1
Viertel: Die Menschen dürften in weni- gen Jahren diese Zivilisation und diesen Planeten kaputt gekriegt haben. Wie soll eine neue Wirtschaftstheorie da helfen? Eberhard Sprenger: Ich nehme mir die Frei- heit, optimistisch zu sein. Der finanz- marktgetriebene Kapitalismus zerstört auf Dauer die Lebensgrundlagen aller. Wollen wir also in eine Katastrophe treiben oder die Zukunft gestalten? Dafür müssen wir die Wirtschaft radikal verändern und eigene Einstellungen und Verhaltensweisen än- dern. ›Gemeinwohlökonomie‹, kurz GWÖ, klingt nach etwas ganz Besonderem. Ist es eine Heilslehre? Heilslehre klingt schon ein wenig hässlich. Die GWÖ ist weit entfernt davon, dogma- tisch oder totalitär zu sein. Aber es geht schon um so etwas wie Heilung. Unsere menschlichen und sozialen Beziehungen kranken an Misstrauen, Erwartungsdruck, Rücksichtslosigkeit, Abwertung und Aus- grenzung. Ein Haltungswandel kann Ko- operation, Vertrauen, Wertschätzung, Mit- bestimmung, Akzeptanz und Hilfsbereit- Gesellschaft 3 Anzeige schaft herbeiführen. Auch im Wirtschaftsle- ben. Da müssten aber schon alle mitmachen. Wie soll das gehen? Menschen sind in Netzwerke eingebunden. Wenn viele Menschen mit Herzblut und persönlichem Engagement bei uns mitma- chen, kann das schon viel bewirken. Die FH Bielefeld bietet in Kooperation mit den Regionalgruppen in OWL ein Projekt an, bei dem Studierende Betriebe unterstüt- zen, einen Gemeinwohlbericht zu erstellen. Der dokumentiert die Auswirkungen, die wirtschaftliche Tätigkeit auf alle Beteiligten hat. Diese Gemeinwohl-Bilanz bildet das Herzstück der GWÖ-Bewegung. Scheinbar geht es dem Kapitalismus nur noch um Konsum. Was passiert, wenn ihm sein vermeintlicher Lebenssinn abhan- den kommt? Gerade wir in den relativ wohlhabenden Gesellschaften müssen lernen, zu verzich- ten. Das ist nicht leicht, aber wenn mir klar wird, wie zerstörerisch und gewalttätig die Gemeinwohlökonomie könnte eine realistische Alternative zum konsumorientierten Wirtschaften sein. Mit Eberhard Sprenger sprach Bernd Kegel FOTO: BIRGIT GÄRTNER Weniger Konsum, mehr Wertschätzung Im Dienste des Gemeinwohls Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) kritisiert die Art des Wirtschaftens, die unsere Gesellschaft bestimmt und in weiten Räumen des politischen und ideologischen Alltags als alternativlos gilt. Sie belohnt laut GWÖ die selbstsüchtigsten und gesell- schaftsschädlichsten Verhaltensweisen, die der Mensch überhaupt an den Tag legen kann. Dass das zu ändern ist, formulierte Christian Felber, Mitbegründer von Attac Österreich, 2011 in seinem Buch »Gemeinwohl-Ökonomie«. Vor Ort gilt die Arbeit der Aktivisten dem Ziel, Unternehmen sukzessive dazu zu be- wegen, ihre Betriebe nach einer speziell erstellten Matrix zu führen, nach der darstell- bar wird, in welchem Maße ein Betrieb dem Gemeinwohl dient. Am 12. Juli um 19.30 Uhr findet in der Bürgerwache ein Einführungsvortrag statt. Mehr unter: bielefeld.ecogood.org und ecogood.org Auswirkungen vieler Produkte und Dienst- leistungen sind, versuche ich mich einzu- schränken oder auf ethisch und ökologisch verträglichere Alternativen umzusteigen. Der Glaube an den ›selbstregulierenden Markt‹ hat fast religiöse Bedeutung. Ist dagegen ein Kraut gewachsen? Dass ›unsere Kinder es besser haben wer- den‹, glaubt heute kaum noch jemand. Die Bedingungen werden prekärer: sich ver- schärfende Konkurrenz, Beschleunigung der Rhythmen, Multitasking, Optimie- rungsdruck, lebenslanges Lernen. Das gilt für Arbeitende, Angestellte, Unternehmer, Arbeitsuchende, Studierende, Rentner, egal ob konservativ, liberal, links, anarchistisch oder politisch desinteressiert, jung oder alt. In Gesprächen über GWÖ treffe ich häufig auf Zustimmung für viele der Kernideen. Die Leute sind die Ellenbogenmentalität, das Alle-gegen-Alle leid. Wir können ja an- ders: Im Privaten sind wir kooperativ, ver- ständnisvoll, mitfühlend, großzügig und harmonisch. Geht es darum, Privateigentum abzuschaffen? Nein. Alle sollen teilhaben können an einem Wohlstand, der nachhaltig ist und sozialen Frieden gewährleistet. Privatvermögen, Be- sitz von Unternehmensanteilen und deren Vererbung sollen deutliche Beschränkungen erhalten. Wer in einem Unternehmen nicht mitarbeitet, soll sich nicht daran bereichern. LieferantInnen, EigentümerInnen, Mitar- beitende und das gesellschaftliche Umfeld sollen einen gerechten Anteil am Erfolg ha- ben. Und bei wichtigen Entscheidungen möglichst auch mitbestimmen oder Einfluss nehmen dürfen. Was ist der wirkliche Reichtum einer Gesellschaft? Wir spüren es alle: Profitmaximierung oder ein Immer-Mehr wird uns nicht zufriedener machen. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Eine Gesellschaft ist reich, die es allen ihren Mitgliedern ermöglicht, in dieser Weise glücklich zu sein. Reichtum ist Ver- bundenheit, Präsenz, Miteinander, Gesund- Der Pädagoge und Sozialtherapeut Eberhard Sprenger ist Mitglied im Koor- dinatorenteam der GWÖ-Regionalgrup- pe Bielefeld und Umgebung und im Vor- stand des GWÖ-Vereins Ostwestfalen- Lippe e. V. heit, Genuss, Kreativität, Zärtlichkeit, Zu- wendung. Bedeutet die Vermittlung neuer Werte nicht einen extremen Eingriff in die Freiheit des Menschen? Gemeinwohl, eine gesunde Umwelt und glückliche Menschen sind keine wirklich neuen Werte. Im Politischen und im Priva- ten sind uns diese Werte gut vertraut. Nur für die Wirtschaft sind sie neu. Geld als Ziel des Wirtschaftens anzusehen, ist absurd. Geld ist das Mittel. Das derzeitige Geflecht aus Kapitalgebern, Militärisch-Industriellem Komplex, Lobbyinstitutionen, Werbeindu- strie, Medienkonzernen, Parteipolitikern und Finanzmarkt versorgt uns mit interesse- geleiteten Informationen. Ziel ist es, den Menschen ihre Informations-, Entschei- dungs- und Handlungsfreiheit zurückzuge- ben und sie zur Selbstbestimmung zu befä- higen. Wie sollen denn die Entscheidungen getroffen werden? Demokratie soll nicht nur gelegentlich, son- dern bei allen weitreichenden Entscheidun- gen Anwendung finden. Direkte Demokra- tie und demokratisch gewählte Konvente beteiligen Menschen an Politik und Wirt- schaft. Wer über Wirtschaftskonvente Ent- scheidungen mitträgt, mitverantwortlich ist für die Qualität von Schulen, Hochschulen, Energie- und Wasserversorgung, Kranken- häusern, Verkehrs- und Kommunikations- unternehmen, entscheidet sich nicht aus- schließlich für die Steigerung der Dividen- de. 8 Info8

Weniger Konsum, mehr Wertschätzung · 2019. 3. 8. · Menschen sind in Netzwerke eingebunden. Wenn viele Menschen mit Herzblut und persönlichem Engagement bei uns mitma-chen, kann

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Weniger Konsum, mehr Wertschätzung · 2019. 3. 8. · Menschen sind in Netzwerke eingebunden. Wenn viele Menschen mit Herzblut und persönlichem Engagement bei uns mitma-chen, kann

Viertel: Die Menschen dürften in weni-gen Jahren diese Zivilisation und diesenPlaneten kaputt gekriegt haben. Wie solleine neue Wirtschaftstheorie da helfen?Eberhard Sprenger: Ich nehme mir die Frei-heit, optimistisch zu sein. Der finanz-marktgetriebene Kapitalismus zerstört aufDauer die Lebensgrundlagen aller. Wollenwir also in eine Katastrophe treiben oder dieZukunft gestalten? Dafür müssen wir dieWirtschaft radikal verändern und eigeneEinstellungen und Verhaltensweisen än-dern.

›Gemeinwohlökonomie‹, kurz GWÖ,klingt nach etwas ganz Besonderem. Ist es eine Heilslehre?Heilslehre klingt schon ein wenig hässlich.Die GWÖ ist weit entfernt davon, dogma-tisch oder totalitär zu sein. Aber es gehtschon um so etwas wie Heilung. Unseremenschlichen und sozialen Beziehungenkranken an Misstrauen, Erwartungsdruck,Rücksichtslosigkeit, Abwertung und Aus-grenzung. Ein Haltungswandel kann Ko-operation, Vertrauen, Wertschätzung, Mit-bestimmung, Akzeptanz und Hilfsbereit-

6 Initiativen Gesellschaft 3

Anze

ige

In knapp jedem fünften Haushalt lebt eineKatze oder ein Kater. Katzen sind bundes-

weit die beliebtesten Haustiere, weit vorHunden. Wie viele Hauskatzen es tatsächlichin Bielefeld gibt, lässt sich nur grob schätzen,denn bisher gab es keine Registrierungs- oderKastrationspflicht. Die gibt es jetzt: Im Aprilhat die Stadt eine Katzenschutzverordnungverabschiedet.

Seit Anfang Juni müssen freilaufende Katzen registriert, gechipt und kastriert werden. Wieso erklärt Charlotte Weitekemper

Die nötigen Zahlen zur Problematik lie-ferte der Tierschutzverein Bielefeld e.V., dieGrünen brachten das Thema in die Gremien.Klaus Feurich ist stellvertretendes Mitgliedder Grünen im Ausschuss für Umwelt undKlimaschutz der Stadt. Neben Alltag undParteiarbeit ist er vor allem auch ein Katzen-freund. Ehrenamtlich engagiert er sich für dieTiernothilfe Kitty Checker e.V. »Bisherkonnten wir nur an den guten Willen appel-lieren«, begrüßt Feurich die Katzenschutz-verordnung. Sie schaffe eine neue rechtlicheGrundlage, diene der Eindämmung derÜberpopulation und verbessere damit dieGesundheit verwilderter Katzen deutlich.

Helmut Tiekötter, Erster Vorsitzender desTierschutzvereins Bielefeld, bestätigt: »Un-gewollte Vermehrung, damit einhergehendeKrankheitsübertragung sowie Gefahrendurch Verkehr und Umwelt nehmen immermehr zu.« Daher gelte »Kastration als Tier-schutz«. Beauftragt von der Stadt kümmernsich zwei Mitarbeiterinnen des Tierschutz-

vereins ums Einfangen streunender Katzenund Kater im gesamten Stadtgebiet, um sievom hauseigenen Tierarzt im Tierheim kas-trieren zu lassen. Nach dem Eingriff werdendie verwilderten Tiere an den Fangort zu-rückgebracht.

Ab Januar 2019 verbindlich

Um die Überpopulation in den Griff zu be-kommen, sind auch Bielefelds Katzenhalterseit Juni verpflichtet, ihre freilaufenden Tierekastrieren zu lassen. Die »Freigänger« müssenaußerdem registriert und mit einem Chipoder einer Tätowierung gekennzeichnet wer-den. Halter haben dem Ordnungsamt dieKastration ihres Tieres durch ein ärztlichesAttest nachzuweisen. Kommt jemand einerwiederholten Aufforderung des Veterinär-amts nicht nach, kann das Katzentier be-schlagnahmt und Bußgeld bis zu 1.000 Euroerhoben werden. Ab Januar 2019 ist die Ver-ordnung verbindlich.

schaft herbeiführen. Auch im Wirtschaftsle-ben.

Da müssten aber schon alle mitmachen.Wie soll das gehen?Menschen sind in Netzwerke eingebunden.Wenn viele Menschen mit Herzblut undpersönlichem Engagement bei uns mitma-chen, kann das schon viel bewirken. Die FH Bielefeld bietet in Kooperation mitden Regionalgruppen in OWL ein Projektan, bei dem Studierende Betriebe unterstüt-zen, einen Gemeinwohlbericht zu erstellen.Der dokumentiert die Auswirkungen, diewirtschaftliche Tätigkeit auf alle Beteiligtenhat. Diese Gemeinwohl-Bilanz bildet dasHerzstück der GWÖ-Bewegung.

Scheinbar geht es dem Kapitalismus nurnoch um Konsum. Was passiert, wenn ihmsein vermeintlicher Lebenssinn abhan-den kommt?Gerade wir in den relativ wohlhabendenGesellschaften müssen lernen, zu verzich-ten. Das ist nicht leicht, aber wenn mir klarwird, wie zerstörerisch und gewalttätig die

Gemeinwohlökonomie könnte eine realistische Alternative zum konsumorientierten Wirtschaften sein. Mit Eberhard Sprenger sprach Bernd Kegel

Die Kastration eines Katers kostet 90 Euro,die einer Katze 150 Euro. Anders als bei einerSterilisation, bei der nur die Samen- oder Ei-leiter durchtrennt werden, werden bei einerKastration die Hoden oder Eierstöcke voll-ständig entfernt. Das setzt den Hormonhaus-halt außer Kraft: Katzen werden nicht mehrrollig, Kater verstricken sich nicht mehr inRevierkämpfe. Halter, die sich eine Kastra-tion nicht leisten können, werden vom Tier-schutzverein Bielefeld und dem Kitty Che-cker e.V. finanziell unterstützt.

Die Verordnung gilt zunächst für fünf Jah-re, dann wird evaluiert. Der Tierschutzver-ein Bielefeld und die Kitty Checker hoffenschon jetzt auf eine Verlängerung. KlausFeurich nennt die Verordnung »das Werk-zeug für Tierschutzvereine an sich.« Einwichtiger Schritt in die richtige Richtung,findet auch Helmut Tiekötter: »Um das Le-ben und die Gesundheit von Katzen und Ka-tern zu verbessern.«

FOTO

: M

AR

TIN

SPE

CK

MA

NN

FOTO

: B

IRG

IT G

ÄR

TNER

Weniger Konsum, mehr Wertschätzung

Ein weißes Schild am Rathaus versprichteine »fußgänger- und fahrradfreundliche

Stadt Bielefeld«. Bis 2025 plant Bielefeld eineErhöhung des Radverkehrs auf 25 Prozent.Der Bund gibt im Flickwerk deutscher Ver-kehrsplanungen keine einheitliche Linie vor.Jede Stadt entscheidet selbst, wie sie den Ver-kehr managen möchte. Die derzeitige Ent-wicklung in Bielefeld ist eher auto-, als fahr-radfreundlich.

Sagt zum Beispiel Bernd Küffner vom Ver-kehrsclub Deutschland (VCD) in Bielefeld:

Zwar seien die Beschlüsse da, das Geld fließeaber in die andere Richtung. Das Fahrrad sol-le als Fahrzeug begriffen werden, so dass sichalle Verkehrsteilnehmer wohlfühlen können.Die Infrastruktur steht für Küffner auf einemuntergeordneten Rang: »Wenn Autofahrerzu eng überholen, ist das ein Verhaltenspro-blem. Es muss sich also innerhalb der Gesell-schaft etwas tun.« Doch dafür fehle Raum.

»Wenn die Städter weniger Auto fahren,steht allen Verkehrsteilnehmern mehr Frei-raum zur Verfügung«, erklärt Thorsten

»Wir sind Verkehr«

Kastration als Tierschutz

Böhm vom Bielefelder Allgemeinen Deut-schen Fahrradclub (ADFC). Neben der Auf-enthaltsqualität für Radler und Fußgängerim öffentlichen Raum komme vor allem aberdas Sicherheitsgefühl zu kurz. Laut Forschun-gen zum allgemeinen Radfahrverhalten sindnur 40 Prozent entweder enthusiastischeRadfahrer oder konsequente Autofahrer. Sat-te zwei Drittel der Befragten vermeldeten In-teresse am Wechsel aufs Rad, seien aber umihre Sicherheit im Straßenverkehr besorgt.»Da beißt sich die Katze in den Schwanz«,

sagt Böhm. Das fehlende Sicherheitsgefühlführe zu mehr Autoverkehr und der wieder-um zu weniger Infrastruktur für Radfahrer.

Dabei zieht sich der Wunsch nach sicheremRadfahren quer durch die Bevölkerung. Daszeigt die bunt gemischte Gruppe der ›CriticalMass‹ einmal im Monat auch in Bielefeld.2014 verabredeten sich zunächst ein paarFreunde zum Radfahren. Schnell wurde die›Critical Mass‹ zum Selbstläufer. Erst kamen50, heute sind es bis zu 150 Mitfahrende. VonKleinkindern bis zu Rentnern sind alle dabei.Sechs Idealisten vertreten ehrenamtlich die»kritische Masse« im Stadtbild und verwaltendie Social-Media-Kanäle. Die ›Critical Mass‹ist keine Organisation. Die Beteiligten kom-men aus Bielefeld, kennen die Stadt und ha-ben eines gemeinsam: Sie lieben Fahrräder.

Am jeweils letzten Freitag im Monat tref-fen sich Radler um 19 Uhr am Kesselbrink.Es gibt keine Struktur, keine Hierarchie. Je-der bekommt zum Beispiel die Chance, vornezu fahren und dadurch zu bestimmen, wo eslanggehen soll. Letztens lenkte eine kleineFamilie die Gruppe.

Was manchem Autofahrer als Hindernisvorkommt, ist rechtlich völlig in Ordnung:Ab einer Zahl von 16 Mitfahrern gilt Artikel27 der Straßenverkehrsordnung. Unabhän-gig davon, ob ein Radweg vorhanden ist,darf eine geschlossene Gruppe dann auf derFahrbahn fahren – wie etwa ein Sattelzug giltsie als einziges Fahrzeug. Daher ist die ›Cri-tical Mass‹ auch keine Demo, denn »wir blo-ckieren den Verkehr nicht, wir sind Verkehr.Die Straße gehört nicht den Autofahrern,sondern dem Verkehr. Und Verkehr bestehtnicht nur aus Autos.«

facebook.com/criticalmassbielefeld

Im Dienste des Gemeinwohls

8 Info8

Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) kritisiert die Art des Wirtschaftens, dieunsere Gesellschaft bestimmt und in weiten Räumen des politischen und ideologischenAlltags als alternativlos gilt. Sie belohnt laut GWÖ die selbstsüchtigsten und gesell-schaftsschädlichsten Verhaltensweisen, die der Mensch überhaupt an den Tag legenkann. Dass das zu ändern ist, formulierte Christian Felber, Mitbegründer von AttacÖsterreich, 2011 in seinem Buch »Gemeinwohl-Ökonomie«.

Vor Ort gilt die Arbeit der Aktivisten dem Ziel, Unternehmen sukzessive dazu zu be-wegen, ihre Betriebe nach einer speziell erstellten Matrix zu führen, nach der darstell-bar wird, in welchem Maße ein Betrieb dem Gemeinwohl dient.

Am 12. Juli um 19.30 Uhr findet in der Bürgerwache ein Einführungsvortrag statt.

Mehr unter: bielefeld.ecogood.org und ecogood.org

Anze

igen

Mit spontanen Radtouren für die ganze Familie radelt ›Critical Mass‹ für ein fahrradfreundliches Bielefeld. Von Charlotte Weitekemper

FOTO

: M

AR

TIN

SPE

CK

MA

NN

Auswirkungen vieler Produkte und Dienst-leistungen sind, versuche ich mich einzu-schränken oder auf ethisch und ökologischverträglichere Alternativen umzusteigen.

Der Glaube an den ›selbstregulierendenMarkt‹ hat fast religiöse Bedeutung. Ist dagegen ein Kraut gewachsen?Dass ›unsere Kinder es besser haben wer-den‹, glaubt heute kaum noch jemand. DieBedingungen werden prekärer: sich ver-schärfende Konkurrenz, Beschleunigungder Rhythmen, Multitasking, Optimie-rungsdruck, lebenslanges Lernen. Das giltfür Arbeitende, Angestellte, Unternehmer,Arbeitsuchende, Studierende, Rentner, egalob konservativ, liberal, links, anarchistischoder politisch desinteressiert, jung oder alt.In Gesprächen über GWÖ treffe ich häufigauf Zustimmung für viele der Kernideen.Die Leute sind die Ellenbogenmentalität,das Alle-gegen-Alle leid. Wir können ja an-ders: Im Privaten sind wir kooperativ, ver-ständnisvoll, mitfühlend, großzügig undharmonisch.

Geht es darum, Privateigentum abzuschaffen?Nein. Alle sollen teilhaben können an einemWohlstand, der nachhaltig ist und sozialenFrieden gewährleistet. Privatvermögen, Be-sitz von Unternehmensanteilen und derenVererbung sollen deutliche Beschränkungenerhalten. Wer in einem Unternehmen nichtmitarbeitet, soll sich nicht daran bereichern.LieferantInnen, EigentümerInnen, Mitar-beitende und das gesellschaftliche Umfeldsollen einen gerechten Anteil am Erfolg ha-ben. Und bei wichtigen Entscheidungenmöglichst auch mitbestimmen oder Einflussnehmen dürfen.

Was ist der wirkliche Reichtum einer Gesellschaft?Wir spüren es alle: Profitmaximierung oderein Immer-Mehr wird uns nicht zufriedenermachen. Es geht um Qualität, nicht umQuantität. Eine Gesellschaft ist reich, die esallen ihren Mitgliedern ermöglicht, in dieserWeise glücklich zu sein. Reichtum ist Ver-bundenheit, Präsenz, Miteinander, Gesund-

Der Pädagoge und SozialtherapeutEberhard Sprenger ist Mitglied im Koor-dinatorenteam der GWÖ-Regionalgrup-pe Bielefeld und Umgebung und im Vor-stand des GWÖ-Vereins Ostwestfalen-Lippe e. V.

heit, Genuss, Kreativität, Zärtlichkeit, Zu-wendung.

Bedeutet die Vermittlung neuer Wertenicht einen extremen Eingriff in die Freiheit des Menschen?Gemeinwohl, eine gesunde Umwelt undglückliche Menschen sind keine wirklichneuen Werte. Im Politischen und im Priva-ten sind uns diese Werte gut vertraut. Nurfür die Wirtschaft sind sie neu. Geld als Zieldes Wirtschaftens anzusehen, ist absurd.Geld ist das Mittel. Das derzeitige Geflechtaus Kapitalgebern, Militärisch-IndustriellemKomplex, Lobbyinstitutionen, Werbeindu-strie, Medienkonzernen, Parteipolitikernund Finanzmarkt versorgt uns mit interesse-geleiteten Informationen. Ziel ist es, denMenschen ihre Informations-, Entschei-dungs- und Handlungsfreiheit zurückzuge-ben und sie zur Selbstbestimmung zu befä-higen.

Wie sollen denn die Entscheidungen getroffen werden?Demokratie soll nicht nur gelegentlich, son-dern bei allen weitreichenden Entscheidun-gen Anwendung finden. Direkte Demokra-tie und demokratisch gewählte Konventebeteiligen Menschen an Politik und Wirt-schaft. Wer über Wirtschaftskonvente Ent-scheidungen mitträgt, mitverantwortlich istfür die Qualität von Schulen, Hochschulen,Energie- und Wasserversorgung, Kranken-häusern, Verkehrs- und Kommunikations-unternehmen, entscheidet sich nicht aus-schließlich für die Steigerung der Dividen-de.

8 Info8