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GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN WIE BEEINFLUSSEN VERSTAND UND GEFÜHLE MEINE ENTSCHEIDUNGEN? G. Roth, 2013

WIE BEEINFLUSSEN VERSTAND UND GEFÜHLE MEINE … · mesolimbisches System, Insel, vorderer Gyrus cinguli) hat bei den Handlungsentscheidungen das erste und das letzte Wort. Das erste

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GERHARD ROTH

INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG

UNIVERSITÄT BREMEN

WIE BEEINFLUSSEN VERSTAND UND

GEFÜHLE MEINE ENTSCHEIDUNGEN?

G. Roth, 2013

HERKÖMMLICHE ANSCHAUNG

Es gibt in uns eine „höchste Entscheidungsinstanz“, nämlich

das rationale Ich.

Die besten Entscheidungen sind entsprechend diejenigen, in

denen dieses rationale Ich den Ausschlag gibt.

Gefühle sind wenn möglich zurückzudrängen!

Stimmt dies?

(1) Begrenztheit der Kenntnisse von Neben- und Randbedingungen bzw. ihrer

Berechenbarkeit

(2) „Besitztumseffekt“: Was man besitzt, wird höher eingeschätzt als das, was

man durch Änderung eigenen Handelns erreichen könnten, auch wenn der

ökonomische Wert beider Güter objektiv gleich ist

(3) Risikovermeidung bzw. Beharrungsvermögen: Menschen tendieren dazu,

ihr bisheriges Verhalten auch unter erheblichen Kosten fortzusetzen, wenn

Verhaltensalternativen mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sind

(4) Kurzsichtigkeit: Zeitlich naheliegende Ereignisse haben subjektiv ein

höheres Gewicht als zeitlich ferner liegende; entsprechend werden

naheliegende Ziele eher verfolgt als ferner liegende – unabhängig von der

Rationalität

(5) „Satisficing“: Menschen betrachten in der Regel nur wenige Alternativen

(meist nur zwei), und keineswegs alle, deren Erwägung vernünftig wäre. Sie

hören mit dem Abwägen auf, wenn sie auf eine halbwegs befriedigende

Lösung gestoßen sind, auch wenn durchaus die Chance besteht, dass es

noch wesentlich günstigere Lösungen gibt.

„Begrenzte Rationalität“

WO IM GEHIRN SITZEN VERSTAND/INTELLIGENZ

UND VERNUNFT?

Seitenansicht des menschlichen Gehirns

BEWEGUNGS-

VORSTELLUNGEN

OBJEKTE

GESICHTER

SZENEN

ANALYSE

PLANUNG

ENTSCHEIDUNG

BEWERTUNG

KÖRPER

RAUM

SYMBOLE

Funktionale Gliederung der Großhirnrinde

MOTORIK SOMATOSENSORIK

SEHEN

HÖREN/SPRACHE AUTOBIOGRAPHIE

SPRACHE

WO IM GEHIRN ENTSTEHEN DIE GEFÜHLE?

Limbisches

System

Hypothalamus

(nach Spektrum der

Wissenschaft,

verändert)

Amygdala (Mandelkern)

Zentrum

für

emotionale

Konditionierung

Ventrales

Tegmentales

Areal

Mesolimbisches

System:

Reaktion auf neuartige,

überraschende Reize

Antrieb durch

Versprechen von

Belohung (Dopamin)

Belohnungssystem

(hirneigene Opioide)

Nucleus accumbens

TYPEN VON ENTSCHEIDUNGEN

Entscheidungen unter Zeitdruck

routinisierte (automatisierte)

Entscheidungen

affektiv-impulsive Entscheidungen

(„Bauchentscheidungen I“)

Entscheidungen ohne Zeitdruck

rein emotionale Entscheidungen

(„Bauchentscheidungen II“)

logisch-rationale Entscheidungen

unbewusste, aufgeschobene

Entscheidungen

Routinisierte (automatisierte) Entscheidungen

Vorteil: Schnell, präzise, unemotional aufgrund von Vorer-

fahrung und Einübung, nicht stressanfällig

Nachteil: Angepasst an bestimmte Problemsituationen,

unflexibel. Versagt bei neuartigen Gegebenheiten

Beteiligte Strukturen: Basalganglien

Basal-

ganglien

Affektiv-impulsive Entscheidungen unter Zeitdruck

(Bauchentscheidungen I)

Vorteil: Schnell

Nachteil: Entscheidungs- und Handlungsraum durch starke

Gefühle und Stress sehr eingeengt.

Beruht auf genetisch bedingten Reaktionen

(Angriff, Verteidigung, Flucht, Erstarren).

Unflexibel, kurzfristig.

Beteiligte Strukturen: Hypothalamus,

zentrale Amygdala, Hypophyse, Locus

coeruleus (Noradrenalin) Vegetatives

System, Nebennieren- (Adrenalin), Rinde

(Cortisol).

Stressreaktion

Hypothalamus

Amygdala

Hypophyse

Nebennieren-

Rinde

STRESS UND LEISTUNG

C. Sandi, Trends Cogn. Sci. 34 (2011)

Emotionale Entscheidungen ohne Zeitdruck

(Bauchentscheidungen II)

Vorteil: Erfahrungsgesteuerte Entscheidungen

Nachteil: Details der Entscheidungen

können nicht wiedergegeben werden.

Beruht auf emotionaler Konditionierung und ist überwiegend

egoistisch ausgerichtet.

Beteiligte Strukturen: Basolaterale

Amygdala, mesolimbisches System,

limbische Cortexareale.

INSULÄRER

CORTEX

(R. Adolphs, TICS

3, Dezember 1999)

Gesichtererkennung und

Einschätzung der

Vertrauenswürdigkeit (i.W.

rechtshemisphärisch):

FG: Fusiformer Gyrus

STS: Superiorer

temporaler Gyrus

AM: Amygdala, links

explizit

INS: Insulärer Cortex

Logisch-rationale Entscheidung

Vorteil: Systematisches Abwägen aufgrund des Prinzips der

Gewinnmaximierung und Risiko / Verlust-Minimierung

Nachteil: Stressanfälligkeit, nicht realitätsnah

Nur für Situationen geringer Komplexität

geeignet. Mehr Information ist häufig

ungünstiger als weniger Information

Beteiligte Strukturen: Großhirnrinde,

überwiegend links-hemisphärisch,

insbesondere Stirnhirn

BEWEGUNGS-

VORSTELLUNGEN

OBJEKTE

GESICHTER

SZENEN

ANALYSE

PLANUNG

ENTSCHEIDUNG

KÖRPER

RAUM

SYMBOLE

Funktionale Gliederung der Großhirnrinde

MOTORIK SOMATOSENSORIK

SEHEN

HÖREN/SPRACHE AUTOBIOGRAPHIE

SPRACHE

BEWERTUNG

ARBEITSGEDÄCHTNIS

Unser Arbeitsgedächtnis ist der Ort rationalen Abwägens und

Problemlösens.

Dabei werden in das Arbeitsgedächtnis alle relevanten

Informationen aus dem Langzeitgedächtnis eingeladen und neu

zusammengefügt.

Da dies ein sehr komplizierter Vorgang ist, ist er in seiner

Schnelligkeit und der Menge der zu verarbeitenden

Informationen sehr beschränkt. Zudem ist das Arbeitsgedächtnis

extrem stressanfällig.

Das bedeutet, dass wir gedanklich Informationen, Fakten und

Zusammenhänge nur langsam und nacheinander verarbeiten

können.

Arbeitsgedächtnis als Integrationszentrum

Arbeitsgedächtnis

Unbewusste aufgeschobene Entscheidung

Vorteil: Bewältigung komplexer Entscheidungs-situationen

aufgrund der unbewusst vorliegenden Erfahrungen

Nachteil: Stressanfällig, zeitaufwändig

Beteiligte Strukturen: Großhirnrinde, Hippocampus,

limbische Hirnrinde, basolaterale Amygdala, mesolimbisches

System

Aufbau der

Großhirnrinde als

gigantisches neuronales

Netzwerk.

Zeichnung von S. Ramón

y Cajal

(nach Spektrum der Wissenschaft)

Unsere Intuitionen werden geleitet vom Erfahrungsgedächtnis. Es

arbeitet vorbewusst und ist in der Großhirnrinde angesiedelt.

Es stellt mit rund 15 Milliarden Nervenzellen und 500 Billionen

Synapsen ein gigantisches assoziatives Netzwerk dar.

Es arbeitet analog, nicht digital wie das Arbeitsgedächtnis, und hat

deshalb eine viel höhere Verarbeitungskapazität.

Es braucht jedoch Zeit, und seine Lösung ist sprachlich nicht im

Detail wiedergebbar – ist eben „intuitiv“.

Erfahrungsgedächtnis

WIE GEHT MAN IN KOMPLEXEN

ENTSCHEIDUNGSSITUATIONEN VOR?

(1) Das Problem durch Experten auf wenige (2-3) Alternativen redu-

zieren lassen.

(2) Diese Alternativen 1-2 Stunden lang diskutieren. Je mehr „Sach-

informationen“, desto schlechter.

(3) Vertagen um mindestens 6, besser 24 Stunden. Mehr ist schon

etwas schlechter (Gedächtnisschwund). Nicht an das Problem

denken, nicht darüber diskutieren!

(4) Zusammenkommen, das Problem und die Alterativen noch einmal

kurz umreißen, dann ohne weitere Aussprache „intuitiv“ abstimmen

bzw. entscheiden.

(5) Bei drohendem oder aufgezwungenem Zeitdruck unter allen

Umständen auf Zeit spielen, nicht ohne „Denkpause“ entscheiden!

Selbst eine Stunde ist schon „viel Zeit“.

supplementär- motorisches Areal primärer motorischer Cortex

somatosensorischer Cortex

posterior-parietaler Cortex

Globus pallidus

Nucleus subthalamicus

Substantia nigra

Ncl. caudatus Putamen

Pyramidenbahn

präfrontaler Cortex

Nucleus mediodorsalis

Nucleus centromedianus

Nucleus ventralis lateralis/anterior

BASAL-GANGLIEN

THALAMUS

Willentliche Handlungsentscheidungen

LIMBISCHES

SYSTEM HC, AMY, NACC, VTA

Das unbewusst arbeitende emotionale Erfahrungssystem (Amygdala,

mesolimbisches System, Insel, vorderer Gyrus cinguli) hat bei den

Handlungsentscheidungen das erste und das letzte Wort.

Das erste beim Entstehen von Wünschen, Absichten und Ziel-

setzungen, das letzte bei der Entscheidung, ob das, was geplant ist,

wirklich jetzt und so und nicht anders ausgeführt werden soll.

Dies garantiert, dass alle Entscheidungen im Lichte vergangener

individueller Erfahrungen getroffen werden.

ZUSAMMENFASSUNG I

MASSNAHMEN ZUR VERÄNDERUNG DES

VERHALTENS VON MITARBEITERN

1. ANORDNUNG UND BEFEHL

„Ab Montag bzw. Anfang kommenden Monats treten folgende

Änderungen in Kraft… Wir erwarten, dass sich jeder an diese

Anordnung hält“.

Vorteil: Sofortige Wirkung, keinerlei Vorbereitungen nötig.

Nachteil: Einschüchterung aufgrund einer Machtposition, die

immer einschränkend wirkt, nicht kreativ. Veränderungen wirken

nur so lange, wie Drohungen real sind, dann werden sie sofort

wieder eingestellt. Drohungen und Macht wecken bei den meisten

Menschen das Bedürfnis nach Vergeltung.

2. DER APPELL AN VERSTAND UND EINSICHT

„Die Situation ist objektiv schwierig und erfordert zwangsläufig die

und die Maßnahmen. Das wird jeder einsehen, der sich unvorein-

genommen mit der Lage beschäftigt“.

Vorteil: Tatsächliche oder vorgebliche Unausweichlichkeit der

Maßnahmen. Kritiker können als uninformiert oder geistig

beschränkt dargestellt werden.

Nachteil: Der Appell an Verstand, Vernunft und Einsicht allein hat

keinerlei Einfluss auf das Verhalten – es gibt im Gehirn keine

direkten Verbindungen zwischen dem „Sitz“ von Verstand und

Intelligenz und den verhaltenssteuernden Zentren.

3. DER APPELL AN DIE SOLIDARITÄT

(„Druck auf die Tränendrüse“)

„Wir sitzen alle in einem Boot. Veränderungen sind dringend nötig,

jeder muss das Seine dazu beitragen!“

Vorteil: Momentane Emotionalisierung, Solidarisierung, Begei-

sterung.

Nachteil: Der Effekt ist meist nur vorübergehend und abhängig

von der Solidarität der Anderen und der Glaubwürdigkeit der

Vorgesetzten. Der Betroffene fragt sich bewusst oder unbewusst:

Was habe ICH letztlich davon?

Paradox: Solidarität hat nur dann eine lang anhaltende Wirkung,

wenn sie individuelle Vorteile bietet, sonst lässt sie schnell nach.

4. DAS ANSPRECHEN INDIVIDUELLER BEDÜRFNISSE

„Wir setzen uns mit Ihnen zusammen und sehen gemeinsam,

was zu tun ist, und wie wir das schaffen können.“

Vorteil: Der Mitarbeiter fühlt sich in seiner individuellen Persön-

lichkeit und seinen Bedürfnissen respektiert.

Nachteil: Es ist schwierig und langwierig, herauszubekommen,

welches die Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters sind. Diese

können sehr unterschiedlich sein. Auch ist Glaubwürdigkeit der

Vorgesetzten nötig.

Paradox: Oft wissen die Mitarbeiter selbst nicht, was sie wirklich

wollen. Dies müssen dann der Vorgesetzte oder ein Experte

herausbekommen.

Je „materieller“ eine Belohnung, desto schneller verliert sie bei

Wiederholung ihre Wirkung („Sättigung“):

„Materielle Belohnungen“ wie körperliche Lust und Geld verlieren ihre Wirkung

negativ hyperbolisch bis negativ exponentiell, d.h. die Wirkung reduziert sich

bei jeder Wiederholung mindestens um die Hälfte (oder schneller). Hinzu

kommt ein Enttäuschungseffekt bei Eintritt einer erwarteten Belohnung.

Soziale Belohnungen (Lob, Anerkennung, Titel) lassen in ihrer Wirkung

langsamer, jedoch auch stetig nach.

Die „Erholungszeiten“ variieren allerdings bei beiden individuell stark.

Die einzige Belohnung, die nicht in Sättigung geht, ist die intrinsische

Belohnung. Sie kann sogar mit Wiederholung ansteigen.

MOTIVATIONALE BESONDERHEITEN

Wie ändere ich meine Mitarbeiter ganz konkret?

Belohnung ist das beste Mittel, um eine Person zu einer

Verhaltensänderung zu motivieren. Richtig belohnen ist

jedoch eine komplizierte Angelegenheit

.

(1) Die Art der Belohnung muss an die Motivstruktur des Mit-

arbeiters angepasst sein. Was für den einen eine Belohnung

darstellt, ist es für den anderen noch lange nicht.

(2) Eine Belohnung wirkt umso stärker, je unerwarteter und

seltener sie eintritt.

(3) Das Gehirn stellt seine Belohnungserwartung nach dem

erforderlichen Aufwand ein und überprüft dann, ob die Beloh-

nung „gerecht“ war. Entsprechend wirkt eine Belohnung für

etwas, bei dem man sich nicht angemessen angestrengt hat,

de-motivierend.

BELOHNUNGSKRITERIEN

(4) Eine Belohnung muss zeitnah auf die erwünschte Verhaltens-

änderung folgen, um verstärkend zu wirken. Liegt die Leistung, für

die belohnt wird, schon lange zurück, dann wird die Belohnung

kaum mehr als solche empfunden.

(5) Das Festhalten am Gewohnten trägt eine starke Belohnung in

sich. Eine Verhaltensänderung tritt nur dann ein, wenn sie eine

wesentlich stärkere Belohnung verspricht, als es das Festhalten

am Gewohnten liefert.

DIE WICHTIGE ROLLE DES VORGESETZTEN

Neben der eigenen Persönlichkeit ist die Vertrauenswürdigkeit des

Vorgesetzten der wichtigste Faktor für die Arbeitsmotivation für

den Mitarbeiter.

Die Vertrauenswürdigkeit drückt sich vornehmlich über

nichtsprachliche Kommunikation und Verhalten aus, weniger durch

verbale Kommunikation.

Allerdings kann nur der vertrauenswürdig wirken, der

vertrauenswürdig ist. Vertrauenswürdigkeit ist teils ein „tiefes“

Persönlichkeitsmerkmal, teils kann sie erlernt werden.

Klett-Cotta Stuttgart, 8.

Auflage 2013