirtschafts- undFinanzzentren der Welt eine riesige Blase zum Platzengebracht hatte.

Begriffsklärung

"Osteuropa" steht im vorliegenden isw-Sonderheft fürdie ehemaligen europäischen Mitgliedsländer desRats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) sowiefür die Ex-Republiken Jugoslawiens. Ihnen gilt dasHauptaugenmerk in diesem Band.

Russland und die zerfallene Sowjetunion nehmen ausmehreren Gründen eine Sonderstellung ein. Schon derEntwicklungsverlauf von Transformation und Kapita-lisierung verlief anders, weil ökonomische Konzentra-tionsprozesse hier dazu geführt haben, dass sich ge-sellschaftlicher Reichtum in den Händen weniger ein-heimischer Wendegewinner, später so genannter Oli-garchen, bündeln konnte. Auch das Phänomen derKapitalflucht ist ein spezifisch "postsowjetisches", dasim übrigen Osteuropa nur in geringerem Ausmaßvorgekommen ist. Und: westliches Kapital kam inRussland, der Ukraine und Belarus (sowie Moldawien/Transnistrien) deutlich weniger zum Zug als in denanderen osteuropäischen Staaten. Die Ausnahmenbilden die drei baltischen Republiken, die sich früh-zeitig aus der Sowjetunion lösten und mit westlicherHilfe dem Einflussbereich Moskaus entkamen.

Statistiken und Beispiele beziehen sich in der Haupt-sache auf die zehn osteuropäischen EU-Mitglieds-staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien,die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Rumänien und Bul-garien. Kroatien als konkreter EU-Aufnahmekandidatwurde in manche Schlussfolgerung miteinbezogen,Russland und die Ukraine als Vergleichsbasis genom-men. Belarus habe ich weitgehend ausgeklammert,läuft doch seine wirtschaftliche und soziale Entwick-lung (gemeinsam mit derjenigen von Transnistrien)auf gänzlich anderen, nicht von den Vorgaben inter-nationaler Organisationen wie EU, NATO, Weltbankund IWF abhängigen Schienen. Ein eigener Beitragzum sehr speziellen Fall von Transnistrien ist im Jahr

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2006 erschienen.1 Das von keinem Land der Welt an-erkannte Transnistrien liegt jenseits des Dnjestr undwird von Moldawien territorial beansprucht. Hervor-gegangen ist die seit 1991 bestehende de facto-Unab-hängigkeit des 600.000 EinwohnerInnen zählendenLandes aus der Revolte sowjetischer Betriebsleiter mitihrer großteils russischen Belegschaft gegen die ru-mänisch-nationale "Wiedergeburt" Moldawiens.

Im übrigen basiert dieses isw-Sonderheft auf denGrundaussagen des Buches "EU-Osterweiterung. His-torische Basis – ökonomische Triebkräfte – sozialeFolgen".2 Sämtliche Daten wurden aktualisiert undinsbesondere die neuesten Studien des "Wiener Insti-tuts für internationale Wirtschaftsvergleiche" zurAnalyse der aktuellen Situation herangezogen.

Aufbau des Heftes

Die Krise in Osteuropa ist kein neues Phänomen. Aufdieser Erkenntnis aufbauend bildet das Jahr 1989jene Zäsur, die hier zum Ausgangspunkt der Betrach-tung genommen wird. Die Wende in Osteuropa, der1991 die Auflösung des Rats für gegenseitige Wirt-schaftshilfe und der Sowjetunion folgte, war der ab-solute Tiefpunkt einer Fehlentwicklung – auch ökono-misch betrachtet. Der fluchtartige Rücktritt einer ma-roden und diskreditierten politischen Klasse setzte ei-nen Schlusspunkt hinter zwanzig Jahre lang betriebe-nes, vergebliches Krisenmanagement. Das Ende vonPlanwirtschaft und Staatsinterventionismus kann je-doch keinesfalls nur von innen heraus erklärt werden.Die Mitte der 1970er Jahre einbrechenden Profitratenließen die Zentren dieser Weltwirtschaft – die USAund Westeuropa (sowie Japan) – aggressiver auftre-ten: politisch-militärisch in Form von Aufrüstungspro-grammen und ökonomisch in Form von verstärktenRationalisierungsbemühungen, die unter anderem imRahmen der "Neuen Internationalen Arbeitsteilung"zu massiven Verlagerungen von Produktionsstättenan billigere Standorte führten, und vermehrter Kre-ditvergabe. Der verlorene Rüstungswettlauf des War-schauer Paktes und die Schuldenfalle für so mancheStaaten in Osteuropa trugen zum Zusammenbruchdes RGW bei.

Der dem kapitalistischen System eigene Verwertungs-druck erkannte unmittelbar nach 1989/91 die Chanceauf Expansion, zumal er für genau dieses Szenariomilitärisch, wirtschaftlich, politisch und medial ge-kämpft hatte. Ein Ausgreifen westlicher Interessen inRichtung Osten war die unmittelbare Folge. Wirt-schaftlich über Markterweiterung nach den Regelnvon EG/EU und IWF/Weltbank, militärisch über die

NATO und politisch/rechtlich über die Einsetzungneuer Eliten und bürgerlicher Gesetzbücher. Mit alldem beschäftigt sich dieses Sonderheft.Unterteilt wurde die Arbeit in drei Kapitel, die demchronologisch-historischen Ablauf der Ereignisse fol-gen: dem Zerfall des RGW (bis 1991), der Transfor-mationszeit (1991 – 2007) und dem neuerlichen Zu-sammenbruch im Zuge der Weltwirtschaftskrise (ab2008).

KrisentheorieEmpirisches Material überwiegt. Nichtsdestotrotzfließen immer wieder theoretische Überlegungen indas vorliegende Heft mit ein. Grundsätzlich gehe ichdavon aus, dass Kapitalismus strukturell Krisen her-vorruft. Nach vollbrachtem Wiederaufbau äußertesich dieses Phänomen zuletzt Mitte der 1970er Jahreals Überproduktionskrise, der mit unterschiedlichenMitteln begegnet wurde. Rationalisierungen techni-scher und betriebswirtschaftlicher Natur waren eben-so von Krisenüberwindungsstrategien getragen, wie– vor allem von Seiten der USA – eine militärkeynesia-nistische staatliche Nachfragepolitik, die Aufrüstungund Kriege mit sich brachte (und bringt). Dazu kam,dass Überproduktion und begrenzte Märkte die Ren-diten in der Produktionssphäre sinken ließen. Kapitalsah sich wegen dieser dort sinkenden Profitrate dazuveranlasst, stärker in den Finanz- und Dienstleis-tungssektor zu investieren, was nach zwei Jahrzehn-ten im Herbst 2008 zum Platzen der Blase führte.

Interessanter Weise stimmt dieser Kreislauf mit denvon Nikolai Kondratieff beschriebenen langen Wellenweitgehend überein. Kondratieffs mathematisch an-mutende Zyklentheorie basiert auf der Annahme lan-ger, ca. 50 bis 60 Jahre dauernder Konjunkturzyklen,die sich in eine A- bzw. Expansionsphase und eine B-bzw. Kontraktionsphase unterteilen. In einer solchenZeitspanne erlebt die Weltwirtschaft eine Auf-schwung- und eine Abschwungphase, wie sie Kon-dratieff seit Beginn der Industrialisierung – seit ca.1780 – in seinem 1926 erschienenen berühmten Auf-satz3 in drei Zyklen beschrieb. Der Börsen- und Wirt-schaftskrach der 1920er-Jahre war für den russischenÖkonomen auf dieser Basis vorhersehbar. Weiterge-dacht stimmt die Periodisierung von Kondratieff mitder Weltsystemanalyse kritischer Ökonomen wieAndre Gunder Frank4, Giovanni Arrighi oder Immanu-el Wallerstein überein, die seit Mitte der 1970er Jahreden Beginn eines markanten Abschwungs konstatie-ren. Wolfgang Dietrich5 erinnert daran, dass sich diemakroökonomischen Kondratieff-Zyklen und die so-genannten "Hegemonialzyklen" ergänzen, die den he-

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1) Belarus: Auf halbem Weg zwischen Berlin und Moskau. In: Hannes Hofbauer, Mitten in Europa. Politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina,Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien. Wien 2006, S. 56-84

2) Hannes Hofbauer, EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen. Wien 20073) Nikolai Kondratieff, Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 56, 1926, S. 573–6094) Vgl. Andre Gunder Frank/Marta Fuentes-Frank, Widerstand im Weltsystem. Kapitalistische Akkumulation – staatliche Politik – soziale Bewegung. Wien

1990, S. 49ff.5) Wolfgang Dietrich, Periphere Integration und Frieden im Weltsystem. Ostafrika, Zentralamerika und Südostasien im Vergleich. Wien 1998, S. 22ff.

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gemonialen Aufstieg, Sieg, die Reife und den Abstiegder jeweils führenden Weltmacht in ca. 100-jährigenWellen beschreiben. So hat der Aufschwung des Ver-einigten Königreichs Anfang des 19. Jahrhundertsmit der "Pax Britannica" nach dem Sieg über Napole-on bis zu seinem Abstieg im Ersten Weltkrieg 100Jahre lang gedauert. Die hegemoniale Ablöse durchdie Vereinigten Staaten von Amerika erreichte 50Jahre später mit dem Ende des Marshallplans und derAusweitung ihres Einflusses in den drei südlichenKontinenten ihren Höhepunkt. Das von kritischen Öko-nomen bereits nach dem Ölschock 1973 prognosti-zierte "Ende des amerikanischen Jahrhunderts" hat sichdann noch – mit Hilfe staatsnachfragender Kriegspoli-tik im ersten Golfkrieg 1991 – wesentlich verlängert.Heute, mit der Krise 2008/2009, scheint sich dieserHegemonialzyklus dem Ende zu nähern und seinembereits langjährigen Finanzier, China, mit einem ost-asiatisch-pazifischem Zyklus Platz zu machen.6

Nach Kondratieffs Theorie wäre das Ende des 4. Zyklus,den er freilich nicht mehr erlebt hat, ca. 1990 erreichtgewesen. Warum sich dieser Zyklus um fast zwei wei-tere Jahrzehnte verlängert hat, könnte folgender-maßen erklärt werden: Zum einen war es, wie er-wähnt, die führende Weltmacht USA, die mit ihremersten Golfkrieg 1991 immense staatliche Summen indie Rüstung gepumpt hat, nicht zuletzt deshalb, umihre schwindende Wirtschaftsmacht und extremeVerschuldung militärisch zu kompensieren – was frei-lich nur eine relativ kurze Zeit lang gut gegangen ist.Zum anderen war es den Global Players in Westeuro-pa möglich, den Zusammenbruch des Ostens 1989/1991 zu nützen, um ihre ebenfalls krisengeschüttel-ten Bilanzen qua Markterweiterung aufzubessern.Beides – US-Kriege und EU-Erweiterung – mag zurVerschiebung des Crashs beigetragen haben.Wie immer man die langen Kontratieffschen Wellenund die geopolitisch anmutenden hegemonialen Zy-klen beurteilen mag (auch der Autor ist sich diesbe-züglich nicht sicher), rhythmische Abschwünge mitextrem negativen Auswirkungen kennt das kapitalis-tische System seit seinem Bestehen, ob wir seinenBeginn nun mit der industriellen Revolution, im 16.Jahrhundert oder davor ansetzen. Insofern mag eineSystematisierung der Zyklen hilfreich sein oder zu-mindest zum Nachdenken anregen. Eines steht aufjeden Fall fest, ob das nun der Theorie der "langenWellen" entspricht oder nicht, die zwischenzeitlich imWesten nach 1975 verdrängte Weltwirtschaftskrisewar im Osten Europas beständig präsent.

Hannes HofbauerWien/Gmünd, im August 2009

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6) Vgl. Andre Gunder Frank, Orientierung im Weltsystem. Von der Neuen Welt zum Reich der Mitte. Wien 2006

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Kapitel I

Der Zusammenbruch des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)

Die Berliner Mauer war längst gefallen und der "Eiser-ne Vorhang" zerschnitten. Joseph Goebbels hatte die-sen Begriff erstmals geprägt, als er knapp vor Kriegs-ende die "herannahende russische Dampfwalze"7

fürchtete, vor der sich Deutschland mit einem "Eiser-nen Vorhang" schützen müsse. Später wurde die vonder Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichende Anla-ge von den Staats- und Parteiführern im Osten ironi-scher Weise als "antifaschistischer Schutzwall" bezeich-net. Zwei Jahre nach dem Scherenschnitt an der öster-reichisch-ungarischen Grenze besiegelten die Mitglie-der des RGW ohne Gegenstimme am 28. Juni 1991ihr Schicksal: Selbstauflösung. Damit waren alle An-strengungen der osteuropäischen Kommunisten, in-nerhalb des Moskauer Einflussbereiches eine wirt-schaftliche Integration zustande zu bringen, offiziellgescheitert.

Seit Mitte der 1970er Jahre ging es bergab

Während seines 40jährigen Bestehens entwickeltesich der RGW zur so genannten Transfer-Rubel-Zone,einer vom Wechselkurs des Rubels abhängigen Wirt-schaftsgemeinschaft. Seine Struktur basierte auf demTausch von Grundstoffen und Energie aus Sibirienmit verarbeiteten Investitionsgütern aus den Industrie-zentren in Sachsen, an der Oder, in Böhmen, Mährenund Schlesien – dieser Austausch bildete den Kernder in Moskau ansässigen RGW-Behörde. Die von po-litischen Erwägungen geprägte Festsetzung des Ru-belkurses versuchte sich in großräumiger Regionalpo-litik. Das wirtschaftlich periphere und im Zuge desZweiten Weltkrieges extrem zerstörte Russland wahr-te darin jene Chance, die ihm der Sieg der RotenArmee und deren Vormarsch bis Magdeburg undCheb/Eger eingeräumt hatten. Anstatt eines unglei-chen Tausches zwischen Industriegütern und Roh-stoffen, wie er sich in der kapitalistischen Sphäre desBretton Woods-Systems herausgebildet und dort zumAuseinanderklaffen zwischen Zentren in der ErstenWelt und Randgebieten in der Dritten Welt geführthatte, war es im Osten fast umgekehrt. Hier besaßdie ökonomische Peripherie (Russland) militärischeund politische Stärke. Und das wirkte sich auf die Art

der Wirtschaftsbeziehungen im RGW aus. IndustrielleRohstoffe und Energie, um deren Billigkeit im WestenKriege sonder Zahl geführt wurden und werden, wie-sen im RGW einen Moskau genehmen Transfer-Rubel-Preis auf. Auf Basis westlicher Rationalität, die voneinem Gleichklang militärischer und wirtschaftlicherStärke im Zentrum ausgehen konnte, bedeutete dieseinen relativen Verlust der traditionellen ost(mittel)-europäischen Industriegebiete gegenüber dem mili-tärisch dominanten, wirtschaftlich allerdings rand-ständigen Russland. Stellt man zudem in Rechnung,dass die gesamte deutsche Kriegsentschädigung ge-genüber der Sowjetunion vom kleineren Teil des ge-teilten Deutschland, von der Ostzone bzw. der DDR,getragen werden musste,8 ergibt die Bilanz struktu-relle Nachteile für die industriellen Kernländer desRGW.

Regionalpolitik funktionierte im RGW allerdings nichtbloß als Umverteilungsmaschine zwischen traditio-nellen Industrieländern und der Sowjetunion, sondernauch innerhalb einzelner Staaten bzw. Regionen. Seitden 1960er Jahren wurden systematisch wirtschaftli-che Peripherien im Interesse der einzelnen Volkswirt-schaften industrialisiert. Mit einer ökologisch bedenk-lichen und auch ökonomisch fragwürdigen Zwangs-modernisierung wuchsen überall Fabriken und Prole-tarierwohnhäuser aus dem Boden. Die Tschechoslo-wakei modernisierte auf diese Weise Südböhmen(Textil und Metall) und die Slowakei (Waffen). In Un-garn schossen von Tatabanya im Westen bis Komlo imSüdosten Industrie- und Bergbauagglomerate gegenden Himmel. Rumäniens nationaler Sonderweg wieseine ähnliche Entwicklung auf: neben verschlafenentranssylvanischen oder walachischen Dörfern mach-ten sich Fabriken und Plattenbauten breit, Bauernund Landarbeiter wurden in rasender Geschwindig-keit zu Industriearbeitern. Single Factory-Orte gehör-ten zum Standard dieser Art von Industrialisierung.

Bis Mitte der 1970er Jahre funktionierte die Zwangs-modernisierung zumindest statistisch. Der Index derIndustrieproduktion, ein gängiger Indikator für Ent-wicklung (sei sie auch unökologisch und modernisie-rungsfixiert), weist aus, dass sämtliche Länder desRGW bis 1975 gleich hohe höhere oder Wachstums-

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7) Zit. in: Andrea Komlosy, Der Marshall-Plan und der "Eiserne Vorhang" in Österreich. In: Günter Bischof/ Dieter Stiefel (Hg.), 80 Dollar. 50 Jahre ERP-Fondsund Marshall-Plan in Österreich 1948-1998. Wien 1999, S. 261

8) Der Bremer Ökonom Arno Peters hat im November 1989 mit seiner Berechnung für Aufsehen gesorgt, nach der im Schnitt jeder Ostdeutsche16.000,- DM, und jeder Westdeutsche nur 120,- DM an Reparationsleistungen für die Zerstörungen der Wehrmacht in der Sowjetunion geleistet hatte.Seine Forderung, die sich daraus ergebenden 727 Mrd. DM als Ausgleichszahlungen der Bundesrepublik an die DDR mit in den Vertrag zur Einheitaufzunehmen, verhallten in der BRD ungehört.

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zahlen zu verbuchen hatten als damals vergleichbarewesteuropäische Staaten wie Italien, Portugal oderSpanien.

Index der Industrieproduktion zwischen1960 und 1975 (bei 1963 = 100)

Land 1960 1975

Polen 79 289

Rumänien 68 418

Ungarn 78 206

Italien 77 168

Spanien 72 295

Portugal 80 220vgl. B. R. Mitchell (Hg.), European Historical Statistics 1750 – 1975. London/Basingstoke 1987, zit. in: Hannes Hofbauer/ Andrea Komlosy, Restructuring(Eastern) Europe. In: Eszmélet – First International Conference of Social CriticalReviews. 10.-12.April 1991, Budapest 1991, S. 249

Woran es dem RGW im Vergleich zur westlichen wirt-schaftlichen Integration allerdings mangelte, war zwei-erlei: Einerseits fehlte der Wille oder die Möglichkeitzur Ausbeutung ganzer Kontinente, der so genann-ten Dritten Welt. Die in Sibirien lagernden industriel-len Grundstoffe konnten nicht, wie jene aus Afrika,Arabien oder Lateinamerika, faktisch ohne Gegenleis-tungen abgezogen werden. Andererseits krankte derRGW auch an seiner eigenen politischen Schwäche.So sehr betriebs- und volkswirtschaftliche Kontrollendas Leben und Arbeiten im RGW prägten, so ineffizi-ent waren diese. Großräumige Planungen scheitertenan nationalen und regionalen Interessen. So war esmitten im Integrationsversuch des RGW beispielswei-se möglich, dass Rumänien seit Gheorghe Gheorghiu-Dej9 und später unter Nicolae Ceausescu ökonomi-sche Abschottungspolitik gegenüber Moskau betrei-ben konnte. Um eine eigenständige Energieversor-gung aufbauen zu können, schottete sich Bukarestgegenüber Produkten aus dem RGW-Raum ab undbetrieb Importsubstitution. Buchstäblich alles, vomPKW bis zur hauptstädtischen U-Bahn, wurde – wennauch teilweise in Lizenzverfahren mit westeuropäi-schen Firmen (wie z.B. die PKW-Produktion von Dacia/Renault) – im Lande selbst erzeugt. RGW und War-schauer Pakt sahen dem rumänischen Sonderweg ge-nauso ohnmächtig zu wie sie tatenlos blieben, alsbald jeder Teilnehmerstaat für sich begann, eineComputerindustrie aufbauen zu wollen. In Ungarnund der DDR waren die Forschungsarbeiten diesbe-züglich am weitesten gediehen. Anders als im Wes-ten, dessen Marshallplan von 1948 an unter der Füh-rung der USA planmäßig und penibel festlegte, inwelchem Land welche Industrien am rentabelsten zuführen waren, beharrte Moskau in seiner Einfluss-sphäre auf dem politischen Primat der Nationalstaa-

ten. Eingriffe fanden immer nur dann statt, wenn esum politische Abweichung ging. Im Juni 1991 be-klagte dann zwischen Prag und Moskau niemandmehr die Auflösung des Rats für gegenseitige Wirt-schaftshilfe.

Das sowjetische "Genossenschaftsgesetz"

Der Zerfallsprozess des RGW hatte indes schon vordem politischen Zusammenbruch des Jahres 1989begonnen. Seit dem 1. Juli 1988 war auch für ferneBeobachter der Entwicklungen in Osteuropa klar er-kennbar, dass ein wie auch immer gearteter "kommu-nistischen Wirtschaftskreislauf" gescheitert war. Andiesem Tag war in der Sowjetunion das so genannte"Genossenschaftsgesetz" in Kraft getreten, das diegesamte Ökonomie nachhaltig veränderte. Von derInvestitionsentscheidung bis zum Außenhandel, vonder Lohngebarung bis zum Steuersatz konnten dienun selbständigen, gleichwohl kollektiv organisiertenWirtschaftskörper autonom entscheiden. Damit warein euphemistisch "sozialistischer Wettbewerb" ge-nannter Rückzug des Staates eröffnet, und das aus-gerechnet in einer Phase wirtschaftlicher Rezession,was zu panikartigen Beschlüssen auf betriebswirt-schaftlicher Ebene führte.

"Die Genossenschaften haben das Recht, mit auslän-dischen Partnern Außenhandelsgeschäfte zu machen.Um das Wirtschaftsinteresse bei Export- und Import-aktionen zu steigern, können die Genossenschaftenden beim Warenexport erzielten Erlös in ausländi-scher Währung behalten"10, stand in Artikel 28 desGesetzes zu lesen. Das Ende der staatlichen Planwirt-schaft begann mit der Liberalisierung der Außenhan-delsbeziehungen. Anstatt die Verantwortung für diezu erwartenden und auch von den eigenen Ökono-men berechneten sozialen Deregulierungen wahrzu-nehmen und Vorkehrungen für soziale Versicherungs-systeme zu treffen, kümmerte man sich in den No-menklatura-Zentralen um die Wettbewerbsfähigkeit.Und auch das nur vermeintlich. Denn die im Zuge derÖffnungen zum Weltmarkt notwendige wirtschaftli-che Kraft wurde – anders als in den südostasiatischen"Tiger"-Staaten, die für manchen kommunistischenÖkonomen wie z.B. die Moskauer WissenschaftlerinIrina Bunkina ein Vorbild abgaben11 – staatlicherseitsnicht gefördert. Mit der Liberalisierung der starrenStrukturen schien alles getan. Vorbereitungen aufden rauen Wind des Weltmarktes konnten damitnicht getroffen werden. Mit den späteren Privatisie-rungen wurden die örtlichen Kollektivführungen we-nige Jahre danach in die Lage versetzt, Verkäufeohne soziale oder investitionspolitische Rücksichtenzu tätigen. Wenn es nicht die pure Naivität war, derdiese unverantwortliche Perestroika-Politik geschul-

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9) Gheorghe Gheorghiu-Dej war Ministerpräsident Rumäniens zwischen 1952 und 1955 und Staatspräsident seit 1961.10) Gesetz der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über das Genossenschaftswesen (gezeichnet A. Gromyko, Vorsitzender des Präsidiums des

Obersten Sowjets der UdSSR; T. Menteschaschwili, Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR. Moskau, Kreml, 26. Mai 1988)11) Interview mit Irina Bunkina in Wien. In: MOZ, April 1988, S. 45ff.

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det war, dann war es das Kalkül von Teilen der kom-munistischen Nomenklatura, sich selbst mit Hilfe derlauthals ideologisierten Deregulierungen zu berei-chern. In vielen Fällen ist genau das gelungen. Mit dem Fall des Außenhandelsmonopols in der Sow-jetunion war auch den führenden politischen Kräftenin den Partnerstaaten des RGW kein Argument mehreinsichtig, warum man sich der Rubelzone verpflich-tet hätte fühlen sollen. Das politische Zentrum desRGW ließ seine lukrativsten Firmen autonom ins Dol-largeschäft einsteigen. Umso weniger wollten tsche-chische, ungarische oder polnische Betriebe auf demTransferrubelmarkt tauschen. Das offizielle Ende desRGW am 28. Juni 1991 war dann nur mehr eine logi-sche Folge dieser Entwicklung.

Drei Tage zuvor hatten sich Slowenien und Kroatienvon Belgrad getrennt und für unabhängig erklärt.Einer – peripheren – Integration der osteuropäischenStaaten in von westlichen Zentren dominierte Wirt-schafts- und Militärpakte stand nun auch auf demBalkan nichts mehr im Wege.

Weltbank und Währungsfonds in OsteuropaDie beiden internationalen FinanzorganisationenWeltbank und Währungsfonds hatten bereits langevor politischer Wende und wirtschaftlicher Transfor-mation mitten im RGW Fuß gefasst. Als sich Anfangder 1970er Jahre nach erfolgtem Wiederaufbau billi-ge Dollars weltweit auf die Suche nach neuen Ver-wertungsmöglichkeiten machten, waren es nebenden Staaten der südlichen Halbkugel auch von kom-munistischen Parteien geführte Länder im Osten Eu-ropas, die um Kredite vorstellig wurden. Neben Jugo-slawien, das bereits längere Zeit aus geopolitischenGründen Westkredite erhalten hatte, waren dies in-nerhalb des RGW vor allem Polen, Rumänien undUngarn, die in großem Stil Kapital auf Geldmärktenaufnahmen. Zur Kontrolle ihrer Kreditwürdigkeit dräng-ten die Washingtoner Finanzorganisationen War-schau, Bukarest und Budapest zur Mitgliedschaft. Ju-goslawien war bereits seit der Gründung 1944 Mit-glied des IWF und nahm auch wegen seiner Rolle inder Blockfreien Bewegung eine Sonderstellung imWeltsystem ein. Als erstes Land des RGW trat Rumä-nien 1972 dem IWF bei, Ungarn folgte zehn Jahrespäter 1982 und Polen 1986.

Schon bei der Gründung der beiden Finanzorganisa-tionen im US-amerikanischen Bretton Woods im Juli1944 waren allerdings einige Staaten Osteuropas mitvon der Partie. Die Sowjetunion war durch eine rang-hohe Delegation unter der Leitung von M.S. Stepa-now am Tagungsort anwesend und diskutierte die

Gründungsstatuten. Einer von Moskau gewünschtenErhöhung der Kapitalquote wurde nicht Rechnunggetragen.12 Dies und die einseitige Ausrichtung vonWeltbank und IWF auf die Herstellung von Wäh-rungskonvertibilität und Währungsstabilität warendann auch die Gründe, weshalb Moskau die Einzah-lung seines bereits festgesetzten Kapitalanteils (1,2Mrd. US-Dollar von ursprünglich insgesamt 9,1 Mrd.Stammkapital13) verweigerte und die Gründungsur-kunde nicht ratifizierte.

Polen und die Tschechoslowakei traten nach demZweiten Weltkrieg der Weltbank und dem IWF beiund verblieben auch nach der Machtübernahme derkommunistischen Parteien noch ein paar Jahre inner-halb der Strukturen, bis Polen 1950 und die CSR1954 austraten bzw. formalrechtlich ausgeschlossenwurden.14

Die Schuldenfalle

Mit den in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auf-genommenen Westkrediten sollte in Jugoslawien, Po-len, Ungarn und Rumänien den Auswirkungen derWeltwirtschaftskrise entgegen getreten werden. Die-se äußerte sich in den Zentren der Weltwirtschaft,den USA, Westeuropa und Japan als Überprodukti-onskrise. Die Wiederaufbauarbeiten nach den massi-ven Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges waren ab-geschlossen, die Eroberung neuer Märkte im Südenkam nach der Entkolonisierungswelle ins Stocken, zu-nehmende Konkurrenz drückte Preise und Löhnenach unten. Kritische Ökonomen wie Andre GunderFrank15 waren sich einig, dass Mitte der 1970er Jahreein weltwirtschaftlicher Abschwung einsetzte. Diesebeginnende Abschwungphase korrespondiert auch inihrer historischen Dimension mit den "langen Wellen"des russischen Wirtschaftswissenschaftlers NikolaiKontratieff.16 Dass es dann noch dreißig Jahre dauer-te, bis die Krise in den Zentren geradezu explodierte,entspricht ebenfalls den mechanistisch wirkenden,aber auf empirischen Beobachtungen beruhendenBerechnungen von Kontratieff, dessen gesamter A-und B-Phasenkreislauf im Kern auf dem Rhythmusder jeweiligen Leitsektoren beruht.

An den Rändern der kapitalistischen Weltwirtschaft,zu der auch der RGW außenwirtschaftlich immer ge-hört hatte, war die beginnende Talfahrt anfangs stär-ker spürbar als in den Zentren. Die am wenigsten vonMoskau abhängigen Ökonomien im Osten begabensich deshalb auf internationalen Kreditmärkten aufKapitalsuche. Mit diesem wegen sinkender Renditenim Produktionsbereich billigen Geld wollten die kom-munistischen Führungen im Osten dreierlei bewirken:

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12) UN Monetary and Financial Conference. Washington 1944, S. 513) ebd., Annex B, S. 9414) Isabella Sommer, Die Konferenz von Bretton Woods. Der Internationale Währungsfonds. Wien 1972, S. 515) Andre Gunder Frank, Crisis in the World Economy. New York 198016) Nikolai Kontratieff, Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 56, 1926, S. 573–609

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Modernisierungen veralteter Industriebetriebezwecks Erhöhung der Produktivität;

Ankurbelung von Massenkonsum, weil in der Phase der Nachkriegsentwicklung die Konsum-güterindustrie weit hinter der Industriegüter-erzeugung zurückgeblieben war;

Ökonomische Stärkung des sozialen Umfeldes der Nomenklatura.

Alle drei Ziele, die in den einzelnen Ländern rechtunterschiedlich gesteckt waren, wurden verfehlt. Dererwartete industrielle große "Sprung vorwärts" schei-terte an mehreren Faktoren. Zum einen an der Pro-duktivität westlicher Hersteller, die wegen der Über-produktionskrise Rationalisierungsinvestitionen in deneigenen Betrieben tätigten, deren heftigste Auswir-kung eine vor allem in den USA mit staatlichen Gel-dern geförderte Rüstungsindustrie digitalisierte unddamit auch im zivilen Bereich die "Neuen Technologi-en" in Gang setzte. Zum anderen war dieses Schei-tern nicht bloß dem Zurückbleiben im wirtschaftli-chen Wettlauf geschuldet, sondern auch dem seit1947/48 von Washington verordneten und durchge-setzten Wirtschaftsembargo gegen die Länder mitkommunistischer bzw. unliebsamer Führung. DiesesCoordinating Committee (Cocom) genannte Organkontrollierte sämtliche Ausfuhren politisch als heikelerachteter Warengruppen. So genannte "Schwarze Lis-ten" verhinderten ein technisches Aufholen im Ostenmit Hilfe westlicher Produkte. Waren es in den1950er Jahren chemische Ausrüstungen, metallverar-beitende Maschinen, Gummiprodukte oder auch derberühmte Plastikkamm, deren unbewilligte Exportewestliche Firmen mit Strafen und Repressionen ein-gedeckt hätte, so führten in den 1980er Jahren Com-puter und andere hochtechnologische Geräte die"Schwarzen Listen" des Cocom an. Erst 1992, alsodrei Jahre nach dem Rückzug der kommunistischenPartei aus allen Regierungsämtern, war es Ungarn alserstem Land des ehemaligen Ostblocks gelungen,von der Cocom-Embargo-Liste gestrichen zu werden.Anders erging es dem postkommunistischen Russ-land. Wegen Bruchs der Embargobestimmungenwurde der US-amerikanische Multi IBM noch im Som-mer 1998 von einem Washingtoner Bundesgericht zueiner Strafe von 9 Millionen US-Dollar verurteilt.17 Erhatte ohne Genehmigung siebzehn hochmoderneRechner an ein russisches Labor geliefert.

Massen- und Nomenklatura-Konsum konnten mitfremdem Geld eine Zeitlang erfolgreich umgesetztwerden. Die 1970er- und 1980er-Jahre galten z.B. imkrisengeschüttelten Ungarn als Vorzeigebeispiel einer"kommunistischen Sozialpartnerschaft", das Land wur-de als "lustigste Baracke" des Kommunismus bezeich-net. Anders in Rumänien, wo sich Nicolae Ceausescu

mit dem Aufbau eines an ein phantastisches Bojaren-schloss erinnernden neuen Bukarester Stadtteils einDenkmal setzte.Erkauft wurden die gescheiterten Modernisierungs-versuche ebenso wie die Ausweitung des Konsumsmit hohen Staatsschulden. In dem Moment, da sich –wie Anfang der 1980er Jahre geschehen – die Zinsenfür die anfangs billigen Kredite verteuerten, schlitter-ten die fremdfinanzierten Ökonomien noch weiter indie Krise. Ronald Reagans Politik der Dollarrepatriie-rung Anfang der 1980er Jahre war es auch, die dieSchuldenfalle nicht nur für osteuropäische Länder zu-schnappen ließ. Seine Hochzinspolitik bewirkte zwei-erlei: Erstens kamen tatsächlich Petrodollars und an-dere schwadronierende Dollars in die USA zurück,um hier mit staatlicher Garantie einen weiteren Wett-lauf in der Rüstungsindustrie in Gang zu setzen. Dieseit damals weltweit erfolgreichste Waffe, die CruiseMissiles, war eines der Ergebnisse dieser Staatsnach-frage erzeugenden Politik. Und zweitens wurde überdie Anfang der 1980er Jahre betriebene Aufrüstungdie Sowjetunion und mit ihr der Warschauer Pakt ineinen Rüstungswettlauf gedrängt, der von diesenspätestens Ende der 1980er Jahre verloren gegebenwerden musste.Zurück blieben ausgepowerte Volkswirtschaften, einsich desintegrierender RGW und einzelne verschulde-te Länder. In Jugoslawien hatte der hohe Anteil derAuslandsschulden in der Folge harte soziale Einschnit-te mit sich gebracht, die 1986 zu einem von derRegierung verordneten Einfrieren der Löhne und einJahr darauf zur versuchten Schließung von 7.000 Be-trieben führte. Dieser Versuch wurde mit Massenpro-testen beantwortet. Im März 1991, noch vor den Se-zessionen Sloweniens und Kroatiens, erschüttertendie Unruhen nicht nur die Hauptstadt Belgrad. Pan-zer der Jugoslawischen Volksarmee fuhren auf undberuhigten die Lage.18 Westliche Medien haben diesesozialen Protesten zu einer politischen Oppositions-bewegung umdefiniert und sie damit antikommunis-tisch instrumentalisiert.In Polen war im Dezember 1981 sogar die Einführungdes Kriegsrechts durch General Wojciech Jaruzelskinotwendig geworden, um soziale Aufstände, die di-rekte Folgen einer Austeritätspolitik gewesen sind, inden Griff zu bekommen – freilich nur für wenigeJahre.In Rumänien schlüpfte Nicolae Ceausescu selbst indie Rolle eines IWF-Managers, indem er Sparkursesonder Zahl für die Bevölkerung verordnete. Mitniedrigen Löhnen, Einschränkungen von Heizungenim Winter und öffentlichen Verkehrsmitteln an Nach-mittagen hoffte er, die landwirtschaftlichen Export-produkte billiger produzieren zu können. Ein kredit-politisches Missverständnis verleitete ihn dazu, nichtnur den Schuldendienst, also die Kredite, zu bedie-

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17) Salzburger Nachrichten, 3. August 199818) Neue Zürcher Zeitung vom 27.3.1996. Vgl. auch Hannes Hofbauer, Balkankrieg. Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens. Wien 2001, S. 15

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nen, sondern auch das kreditierte Kapital (von da-mals 12 Mrd. US-Dollar) zurückzubezahlen. Im April1989 war Rumänien schuldenfrei. Das Volk danke esihm nicht, seine Nachfolger erschossen ihn und seineFrau zu Weihnachten 1989 vor laufender Kamera.Seit den späten 1980er Jahren befanden sich Länderwie Jugoslawien, Ungarn, Polen und Rumänien imWürgegriff der beiden internationalen Finanzorgani-sationen. Der Transmissionsriemen ihrer Erpressbar-keit war die hohe Auslandsschuld, die sich für dieLänder Osteuropas bis zum heutigen Tag extrem er-höht hat. Der IWF legte über die Jahrzehnte immerwieder die selben Austeritätsprogramme auf, die eineVoraussetzung dafür bildeten, weitere Tranchen vonausgehandelten Krediten freizugeben. So genannteStrukturanpassungsprogramme forderten wie überallsonst auf der Welt Budgetsanierung, Währungskon-vertibilisierung, Einstellungen staatlicher Subventio-nen, Kürzungen in der Sozial- und Regionalpolitikund generell einen Rückzug des Staates aus der öko-nomischen Sphäre. Die bekanntesten IWF-Sanierer zuBeginn der Transformationsphase waren der Havard-Ökonom und US-Präsidentenberater Jeffrey Sachsund der frühere stellvertretende US-AußenministerStrobe Talbott. Während Talbott in der zerfallendenSowjetunion IWF-Programme leitete, entwickelte Sachszusammen mit Ante Markovic einen "Sanierungsplan"für Jugoslawien, der allerdings am Widerstand vonSlobodan Milosevic scheiterte, sowie die so genannte"Schocktherapie" für Polen (zusammen mit LeszekBalcerowicz). Als pro Kopf genommen höchst verschuldetes LandEuropas galt Ungarn, gefolgt von Polen und Rumäni-en. Seit dem Zusammenbruch des RGW lastet dieAuslandsschuld indes auch auf jenen Nationalökono-mien, die zu kommunistischen Zeiten ohne Westkre-dite ausgekommen waren. Die Steigerungsraten die-ser Schulden sind enorm, wie die unten stehendeTabelle eindrucksvoll zeigt.Mit dem Zusammenbruch von RGW und Sowjetunionim Jahr 1991 fanden sich nicht nur Ungarn und Po-len, die bereits in kommunistischen Zeiten in die

Schuldenspirale auswärtiger Geldverleiher geratenwaren (Rumänien hatte ja die Schulden komplett zu-rückgezahlt), unter dem Diktat von IWF-Program-men, auch sämtliche anderen Länder des RGW riefennach Dollar und DM. Kapitalmangel herrschte aller-orten. Unerfahrene neue Führungseliten wurden zuwillfährigen Helfern einer Politik, die Osteuropa alsneues ökonomisches Hinterland der EG positionierte.Die westliche Kreditpolitik war einer der entscheiden-den, wenn nicht der wichtigste Eckpfeiler für dieseArt abhängiger Entwicklung. Das Ansteigen der Aus-landsschulden in den Ländern Osteuropas (ohne dieSowjetunion/Russland und Ex-Jugoslawien) sprichteine deutliche Sprache und unterstreicht diese These.Zwischen 1990 und 2000 nahmen diese um 227 %zu, zwischen 2000 und 2008 nochmals um 257 %,somit in den 18 Jahren nach dem Zusammenbruchdes RGW um mehr als 1000 % (!). Vergleichsweiseschwach steigerte sich die sowjetische/russische Aus-landsschuld im selben Zeitraum, die zwischen 1990und 2000 zwar um 311 % zunahm, während sie zwi-schen 2000 und 2008 nur mehr um 113 % zulegte.Im ersten post-sowjetischen Jahrzehnt war es nochBoris Jelzin gewesen, der Russland mittels Fremdkapi-tal auf einen von diesem abhängigen Entwicklungs-kurs brachte. Seinem Nachfolger Wladimir Putin ge-lang es dann, nicht zuletzt wegen der hohen Energie-preise auf dem Weltmarkt, das Land von der Kredit-falle fern zu halten.

Neoliberale VorbereitungenSchon Jahre vor dem Zusammenbruch der planwirt-schaftlichen Wirtschaftssysteme im Osten und des RGWsetzten Partei- und Staatsinstitute auf die Ausbildungneoliberaler Wirtschaftskader. Dies passierte parallelzu den weiterhin betriebenen Wirtschaftsschulen desStaatsinterventionismus, wobei vor allem in Polenund Ungarn die marktorientierten Kräfte im Wissen-schaftsdiskurs nach und nach die Überhand gewan-nen. Seit Mitte der 1980er Jahre waren Friedrich vonHayek und Milton Friedman an diversen Weltwirt-schaftsinstituten salonfähig geworden. Vor allem in

Auslandsschulden in Osteuropa

1970 1980 1990 1995 2000 2005 2008

in Mrd. US-Dollar in Mrd. Euro

Jugoslawien 2,0 20,0 22,0

Ex-Jugoslawien (sechs Republiken*) k.A. 37,5 64,6 106,2

Polen 20,0 35,2 41,0 74,7 112,3 187,0

Ungarn 7,0 16,0 24,5 32,5 66,6 122,0

Rumänien 11,0 0,8 5,0 12,0 30,9 95,0

Osteuropa ohne Sowjetunion u. Jugoslawien(ab 1995: ohne Russland u. Ex-Jugoslawien)

59,1 105,2 193,2 254,8 690,7

Sowjetunion / ab 1995 Russland 42,0 94,0 173,0 216,5 370,0* Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Mazedonien / k.A. = keine Angaben verfügbarQuellen: Weltbank, nationale Datenbänke, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition 1995 (S. 41)/ 2005, 2009; Vladimir Gligorovu.a., Where have all the Shooting Stars gone? (Current Analyses and Forecasts 4/ July 2009)

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Budapest – aber auch in Prag – bildete sich eine ei-gene, weit verzweigte und mit westlichen Universitäts-instituten verzahnte Forschergruppe heraus, die nichtnur auf wissenschaftlichem Terrain tätig war, son-dern auch in deutschen und österreichischen Medienwahrgenommen wurde. Einer ihrer führenden Köpfe,Vaclav Klaus vom Weltwirtschaftsinstitut in Prag,machte nach der Wende auch politische Karriere.

In Ungarn setzte beispielsweise das Budapester Insti-tut für Weltwirtschaft auf einen möglichst uneinge-schränkten Markt als Allheilmittel. Als ideologischtreibender Kopf dieses Paradigmenwechsels zeichne-te sich András Inotai aus. Sein radikales Freimarkt-denken orientierte sich in der zweiten Hälfte der1980er Jahre am britischen Thatcherismus. 1986 trater mit einer Gruppe von Hayek-Schülern an, um dasWeltbild des großen neoklassischen Monetaristen un-garische Wirklichkeit werden zu lassen. Inotais Credovon damals: Flexibilisierung des Arbeits- und Kapital-marktes sowie eine Reform der Außenwirtschaft.Nicht einmal die Zeitspanne eines Fünf-Jahres-Planshat es gedauert, bis die Eckpfeiler eines neoliberalenKapitalismus in die sozioökonomische Landschaft Un-garns geschlagen waren. Schon 1986 wurde mit derso genannten Bankenreform die Monopolstellungder Nationalbank gebrochen,19 womit ein vom Staatunkontrollierter Devisenhandel Platz greifen konnte.Zwei Jahre später erlaubte die Einführung des Kör-perschaftsgesetzes private Investitions- und Produkti-onstätigkeit in unbeschränktem Rahmen, ein eigenesJoint-Venture-Gesetz, das ausländischen Investorenfreien Kapital- und Gewinntransfer garantierte, wur-de noch von der kommunistischen "Ungarischen So-zialistischen Arbeitspartei" (MSZMP) erlassen.

1988 war auch das Jahr, in dem das immer nochformal kommunistisch regierte Ungarn eine auf diegewünschte kapitalistische Zukunft ausgerichteteSteuerreform vornahm. Mit der Einführung vonMehrwert- und Einkommensteuer, die auch eineLohnsteuer beinhaltete, gelang der entscheidendewirtschaftspolitische Schritt über den Rubikon. AlsMassensteuern dienen beide – bei gleichzeitigemFehlen von adäquater Besteuerung von Gewinn undVermögen – zur Geldabschöpfung aus den privatenHaushalten. Sie stellen, noch dazu in inflationärenZeiten, eine indirekte Enteignung der Besitzlosen dar,finanziert sich doch der Staat unter derartigen steu-erlichen Bedingungen zu einem Gutteil über dieGeldbörse des kleinen Mannes; wohlgemerkt beigleichzeitigen Steuerbefreiungen bzw. -erleichterun-gen für große Investoren.

Letzteren standen mit einem Schlag die Tore der un-garischen Volkswirtschaft weit offen. Mit geradezumessianischem Pathos feierten Wirtschaftswissen-

schaftler und Politiker die ersten "freien Investoren",20

der letzte Handelsminister aus der KP-Ära, TamásBeck, berichtete euphorisch Ende März 1990 auf ei-ner Tagung in Salzburg über die Erfolge der Open-house-Politik: "Die ungarische Regierung hat eine Lis-te von fünfzig ungarischen Großunternehmen zu-sammengestellt und diese an die großen Banken undHandelskammern der westlichen Länder Europaszwecks Fremdbeteiligung geschickt. Wir können be-reits die ersten bemerkenswerten Erfolge verbuchen.Ein französisches Unternehmen beteiligte sich an ei-ner bekannten ungarischen Firma für Messgeräte, eineenglische Firma wurde Miteigentümerin einer tradi-tionellen ungarischen Lokomotivenfabrik, ein ungari-sches Außenhandelsunternehmen ist zu 100 % in dieHände eines amerikanisches Handelshauses überge-gangen."21

Die vorbehaltlos positive Grundstimmung dem aus-ländischen Investment gegenüber mag aus heutigerSicht naiv erscheinen; zu einem guten Teil speiste siesich noch aus der alten leninistischen Schule, nachder politische Entscheidungen über gesellschaftlicheund ökonomische Prozesse möglich (und wünschens-wert) waren. Die kommunistische Nomenklatura unddie von ihr ausgebildeten Wirtschaftswissenschaftlerübersahen weitgehend, dass mit der Herstellung ei-nes liberalen Umfeldes für kapitalistische Akkumulati-on das politische Primat über wirtschaftliche Vorgän-ge, mit dem auch die Reformer aufgewachsen wa-ren, der Vergangenheit angehörte. Als dies – sehrspät – erkannt wurde, gab es nur mehr einen Weg,nicht aus den Stellungen der Macht weichen zu müs-sen: die Übernahme von Besitz oder Besitzanteilen anehemaligen Staatsbetrieben durch die Funktionäreder Staatspartei. Die ungarische Sprache der Wende-zeit erfand für diesen meist mafiös betriebenen Be-sitztransfer sogar ein eigenes Wort: das Fallschirm-springen. Damit war jenes alle Länder Osteuropasprägende Phänomen gemeint, das in der Epoche derTransformation aus alten Betriebs-, Partei- und Regio-nalkadern neue Eigentümer von ehemals verstaatlich-ten Betrieben machte. Freilich landeten nicht alle Fall-schirmspringer auf sanftem Boden.

Kapitalkräftige Beobachter der Transformationsszenehatten es dabei noch leichter als Mitglieder der hei-mischen Nomenklatura. Wie eng die 1989er Wendemit westlichen Kapitalinteressen verzahnt war, wieweit ins Persönliche die Verquickungen von (ungari-scher) Politik und (westlicher) Ökonomie gingen,zeigt die Aktionärsliste des ersten an einer Börse imWesten notierenden ungarischen Unternehmens. Indie im September 1989 an die Wiener Börse gehendeHandels- und Reisebürofirma Novotrade kauften sichdie damaligen US-Botschafter in Budapest und Wien,

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19) Vgl. Hannes Hofbauer, Marktwirtschaft in Ungarn: Eine Fehlplanung. In: Delapina u.a., Ungarn im Umbruch. Wien 1991, S. 4420) Auch in der kommunistischen Epoche gab es westliche Investoren in Ungarn. Selbst Konsumgüterartikel wie z.B. Unterwäsche (Triumph) wurden in

Weltmarktfabriken für den Westen produziert – freilich unter der Devisenkontrolle der Nationalbank.21) Vgl. Hannes Hofbauer, Marktwirtschaft in Ungarn: Eine Fehlplanung. In: Delapina u.a., Ungarn im Umbruch. Wien 1991, S. 46

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Mark Palmer und Ronald Lauder, maßgeblich ein.Wozu, dürften sich die beiden gefragt haben, ist manschließlich Botschafter eines Landes, das immerzu dieFreiheit verkündet, wenn man sie sich nicht im geeig-neten Augenblick zu nehmen weiß? Dass der Antriebzur konkreten Privatisierung meist von außen kam,bestätigt auch der Ungarn-Experte des "Wiener Insti-tut für internationale Wirtschaftsvergleiche" (WIIW),

Gabor Hunya. Anlässlich eines Seminars zum ThemaEU-Erweiterung meinte er: "Die Projekte kamen alle vonaußen und haben wenig innere Verankerung".22 Für dieUmsetzung von Vorgaben, die IWF und Weltbank ent-wickelten, bedurfte es ausländischen Kapitals. Die Län-der Osteuropas konnten schon aus Kapitalmangel nichtmit der Entstehung einer großen Mittelklasse, einer ei-genen besitzenden Bourgeoisie rechnen.

Kapitel II

Kapitalisierung in der Transformation

23 "Beträchtliche Einschränkungen der Arbeitskräfte-mobilität behindern die Arbeitsmärkte in vielen Re-formländern. Die Aufhebung dieser Restriktionen (...)kann die Arbeitsmobilität ankurbeln."24 Und weiter:"Inflexible Löhne können die Umstrukturierung derBeschäftigung unterminieren, selbst wenn andereMärkte gut funktionieren. (...) Vor den Reformen wie-sen die ehemaligen Planwirtschaften eine sehr rigideLohnstruktur auf. Hier verändert sich einiges, dochselbst in einem liberalisierten Umfeld gibt es oft Be-schränkungen der Lohnflexibilität, die die Umstruktu-rierung der Beschäftigung ernsthaft bremsen kön-nen. (...) Zu hohe Mindestlöhne begrenzen die Vertei-lung der Löhne nach unten und verhindern eineLohnbildung auf markträumendem Niveau." Der Welt-bankbericht aus dem Jahr 1995 schreibt Klartext unddokumentiert damit noch sechs Jahre nach der Wen-de die Schwierigkeiten der Kapitalisierung osteuro-päischer Gesellschaften am Beispiel der Herstellungeines Arbeitsmarktes.Gesicherter Arbeitsplatz, gesicherter Wohnraum, ge-sichertes Einkommen und damit gesichertes Auskom-men. Das war es, was in postkommunistischen Zeitensozialpolitisch geändert wurde. Trotz umstürzleri-scher, antikommunistisch inspirierter Wende warendiese Änderungen jedoch keineswegs allgemein ak-zeptiert und automatisch möglich. Kapitalisierungmusste planmäßig hergestellt werden. Die Weltbankempfahl dafür konkrete Maßnahmen, an die sich dieneuen Eliten im Osten auch hielten. Was für man-

chen wie eine linksradikale Provokation klingt, war(und ist) tatsächlich herrschende Diktion: "Zu hoheMindestlöhne begrenzen die Verteilung der Löhnenach unten und verhindern eine Lohnbildung aufmarkträumendem Niveau". Diesen Satz muss mansich auf der Zunge zergehen lassen. An ihm wird klar,wie systematisch bei der Transformation der ex-kom-munistischen Volkswirtschaften von Seiten westlicherFinanzinstitute und Wirtschaftsplaner im Dienste ak-kumulationshungriger Konzerne vorgegangen wur-de. Mit der "Verteilung der Löhne nach unten" ist eineAufforderung verbunden, eine gleichmäßige Lohn-struktur zu diversifizieren, was dann in der Folge"markträumend" wirkte, also einen Teil der Beschäfti-gen aus dem neu geschaffenen Arbeitsmarkt aus-schloss, den es als Markt zuvor überhaupt nicht ge-geben hatte. Millionen folgten dieser Doktrin derMarkträumung bzw. mussten ihr folgen.Etwa 15 Jahre dauerte die als "Transformation" be-zeichnete Periode, in der eine vollständige Kapitalisie-rung von zuvor nur über die Außenwirtschaft demWeltmarkt angehörigen Länder, Regionen und Gesell-schaften stattfand. Kapitalisiert wurde in vielfacherHinsicht. Eine gewisse historische Distanz erlaubtuns, den Ablauf dieser Entwicklung nachzuzeichnen.Zuallererst war es notwendig, die noch vorhandenenVersprechen aus der planwirtschaftlichen Zeit "vomMarkt zu nehmen". Das passierte in Form einer Hyper-inflation, die in allen Ländern des Ostens stattfandund eine Voraussetzung für Investitionssicherheit bil-

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22) Prospects for Europe’s Periphery. Statement von Gabor Hunya auf der Konferenz des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche: EUEnlargement and Europe’s Periphery. Wien, 22.3.2002, Mitschrift

23) Das Kapitel ist eine wesentlich überarbeitete und geraffte Fassung aus: Hannes Hofbauer, EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte– soziale Folgen. Wien 2007. S. 47-65, S. 254-280

24) Weltbank (Hg.), Arbeitnehmer im weltweiten Integrationsprozess (=Weltentwicklungsbericht). Washington, Bonn 1995, S. 131

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dete. Daran anschließend folgte die Herstellung vonMarkt als solchem: Absatzmarkt, Arbeitsmarkt, Woh-nungsmarkt, was das Ende staatlicher Subventi-onspolitik mit sich brachte. Den zentralen Punkt dergesamten Transformationsepoche bildete dann diePrivatisierung mit vollständigem Eigentumstransfer,an dem sich die Interessen des an Überschussproduk-tion, Absatzproblemen und schwachen Renditen lei-denden EU-europäischen, US-amerikanischen und ost-asiatischen Kapitals überdeutlich zeigten. Neue politi-sche Eliten in den einzelnen Ländern, die sich nachder Auflösung der drei multiethnischen Staaten Sow-jetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien alle-samt "nationalisierten", boten sich zum großen Teilbereitwillig als Partner der raschen Kapitalisierung ih-rer Gesellschaften an. Herausgekommen sind sozialeVerwerfungen und extreme regionale Disparitäten alslogische Folge einer Politik der "Flexibilisierung" vonWohn- und Arbeitswelt.

Allgemein gesprochen, bedeutete der Übergang vonmaroden gemeinschaftlichen, großteils staatlichenStrukturen zu Kapitalverhältnissen in sämtlichen Ar-beits- und Lebensverhältnissen, wie sie sich in nicht-kommunistischen Staaten über Jahrzehnte entwickelthatten, die Ablöse des politischen durch das ökono-mische Primat. Kapitalistische, auf Verwertungsdruckbasierende wirtschaftliche Rationalität übernahm diegesellschaftlichen Verhältnisse im Osten des europäi-schen Kontinents mit rasender Geschwindigkeit. Bisnach abgeschlossener Transformation der selbe Druckaus dem Osten auf westeuropäische Gesellschafteneinzuwirken begann. Beim Steuerwettlauf nach un-ten ist das ebenso zu dokumentieren wie bei derAuflösung des die Altersversorgung bestimmendenGenerationenvertrages. Kapitalisierung war und istkeine Einwegstraße.

Hyperinflation enteignet die Besitzlosen

Zu Anfang stand die Entwertung des alten Geldes.Hyperinflation ist, sozio-ökonomisch betrachtet, eineEnteignung der Besitzlosen, also jener, die nichts ha-ben als die eigene Arbeitskraft und ein Sparbuch.Diese Erkenntnis stammt von Eduard März,25 demletzten austromarxistischen Ökonomen, der damiteine Erklärung für die Kronenabwertung im republi-kanischen Österreich und die Währungsreform desJahres 1922 mit ihrer vorangegangenen Hyperinflati-on lieferte.

Die maroden kommunistischen Volkswirtschaftenwaren – über Jahrzehnte hinweg – vom Phänomendes Mangels an Konsumgütern gezeichnet. Dies im-plizierte eine relativ hohe Sparquote in allen Länderndes RGW. Der eine hatte Kronen auf der hohen Kanteliegen, um sich irgendwann, so die Produktivität der

Fabrik es erlaubte, einen Skoda kaufen zu können;die andere sparte für eine Kücheneinrichtung in Lei,auf deren Kauf sie erst in drei, vier oder mehr Jahrenein planmäßiges Anrecht besaß. Weniger der Preiseines bestimmten Produktes war es, der Käufer vomErwerb abhielt, sondern das Lieferhemmnis. Also horte-ten Osteuropas ProletarierInnen Milliarden von Rubel,Lei, Kronen, Zloty oder Forint, um bei entsprechenderGelegenheit Konsumgüter kaufen zu können.Diese beträchtlichen Geldmengen aus kommunisti-scher Zeit bildeten nach dem Umbruch ein wesentli-ches Hindernis für die Kapitalisierung der Ökonomie.Die neoliberale Marktwirtschaft erklärte sie für ungül-tig, standen doch dem erarbeiteten Geld nicht ausrei-chend Waren gegenüber; als Vorschuss auf dem-nächst Produziertes konnte es nicht gelten, wollteman neue Eigentümer- und neue Produktionsstruktu-ren in den einzelnen Ländern einführen. Frische Inves-toren waren logischer Weise nur dann bereit, ihr Ka-pital für Gewinn versprechende Unternehmensteileoder neue Produktionen anzulegen, wenn nicht Milli-arden von altem Geld im Umlauf waren, das durchnichts gedeckt war als die darin enthaltene, längstgeleistete Arbeit. Diese Art der Enteignung nicht ein-gelöster (Konsum-)Versprechen wurde im Westen all-seitig begrüßt und von den entsprechenden Fachleu-ten ideologisiert. Am offensten tat dies der Osteuro-paforscher Werner Gumpel in der damals in Mün-chen erscheinenden Zeitschrift des "Südost-Instituts",der sich den "Kosten der Transformation" widmet:"Grundsätzlich sollte das Verursacherprinzip gelten.Verursacher war die Kommunistische Partei. Sie exis-tiert, zumindest in ihrer alten Form als Ganzes, nichtmehr. Bleibt das Volk als Ganzes, das ja ’Eigentümer’der Produktionsmittel gewesen ist. Mithin müssenalle Bürger für die entstandenen Schäden und derenBeseitigung im Rahmen einer Neuordnung der Wirt-schaft aufkommen. In mehr oder minder gleichemMaße waren diese schließlich die ’Nutznießer’ desvon der Planwirtschaft bewirkten Werteverzehrs derVolkswirtschaft. Bei geringen Ersparnissen und feh-lender Kapitalbildung kann dies durch Inflation undeine Senkung der Reallöhne geschehen."26 Und sogeschah es.

Vor diesem Hintergrund war die 1989 und danach indie Länder des Ostens einziehende Inflation nichtbloß Resultat einer falschen Finanz- und Wirtschafts-politik, sondern auch politisch gewollt: sie enteignetedie Sparer des Sozialismus. Sie betrieb Kapitalver-nichtung im Sinne neuer Investoren aus dem Dollar-und DM-Raum, die finanz- und währungspolitischeSicherheit für ihre Geldanlage forderten. Gewinn-transfer in die Heimatländer des Kapitals konnte nurdurch Konvertibilität der lokalen Währungen garan-tiert werden; und diese war mit den überschüssig vor-

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25) Vgl. Eduard März, Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913 – 1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe.Wien 1981

26) Werner Gumpel, Makroökonomische Stabilisierung, ihre sozialen Probleme und Kosten der Transformation in Südosteuropa. In: Südosteuropa. Zeitschriftfür Gegenwartsforschung, 4-5/1996. München 1996, S. 02f.

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handenen Geldmengen nicht herstellbar. Der durchdas Andocken an die Regeln des dollarisierten Welt-marktes eintretenden Inflation folgte anfangs in Po-len und anderswo eine restriktive Geldpolitik, die dieMenge des Geldumlaufs drastisch beschränkte undan die DM band. Alternativen zum Monetarismus,wie sie mittels Lohnausgleichszahlungen z.B. in Ru-mänien unter Ion Iliescu oder in Jugoslawien unterSlobodan Milosevic probiert wurden, trugen den dor-tigen politischen Kräften schwere Rügen seitens desIWF und eine politische Paria-Stellung in der neuenWelt des Neoliberalismus ein.

In fast allen Ländern erreichte die Transformationsin-flation dreistellige Zahlen. Polens Konsumenten- undInvestitionsgüterpreise verteuerten sich zwischen1989 und 1990 um 600 %. In wenigen Monaten wardas in der Kommune-Zeit Erarbeitete nichts mehr wert.1991 erreichte die Hyperinflation Bulgarien (320 %)und Rumänien (200 %), 1992 Slowenien (200 %), dasbereits im ersten Jahr seines Bestandes 1991 mit ei-ner dreistelligen Inflationsrate zu kämpfen gehabthatte. Russische und ukrainische Sparer wurden imJahr 1992 enteignet; Russland durchlebte eine Inflati-on in der Höhe von 1.500 %, die Ukraine schraubtesich von 1.200 % (1992) auf 5.300 % (1993). Dage-gen nahmen sich die tschechische Inflationsrate von60 % (für 1991) und die ungarische von 35 % (für1991) geradezu unbedeutend aus; sie zeugen tat-sächlich von einer gewissen Stärke der beiden Volks-wirtschaften.

Steigerung der Konsumentenpreise gegenüber dem Vorjahr

1990 1991 1992

Tschechien 10 % 60 % 11 %

Slowakei 10 % 60 % 10 %

Ungarn 29 % 35 % 23 %

Polen 585 % 70 % 43 %

Bulgarien 23 % 340 % 90 %

Rumänien 5 % 175 % 210 %

Kroatien 610 % 120 % 660 %

Slowenien 550 % 115 % 200 %Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg), Countries in Transition 1995. Wien 1995

Parallel zu den Hyperinflationen enteigneten drasti-sche Reallohneinbußen in den ersten Wendejahrendiejenigen LohnarbeiterInnen, die noch Arbeit in denStaatsbetrieben hatten. In Polen und Slowenien ver-loren die ProletarierInnen bereits 1990 ein Viertel ih-res Lohneinkommens (im Vergleich zum Jahr davor);in der Tschechoslowakei und Rumänien vermisstensie selbiges Viertel ein Jahr später auf dem Lohnzettel,in Bulgarien betrug der Reallohnverlust gar 39 %.27

Indizierte Preisentwicklung für Konsumgüter bis 1994 (bei 1990 = 100)

Tschechien 231

Slowakei 247

Ungarn 241

Polen 435

Bulgarien 2.845

Rumänien 7.887

Kroatien 54.500

Slowenien 1.062

Russland 112.980

Ukraine 1.358.134 Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg), Countries in Transition 1995. Wien 1995

Deindustrialisierung

Produktionseinbrüche begleiteten das erste Wende-jahrfünft bis 1994. Der bereits seit Mitte der 1970erJahre beginnende Wirtschaftsabschwung beschleu-nigte sich in Osteuropa 1989 dramatisch. Nun ginges um die Substanz der seit Kriegsende aufgebautenIndustrie. Zwischen 1990 und 1993 löste sich dieBranchen- und Produktionsstruktur der kommunisti-schen Epoche auf. In Polen brach die industrielle Pro-duktion 1990 im Vergleich zum Vorjahr um ein Vier-tel (24,2 %) ein, in der Tschechoslowakei, Bulgarienund Rumänien passierte dies ein Jahr später; Ungarnverlor 1992 ein Fünftel seiner industriellen Kapazitä-ten. Im Zeitraum zwischen 1990 und 1993 sank dieProduktion von Industriegütern – je nach Land unter-schiedlich – um 40 % bis 70 %. Am härtesten betrof-fen waren – neben den vom Krieg gezeichneten Bos-nien-Herzegowina und Kroatien – Polen, Bulgarienund Rumänien.

Produktionseinbrüche in der Industrie 1990 – 1994

1990 1991 1992 1993 1994

in % – jeweils im Vergleich zum Vorjahr

Bulgarien -16 -22 -16 -11 +5

Kroatien -11 -29 -15 -6 k.A.

Tschechien -3 -24 -15 -5 +2

Slowakei -3 -24 -14 -11 +6

Ungarn -10 -17 -10 +4 +9

Polen -24 -12 +4 +7 +12

Rumänien -19 -23 -22 +1 +3

Russland 0 -8 -18 -14 -21

Ukraine 0 -5 -6 -8 -28Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg), Countries in Transition 1995. Bei Polen ist zu beachten, dass die Wende de facto schon1988 einsetzte.

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27) Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg), Countries in Transition 1995. Wien 1995, S. 42

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Zwischen vier und fünf Jahre dauerte die Phase derDeindustrialisierung alter staatlicher oder kollektivgeführter Kombinate, um daran anschließend an ih-rer Stelle – entweder in Form von Übernahmen oderGreenfield-Investment (Neugründungsinvestition) –auf den Weltmarkt ausgerichtete neue Produktions-strukturen aufzubauen.

Im Visier der neuen osteuropäischen Eliten, die alle-samt auf West-Kredite bzw. Umschuldungen von al-ten Krediten angewiesen und somit ohne das Plazetvon IWF und Weltbank handlungsunfähig waren, be-fanden sich vor allem die Staatsbetriebe. Diese wur-den nach dem nun geltenden kapitalistischen Ver-wertungsprinzip einerseits als am Weltmarkt konkur-renzunfähig dargestellt, andererseits bereiteten de-ren Produktionskapazitäten den westeuropäischenund US-amerikanischen Konkurrenten dennoch Sor-ge. Immer wieder kam es vor, dass größere Industrie-einheiten in osteuropäischen Ländern von ihren po-tenziellen westlichen Konkurrenzfirmen aufgekauftwurden, um sie in der Folge zuzusperren und sichdamit eines Konkurrenzstandortes zu entledigen. Indiesem Zwiespalt – der ideologisch breitgetretenenKonkurrenzunfähigkeit und ihrer den westlichen Kon-kurrenzfirmen gefährlich werdenden Produktionska-pazität – versanken große Teile der in den 1960er-und 1970er-Jahren aufgebauten osteuropäischen In-dustrie. Erst deren Zerschlagung und anschließendeSchließung bzw. Teilprivatisierung ebnete das Feldfür die multinationalen Konzerne, die seither das Ter-rain in allen Ländern Osteuropas beherrschen.

Der staatliche Sektor wurde dabei von mehreren Sei-ten in die Zange genommen. Wichtig dafür war dasVerbot von Bartergeschäften – das sind Tauschge-schäfte zwischen Produkten, die ohne Geldtransfersablaufen – für Exporte innerhalb der (ehemaligen)RGW-Zone. Damit wurden auch durchaus lebensfähi-ge Industriebetriebe in die Knie gezwungen, um we-nig später von westeuropäischen, US-amerikanischenoder ostasiatischen, teilweise auch türkischen Kon-kurrenten vom Markt gedrängt zu werden.

Zum Beispiel der weltgrößte Autobushersteller Ikarusaus Ungarn. Im Februar 1990 veranlasste der IWF,mit Zustimmung der konservativen Regierung JózsefAntall, einen Lieferstopp von Bussen in den RGW-Raum und in arabische Länder. Auf der Basis vonGegengeschäften beispielsweise mit russischem Erdöldurften keine Busse mehr außer Landes gebrachtwerden, ansonsten versprochene IWF-Kredite, die dieRegierung zur Budgetkonsolidierung brauchte, nichtausbezahlt würden. Sofort beurlaubte der Autobus-gigant 10.000 Beschäftigte.28 Ein Jahr später war esum die Marktstellung des Busproduzenten gesche-

hen. Ungarns dadurch arbeitslos gewordene Auto-mobilarbeiter produzieren in der Folge für Weltmar-ken wie Audi, Volkswagen und Suzuki.

Der Deindustrialisierung folgte eine handels- undwirtschaftspolitische Neuorientierung. Schon nachknapp zehn Jahren Reformeifer hatte sich eine völligeÄnderung der Außenhandelbeziehungen ergeben:Bulgarien exportierte 1999 bereits 52 % seiner Warenin die EU (1990 waren es 5 %), Tschechiens EU-Ex-portanteil stieg von 38 % (1990) auf 69 % (1999),der Ungarns von 42 % (1990) auf 76 % (1999), derPolens von 53 % (1990) auf 70 % (1999), der Rumä-niens von 34 % (1990) auf 65 % (1999). Mit der han-delspolitischen Umorientierung änderte sich die Ex-portstruktur.29 Die Wirtschaft der neu kapitalisiertenosteuropäischen Staaten wurde selektiv, den Erfor-dernissen des Zentrums folgend, in die Akkumulati-onskreisläufe des Weltmarktes, insbesondere in derEuropäischen Union, integriert. In Tschechien, Un-garn, der Slowakei und Slowenien übernahm diePKW-Produktion bzw. der Zusammenbau von PKWseine wichtige Rolle. Zu Beginn des 21. Jahrhundertszählt dieser Industriezweig zu den ausgereiften, nichtbesonders innovativen Branchen.

Ein drittes Instrument zur Aushungerung osteuropäi-scher Staatsbetriebe war steuerlicher Art. Der IWFdrängte Länder wie Ungarn und Polen, den staatli-chen Sektor durch die Einführung von Sondersteuernzu belasten. So wurde in Zeiten hoher Inflationsratenbeispielsweise in Polen die berüchtigte "Popiwek"-Steuer eingeführt, eine Strafsteuer für Staatsbetriebe,die ihre Löhne – nach erfolgten Reallohneinbußenvon knapp 25 % – erhöhen wollten. Die damit er-zwungene Folge: die besten Arbeiter verließen dieRestkollektive und begaben sich in die Privatwirt-schaft. Umgekehrt erhielten private Investoren, diesich zeitgleich bei den zuständigen Ministerien mel-deten, großzügige Steuervergünstigungen, wie sieüberall in peripheren Weltregionen üblich sind.30

Selbst im klassischen Indikator für die Entwicklungeiner Volkswirtschaft, dem Bruttoinlandsprodukt(BIP), also der Summe aller (steuerlich erfassten) öko-nomischen Leistungen in einem Lande, kommt derZusammenbruch des europäischen Ostens auf drasti-sche Weise zum Ausdruck. Obwohl dieser Indikatorkeinerlei gesellschaftliche Verteilung des Erwirtschaf-teten angibt und somit für eine kritische Analyseweitgehend unbrauchbar ist, zeigt er auf der zeitli-chen und räumlichen Vergleichsschiene doch das ost-europäische Desaster auf. Sämtliche nationalen Sta-tistiken weisen in den ersten Jahren nach der Wendezweistellige Einbrüche des BIP auf: in Polen bereits1990, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Bulgarienund Rumänien im Jahr 1991 (jeweils verglichen mit

14

28) Hannes Hofbauer, Marktwirtschaft in Ungarn: Eine Fehlplanung. In: Delapina Franz u.a., Ungarn im Umbruch. Wien 1991, S. 6229) Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Peter Havlik u.a., The Transition Countries in Early 2000: Improved Outlook for Growth, But

Unemployment is Still Risiung (Research Report Nr. 266/ Juni 2000). Wien 2000, S. 1730) Ende der 1990er Jahre sind bespielsweise Körperschaftssteuern in Estland, Polen und der Slowakei gestrichen worden.

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dem Vorjahr). Das einzige Land, das auf Grund seinerrelativen ökonomischen Stärke einen massiven Ein-bruch des Bruttoinlandsproduktes verhindern konn-te, war Slowenien.31

Rückgang des Bruttoinlandsprodukts

1990 1991 1992 1993

in % – jeweils im Vergleich zum Vorjahr

Bulgarien -9,0 11,5 -7,0 -2,5

Kroatien -8,5 -21,0 -10,0 -3,5

Tschechien -1,0 -14,0 -6,5 -1,0

Slowakei -2,0 -14,0 -7,0 -4,0

Ungarn -3,5 -12,0 -3,0 -1,0

Polen -11,5 -7,0 -2,5 +4,0

Rumänien -5,5 -13,0 -10,0 +1,0

Russland -2,0 -13,0 -19,0 -12,0

Ukraine -2,0 -11,5 -13,5 -14,0Quelle: WIIW, Weltbankberichte

MarktherstellungDem Transformationsplan eigen war auch die Her-stellung von Märkten generell und dem Arbeitsmarktim besonderen. Es herrschte ein unbedingter Willezur Mobilisierung der Arbeitskräfte, die zu Zeiten un-kündbarer kommunistischer Arbeits(zwangs)verhält-nisse äußerst gering war. Am radikalsten ist dies inJugoslawien geschehen. Dort hat der Krieg nicht nurzur Vernichtung "sozialer Überschüsse"32 geführt, son-dern über die Vertreibung von drei Millionen Men-schen auch zu einer Mobilisierung aller Berufsgrup-pen und Qualifikationen. Das Medium Krieg zerstörtedamit auf brutalste Weise eine Sozialstruktur, die ge-rade im am schlimmsten verwüsteten Teil, in Bosnien,auf (teil-)subsistenten Haushaltsformen basierte undethnisch gemischt war.

Eines bringt Mobilität der Arbeitskraft – egal obdurch Krieg oder weniger brutale Deregulierungsme-thoden herbeigeführt – auf jeden Fall mit sich: ihreVerbilligung, wie im einleitenden Zitat aus dem Welt-bankbericht 1995 eindrucksvoll dargestellt: "InflexibleLöhne können die Umstrukturierung der Beschäfti-gung unterminieren, selbst wenn andere Märkte gutfunktionieren. (...) Zu hohe Mindestlöhne begrenzendie Verteilung der Löhne nach unten und verhinderneine Lohnbildung auf markträumendem Niveau."33

Die Sorgen der Banker konnten zerstreut werden. DieArbeitsmärkte in den Ländern Osteuropas sind heutegeräumt. Nutzbar können sie von jenen multinatio-

nalen Konzernen verwendet werden, die lohnintensi-ve Teile ihrer Standortketten in Billiglohnzonen ausla-gern. Die Lohnhöhe spielt dabei eine in westlichenMedien immer wieder kleingeschriebene, in Wahrheitjedoch wichtige Rolle. Während Mitte der 1990erJahre der durchschnittliche Bruttostundenlohn in denwestlichen deutschen Bundesländern bei 44,- DMund in Ostdeutschland bei 26,50 DM gelegen ist, be-trug er in Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechi-en zwischen 3,- und 4,- DM, in Rumänien 1,40 DM.34

Voraussetzung für die angesprochene "Räumung" desArbeitsmarktes war neben Flexibilisierung und Dere-gulierung auch schlicht die Reduzierung der hohenZahl an ArbeiterInnen. Mehr noch als die Arbeitslo-sigkeit drückt der Rückgang der lohnarbeitenden Be-völkerung den Strukturwandel in Osteuropa aus. Wares in Kommunezeiten, die freilich keinen Arbeits-markt kannten, üblich, dass Männer und Frauen glei-chermaßen beschäftigt waren, so passten sich die ost-europäischen EU-Beitrittskandidaten innerhalb vonzehn Jahren allesamt an das bürgerliche Gesell-schaftsmodell an. Seine flexibel und dereguliert aus-gerichtete und von struktureller Arbeitslosigkeit ge-prägte Struktur benötigt wesentlich weniger Lohnab-hängige als die kommunistische Vorstellung einer Ar-beitsgesellschaft. Vor allem Frauen fielen währendder ersten Transformationsdekade aus den geregel-ten Beschäftigungsverhältnissen heraus. Im traditio-nellen Industrieland Tschechien (Böhmen und Mäh-ren) sind im Jahr 2000 um 39 % weniger Personenunselbständig beschäftigt als zehn Jahre zuvor (dassind 1.974.000 Menschen), in Bulgarien waren es gar54 %, in Rumänien 46 %,35 die aus dem Arbeitspro-zess herausfielen. In Ungarn ging der Beschäftigten-stand während des ersten Transformationsjahrzehntsum 35 % zurück, in Polen um 16 %. Alles in allemgingen in den späteren osteuropäischen EU-Beitritts-ländern (ohne Baltikum, für das keine vergleichbarenZahlen vorliegen) zwischen 1990 und 2000 10,5 Mil-lionen Arbeitsplätze36 verloren. Bei weitem nicht alleplanwirtschaftlich Beschäftigten kehrten nach derökonomischen Neuausrichtung in den kapitalisiertenArbeitsprozess zurück, wie die folgende Tabelle (aufSeite 16) veranschaulicht.

Parallel dazu kletterte die Arbeitslosenrate in zeitwei-se astronomische Höhe. 2002 betrug sie laut offiziel-len Statistiken in Polen 20 %, in der Slowakei 19 %, inBulgarien 18 %, in Estland 13 %, in Tschechien 8 %,in Lettland, Litauen und Rumänien jeweils knappüber bzw. unter 8 %, in Slowenien 7 % und in Un-garn 6 %. Am Vorabend der gewünschten Beitrittezur Europäischen Union standen damit in den zehn

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31) WIIW (Hg.), Countries in Transistion 1995. Wien 1995, S. 38f.32) Die Ethnisierung des Sozialen. Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6. Berlin 1993, S. 9133) Weltbank (Hg.), Arbeitnehmer im weltweiten Integrationsprozess (= Weltentwicklungsbericht). Washington, Bonn 1995, S. 13134) Institut für Deutsche Wirtschaft (1996). Zit. in: Hans-Jürgen Wagener/Heiko Fritz , Transformation – Integration – Vertiefung. Zur politischen Ökonomie

der Osterweiterung. In: dies. (Hg.), Im Osten was Neues. Aspekte der EU-Osterweiterung. Bonn 1998, S. 3235) Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition. Wien 2001, S. 38f.36) ebd.

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Kandidatenländern knapp über 6 Millionen arbeitsu-chende Menschen ohne Erwerbsmöglichkeit da. Denoffiziellen Zahlen können – je nach Land – ohnegroßes Bedenken 5-10 % dazugeschlagen werden,um beschönigende Tricks der Statistik auszugleichen.

Beschäftigtenrückgang zwischen 1990 und 2006 in Prozent

Ungarn - 27 %

Polen - 10,5 %

Tschechien - 10 %

Slowakei + 6 %

Rumänien - 16 %

Bulgarien - 24 % Quelle: WIIW, RZB-Group, Fischer Weltalmanach, eigene Berechnungen

Ersetzt wurden die ehemals geregelten Arbeitsver-hältnisse durch das bekannte Sortiment postfordisti-scher Überlebensstrategien: Kioskkapitalismus, aller-lei deregulierte Jobs in so genannten "Schwitzbuden",Wanderarbeit, Migration und die Flucht in eine sub-sistente bzw. teilsubsistente Lebensweise.37

Sozialer Schock: "transition mortality"Die Deindustrialisierung der alten Kernbereiche gingin ganz Osteuropa in beispielloser Geschwindigkeitvonstatten. Und sie hinterließ eine soziale Verwüs-tung, die von der Lebenserwartung über den Kalori-enverbrauch bis zur Reproduktionswilligkeit statis-tisch wahrnehmbar wurde. Eine Studie des UNICEF-Weltkinderhilfswerks aus dem Jahr 1994 belegt auferschütternde Weise die Brutalität der Wende.38

Beginnen wir beim raschen, unerwarteten Tod. Mitder Ausnahme der Tschechoslowakei respektiveTschechiens und der Slowakei stieg im untersuchtenZeitraum zwischen 1989 und 1993 in allen osteuro-päischen Ländern die Sterberate signifikant. Notierteman im ohnehin von Krisen geschüttelten Rumäniendes letzten Jahres der KP-Herrschaft (1989) 10,6 To-desfälle auf 1000 Bewohner, so waren es vier Jahrespäter 11,6. Das ergibt einen Anstieg der Sterberateum knapp 10 %. In Bulgarien betrug dieser Wert imselben Zeitraum unmittelbar nach der Wende (1989-1993) 7,5 %, in Polen 5,2 % und in Ungarn 5,1 %.Zusammen mit Russland und der Ukraine, die in derUNICEF-Studie mit berücksichtigt sind und eine be-sonders starke Erhöhung der Todesrate aufweisen,starben im Jahre 1993 im Osten um 1,4 MillionenMenschen mehr als vier Jahre zuvor.39

Die Autoren der UNICEF-Studie nennen dieses imherrschenden Diskurs über die Wendejahre weitge-hend unberücksichtigt gebliebene Phänomen "transi-

tion mortality". Betroffen davon sind eher Männer alsFrauen und von diesen wiederum insbesondere Ar-beiter im Alter zwischen 35 und 49 Jahren. Ursachenfür die erhöhte Sterberate ortet die Studie in vermehrtauftretendem Herz- und Kreislaufversagen sowie Krebs,weiters in sichtbar höheren Selbstmordzahlen (v.a inRussland, der Ukraine und Ungarn) sowie einer starkangestiegenen Opferzahl im Straßenverkehr.

Teile einer im Kommunismus groß gewordenen Ge-neration haben die wirtschaftliche Krise und derenheftige soziale Auswirkungen offensichtlich nicht ver-kraftet. Auf der Strecke sind 1,4 Millionen Menschen-leben geblieben. Ihr zu früher Tod klagt die Konstruk-teure der Wende an. Diese wollen allerdings von sol-chen Opfern nichts wissen. Unbrauchbar gewordeneProletarier in der Mitte ihres Arbeitslebens sind derneoliberal gehaltenen Transformation ein reiner Kos-tenfaktor. Wenn sich ein solcher durch Herzinfarkt,Selbstmord oder Autocrash minimiert, könnte dies,zynisch gesprochen, im Sinne von Budgetsanierungund Stellenabbau als Erfolg verbucht werden. Umdarüber nicht nachdenken zu müssen, wurde die Stu-die der UNICEF in Europas Medien weitgehend ver-schwiegen und weitere Studien, die Zusammenhängezwischen ökonomischer Transformation und sozialenOpfern feststellen hätten können, nur sehr selektiv inAuftrag gegeben.

"Transition mortality" trug nur als grausamste Teil-menge zu einem allgemeinen Bevölkerungsschwundbei, der auch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhun-derts nicht wieder aufgeholt werden konnte. Sinken-de Kinderzahlen und Abwanderung haben den OstenEuropas bevölkerungsärmer gemacht. Die Ausnahmebildet einzig die Slowakei, wo in den zwanzig Jahrennach der Wende die EinwohnerInnenzahl leicht zuge-nommen hat. Als größte demographische Verliererweist die Statistik Bulgarien mit einem Minus von12,6 % und Rumänien mit einem Minus von 7,3 %aus.

Bevölkerungsrückgang 1990 bis 2008

EinwohnerInnen 1990 2008

Bulgarien 8,7 Mio. 7,6 Mio.

Kroatien 4,7 Mio. 4,4 Mio.

Tschechien 10,4 Mio. 10,4 Mio.

Slowakei 5,3 Mio. 5,4 Mio.

Ungarn 10,4 Mio. 10,0 Mio.

Polen 38,2 Mio. 38,1 Mio.

Rumänien 23,2 Mio. 21,5 Mio.

Slowenien 2,0 Mio. 2,0 Mio.

Russland 148,5 Mio. 141,9 Mio.

Ukraine 51,9 Mio. 46,2 Mio.

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37) Vgl. dazu: Hannes Hofbauer, Osteuropa: Die sozialen Folgen der Transformation. In: Andrea Komlosy u.a. (Hg.), Ungeregelt und unterbezahlt. Derinformelle Sektor in der Weltwirtschaft. Frankfurt/M. 1997, S. 183ff.

38) Crisis in Mortality, Health and Nutrition. Economic in Transition Studies. Regional Monitoring Report (UNICEF-Studie), 2/1994. Florenz39) ebd., S. 35/36

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Privatisierung und EigentumstransferDie ökonomische Triebkraft der Transformation Ost-europas ging von der Produktivität der großen Anla-ge suchenden Unternehmen Westeuropas aus. Ihrenormer Akkumulationsdruck fand im zerfallendenRGW ein lukratives Betätigungsfeld. Die Osterweite-rung der Europäischen Union diente vornehmlichdazu, den stärksten Kräften im Westen – den so ge-nannten "Global Players" – neuen Marktraum zu er-schließen und diesen mit Hilfe des Regelwerkes des"Acquis communautaire" abzusichern. Dieser "Acquiscommunautaire" ist das in 31 Kapitel unterteilte undauf ca. 80.000 Seiten aufgeschriebene juristische Re-gelwerk des Erweiterungsprozesses der EuropäischenUnion; im Kern basiert es auf den vier kapitalistischenGrundfreiheiten: dem ungehinderten Verkehr von Ka-pital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft, wo-bei letztere zeitverschoben in Kraft tritt.

Zum erweiterten Absatzmarkt kommt ein Arbeits-markt, der Millionen von gut ausgebildeten und ver-armten, daher billigen ProduzentInnen umfasst. Da-mit eröffnet sich mit der Anbindung des Ostens andie westeuropäischen Zentren ein weites Feld für In-vestitionen, für deren Sicherheit Brüsseler Kommissa-re, örtliche Verwalter und schließlich eine militärischeEingreiftruppe verantwortlich zeichnen.

Bereits vor der Aufnahme der ehemaligen RGW-Län-der und Sloweniens (sowie demnächst Kroatiens undeventuell Makedoniens) in das Brüsseler Regelwerkwar der Eigentumstransfer abgeschlossen. Das Zau-berwort hierfür hieß Privatisierung.

Allein der Wortstamm gibt zu denken. Vom Lateini-schen "privare" her bedeutet seine Übersetzungschlicht "rauben, berauben". Viel medialer Mühe hates im herrschaftlichen Diskurs von Kommentatorendes Zeitgeschehens offensichtlich nicht gebraucht,um den Begriff positiv zu besetzen. Bis hinein in dieGewerkschaftselite ist es gelungen, dem Wort "Priva-tisieren" einen dynamischen Charakter zu verleihen,der für "bessermachen" und "ausnützen" im Sinne ei-ner gesellschaftlichen Nutzbarmachung steht. DasGegenteil ist der Fall.

Privatisiert wurden – bis auf wenige Ausnahmen –sämtliche staatlichen und kollektiv besessenen odergenutzten Einrichtungen, von Fabriken und Betriebenüber Immobilien, Grund und Boden, Geschäftsloka-len bis zu Infrastruktureinrichtungen. Dies passierte –in den einzelnen Ländern unterschiedlich – auf vierverschiedene Arten: Verkauf durch staatliche Agenturen, meist Treuhandgesellschaften genannt Rückgabe an vormalige Eigentümer bzw. deren Erben Verkauf von Staatsanteilen durch Coupons Auktionen

Industrielle Herzstücke wurden in aller Regel vonstaatlichen Agenturen in einem Bieterverfahren anwestliche Konkurrenten oder andere Kapitalgesellschaf-ten verkauft. Ein in Deutschland bekanntes Parade-

beispiel hierfür mag hier die Expansion von "Volkswa-gen" sein, das mit der Übernahme von Skoda inTschechien wohl einen der lukrativsten industriellenStaatsbetriebe erhalten hat. Die Verkäufe brachtenden Budgets schon deshalb verhältnismäßig wenigGeld ein, weil alle Staaten zur selben Zeit alles anausländische Käufer bringen wollten. Wenn die Eliteneines halben Kontinents im Privatisierungsrausch lie-gen und in zehn Jahren sämtliche großen Betriebeverkaufen wollen, sinkt der Verkaufspreis logischerWeise stark. Zehn Stahlwerke auf der Suche nachneuen Besitzern drücken einfach die Preise. Allein des-halb konnte die Privatisierung die monetären Erwar-tungen nicht erfüllen. Dazu kam eine in Wendezeitenumso unvermeidlichere Intransparenz, hinter der sichso mancher frühere Direktor im Verein mit ministeri-ellen Stellen beim Privatisierungsprozess bereichernkonnte. Der staatliche Verkauf erzielte vor diesemHintergrund nur geringe Preise, außerdem hafteteihm der – in der vorliegenden Situation unvermeidli-che – Geruch von Bestechlichkeit und Korruption an.Als einziges Land, in dem Privatisierung keinen Aus-verkaufscharakter annahm, ist Slowenien zu nennen.Dessen titoistisch-jugoslawische Betriebe im Eigentumvon Körperschaften der Arbeiterselbstverwaltung wur-den den Arbeitern und Angestellten des Betriebes ineinem System des "Workers buy out" billig und zu Vor-zugspreisen angeboten. Die daraus erfolgte Transfor-mation einer schmalen titoistischen zu einer stärke-ren kapitalbildenden Mittelschicht erfüllte den selbstgesteckten Zweck. Rückgabe bzw. Restitution an vormalige Eigentümerwar die wohl heftigst umstrittene Art der Privatisie-rung. Ihre streng konservative ideologische Ausrich-tung irritierte jene liberalen Kräfte, die in der Privati-sierung keine Wiedergutmachung von Unrecht sa-hen, sondern einen raschen Weg zur Kapitalisierung.Das Argument der Liberalen, wonach ein Restituiertermit dem Eigentum seiner Vorfahren weniger anfan-gen könnte als ein neuer Investor, traf auf das Rechts-empfinden der von den Kommunisten Enteignetenbzw. deren Kinder. Privatisierungen durch Coupon-Vergabe fanden nichtin allen Ländern statt. Den ideologischen Hintergrunddafür bildete die Idee eines Volkskapitalismus, indem das Volk – so viel jemand wollte oder konnte –an dem staatlichen Eigentum beteiligt werden sollte.Überall dort, wo diese Art der Privatisierung, wie z.B.in der Tschechoslowakei, durchgeführt wurde, kames zu groben Unregelmäßigkeiten. Denn der Wert derausgegebenen oder billig gekauften Anteilsscheinean Staatsbetrieben stand nirgendwo fest, so dass esfür Banken oder Fonds ein leichtes Spiel war, Cou-pons de facto zu Spekulationspapieren auf einemMarkt zu machen, der mit den jeweiligen Betriebenüberhaupt nichts zu tun hatte. Das Beispiel des Direk-tors für die tschechische Couponprivatisierung, Jaros-lav Lizner, der 1995 wegen Korruption zu sieben Jah-ren Haft verurteilt worden ist, steht dabei nur füreines unter vielen.40

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Auktionen bzw. Versteigerungen muteten für man-che als die gerechteste Form der Privatisierung an.Das anfängliche Teilnahmeverbot von ausländischenBietern z.B. in der Tschechoslowakei sollte verhin-dern, dass die kapitalschwache eigene Bevölkerungohne jede Chance blieb. De facto wurde dieses Ver-bot von Strohmännern umgangen, bei denen sich dieörtliche Gemeinde dann in jedem Einzelfall wunder-te, woher der Landarbeiter oder die Arbeiterin plötz-lich so viel Geld für den Erwerb eines Geschäftsloka-les in bester Lage aufbringen konnte.

Das Mix an Privatisierungsarten, der innenpolitischeStreit darüber, welche Betriebe, Immobilien oder Grün-de auf welche Weise private Eigentümer erhalten soll-ten, die parallel dazu stattfindenden staatlichen Auf-lösungsprozesse in der Tschechoslowakei, der Sowjet-union und Jugoslawien sowie ganz generell der ge-sellschaftliche Werteverlust haben aus den vielfälti-gen Arten des postkommunistischen Eigentumstrans-fers Formen von "primitiver Akkumulation" gemacht,die oft von mafiösem Charakter geprägt waren.

Fünfzehn Jahre (von 1989 bis 2004) hat sich Brüsselmit der Hereinnahme osteuropäischer Länder in dasRegelwerk der Europäischen Union Zeit gelassen. Die-se eineinhalb Jahrzehnte wurden gebraucht, um be-reits vor der Aufnahme der Kandidaten einen voll-ständigen Eigentümerwandel in der Wirtschaftsstruk-tur der betroffenen Länder durchzusetzen. Die ersteÜbernahmewelle funktionierte idealtypisch unter Be-dingungen weicher lokaler Währungen vor deren fes-ter Anbindung an die Deutsche Mark. Dies gewähr-leistete zusätzlich zur relativen Unterbewertung derehemaligen Staatsbetriebe einen noch billigeren Ein-kauf. Die Unterbewertung war allerdings schon des-halb eklatant, weil es sich bei durchwegs allen Über-nahmen (außer in Slowenien) de facto um Notver-käufe handelte.

Gewinntransfers: Das Kapital fließt von Ost nach West"Die Österreicher haben schon in der Monarchie vonder tschechischen Industrie gelebt." Mit diesem State-ment versuchte sich Peter Goldscheider, Managervon EPIC, eines der größten so genannten Finanz-dienstleister für Mittel- und Osteuropa, Anfang der1990er Jahre beliebt zu machen, als er im Namengroßer westlicher Konzerne die Privatisierung vonStaatsbetrieben vorbereitete. Goldscheiders Vorfah-ren betrieben in seligen habsburgischen Zeiten einebekannte Keramikmanufaktur. Und wie damals, somag es sich der heutige Privatisierungsberater fürGroßkonzerne gedacht haben, können die vergleichs-weise niedrigen Lohnkosten in Böhmen und Mähren

österreichischen Unternehmern Zusatzprofite besche-ren. Tatsächlich ist dies die entscheidende betriebs-wirtschaftliche Motivation, warum seit 1989 Westfir-men im Osten Standorte via Privatisierung aufkaufenoder neue errichten.

Die Wende 1989 gab den Startschuss für die Ausla-gerung von tausenden Produktionsschritten und In-dustriewerken nach Osteuropa. Die meisten von ih-nen funktionieren als verlängerte Werkbänke westli-cher Konzerne, an denen Herstellungsprozesse statt-finden, die von Experten als "arbeitsintensive Niedrig-lohnfertigung" bezeichnet werden. Die ungeschützteEroberung des plötzlich in den Arbeitsmarkt gewor-fenen Proletariats entbehrte anfangs gesetzlicherGrundlagen, weswegen in westlichen Medien immervon der Unsicherheit des Investments gesprochenwurde. Es wurden Korruption und fehlende Arbeits-moral im Osten beklagt. Dennoch fand eine rascheErweiterung der "Wertschöpfungsketten" – so die be-triebswirtschaftliche Bezeichnung für eine globalisier-te Produktionsstruktur – auf östliche Standorte statt.Die Lohnunterschiede waren zu verlockend, als dasssich Investoren von Bestechungssitten hätten ab-schrecken lassen. Mitte der 1990er Jahre, also zu je-nem Zeitpunkt, als die großen produktionstechni-schen Erweiterungen von multinationalen Konzernenstattfanden, konnten Investoren mit einer Differenzzum durchschnittlichen deutschen Bruttolohn in derHöhe von 1:10 bis 1:34 rechnen. Die ungarische In-dustriearbeitsstunde kostete 1994 zehn Mal so wenigwie eine westdeutsche. Und bulgarische oder rumä-nische Arbeiter waren vor Ort um 34 Mal billiger alsihre deutschen Kollegen.41 Best ausgebildete tsche-chische und slowakische Werktätige gaben sich mit13 bis 15 Mal geringeren Löhnen zufrieden als dervergleichbare westdeutsche Kollektivvertrag vorgese-hen hat. Unter solchen Bedingungen gingen großeWestkonzerne wie Volkswagen in den Osten. Zur Be-seitigung juristischer und steuerlicher Unsicherheitenfolgten ihnen Heerscharen von Experten, die die Eu-ropäische Union entsandte, um bürgerliche Rechts-systeme über die nach der Wende vollständig dere-gulierten Arbeits- und Produktionsverhältnisse zu stül-pen. Die Absicherung dieser Verhältnisse wird Inte-gration genannt.

In der Zwischenzeit sind die Löhne mit dem rasantenAnstieg der Lebenshaltungskosten im Gefolge derAbschaffung von staatlichen Subventionen gestiegen.Durchschnittliche Monatslöhne betrugen zur Jahr-hundertwende in Bulgarien und Rumänien 150 US-Dollar, in der Slowakei 350, in Tschechien, Polen undUngarn um die 500 US-Dollar; einzig Slowenien mitIndustriearbeiterlöhnen von 1000 US-Dollar kommt indie Nähe westeuropäischer Verhältnisse.42

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40) Financial Times, 20.10.199541) Institut der Deutschen Wirtschaft (Hg.), Informationsdienst des IW (iwd). O.O. 1996, S. 22; zit. in: Hans-Jürgen Wagener/Heiko Fritz (Hg.), Im Osten was

Neues. Aspekte der EU-Osterweiterung. Bonn 1998, S. 3242) Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition 2001. Wien 2001, S. 146f.

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Die auf billiger osteuropäischer Arbeitskraft beruhen-de Erfolgsgeschichte westlicher Investoren wird in In-dustriellenkreisen gefeiert. "Es fand ein rasanter ’Aus-verkauf’ statt",43 stand beispielsweise in der Hauspo-stille der österreichischen Industriellenvereinigung zulesen; "Multis und später auch westliche Klein- undMittelbetriebe griffen schnell nach den Rosinen." "Ichsehe das nicht als eine von der EU geplante Strate-gie", meint dazu Peter Hasslacher, ein Experte derWirtschaftskammer für die Osterweiterung, "es drückteinfach die ökonomischen Kräfteverhältnisse aus."44

Diese ungleichen Kräfteverhältnisse haben dazu bei-getragen, dass vor allem Ungarn, aber auch die Slo-wakei und Tschechien zu verlängerten Werkbänkenfür die (west)europäische Automobilindustrie gewor-den sind. Feststellbar ist dabei, dass mit dem Volks-wagenkonzern ein Unternehmen besonders stark in-vestiert hat. Die Marke Skoda wurde zudem weiter-entwickelt, was in diesem Fall auch Forschungs- undEntwicklungsarbeit im böhmischen Jungbunzlau be-deutet und über den Charakter einer verlängertenWerkbank hinausweist. Statistisch läuft diese Art derOsterweiterung unter dem Kürzel "Maschinen undFahrzeugbau". Diverse Zulieferer, durchwegs eben-falls in ausländischem Besitz, produzieren Kompo-nenten für BWM (z.B. Kabel), Audi und Ford (Moto-ren, Getriebe etc.), Renault, Bosch (Batterien, Brem-sen), John Deere usw. Der Ökonom Josef Pöschl vom"Wiener Institut für internationale Wirtschaftsverglei-che" hat ausgerechnet, dass der weitgehend den west-europäischen PKW-Konzernen zuarbeitenden Waren-gruppe "Maschinen und Fahrzeugbau" 60 % sämt-licher ungarischen Exporte zugeordnet werden kön-nen. Tschechiens Auto(zulieferer)industrie macht44,5 % der Gesamtexporte aus, in der Slowakei sindes 40 %, in Slowenien 36 % und in Polen 34 %.45 Einedermaßen einseitige Exportorientierung macht dieganze Region Mitteleuropa gegenüber Ansprüchender wenigen Abnehmer (Volkswagen, Renault, Ford)verwundbar ... und im Konkurrenzkampf der Stand-orte erpressbar. Genau dies bekamen dann dieeuphemistisch "emerging markets" genannten Öko-nomien im Osten mit der Ende 2008 einsetzendengroßen Wirtschaftskrise bitter zu spüren.

Das Beispiel der BankenWer den Kreditmarkt kontrolliert, bestimmt weitge-hend über wirtschaftliche Vorhaben. Wer die Spar-einlagen verwaltet, kann auf Einleger und StaatDruck ausüben. Nur logisch, dass westeuropäischeBankhäuser während des ersten Nachwendejahr-zehnts in die Struktur des Bankensektors aller osteu-ropäischen Länder eingedrungen sind.

Die Übernahmen östlicher Geldinstitute und ihrer Fi-lialnetze durch westliches Kapital war noch vor demBeitritt der osteuropäischen Länder zur EU weitge-hend abgeschlossen. Laut einer Statistik der "BankAustria-Creditanstalt" wurde bereits Mitte 2002 dieMehrheit aller polnischen, tschechischen, slowaki-schen, ungarischen und bulgarischen Geldtransaktio-nen über Banken in Auslandsbesitz getätigt.46 InTschechien, der Slowakei und Bulgarien liegt der An-teil ausländischer Geldinstitute am Gesamtmarkt (be-rechnet auf Basis der Bilanzsumme) zwischen 70 %und 80 %, in Polen bei knapp 70 %, in Ungarn über60 %. Slowenien mit 33 % bildet wiederum die Aus-nahme, die Übernahme rumänischer und bulgari-scher Banken folgte im ersten Jahrzehnt des 21. Jahr-hunderts. Rechnet man – wie in der Bank Austria-Cre-ditanstalt-Studie – Kroatien und die Ukraine dazu,dann hat sich der Besitz internationaler Bankkonzer-ne im Osten allein zwischen 1997 und 2001 von20 % auf 57 % erhöht. Änderungen von Struktur-und Eigentumsverhältnissen in diesem Ausmaß kenntdie Bankengeschichte üblicherweise nur nach Krie-gen. Sozio-ökonomisch betrachtet hat sich in Osteu-ropa etwas Vergleichbares abgespielt.

Jenes westeuropäische Land mit dem höchsten Anteilausländischen Eigentums im Bankensektor ist übri-gens Spanien. Dort werden 31 % des Bankvermögensvon landesfremden Konzernen verwaltet.47

In der Regel ging die Übernahme eines osteuropäi-schen Institutes folgendermaßen vor sich: die zu ver-kaufende Bank wurde staatlicherseits entschuldet,wobei die so genannten "faulen Kredite" – also unein-bringliche, an marode Unternehmen vergebene Kre-dite – in das Budget übernommen wurden, wo sie fürdie kommenden Jahre tiefe Löcher in den Staats-säckel reißen. Nachdem die Verluste sozialisiert unddamit zukünftigen Generationen aufgebürdet wor-den sind, kauften sich Westbanken anfangs Sperr-minoritäten von mindestens 25 % plus einer Stimmean den vom Staat verwalteten Aktien, bevor sie ineiner zweiten Investitionswelle Mehrheitseigentümerwurden. Zu dem meist üppig ausgebauten Filialnetzkam oft noch ein Immobilienbesitz hinzu, den dieex-kommunistischen Banken ihr Eigen nannten. Defi-zitäre Industriebetriebe, die mit der Bank verflochtenwaren, mussten bereits zuvor geschlossen oder ihregeschäftlichen Verbindungen mit dem Geldinstitutgelöst werden. Relativ risikolos und billig kauften sichdamit westeuropäische Investorengruppen ein gan-zes Bank- und Kreditsystem, das sie nur auf denneuesten technischen Stand bringen mussten. Sagen-hafte Wachstumsraten bestätigen sehr direkt, dassdie Einkaufstour im Osten höchst profitabel verlaufen

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43) Das österreichische Industriemagazin Nr. 7-8/2001. Wien 2001, S. 2344) In: Reinhard Engel, Europa in Sicht. In: Das österreichische Industriemagazin Nr. 7-8/2001. Wien 2001, S. 2345) Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition 2001. Wien 2001, S. 384f.46) Für das Baltikum liegen dem Autor keine Zahlen vor. Vgl. Bankenvergleich Mittel- und Osteuropa 2001 (hg. von Bank Austria-Creditanstalt). Wien, im Juni

2002, S. 1047) Dorothee Bohle, Europas neue Peripherie. Transformation Polens und nationale Integration. Münster 2002, S. 183

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ist. Die Bank Austria-Creditanstalt schätzte im Jahr2002 das Wachstumspotenzial des Bankenmarktes inacht osteuropäischen Ländern (Polen, Tschechien,Ungarn, Slowakei, Slowenien, Rumänien, Bulgarienund Kroatien) bis 2005 auf märchenhafte 37 %, imreinen Kreditwesen rechneten die Analysten mit ei-nem Plus von 44 %.48

Besonders lukrativ für die neuen Platzhirsche auf denlokalen Geldmärkten war dann die völlige Umstel-lung des Renten- und Versicherungswesens. WasBrüssel die notwendige Harmonisierung des Renten-systems nennt, beinhaltet eine Kapitalisierung der Al-tersversorgung ungeheuren Ausmaßes.

Die Sieger der Übernahmeschlacht im Bankensektorkommen aus Belgien, Österreich, Italien, Deutsch-land, Frankreich und Holland (in etwa dieser Reihen-folge). Die belgische "KBC" konnte bis 2002 Mehr-heitsanteile an der tschechischen "CSOB", der polni-schen "Kredyt Bank", der ungarischen "K&H" sowieeinen bedeutenden Anteil an der "Nova LjubljanskaBanka" erwerben. Die österreichische "Bank Austria-Creditanstalt", mittlerweile eine Tochter der "UniCredit",positionierte sich mit dem Kauf der "BPH" und der"PBK" in Polen und der "HVB Bank" in Tschechien. Dieösterreichische "Erste Bank" nahm sich ein Vorbild anden Bankbesitzverhältnissen in der österreichisch-un-garischen Monarchie, indem sie auf ihrer Einkaufs-tour die "Ceska Sporitelna" in Tschechien und die "Slo-venska Sporitelna" in der Slowakei erwarb. "UniCredit",erst 1998 durch die Fusion mehrerer italienischerBanken entstanden, mauserte sich in Osteuropa zum"global player", indem das Institut die "PEKAO" in Po-len und in Kroatien die "Zagrebacka banka" einsack-te. Die deutsche Commerzbank kaufte sich die Mehr-heit an der polnischen "BRE Bank", die französischeSociété Generale an der tschechischen "Komercnibanka" usw.

Allein die Bilanzsumme der "Bank Austria-Creditan-stalt" (UniCredit) belief sich im Osten im Jahre 2002auf 21 Mrd. Euro.49 In einer Interview mit der WienerTageszeitung "Die Presse" meinte der damalige Gene-raldirektor der "Bank Austria-Creditanstalt", GerhardRanda, die insgesamt elf Töchter seiner Bank-Gruppein Ost- und Südosteuropa würden für das Jahr 2002einen Gewinn von 260 Millionen Euro ausweisen undfügte stolz hinzu, dass "satte Steigerungsraten" auchin Zukunft zu erwarten seien.50 Die schwierige Lage inÖsterreich konnte für ein knappes Jahrzehnt im Ost-geschäft kompensiert werden. Bis dann Anfang 2009ruchbar wurde, wie viele unbesicherte Kredite in Ost-europa vergeben wurden. Der sofortige Ruf nachstaatlicher Hilfe wurde zumindest in Österreich er-

hört, wo allein für den Bankensektor eine staatlicheAusfallshaftung von 100 Mrd. Euro übernommenworden ist.Im Falle der Struktur- und Eigentumsänderung imBankensektor stimmt der vielfach propagandistischeingesetzte Spruch von der "Heimkehr" Osteuropasnach "Europa" in Anschluss an den Zusammenbruch1989. Heimgekehrt ist das Kredit- und Sparwesennicht nur in die kapitalistische Rationalität, sondernauch unter die Fittiche westlicher Konzerne. In jenenStaaten, die als Kronländer der k.und k.-Monarchievor 1918 von Wien bzw. Budapest aus regiert wor-den sind, dürfte den ältesten Bürgern sogar noch derName der damals vorherrschenden Bank in Erinne-rung gerufen werden, wenn sie vom heutigen Über-nahmepoker in den Zeitungen lesen. "Creditanstalt-Bankverein" hieß eine der wichtigsten Geldinstituteim Donauraum vor 100 Jahren; es ist die Vorläuferinder nun via "Bank Austria" an die "UniCredit" gegan-genen Aktiengesellschaft.

Das Bespiel des Textil- und BekleidungssektorsDie Herstellung von Textilien gilt als technologischausgereift. Vor allem im Bekleidungssektor ist derForschungs- und Entwicklungsanteil an der Produkti-on niedrig, Innovationen werden weniger häufig alsin anderen Branchen getätigt. Allenfalls die Fragendes Designs beschäftigen hoch bezahlte KünstlerIn-nen. Ansonsten produziert die Textil- und Beklei-dungsindustrie im absoluten Niedriglohnsegment –weltweit. Beinahe gegenläufig zur Maxime der Ratio-nalisierung boomt die Branche als Beschäftigungs-wunder. Die an den Peripherien der Zentralräume imÜberfluss vorhandene billige Arbeitskraft macht diesmöglich. Fast 24 Millionen ArbeiterInnen sind welt-weit in dieser Industrie beschäftigt, informell kom-men schätzungsweise noch fünf- bis zehnmal sovieldazu.51 Zwischen 75 % und 95 % von ihnen sindFrauen.Bereits Anfang der 1970er Jahren verlagerten vor-nehmlich westeuropäische und US-amerikanischeUnternehmen ihre Produktionen an billigere Standor-te. Hongkong, Panama, Ungarn, Rumänien und vieleandere Länder vor allem auf der südlichen Halbkugelboten den Investoren auf der Suche nach höherenProfitmargen Terrain und Arbeitskräfte. Das ganzeKonzept der "Neuen Internationalen Arbeitsteilung"52

beruhte auf der Vernutzung billiger Arbeitskraft viaStandortverlagerung an die Peripherie bei gleichzeiti-gem MigrantInnenimport ins Zentrum. Die Entwick-lungsagentur der UNO, die UNIDO, erließ im Jahre1971 eigens Empfehlungen an schwache politischeEliten in der "3. Welt" zur möglichst reibungslosen

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48) Vgl. Bankenvergleich Mittel- und Osteuropa 2001 (Hg. von Bank Austria-Creditanstalt). Wien, im Juni 2002, S. 7/849) ebd., S. 2250) Die Presse, 13.12.200251) Sabine Fennenschild/ Ingeborg Wick, Globales Spiel um Knopf und Kragen. Das Ende des Welttextilabkommens verschärft soziale Spaltungen

(Südwind-Texte 14). Siegburg 2004, S. 752) Vgl. Folker Fröbel/Jürgen Heinrichs/Otto Kreye, Die neue internationale Arbeitsteilung. Reinbek bei Hamburg 1977

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Einrichtung so genannter "Freier Produktionszonen".In ihnen werkten und werken bis heute Millionen vonArbeiterinnen und Arbeitern für den Weltmarkt.

Die schweizerische "Triumph International AG" war daserste Bekleidungsunternehmen, das ab 1972 Miederund Dessous hinter dem "Eisernen Vorhang" – in Un-garn – nähen ließ. Osteuropas kommunistische Partei-führer garantierten dem Investor Vertragstreue undArbeitsdisziplin. Die Kontrolle über die Gewinnrück-führung ließen sich Multinationale Unternehmen wie"Triumph" gefallen, solange die Profitmarge stimmte.

Der Postfordismus der 1990er Jahre sah eine Weiter-entwicklung der Produktionsstruktur mit frühkapitalis-tischen Ausbeutungsformen vor. Der "Sweat Shop"wurde zum Synonym für das neue Prekariat, in demdie LohnarbeiterInnen ohne soziale Absicherung inkleinen und kleinsten Einheiten für Subunternehmervon Weltkonzernen roboten. Diese informellen Pro-duktionsstätten sind gerade für die Bekleidungsindu-strie kennzeichnend; sie befinden sich überall auf derWelt, in peripheren Regionen ebenso wie in Formeines ganzen Stadtteils im Istanbuler Bezirk Lalelioder am Rande von Paris oder Mailand. Ende der1990er Jahre, als die Länder der osteuropäischen Er-weiterungszone ihre Aufnahmeanträge an die Brüs-seler Union richteten, lagen die Anteile dieser Art vonSchattenwirtschaft an der Gesamtökonomie zwi-schen 30 % und 60 %. Die bulgarische Gewerkschaft"Podkrepa" schätzte für 1998 diese "graue Ökono-mie", wie sie auch genannt wird, auf 50 % des BIP.Bettina Musiolek, Autorin und Aktivistin der "CleanCloths"-Kampagne, schreibt in diesem Zusammen-hang von "Garagennähplätzen", die "an der griechi-schen Grenze (in Bulgarien, HH) wie Pilze aus demBoden" schossen, "abgeerntet, wieder geschlossenund woanders neu aufgebaut" wurden.53 Die ausge-reifte Bekleidungsindustrie erlaubt es, ohne Fachkräf-te mit angelerntem Personal, großteils Frauen, auszu-kommen, dieses schnell zu verwerten und durch im-merzu neue Arbeiterinnen zu ersetzen.

Auf dem Weltmarkt der Arbeitskräfte zählt der Preis.Und der liegt in der Textil- und Bekleidungsindustrieganz tief unten. Nur diese Tatsache gewährleistetden einzelnen Textilbetrieben die entsprechende Ren-dite, die sie als "share holder value" an ihre Kapital-eigner ausschütten können. Ein Blick auf die Brutto-monatslöhne im europäischen Vergleich macht denInvestor sicher. Im "Pay in Europe"-Report der Födera-tion europäischer Unternehmer kann man nachlesen,wo es sich auszahlt, seine Fabrik hinzustellen oderseine Subkontraktoren zu suchen. Im Jahr 2006, amVorabend der Aufnahme des Balkanlandes in die Eu-ropäische Union, liegen diese Löhne in Bulgarien 20Mal unter den vergleichbaren deutschen; immernoch zehn Mal billiger als die deutsche Arbeitskraft

kommt die lettische, die litauische und die rumäni-sche, während ein Unternehmen am slowakischenArbeiter durchschnittlich "nur" mehr das Sechsfacheeinsparen kann.54 Billiger als Bulgarien kann man üb-rigens statistisch nur mehr in Indien oder in Molda-

"Herr Müller" an der NähmaschineWie ernüchternd die Arbeit an der kleinsten Einheit derWeltmarktproduktion, der Nähmaschine, ist, erzähltein junger Mann aus Moldawien, der sein Glück alsKontraktarbeiter in der Bekleidungsindustrie versuchthat. Wir treffen den früheren Schwitzarbeiter, der niemehr einer sein will, im transnistrischen Tiraspol. Aufdem kleinen überschaubaren Markt "Orchidee" gleichum die Ecke der Hauptstraße "25. Oktober" lernen wireinander kennen. Igor, wie er mit wirklichem Namenheißt, studiert Musik in der transnistrischen Haupt-stadt. Er stammt aus Chisinau. Der Weg nach Tiraspolist ihm nicht leicht gefallen, hier ist das Leben noch einwenig komplizierter, die Behörden empfindet der22jährige als peinlich, die Stadt als ultra-provinziell.Des nachts singt er als "Gans Müller", so sein Künstler-pseudonym, in der Bar beim Postamt, auf eigene Rech-nung, das heißt, wer von den Besuchern zahlen will,zahlt, wer nur tief ins Glas schaut, muss keinen Obolusfür die Musik entrichten.Seit der Schule träumt Igor "Gans Müller" von einemLeben in Europa, wie er sagt. Dort fliegen einem, demSchengen-Regime zum Trotz, wenn schon nicht gebra-tene Tauben ins Maul, dann zumindest ein paar Eurosin den Geldbeutel. Sein erster Ausflug in die europäi-sche Traumwelt verlief gleichwohl ernüchternd. Daswar vor vier Jahren gewesen, unmittelbar nach derneunjährigen Grundschule. In einem Arbeitsbüro inChisinau hatte er für sechs Monate einen Job im Wes-ten ausgefasst. Die Reise ging per Kleinbus mit zehn,zwölf gleichgesinnten jungen Burschen nach Ungarn.Die Kleinstadt, in der er anschließend drei Monate ver-bracht hatte, kann er zwar phonetisch aussprechen,sein harter russischer Akzent macht es einem jedochunmöglich, sie zu lokalisieren.Wo auch immer. Igor musste sechs Tage in der Wochehinter einem Nähapparat hocken und Hemdenteile indie Maschine stecken, von morgens 6 Uhr bis nachts21 Uhr. Zwei Mal je 15 Minuten Pause zum Essen undScheißen. Für ihn war es der Horror schlechthin. Zu-sammengepfercht in einem kleinen Haus mit Küchebetrieben sechs junge Männer die wenigen verbliebe-nen Stunden einen "Haushalt". Nach drei Monaten hatIgor 300,- US-Dollar bekommen, nicht für jeden Mo-nat, sondern für alle drei zusammen. Igor ergriff dieFlucht zurück nach Moldova. Die Träume vom rosigenWesten, den er konsequent "Europa" nennt, hat ihmsein Ausflug in die Wirklichkeit nicht verleiden können.An die Nähmaschine will er jedoch nie mehr zurück-kehren.

Aus: Hannes Hofbauer, Mitten in Europa. Politische Reiseberichte ausBosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Moldawien/Transnistrienund Albanien. Wien 2006, S. 160

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53) Bettina Musiolek, Die Informalisierung der Textil- und Bekleidungserzeugung am historischen und aktuellen osteuropäischen Beispiel. In: Prokla Nr. 117,Münster 1999, S. 594

54) "Pay in Europe"-Report 2006. Zit. in: www.finfacts.com/Private/isl/PayinEurope.htm

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wien produzieren lassen. 160 Leva beträgt der Min-destlohn im Jahr 2006 in Bulgarien, umgerechnet 80Euro – monatlich!

Monats-/Wochenlöhne im Vergleich

1994 2006

Deutschland = 100 = 100

Ungarn 10,0 19,0

Bulgarien 3,0 5,0

Rumänien 3,0 9,0

Tschechien 7,7 20,0

Slowakei 6,6 16,0

Polen 20,0 Quelle: Institut für die deutsche Wirtschaft, WIIW, "Pay in Europe"

Verstärkt hat sich der Run auf die Standorte mit derbilligsten Arbeitskraft in Osteuropa, nachdem Mitteder 1990er Jahre EU-Assoziierungsverträge abschlos-sen worden sind. Diese haben die Produktionsquotendes Welttextilabkommens ausgehebelt und Fabrik-herren und Exporteuren aus Rumänien, Polen, Bulga-rien und dem Baltikum einen unbegrenzten und zoll-freien Zugang in die EU-15 ermöglicht.55 Nachdembisherige Textil- und Bekleidungshersteller aus Jugo-slawien per UN-Embargo ab 1992 vom legalen Importnach EU-Europa ausgeschlossen worden waren, be-gann die Billiglohnproduktion in den Nachbarlän-dern, allen voran in Rumänien, zu boomen. "PassiveLohnveredelung" heißt das Zauberwort der Produkti-onsweise, mit der die Weltmarktführer im Beklei-dungssektor ihre Waren kreuz und quer durch Konti-nente schicken, um hier eine Naht und dort einenKnopf und wieder anderswo einen Träger anbringenzu lassen. Unter einem von C&A, H&M, Lacoste, Quel-le, Steilmann, Benetton, Triumph, Palmers usw. vor-gegebenen Design wird dabei an dem jeweils für deneinen Arbeitsvorgang billigsten Standort – entwedervon eigenen Fabriken, oder noch häufiger von Sub-unternehmen – zugeschnitten, genäht, geentelt, ge-steppt oder gemouldet. Nach dem Re-Import der nunpassiv veredelten Produkte kommen Hemden, Hosen,T-Shirts, Socken, Mäntel, Jacken, Büstenhalter oderBademode mit den entsprechenden Markennamenauf den Markt. 80 % aller dieser passiv veredeltenBekleidung, die in Deutschland auf den Markt kommt,haben auch irgendwo in Osteuropa einen Produkti-onsvorgang hinter sich, ein Gutteil davon in Rumäni-en und Polen.56 Umgekehrt standen Bekleidungsex-porte im Jahr 1999 in Rumänien und Bulgarien ander ersten Stelle der Ausfuhrgüter und beschäftigtenin Bulgarien schätzungsweise 30 % der ArbeiterInnenin der gesamten Industriegüterproduktion.57

Nicht zu unterschätzen sind die Folgen dieser Art von"passiver Lohnveredelung", die 80 % bis 90 % der Ge-samtproduktion in diesem Sektor darstellen, für diejeweiligen Volkswirtschaften in Osteuropa. Durch dieextreme Zerlegung der Herstellung in kleinste Ar-beitsschritte werden frühere Textilfabriken, in denenganzheitlich Bekleidung produziert worden ist, nichtnur zu verlängerten Werkbänken für Firmen in denwesteuropäischen Zentralräumen, sondern sie verlie-ren auch das Know-how. Als Nähstuben, Moulder,Zuschneidewerkstätten überleben Standorte dannnur so lange, bis anderswo der Vorgang um einenhalben Cent billiger durchgeführt werden kann. Die-ses Phänomen wird in der kritischen Literatur, diesich um Kampagnen wie die Clean Clothes Campaignherausgebildet hat, als "Downgrading" beschrieben.58

Stoffe, Garne und Zubehör werden hier nicht mehrselbst hergestellt, sondern kommen nur mehr zumNähen oder Schneiden auf die Arbeitstische. Wissenüber Produktionsabläufe geht großräumig verlorenund ehedem vertikal integrierte Fabriken verkommenzu Zulieferern.

Wie so eine Produktionskette in der passiven Lohnver-edelung konkret aussieht, zeigt das Beispiel einer bul-garischen Näherei im Nordosten des Landes.59 Einbulgarischer Unternehmer beschäftigt hier 50 bis 60Leute, davon zehn Männer, die meisten davon alsKontrolleure und Aufpasser und einige Jugendlicheunter 16, obwohl dies laut bulgarischem Arbeitsrechtnicht erlaubt ist. Ein Arbeitstag dauert durchschnitt-lich zehn Stunden; in Zeiten, in denen die Auftragsla-ge dicht ist, kann es vorkommen, dass bis zu 36Stunden in einem durchgearbeitet werden muss. ZuMittag gibt es eine Pause von 45 Minuten, nachmit-tags wird eine viertel Stunde für eine kurze Nah-rungsaufnahme freigegeben. Toilettenbesuche wer-den von Kontrolleuren zeitlich limitiert. Dass es aus-schließlich angelernte Kräfte sind, die hier an denNähmaschinen sitzen, braucht nicht erwähnt zu wer-den. Gewerkschaften? Darüber können sich hier imNordosten Bulgariens die Näherinnen keine Gedan-ken machen. Der Unternehmer würde jede Initiativeim Keim ersticken. In einer Gegend, in der die Ar-beitslosigkeit doppelt so hoch wie im landesweitenDurchschnitt ist, muss man froh sein, für umgerech-net 48 Euro monatlich die Nadel zu führen. 10 Eurogäbe es extra, wenn die tägliche Normstückzahl von150 Jacken überschritten würde. Wir schreiben dasJahr 2004, Bulgarien ist auf zweieinhalb Jahre im EU-Aufnahmeprozess zurückgestuft worden. Jedoch nichtwegen der sozialen Verhältnisse bei den passivenLohnveredlern, sondern deswegen, weil die vier kapi-talistischen Freiheiten noch nicht optimal umgesetztworden sind. Übrigens: die hier im Nordosten des

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55) Vgl. Bettina Musiolek u.a., Made in ... Osteuropa. Die neuen ’fashion Kolonien’. Berlin 2002, S. 356) Vgl. Bettina Musiolek u.a., Made in ... Osteuropa. Die neuen ’fashion Kolonien’. Berlin 2002, S. 1257) Regina Barendt/Bettina Musiolek (Hg.), Workers’ Voices. The situation of women in the Eastern and Turkish garment industries. Geneva 2005, S. 558) Vgl. Bettina Musiolek u.a., Made in ... Osteuropa. Die neuen ’fashion Kolonien’. Berlin 200259) Vgl. Regina Barendt/Bettina Musiolek (Hg.), Workers’ Voices. The situation of women in the Eastern and Turkish garment industries. Geneva 2005, S. 15f.

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Balkangebirges zusammengesetzten Stoffteile gehenbei C&A und Marks & Spencer unter Labels wie "Tim-berland" oder "Gerry Weber" über die Ladentische.Von Inspektoren oder sozialen Normen droht dembulgarischen Subunternehmer kaum eine Gefahr,eher schon vom makedonischen Arbeitsmarkt, dersich anschickt, die Tiefstpreislatte für Löhne zu unter-schreiten. Als Gegenstrategie wäre die Anstellungnoch billigerer ArbeiterInnen aus der Ukraine oderMoldawien eine Alternative, die im Milieu des aufLohndumping basierenden Bekleidungssektors auchanderswo in Osteuropa um sich greift.

Neue Eigentümer, neue politische Eliten

Mit dem Ende des politischen Primats, wie es in denFünfjahresplänen auch der marodesten kommunisti-schen Staatspartei noch zum Ausdruck gekommenwar, verloren Politik und Politiker rapide an Einflussauf gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse.Westliche Finanzorganisationen und Konzerne sowieneue Eigentümer von in wenigen Händen konzen-triertem vormaligem Staatseigentum bestimmten dieSpielregeln in den Staatskanzleien. An die von kom-munistischen Kadern mit der Ausnahme Rumäniensund der Sowjetunion allesamt friedlich verlassenenpolitischen Schalthebel setzten die Transformations-gewinner willfährige Administratoren, die sich ent-sprechend der turbulenten Zeiten oft nur kurzfristighalten konnten.

Die einflussreichsten Posten der neuen politischenKlasse teilten sich Nachkommen der vorkommunisti-schen Bourgeoisie (bzw. Aristokratie), dem Neolibe-ralismus dienstbereit ergebene kommunistische Par-tei- oder Betriebskader sowie ausgewählte junge Öko-nomen und Juristen, die großteils an US-amerikani-schen Eliteuniversitäten ausgebildet wurden. Die al-lermeisten von ihnen verstanden ihre politischen Kar-rieren als temporäre Möglichkeit, sich bzw. ihre Ver-wandten und Freunde im Zuge der Privatisierungenreichlich am ehemaligen Volkseigentum zu bedienen.

Ein klassisches Beispiel für den Wiedereintritt vorkom-munistischer Eliten an postkommunistischen Schalt-hebeln war das tschechische Zweiergespann VaclavHavel/Karel Schwarzenberg. Havel entstammte einergroßbürgerlichen Prager Familie, die im Zentrum dertschechischen Hauptstadt Immobilienbesitz ihr Eigennannte, während sein Kanzler Schwarzenberg aus ei-nem jener böhmischen Adelsgeschlechter hervorging,die nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 im Zugeder Gegenreformation aus Dank für die Vertreibungder Protestanten vom Kaiser mit riesigen Ländereienbedacht wurden. Beide, Havel und Schwarzenberg,erhielten übrigens während ihrer Amtszeit Besitz-tümer ihrer Vorfahren zurück: Mehrstöckige Häusersowie das berühmten "Lucerna" am Altstädter Ring(für Havel), Ländereien sowie das famose Schloss "Or-lik" an der Moldau (für Schwarzenberg). Vor allem inden baltischen Republiken erklommen Remigrantenaus Übersee höchste administrative Posten bis hinauf

zum Präsidentenamt. So bekleidete Toomas HendrikIlves seit 1996 höchste Staatsämter in Estland. Ilveswurde 1953 in eine exilestnische Familie in Stock-holm geboren und wuchs in den USA auf. Zwischen1983 und 1994 leitete er die estnische Redaktion desSenders "Radio Free Europe", um kurz darauf in dieHeimat seiner Vorfahren zu kommen und das Landzwischen 1996 und 2002 (mit einer kurzen Unterbre-chung) als Außenminister und seit 2006 als Präsidentzu vertreten. In Lettland war es Vaisa Vike-Freiberga,die in Deutschland und Kanada aufgewachsen war,und 1999 zur lettischen Präsidentin gewählt wurdeund diesen Posten bis 2007 bekleidete.

Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien sahen im-mer wieder gewendete kommunistische Kader inneuen Ministerämtern, die sich – in Polen auf gerade-zu klassische Art – rhythmisch in ihren Ämtern mitSprösslingen der alten Bourgeoisie oder antikommu-nistischen Aktivisten abwechselten.

Phasenweise strebten auch die Nachfahren der 1918bzw. vor dem Zweiten Weltkrieg herrschenden Kö-nigshäuser in politische Positionen. Für die Wieder-einführung der Monarchie sprachen sich gar nicht soschwache Minderheiten in Bulgarien, Rumänien, Ser-bien und Ungarn aus. Nirgendwo ist daraus etwasgeworden, was auch der langen Abwesenheit derfrüheren Herrscherfamilien geschuldet war. Diesehatte meistens auch dazu beigetragen, dass die mo-narchische Ansprüche stellenden Karadjordje (für Ser-bien), Hohenzollern (für Rumänien) oder Sachsen-Coburg-Gotha für Bulgarien die Landessprache nurunzureichend oder in adelig näselnder Art beherrsch-ten und damit schlechte Figur sowie noch schlechte-ren Ton vor den TV-Mikros machten. Einzig in Bulga-rien gelang es dem Sohn des Zaren, Simon Saksko-burggotski, für mehrere Jahre als "Bürgerlicher" überParlamentswahlen den Rang eines Ministerpräsiden-ten einzunehmen.

Nach der Jahrhundertwende nahmen dann oftmalsjunge lokale Männer höchste Staatsämter ein, derenhöhere Ausbildung bereits nach dem Fall des Kom-munismus stattgefunden hatte und die zudem meh-rere Jahre eine spezielle liberale Schulung in den USAund Großbritannien genossen haben. Beispiele dieserauf globalisierten Ultraliberalismus eingeschworenenPolitikergeneration finden sich im Baltikum, in derSlowakei und anderswo. Der slowakische Finanzminis-ter und August von Hayek-Fan Ivan Miklos war esdann auch, der zum 1. Januar 2004 in der radikal-liberalen Regierung Mikulas Dzurinda die Einführungder "Flat Tax" durchsetzte. Damit war es das erste Malnach kleineren Versuchen im Baltikum in einemgrößeren europäischen Land gelungen, die Steuer-progression abzuschaffen und sich auch dieses mög-lichen staatlichen Regulativs zu berauben.

Freilich existierten auch während der zwei Transfor-mationsjahrzehnte gänzlich andere politische Model-le, die sich dem Druck von internationalen Finanzor-ganisationen, NATO und EU nicht beugten. Die Slo-

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wakei (1993 – 1998) und Rumänien (1989 – 1997)stehen für diesbezüglich widerständige Politik. InBratislava führte Vladimir Meciar ein eigenständigespolitisches Regime auf Basis unterschiedlicher links-rechts-Koalitionen seiner Partei HZDS. Seine mehrfa-che Wiederwahl verdankte er seiner Popularität als"Staatsgründer" beim Trennungsprozess mit Tschechi-en; ökonomisch gründete die erst kurz zuvor entstan-dene slowakische Eigenständigkeit auf ihrer Rolle alsTransitland für russisches Gas nach dem Westen. Eingültiger Vertrag mit dem russischen Gasriesen "Gaz-prom" sowie dadurch erleichterte Investitionen russi-scher Firmen (z.B. beim Bau des AKW Mohovce) inder Slowakei boten die Möglichkeit einer wirtschaftli-chen Drehscheibe zwischen Ost und West, die unterMeciar beibehalten wurde, was sich auch in den Ex-port-Import-Statistiken niederschlug.

In Rumänien unter der ersten Regierungszeit von IonIliescu (bis 1996) war es die von Ceausescu hinterlas-sene Schuldenfreiheit, die den neuen postkommunis-tischen Machthabern einen größeren Handlungsspiel-raum gegenüber IWF/Weltbank, NATO und EU ermög-lichten. Auch Iliescu nützte diese Chance mit wech-selnden Koalitionen und verweigerte ein knappesJahrzehnt den vom Westen geforderten Ausverkaufrumänischer Stahlwerke und die Schließung der Berg-werke im Schiltal. Sein liberaler Nachfolger im Amtdes Präsidenten, Emil Constantinescu, machte dannmit den Bergarbeitern kurzen Prozess, ließ im Januar1999 eine militärisch trainierte Sondereinheit gegendie Kumpel marschieren. Bei schweren Kämpfen kammindestens ein Bergarbeiter ums Leben und überhundert wurden zum Teil schwer verletzt. Der Führerder Kumpel, Miron Cozma, wurde verhaftet und da-mit der Gewerkschaftsprotest erstickt. Miron Cozmasaß übrigens bis Dezember 2007 (mit einer kurzenUnterbrechung) im Gefängnis und darf bis heute we-der die Bergwerksregion noch die Hauptstadt Buka-rest betreten. Von westeuropäischen Gewerkschafts-kollegen erhielt die rumänische "Mineriade" keinerleiUnterstützung. Auch ist nichts bekannt, dass sichdeutsche oder österreichische Gewerkschaftsbündeje für seine Freilassung eingesetzt hätten.

Die Ohnmacht der Politik war im polnischen Transfor-mationsprozess sichtbarer als in manch anderem ost-europäischen Land. Allein zwischen 1989 und 1993,also in der für die wirtschaftliche Umorientierung mitihren einschneidenden Maßnahmen wichtigsten Epo-che, verbrauchte Polen fünf Regierungen mit ebensovielen Ministerpräsidenten. Ihre Namen (Mazowiecki,Bielecki, Olszewsi, Pawlak und Suchocka) sind groß-teils – zu Recht – in Vergessenheit geraten. Die Macht-kämpfe innerhalb der Solidarnosc, der diese fünf Fi-guren angehörten bzw. nahestanden, waren verzwei-felter Ausdruck der Erkenntnis, auch in den entschei-denden Positionen an den so genannten Schalthe-

beln des Staates kaum etwas bewirken zu können.Diese Erfahrung gewannen später auch die postkom-munistischen Parteiführer der SLD (Bündnis der de-mokratischen Linken), die – in Koalition mit der Bau-ernpartei PSL – 1993 in die gut gepolsterten Regie-rungsstühle gewählt wurden. Vier Jahre später muss-ten sie eine bittere Niederlage hinnehmen, derrechtskonservative Solidarnosc-Block mit der AWS(Wahlbündnis für Solidarnosc) an der Spitze landeteeinen deutlichen Wahlsieg. Schon bei nächster Gele-genheit, 2001, verschwand die angeblich mächtigeRegierungspartei AWS in der politischen Bedeutungs-losigkeit. Als Einzelgruppe verfehlte sie gar die 5%-Hürde. Die 2001 wiedergewählte SLD mit dem ehe-maligen Politbüro-Mitglied der PVAP (Polnische Ver-einigte Arbeiterpartei), Leszek Miller, an der Spitzegerierte sich als neoliberal gestylte Sozialdemokratie,immer darum bemüht, bei den Gläubigern und Inves-toren im Westen nicht in ein kommunistisches Eckgedrängt zu werden. "Unsere Sozialdemokraten wol-len dem westlichen Kapital alle Türen und Tore öff-nen, müssen sich also als zuversichtlich und bere-chenbar bewähren",60 schreibt dazu einer der weni-gen kritischen polnischen Journalisten, Julian Bartosz.

Die polnischen Wählerinnen und Wähler haben dieOhnmacht der Politik vor den weltwirtschaftlichenZwängen längst erkannt. Wahlbeteiligungen liegenüblicherweise um die 50%-Marke oder darunter. Anden polenweit stattfindenden Lokalwahlen im Okto-ber 2002 beteiligten sich 36 % des Wahlvolkes.61 An-lässlich der Parlamentswahlen 2005 und 2007 warenes jeweils etwas unter bzw. über 50 %, während zuden Europawahlen 2004 bzw. 2009 überhaupt nur20 % bzw. 24 % zu den Urnen schritten.

In Russland und in der Ukraine verlief die neue Eliten-bildung grundsätzlich anders. Dies vor allem deshalb,weil es hier (wie in Belarus auf gänzlich andere Artauch) gelungen war, westliche Kapitalinteressen außenvor zu halten. In Russland und in der Ukraine fandenje eigene Kapitalbildungsprozesse statt. Während diePrivatisierungen zwischen Prag, Warschau und Buda-pest ausländische Investoren auf den Plan riefen undprofitieren ließen, fand zwischen Ural, Moskau, Kiewund dem Schwarzen Meer ein hausgemachter Kon-zentrationsprozess statt. Der dortige Diebstahl amfrüheren Volkseigentum brachte eine Handvoll Profi-teure hervor, die sich im Dickicht zwischen politischerAdministration und zu kapitalisierenden Kombinatenam besten zurecht fanden. Dass dies nicht im Rah-men der Gesetze vonstatten ging und brutale Metho-den der ursprünglichen Akkumulation aufwies, brach-te den damit in die Wirtschaftswelt getretenen Oli-garchen schlechtes Image, aber gutes Geld. An denBörsen im Westen ging die Angst vor russischem Ka-pital um, was dazu geführt hat, dass auf Betreibender USA in der ganzen Europäischen Union unter

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60) Julian Bartosz, Spekulation geht vor Investition. In: Ost-West-Gegeninformationen Nr. 4/2001, Graz 2001, S. 2961) Neue Zürcher Zeitung, 1.11.2002

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dem Stichwort "Kampf dem Schwarzgeld" verstärktGesetze zur Kontrolle von Kapitalbewegungen erlas-sen wurden.

Die Nähe der einzelnen Oligarchen zum Kreml bzw.zur Regierung in Kiew bestimmte ihr Überleben. Dashat in der zweigeteilten Ukraine auch zu einem offe-nen politischen Schlagabtausch geführt, den westli-che Kapitalinteressen im Zuge der so genannten "oran-genen Revolution" im Dezember 2004 für sich zu nut-zen suchten. Dieser Kampf ist bis heute noch nichtentschieden und dürfte in den kommenden Jahrennoch zu heftigen Auseinandersetzungen führen.

Soziale Verwerfungen und regionale Disparitäten

Der Wegfall staatlich verordneter und betrieblich ver-ankerter sozialer Sicherheiten ging in allen osteuro-päischen Ländern mit einer – für Friedenszeiten –unvergleichbaren historischen Schnelligkeit vor sich.Entsolidarisierungen großen Ausmaßes waren dieFolge. "Reformen" von gesundheitlicher Vorsorge undAltersvorsorge entpuppten sich als Streichungen, dieEinstellung von Subventionen der unterschiedlichstenArt – von der Energie, dem öffentlichen Verkehr überdas Wohnen bis zu den Grundnahrungsmitteln – so-wie Deindustrialisierung, Privatisierung und an-schließende betriebliche Rationalisierungen haben zueiner enormen sozialen Deregulierung geführt. Dieseist statistisch schwer fassbar, doch jedem leicht zu-gänglich, der einen Blick außerhalb der wenigen neu-en Wachstumspole in Osteuropa wirft. Wer ins polni-sche Niederschlesien nach Walbrych, ins oberschlesi-sche Katowice, ins ungarische Tatabanya, in die Mit-telslowakei nach Martin, in das rumänische Schiltal,in die Dobrudscha oder an die bulgarische Donaureist, der braucht keinen wissenschaftlichen Beweisfür die soziale Entrechtung, die sich der dort leben-den Menschen bemächtigt hat. Wer damit nicht zu-frieden ist, der kann sich mit Arbeitslosenstatistikenhelfen, in denen besagte Regionen mit 30 % bis 60 %aufscheinen.

Bildung und Gesundheitsvorsorge haben sich parallelzur fortgesetzten Peripherisierung der Ostregion ver-schlechtert. In allen Ex-RGW-Ländern hat sich die An-zahl der Grundschulabgänger teilweise drastisch re-duziert. Gingen beispielsweise in Polen im Jahr 1990von 10.000 Einwohnern 1.380 in die Grundschule,waren es zehn Jahre später nur noch 833. In Ungarnverringerte sich der Pflichtschüleranteil an der Bevöl-kerung von 1.092 (bei 10.000 Einwohnern) auf 957,in der Slowakei von 1.362 auf 1.245 usw.62 Die Grün-de dafür sind vielfältig und reichen von bereits weiteroben beschriebenen absoluten Bevölkerungsrückgän-

gen (in Ungarn, Tschechien, Bulgarien und Rumäni-en) bis zum vorzeitigen Abbruch der Schule, der of-fensichtlich in Polen an der Tagesordnung ist.Bei der Gesundheitsvorsorge hilft uns der "Bettenindi-kator", um den Weg nachzuzeichnen, auf dem dieperipheren europäischen Länder unterwegs sind: DieKostenexplosion für den Erhalt der Gesundheit, dieauf die Aufgabe bzw. Zerschlagung des heute alsstaatlich-paternalistisch und kommunistisch diskredi-tierten Gesundheitswesens folgte, zog die Schließungvon Spitälern nach sich. In allen Beitrittsländernmacht sich das in einer sinkenden Bettenanzahl be-merkbar. In Bulgarien, wo Patienten in Krankenhäu-sern für Essen, Medikamente und Pflegekosten selbstaufkommen müssen, sank die Zahl der Spitalsbettenin den zehn Jahren nach 1989 von 105 auf 66 für je10.000 EinwohnerInnen, d.h. um 37 %. Weniger ra-dikal, doch überall sinkend weist die Statistik dieSchließung von Spitälern und Stationen nach. Die Ge-sundheitssysteme in Ungarn, Tschechien und Rumä-nien verloren in der Transformationszeit je 18 % ihrerSpitalsbetten, das polnische Gesundheitswesen verlor14 % seiner Betten, das slowenische und das slowaki-sche je 6 %.63

Mit solchen Zahlen in den Wendeländern konfron-tiert, wird der osteuropäischen Bevölkerung von So-zialwissenschaftlern bis Konzernmanagern eine "er-staunliche Leidensfähigkeit" attestiert. Der polnischeÖkonom und frühere Außenminister Dariusz Rosati64

hatte Ende der 1990er Jahre nach der so genanntenLevine-Renelt-Methode ausgerechnet, dass Polen 23Jahre brauchen würde, um bei einem geschätztenJahreswachstum von 5 % auf das Entwicklungsni-veau von Griechenland, Portugal und Spanien zukommen. Litauen müsste auf der selben Berechnungs-grundlage 33 Jahre, Lettland 23, Ungarn 22, die Slo-wakei 19, Estland 17 und Tschechien 15 Jahre war-ten, um wachstumsmäßig zu den EU-Schlusslichternaufschließen zu können. Für diese Rechenaufgabehat Rosati im Jahr 1998 den fiktiven Wachstumswertvon jährlich 5 % eingesetzt, der freilich nicht überzehn bis dreißig Jahre lang gehalten werden kann,wie sich bereits beim weltwirtschaftlichen Einbruch2008 zeigte.Derweil nimmt die soziale Differenz mit rascher Ge-schwindigkeit zu. Zu den Verlierern der Transformati-on gehören ArbeiterInnen, kinderreiche Familien,Kranke, in Randgebieten Lebende und vor allem dieälteren Generationen. Als Gewinner kann sich einevon Land zu Land unterschiedlich starke Schicht vonagilen Selbständigen in wirtschaftlichen Gunstlagenwähnen sowie – ein wenig generalisiert – Ausbil-dungshungrige der jüngeren Generationen. Je weiterman nach Osten kommt, desto größer ist in aller

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62) Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (Hg.), Countries in Transition 2001. Wien 2001, S. 240f.63) Diverse nationale Statistiken, vgl. auch: ebd., S. 240f.64) Dariusz Rosati, The Impact of EU Enlargement on Economic Disparities in Central and Eastern Europe. Vortrag präsentiert anlässlich der Konferenz

"Shaping the New Europe: Challenges of EU Eastern Enlargement – East and West European Perspectives" vom "Wiener Institut für internationaleWirtschaftsvergleiche" am 11.-13.11.1998 (Wien), S. 23

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Regel die soziale Differenz im Stadt- und Land-schaftsbild sichtbar. Oder anders gesagt: destoschmaler wird die Schicht der Transformationsgewin-ner, die sich dann allerdings umso größere Teile amgesellschaftlichen Kuchen aneignen konnten. Als In-dikator dafür mag der Automobilmarkt herhalten.Während in Städten wie Budapest oder Prag die An-zahl der angemeldeten Luxuslimousinen sich nichtüber jenen in westeuropäischen Kernräumen bewe-gen dürfte, geht der vom Majdan-Platz zum Bessa-rabski Rinok führende Innenstadtkorso von Kiew oderauch die breiten Innenstadtboulevards in Donetzkvor teuersten Automarken wie Maybach, Hummer,Royce Rolls und Mercedes der Sonderklassen gerade-zu über. Die Schamlosigkeit des zur Schau gestelltenReichtums korrespondiert mit dem Bewusstsein, alsKrisengewinner keine Zeit verlieren zu dürfen undeventuell bevorstehenden wirtschaftlichen oder poli-tischen Änderungen zuvorzukommen. Die Erinne-rung an den allzu raschen Aufstieg inkludiert dieDenkmöglichkeit eines rasenden Niedergangs. Der großräumigen Peripherisierung des gesamten Ex-RGW-Raumes antworten die einzelnen Staaten mitkleinräumigen Zentren- und Peripheriebildungen. Sietun dies nicht bewusst in Form einer auf den Kopfgestellten Regionalpolitik, sondern ergeben sich aufdiese Weise den Folgen von zentren- und peripherie-bildenden Investitionen bzw. deren Ausbleiben. Eineeinfache, regionalisierte Statistik gibt über diesesPhänomen Auskunft. Total an den Rand gedrängtwerden demnach der gesamte Osten sowie Teile desNordwestens Polens, der Nordosten der Slowakei,der ungarische Osten sowie der Nordwesten Polens,das Zentrum und der Norden Bulgariens und weiteTeile Rumäniens. Unterschiede im Pro-Kopf-Einkom-men oder soziale Indikatoren wie die oben erwähnteArbeitslosenstatistik belegen die Auseinanderentwick-lung auf eindrucksvolle Weise. Während in Warschauund Umgebung, im Raum Bratislava, in Budapestund Westungarn, in weiten Teilen Sloweniens sowiein Prag und dem westlichen Böhmen das Bruttoin-landsprodukt pro Kopf gerechnet sich zunehmendwesteuropäischen Werten annähert, müssen überallsonst die BewohnerInnen der selben Länder mit drei-bis fünfmal so geringen Einkommen auskommen.65

Die Schere, die sich in den vergangenen Jahren sozialzwischen wenigen Reichen und vielen Armen in Ost-europa aufgetan hat, findet also auch regional ihreEntsprechung.

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65) Roman Römisch, Regional Economic Developments in CEECs. In: The Vienna Institute Monthly Report 2001/4. Wien 2001, S. 6

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Kapitel III

Die neue Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen

Bankenkrach, Produktionseinbrüche, Arbeitsplatzver-luste, Hyperinflation ... für die Menschen und RegionenOsteuropas sind das – wie beschrieben – keine neuenPhänomene. Der politische Zusammenbruch des kom-munistischen Systems Ende der 1980er Jahre war wirt-schaftlich grundgelegt und äußerte sich auf katastro-phale Weise in sozialer und regionaler Hinsicht. ErstAnfang des neuen Jahrhunderts sollte sich die ökono-mische Situation ein wenig entspannen. Dies nur fürkurze Zeit, wie sich nach dem Platzen der Bubble-Ökonomie in den USA und der darauf folgendenWeltwirtschaftskrise seit Mitte 2008 herausstellte.Der weltweite Konjunkturabschwung, für Ökonomenseit Mitte der 1970er Jahre analysierbar, strebt nachmehr als dreißig Jahren seinem Tiefpunkt entgegen.Anders als von so genannten Börsen-Analysten be-hauptet, handelt es sich dabei keineswegs bloß umeine Finanzkrise. Der Kern des systemimmanenten Ab-schwungs im kapitalistischen Weltsystem ist eine Kri-se der materiellen Produktion. Diese setzte nach voll-brachtem Wiederaufbau in den 1970er Jahren ein undtrieb in der Folge akkumulationshungriges Kapitalnach vielfältigen Rationalisierungsversuchen unter an-derem auch aus der Produktions- in die Spekulations-sphäre. Der politische und ökonomische Zusammen-bruch der osteuropäischen Planwirtschaften hat mut-maßlich dazu beigetragen, dass sich das Platzen derSpekulationssphäre ein wenig verzögerte, fand sichdoch für die ökonomische Expansion auf geräumtenMärkten im Osten ein weitgehend ungehindertes Ex-perimentierfeld vor, auf dem sagenhafte Gewinne ge-macht werden konnten und auch gemacht wurden.Am Höhepunkt dieser den Osten des Kontinents aus-saugenden Entwicklung zwischen 1995 und 2007 zo-gen westliche Investoren Milliardengewinne aus ihrenTöchterunternehmen im Osten ab. Bis dahin hatte sichdie ausländische Direktinvestition vielfach rentiert.

FDI: Gewinnrückführungen und Leistungsbilanzdefizite

Ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Invest-ments/FDI), sind neben der Verschuldung in Fremd-währungskrediten der wichtigste Hebel zur Einord-nung von Volkswirtschaften in weltwirtschaftlichekapitalistische Zusammenhänge. Bei schwachen Öko-nomien, wie das in Osteuropa durchwegs der Fall ist,ist diese Einordnung gleichbedeutend mit einer Un-terordnung unter die Interessen der großen Investoren.

Kreditvergaben westlicher Banken unter der Aufsichtder internationalen Finanzorganisationen Weltbankund Währungsfonds fanden im großen Stil für einzel-

ne Staaten bereits seit Mitte der 1970er Jahre statt.Diese führten Länder wie Polen, Ungarn, Jugoslawienoder Rumänien direkt in die Schuldenfalle mit all ih-ren weiter oben beschriebenen sozial- und wirt-schaftspolitischen Konsequenzen. Auslandsverschul-dung als (gewolltes oder nicht gewolltes) Mittel einerperipheren Anbindung an die nach Kapitalregelnfunktionierende Weltwirtschaft war also teilweise be-reits lange vor dem politischen Zusammenbruch derkommunistisch regierten Länder gegeben. Andersverhielt es sich mit ausländischen Investitionen in derosteuropäischen Industrie, der Landwirtschaft, demImmobiliensektor oder bei Dienstleistungen. Zwargab es solche auch bereits vor 1989, z.B. in der Textil-industrie, die die billige Arbeitskraft für den Welt-markt nutzte, Investitionen und Unternehmensko-operationen konnten jedoch über gesetzliche Ein-schränkungen staatlich kontrolliert werden. So galtz.B. als Grundregel, dass private ausländische Inves-toren nur gemeinsam mit staatlichen Betrieben tätigwerden durften. Ein diesbezüglich freier Markt fürungehinderte Kapitalein- und vor allem Kapitalaus-fuhr existierte bis Ende der 1980er Jahre ebenso we-nig wie ein Kapitalmarkt.Ausländisches Kapital benötigt nicht nur die Aussichtauf ökonomischen Gewinn, sondern auch rechtliche,politische und diese garantierende militärische Si-cherheiten, um in einem bestimmten Land zu inves-tieren. Das dafür aufgebaute Regelwerk, wie es imIdealfall der späteren neuen EU-Teilnehmerstaatenüber die 31 Kapitel des "Acquis communautaire" auf-gebaut wurde, brauchte Zeit. Alte (kommunistische)Seilschaften mussten zerschlagen werden, neu instal-lierte Richter, Staatsanwälte, Ministerialbeamte, Jour-nalisten geschult werden. Erst in diesem gesichertenUmfeld fand sich westeuropäisches, US-amerikani-sches oder südostasiatisches Kapital im großen Maß-stab zu Investitionen, zur Übernahme ganzer Bran-chen bereit. Die vier kapitalistischen Freiheiten – un-gehinderter Waren-, Kapital- und Dienstleistungsver-kehr sowie freie Bewegung der Arbeitskraft – muss-ten durch die Unterschrift unter den "Acquis com-munautaire" garantiert sein.

Dementsprechend lange dauerte es – und der Prozessist in einigen Ländern noch nicht abgeschlossen - bisWestkapital nach Osteuropa strömte. Seit der zwei-ten Hälfte der 1990er Jahre passierte dies – mit Aus-nahmen wie Jugoslawien/Serbien, Belarus, Molda-wien/Transnistrien, der Ukraine sowie freilich Russ-land – ungehindert. Der kumulierte Betrag ausländi-scher Direktinvestitionen in Osteuropa (ohne Russ-land, Ukraine, Moldawien und Belarus) beträgt Ende

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2008 insgesamt 467 Mrd. Euro.66 Diese Summe wur-de von westeuropäischen, amerikanischen und asiati-schen Firmen in Form von FDI investiert. 419 Mrd.Euro davon flossen in die zehn osteuropäischen EU-Mitgliedsländer, die höchste Summe – 306 Mrd. Euro– nach Polen. Die europäische GUS, also Russland,die Ukraine, Belarus und Moldawien, weisen auslän-dische Direktinvestitionen von insgesamt 400 Mrd.Euro auf, wobei der Löwenanteil auf Russland mit360 Mrd. entfällt. Da das meiste in Russland inves-tierte ausländische Kapital aus Zypern kommt, kannman allerdings davon ausgehen, dass es sich in vielenFällen um Repatriierungen von steuerflüchtigem rus-sischen Geld handelt, was die Statistik diesbezüglichunsicher macht.Woher kommen nun die ausländischen Investoren?Dies ist regional äußerst unterschiedlich, sind dochim Baltikum mit der Übernahme der dortigen Bankendurch schwedische Kreditinstitute viele schwedischeInvestoren aktiv, während es z.B. in Slowenien starkeAnteile österreichischer Kapitalgesellschaften gibt.Nimmt man die zehn osteuropäischen EU-Mitglieds-staaten zusammen, so ergibt sich folgendes Bild aus-ländischer Direktinvestitionen:

Ausländische Direktinvestitionen

Niederlande 19,2 %

Deutschland 15,3 %

Österreich 11,0 %

nach Herkunftsländern in Prozent in die osteuropäischen EU-10 (2008)

Frankreich 6,9 %

Luxemburg 5,2 %

USA 4,3 %

Schweden 3,3 %

UK 3,0 %

Schweiz 3,0 %

Italien 3,0 %Quelle: Gabor Hunya, FDI in the CEEC’s under the impact of the Global Crisis: Sharp Decline(WIIW-Database on FDI in Central, East and Southeast Europe), Wien, Mai 2009, S. 41

Erklärend wäre festzuhalten, dass der hohe Anteilniederländischen Kapitals unter anderem damit zu-sammenhängt, dass auf den niederländischen Antil-len Weltkonzerne wie die indisch-amerikanische "Mit-tal Steel" ihren Hauptsitz haben, der in weiten TeilenOsteuropas Stahlwerke aufgekauft hat. Die Stärkeösterreichischen Kapitals in Osteuropa basiert wie-derum auf einem Mix aus geographischer Nähe undhistorischen Verbindungen (über die Habsburger-monarchie) sowie auf der Tatsache, dass gerade imBankensektor österreichische Institute als erste vorOrt waren. Interessant ist auch die geringe TeilnahmeUS-amerikanischen Kapitals am Wettlauf um wirt-schaftlichen Einfluss in Osteuropa. Die neuen EU-Mit-gliedsstaaten sind tatsächlich der ökonomische Hin-terhof Westeuropas.

Wie einseitig die Richtung von Direktinvestitionenläuft, ist aus der Gegenüberstellung von Kapitalaus-fuhr und Kapitaleinfuhr ersichtlich. Wenn also insge-samt in die zehn Neo-EU-Mitgliedsstaaten kumuliertbis 2008 419 Mrd. Euro an großteils westeuropäi-schem Kapital geflossen sind, so kamen umgekehrtmagere 56 Mrd. Euro an Kapitalausfuhren aus Osteu-ropa in die Welt zustande. Osteuropas Wirtschaftnimmt 7,5 Mal so viel Fremdkapital auf als osteuro-päische Betriebe anderswo investieren.

Wirkliche Vergleichbarkeit liefert die Statistik freilicherst, wenn sie in Relation zur EinwohnerInnenzahlgesetzt wird. Der ukrainische Ökonom OlesandrSchnirkov vom Institut für internationale Beziehun-gen in Kiew stellt dazu in Übereinstimmung mit einerReihe anderer Fachleute fest, dass die Höhe ausländi-scher Direktinvestitionen – pro Kopf gerechnet – aufden Grad der Möglichkeit schließen lässt, wie starkausländisches Kapital Einfluss auf lokale Wirtschaftund Politik ausüben kann.67 Seine Latte liegt bei 750Euro. "Erst bei dieser Größenordnung können Inves-toren Einfluss auf den heimischen Markt bekommen",meint Schnikow. Nimmt man diese Latte für seriös,so liegen die Länder Osteuropas mit wenigen Aus-nahmen weit darüber. In Estland, Tschechien undUngarn beträgt der kumuliert gerechnete Stock aus-ländischer Direktinvestitionen pro Kopf zwischen6.000 und über 8.000 Euro. Am unteren Ende dieserListe steht Belarus mit pro Kopf 492 Euro an auslän-dischen Direktinvestitionen. (vgl. die folgende Tabelle)

FDI-stock pro Kopf – 2008 in Euro

Estland 8.690 Litauen 2.722

Tschechien 7.844 Rumänien 2.402

Ungarn 6.254 Makedonien 1.600

Slowakei 5.700 Serbien 1.586

Slowenien 5.100 Bosnien 1.400

Kroatien 4.930 Albanien 935

Montenegro 4.864 Ukraine 719

Bulgarien 4.293 Moldawien 509

Lettland 3.566 Belarus 492

Polen 3.147 (Russland) (2.500)Quelle: Gabor Hunya, FDI in the CEEC’s under the impact of the Global Crisis: Sharp Decline(WIIW-Database on FDI in Central, East and Southeast Europe), Wien, Mai 2009, S. 8

Lokalaugenscheine in den Ländern des europäischenOstens bestätigen die statistische Aussage. Hohe aus-ländische Investitionsraten sind an den aus Deutsch-land, Österreich, Frankreich und Italien vertrauten Fir-menlogos zu erkennen, die an Banken, Supermärk-ten, Handels- und Hotelketten angebracht sind unddie Stadtbilder prägen. Weiß man dann noch von der

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66) Diese und die folgenden Zahlen sind entnommen der Studie: Gabor Hunya, FDI in the CEEC’s under the impact of the Global Crisis: Sharp Decline(WIIW-Database on FDI in Central, East and Southeast Europe), Wien, Mai 2009

67) Gespräch mit Oleksandr Schnirkow am 26. April 2005 in Kiew.

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oft vollständigen Übernahme der wichtigsten Betrie-be durch westeuropäische Eigner, dann ergänzt diepersönliche Wahrnehmung das Zahlenspiel über denGrad der abhängigen Entwicklung. Einmal abgese-hen von unterschiedlichen traditionellen Baustilengleichen sich auch die Innenstädte in jenen Ländernmit hoher FDI-Rate westeuropäischen Fußgängerzo-nen an, während z.B. in Minsk, Chisinau oder Odessalokale Märkte und Handelsketten vorherrschen.

Ausländische Direktinvestitionen finden – definitions-gemäß – im Auftrag der Mutterkonzerne statt, dieallesamt ihre Zentralen außerhalb des jeweiligen Lan-des haben. Ihr Ziel: Gewinne zu generieren. Diesewerden dann entweder vor Ort re-investiert oder zu-rückgeführt, repatriiert. In welchem Ausmaß welcheder beiden Möglichkeiten wahrgenommen wird, zeigtdie Stoßrichtung des Investments an. Gewinnrück-führungen dominieren. Der daraus sich ergebendeKapitalabfluss ist beträchtlich und konstant. DieVolkswirtschaften Osteuropas leiden darunter.

Im Jahr 2008 betrug die durchschnittliche Repatriie-rungsquote 70 %,68 das entspricht dem höchsten Wertin der zwanzigjährigen Geschichte eines ungleichenVerhältnisses zwischen West- und Osteuropa. Die In-vestoren aus dem Westen haben in dieser Zeit ihremageren Bilanzen zu Hause mit den sagenhaften Ge-winnen aus den Ostgeschäften aufgebessert. ImDurchschnitt der Jahre 2003 bis 2008 lag die Renditefür investiertes Kapital aus dem Ausland jährlich zwi-schen 10 % und 20 %; in Ungarn bei 18,4 %, inTschechien bei 14,4 % und in Polen bei 10,5 %. Weitüber die Hälfte der getätigten Gewinne werden seitJahren außer Landes geschafft.

Ausgeschüttete,rückgeführteGewinne ausländischer Direktinvestitionen

Slowenien 97,8 %

Slowakei 81,8 %

Bulgarien 77,2 %

Ungarn 71,2 %

Rumänien 66,2 %

in Prozentdes gesamten Investitionseinkommens2008

Polen 63,5 %

Kroatien 62,2 %

Tschechien 57,7 %Quelle: Gabor Hunya, FDI in the CEEC’s under the impact of the Global Crisis: Sharp Decline(WIIW-Database on FDI in Central, East and Southeast Europe), Wien, Mai 2009, S. 18

Diese, volkswirtschaftlich betrachtet, düsteren Zahlenspiegeln sich auch in der Leistungsbilanz wider, diefür alle Länder Osteuropas im Jahr 2008 (und auch inden Jahren davor) extrem negativ ausfiel. In Prozentdes Bruttoinlandsproduktes gemessen, betrug dieLeistungsbilanz 2008 zwischen -3 % (in Tschechien)und -25 % (in Bulgarien). Demgegenüber bilanziertendie EU-15 im Jahr 2008 fast ausgeglichen.

Wendejahr 2008Im 2. Quartal des Jahres 2008 brach sich die als ge-platzte US-amerikanische Hypothekenblase ausge-brochene Weltwirtschaftskrise in Osteuropa Bahn.Bruttoinlandsprodukt und Industrieproduktion, dieseit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vom absolu-ten Tiefstand aus teilweise ruckartig zu wachsen be-gonnen hatten, brachen nun erneut ein. Am 22. April2009 präsentiert der "Internationale Währungsfonds"seinen neuesten "World Economic Outlook" 69 undprognostiziert für den osteuropäischen Wirtschafts-raum ein Minus von 2,9 % für das Bruttoinlandspro-dukt des Jahres 2009 und bis zu -12 % für einzelnebaltische Staaten. Nur wenige Wochen später siehtdas Bild noch düsterer aus. Zwischen 3. Quartal 2008und 1. Quartal 2009 sank die Wirtschaftsleistung – jenach Land unterschiedlich – um 8 % bis 19 %.70 Diebaltischen Republiken schossen dabei am weitestennach unten: -19 % in Litauen, -16 % in Lettland, -14 %in Estland. Aber auch Rumänien, die Slowakei undSlowenien sahen sich mit Einbrüchen jenseits der13%-Marke konfrontiert. Einzig Polen konnte mit Mi-nuszahlen aufwarten, die nur knapp unterhalb der inWesteuropa ausgewiesenen lagen: die relativ günsti-gen -5 % waren einem halbwegs funktionierendenBinnenmark geschuldet, der wiederum auf der schie-ren Größe des Landes beruhte und die Ausfälle derExportwirtschaft zum Teil kompensierten konnte.

Sinkende BIP-Zahlen komplettieren die Krisenstim-mung. Im 1. Quartal 2009 veränderte sich das Brutto-inlandsprodukt gegenüber dem Vergleichsquartal desVorjahres im Baltikum um -14 % bis -18 %, in Slowe-nien um -8 %, in Ungarn, der Slowakei und Rumäni-en um -6 %. Die Ausnahme bildet auch hier Polen(bei +0,8 %).71

Das Epizentrum der Krise liegt im Außenhandel. Auf-fällig dabei ist auch, dass der Rückgang bei den Im-porten jenen der sinkenden Exportraten sogar nochübersteigt. Das heißt, die heimische Nachfrage liegtam Boden.

Nun rächt sich die einseitige Ausrichtung der Ökono-mien am Rande EU-Europas auf die Zentrumsmärktein Westeuropa, auf Deutschland, Frankreich, Italien ...Die Exportabhängigkeit der von manchem Optimis-ten jahrelang als "emerging markets" bezeichnetenosteuropäischen Staaten von den EU-15 liegt zwi-schen 60 % (für Bulgarien) und 85 % (für die Slowa-kei) der Gesamtausfuhren. In dem Moment, in demjene – wie seit Mitte 2008 augenfällig – eine sinkendeNachfrage aufweisen, brechen die auf Exportwirt-schaft aufgebauten Strukturen ein. Bereits im Januar2009 fallen die Exporte auf das Niveau von Januar2006, danach geht es weiter bergab. Das "WienerInstitut für Internationale Wirtschaftsvergleiche" (WIIW)

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68) Pressekonferenz des WIIW am 9. Juni 200969) MF (Hg.), World economic Outlook 200970) Pressekonferenz des WIIW vom 7. Juli 200971) Vladimir Gligorov u.a., Where have all the Shooting Stars gone? (Current Analyses and Forecasts WIIW). Juli 2009, S. 13

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hat im März 2009 den Versuch unternommen, Wachs-tumseinbrüche in den osteuropäischen Staaten nachLändergruppen zu differenzieren.72 Abschwächungenin Tschechien, der Slowakei und Polen stehen eineStagnation in Slowenien, Bulgarien und Rumäniengegenüber, während Ungarn und die drei baltischenRepubliken bereits in eine rezessive Phase eingetretensind. Die unvermeidliche Folge für alle von den kri-selnden Westmärkten abhängigen Staaten: Die Indus-trieproduktion fällt, und zwar drastisch.

Industrie-produktion im April 2009

Estland -35,6 %

Slowenien -28,3 %

Ungarn -27,1 %

Slowakei -25,6 %

Litauen -25,5 %

im Vergleich zum Vorjahr

Tschechien -22,1 %

Lettland -20,2 %

Bulgarien -20,0 %

Polen -12,4 %

Rumänien -9,4 %Quelle: Vladimir Gligorov u.a., Where have all the Shooting Stars gone? (Current Analyses and Forecasts WIIW). Juli 2009, S. 15

Im Export trifft man auf die selben Einbrüche, die zwi-schen Juli 2008 und April 2009 ein Minus zwischen40 % (Litauen) und 19 % (Slowakei) ergeben. Impor-te gingen im selben Zeitraum gar zwischen 50 % (Li-tauen) und 30 % (Slowakei) zurück. Dadurch notge-drungen verbesserte Leistungsbilanzen spiegeln nurden enormen Rückgang im Außenhandel wider. Stei-gende Arbeitslosenzahlen sind eine logische Begleit-erscheinung dieser Entwicklung, die ebenso unver-meidlich zu vermehrter sozialer und politischer Insta-bilität führt.

Beispiel Ungarn: Sozialer Kahlschlag

Die am meisten von Märkten in der Kern-EU abhängi-ge Ökonomie, Ungarn, erlebt dementsprechend dentiefsten Fall. 71 % der gesamten ungarischen Exportegingen vor dem Crash in die EU-15, verglichen mit68 % der tschechischen, 67 % der polnischen, 60 %der slowakischen oder 35 % der russischen Exporte.Dabei spielt Deutschland eine entscheidende Rolle.Allein dorthin gingen vor der Krise 32 % der gesam-ten ungarischen Ausfuhren,73 gefolgt von Österreich(7 %) sowie Frankreich und Großbritannien (je 5,5 %).Stockt der deutsche Konjunkturmotor, im gegen-ständlichen Fall sprichwörtlich als automobiler Ver-brennungsmotor gemeint, kommt es in Ungarn zumwirtschaftlichen Show down.

Die Regierung hat die tiefe Krise zum Vorwand füreinen sozialen Kahlschlag genommen. Am 14. April2009 löste der Manager Gordon Bajnai Ungarns un-geliebten Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany imAmt ab; überfällige Volkswahlen wurden verhindert.Die organisatorisch aus der "Ungarischen Sozialisti-schen Arbeiterpartei" (MSZMP) hervorgegangene re-gierende "Sozialistische Partei" (MSZP) zeigte damitdeutlich das Ende ihrer Personalreserven an. SchonGyurcsany war als millionenschwerer Geschäftsmannein vermeintlich letzter Kompromiss mit den ultra-liberalen Kräften des SZDSZ, dem kleinen Koalitions-partner. Dieser ist zwar gesellschaftlich bis auf einpaar Bezirke in Budapest bedeutungslos, stellt aberfür Brüssel (EU) und Washington (IWF) so etwas wieeine Garantie des Wohlverhaltens dar. Gordon Bajnaiist schon wegen seiner fehlenden Einbindung in ir-gendeine politische Kraft niemandem verpflichtet,außer den externen Geldgebern. Und diese – vornehm-lich in Gestalt des IWF – waren es auch, die zur Instal-lierung einer Art Notstandsregierung – um nicht vielanderes handelt es sich in Ungarn, weil die herr-schende Koalition schon längst jede Mehrheit im Volkverloren hat – gedrängt haben. Jüngste Umfragen ge-ben der rechtskonservativen Oppositionspartei FIDESZeine Zustimmungsrate von 60 %, während die Sozia-listen bei 26 % dahindümpeln.74 "Gyurcsany hat inder eigenen Partei keine Unterstützung mehr für einezweite Runde von Austeritätsmaßnahmen erhalten,die aber unumgänglich waren, um weiterhin die Un-terstützung des IWF zu erhalten", schrieb dazu derWirtschaftswissenschaftler Sandor Richter75 in einerWIIW-Studie. Der IWF-Stand-by-Kredit wiederum istlaut liberaler Lesart die vermeintlich einzige Chance,die Rezession zu überwinden, übliche Konditionenwie Budgetsanierung und Defizitabbau inklusive. Ge-meinsam mit der Weltbank und der EuropäischenUnion wurden Budapest und seinen kriselnden Be-trieben im Oktober 2008 20 Mrd. Euro an Hilfspake-ten versprochen.

Anfang Mai 2009 wurde dann im Budapester Parla-ment die neue Qualität von sozialer Grausamkeit desRegierungsprogramms von Bajnai offenbar. An ihmkönnten sich in den kommenden Monaten auch an-dere krisengeschüttelte Wirtschaften ein – sozial ne-gatives – Vorbild nehmen: Im Zentrum der Sanie-rungsidee steht die Erhöhung des Mehrwertsteuer-satzes von 20 % auf 25 %. Damit holt sich der Staatdas Geld vermehrt von den kleinen Leuten. Als Mas-sensteuer sind Tabak-, Energie- und Umsatzsteuernsozial besonders treffsicher: Sie kennen per definitio-nem keine Progression und besteuern den Konsumder Armen gleich hoch wie den der Reichen. Stellt

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72) Vgl. Eurostat, sowie: WIIW (Hg.), Konjunkturbericht und Mittelfristprognose für Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie China: Differenzierte Auswirkungender globalen Krise. Wien, 5. März 2009

73) WIIW (Hg.), Handbook of Statistics 2005. Wien 2005, S. 35574) Budapester Zeitung vom 4. August 200875) Sandor Richter, Hungary: little manoeuvring room to cope with the recession. In: Vladimir Gligorov u.a., Where have all the Shooting Stars gone?

(Current Analyses and Forecasts WIIW). Juli 2009, S. 48

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man in Rechnung, dass die Länder des ehemaligenRGW bis in die 1990er Jahre überhaupt keine Mehr-wertsteuer gekannt haben, so kommt der Anstieg der-selben in den vergangenen fünfzehn Jahren einem so-zialpolitischen Offenbarungseid gleich. Dem Autor istnur ein einziges Land bekannt, das bislang auf denDruck internationaler Kreditgeber, Budgetsanierungmittels Erhöhung von Massensteuern zu betreiben,ablehnend reagiert hat und bereits eingeführte fla-che Steuern wieder zurückgenommen hat. Es ist diesdas von keinem Staat der Welt anerkannte "Transnis-trien", das im Jahr 2000 aus sozialpolitischen Motivendie Verbrauchssteuern auf Null gekürzt hat. "Wir ha-ben die Mehrwertsteuer, die immerhin 20 % betrugund auf alle Waren erhoben wurde, abgeschafft, weilwir draufgekommen sind, dass dies zu einer Verar-mung eines Gutteils der Bevölkerung führt", meinteWirtschaftsministerin Tschernjenko im September 2005im Gespräch mit dem Autor.Budapest erhöhte die Mehrwertsteuer auf 25 %,strich zugleich die 13. Monatspension bei Rentnern,erhöhte das Rentenalter von 62 Jahren auf 65 Jahre –bei einer auch offiziell wieder über die 10%-Markegestiegenen Arbeitslosigkeit – und reduzierte die mo-natlichen Zahlungen im Krankheitsfall von 70 % auf60 % des Lohnes. Dazu entlastete die Regierung Bajnaidie Unternehmer, indem sie ihren Sozialversiche-rungsanteil an den Lohnkosten um 5 % senkte. Be-schlüsse zum Einfrieren der Löhne und zum Kippendes 13. Monatsgehalts im öffentlichen Sektor kom-plettieren den sozialpolitischen Angriff auf Arbeiter,Angestellte und Pensionisten.

Das alles geschieht unter "sozialistischer Fahne", wäh-rend die rechte Opposition leichtes Spiel hat, die Ent-eignungen der Besitzlosen zu brandmarken. Das Auf-tauchen einer radikalen, faschistischen Rechten war vorsolch einer Politik vorhersehbar. Mit den gegenüberden Nachbarländern Rumänien, Serbien und der Slowa-kei offen revanchistisch auftretenden "UngarischenGarden", deren politischer Arm "Jobbik" (Bewegungfür ein gerechteres Ungarn) anlässlich der Europa-wahl 2009 fast 15 % der Stimmen erhalten hat, ist inWindeseile eine politische Kraft entstanden, die weitrechts von dem steht, was derzeit noch im WestenEuropas üblich ist. Wie in der Wirtschaft auch, ist esallerdings keineswegs ausgeschlossen, dass der radi-kale politische Wind demnächst aus Osteuropa bläst.

Währungsabwertung oder Euroanbindung

Währungs- und finanzpolitisch teilen sich die LänderOsteuropas in zwei unterschiedliche Gruppen: jene,die eigenständige Währungen haben und damit einen– wenn auch geringen – wirtschaftspolitischen Spiel-raum; und jene, deren Währungen an den Euro ge-koppelt sind, indem entweder der Euro direktes Zah-lungsmittel ist oder so genannte Currency Boards(Währungsräte) fixe Wechselkurse zum Euro garan-tieren.

Nationale Währungen, über die staatliche Organeverfügen können, existieren innerhalb des EU-Rau-mes nur noch in Polen (Zloty), Tschechien (Krone),Ungarn (Forint) und Rumänien (Lei). Zahlungsmittelund daher nationale Währung ist der Euro in derSlowakei, Slowenien, Kosovo und Montenegro, wäh-rend in Bulgarien, dem Baltikum und Bosnien-Herze-gowina von IWF und Weltbank kontrollierte Wäh-rungsräte über die Finanzpolitik – und damit auch dieWirtschaftspolitik – wachen. Eigenständige Ab- oderAufwertungen sind dort nicht möglich.In der Phase des raschen Abschwungs im Zuge derglobalen Weltwirtschaftskrise hat diese Situationdazu geführt, dass Zloty, Krone, Forint und Lei teil-weise drastisch abgewertet wurden. Dies geschah vorallem deshalb, um der zusammenbrechenden Export-wirtschaft zumindest über eine Verbilligung des hei-mischen Einsatzes die Chancen auf dem Weltmarktnicht noch zusätzlich zu verbauen. Was für die inter-nationalen Investoren in der großen Industrie ein we-nig hilfreich war, führte gleichzeitig jedoch alle, dieKredite in Euro oder Dollar aufgenommen hatten,direkt in die Schuldenfalle. Sie mussten nun für dieBedienung der Zinsen noch mehr Mittel der jeweili-gen Landeswährung aufbringen, die allerdings in derZwischenzeit weniger wert geworden war. LokaleProduzenten mit geringer Eigenkapitalausstattungwaren die Opfer dieser Entwicklung, desgleichen vie-le Private, die ihr Haus, ihre neue Einrichtung oder ihrAuto über Kreditaufnahmen finanziert hatten. DieKredite wurden in aller Regel in Fremdwährung (inEuro oder Schweizer Franken) vergeben.Anders lief es in den Ländern der "Euro"-Zone bzw.jenen mit Währungsrat. Hier war keine eigenständigeFinanz- und Währungspolitik möglich, was die politi-schen Eliten in eine erzwungene Untätigkeit triebund dort verharren lässt. Sinkende Preise sollen indiesen Ländern den Konsum ankurbeln, was aller-dings aus Geldmangel nicht funktioniert. Die Nach-frage geht zurück. Deflationäre Zeichen prägen dasSzenario. Eine möglicherweise daran anschließendehohe Inflation im gesamten Euroraum würde dieseLänder ungeschützt mit sich reißen.Russland und die Ukraine haben auf die Krise mitstarken Abwertungen reagiert, die bereits 2008 zuzweistelligen Inflationsraten (25 % in der Ukraine,14 % in Russland) geführt haben. Den dadurch erreich-ten volkswirtschaftlichen Handlungsspielraum weißeventuell der Kreml und Gazprom zu nutzen; derwichtigste Handelspartner der Ukraine ist Russland.

Gescheiterte nachholende Entwicklung

Das ganze Konzept der Transformation, die nationa-len Wirtschaften über neoliberale Parameter zu mo-dernisieren, war nicht einmal ein ideologisch-theore-tisches Konstrukt, weil es westlichem Kapital haupt-sächlich schlicht darum gegangen ist, sich nach 1989neue Märkte zu sichern und sich die Kernstücke der

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osteuropäischen Wirtschaft einzuverleiben. Praktischist der Catching-up-Effekt (das Aufholen) jedenfallsgescheitert.

Fast zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch desRGW, der an sich den wirtschaftlichen Tiefpunkt desöstlichen Teils unseres Kontinentes markierte, zeigendie Indexzahlen für die industrielle Produktion dasAusmaß des Scheiterns. Nachholende Entwicklungfand nur in Ausnahmefällen statt. Und dies auf derBasis des Aufbaus enormer sozialer und regionalerDifferenz. Nehmen wir als Vergleichsland die Türkei,die sicherlich nicht zum ökonomischen Zentralraumgehört und ebenso wie andere randständige Ländereine Politik der nachholenden wirtschaftlichen Ent-wicklung betreibt. Sie tut das keineswegs mit gegen-über dem Weltmarkt dissoziativen Mitteln, jedoch ei-genständig gegenüber der Europäischen Union. Inder Zeit zwischen 1990 und 2008 gelang Ankara einemarkante Erhöhung der Industrieproduktion. Wäh-rend die EU-15 die Industrieproduktion indexmäßigim Jahr 2008 auf 124 steigerten (bei 1990 = 100),schoss der türkische Produktionsindex im selben Zeit-raum auf 220 (bei 1990 = 100).

Nun ist anzumerken, dass derlei Indizes nicht nurkeinerlei Aussagekraft in sozialpolitischer Hinsicht ha-ben, sondern auch wachstumsimmanent zweifelhaftsind. Für den Vergleich im selbst gesteckten Zielnachholender Entwicklung finden wir sie dennochzulässig. Nur ein einziges osteuropäisches Land hat inbesagter Periode zwischen 1990 und 2008 den türki-schen Produktionsindex überflügeln können: Ungarnmit 231 (bei 1990 = 100).76 Und das bei einer ver-gleichsweise extrem guten Ausgangslage, denn dieWirtschaft der RGW-Staaten lag 1989/90 tatsächlicham Boden, was ein statistisches Aufholen rein mathe-matisch erleichtert.

Tschechien und die Slowakei konnten gegenüber denEU-15 mit 133 bzw. 152 (bei 1990 = 100) leichtaufholen, für Polen ist die Vergleichszahl 1990 unzu-lässig, weil der Zusammenbruch des kommunisti-schen Systems hier schon zuvor stattgefunden hatte.

Dem gegenüber stehen eine ganze Reihe von Län-dern, die auch fast zwanzig Jahre nach dem absolu-ten Tiefpunkt der Wendezeit den Produktionsindexder EU-15 (2008 = 124 bei 1990 = 100) nicht errei-chen konnten: Estland und Slowenien holten zumin-dest gegenüber 1990 ein wenig auf. Bulgarien (mit94), Rumänien (mit 83), Kroatien (mit 91) sowie Lett-land (mit 64) und Litauen (mit 73) konnten auch2008 nicht einmal mit dem industriellen Niveau von1990 gleichziehen.

Die neuerdings von berufsoptimistischen Analystenvorhergesagte wirtschaftliche Erholung in den Zen-tralräumen ist insofern zweifelhaft, als dass selbst imFalle eines leichten Anstiegs der Produktion ab 2010die faulen Kredite, die als Auslöser der globalen Welt-

wirtschaftskrise galten, noch immer unbedient sind.Die Ausfallshaftung durch nationale Budgets wirdunumgänglich schlagend werden. Eine der mögli-chen Lösungen dieses Problems läge in der Vernich-tung der Schulden durch Inflation. Eine dafür nötigehohe Inflationsrate würde erneut jene zur Kasse bit-ten, die nichts als ein Sparbuch und die eigene Ar-beitskraft ihr Eigen nennen können. Weil sich gleich-zeitig die Arbeitslosenzahl – und da sind sich auchdie optimistischsten Vorhersager einig – noch we-sentlich erhöhen wird, stellt sich die Frage nach dergesellschaftlichen Akzeptanz einer solchen Entwick-lung. Soziale Unruhen, wie sie in den EU-15 im Jahr2009 bisher in größerem Ausmaß nur in Frankreichund Griechenland (ein wenig auch in Großbritannien)stattgefunden haben, könnten zu einem massenhaf-ten Phänomen werden.Auch der Osten Europas ist vor Revolten keinesfallsgefeit. Finanzielle Rücklagen bestehen für einen Gut-teil der Bevölkerung keine mehr. Im Gegenteil: zwi-schen Rumänien und Tschechien wurden Kredite oftnur für kleinere Konsumartikel aufgenommen, derenRückzahlung fraglich ist. Prognostizierte steigendeArbeitslosigkeit und eine im Sog des Euro stattfin-dende hohe Inflation stoßen zudem in den meistenLändern auf politisch labile Verhältnisse. Wo und wiedas eine Linke als Chance für sich nutzen kann, ist imAugust 2009, bei Abschluss des Manuskripts, nichteinsehbar.

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76) Vladimir Gligorov u.a., Where have all the Shooting Stars gone? (Current Analyses and Forecasts WIIW). Juli 2009, S. ix/x

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