Westlake, Donald – Der Freisteller [eBook; german; deutsch]

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Psycho; Thriller; Krimi; Suspense; Spannung; Roman

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ber den Autor:Donald E. Westlake, Jahrgang 1933, stammt aus Brooklyn. Seit 1960 hat er zahlreiche Romane und Drehbcher verfasst und gehrt zu den bekanntesten Thrillerautoren in den USA. Nachdem er viermal den Mystery Weiters of Americas Edgar Award gewonnen hat, wurde er 1993 mit dem Grand Master Award der Mystery Weiters of America ausgezeichnet. Westlake lebt mit seiner Frau im Staat New York.

Donald Westlake

Der Freisteller

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Johannes Schwab

Knaur

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem TitelThe Ax bei Mysterious Press by Warner Books, Inc.,New York

Besuchen Sie uns im Internet:

www.knaur.de

Vollstndige Taschenbuchausgabe 2003Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., MnchenCopyright 1997 Donald WestlakeCopyright 1998 alle deutschsprachigen Rechte beimEuropa Verlag GmbH, Mnchen, WienAlle Rechte vorbehalten. Das Werk darf auch teilweise -nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MnchenUmschlagabbildung: Picture Press / CorbisReproduktion, Druck und Bindung: Nrhaven Paperback A/SPrinted in DenmarkISBN 3-426-61486-3

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Fr meinen VaterAlbert Joseph Westlake1896-1953

Wenn man tut, was man fr alle Beteiligten fr richtig hlt,geht es einem gut. Mir geht es also gut.

Thomas G. LabrecqueVorstandsvorsitzender Chase Manhattan Bank

Der alte Aberglaube, Prosadichtung sei verderbt, ist in England zweifellos ausgestorben, aber dieser Geist lebt fort in einer gewissen Geringschtzung jeder Geschichte, die nicht mehr oder weniger einrumt, nur ein Spa zu sein. Noch der heiterste Roman sprt in gewissem Mae das Gewicht der Achtung, die frher die leichte Literatur zum Ziel hatte: das Lustige schafft es nicht immer, als rechtens durchzugehen. Es wird immer noch erwartet, auch wenn man sich vielleicht scheut, dies auszusprechen, da ein Werk, das schlielich nur Schein ist (denn was ist eine Geschichte sonst?), in gewissem Mae apologetisch sein soll dem Anspruch abschwren soll, wirklich das Leben abzubilden. Dem verweigert sich natrlich jede vernnftige, kluge Geschichte, denn sie merkt rasch, da die Duldung, die ihr unter dieser Bedingung gewhrt wird, nur ein Versuch ist, sie im Gewand der Grozgigkeit zu ersticken. Die alte protestantische Feindseligkeit gegenber dem Roman, so unverblmt wie engstirnig sie vertreten hatte, dieser sei unserem unsterblichen Teil weniger frderlich als ein Bhnenstck, war in Wirklichkeit viel weniger verletzend. Der einzige Grund fr die Existenz eines Romans liegt darin, da er sich an der Darstellung der Wirklichkeit versucht.

Henry James, The Art of Fiction, 1888

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Ich habe noch nie jemanden gettet, einen Menschen umgebracht, ein Leben ausgelscht. Es ist eigenartig, aber irgendwie wrde ich gerne mit meinem Vater darber sprechen, denn er hatte diese Erfahrung gemacht, besa das, was wir Geschftsleute als Hintergrund auf diesem Fachgebiet bezeichnen wrden. Er, der Infanterist im Zweiten Weltkrieg, der 44/45 auf dem siegreichen Marsch durch Frankreich nach Deutschland im Einsatz war und Dutzende von Mnnern im dunkelgrauen Wollstoff ins Visier nahm, mit Sicherheit verwundete und hchstwahrscheinlich auch ttete, und der all das im Nachhinein doch recht gelassen nahm. Wie will man vorher wissen, ob man es kann? Das ist die Frage.Natrlich knnte ich das meinen Vater nicht fragen oder mit ihm besprechen, nicht einmal, wenn er noch am Leben wre. Aber das ist er nicht, da ihn die Zigaretten und der Lungenkrebs nach dreiundsechzig Jahren eingeholt haben und vielleicht nicht so schnell, aber doch genauso zuverlssig zur Strecke brachten wie einen fernen Feind im dunkelgrauen Wollstoff.Die Frage erledigt sich auf jeden Fall von selbst, oder? Ich meine, darauf luft es doch hinaus. Entweder ich kann es, oder ich kann es nicht. Wenn ich es nicht kann, waren alle Vorbereitungen, alle Planungen, die Akten, die ich gefhrt, und die Unkosten, in die ich mich gestrzt habe (und die ich mir wei Gott nicht leisten kann), umsonst, und ich knnte all das wieder aufgeben, keine Anzeigen mehr schalten, keine Plne mehr schmieden und mich einfach wieder in das Schlachtvieh einreihen, das teilnahmslos auf den groen, dunklen Stall zutrottet, in dem das Muhen verstummt.Heute entscheidet es sich. Vor drei Tagen, am Montag, erzhlte ich Marjorie, ich htte wieder ein Vorstellungsgesprch, diesmal bei einer kleinen Firma in Harrisburg in Pennsylvania, das Gesprch sei Freitag vormittag, und ich wolle am Donnerstag nach Albany fahren, am spten Nachmittag nach Harrisburg fliegen, in einem Motel bernachten, Freitag morgen ein Taxi zur Fabrik nehmen und Freitag nachmittag wieder nach Albany zurckfliegen. Sie sah mich etwas besorgt an. Mten wir dann umziehen? Nach Pennsylvania?Wenn das unsere grte Sorge ist, meinte ich, soll es mir recht sein.Nach all der Zeit begreift Marjorie noch immer nicht, wie schlimm es tatschlich steht. Natrlich habe ich versucht, das Ausma der Probleme so gut wie mglich vor ihr zu verheimlichen, und so sollte ich es Marjorie nicht vorwerfen, wenn es mir gelingt, sie mehr oder weniger sorgenfrei zu halten. Trotzdem fhle ich mich manchmal einsam.Es mu klappen. Ich mu aus diesem Sumpf herauskommen, und zwar bald. Was bedeutet, da ich fhig sein mu zu tten.

Die Luger wanderte in meine Reisetasche, in dieselbe Plastiktte wie meine schwarzen Schuhe. Die Luger hatte meinem Vater gehrt; sie war sein einziges Souvenir aus dem Krieg, die Waffe eines toten deutschen Offiziers, den entweder er oder ein anderer erschossen hatte, von der anderen Seite der Hecke aus. Mein Vater hatte das Magazin mit allen Patronen aus der Luger herausgenommen und in einer Socke mitgebracht, whrend die Pistole selbst in einem kleinen schmutzigen Kissenbezug reiste, den er irgendwo im schlammigen Frankreich aus einem halbzerstrten Haus geholt hatte.Soweit ich wei, hat mein Vater mit dieser Pistole nie geschossen. Es war einfach seine Trophe, seine Version des Skalps, den man dem unterlegenen Feind abnimmt. Jeder scho auf jeden, und er stand am Ende noch, also nahm er einem der Gefallenen die Pistole ab.Auch ich habe nie mit dieser Pistole geschossen, sowenig wie mit einer anderen. Ich hatte sogar Angst davor. So wie ich gebaut war, wrde mir das Ding in der Hand explodieren, wenn ich mit eingelegtem Magazin auf den Abzug drckte. Aber es war eine Waffe, und dazu die einzige, an die ich problemlos herankommen konnte. Und sie war mit Sicherheit nicht registriert, jedenfalls nicht in Amerika.Nachdem mein Vater gestorben war, wurde der alte Schrank aus seiner Rumpelkammer in meinen Keller verfrachtet, darin seine Armeeuniform, ein zusammengefalteter Seesack und ein Stapel Befehle, die ihn von Ort zu Ort fhrten, damals, in jener unvorstellbaren Zeit vor meiner Geburt. In einer Zeit, die ich mir gerne einfacher und sauberer vorstelle als die unsere. In einer Zeit, da man eindeutig wute, wer seine Feinde waren, und die brachte man um.Die Luger lag in ihrem Kissenbezug unten im Schrank, unter der modrig riechenden beige-oliven Uniform, daneben das Magazin, nicht mehr versteckt in dieser Socke aus grauer Vorzeit. Ich fand sie dort unten, am Tag meiner Entscheidung, holte sie hervor, und brachte Pistole und Magazin nach oben in mein Bro, den kleinen Raum, den wir Gstezimmer genannt hatten, bevor ich stndig zuhause war und ein Bro brauchte. Ich schlo die Tr und setzte mich an den kleinen Holztisch, der mir als Schreibtisch diente ich hatte ihn im letzten Jahr bei einer Haushaltsauflsung, etwa zehn Meilen von hier, einem besonders verzweifelten Haushaltsvorstand abgekauft und untersuchte die Pistole; sie schien mir sauber und funktionstchtig, ohne Rost oder erkennbare Beschdigung. Das Magazin, dieses kleine, kantige Metallteil, lag erstaunlich schwer in der Hand. An seiner Rckseite verlief ein Schlitz, durch den die Hlsen der acht darin befindlichen Patronen sichtbar waren, jede mit einem kleinen, runden, geschlossenen Auge. Wenn man dieses Auge mit dem Zndmechanismus der Pistole berhrt, jagt die Kugel los auf ihre einzige Reise.Konnte ich einfach das Magazin in die Pistole schieben, zielen und abdrcken? Gab es dabei ein Risiko? Voller Angst vor dem Unbekannten fuhr ich zur nchsten Buchhandlung, zur Filiale einer groen Kette in einem Einkaufszentrum, stberte ein kleines Handbuch fr Faustfeuerwaffen auf und kaufte es (wieder Unkosten!). Dieses Buch empfahl, ich solle verschiedene Teile len, was ich auch tat, mit Universall. Das Buch riet auerdem, ich solle mich zunchst an Trockenbungen versuchen abdrcken, ohne da Magazin oder Patronen geladen wren , was ich auch tat, und das Klicken klang gebieterisch und effizient. Offenbar besa ich tatschlich eine Waffe.Weiterhin gab das Buch zu bedenken, da fnfzig Jahre alten Patronen nicht unbedingt zu trauen sei, und wies mich an, das Magazin zu leeren und neu zu laden; also ging ich in ein Sportgeschft jenseits der Grenze in Massachusetts, erwarb ohne Probleme eine kleine, schwere Schachtel mit 9-mm-Patronen und brachte sie nach Hause, wo ich acht davon mit dem Daumen in das Magazin drckte, jedes glnzende Gescho gegen die Kraft der Feder, und dann das Magazin in den offenen Pistolengriff gleiten lie: Klick.Fnfzig Jahre lang lag dieses Werkzeug in der Dunkelheit, unter braunem Wollstoff, eingewickelt in einen franzsischen Kissenbezug, und wartete auf seinen Augenblick. Sein Augenblick ist gekommen.

Ich bte mit der Luger und fuhr dazu letzten Monat, im April, an einem sonnigen Wochentag gut dreiig Meilen westwrts, ber die Grenze nach New York, bis ich auf einer kleinen, gewundenen zweispurigen Teerstrae an ein verlassenes Feld kam. Hinter dem Feld zog sich ein dunkler, dichter Wald die Hgel hinauf. Dort stellte ich den Wagen am berwucherten Straenrand ab und lief ber das Feld, die Pistole schwer in der Innentasche meiner Windjacke.Unmittelbar vor dem Waldrand drehte ich mich um und sah niemanden auf der Strae vorbeifahren. Also nahm ich die Luger heraus, richtete sie auf einen Baum in der Nhe und drckte ab ganz rasch, um mir keine Zeit zu geben, Angst zu bekommen, wie das Bchlein mir erklrt hatte, und sie scho.Was fr ein Erlebnis. Ich rechnete nicht mit dem Rcksto, oder erinnerte mich jedenfalls nicht, etwas ber den Rcksto gelesen zu haben, und war daher nicht darauf vorbereitet, wie heftig die Luger hoch und zurck sprang; sie ri meine Hand so heftig mit, da mir das Ding fast ins Gesicht schlug.Umgekehrt war das Gerusch nicht so laut, wie ich es mir vorgestellt hatte, kein lauter Knall, sondern dumpfer, wie das Platzen eines Autoreifens.Ich traf natrlich nicht den Baum, auf den ich gezielt hatte, wohl aber den Baum daneben, der eine kleine Staubwolke von sich gab, als ob er ausgeatmet htte. Das zweite Mal, da ich nun zumindest wute, da die Luger funktionierte und nicht gleich hochging, zielte ich genauer, in der Position, die das Buch empfohlen hatte, mit angewinkelten Knien, nach vorne geneigtem Oberkrper und ausgestreckten Armen, die Pistole mit beiden Hnden umfassend, whrend das Ende des Laufs anvisiert wird, und diesmal traf ich exakt die Stelle des Baums, auf die ich gezielt hatte.Was schn war, aber etwas dadurch verdorben wurde, da meine Konzentration auf das Zielen mich wieder zu wenig auf den Rcksto achten lie. Diesmal sprang mir die Luger gnzlich aus den Hnden und fiel auf den Boden. Ich hob sie wieder auf, wischte sie sorgfltig ab und beschlo, ich msse erst die Sache mit dem Rcksto in den Griff bekommen, wenn ich dieses verdammte Gert benutzen wollte. Was, wenn ich beispielsweise je zweimal hintereinander feuern mte? Nicht so gut, wenn die Pistole dann auf dem Boden liegt oder, noch schlechter, mir ins Gesicht springt.Also nahm ich noch einmal Position ein und zielte diesmal auf einen weiter entfernten Baum. Ich umklammerte den Griff der Luger fest, und als ich scho, setzte sich der Rcksto durch meinen Arm und meinen ganzen Krper fort, so da ich nie richtig die Kontrolle ber die Pistole verlor. Die Wucht des Rckstoes zitterte und vibrierte durch meinen Krper, wie eine Welle, und gab mir ein Gefhl der Strke. Das gefiel mir.Natrlich wute ich genau, da ich durch diese Konzentration auf die physischen Details nicht nur der Vorbereitung entsprechendes Gewicht zuma, sondern auch solange wie mglich jeden Gedanken an das eigentliche Ziel der bung vermied, das Resultat all dieser Vorarbeiten. Der Tod eines Menschen. Auch wenn dies noch frh genug auf mich zukme. Ich wute es damals, und ich wei es heute.Drei Schsse; das war alles. Ich fuhr zurck nach Hause, reinigte die Luger, lte sie wieder, ersetzte die drei fehlenden Patronen im Magazin, rumte Pistole und Magazin getrennt in die unterste Schublade meines Aktenschranks und rhrte sie nicht mehr an, bis ich bereit war loszuziehen, um herauszufinden, ob ich tatschlich einen gewissen Herbert Coleman Everly tten konnte. Dann holte ich sie hervor und steckte sie in meine Reisetasche. Und was ich noch einpackte, neben den blichen Kleidern und Toilettenartikeln, war Mr. Everly Colemans Lebenslauf.

Herbert C. Everly835 Churchwarden LaneFall City, CT 06198(203)240-3677

BERUFSERFAHRUNG

ManagementVerantwortlich fr Einkauf von Zellstoff von kanadischer Tochtergesellschaft. Koordination von Aufgabenbereichen in der Polymerproduktion fr Oak Crest Paper Mills, Laurentian Resources (Kan.). berwachung von Lieferplnen fr Luftfahrt-, Auto-, Elektroindustrie etc. berwachung der Produktion (82 Mitarbeiter), Zusammenarbeit mit Vertrieb (23 Mitarbeiter).

Verwaltung und PersonalEinstellungsgesprche fr Abteilung. Verfassen von Mitarbeiteranalysen, Vorschlagswesen: Prfung von Gehaltserhhungen und Prmien, ggf. Beratung von Mitarbeitern.

Industrie23 Jahre Berufserfahrung, Papiermhlen, Verkauf von Papierprodukten, zwei Firmen.

AUSBILDUNG

BBA, Housatonic Business College, 1969

REFERENZENPersonalabteilungKriegel-Ontario Paper ProductsPostfach 9000Don Mills, OntarioKANADA

Heutzutage gibt es in unserem Land ein ganz neues Berufsfeld, eine Wachstumsbranche von Spezialisten, deren Aufgabe darin besteht, neue Arbeitslose auf die Jagd nach Jobs vorzubereiten und vor allem darauf, wie man das ungeheuer wichtige Bewerbungsschreiben verfat, wie man bei diesem immer hrter werdenden Kampf um einen neuen Job, einen anderen Job, den nchsten Job, berhaupt einen Job, einen Schritt in die richtige Richtung macht.HCE hat offenbar Rat von Experten eingeholt, seine Bewerbung riecht danach. Zum Beispiel kein Photo. Bei Bewerbern ber vierzig lautet eine gngige Theorie, man solle am besten kein Photo von sich beifgen, eigentlich gar nichts, was speziell auf das Alter des Bewerbers hinweist. HCE nennt nicht einmal die Dauer seiner Anstellung und beschrnkt sich auf nur zwei unvermeidliche Indizien: 23 Jahre und sein College-Abschlu im Jahre 1969.Auerdem ist HCE distanziert und effizient und nchtern oder mchte zumindest so erscheinen. Er sagt nichts ber seinen Familienstand, oder seine Kinder, oder seine sonstigen Interessen (Angeln, Kegeln, was immer). Er beschrnkt sich auf die relevanten Punkte.Es ist nicht unbedingt der beste Lebenslauf, den ich je gesehen habe, aber alles andere als der schlechteste; ungefhr mittelmig, denke ich. Gerade gut genug, um ein Vorstellungsgesprch zu bekommen, falls ein Papierhersteller Interesse haben sollte, auf der Managementebene jemanden mit groer Erfahrung in der Produktion und im Verkauf von spezialisierten Polymerpapierprodukten einzustellen. Gut genug, um einen Fu in die Tr zu bekommen, denke ich.Weshalb er sterben mu.

Bei all dem kommt es vor allem darauf an, absolut anonym zu bleiben. Nie in Verdacht zu geraten, keine Sekunde lang. Deshalb bin ich so vorsichtig, nur deshalb fahre ich gut fnfundzwanzig Meilen in Richtung Albany und berquere dabei die Grenze nach New York State, bevor ich nach Sden abbiege, um umstndlich wieder nach Connecticut zurckzufahren.Warum? Warum solch extreme Vorsicht? Mein grauer Plymouth Voyager ist schlielich nicht besonders auffllig. Ich finde eher, da heute jedes fnfte Auto auf der Strae so aussieht. Was aber, wenn, durch einen ungeheuren Zufall, irgendwelche Freunde, irgendwelche Nachbarn, die Eltern irgendeines Klassenkameraden von Betsy oder Bill, mich heute morgen in Connecticut in Richtung Osten unterwegs shen, whrend Marjorie erzhlt bekam, ich sei in New York State gen Westen oder gar schon im Flugzeug nach Pennsylvania unterwegs? Wie wrde ich das erklren?Marjorie wrde sofort glauben, ich htte ein Verhltnis. Obwohl ich mit Ausnahme dieser einen Geschichte vor elf Jahren, von der sie wei immer ein treuer Ehemann war, und sie wei auch das. Aber wenn sie glaubte, ich wrde eine andere Frau treffen, wenn sie den geringsten Anla htte, meine Fahrten und Erklrungen in Frage zu stellen, mte ich ihr dann nicht irgendwann die Wahrheit sagen? Und sei es nur, um sie nicht weiter zu beunruhigen?Ich war in privater Mission unterwegs, mte ich schlielich gestehen, um einen Mann namens Herbert Coleman Everly umzubringen. Fr uns, mein Schatz.Aber ein geteiltes Geheimnis ist kein Geheimnis mehr. Und berhaupt, warum sollte ich Marjorie mit diesen Problemen belasten? Sie kann nicht mehr tun, als sie ohnehin schon tut, die kleinen Einsparungen im Haushalt, mit denen sie sofort begann, als die Nachricht von meiner bevorstehenden Entlassung kam.Ja, so war es. Sie wartete nicht einmal auf meinen letzten Tag im Bro, und sie htte niemals gewartet, bis meine Abfindung aufgebraucht ist. In dem Augenblick, als ich mit der Nachricht nach Hause kam, da ich Teil des nchsten Stellenabbaus sein wrde, schnallte Marjorie den Grtel enger. Sie hatte es bei Freunden von uns miterlebt, bei Nachbarn, und sie wute, was auf sie zukam und wie sie im Rahmen ihrer Mglichkeiten damit umzugehen hatte.Die Gymnastikstunden wurden gestrichen, dazu der Kurs in Gartenpflege. Sie kndigte HBO und Showtime, so blieb nur noch Kabelfernsehen; Antennenempfang ist in unserer hgeligen Ecke von Connecticut praktisch unmglich. Lamm und Fisch verschwanden vom Tisch, ersetzt durch Hhnchen und Nudeln. Zeitschriftenabonnements wurden nicht mehr verlngert. Streifzge durch Shopping Malls wurden ebenso eingestellt wie die ausgiebigen Wanderungen durch Stew Leonards, den Einkaufswagen in der Hand.Nein, Marjorie tut, was sie kann, mehr kann ich nicht verlangen. Warum sollte ich sie also bitten, daran teilzunehmen? Vor allem, solange ich selbst noch nicht genau wei, nach all den Planungen, all den Vorbereitungen, ob ich es schaffe. Diesen Menschen umzubringen. Und jenen.Ich mu, das ist alles.Nachdem ich wieder in Connecticut angelangt bin, ein ganzes Stck sdlich unseres Wohnorts, halte ich an einem Laden mit Tankstelle; ich will tanken und die Luger aus meinem Koffer nehmen, um sie unter den kunstvoll zusammengelegten Regenmantel auf dem Beifahrersitz neben mir zu legen. An der Tankstelle ist sonst niemand, nur der Pakistani, der sich hinter der Theke rkelt, umgeben von sprlich bekleideten Covergirls und Sigkeiten, und eine unbesonnene Sekunde lang sehe ich dies als die Lsung meines Problems: berflle. Einfach mit der Luger in der Hand hineingehen, dem Pakistani das Geld aus der Kasse abknpfen, und weg.Warum nicht? Ich knnte das den Rest meiner Tage oder zumindest, bis die Rentenversicherung etwas springen lt ein- oder zweimal die Woche tun und weiter meine Schulden abbezahlen, weiter die Ausbildung von Betsy und Bill finanzieren und sogar wieder Lammkeule auf den Abendtisch bringen. Einfach ab und zu das Haus verlassen, in eine andere Gegend fahren und einen kleinen Supermarkt ausrauben. Das wre super.Ich gluckse in mich hinein, als ich mit der Zwanzig-Dollar-Note in der Hand den Laden betrete und sie bei dem mrrischen und unrasierten Kerl gegen eine Ein-Dollar-Note eintausche. Eine absurde Vorstellung. Ich, ein bewaffneter Ruber. Mrder ist leichter vorstellbar.Ich fahre weiter ost- und ein wenig sdwrts; Fall City liegt am Connecticut, nicht weit nrdlich von der Stelle, wo das Flchen in den Long Island-Sund mndet. Mein Straenatlas verrt mir, da Churchwarden Lane eine gewundene schwarze Linie ist, die sich westwrts von der Stadt entfernt, weg vom Ufer. Laut Karte erreiche ich sie auch von Norden, ber eine Nebenstrae namens William Way, und umgehe so die Stadt.Die Huser in den Hgeln nordwestlich von Fall City sind meist gro und unauffllig, hell mit dunklen Fensterlden und fr Neuengland typisch auf groen Parzellen mit reichem Baumbestand. Vier Hektar pro Grundstck vermute ich. Langsam kurve ich ber die schmale Strae, sehe die stattlichen Huser, aber weit und breit weder die wohlhabenden Leute noch ihre wohlhabenden Kinder. Hinweise gibt es jedoch berall. Basketballkrbe. Zwei oder drei Wagen in breiten Einfahrten. Schwimmbecken, noch nicht fr den Sommer abgedeckt. Huser mit schnem Ausblick, Waldwege, liebevoll wieder aufgerichtete Steinmauern. Weitlufige Grten. Ab und zu ein Tennisplatz.Ich frage mich, whrend ich hier fahre, wieviele dieser Leute durchmachen, was ich in diesen Tagen durchmache. Ich frage mich, wieviele von ihnen jetzt erkennen, wie dnn der Boden wirklich ist, unter diesem kurz gehaltenen Rasen. Wer einen Zahltag versumt, der sprt dieses panische Flattern. Wer jeden Zahltag versumt, der sprt, wie es einem dann geht.Ich merke, da ich mich auf all das konzentriere, auf die Huser, die Zeichen der Sicherheit und Zufriedenheit, um nicht nur von meinem Plan abzulenken, sondern um mich in meinem Entschlu zu bestrken. Mir steht dieses Leben zu, nicht weniger als diesen verdammten Leuten in dieser verdammten kurvigen Strae, mit ihren Namen auf den Designerbriefksten und rustikalen Holzschildern.

The WindhullsCabett.Marsdon.The Elyot Family.

Nach der Karte gabelt sich William Way an der Churchwarden Lane. Ich fahre links. Die Briefksten stehen alle auf der linken Straenseite, und der erste, den ich sehe, trgt die Nummer 1117. Die nchsten drei haben Namen anstatt Zahlen, und dann kommt 1112; so wei ich, da ich in die richtige Richtung unterwegs bin.Auerdem nhere ich mich der Stadt. Die Strae fhrt meist bergab, die Huser werden weniger herrschaftlich, die Indizien sprechen eher fr Mittelstand als fr gehobenen Mittelstand. Pat schlielich auch besser zu Herbert und mir. Was keiner von uns verlieren will, da es alles ist, was wir haben.Die Neunhunderter, und schlielich die Achthunderter, und da ist 835, nur durch die Nummer gekennzeichnet; HCE gehrt offenbar zum bescheidenen Typ, der nicht gleich am Grundstcksrand mit seinem Namen protzt. Die Briefksten stehen immer noch alle auf der linken Seite, aber Everlys Haus ist sicher das zur rechten, mit einer Lebensbaumhecke am Straenrand, asphaltierter Einfahrt, gepflegtem Rasen mit zwei hbschen Bumen darauf und einem bescheidenen, mit weien Schindeln verkleideten Haus, das von niedrigem Immergrn umgeben ist und ein gutes Stck zurckversetzt liegt; wahrscheinlich Ende 19. Jahrhundert, mit spter hinzugefgter Doppelgarage und umlaufender Veranda.Ein roter Jeep ist hinter mir. Ich fahre weiter, nicht zu schnell, nicht zu langsam, und nach etwa einer Viertelmeile sehe ich den Postboten entgegenkommen. Die Postbotin, genauer gesagt, in einem kleinen weien Kombi, der mit US MAIL-Aufklebern zugepflastert ist. Sie sitzt in der Mitte, so da sie mit der linken Hand und dem linken Fu steuern und fahren und sich dabei trotzdem nach rechts beugen kann, um durch das rechte Seitenfenster die Briefksten zu erreichen.Dieser Tage bin ich fast immer zuhause, wenn die Post verteilt wird, denn dieser Tage habe ich ein mehr als beilufiges Interesse an der Chance auf gute Nachrichten. Htten letzten Monat oder letzte Woche oder noch gestern gute Nachrichten in meinem Briefkasten gelegen, wre ich jetzt nicht hier, in Churchwarden Lane, um Herbert Coleman Everly aufzulauern.Mte er nicht auch zuhause sein, aus dem Wohnzimmerfenster sehen und auf die Post warten? Keine guten Nachrichten heute, frchte ich. Heute schlechte Nachrichten.Der Grund, weshalb ich fr das Everly-Projekt eine bernachtung veranschlagt habe, liegt darin, da mir vllig unklar war, wie lange es dauern wrde, ihn zu finden und zu identifizieren, welche Gelegenheiten sich bieten wrden, an ihn heranzukommen, wieviel Zeit ich darauf verwenden mte, ihn zu verfolgen, auf ihn zu warten, ihm aufzulauern, bevor sich die Gelegenheit zum Handeln bietet. Doch jetzt, habe ich den Eindruck, stehen die Chancen sehr gut, da ich mir Everly praktisch gleich vorknpfen kann.Das ist gut so. Das Warten, die Spannung, die Zweifel; auf all das bin ich nicht besonders scharf.Ich biege in eine Einfahrt, um den Jeep vorbeizulassen, und stoe dann wieder zurck auf die Strae, um noch einmal bergauf zu fahren, von wo ich gekommen war. Ich passiere das Postfahrzeug, und fahre weiter. Ich passiere Nummer 835, und fahre weiter. Ich komme an eine Kreuzung, biege nach rechts, kehre dann um und komme wieder zum Stopschild von Churchwarden zurck. Dort schlage ich meinen Straenatlas auf, lehne ihn gegen das Lenkrad und studiere ihn, whrend ich gleichzeitig aufpasse, wann der weie Kombi von der Post auftaucht. In Churchwarden Lane ist fast kein Verkehr, und auf dieser Straenseite gar keiner.Das schmutzig-weie Auto; es kommt mir entgegen, fahrt los, hlt an. Ich schlage den Straenatlas zu, lege ihn hinter mich auf den Rcksitz und biege dann links nach Churchwarden ein.Mein Herz klopft. Ich fhle mich fahrig, als wre ich mit den Nerven vollkommen am Ende. Einfache Bewegungen wie beschleunigen oder bremsen, kleine Korrekturen des Lenkrads, fallen mir auf einmal uerst schwer. Ich berkompensiere, kann meine Bewegungen nicht mehr richtig steuern.Vor mir berquert ein Mann die Strae, von rechts nach links.Ich hechle, wie ein Hund. Gegen die anderen Symptome habe ich nichts, rechne fast damit, aber hecheln? Ich verachte mich. Animalisches Verhalten Der Mann erreicht den mit 835 gekennzeichneten Briefkasten. Ich trete auf die Bremse. Es ist kein Verkehr zu sehen, weder vor noch hinter mir. Ich drcke den Knopf, und das Fenster auf der Fahrerseite gleitet lautlos nach unten. Ich berquere die leere Strae, hre jetzt, bei offenem Fenster, das Knirschen der Reifen, spre die khle Frhlingsluft auf Wangen und Schlfe und gedmpft in meinem Ohr.Der Mann hat Briefe, Rechnungen, Kataloge, Zeitschriften herausgezogen; die bliche Handvoll. Whrend er die Vorderklappe des Briefkastens schliet, bemerkt er mein Nherkommen und dreht sich um, die Brauen fragend hochgezogen.Ich wei, da er neunundvierzig Jahre alt ist, aber auf mich wirkt er lter. Vielleicht haben die letzten zwei Jahre der Arbeitslosigkeit ihren Tribut gefordert. Sein Schnurrbart, zu buschig fr meinen Geschmack, Salz und Pfeffer mit zuviel Salz. Sein Teint ist bla und grau und matt, obwohl er eine hohe Stirn hat, die eigentlich den Himmel reflektieren sollte. Sein Haar ist schwarz, zurckgekmmt, dnn, gerade, weich, grau an den Schlfen. Er trgt eine Brille mit dunklem Gestell Schildpatt? , die fr sein Gesicht zu gro wirkt. Oder vielleicht ist sein Gesicht nur fr die Brille zu klein. Er trgt eines seiner Brohemden, blauwei gestreift, unter einer offenen Strickjacke. Seine khakifarbene Hose ist ausgebeult, mit Grasflecken; vielleicht ist er ein Gartenliebhaber, oder er hilft seiner Frau zuhause, da er jetzt so viel Freizeit hat. Die Hnde, die seine Post halten, sind erstaunlich dick, mit groen Kncheln, als wre er gar kein Schreibtischmensch, sondern ein Farmer. Ist das der falsche Mann?Ich halte neben ihm und lchle durch das offene Fenster. Mr. Everly?Ja?Ich mchte sichergehen; das knnte ein Bruder sein, ein Cousin. Herbert Everly?Ja? Entschuldigen Sie, aber ich kenne Sie nicht, vervollstndige ich den Satz in Gedanken fr ihn. Nein, du kennst mich nicht, und wirst mich niemals kennenlernen. Und genausowenig werde ich dich jemals kennenlernen, denn sonst knnte ich dich vielleicht nicht umbringen, und es tut mir leid, aber ich mu dich wirklich tten. Ich meine, einer von uns mu sterben, und ich bin derjenige, der die Idee als erster hatte; damit bleibst du brig.Ich ziehe die Luger unter dem Regenmantel hervor und strecke sie ein Stck durch das offene Fenster. Sehen Sie das?Er starrt sie an und erwartet zweifellos, da ich sie ihm verkaufen will oder ihm erzhle, ich htte sie gerade gefunden und wolle fragen, ob sie ihm gehre, oder was immer der letzte Gedanke sein mag, der ihm durch den Kopf schiet. Er starrt sie an, ich drcke ab, die Luger springt im Fensterrahmen hoch, sein linkes Brillenglas zerspringt, und sein linkes Auge wird zu einem Schacht, der tief zum Mittelpunkt der Erde fhrt.Er fllt nach hinten um. Einfach um und weg, kein Theater, kein Sprung, einfach um und weg. Seine Post flattert im Wind davon.Ganz hinten in meiner Kehle produziere ich einen Laut wie jemand, der diesen vietnamesischen Namen auszusprechen versucht. Sie wissen schon: Ng. Ich lege die Luger auf meinen Regenmantel und fahre weiter die Churchwarden Lane hinunter, einen zitternden Finger auf dem Fensterknopf, bis das Fenster wieder ganz geschlossen ist. Ich biege nach links, dann nochmals links, und zwei Meilen spter fllt mir endlich ein, die Luger unter den Regenmantel zu legen.Meine Route ist von jetzt an festgelegt. Nach ein paar Meilen komme ich an die Interstate 91, die ich nach Norden durch Hartford und bei Springfield weiter nach Massachusetts nehmen werde. Noch ein wenig weiter nrdlich fahre ich auf dem Massachusetts Turnpike nach Westen, wieder in Richtung New York State. Die Nacht verbringe ich in einem gnstigen Motel bei Albany, zahle bar, und morgen nachmittag kehre ich arbeitslos von meinem Vorstellungsgesprch in Harrisburg zurck.Na. Sieht doch aus, als knnte ich es.

2

Elf Monate lang habe ich mitgespielt. Oder sechzehn, wenn man die letzten fnf Monate in der Papiermhle dazurechnet, nachdem ich die Kndigung erhalten hatte, aber bevor meine Stelle, wie sie es ausdrckten, unrentabel wurde, die Zeit der Beratung, das Bewerbungstraining, das Abwgen von Optionen. Diese ganze Farce, als arbeiteten wir alle, die Firma und ihre Reprsentanten und die Experten und die Berater und meine Wenigkeit, als arbeiteten wir alle gemeinsam an einer schwierigen, aber lohnenden Aufgabe, an deren Ende meine persnliche Zufriedenheit stehen sollte. Erfllung. Glck.Gehen Sie nicht im Zorn; gehen Sie einfach.Schon lnger, seit ein oder zwei Jahren, hatte es Gerchte ber den bevorstehenden Stellenabbau gegeben, und tatschlich hatte man zweimal ein wenig die Spreu vom Weizen getrennt, aber dies war nur ein Vorspiel, und jeder wute es. Als mir im Oktober 1995 dann zusammen mit dem Scheck die Kndigung berreicht wurde, war ich gar nicht so schockiert, wie ich es eigentlich htte sein knnen, und zunchst nicht einmal so unglcklich. Alles wirkte so geschftsmig, so durchdacht, so professionell, da ich eher den Eindruck hatte, ich wrde gestillt als entwhnt. Aber entwhnt wurde ich trotzdem.Und ich hatte jede Menge Gesellschaft, wei Gott. Die Belegschaft von Halcyon Mills wurde am Standort Belial von zweitausendeinhundert auf tausendfnfhundertfnfundsiebzig abgebaut; eine Reduzierung um etwa ein Viertel. Meine Produktlinie wurde vllig aufgegeben, die gute alte Maschine Nr. 11 zum Schrott gegeben, die Arbeit von der kanadischen Tochterfirma bernommen. Und die lange Vorlaufzeit so schien es damals jedenfalls von fnf Monaten gab mir nicht nur viel Zeit, um mich nach einer anderen Stelle umzusehen, sondern bedeutete auch, da ich ber Weihnachten noch Gehalt bekommen wrde; nett von ihnen.Die Abfindung war bestimmt recht grozgig, denke ich, im Rahmen dessen, was im Moment als grozgig und vernnftig gilt. Wir gekndigten Mitarbeiter erhielten eine Pauschale von einem Monatsgehalt pro zwei Jahre Anstellung, zum jetzigen Gehaltsniveau. In meinem Fall, da ich zwanzig Jahre bei der Firma war, vier als Verkaufsleiter und sechzehn als Produktmanager, waren das zehn Monatsgehlter, von denen zwei etwas niedriger ausfielen. Auerdem bot die Firma an, unsere Krankenversicherung wir bernehmen zwanzig Prozent unserer Krankenkosten selbst, zahlen aber keine Versicherungsprmien pro fnf Beschftigungsjahre noch ein Jahr lang zu bernehmen, was in unserem Fall auf vier Jahre kam. Volle bernahme fr Marjorie und mich, auerdem fr Billy noch die zweieinhalb Jahre, bis er neunzehn ist; Betsy ist bereits neunzehn und damit nicht versichert, eine weitere Sorge. Knftig, in fnf Monaten, an Billys neunzehntem Geburtstag, ist auch er nicht mehr versichert.Aber das war noch nicht alles, was wir an Abfindung erhielten. Es gab auch eine einmalige Sonderzahlung, um Urlaub, Krankheitstage und was wei ich abzudecken, deren Hhe durch ein aberwitzig kompliziertes Formular ermittelt wurde, das mit Sicherheit zutiefst gerecht war, und mein Scheck belief sich auf viertausendsiebenhundertsechzehn Dollar und zweiundzwanzig Cents. Ehrlich gesagt, wenn es nur neunzehn Cents gewesen wren ich wei nicht, ob ich es gemerkt htte.Ich denke, die meisten von uns, die kaltgestellt werden, betrachten ihre bevorstehende Arbeitslosigkeit lediglich als unverhofften Urlaub und meinen, wir knnten praktisch morgen bei einer anderen Firma wieder anfangen. Aber so luft es heute nicht. Die Entlassungen sind zu massiv, und zwar durch die Bank in allen Branchen, und die Zahl der feuernden Firmen ist viel grer als die der heuernden. Immer mehr von uns sind mittlerweile drauen, vielleicht tausend jeden Tag, und wir schlagen uns um immer weniger Jobs.Man stellt seinen Lebenslauf, die Ausbildung und die Berufserfahrung, das ganze Leben, auf einer Seite zusammen. Man kauft Schnellhefter und eine Rolle Briefmarken. Man bringt die Bewerbung zur Drogerie mit dem Kopiergert und macht dreiig Kopien zu je fnf Cents. Man fngt an, mit roter Tinte die aussichtsreichsten Stellenangebote in der New York Times einzukringeln.Auerdem abonniert man selbst die jeweiligen Fachpublikationen, die Zeitschriften, die frher der Arbeitgeber fr einen abonniert hat. Doch die Abonnements waren nicht im Abfindungspaket enthalten. Pulp und The Paperman, die Zeitschriften fr meine Branche, erscheinen beide monatlich, sind beide ziemlich teuer. Als sie noch umsonst waren, habe ich sie kaum gelesen, jetzt studiere ich sie von vorne bis hinten. Schlielich mu ich auf dem laufenden bleiben. Ich darf nicht zulassen, da sich die Branche ohne mich verndert.In beiden Zeitschriften finden sich Stellenangebote, und in beiden Stellengesuche. In beiden werden mehr Stellen gesucht als angeboten.Zumindest war ich nie dumm genug, Geld fr ein Stellengesuch auszugeben.In den Jahren meiner Anstellung habe ich mich stark auf eine bestimmte Papierart und Herstellungsmethode spezialisiert. Das war ein Thema, ber das ich wirklich alles wute und wei. Aber ganz zu Anfang, vor fnfundzwanzig Jahren, als ich als Vertreter fr Green Valley anfing, bevor ich zu Halcyon ging, vertrieb ich alle mglichen Industriepapiere, und ich lernte sie alle kennen. Ich lernte Papier, das ganze aufregende und komplexe Feld.Ich wei, da viele Leute Papier fr langweilig halten, und so will ich mich nicht weiter darber auslassen, aber eigentlich ist Papier alles andere als langweilig. Wie es gemacht wird, die millionenfachen Verwendungsmglichkeiten Wir essen sogar Papier, wuten Sie das? Eine bestimmte Art von Pappe auf Papierbasis wird in vielen Eissorten eingesetzt, als Bindemittel.Der Punkt ist, ich kenne Papier, und ich knnte mit ein wenig Einarbeitung in ein bestimmtes Spezialgebiet beinahe jede Managementposition in der Papierbranche bernehmen. Aber wir sind so viele, da die Firmen berhaupt keine Notwendigkeit sehen, auch nur die geringste Einarbeitung zu bernehmen. Sie mssen niemanden einstellen, der lediglich gut ist und dann ihren Erfordernissen entsprechend den letzten Schliff erhlt. Sie finden jemanden, der bereits genau ihre Ablufe kennt, darin von einem anderen Arbeitgeber geschult wurde und darauf brennt, fr Sie zu arbeiten, fr weniger Geld und schlechtere Sozialleistungen, nur weil es eine Anstellung ist.Ich habe die Anzeigen studiert, meine Bewerbung verschickt, aber passiert ist zumeist gar nichts. Keine Reaktion. Keine Antwort auf all die Fragen, die man naturgem stellt: Ist meine Gehaltsvorstellung zu hoch? Habe ich in der Bewerbung irgendetwas schlecht formuliert? Habe ich etwas weggelassen, was ich htte erwhnen sollen?Hier ist meine eigene Bewerbung. Ich entschied mich fr absolute Nchternheit, Wahrheit und Klarheit. Kein Frisieren des Alters, und kein unntiges Protzen mit meinen Fhigkeiten und meiner Ausbildung. Meine College-Kurse habe ich allerdings aufgefhrt, weil ich glaube, da es gut ist, die eigene Vielseitigkeit zu betonen. Ich glaube es. Wer wei?

Burke Devore62 Pennery Woods RoadFairbourne, CT 06668(203) 567-9491

BERUFSERFAHRUNG

1980- Produktmanager, Halcyon MillsVerantwortlich fr Herstellung und Vertrieb spezialisierter Polymerpapierprodukte.1975-1979 Verkaufsleiter, Halcyon MillsKoordination des Vertriebs auf dem Gebiet der spezialisierten Papieranwendungen.1971-1975 Vertreter, Green Valley Paper & Pulp.Erlernen und Beschreiben der kompletten Produktpalette. Erfolgreichster Vertreter in 19 von 45 Monaten.1969-1971 Busfahrer, Hartford, CT.1967-1969 Armeedienst, Fernmeldespezialist, Maschineschreiben, Kenntnisse in der Funktechnik.

AUSBILDUNG

B.A., Northwest Connecticut State University, 1967. Hauptfach: Amerikanische Geschichte. Debattierclub. Leichtathletik.

Gelegentlich kommt auf diesen Lebenslauf eine Reaktion, und mein Herz macht einen Sprung. Ich bekomme einen Anruf oder einen Brief, normalerweise einen Anruf, und ein Termin wird ausgemacht. Normalerweise ist es irgendwo im Nordosten, nur einmal war es in Wisconsin und einmal in Kentucky. Wo immer es ist, kommt man fr die Reisekosten selbst auf. Man will diesen Termin wahrnehmen.Man duscht ausgiebig, kleidet sich sorgfltig, versucht, die Balance zwischen Selbstbewutsein und unbeschwerter Herzlichkeit zu finden. Man will nicht von sich eingenommen, aber auch kein Speichellecker sein. Man kommt zusammen, plaudert, diskutiert. Vielleicht besichtigt man mit dem Personalchef sogar das Werk, zeigt seine Vertrautheit mit der Maschine, dem Produkt, der Arbeit. Dann fhrt man nach Hause und hrt nichts mehr.Von Zeit zu Zeit steht in Pulp oder The Paperman eine kurze Mitteilung, in der eine Papiermhle bekanntgibt, da sie so und so fr die und die Managementposition eingestellt hat, und dazu das bliche Photo von dem verfluchten grinsenden Glckspilz. Und beim Lesen merke ich, da ich mich auf dieselbe Stelle beworben habe, und ich kann nicht anders, ich mu immer wieder das Gesicht von diesem Typen studieren, sein Lcheln, seine Krawatte. Warum er? Warum nicht ich?Ab und zu erscheint dort das Bild einer Frau, oder eines Schwarzen, und ich denke Quotenzeit, sie stellten nach politischen Kriterien ein und nicht nach fachlichen, und komischerweise geht es mir dadurch besser. Weil es dann nicht mein Fehler war. Wenn sie eine Frau oder einen Schwarzen wollten und bei Leuten wie mir die Bewerbung nur der Form halber durchzogen, konnte ich daran nichts ndern, oder? Keine Schuld also.In anderen Fllen habe ich die Schuld aber sehr wohl gesprt. Warum er, warum der Typ mit dem rhrseligen Lcheln oder den riesigen Ohren oder dem lausigen Haarschnitt? Warum nicht ich? Was hat er getan oder gesagt? Was stand in seiner Bewerbung und in meiner nicht?Das hat mich umgetrieben, das war die erste Frage. Was steht bei denen in der Bewerbung? Was haben die voraus? Das hat mich zu meiner Anzeige bewogen.

3

Gestern ttete ich Herbert Coleman Everly, heute komme ich von meinem Vorstellungsgesprch in Harrisburg zurck, und als ich um vier Uhr nachmittags das Haus betrete, wartet Marjorie im Wohnzimmer auf mich. Sie tut so, als lese sie ein Buch sie leiht Romane in der Bcherei aus, seit wir weniger Zeitschriften und Fernsehprogramme haben , aber eigentlich wartet sie auf mich. Es stimmt, sie kennt nicht das ganze Ausma unserer Probleme, aber sie wei, da es Probleme gibt, und sie merkt, da ich Sorgen habe.Bevor sie fragen kann, schttele ich den Kopf. Keine Chance.Burke? Sie steht auf, lt den Roman hinter sich auf den Stuhl fallen. Das wei man nie, will sie mich aufmuntern.Oh, doch, ich wei es, erwidere ich und zucke mit den Achseln. Ich lge Marjorie nicht gerne an, aber es bleibt mir nichts anderes brig. Ich kenne die Personalchefs inzwischen ganz gut, erklre ich ihr. Der mochte mich einfach nicht.Oh, Burke. Sie legt die Arme um mich, und wir kssen uns. Ich spre ein leichtes Kribbeln, aber es hlt nicht an, es ist wie ein Unterwasser-Echo. Kein U-Boot, sondern die Brechung eines U-Boots.Ist Post gekommen? frage ich. Ich denke an Everly.Nichts nichts Wichtiges jedenfalls.So.Viele Mnner in meiner Situation lassen ihre Enttuschung heute an ihren Familien aus, vor allem an ihren Frauen. Eine Menge Frauen werden dieser Tage geschlagen, von den Arbeitslosen aus dem Mittelstand. Ich mu gestehen, da ich diesen abscheulichen Drang selbst gesprt habe, den Drang zu zerstren und dadurch Frust abzulassen, da man einfach auf das nchstbeste Ziel eindrischt.Aber ich liebe Marjorie, und sie liebt mich, und wir hatten immer eine gute Ehe; warum sollte ich also zulassen, da uns dieser uere Einflu auseinanderreit? Wenn ich losschlage, wenn ich zerstre, sollte ich meine Gewalt schon produktiver einsetzen. Und das werde ich auch.Abgesehen von jedem anderen Nutzen, den ich (hoffentlich rechtzeitig) daraus ziehen werde, habe ich durch das, was ich gestern getan habe, noch besser dafr gesorgt, da ich niemals auf meinen Liebling losgehen wrde. Nie.So, wiederhole ich, wir lcheln uns freundschaftlich und wehmtig an, und ich trage meinen Koffer ins Schlafzimmer, whrend Marjorie zu ihrem Roman zurckkehrt.Wohl wissend, da sie mit ihrem Buch im Wohnzimmer bleiben wird, bringe ich die Luger und Everlys Bewerbung in mein Bro und verstaue beides im Aktenschrank. Dann gehe ich zurck ins Schlafzimmer, packe aus, ziehe mich aus und dusche lange, das zweite Mal an diesem Tag. Unter der Dusche gestatte ich mir endlich, an Herbert Everly zu denken.Ein Mann, ein anstndiger Mann, ein netter Mann, ganz wie ich. Nur drfte er wahrscheinlich niemanden umgebracht haben. Ich fhle mich schrecklich wegen ihm, wegen seiner Familie. Ich konnte letzte Nacht kaum einschlafen, tagsber wurde ich immer wieder von Schuldgefhlen geplagt und dachte ernsthaft daran, die ganze Sache aufzugeben, das gesamte Projekt abzublasen, kaum da es begonnen hat.Aber welche Alternative habe ich? Ich stehe im heien Wasser, sauber und immer sauberer, und gehe in Gedanken noch einmal alles durch. Die Rechnung ist hart und real und skrupellos. Uns geht das Geld aus, Marjorie und mir und den Kindern, und uns luft die Zeit davon. Ich mu eine Anstellung finden, das ist alles. Ich bin kein Selbstlufer, ich werde kein neues Teil erfinden, ich werde nicht aus dem Stand meine eigene Papiermhle aufbauen. Ich brauche einen Job.Wir sind einfach zu viele, und ich mu der Tatsache ins Auge sehen, da ich fr niemanden die erste Wahl sein werde. Wenn es nur um die Arbeit ginge, nur um das Wissen und die Erfahrung, nur um die Fhigkeiten und Kenntnisse, nur um das Engagement und die Kompetenz, kein Problem. Aber wir sind einfach zu viele, die sich um zu wenige Jobs bemhen, und es stehen noch andere drauen, die genauso erfahren und engagiert und kompetent sind wie ich, und dann kommt es auf die Feinheiten an, die kaum fabaren Nuancen.Liebenswrdigkeit. Klang der Stimme. Lcheln. Ob Sie und Ihr Gesprchspartner dieselbe Sportart mgen. Wie ihm Ihre Krawatte gefllt.Es wird immer immer immer jemanden geben, der dem Ideal genau um dieses Quentchen nher kommt als ich. Auf diesem Arbeitsmarkt mu niemand den zweitbesten nehmen, und entweder akzeptiere ich diese Tatsache, oder ich bin sehr lange sehr unglcklich und ziehe meine Familie mit hinunter. Also mu ich es akzeptieren, und ich mu lernen, damit umzugehen.Ich hre auf zu duschen, ziehe mich an und gehe ins Bro. Ich schaue auf meine Liste und denke mir, da es wahrscheinlich besser wre, nicht innerhalb weniger Tage zwei Menschen im selben Bundesstaat umzubringen. Ich will vermeiden, da die Behrden nach einem bestimmten Muster suchen.Andererseits habe ich nicht viel Zeit. Ich habe die Operation begonnen, und ich mu sie rasch zu Ende bringen, bevor etwas dazwischenkommt und alles ruiniert.Da ist einer, in Massachusetts. Nchsten Montag fahre ich nach Norden.

4

Offiziell gehrt der Computer der ganzen Familie, aber eigentlich benutzt ihn Billy, und in Anbetracht dieser Tatsache wanderte er vor einem Jahr in Billys Zimmer. Ich habe ihn Weihnachten 1994 der Familie geschenkt, im Jahr bevor ich abgebaut wurde, als unsere Finanzen noch geregelt waren. Das Geld flo hinaus, fr Tilgungsraten und Steuern und Schulgeld und Essen und Benzin und Kleidung, dazu fr all die Dinge, ber die wir uns kaum Gedanken machten, fr die wir aber kein Geld mehr ausgeben, wie Leihvideos, aber das Geld flo auch herein, genug, um die Ausgaben zu decken, im schnen Rhythmus von Ebbe und Flut, wie das Ein- und Ausatmen eines gesunden Krpers. Der Kauf eines Computers fr die Familie war also ein Luxus, aber so luxuris nun auch wieder nicht.Die Stze stammen von Charles Dickens, aus David Copperfield: Er beschwor mich feierlich, mir an seinem Schicksal ein Beispiel zu nehmen und nie zu vergessen, da ein Mann mit zwanzig Pfund Jahreseinkommen glcklich ist, wenn er neunzehn Pfund neunzehn Schillinge und sechs Pence verausgabt, da er sich aber zugrunde richtet, wenn er einen Schilling mehr verzehrt. Nicht gesagt hat er, was das Ergebnis ist, wenn das Jahreseinkommen auf null sinkt, aber das mute er auch nicht.Der Punkt ist: Der Computer trat in unser Leben, als wir noch glaubten, wir knnten uns dieses Leben leisten, und er ist immer noch bei uns, in Billys Zimmer, auf dem metallenen Rolltisch, der gleichzeitig dafr angeschafft wurde. Billys Zimmer ist klein, und gerammelt voll, wie oft bei Jungs in seinem Alter, aber komischerweise ist es ordentlicher, seit der Computer und der Tisch noch zustzlich hineingeschoben wurden. Oder er hat sich in letzter Zeit einfach nicht so viele Sachen kaufen, den Stapel seiner Besitztmer nicht noch weiter auftrmen knnen.Also: Als all dies begann, im Februar, vor fast drei Monaten, ging ich als zweiten Schritt, noch bevor ich wute, wie der Plan aussah oder da es berhaupt einen Plan gab, in Billys Zimmer, setzte mich vor den Familiencomputer und entwarf aus der Flle verfgbarer Schriftarten und -gren einen Briefkopf. (Mein erster Schritt hatte darin bestanden, in einem Ort gut zwanzig Meilen von hier ein Postfach zu mieten.)

B.D. INDUSTRIAL PAPERSP.O. BOX 2900WILDBURY, CT 06899

Die Nummer des Postfachs lautete in Wirklichkeit 29, aber ich ergnzte die beiden Nullen, um sowohl das Postamt als auch entsprechend B.D. Industrial Papers imposanter erscheinen zu lassen. Ich witzelte darber mit der Schalterbeamtin, die die Idee amsant fand und meinte, sie htte keine Probleme damit, 2900 Briefe in Fach 29 zu stecken, da es in der ganzen Filiale nur achtundsechzig Fcher gebe.Als nchstes schrieb ich meine Anzeige, auf Grundlage der Annoncen, die ich seit mehr als einem Jahr in der Rubrik Stellenangebote eingekringelt hatte:

HERSTELLUNGFERTIGUNGSLEITER

PAPIERMHLE IM NO, SPEZIALISIERT AUF POLYMERE, KONDENSATORPAPIER U. FILM SUCHT PERSNLICHKEIT MIT LANGJ. ERF. IN SPEZIALPAP. ZUR BERW. EINER NEUEN PRODUKTL. AUF RENOV. ELEKTROLYTKONDENSATORPAPIERMASCH. MIND. 5 J. ERF. IN PAPIERMHLE. BERDURCHSCHNITTL. GEHALT, SOZIALLEISTUNGEN. BEWERBUNG U. GEHALTSVORST. ERBETEN AN POSTF. 2900, WILDBURY, CT 06899.

Dann rief ich bei der Anzeigenabteilung von The Paperman an, die eher solche Annoncen verffentlichte als Pulp, und lie meine Anzeige hineinsetzen, was fr drei aufeinanderfolgende Ausgaben fnfundvierzig Dollar kostete. Die Dame am Telefon meinte, es sei kein Problem, wenn ich mit einer Postanweisung anstatt mit einem Firmenscheck zahlte, nachdem ich erklrt hatte, wir seien eine kleine Firma mit wenig Erfahrung im Einstellen von auswrtigem Personal und zahlten diese Annonce aus der Portokasse.Dann fuhr ich erneut zum Postamt von Wildbury, bezahlte die Postanweisung und unterschrieb sie ganz fahrig, anders als sonst, mit Benj Dockery III. Der Kopierer in der Drogerie druckte mir schnes Geschftspapier nach dem Original aus, das ich am Computer entworfen hatte, und ich benutzte es, um den Wortlaut der Anzeige zusammen mit der Postanweisung an The Paperman zu schicken. Benj Dockery III unterschrieb auch den Brief.Die Anzeige erschien erstmals in der Mrzausgabe, die in der letzten Februarwoche herauskam, und als ich am ersten Montag im Mrz wieder nach Wildbury fuhr, waren fuhr Postfach 2900 siebenundneunzig Antworten eingegangen! Die Nullen ziehen die Post ja wirklich magisch an! bemerkte die Schalterbeamtin, wir lachten zusammen darber, und ich erklrte ihr, ich sei dabei, ein Handelsblatt zu Handelsblttern zu grnden. Dies sei die Reaktion auf eine Anzeige, die ich in verschiedenen Zeitschriften geschaltet habe.(Ich wollte nicht, da jemand auf die Idee kam, ich htte womglich mit irgendwelchen Briefbetrgereien zu tun, und mir einen Ermittler auf den Hals hetzte. Was ich tat, war vielleicht nicht verboten, aber es konnte uerst peinlich werden und, falls es herauskam, meine Einstellungschancen empfindlich schmlern.)Na, da wnsche ich Ihnen mal viel Glck, sagte sie. Heute machen sich immer mehr Leute selbstndig, ist Ihnen das schon aufgefallen? Ich stimmte zu.Diese erste Flut an Briefen verebbte bald zu einem stetigen Trpfeln, das in den Tagen nach der Verffentlichung der folgenden Ausgaben von The Paperman wieder anschwoll. Die Maiausgabe, die letzte mit meiner Anzeige, ist die aktuelle Nummer, und ich erhielt schon jetzt zweihunderteinunddreiig Zuschriften. Ich schtze, da noch einmal zehn dazukommen, und das wren dann alle.Es war faszinierend, diese Bewerbungen zu studieren, zu sehen, wieviel Angst darin lag, wieviel Heuchelei, und wieviel Entschlossenheit. Und auch wieviel anmaende, aufgeblasene und wichtigtuerische Dummheit; die Leute sind keine Konkurrenz, fr niemanden, solange nicht, bis das Leben ihnen die Flausen ein wenig ausgetrieben hat.Damals in der bergangsphase, als ich einen Teil meines Arbeitstages absa, um mich endlos schulen zu lassen, wie man arbeitslos ist, erzhlte eine unserer Beraterinnen, eine strenge, aber herzliche Frau, deren Aufgabe darin bestand, uns aufmunternde, aber mit harter Realitt durchsetzte Vortrge zu halten, eine Geschichte, von der sie schwor, da sie wahr war. Vor einigen Jahren, begann sie, gab es eine Entlassungswelle in der Luftfahrtindustrie, und viele kluge Ingenieure waren pltzlich arbeitslos. In Seattle beschlossen fnf von ihnen, eine eigene Erfindung zu machen, etwas Marktfhiges, und nach einer Menge Brainstorming und Memos entwickelten sie eine neue Variante von einer Art Spiel, etwas, das ein echtes Potential besa. Schon in Seattle muten sie erfahren, da niemand einen Wagen kaufen will, solange jeder nur versucht, den zweiten an den Mann zu bringen. Sie bemhten alle nur denkbaren Kontakte, Verwandte, Freunde, ehemalige Kollegen, und schlielich bekamen sie Kontakt mit einer Gruppe von Risikokapitalgebern aus Deutschland. Diesen Finanziers gefiel die Idee der Ingenieure, und sie standen kurz davor, ihnen das ntige Geld zu geben. Es fehlte nur noch eine persnliche Begegnung. Die Finanziers flogen drei Mann hoch von Mnchen nach New York, die Ingenieure kamen aus Seattle, man traf sich, und alle kamen bestens miteinander klar. Es sah so aus, als wrden die Ingenieure das Geld bekommen, ihre Firma grnden und am Ziel ihrer Wnsche sein. Dann sagte einer der Finanziers: Klren Sie mich noch ber den Zeitplan auf. Wenn wir Ihnen das Geld geben, was werden Sie damit als erstes tun? Und einer der Ingenieure gab zur Antwort: Also, als erstes begleichen wir mit dem Geld unseren Verdienstausfall. Und das war es dann. Die Ingenieure flogen mit leeren Hnden und leerem Kopf zurck nach Seattle. Weil sie, erklrte uns die Beraterin, das eine nicht begriffen hatten, was man begreifen mu, wenn man berleben und Erfolg haben will. Und dieses eine ist: Niemand schuldet Ihnen etwas. Ein Job und ein Gehalt und ein angenehmes Leben im Mittelstand sind keine Rechte, sie sind der Lohn, und dafr mssen Sie kmpfen. Das mssen Sie sich immer wieder in Erinnerung rufen: Die brauchen mich nicht, ich brauche die. Sie haben keine Ansprche. Sie haben Ihre Fhigkeiten, und Sie haben Ihre Bereitschaft zu arbeiten, und Sie haben die Intelligenz und das Talent und die Persnlichkeit, die Gott Ihnen mitgegeben hat, aber es kommt auf Sie an, etwas daraus zu machen.Ich habe diese Botschaft verinnerlicht, vielleicht strker, als es ihre Absicht war. Und ich habe die Bewerbungen der Leute gesehen, die nicht in den Genu ihres Ratschlags gekommen sind, der Leute, die immer noch wie dieser unbedarfte Ingenieur glauben, die Welt schulde ihnen ein Gehalt.Vielleicht ein Viertel der Bewerbungen riechen nach dieser berheblichkeit, nach diesem trotzigen Anspruchsdenken, da es doch bitteschn zu klappen hat. Bei den meisten liegt das Problem aber woanders; sie laufen ins Leere.Ich hatte eine Anzeige formuliert, auf die ich htte antworten knnen, die genau auf meine Berufserfahrung zugeschnitten war, ohne bermig speziell oder eng zu sein. Doch die Verzweiflung drauen im Lande ist so gro, da sich die Leute nicht auf die Stellenangebote beschrnken, bei denen sie vielleicht eine Chance haben. Offenbar verschicken sie ihre Bewerbungen im Dutzend, in der Hoffnung, da sie irgendwann das groe Los ziehen. Und manchmal klappt es ja vielleicht. Aber nicht im Papiergeschft. Nicht auf dem Spezialgebiet der Industriepapiere, auf dem ich Experte bin. Diese Leute sind Laien, wenn es um meinen Bereich geht, und sie machen mir keine Sorgen.Wohl aber einige der anderen. Leute, deren Qualifikation ganz hnlich ist wie meine, vielleicht sogar einen Tick besser. Leute mit einem Werdegang wie meinem, aber einer Ausbildung, die im Lebenslauf ein bichen besser aussieht. Die Leute, hinter denen ich rangieren wrde, wenn meine Annonce echt gewesen wre und ich meine eigene Bewerbung eingereicht htte.Leute wie Edward George Ricks.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Edward G. Ricks. Ich wurde am 17. April 1946 in Bridgeport, Conn. geboren. Ich besuchte in Bridgeport die Schule und erwarb 1967 am Henley Technical College in Broome, Conn., den Abschlu als Chemieingenieur.Whrend meines Dienstes bei der Marine 1968 bis 1971 war ich als Drucktechniker auf dem Flugzeugtrger Wilkes-Barre ttig, wo ich sowohl fr den Druck der tglich erscheinenden Schiffszeitung als auch aller schrittlichen Befehle und sonstigen Materialien verantwortlich war, und wo ich zum ersten Mal meine Erfahrung im Chemiebereich mit meinem Interesse an Spezialpapieren verbinden konnte.Im Anschlu an den Militrdienst erhielt ich eine Anstellung bei Northern Pine Pulp Mills, wo ich von 1971 bis 1978 in der Produktentwicklung ttig war. Als Northern Pine mit Graylock Paper fusionierte, wurde ich befrdert und war fortan an leitender Stelle fr eine Reihe von Fertigungsstraen verantwortlich.Von 1991 bis Frhjahr 1996 war ich bei Graylock fr die Fertigungsstrae fr Polymerpapierfilm verantwortlich, wo die meisten Kunden im militrischen Sektor ttig waren. Infolge der jngsten Krzungen im Militrhaushalt gab Graylock diese Produktlinie auf.Ich bin nun so frei, meine Erfahrung und meine Kenntnisse einem anderen zukunftsorientierten Unternehmen im Bereich Spezialpapiere anzubieten. Seit 1978 lebe ich in Massachusetts, ein Umzug wre jedoch kein Hindernis. Ich bin verheiratet, und meine drei Tchter sind zum gegenwrtigen Zeitpunkt (1998) alle an der Universitt.

Edward G. Ricks7911 Berkshire Way, Longholme, MA 05889413 555-2699

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Ich wrde ihn einstellen, eher als mich. Dieser Abschlu als Chemieingenieur ist mir wirklich ein Dorn im Auge.Und das Selbstbewutsein dieses Mannes. Und er war fnfundzwanzig Jahre bei der selben Firma, also mu er ein guter und treuer Angestellter sein (so wie die Firma natrlich ein schlechter und treuloser Arbeitgeber ist, worauf es aber nicht ankommt).Die Form seiner Bewerbung ist der einzige Punkt gegen ihn, aber das reicht nicht. Diese Anrede ist einfach zu geknstelt, und genauso die unterdrckte Geschwtzigkeit. Es nervt die Schwlstigkeit, er sei so frei, sich vorzustellen, und seine drei Tchter studierten an der Universitt, als wren sie alle in Oxford und nicht an irgendeinem Provinzcollege. Der Mann ist ohne Zweifel ein selbstgeflliger Pedant und Langweiler, aber er pat perfekt auf jede Stelle, fr die ich nur sehr gut geeignet wre, und dafr hasse ich ihn.Montag, 12. Mai. Beim Frhstck erzhle ich Marjorie, ich wrde heute in der Bibliothek recherchieren, was ich hin und wieder tatschlich tue; ich gehe aktuelle Zeitschriften und Zeitungen auf Tips durch, wo sich Stellen auftun knnten, die noch nicht in den Anzeigen stehen.Montags und mittwochs arbeitet Marjorie in einer ihrer Teilzeitstellen. Den Honda Civic haben wir letztes Jahr verkauft; ich mu sie also zu Dr. Carney fahren und abends wieder abholen. Zwei Tage die Woche sitzt sie nun bei unserem Zahnarzt am Empfang und bekommt dafr hundert Dollar die Woche, bar auf die Hand. Samstag nachmittags sitzt sie bei New Variety an der Kinokasse, in ihrem anderen Teilzeitjob, wo sie den Mindestlohn bekommt, Steuern zahlt und nichts nach Hause bringt. Es tut ihr aber gut, wenn sie aus dem Haus kommt und etwas arbeitet, und die Vergtung besteht darin, da wir umsonst ins Kino gehen knnen.Heute ist aber Dr. Carney dran. Ich fahre Marjorie zur Shopping Mall, wo seine Praxis liegt, und setze sie dort um zehn Uhr ab. Jetzt habe ich acht Stunden Zeit, um nach Massachusetts zu fahren, zu erkunden, wie es mit EGR aussieht, und zur Praxis zurckzukommen, um Marjorie um sechs Uhr abzuholen.Aber erst mu ich nach Hause zurck, da ich Angst hatte, die Luger mitzunehmen, whrend Marjorie im Wagen sitzt. Zuhause stecke ich die Pistole in eine Plastiktte von der Drogerie, bringe sie zum Wagen und lege sie neben mich auf den Beifahrersitz. Dann fahre ich nach Norden.Es geht eine Dreiviertelstunde nordwrts, nach Massachusetts hinein, dann in Great Barrington rechts ab, und eine weitere halbe Stunde nach Longholme. Unterwegs mu ich immer wieder an letzte Woche denken, an den Vorfall mit Everly, der mir jetzt so sauber und perfekt erscheint, wie es bei einer derartigen Erfahrung nur mglich ist. Werde ich heute wieder solches Glck haben? Mu ich noch einmal einfach dem Postboten folgen, damit mir EGR in den Scho fllt?(Ich habe natrlich keine Ahnung, was passiert ist, nachdem ich Everly letzte Woche zurckgelassen hatte, und ich denke, es wre auch gefhrlich, das herausfinden zu wollen. Der Mord war nicht wichtig genug, um in die New York Times zu kommen, und die einzige andere Zeitung, die ich normalerweise lese, unser hiesiges Wochenblatt Journal, berichtet nicht mehr aus Fall City. In unserem Kabelkanal gibt es keine Lokalsender, aber ich denke nicht, da es Everly in die Fernsehnachrichten geschafft hat.)Mein Straenatlas von Massachusetts zeigt Longholme etwa zwanzig Meilen westlich von Springfield und nrdlich des Massachusetts Turnpike. Berkshire Way ist ebenfalls eine schwarze Schlangenlinie was erneut auf Berge hinweist die von der Stadt wegfhrt, diesmal nach Norden. Ich mu einen groen Bogen fahren, um die Stadt zu umgehen und auf Landstraen zu bleiben, aber ich denke, es ist die Zeit und Mhe wert. Trotzdem ist es fast zwlf Uhr, als ich endlich in den Berkshire Way einbiege.Hier ist es entschieden lndlicher, mit ein paar richtigen Bauernhfen entlang der Strae. Die Privathuser sind meist gro, aber unprtentis, als meinten die Bewohner nicht, sie mten ihren Nachbarn etwas beweisen. Die Landschaft ist offener, mit Lichtungen und weiten Tlern anstatt der undurchdringlichen Wlder Connecticuts. Es wirkt nicht vorstdtisch, weil es wahrscheinlich etwas zu weit von New York, Boston, Albany und allen anderen Zentren im Nordosten entfernt ist.7911 Berkshire Way erweist sich als modernes Haus im traditionellen Grundri, von mir aus gesehen auf der rechten Straenseite. Gebaut wahrscheinlich nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Jungs nach Hause kamen, um uns Babyboomer zu zeugen, damit wir fnfzig Jahre spter alle aus der gesellschaftlichen Ordnung fallen knnen.Ich bin ein wenig berrascht ber das Haus und enttuscht ber EGR, dessen Tchter ja an der Universitt sind, was gemeinhin nicht auf eine gelbe Aluminiumverblendung und grne Zierfensterlden schlieen lt und direkt neben dem Haus eine Satellitenschssel, die aufdringlich in die Hhe ragt wie eine Erektion. Um den Gebudesockel wuchert Gestrpp, und ein paar kleine Obstbume sind planlos ber den Garten verteilt, aber die Grenze zwischen dem drren Rasen und dem Straenrand ist unbepflanzt.Als ich vorbeifahre, steht das breite Tor der Doppelgarage offen, aber es sind keine Autos darin. Niemand daheim. Scheie.Ich fahre weiter. Nach einer Viertelmeile bietet eine Klosterschule einen gnstigen Wendeplatz. Ich fahre zurck und suche eine unverdchtige Stelle zum Parken. Anders als letztes Mal ist der Briefkasten auf der selben Straenseite; ich habe also eine krzere Vorwarnzeit, wenn EGR herauskommt, um die Post zu holen. Falls er zuhause ist. Falls er herauskommt, um die Post zu holen. Falls die Post nicht schon verteilt wurde.Hinter dem Haus der Ricks, in der Richtung, aus der ich jetzt komme, liegt ein von Struchern und Krppelkiefern berwuchertes Feld, darauf, an einem Pfosten neben der Strae, ein Schild mit Zu verkaufen weie Buchstaben auf rotem Grund, daneben mit schwarzem Filzstift die Telefonnummer. Dahinter steht ein anderes Haus, ganz hnlich dem von EGR, etwa um dieselbe Zeit erbaut und wahrscheinlich von der selben Baufirma, an das im Lauf der Jahre ein paar zustzliche Zimmer geklebt wurden. Irgendwann wurde das Haus nicht mit Aluminium verblendet, sondern verputzt und krbisfarben gestrichen. Ein groes metallenes Zu verkaufen-Schild eines rtlichen Immobilienhndlers steht auf dem ungemhten Rasen, und das Grundstck sieht verlassen aus, als wre die Familie fortgezogen, um irgendwo bescheidener, billiger und nher am Sozialamt zu wohnen.An diesem verlassenen Haus drehe ich um; ich fahre in die Einfahrt, halte an, stoe rckwrts wieder raus und stelle mich so an den Straenrand, da ich ber das angebotene Feld hinweg freie Sicht auf die Fassade von EGRs Haus habe. Ich habe extra darauf geachtet, mit meinem Voyager nicht den Blick auf das Metallschild zu versperren, denn ich mchte, da die wenigen Passanten glauben, ich wartete auf den Makler.Ich bekomme Hunger, will aber meinen Beobachtungsposten nicht aufgeben und dadurch die Chance verpassen, mein Tagwerk zu vollenden. Vor meinem inneren Auge biegt ein Wagen in die Einfahrt dort drben, ein Mann steigt aus, er luft zum Briefkasten, ich fahre vor, und alles ist vorbei.Kommt er vom Auto aus an seine Post? Und fhrt er dann in die Garage, bevor er aussteigt? Und schliet er das Garagentor sofort? Und folge ich ihm, die Luger in der Hand, oder unter der Jacke?Ich kann ber all dies nur spekulieren. Ich kann nur warten, schauen, was passiert und wie ich reagiere.Drei Stunden gehen vorbei, und nichts passiert. Ich bekomme wirklich groen Hunger. Ich mag ja arbeitslos und verzweifelt sein, aber ich bin es noch immer nicht gewhnt, Mahlzeiten ganz ausfallen zu lassen. Trotzdem, der Gedanke bleibt: Wenn ich jetzt meinen Posten verlasse, taucht EGR bestimmt sofort auf und sitzt schon sicher in seinem Haus, bevor ich zurckkomme.Zwanzig nach drei. Ein Kleinbus Marke Windstar, grau, ganz hnlich meinem Voyager, fhrt langsam an mir vorbei, und was meine Aufmerksamkeit erregt, ist die Tatsache, da die korpulente Frau mittleren Alters am Steuer mich anfunkelt. Richtiggehend anfunkelt. Ich wundere mich ber sie, verstehe ihre Feindseligkeit nicht. Sie fahrt vorbei und hlt dann an dem Briefkasten dort vorne, direkt vor EGRs Haus. War das Mrs. Ricks?Offensichtlich. Ich sehe, wie sie im Windstar auf die rechte Seite rutscht, den Briefkasten ffnet, die Post herauszieht. Dann fahrt sie weiter in die Garage, und das Tor gleitet nach unten.So. Es knnte ja auch sein, da sie gar nicht richtig feindselig war, sondern einfach nur sehr neugierig. Wenn sie tatschlich vermutet hat, was ich hoffe, da ich ein potentieller Kufer bin, der auf den Grundstcksmakler wartet, hat sie mich vielleicht nur prfend angesehen, als potentiellen Nachbarn gemustert.Aber die Frage bleibt, wo ist ihr Mann? Sie schlo das Garagentor, erwartet also nicht, da er in absehbarer Zeit hineinfahrt. War er die ganze Zeit zuhause? Vielleicht ist er heute krank, hat eine Frhlingsgrippe.Oder er hat heute ein Vorstellungsgesprch und wird erst in ein paar Tagen wieder zurck sein.Es wird spt Ich habe einen Mordshunger, und auerdem mu ich zum Einkaufszentrum zurck, um Marjorie um sechs Uhr abzuholen. Ich wei jetzt, da hier und heute nichts mehr passieren wird. Ein verlorener Tag.Ich darf nicht zu viele Tage verlieren. Diese ganze Operation mu so schnell und sauber wie mglich durchgefhrt werden, ohne Schlamperei und unntiges Risiko, damit sie abgeschlossen ist, bevor die Karten neu gemischt werden. Trotzdem geschieht hier nichts mehr heute.Und nun? Morgen habe ich witzigerweise selbst ein Vorstellungsgesprch, in Albany, bei einer Verpackungs- und Etikettenfirma, einem Laden, der sich auf die Etiketten spezialisiert, die man um Konservendosen wickelt. Ich habe keine groe Hoffnung, da Etiketten wirklich ein ganzes Stck neben meinem Spezialgebiet liegen und in den letzten Jahren sicher auch Stellen von Etikettenspezialisten abgebaut wurden, aber man wei nie. Vielleicht zieht man ja das groe Los.Also, in dem Fall werde ich den Berkshire Way bestimmt nicht wiedersehen, was? Und EGR wird niemals erfahren, was er fr ein Glckspilz ist.Ziehe ich das groe Los aber nicht, was dann? Ich kann nicht am Mittwoch wieder hier sein, das ist Marjories anderer Tag bei Dr. Carney, und wenn ich das nchste Mal herkomme, fahre ich besser schon viel frher von zuhause los. Die Post war sicher schon verteilt, als ich heute hierher kam.Donnerstag also. Donnerstag bin ich wieder hier. Auer natrlich ich werde bis Donnerstag zum Experten fr Konservendosenetiketten.

6

Als ich das erste Mal diesen Riesenstapel von Bewerbungen in die Finger bekam und immer wieder welche eintrudelten, und noch welche, empfand ich, wie ich heute rckblickend erkenne, eine Art schadenfroher Macht. Ich hatte diesen Leuten etwas aufgedrckt, den Konkurrenten, ich erfuhr ihre Geheimnisse, und sie wuten nicht einmal, da es mich gab, in der Dunkelheit, im Schatten, in der Ecke, in der Postfachnummer, und ich sie beobachtete. Ich sa in meinem Arbeitszimmer wie ein Geizhals ber seinem Gold, ber die Schnellhefter mit Bewerbungen gebeugt, die ich sogar vor Marjorie geheimhielt, und niemand kannte meine Macht, niemand wute von dem Coup, den ich gelandet hatte.Doch diese erste Euphorie mute nachlassen, was auch der Fall war, und zurck blieben nur Fragen. Was wrde ich mit diesen Dingen anfangen? Wie konnten mir die Bewerbungen ntzen? Oder wrden sie mich nur entmutigen, wenn ich auf den einen oder anderen Bogen sah und jemanden entdeckte, der fr die Stelle nur etwas besser geeignet war als ich. Schau dir all die Leute an, allesamt ehrenwert, allesamt gut ausgebildet, allesamt motiviert. Schau, wie viele es sind, und schau, wie wenige Ankerpltze sie ansteuern.So verfiel ich von klammheimlicher Freude ber meine Cleverne, diesen Schatz von Bewerbungen anzuhufen, in eine ebenso klammheimliche Depression. Ich htte damals das war natrlich vor meinem jetzigen Plan aufgeben knnen, alles, jede Hoffnung darauf, einen neuen Job zu finden und mich weiter an mein Leben zu klammern, dieses Leben, ich htte vllig verzweifeln knnen, wenn es nur eine andere Wahl gegeben htte.Aber die gab es nicht. Gab es nicht und gibt es nicht. Ich habe damals nur deshalb weitergemacht, weil es nichts anderes zu tun gab. Und wer wei, wie viele dieser Leute in diesen Bewerbungen in einer hnlichen Verfassung sind? Weitermachen ohne Hoffnung, nur weil es nichts anderes zu tun gibt? Wir sind wie Haie, in dieser Beziehung; wenn wir nicht weiterschwimmen, gehen wir einfach unter.Selbstmord ist keine Mglichkeit, ich wrde keine Sekunde daran denken, auch wenn ich wei, da einige dieser Leute daran gedacht haben und andere ihn tatschlich verben werden. (Diese Welt, in der wir heute leben, begann vor fnfzehn Jahren, als die Fluglotsen alle abserviert wurden und Selbstmorde in dieser Gruppe die Runde machten, wahrscheinlich weil sie sich damals mehr alleine fhlten als wir heute.) Aber ich will mich nicht umbringen. Ich mchte weitermachen, auch wenn es keine Mglichkeit dazu gibt. Das ist der Punkt.Jedenfalls fhlte ich mich so elend wie nie zuvor; ich hatte Schwierigkeiten, meine Energie soweit zu mobilisieren, da ich meine eigenen Bewerbungen abschickte. Doch genau da fiel mir ein Artikel in Pulp ins Auge und brachte mein Gehirn noch einmal in Gang.Es war einer jener In-einem-Winkel-unserer-faszinierenden-Branche-Artikel, bei denen ich immer weiterbltterte, als ich noch fr Halcyon ttig war, die ich heute aber langsam und genau durchlese, sogar einige prgnante Stze unterstreiche, weil ich den Anschlu an die Branche nicht verpassen darf. Sie drfen nie von gestern sein, das ist eine der Grundregeln.Also, dieser eine Artikel in Pulp drehte sich um ein neues Verfahren in einer Fabrik in New York State, in einer Stadt namens Arcadia. Die Firma, Arcadia Processing, war eine hundertprozentige Tochter eines der grten Papierproduzenten in Amerika, eines jener Unternehmen, die ihre Millionen mit Klopapier und Taschentchern machen. Arcadia war jedoch selbst eine Erfolgsgeschichte, und so lieen die Besitzer sie in Ruhe.Fast ein Jahrhundert lang hatte man sich bei Arcadia darauf spezialisiert, Zigarettenpapier aus Tabakresten herzustellen, aus jenen Schnitzeln und Stielen, die bei der Zigarettenherstellung brigbleiben. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden verschiedene Verfahren entwickelt, aus diesem Zeug Papier zu gewinnen was schwierig ist, da Tabakfasern so kurz sind , und dieses Tabakpapier wurde ursprnglich dazu benutzt, die Enden von Zigarren zu verstrken, sie kaubar zu machen. Spter wurde eine Variante dieses Papiers gebleicht und mit Sauerstoff angereichert, damit es als normales Zigarettenpapier zu verwenden war, und das ist das von Arcadia hergestellte Produkt.Vor ein paar Jahren kam das Management von Arcadia anscheinend zu dem Schlu, da es nicht mehr ratsam sei, so eng mit dem Schicksal der Tabakindustrie verknpft zu sein, bemhte sich um Diversifikation und suchte einen weiteren Ttigkeitsbereich. Gefunden hat man ihn, wie ich zu meiner Verwunderung las, ausgerechnet im Bereich der Polymerpapiere, in dem ich die letzten sechzehn Jahre gearbeitet hatte!Der Verfasser des Artikels berichtete weiter, in der berzeugung, durch ein neues Herstellungsverfahren (hier tuscht er sich; es war genau dasselbe System, das wir damals, 91, bei Halcyon einfhrten) ein hochwertiges Produkt zu besitzen, habe man beschlossen, nicht mit Mhlen zu konkurrieren, die bereits im Geschft waren, sondern Kunden im Ausland anzusprechen. Dank der NAFTA fand man mexikanische Fabrikanten, die von den Produkten angetan waren und sie sich leisten konnten. Nachdem bereits mexikanische Kunden gewonnen waren, erweiterte man den Absatzmarkt nach Sden und besa nun auch Abnehmer in ganz Sdamerika.Es war eine wahre Erfolgsgeschichte, eine der wenigen in diesen Tagen, und ihre Lektre hatte fr mich etwas sehr Bitterses. Doch ein Teil der Geschichte packte mich wirklich, und das war das kurze Portrait eines gewissen Upton Fallon, des Managers der Fertigungsstrae, und ein Interview mit ihm. Fallon, der mit seinem zweiten Vornamen Ralph gerufen wurde, beantwortete die Fragen des Journalisten ber den Produktionsproze und ber seinen eigenen Werdegang; er war schon ewig dabei und hatte offenbar direkt nach der High School vor fast dreiig Jahren an der Tabakpapiermaschine angefangen.Upton Ralph Fallon hatte meinen Job. Ich las den Artikel, las ihn wieder, und es bestand kein Zweifel. Er hatte meinen Job, und in einem fairen Wettbewerb wrde ich ihn bekommen, nicht er. Natrlich steckten in dem Artikel nicht so viele Informationen ber ihn wie in seiner Bewerbung er brauchte keine Bewerbung, der Dreckskerl, er hatte meinen Job bereits aber es wurde genug erwhnt, um mir ein gutes Bild von dem Kerl zu vermitteln, und ich war besser als er. Ich wute es. Es war offensichtlich. Und trotzdem hatte er meinen Job.Ich konnte nicht anders, ich mute mich einfach meinen Tagtrumen hingeben. Wenn man ihn feuern wrde, weil er meinetwegen betrunken war oder mit einem Mdchen in ehebrecherischer Beziehung auf dem Fabrikboden erwischt wurde. Wenn er erkrankte, an einem verzehrenden Leiden wie Multiple Sklerose, und die Stelle aufgeben mte. Wenn er sterben wrde Ja, warum nicht? Immer wieder sterben Leute. Autounflle, Herzattacken, Zimmerbrnde, Schlaganflle Was, wenn er dann sterben mte, oder einfach zu krank wrde, um seinen Job zu behalten. Wren sie dann nicht froh um mich, der fr genau die Position um so viel qualifizierter wre?Ich knnte ihn umbringen, wenn das die Lsung wre.Ich dachte daran, als bertreibung, im Tagtraum. Aber dann berlegte ich erneut, und ich fragte mich, ob ich es auch meinte. Ich meine, ob ich es wirklich ernst meinte. Ich wute, wie schlimm meine Situation war, ich wute, da sich daran aller Wahrscheinlichkeit nach nichts ndern wrde, ich wute, wie die Lage unausweichlich noch verzweifelter wrde, ich wute, wieviel Betsy im College kostete und wieviel Billy kosten wrde, wenn er dieses Jahr seinen High-School-Abschlu machte. Ich wute, auf was sich meine Ausgaben beliefen, und ich wute, da mein Einkommen versiegt war, und nun sah ich den einen Mann, der zwischen mir und der Sicherheit stand. Upton Ralph Fallon.Knnte ich ihn nicht umbringen? Ich meine, ernsthaft. Quasi in Notwehr, zur Verteidigung meiner Familie, meines Lebens, meiner Hypothek, meiner Zukunft, meiner selbst, meines Lebens. Das ist Notwehr. Ich kenne diesen Mann nicht, er bedeutet mir nichts. Er klingt ziemlich vertrottelt, ehrlich gesagt, in diesem Interview hier. Wenn die Alternative fr Marjorie und Betsy und Bill und mich in Verzweiflung und Niederlage und nagendem Elend und endlosem Schrecken besteht, warum sollte ich ihn dann nicht umbringen, den Hurensohn? Wie knnte ich ihn nicht umbringen, bei all dem, was hier auf dem Spiel steht?Arcadia. Arcadia, New York State. Ich schlug den Ort im Straenatlas nach, und er war so nah. Es war wie ein Omen. Arcadia war wahrscheinlich nicht mehr als fnfzig Meilen entfernt, direkt hinter der Grenze, kaum in New York State, vielleicht zehn Meilen nur. Sogar Pendeln wre mglich, ich mte nicht einmal umziehen.Pulp und der Straenatlas offen auf meinem Schreibtisch. Stille im Haus, die Kinder in der Schule und Marjorie an diesem Tag in Dr. Carneys Praxis. Trume.Da dachte ich zum ersten Mal an die Luger, erinnerte mich, da sie unten im Schrank meines Vaters lag. Damals stellte ich mir zum ersten Mal vor, diese Waffe auf einen Menschen zu richten und abzudrcken.Knnte ich es tun? Knnte ich einen Menschen tten? Aber andere Leute tun es auch, Tag fr Tag, fr viel weniger. Warum sollte ich dazu nicht fhig sein, wo es um so viel geht? Mein Leben; um mehr kann es nicht gehen.Traum. Ich fahre nach Arcadia, New York State, die Luger neben mir im Wagen. Finde die Mhle, finde Fallon habe sein Bild nicht, war in Pulp nicht abgedruckt, aber das lt sich irgendwie lsen, wir trumen hier nur , finde ihn, verfolge ihn, warte auf die Gelegenheit und bringe ihn um. Und bewerbe mich um seinen Job.Womit der Tagtraum in sich zusammenfiel und polternd zu meinen Fen aufschlug. An diesem Punkt verfiel ich wieder vom Glck ins Elend. Weil ich wute, was dann passieren wrde, wenn die Realitt meinem Tagtraum soweit folgen wrde, wenn Upton Ralph Fallon diesen Job tatschlich los wre, durch sein eigenes Wirken oder durch meines.Natrlich bin ich besser als er, in jedem Wettbewerb zwischen uns um diesen Job wre es mein Job, keine Frage. Aber der Wettbewerb findet nicht zwischen uns statt, und das wird auch niemals mglich sein. Wenn Fallon erst einmal aus dem Weg ist, gilt der Wettbewerb zwischen mir und dem Stapel Bewerbungen dort drben.Jemand anderes wrde meinen Job bekommen.Ich ging den Stapel noch einmal durch, sichtete alles und griff die heraus, die ich frchtete, und dieses erste Mal war ich so pessimistisch, da ich mehr als fnfzig Bewerbungen herauszog, die bessere Chancen auf den Job hatten als ich. Was natrlich falsch war, eine berschtzung der anderen und eine Unterschtzung meiner selbst; es war nur die Verzweiflung, die mein Denken beherrschte. Doch das Problem war immer noch gewaltig. Und real.Da war ich bereits so deprimiert, da ich es im Bro nicht mehr aushielt. Ich verlie das Zimmer und vertrieb mir einige Zeit damit, die Garage zu entrmpeln, und sofort kreisten meine Gedanken wieder um Upton Ralph Fallon, fett und glcklich, selbstgefllig und sicher. In meinem Job.Ich konnte diese Nacht nicht schlafen. Ich lag im Bett, neben Marjorie, nachdenklich, traurig, frustriert, elend, und erst als die Dmmerung die Schlafzimmerfenster erhellte, fiel ich schlielich in einen unruhigen Schlaf, voll finsterer Trume, Alptrume nach Hieronymus Bosch. Ich bin froh, da ich mich an meine Trume nicht mehr erinnere; ihre Echos sind schlimm genug.Schlielich glitt ich aber doch in einen tieferen Schlaf, und als ich drei Stunden spter zu klarem Bewutsein kam, wute ich, was zu tun war.

7

Donnerstag. Um Viertel nach acht bin ich auf der Strae, erklre Marjorie, ich msse das Vorstellungsgesprch vom Dienstag in Albany noch etwas aufarbeiten, und da es heute abend spter werden knne.Das Vorstellungsgesprch. Natrlich habe ich den Job nicht bekommen, ich werde die Feinheiten von Konservendosenetiketten also nicht kennenlernen, und so bin ich noch einmal hier, unterwegs nach Longholme.Ich habe den Job nicht bekommen, und ich habe auch nicht damit gerechnet. Nur eine weitere erfolglose Bewerbung. Doch diesmal kam noch etwas anderes hinzu. Es war das erste Vorstellungsgesprch, zu dem ich ging, seit ich mein zweites Eisen im Feuer habe, den Plan (wenn ich ihn zu Ende bringe, diese ganze komplizierte Geschichte erfolgreich zu Ende bringe und nicht meine Entschlossenheit verliere), und infolgedessen, glaube ich, war das Vorstellungsgesprch vom Dienstag fr mich irgendwie anders als die vorigen. Ich sah es gelassener, sah es als das, was es war. Ich sah es von auen.Und was ich sah, verstrkte nur noch meine Verzweiflung. Ich sah, da Burke Devore, dieser Burke Devore, der Mann, zu dem ich in einem halben Jahrhundert wurde, kein freundlicher Mensch ist.Das soll nicht heien, ich wre ein unfreundlicher Typ, so ein grummelnder Menschenfeind. Ich meine einfach, nicht freundlich genug. Damals in meiner Jugend, in der Schule und dann in der Armee, konnte ich immer gengend Begeisterung aufbringen, um dazuzugehren, Mitglied der Gruppe zu sein, aber es kam mir nie natrlich vor. Die vier Jahre als Vertreter, in denen ich fr Green Valley unterwegs war, um ihre Industriepapiere zu verkaufen, lernte ich, Geschftsmann zu sein, grinsend, munter, hndeschttelnd, schulterklopfend, den Leuten das Gefhl gebend, ich wrde mich freuen, sie zu sehen, aber es war immer schwer.Schwer. Ich bin kein geborener Hndeschttler, kein kumpelhafter Typ, und war es nie. In jenen Tagen als Vertreter sammelte ich eifrig neue Witze, lernte sie auswendig und brachte sie bei meinen Kontakten wieder an. Ganz ehrlich, beim Mittagessen nahm ich einen Wodka oder zwei zu mir, um bei meinen Nachmittagsbesuchen gelster zu sein. In jener Zeit trank ich viel zu viel, und wenn ich weiter Vertreter geblieben wre, htte mich inzwischen wahrscheinlich die Zirrhose dahingerafft.Deshalb war die Strae so ideal fr mich, die Fertigungsstrae, fr mich als Manager. In dieser Funktion als verantwortlicher Leiter wurde von mir erwartet, liebenswrdig, aber ein bichen reserviert, freundlich, aber immer beherrscht zu sein, und das lag mir durch und durch.Am Dienstag begriff ich, was jetzt von mir erwartet wird: Ich soll wieder Vertreter sein. Durch die Bewerbung bekomme ich lediglich einen Fu in die Tr, wenn berhaupt. Meine ganze Arbeitserfahrung, mein ganzes Leben bis heute, ist nur ein Verkaufsinstrument, um einen Fu in die Tr zu bringen. Die Bewerbung ist mein Verkaufsgesprch, und was ich verkaufen soll, bin ich.Ich bin nicht gut genug darin. Welche Fhigkeiten als Vertreter ich seinerzeit auch mhsam entwickelt haben mag, sie sind verkmmert. Ein schlechtsitzender Anzug, lange schon weggegeben.Werde ich wieder anfangen, mir alberne Witze zu merken, um sie dem Personalchef zu erzhlen? Mit den Sekretrinnen zu schkern? Aufrichtige Komplimente ber die Uhr, den Schreibtisch oder die Schuhe der anderen zu machen? Ich finde zu dieser Person einfach nicht mehr zurck.Diese Bewerbungen im Aktenschrank meines Bros; eine Menge dieser Leute sind Vertreter. Darauf kann man Gift nehmen.Einmal werde ich es tun, wenn die Zeit reif ist. Ich werde es beim Personalchef von Arcadia Processing tun, nach dem bedauerlichen Ableben von Upton Ralph Fallon. Ich werde dem Burschen Witze erzhlen, bis zum Abwinken. Ich werde seine Krawatte loben, seiner Sekretrin Komplimente machen und bei den Familienphotos auf seinem Schreibtisch wunderbar sentimental werden. Ich werde verkaufen, bei Gott.Aber jetzt noch nicht. Eins nach dem anderen, und das andere ist die Strae nach Longholme. Ich kenne die Strae besser als am Montag, es herrscht kaum Verkehr, und so ist es noch recht frh, gerade einmal Viertel vor zehn, als ich den Voyager wieder an derselben Stelle parke, vor dem verputzten, krbisfarben gestrichenen Haus, das zum Verkauf angeboten wird.Und als erstes sehe ich, da die Fahne an EGRs Briefkasten nach oben steht, was bedeutet, da er Briefe hineingesteckt hat, die mitzunehmen sind, was wiederum bedeutet, da die Post heute noch nicht ausgetragen wurde. Ich habe mir nicht die Mhe gemacht, erst am Haus vorbeizufahren, und aus dieser Perspektive kann ich nicht erkennen, ob die Garagentr offen steht, aber ich sehe, da die Postfahne oben ist; es gibt also eine Chance, eine Hoffnung, da EGR heute selbst herauskommt, um sie zu holen. Die Luger liegt neben mir auf dem Beifahrersitz, unter dem gefalteten Regenmantel, und wartet. Wir warten beide.Zwanzig Minuten lang passiert gar nichts. Im Berkshire Way ist sehr wenig Verkehr, hchstens Lieferwagen und Pickups. Ich sehe ihnen nach; sie fahren vorbei und verschwinden wieder, vorne oder im Rckspiegel.Und dann bremst pltzlich ein Fahrzeug direkt hinter mir, unvermittelt gro, grau, vertraut. Ich starre es an, ngstlich, mit jener schrecklichen, spontanen Gewiheit, da ich erwischt wurde, die Katastrophe eingetreten ist, Enthllung, Verurteilung, Marjorie und die Kinder mich schockiert anstarren Das htten wir nie von dir gedacht! , und eine Frau in einer offenen grauen Reiverschlujacke springt aus dem Wagen und rennt auf mich zu.Es ist die Frau, die mich am Montag angestarrt hat: Mrs. Ricks! Was um alles in der Welt tut sie? Kann sie Gedanken lesen?Es ist ein khler Tag, wolkig, und die Fenster des Voyager sind geschlossen. Die Frau rennt zu mir her, schreiend, gestikulierend, mchtig wtend und aufgeregt. Aber worber? Ich kann sie schreien hren, verstehe aber die Worte nicht. Ich starre sie durch das Glas an, habe Angst vor ihr, vor der ganzen Situation, und traue mich nicht, das Fenster hinunterzulassen. Sie droht mir mit der Faust. Sie schreit sich in Rage. Pltzlich hlt sie inne, rennt vorne um den Bus herum, reit die Beifahrertr auf und streckt mir ihren Kopf entgegen, mit rotfleckigem Gesicht und trnenberstrmten Wangen, und sie schreit: Lassen Sie sie in Ruhe!Ich starre sie an. Was?Sie ist erst achtzehn! Wie knnen Sie sie so ausnutzen Ja, besitzen Sie kein Schamgefhl?Ich bin nicht Sie verwechselt mich, sie hat mich mit jemandem verwechselt, es stimmt einfach nicht, aber ich bin zu durcheinander, um sie zu korrigieren: Ich bin nicht, Sie haben den falschen, das ist nicht Aber was tue ich sonst hier, wenn nicht ihre Tochter belstigen?Hren Sie! bertnt sie mich. Meinen Sie nicht, ich knnte mit Ihrer Frau sprechen, ganz egal, was Junie dazu sagt? Haben Sie denn keine Selbstachtung? Warum, warum, warum lassen Sie sie nicht endlich in Ruhe?Ich bin nicht der Mann, den Sie bringen ihren Vater noch um!Oh Gott. Oh, ich will hier raus, nur noch hier raus.Mein Schweigen ist ein Fehler. Jetzt wird sie mit mir diskutieren, wird diesem verheirateten Schwein in den besten Jahren ausreden, ihre achtzehnjhrige Tochter weiter zu belstigen. Es gibt rzte, sagt sie und bemht sich, ruhig zu sein, verstndnisvoll. Reden Sie doch einmal mit Und jetzt setzt sie sich gleich neben mich in das Auto, sie wischt den Regenmantel vom Sitz, aus dem Weg, und wir zwei starren auf die Pistole.Jetzt packt uns beide das Entsetzen. Sie starrt mich an, und in ihren Augen sehe ich das gesamte Sensationsszenario: Der lsterne ltere Liebhaber ist gekommen, um die Eltern seiner frhreifen Geliebten niederzumetzeln.Ich hebe die Hand. Ich Aber was soll ich sagen.Sie schreit. Der Schrei hallt durch den Wagen, und das scheint sie zu treiben, aus dem Wagen, fort. Sie dreht sich um, rennt die Strae entlang auf das Haus zu und schreit.Nein nein nein nein nein. Sie hat mich gesehen, kennt mein Gesicht, sah die Luger, nichts von all dem geschieht, nichts von all dem darf geschehen, alles ist zerstrt, wenn dies geschieht. Ich schnappe mir die Luger und springe aus dem Voyager (im Gegensatz zu ihr denke ich wenigstens noch daran, die Tr zuzuschlagen) und renne ihr nach.Ich bin ein sehafter Mensch, ich war sechzehn Jahre lang Manager, sa am Schreibtisch, spazierte die Fertigungsstrae entlang, fuhr mit dem Wagen zur Arbeit und wieder nach Hause. Noch sehafter, seit ich abserviert wurde. Ich bin durchaus gesund, aber kein Sportler, und Rennen macht mich auf der Stelle fertig. Lange bevor ich an das gelbe Aluminiumhaus komme, ringe ich nach Luft.Aber sie auch. Sie ist genauso wenig trainiert und versucht gleichzeitig zu sprinten und zu schreien. Und mit den Armen zu fuchteln. Sie hatte einen ordentlichen Vorsprung, aber ich hole auf, ich hole auf, bin nicht mehr allzu weit hinter ihr, als wir abdrehen, um diagonal ber ihren unansehnlichen Rasen zur Eingangstr zu rennen, und sie schreit, Ed! Ed!, aber bevor sie das Haus erreicht, ziehe ich mit ihr gleich und halte ihr die Luger direkt an den Hinterkopf, tanzend, da wir beide rennen, und drcke einmal ab. Sie strzt sofort zu Boden, wie ein Bndel oder ein Seesack, und die Wucht schlgt ihr die Jacke halb ber den Kopf und bedeckt das von der Kugel geschlagene Loch.Erschpft und ausgelaugt sinke ich neben ihr auf ein Knie und blicke auf, um zu entdecken, da sich die Haustr ffnet und ein verblfftes Gesicht erscheint, das ihrem Mann gehren mu, Ed, EGR, meinem EGR; sein verblfftes Gesicht zeigt sich im Eingang, starrt hinaus, und ich schiee, aber die Kugel schlgt mit gedmpftem Heulen in das Aluminium neben dem Trrahmen.Er knallt die Tr zu, wendet sich ab und rennt ins Haus.Taumelnd, beinahe bewutlos, zwinge ich mich aufzustehen, strze zur Tr und reie am Griff, aber sie ist abgeschlossen.Er wird da drinnen jetzt gerade die 911 whlen. Oh Gott, ist das schrecklich, ist das ein Schlamassel, ist das eine Katastrophe, wie konnte ich jemals glauben, zu so etwas fhig zu sein, diese arme Frau, sie sollte doch nicht -Ich darf es nicht zulassen. Er darf nicht telefonieren, auf keinen Fall, ich lasse es nicht zu, ich mu zu ihm, mu unbedingt zu ihm.Das Garagentor steht offen. So herum, durch das Haus, zu ihm, zu ihm. Ich schwanke wie ein Betrunkener, als ich die Hauswand entlang und durch das breite Tor renne, das sperrangelweit offensteht. Dort, zu meiner rechten, ist die Hintertr geschlossen. Sie wird nicht verriegelt sein. Ich renne darauf zu, die Luger am Ende meines rechten Arms baumelnd, und gerade, als ich die Tr erreiche, geht sie auf, und er rennt heraus!Was hat er getan? Was hatte er vor? Wollte er versuchen, von hier wegzufahren, war er so verdattert, da er gar nicht ans Telefon gedacht hat? Wir starren uns an, und ich schiee ihm ins Gesicht.Viel bler zugerichtet, er hier, berall Blut, das Gesicht zerfetzt, der Krper ein verknotetes, nicht entwirrtes Bndel auf dem Garagenboden, einen Arm durch die offene Tr nach hinten in das Haus geworfen.Sonst niemand zu Hause? Die Tchter alle an der Universitt? Oder bei ihren inakzeptablen Liebhabern? Wie ich sie hasse fr dieses Durcheinander, da sie diese Frau dazu gebracht haben, mich zu verwechseln, anzugreifen, zu belstigen, die Pistole zu entdecken. Wo bleibt diesmal die Eleganz, die Effizienz, das Unpersnliche?Ich zittere am ganzen Krper. Ich schwitze, und mir ist kalt. Ich kann die Luger kaum noch halten, stecke sie weg, in die Innentasche meiner Windjacke, drcke sie mit dem linken Unterarm an mich und trotte weiter.Ich wei nicht, ob jemand vorbeifhrt, ich wei nicht, ob mir tausend Leute zusehen oder niemand. Ich wei nur, da hier der Rasen ist, mit jenem schrecklichen toten Sack darauf, und da das leere Feld, und dort der Plymouth Voyager.Ich fahre los, umklammere ganz fest das Lenkrad, da meine Hnde zittern. Mein ganzer Krper zittert. Ich zwinge mich, erst einmal zehn Minuten zu fahren, weg aus dieser Gegend, die Geschwindigkeitsbeschrnkung einzuhalten, alle Verkehrsregeln zu beachten. Dann endlich gestatte ich mir, in eine Nebenstrae einzubiegen und dort, auer Sichtweite, dem Zittern freien Lauf zu lassen. Dem Zittern und der Angst.Der Anblick des Gesichts dieser Frau. Die Erinnerung daran, wie sie rennt, meine Hand die Pistole hochhlt und sie dann strzt. Ihr Mann, glotzugig, betubt von Angst und Trauer.Es ist schrecklich. Schrecklich. Aber was htte ich tun sollen? Vom Augenblick an, da sie den Regenmantel wegzog, was htte ich anders machen sollen?Was habe i