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17 Konfliktmanagement im Umbruch Die internationalen Bemühungen zur Förderung von Frieden und Stabilität sehen heute ganz anders aus als noch vor 20 Jah- ren. Es geht immer mehr um interne, oft noch „heiße“ Konflikte mit sehr komplexer Problemlage. Neben die Vereinten Nationen sind andere internationale Organisationen getreten, insbesondere die NATO (die bisher ausschließlich militärische Kernaufgaben übernahm), die OSZE (die sich auf zivile Aktivitäten spezialisiert) und die EU (die mit den so genannten Petersberg-Missionen das gesamte Spektrum militärischer und ziviler Aufgaben abdecken will). Immer mehr gewinnen auch die regionalen Organisationen in Asien, in Lateinamerika und vor allem in Afrika an Bedeutung. In diesem Zusammenhang wären vor allem die Afrikanische Uni- on (AU) oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECO- WAS zu nennen. Neue Aufgaben und Akteure Militärische Mittel allein reichen bei weitem nicht mehr aus. Um eine nachhaltige Stabilisierung eines Landes bzw. einer Region zu erreichen, ist ein multidimensionaler Ansatz notwendig. Das be- deutet, dass eine Vielzahl von Aufgaben wahrzunehmen ist. Neben den „klassischen“ Aufgaben des Militärs in Friedensoperationen sind dies u. a.: Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDR) von regulären und irregulären Streitkräften, Polizeiaufga- ben, Reform des Sicherheitssektors (SSR), humanitäre Hilfe, Rück- führung von Flüchtlingen, Beobachtung der Menschenrechtslage, Abhaltung von Wahlen, Wiederaufbau der materiellen Infrastruk- tur, Unterstützung beim Aufbau staatlicher Institutionen, aber auch Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen, Abhaltung von Gerichtsverfahren gegen Völkermörder und Kriegsverbrecher, Programme zur Versöhnung der Streitparteien, ja manchmal sogar die Verwaltung von Gebieten (wie z. B. im Kosovo). Jeder dieser Bereiche ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen und Pro- blemen konfrontiert. Neben den internationalen Organisationen, die – wie etwa die Ver- einten Nationen mit ihren zahlreichen Unterorganisationen – oft selbst ein heterogenes Bild abgeben, sind heute noch weitere Ak- teure in den Krisengebieten präsent: private Hilfsorganisationen unterschiedlichster Größe und Zielsetzung, multinationale Unter- nehmen und zunehmend auch private Sicherheitsfirmen. Herausforderungen des umfassenden Krisenmanagements Die zentrale Frage der gegenwärtigen Kriseninterventionen ist, wie sich alle die genannten Tätigkeitsfelder gegenseitig beeinflussen und welche Probleme sich aus der Vielzahl der Akteure ergeben. Voraus- setzung für eine reibungslose Zusammenarbeit wäre eine klare Auf- gabenteilung und eine effektive Koordination aller Akteure. Dem steht allerdings oft die grundsätzlich andere Weltsicht von Militärs und zivilen – insbesondere der humanitär tätigen – Organisationen im Wege. Diese Organisationen fürchten um ihre Unabhängigkeit und wollen sich nicht politischen Zielen unterordnen. Aktuelle Forschungsfragen Einige der Themen, mit denen sich das IFK aktuell auseinander setzt beziehungsweise in nächster Zeit beschäftigen wird: die Pro- blematik von Klein- und Leichtwaffen in Krisengebieten (z. B. er- schien 2007 der Sammelband ”Small Arms – Big Problem“), die verschiedenen zivilen Aktivitäten in Friedensmissionen und ihre Schnittstellen zum Militär sowie Probleme der zivil-militärischen Zusammenarbeit, das Zusammenspiel von Kommission und Rat der Europäischen Union im Bereich des Krisenmanagements und die verschiedenen Ansätze zur juristischen und psychologischen Aufarbeitung von Konflikten. Zur Person MMag. Dr. Peter Hazdra (*1959) ist seit 1998 Forscher an der Landesverteidigungsakademie. Studium der Rechtswissenschaften, Kultur- und Sozialanthropologie und Politikwissenschaft. Lektor an der Universität Wien. Milizoffizier des Österreichischen Bundesheeres; über 10 Jahre Einsatzerfahrung in den verschiedensten militärischen und zivilen Verwendungen in internationalen Friedensoperationen. Forschungsfelder: Internationales Krisen- und Konfliktmanagement, mit Fokus auf die zivilen Bereiche und deren Schnittstellen zum Militär; sicherheitspolitische Entwicklung in Südostasien. IFK-Forscher Dr. Peter Hazdra über die neuen Herausforderungen der Friedenssicherung DERZEIT IM AUSLAND

Westbalkan: Altlasten und Chancen Konfliktmanagement im

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Der Westbalkan befindet sich seit dem Ende der Kriege in Kroatien, Bosnien und Herzegowina (November 1995) und im Kosovo (Juni 1999) sowie der bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Mazedonien (Au-gust 2001) in einem sehr anspruchsvollen Peace-Building-Prozess. Der derzeit in einigen Gebieten noch „negative Friede“ soll in eine sich selbst tragende regionale Kooperation und in eine Situation des interethnischen Ausgleichs übergeführt werden. Die Bewältigung die-ser anspruchsvollen Aufgabe erfordert insbesondere in Gebieten mit noch relativ hohem Konfliktpotenzial, wie es der Kosovo darstellt und wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch darstellen wird, ein langfristiges Engagement der internationalen Gemeinschaft.

Positiv kann konstatiert werden, dass sich die früheren Konfliktpar-teien und Kriegsgegner überwiegend von der in den neunziger Jahren dominierenden nationalistischen Politik abgewandt und für die regio-nale Kooperation und die Integration in die EU und NATO bzw. die NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) entschieden haben. Der Ausbruch neuer Balkankriege, die zu großen Flüchtlingsbewegungen auch in den mittel- und westeuropäischen Raum führen, wird unter diesen positiven politischen Vorzeichen immer unwahrscheinlicher. Für die Stärkung der regionalen Kooperation und für die Motivation der Westbalkanländer, interne Reformen voranzutreiben, ist die Per-spektive einer EU-Mitgliedschaft von besonderer Bedeutung.

Die Gefahr neuer gewaltsamer Konflikte in Südosteuropa ist aber noch nicht vollständig beseitigt. Interethnische Konflikte können in Kombination mit ungelösten Statusfragen, wirtschaftlicher Rückstän-digkeit und einer hohen Arbeitslosigkeit noch längerfristig ein nicht zu unterschätzendes Potenzial für nationalistische Mobilisierung dar-stellen. Die von Serbien abgelehnte Schaffung eines kosovarischen Staates, die die serbisch-albanischen Beziehungen noch längere Zeit negativ beeinflussen wird, oder der schwierige Weg Bosnien und Her-zegowinas von einem Semi-Protektorat zu einem funktionierenden und eigenverantwortlichen Staat sind zwei Beispiele dafür, dass noch nicht abgeschlossene Staatenbildungsprozesse die regionale Stabilität zumindest mittelfristig noch sehr stark beeinträchtigen werden.

Gut funktionierendes Südosteuropa-NetzwerkDas IFK ist eine der treibenden Kräfte in der seit 1998 bestehenden

Südosteuropa-Arbeitsgruppe des ”PfP-Consortium of Defense Aca-demies and Security Studies Institutes“. In zwei Workshops, die jähr-lich abwechselnd im Schloss Rothschild in Reichenau a. d. Rax und in einem südosteuropäischen Land stattfinden, diskutieren Wissenschaf-ter aus Südost-, Mittel- und Westeuropa sowie den USA gemeinsam mit Mitarbeitern internationaler Organisationen die aktuelle Entwick-lung in den (Post-)Konflikt-Gebieten und unterbreiten Vorschläge zur Unterstützung des Stabilisierungsprozesses in der Region. 2008 erschien unter der Federführung des IFK die Publikation ”Cutting or Tightening the Gordian Knot? – The Future of Kosovo and the Peace Process in the Western Balkans after the Decision on Independence“. Neben dem Engagement im PfP-Consortium sind regelmäßige Fact-Finding-Reisen nach Bosnien und Herzegowina, Kosovo/Südserbien sowie nach Mazedonien ein unverzichtbarer Bestandteil der Südosteu-ropa-Expertise des IFK.

Mehr KonfliktpräventionEine Lehre aus den Konflikten in Südosteuropa ist die Notwendigkeit für die internationale Gemeinschaft, sich stärker präventiv zu enga-gieren. Das IFK hat dieses wichtige Thema in sein Forschungspro-gramm aufgenommen. 2008 erschien die Publikation „Religiöser Ex-tremismus vs. internationale Friedensbemühungen. Lessons Learned und präventive Strategien im Nahen Osten und am Westbalkan“. Die Beiträge des Workshops zum Thema ”Used/Missed Opportunities for Conflict Prevention – The Case of Georgia’s Territorial Conflicts“ werden 2009 erscheinen.

Westbalkan: Altlasten und ChancenIFK-Forscher Mag. Predrag Jureković über den regionalen Stabilisierungsprozess

Zur PersonMag. phil. Predrag Jureković (*1969) ist seit 2003 Forscher und Referatsleiter am IFK. Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien; ständiger Mitarbeiter der Österreichischen Militärischen Zeitschrift (Südosteuropa); ös-terreichischer Co-chair in der Arbeitsgruppe Regional Stability for South East Europe des PfP-Consortium of Defense Aca-demies and Security Studies Institutes. Lehr- und Forschungs-felder: Konflikttransformation und Stabilisierungsprozess im Balkanraum; EU-Politik gegenüber Südosteuropa; Konfliktprä-vention; Anwendung von Szenarien-Techniken in der Konflikt-forschung.

Konfliktmanagement im UmbruchDie internationalen Bemühungen zur Förderung von Frieden und Stabilität sehen heute ganz anders aus als noch vor 20 Jah-ren. Es geht immer mehr um interne, oft noch „heiße“ Konflikte mit sehr komplexer Problemlage. Neben die Vereinten Nationen sind andere internationale Organisationen getreten, insbesondere die NATO (die bisher ausschließlich militärische Kernaufgaben übernahm), die OSZE (die sich auf zivile Aktivitäten spezialisiert) und die EU (die mit den so genannten Petersberg-Missionen das gesamte Spektrum militärischer und ziviler Aufgaben abdecken will). Immer mehr gewinnen auch die regionalen Organisationen in Asien, in Lateinamerika und vor allem in Afrika an Bedeutung. In diesem Zusammenhang wären vor allem die Afrikanische Uni-on (AU) oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECO-WAS zu nennen.

Neue Aufgaben und AkteureMilitärische Mittel allein reichen bei weitem nicht mehr aus. Um eine nachhaltige Stabilisierung eines Landes bzw. einer Region zu erreichen, ist ein multidimensionaler Ansatz notwendig. Das be-deutet, dass eine Vielzahl von Aufgaben wahrzunehmen ist. Neben den „klassischen“ Aufgaben des Militärs in Friedensoperationen sind dies u. a.: Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDR) von regulären und irregulären Streitkräften, Polizeiaufga-ben, Reform des Sicherheitssektors (SSR), humanitäre Hilfe, Rück-führung von Flüchtlingen, Beobachtung der Menschenrechtslage, Abhaltung von Wahlen, Wiederaufbau der materiellen Infrastruk-tur, Unterstützung beim Aufbau staatlicher Institutionen, aber auch Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen, Abhaltung von Gerichtsverfahren gegen Völkermörder und Kriegsverbrecher, Programme zur Versöhnung der Streitparteien, ja manchmal sogar die Verwaltung von Gebieten (wie z. B. im Kosovo). Jeder dieser Bereiche ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen und Pro-blemen konfrontiert.

Neben den internationalen Organisationen, die – wie etwa die Ver-einten Nationen mit ihren zahlreichen Unterorganisationen – oft selbst ein heterogenes Bild abgeben, sind heute noch weitere Ak-teure in den Krisengebieten präsent: private Hilfsorganisationen

unterschiedlichster Größe und Zielsetzung, multinationale Unter-nehmen und zunehmend auch private Sicherheitsfirmen.

Herausforderungen des umfassenden KrisenmanagementsDie zentrale Frage der gegenwärtigen Kriseninterventionen ist, wie sich alle die genannten Tätigkeitsfelder gegenseitig beeinflussen und welche Probleme sich aus der Vielzahl der Akteure ergeben. Voraus-setzung für eine reibungslose Zusammenarbeit wäre eine klare Auf-gabenteilung und eine effektive Koordination aller Akteure. Dem steht allerdings oft die grundsätzlich andere Weltsicht von Militärs und zivilen – insbesondere der humanitär tätigen – Organisationen im Wege. Diese Organisationen fürchten um ihre Unabhängigkeit und wollen sich nicht politischen Zielen unterordnen.

Aktuelle ForschungsfragenEinige der Themen, mit denen sich das IFK aktuell auseinander setzt beziehungsweise in nächster Zeit beschäftigen wird: die Pro-blematik von Klein- und Leichtwaffen in Krisengebieten (z. B. er-schien 2007 der Sammelband ”Small Arms – Big Problem“), die verschiedenen zivilen Aktivitäten in Friedensmissionen und ihre Schnittstellen zum Militär sowie Probleme der zivil-militärischen Zusammenarbeit, das Zusammenspiel von Kommission und Rat der Europäischen Union im Bereich des Krisenmanagements und die verschiedenen Ansätze zur juristischen und psychologischen Aufarbeitung von Konflikten.

Zur PersonMMag. Dr. Peter Hazdra (*1959) ist seit 1998 Forscher an der Landesverteidigungsakademie. Studium der Rechtswissenschaften, Kultur- und Sozialanthropologie und Politikwissenschaft. Lektor an der Universität Wien. Milizoffizier des Österreichischen Bundesheeres; über 10 Jahre Einsatzerfahrung in den verschiedensten militärischen und zivilen Verwendungen in internationalen Friedensoperationen. Forschungsfelder: Internationales Krisen- und Konfliktmanagement, mit Fokus auf die zivilen Bereiche und deren Schnittstellen zum Militär; sicherheitspolitische Entwicklung in Südostasien.

IFK-Forscher Dr. Peter Hazdra über die neuen Herausforderungen der Friedenssicherung

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