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CERN-OPEN-2017-011 09/02/2017 5 1 Einleitung Anfang 2015 erwachte der Large Hadron Collider (LHC) am CERN aus einem fast zweijährigen Shutdown, um kurz darauf mit bisher unübertroffenen Strahlenergien und -intensitäten seinen „Run 2” zu begin- nen. Mittlerweile wurden bereits jegliche Erwartungen übertroffen und alle Rekorde wie zum Beispiel die durchschnittliche Kollisionsrate oder die maximale Strahl- zeit gebrochen. Und auch wenn sich der so- genannte „Di-Photon-Bump”, eine anfangs vielversprechende Anomalie bei 750 GeV, im August 2016 lediglich als statistische Fluktuation erwies, wird die Analyse der bisher gesammelten Daten aller LHC-Expe- rimente die Physikerinnen und Physiker am CERN noch für eine sehr lange Zeit be- schäftigen. Angesichts dieser spannenden Zeit für die Hochenergiephysik kann es daher loh- nend sein, den LHC als aktuelles und pro- minentes Beispiel der Grundlagenfor- schung im Unterricht zu behandeln. Ziel dieses Artikels ist es, einen kurzen Über- blick über die Komponenten und die Funk- tionsweise des LHC zu geben und gleich- zeitig auf nützliche Ressourcen sowie An- bindungen zum Curriculum zu verweisen. [1]. Idealerweise finden so die verschiede- nen Aspekte des LHC ihren Weg in den ak- tuellen Physikunterricht. 2 Wie funktioniert der LHC? Das ultimative Ziel des LHC ist es, elek- trisch geladene Teilchen im Inneren von riesigen Teilchendetektoren zur Kollision zu bringen. Dort werden die Kollisionen de- tektiert und ihre Analyse ermöglicht in wei- terer Folge Rückschlüsse auf die subatoma- re Struktur der Materie, erweitert das Ver- ständnis von Prozessen des frühen Univer- sums und führt idealerweise zur Entde- ckung von neuen, unbekannten Teilchen. 2.1 Teilchenpakete Die historisch gewachsene Beschleuniger- kette am CERN stellt in der Regel beschleu- nigte Pakete von Protonen zur Verfügung. Zusätzlich werden für etwa einen Monat pro Jahr auch Blei-Ionen beschleunigt, um so entweder Pb-Pb-Kollisionen oder auch hin und wieder Pb-p + -Kollisionen studie- ren zu können. Mithilfe der miteinander verbundenen Teilchenbeschleuniger kann am CERN momentan eine maximale Teil- chenenergie von 6,5 TeV erreicht werden. Der finale Schritt zur Design-Energie des LHC von 7 TeV soll in den kommenden Jah- ren erfolgen. Am Beginn der Beschleunigerkette be- finden sich momentan zwei spezielle „Teil- chenquellen”, die separat Protonen oder Blei-Ionen liefern. Im Falle der Blei-Ionen wird Blei abgedampft, welches in den fol- genden Schritten gleichzeitig beschleunigt und dabei vollständig ionisiert wird. Um Protonen zu erhalten, bedient man sich ei- ner simplen Gas-Flasche, in der sich mole- kularer Wasserstoff befindet. Dieser wird zunächst ionisiert, um dann mittels elek- trischer Felder einen kontinuierlichen Pro- tonen-Strahl durch eine Vakuumröhre in den ersten Beschleuniger, den Linearbe- schleuniger LINAC2, zu schicken. Beim Durchlauf der darauffolgenden Kreisbe- schleuniger Booster und Proton Synchro- tron wird der Protonen-Strahl zudem durch Frequenzmodulationen in einzelne Protonen-Pakete aufgeteilt, welche dann in den letzten Vorbeschleuniger, das Super Proton Synchrotron, injiziert werden. Schlussendlich werden im LHC dann zwei in entgegengesetzte Richtungen laufende Protonen-Strahlen, die jeweils aus bis zu 2800 Paketen bestehen, beschleunigt. Je- des Protonen-Paket wird aus etwa 100 Milliarden Protonen gebildet und ist nur wenige Zentimeter lang (Abb. 1). Die Brei- te der Protonen-Pakete variiert je nach Kol- lisionsmodus und Konfiguration des LHC zwischen einigen Millimetern und weni- gen Mikrometern. Um Teilchenpakete für mehrere Stunden im LHC kreisen zu las- sen, ist ein Ultrahochvakuum unerlässlich. In den Strahlrohren des LHC herrscht da- her ein Druck von etwa 10 –10 mbar. In den vergangenen Jahren wurden be- reits mehrere Artikel veröffentlicht, die ver- HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017 ELEMENTARTEILCHENPHYSIK / PdN PHYSIK in der Schule Wie passt der LHC in den Physikunterricht? G. Wiener, J. Woithe, A. Brown u. K. Jende Abb. 1: Graphische Illustration eines Teilchenpaketes. © CERN Tipp: Bei der Diskussion des LHC las- sen sich Missverständnisse vermei- den, wenn man bereits frühzeitig zwi- schen der Teilchenenergie, der Strahl- energie und der Kollisionsenergie unterscheidet. Die Teilchenenergie ist die Energie jedes Teilchens (zum Bei- spiel jedes Protons) in einem Teilchen- paket. Unter der Strahlenergie versteht man die gesamte Energie der zwei Teil- chenstrahlen, also die Summe aller Teilchenenergien. Die Kollisionsener- gie hingegen ist die Summe der Teil- chenenergien zweier kollidierender Teilchen, zur Zeit maximal 13TeV.

Wie passt der LHC in den Physikunterricht? - CERN Document Server · 2017-02-09 · am CERN noch für eine sehr lange Zeit be-schäftigen. Angesichts dieser spannenden Zeit für die

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1 EinleitungAnfang 2015 erwachte der Large HadronCollider (LHC) am CERN aus einem fastzweijährigen Shutdown, um kurz daraufmit bisher unübertroffenen Strahlenergienund -intensitäten seinen „Run 2” zu begin-nen. Mittlerweile wurden bereits jeglicheErwartungen übertroffen und alle Rekordewie zum Beispiel die durchschnittlicheKollisionsrate oder die maximale Strahl-zeit gebrochen. Und auch wenn sich der so-genannte „Di-Photon-Bump”, eine anfangsvielversprechende Anomalie bei 750 GeV,im August 2016 lediglich als statistischeFluktuation erwies, wird die Analyse derbisher gesammelten Daten aller LHC-Expe-rimente die Physikerinnen und Physikeram CERN noch für eine sehr lange Zeit be-schäftigen.

Angesichts dieser spannenden Zeit fürdie Hochenergiephysik kann es daher loh-nend sein, den LHC als aktuelles und pro-minentes Beispiel der Grundlagenfor-schung im Unterricht zu behandeln. Zieldieses Artikels ist es, einen kurzen Über-blick über die Komponenten und die Funk-tionsweise des LHC zu geben und gleich-zeitig auf nützliche Ressourcen sowie An-bindungen zum Curriculum zu verweisen.[1]. Idealerweise finden so die verschiede-nen Aspekte des LHC ihren Weg in den ak-tuellen Physikunterricht.

2 Wie funktioniert der LHC?Das ultimative Ziel des LHC ist es, elek-trisch geladene Teilchen im Inneren vonriesigen Teilchendetektoren zur Kollisionzu bringen. Dort werden die Kollisionen de-tektiert und ihre Analyse ermöglicht in wei-terer Folge Rückschlüsse auf die subatoma-re Struktur der Materie, erweitert das Ver-ständnis von Prozessen des frühen Univer-sums und führt idealerweise zur Entde-ckung von neuen, unbekannten Teilchen.

2.1 TeilchenpaketeDie historisch gewachsene Beschleuniger-kette am CERN stellt in der Regel beschleu-nigte Pakete von Protonen zur Verfügung.Zusätzlich werden für etwa einen Monatpro Jahr auch Blei-Ionen beschleunigt, umso entweder Pb-Pb-Kollisionen oder auch

hin und wieder Pb-p+-Kollisionen studie-ren zu können. Mithilfe der miteinanderverbundenen Teilchenbeschleuniger kannam CERN momentan eine maximale Teil-chenenergie von 6,5 TeV erreicht werden.Der finale Schritt zur Design-Energie desLHC von 7 TeV soll in den kommenden Jah-ren erfolgen.

Am Beginn der Beschleunigerkette be-finden sich momentan zwei spezielle „Teil-chenquellen”, die separat Protonen oderBlei-Ionen liefern. Im Falle der Blei-Ionenwird Blei abgedampft, welches in den fol-genden Schritten gleichzeitig beschleunigtund dabei vollständig ionisiert wird. Um

Protonen zu erhalten, bedient man sich ei-ner simplen Gas-Flasche, in der sich mole-kularer Wasserstoff befindet. Dieser wirdzunächst ionisiert, um dann mittels elek-trischer Felder einen kontinuierlichen Pro-tonen-Strahl durch eine Vakuumröhre inden ersten Beschleuniger, den Linearbe-schleuniger LINAC2, zu schicken. BeimDurchlauf der darauffolgenden Kreisbe-schleuniger Booster und Proton Synchro-tron wird der Protonen-Strahl zudemdurch Frequenzmodulationen in einzelneProtonen-Pakete aufgeteilt, welche dannin den letzten Vorbeschleuniger, das SuperProton Synchrotron, injiziert werden.Schlussendlich werden im LHC dann zweiin entgegengesetzte Richtungen laufendeProtonen-Strahlen, die jeweils aus bis zu2800 Paketen bestehen, beschleunigt. Je-des Protonen-Paket wird aus etwa 100Milliarden Protonen gebildet und ist nurwenige Zentimeter lang (Abb. 1). Die Brei-te der Protonen-Pakete variiert je nach Kol-lisionsmodus und Konfiguration des LHCzwischen einigen Millimetern und weni-gen Mikrometern. Um Teilchenpakete fürmehrere Stunden im LHC kreisen zu las-sen, ist ein Ultrahochvakuum unerlässlich.In den Strahlrohren des LHC herrscht da-her ein Druck von etwa 10–10 mbar.

In den vergangenen Jahren wurden be-reits mehrere Artikel veröffentlicht, die ver-

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Wie passt der LHC in den Physikunterricht? G. Wiener, J. Woithe, A. Brown u. K. Jende

Abb. 1: Graphische Illustration eines Teilchenpaketes. © CERN

Tipp: Bei der Diskussion des LHC las-sen sich Missverständnisse vermei-den, wenn man bereits frühzeitig zwi-schen der Teilchenenergie, der Strahl-energie und der Kollisionsenergieunterscheidet. Die Teilchenenergie istdie Energie jedes Teilchens (zum Bei-spiel jedes Protons) in einem Teilchen-paket. Unter der Strahlenergie verstehtman die gesamte Energie der zwei Teil-chenstrahlen, also die Summe allerTeilchenenergien. Die Kollisionsener-gie hingegen ist die Summe der Teil-chenenergien zweier kollidierenderTeilchen, zur Zeit maximal 13 TeV.

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Abb. 2: Visualisierung eines Kryomodules. Abgebildet sind zwei der vier RF-Kavitäten, welche sich in einem Kryomodul befinden. © CERN

Abb. 3: Graphische Illustration der Spulen aus supraleitenden NbTi-Kabeln in einem LHC Dipol. © CERN

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Durch die Diskussion der überragendenQualität des Vakuums innerhalb der LHC-Strahlrohre lassen sich Inhalte der Ther-modynamik vermitteln. Nachdem es sichbei den Teilchenstrahlen im LHC im weite-ren Sinne um ionisierende Strahlung han-delt, kann sich im Rahmen der Bespre-chung des LHC auch der Brückenschlag zuStrahlenschutz und medizinischen An-wendungen lohnen.

2.2 BeschleunigungskavitätenDie Protonen-Strahlen werden mit einerTeilchenenergie von 450 GeV in den LHCinjiziert. Das heißt, um die gewünschteKollisionsenergie von aktuell 13 TeV zu er-reichen, müssen die Protonen-Pakete imLHC noch weiter beschleunigt werden.Selbst bei maximaler Teilchenenergiemuss aber aufgrund von Verlusten durchSynchrotronstrahlung eine ständige Be-schleunigung der Protonen-Pakete erfol-gen. Dafür sind sogenannte Radiofre-quenz Kavitäten (RF-Kavitäten) zuständig.Dabei handelt es sich um hohle Kupfer-röhren, die mit einer 1,5 μm dicken Schichtaus Niob überzogen sind. Von außen wer-den diese Kavitäten mittels flüssigem He-lium auf eine Betriebstemperatur von 4,5K abgekühlt, wodurch das Niob supralei-tend wird.

Die Kavitäten sind gemeinsam mit allenZu- und Ableitungen für die Kühlung sowiedem RF-Equipment in sogenannten „Kryo-modulen” zusammengefasst (Abb. 2). Ins-gesamt gibt es vier Kryomodule, die jeweilsaus vier Kavitäten bestehen. Alle vier Mo-

nisierung der dominante Prozess bei derHerstellung von elektrisch geladenen Teil-chen. Ein interessantes Rechenbeispiel istzudem die Abschätzung des jährlichenWasserstoffbedarfs des LHC, bei der sichauch die Diskussion des Mol-Begriffs an-bietet. Die Eigenschaften und das Verhal-ten von ultra-relativistischen Teilchen inTeilchenbeschleunigern wird elegant vonder Relativitätstheorie beschrieben, wo-durch eine weitere Verbindung innerhalbdes Curriculums ermöglicht wird. Zudembietet es sich an, anhand der Beschreibungder Protonen-Strahlen im LHC Inhalte derMechanik wie etwa Energie, Geschwindig-keit, Impuls und Masse zu besprechen.

deutlichen, dass sich die Betrachtung desLHC im Unterricht lohnen kann. Darunterbefinden sich eine Diskussion des Vaku-um-Systems [2] sowie die Berechnung dergespeicherten Energie in den einzelnenKomponenten des LHC [3]. Zudem stelltdas CERN MediaLab eine Vielzahl an ak-tuellen Animationen frei zur Verfügung,welche zum Beispiel im konkreten Fall denHerstellungsprozess der Protonen-Paketeillustrieren [4].

Bei der Besprechung der Teilchenpake-te des LHC im Unterricht bieten sich meh-rere Verbindungen zum Physikunterrichtan. So ist zum Beispiel das von der Quan-tenphysik beschriebene Phänomen der Io-

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Abb. 4: Graphische Illustration der Spulen aus supraleitenden NbTi Kabeln in einem LHC Quadrupol.© CERN

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Strom von 12 kA durch die supraleitendenSpulen geschickt, wodurch jeder Dipol einMagnetfeld von 8,3 T erzeugt. Dieses Mag-netfeld reicht aus, um die Teilchenpaketeselbst bei der im LHC maximal erreichba-ren Teilchenenergie von 7 TeV auf ihrerKreisbahn zu halten.

Jeder angefertigte Dipol musste eineVielzahl an Tests durchlaufen, bevor er inden LHC Tunnel transportiert und dort ein-gebaut wurde. Daher wurden alle Dipolezunächst in die Magnettesthalle SM18 amCERN transportiert, wo jeder Dipol indivi-duell an einen Teststand angeschlossenwurde, an dem die Betriebsbedingungensimuliert wurden. Zu Beginn der Tests wa-ren speziell die Vermessung des Vakuumsin den Strahlröhren und des Isoliervaku-ums von höchstem Interesse. Denn erstwenn sich alle Isolationssysteme als dichterwiesen haben, konnte der Dipol test-weise auf Betriebstemperatur abgekühltwerden. Sobald diese erreicht war, wurdeelektrische Spannung an den supraleiten-den Spulen angelegt, um in weiterer Folgedas dadurch erzeugte magnetische Dipol-feld vermessen zu können.

Im Unterricht bietet es sich unserer Mei-nung nach an, vor allem die beschriebenenintensiven Tests der Dipole zu besprechen,um darauf aufbauend die verschiedenenphysikalischen Phänomene diskutieren zukönnen, welche bei Konstruktion und Be-trieb von Dipolen beachtet werden müs-sen. Dabei stechen vor allem drei Themen-bereiche hervor: Anhand des Abkühlpro-zesses von Dipolen lassen sich Prinzipiender Thermodynamik besprechen, währenddie Erzeugung von Magnetfeldern durchstromdurchflossene supraleitende Spulendirekt zu Inhalten des Elektromagne-tismus führt und die Diskussion der Kreis-bewegung von Teilchenpaketen im LHC

2.3 DipolmagneteNeben dem Einsatz von elektrischen Fel-dern ist die Verwendung von magneti-schen Feldern unabdingbar für die Kon-struktion und Funktion von Teilchenbe-schleunigern. Speziell um elektrisch gela-dene Teilchen auf eine Kreisbahn zu zwin-gen, sind magnetische Dipolfelder essen-ziell. Denn diese vermitteln aufgrund derLorentzkraft eine ablenkende Wirkung aufdie Teilchenpakete. Dabei hängt die Ablen-kung der Teilchen sowohl von ihrer Ge-schwindigkeit als auch der Konfigurationdes Magnetfeldes ab. Im Fall des LHC, desaktuell weltweit größten Synchrotrons,werden die ablenkenden magnetischen Di-polfelder durch elektrische Ströme in su-praleitenden Spulen erzeugt, die sich inunmittelbarer Nähe der Strahlrohre befin-den (Abb. 3). Insgesamt sind im LHC 1232solcher sogenannten „Dipole” installiert.Jeder Dipol ist 15 Meter lang und die supra-leitenden Spulen sind aus Niob-Titan-(NbTi)-Kabeln angefertigt. Diese werdenmit hilfe von superfluidem Helium auf eineBetriebstemperatur von 1,9 K abgekühlt,bei welcher die Kabel supraleitend sind.

Angesichts dieses gewaltigen Tempera-turgradienten zwischen der kalten Masseund der Außenseite der Dipole ist klar er-sichtlich, dass eine funktionierende Isolie-rung mithilfe eines Isoliervakuums undzusätzlich durch Abschirmen von Wärme -strahlung unabdingbar ist. Zusätzlich sindflexible Verbindungsstücke zwischen denDipolen unverzichtbar, da sich jeder Dipolwährend des Abkühlens zusammenzieht,wodurch sich der gesamte Umfang desLHC um bis zu 80 Meter verkürzt – ein wun-derbares Anwendungsbeispiel im Unter-richt zur thermischen Kontraktion. Sobalddie Dipole abgekühlt und im Betriebsmo-dus sind, wird ein nomineller elektrischer

dule befinden sich hintereinander auf einerder geraden Strecken im LHC und proStrahlrichtung sorgen jeweils zwei Modulefür die Beschleunigung der Teilchenpakete.Dafür wird ein von RF-Generatoren erzeug-tes elektromagnetisches Feld via Wellenlei-ter in die Kavitäten geleitet. Dieses Feld os-zilliert mit einer Frequenz, welche mit derUmlaufzeit der Teilchenpakete im LHCkompatibel ist. Die Überlagerung derelektromagnetischen Wellen bei ihrer Reso-nanzfrequenz von 400 MHz resultiert in ste-henden elektromagnetischen Wellen im In-neren der Kavitäten. Dadurch entstehenlongitudinale elektrische Felder mit Feld-stärken von etwa 5 MVm–1 entlang der je-weiligen Strahlrichtung. Bei idealer Ab-stimmung zwischen Oszillation des elek-trischen Feldes und Umlauf der Teilchenpa-kete kann so Energie auf die Teilchen über-tragen werden, wodurch jedes Proton mitjedem Umlauf im LHC im Durchschnitt485 keV an Energie erhält. Zwischen Injek-tion und Erreichen der maximalen Energielegen die Teilchenpakete dabei etwa 1 Mil-lion Umläufe im LHC zurück. Der gesamteBeschleunigungsprozess im LHC dauertetwa 20 Minuten.

Es gibt eine Vielzahl an nützlichenRessourcen, die es Lehrpersonen ermög-lichen, die Physik der Teilchenbeschleuni-gung im Unterricht zu besprechen. ZumBeispiel gibt es einfache Berechnungen be-züglich der Anzahl an Protonen im LHC [5],welche sich sogar schon für einen Einsatzin der Sekundarstufe I eignen. Zusätzlichgibt es Selbstbauvarianten von Analogie -experimenten, die es Jugendlichen ermög-lichen, den Prozess der Teilchenbeschleu-nigung nachzuvollziehen [6]. Diese kön-nen ebenso durch moderne Animationenergänzt werden [7].

Anhand von RF-Kavitäten lassen sichmehrere Kapitel der Physik besprechen. Sospielen zum Beispiel fundamentale Prinzi-pien der Elektrizität eine essenzielle Rollefür die Funktionsweise der RF-Kavitäten.Speziell die Erzeugung, Leitung und reso-nante Speicherung von elektromagneti-schen Wellen lassen sich elegant anhandvon RF-Kavitäten diskutieren. Hier bietetsich insbesondere die Verbindung zumMikrowellenherd als exemplarisches Bei-spiel für die Nutzung von stehenden Wel-len im Alltag an. Ebenso ermöglicht dieDiskussion von elektromagnetischen Wel-len zur Beschleunigung von Teilchen denTransfer zu mechanischen Schwingungenund Wellen. Des Weiteren stellen RF-Ka-vitäten reale Anwendungsobjekte der Su-praleitung dar, welche ebenso im Unter-richt besprochen werden können.

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die Verbindung zur Mechanik ermöglicht.Speziell zur Lorentzkraft gibt es bereitsmehrere Ressourcen, die darauf abzielen,die Diskussion von Dipolen im Unterrichtzu erleichtern [8]. Und auch hier gibt es an-schauliche Animationen, die zur Illustra-tion der Funktionsweise von Dipolen ein-gesetzt werden können [9].

2.4 QuadrupolmagneteZusätzlich zu Dipolen, die die Teilchenpa-kete auf ihrer Kreisbahn halten, wird imLHC noch eine Vielzahl weiterer supralei-tender Elektromagnete verwendet, die auf-grund ihrer unterschiedlichen Konfigura-tionen dafür sorgen, dass sich die be-schleunigten Teilchen nahe des idealen Or-bits durch den LHC bewegen. Ein Beispieldafür sind Quadrupolmagnete, die aus vierSpulen bestehen, welche symmetrisch umdas Strahlrohr verteilt sind (Abb. 4). DieStärke des erzeugten magnetischen Qua-drupolfeldes nimmt mit Abstand zumMittelpunkt, der sich idealerweise im Zen-trum des Strahlrohres befindet, zu. Die dar-aus resultierende linear anwachsende Lo-rentzkraft auf sich durch das Magnetfeldbewegende elektrisch geladene Teilchensorgt somit für eine Fokussierung der Teil-chenpakete. Man spricht daher im Fallevon Quadrupolmagneten auch von Fokus-siermagneten. Allerdings fokussiert einQuadrupolmagnet immer nur in einerRichtung, zum Beispiel horizontal, wäh-rend er gleichzeitig in der entgegengesetz-ten Richtung, also in diesem Fall vertikal,defokussierend wirkt. Um radial fokussier-te Teilchenstrahlen zu erzeugen, sind alsoKombinationen aus fokussierenden unddefokussierenden Quadrupolen notwen-dig.

In Kreisbeschleunigern werden Fokus-siermagneten hauptsächlich dafür verwen-det, um die permanente Coulomb-Absto-ßung zwischen elektrisch gleichnamig ge-ladenen Teilchen zu kompensieren. ImLHC dienen sie allerdings auch dazu, umden Teilchenpaketdurchmesser vor denKollisionspunkten drastisch zu reduzieren,da somit die „Trefferwahrscheinlichkeit”erhöht werden kann. Im Extremfall wirdder Durchmesser auf bis zu 16,7 μm mini-miert. Dazu sind im Inneren der Quadru-polmagneten Feldgradienten von bis zu205 Tm–1 notwendig, welche abermals nurdurch die Verwendung von supraleitendenNbTi-Spulen erzielt werden können. Diesbedeutet allerdings, dass auch bei Quadru-polmagneten die Kühlung mit superflui-dem Helium eine äußerst wichtige Rollespielt. Besonders wichtig wird die Küh-lung, wenn sich Quadrupolmagnete in un-

mittelbarer Nähe der Kollisionspunkte be-finden. Dort finden bis zu 800 MillionenKollisionen pro Sekunde statt, bei denenjeweils hunderte neue Teilchen entstehen.Diese Teilchen können einen Teil ihrerEnergie auch in den Magneten deponieren,was zu einer Erwärmung der supraleiten-den Spulen in den Quadrupolmagnetenund in weiterer Folge zum Zusammen-bruch der Supraleitung führen kann. Umdies zu verhindern, wurden in den Quadru-polmagneten besondere Wärmetauscherverbaut, welche superfluides Helium bei1,9 K führen und somit etwaige Erwärmun-gen in Form von Verdampfungsprozessenabsorbieren können.

Zur Verwendung im Unterricht bietensich Quadrupolmagnete vor allem unterdem Gesichtspunkt an, dass diese auch als„magnetische Linsen” bezeichnet werden,wodurch sich bereits der mögliche Trans-fer zur Optik offenbart. Die fokussierendeund defokussierende Wirkung von Qua-drupolmagneten lässt sich zudem sehreinfach mithilfe einer Kathodenstrahlröh-re und vier Spulen veranschaulichen. Einesimple Visualisierung von mehrpoligenMagnetfeldern kann mittels preisgünsti-gem Magnetspielzeug realisiert werden[10]. Des Weiteren bietet die Diskussionvon Quadrupolmagneten erneut die Mög-lichkeit, Inhalte der Thermodynamik imKontext des LHC zu besprechen. Betrach-tet man zudem die Wechselwirkung zwi-schen sekundären Teilchen aus den Kolli-sionen mit den Fokussiermagneten unddie daraus resultierenden Probleme wäh-rend des Betriebs des LHC, lassen sichfundamentale Prinzipien der Teilchenphy-sik im Unterricht erörtern. Und auch hiergibt es nützliche Animationen, welche dieFunktionsweise von Quadrupolen im LHCauf elegante Art und Weise illustrieren[11].

3 Fazit und AusblickÜber die vergangenen Jahre hat sich derLHC als der momentan weltweit größteund berühmteste Teilchenbeschleunigerunserer Generation etabliert. Dadurch istauch das Interesse an Hochenergiephysikenorm gestiegen. Vor allem vor Ort amCERN sind wir Tag für Tag mit der gewalti-gen Nachfrage von Schulklassen und Besu-chergruppen konfrontiert. Um einen etwai-gen Transfer des LHC in den Physikunter-richt zu unterstützen, haben wir im vorlie-genden Artikel einen kurzen Überblicküber die Komponenten und Funktions-weise des LHC gegeben und diesen mit Ver-weisen auf nützliche Ressourcen und Ver-bindungen zum Curriculum ergänzt. Hier-

bei handelt es sich allerdings nur um eineminimale Auswahl. Für weiterreichendeBetrachtungen empfehlen wir den Besuchder momentan vermutlich reichhaltigstenund aktuellsten Sammlung verschieden-ster Teilchenphysik-Ressourcen, nämlichdie Datenbank der International Particle Phy-sics Outreach Group [12]. Für interessierte Ju-gendliche (und Lehrpersonen) stellt CERNim Rahmen des OpenData Portals zudemeine Fülle an Originaldaten zur Verfügung,welche individuell bearbeitet und ausge-wertet werden können [13]. ■

Literatur[1] Ähnliche Überlegungen wurden bereits füreine internationale Leserschaft veröffentlicht:Wiener, G. J., Woithe, J., Brown, A. & Jende, K.(2016). Introducing the LHC in the classroom:an overview of education resources available.Physics Education, 51, 1 – 7. Der vorliegende Bei-trag wurde für den deutschen Sprachraumadaptiert.[2] Cid-Vidal, X. & Cid, R. (2011). LHC: the emp-tiest space in the solar system. Physics Educa-tion, 46, 45 – 49 [3] Cid, X. & Cid, R. (2009). Taking energy to thephysics classroom from the large hadron colliderat CERN. Physics Education, 44, 78 – 83 [4] http://cern60.web.cern.ch/en/exhibitions/duoplasmatron[5] Cid-Vidal, X. & Cid, R. (2011). How to count300 trillion protons travelling at the speed oflight. Physics Education, 46, 309–311 [6] http://ippog.web.cern.ch/resources/2014/salad-bowl-accelerator[7] http://cds.cern.ch/record/1750705[8] Cid, R. (2005). Contextualized magnetismin secondary school: learning from the LHC(CERN). Physics Education, 40, 332 – 338 [9] http://cds.cern.ch/record/1750706[10] Defrancesco, S., Logiurato, F. & Karwasz, G.(2007). GEOMAGTM Paradoxes. The PhysicsTeacher, 45, 542–545 [11] http://cern60.web.cern.ch/en/exhibitions/quadrupole[12] http://ippog.web.cern.ch/resources[13] http://opendata.cern.ch

Anschrift der VerfasserGerfried Wiener, Teacher and Student Program-mes Section, CERN, Genève 23, SchweizE-Mail: [email protected] Woithe, Teacher and Student ProgrammesSection, CERN, Genève 23, SchweizE-Mail: [email protected] Brown, Teacher and Student Pro-grammes Section, CERN, Genève 23, SchweizE-Mail: [email protected] Jende, Max-Taut Schule, BerlinFischerstraße 36, 10317 BerlinE-Mail: [email protected]

PdN PHYSIK in der Schule / ELEMENTARTEILCHENPHYSIK HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017

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