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Trim Size: 140mm x 214mm Katzengruber c01.tex V1 - 29.˜August 2017 7:06 A.M. Page 23 23 1 Wie sich Vertrieb durch die Digitalisierung verändert Einleitung Gesellschaſtlicher und technologischer Wandel sind stetige Begleiter unserer Menschheitsgeschichte. Was neu ist, ist die Intensität und die Geschwindigkeit, mit der uns die Technologie vor sich hertreibt. Es gab in unserer Geschichte noch nie eine vergleichbare Dynamik der Veränderung, daher haben wir keine Erfahrungswerte. Die Dynamik der Entwicklung wird am Beispiel der eorie der langen Wellen des russischen Wirtscha- ſtswissenschaſtlers Nikolai Kondratjew deutlich. Die nach ihm benannten Zyklen sind Konjunkturwellen mit einer Dauer von bisher ca. 40-60 Jahren und haben in der Vergangenheit immer einen großen Umbruch der gesamten Gesellschaſt hervorgebracht. Der Zyklus selbst verteilt sich dabei auf unter- schiedliche Ebenen: Durch neue Technologien und Innovationen folgen extreme Marktveränderungen und Machtverschiebun- gen, besonders in der Wirtschaſt. Neue Geschäſtsmodelle entstehen und lösen mit hoher Geschwindigkeit die beste- henden Modelle ab. Dies bedeutet auch Veränderungen in der Gesellschaſt. Bestehende Berufsbilder verschwinden, neue etablieren sich. In den Unternehmen entsteht ein enormer Druck, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Dies führt zu weitreichenden Veränderungen und Verschiebungen in den Märkten, den politischen Systemen und in der Gesellschaſt. Technologische Entwicklungsstufe Sales-Entwicklungsstufe 1. industrielle Revolution (um 1780 bis 1800) »Wasser- und Dampfkraft« Ergebnis: Erste Welle industrielle Automatisierung durch Einführung mechanischer Produktionsanlagen mithilfe von Wasser- und Dampfkraft. Maschinen unterstützen Menschen. Anbieterorientierter Markt Kein Vertrieb/Verkauf sondern Verteilung

Wie sich Vertrieb durch die Digitalisierung verändert...In der zweiten industriellen Revolution trieb die elektrische Energie die Fließbänder der Massenproduktion an. In der dritten

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1 Wie sich Vertrieb durch dieDigitalisierung verändert

Einleitung

Gesellschaftlicher und technologischer Wandel sind stetigeBegleiter unserer Menschheitsgeschichte. Was neu ist, ist dieIntensität und die Geschwindigkeit, mit der uns die Technologievor sich hertreibt. Es gab in unserer Geschichte noch nie einevergleichbare Dynamik der Veränderung, daher haben wirkeine Erfahrungswerte. Die Dynamik der Entwicklung wird amBeispiel der Theorie der langen Wellen des russischen Wirtscha-ftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew deutlich. Die nach ihmbenannten Zyklen sind Konjunkturwellen mit einer Dauervon bisher ca. 40-60 Jahren und haben in der Vergangenheitimmer einen großen Umbruch der gesamten Gesellschafthervorgebracht. Der Zyklus selbst verteilt sich dabei auf unter-schiedlicheEbenen:DurchneueTechnologienund Innovationenfolgen extreme Marktveränderungen und Machtverschiebun-gen, besonders in der Wirtschaft. Neue Geschäftsmodelleentstehen und lösen mit hoher Geschwindigkeit die beste-henden Modelle ab. Dies bedeutet auch Veränderungen inder Gesellschaft. Bestehende Berufsbilder verschwinden, neueetablieren sich. In den Unternehmen entsteht ein enormerDruck, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Dies führtzu weitreichenden Veränderungen und Verschiebungen in denMärkten, den politischen Systemen und in der Gesellschaft.

Technologische Entwicklungsstufe Sales-Entwicklungsstufe

1. industrielle Revolution (um 1780 bis 1800)

»Wasser- und Dampfkraft«Ergebnis:Erste Welle industrielle Automatisierungdurch Einführung mechanischerProduktionsanlagen mithilfe von Wasser- undDampfkraft. Maschinen unterstützenMenschen.

Anbieterorientierter MarktKein Vertrieb/Verkauf sondern Verteilung

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Technologische Entwicklungsstufe Sales-Entwicklungsstufe

2. industrielle Revolution (um 1870 bis 1940)

»Elektrische Energie«Ergebnis:Beginn der Massenproduktion, erstesFließband, Zunehmende Automatisierung.

Sales 1.0 »Professioneller Verkauf an großeZielgruppen«Ergebnis:Hohe Absatzleistung, reine Deckung derNachfrage, nur geringer Anstieg desWettbewerbsdrucks

3. industrielle Revolution (um 1940 bis 1970)

»Elektrotechnik, chemische Industrie undHochindustrialisierung«Ergebnis:Beginn der Massenproduktion

Sales 2.0 »Professioneller Verkauf an großeZielgruppen«Ergebnis:Werbung in Massenmedien helfen denWerbedruck aufzubauen, Verdrängung stattBefriedigung der Nachfrage, kontinuierlicherAnstieg der Werbespendings

4. industrielle Revolution (um 1970 bis 1990)

»Aufkommen von Informationstechnologie«Ergebnis:Ermöglichen der digitalen Automatisierungund Technologisierung der Produktion,Bildung von ersten Netzwerken

Sales 3.0 »Überproduktion undVerdrängung«Ergebnis:Neue Strategien zur Markt- undKundenbearbeitung, Kundenorientierung undKundenservice wurden verstärkt, Einführungvon IT und digitalenVertriebssteuerungssystemen

5. industrielle Revolution (um 1990 bis 2005)

»Vernetzung und schnelle Entwicklung vonInformationstechnologien«Ergebnis:Erhöhung der Vernetzungsdichte durchAusbau von Internet, E-Mail etc.; Einführungund Ausbau der Mobilkommunikation,E-Commerce im Web

Sales 4.0 »Beginn Informationsmobilitätund E-Commerce«Ergebnis:Informationsmobilität, erste Suchmaschinen(Google wird zum Standard), Beginn vonE-Commerce im Web, Big Data, BusinessIntelligence und Data Warehousing.

6. industrielle Revolution (2005 bis 2020)

»Ausbau von ›Always Online‹«Ergebnis:Einführung von Smartphones, Tablets understen Schritten zu digitalem Wandel (MobileE-Commerce, Social Media, Musik, Video,Buch etc.)

Sales 4.1 »Erste Digitalisierung und mobileE-Commerce«Ergebnis:Preistransparenz, zeitlose Verfügbarkeit derProdukte durch mobile Angebote,Einkaufsplattformen, Automatisierung undDigitalisierung, Psychometrie definiertKundentypologien im B2B und B2C.Steigender Preisdruck durch absoluteTransparenz und Vergleichbarkeit in Echtzeit.

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Einleitung 25

Technologische Entwicklungsstufe Sales-Entwicklungsstufe

7. industrielle Revolution (ab 2020)

»Kompletter digitaler Wandel,Digitalisierung, Mensch-Maschine-Interface,Bionik«Ergebnis:Verschiebungen und Wegfall vonArbeitsplätzen, Umstellung auf digitaleProzesse, Selbstlernende Systeme (KI),Einführung von digitalen Implantaten,Entstehung neuer Industrien (Freizeit- undLernindustrie), da Menschen mehr Zeithaben

Sales 5.0 »Fortschreitende Digitalisierungund digitaler Handel«Ergebnis:Algorithmen berechnen und beeinflussenBedarf und Kaufverhalten. Kunden werdenvon Anbietern gefunden und erhaltenautomatisch das beste Angebot. Der digitaleZwilling denkt vor und definiert denzukünftigen Bedarf des Kunden.

Die Theorie der langen Wellen brach mit der Entdeckung desInternets und der daraus resultierenden Digitalisierung zusam-men. Die Zyklen wurden unberechenbarer und damit die Pro-gnosen unsicher, insbesondere im Vertrieb. Hatten WirtschaftundGesellschaft in der Vergangenheit Zeit, sich auf Veränderun-gen, aber auch auf die damit verbundenen Degenerationsphaseneinzustellen, sind die heutigen Entwicklungen so kurz, dassfür die Anpassung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen undpolitischen Systeme keine Zeit bleibt. Oder wie Dr. RainerBuchner vom Salzburger Institut für Wirtschaftspsychologie esin einem seiner Vorträge bezeichnete: »Das Leben ist seit ChristiGeburt um das ca. 3 600-Fache schneller geworden.« SowohlWirtschaft als auch Gesellschaft müssen in Zukunft in Echtzeitwandlungs- und anpassungsfähig sein, wenn sie Schritt haltenwollen. Heute leben wir an der Bruchstelle zur postindustriellenGesellschaft, die auch als vierte industrielle Revolution bezeich-net wird. Die Auswirkungen der digitalen Transformation sindbesonders in den Interaktionen der Hersteller und Lieferantenmit dem Kunden erkennbar. Eine neue Generation von findigenEntwicklern nutzt die Digitalisierung, um neue Geschäftsmo-delle zu entwickeln, die sich zwischen Hersteller und Kundenstellten. Vom Erzeuger direkt zum Endverbraucher, ist dietausendfach kopierte Erfolgsformel. Die dadurch entstehendenPreisvorteile werden weitergereicht und sind ein unschlagbarer

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USP dieser neuen Handelsform. Je mehr die Wertschöpfung insDigitale wandert, umso gefährdeter sind die Geschäftsmodelle,die sich als Mono-Kanal-Vertriebe verstehen. Die Strategien undGeschäftsmodelle im Vertrieb ändern sich grundlegend und nurwenn alle Vertriebskanäle professionell genutzt werden, könnenUnternehmen auch in Zukunft erfolgreich verkaufen. Die alteFrage bleibt: »Warum soll der Kunde ausgerechnet bei Ihnenkaufen?« Die mobilen Akteure der Digitalökonomie schafften inkurzer Zeit Zugang zu Kundengruppen und ließen die Umsätzedes stationären Handels schrumpfen. Die neuen Verkäuferheißen Amazon, Zalando, Ebay, Google, Facebook, etc. und siesammeln in erster Linie Daten. Sie haben rechtzeitig erkannt,dass die Bedürfnisstrukturen ihrer Kunden sehr gut aus derenTransaktionen abzulesen sind. Somit haben diese Unternehmenetwas, was der klassischeVertrieb nur in sehr fragmentierter oderschlechter Qualität hat: Informationen über die Kaufmotive undKaufabsichten des Kunden. In den meisten Vertriebsorganisatio-nen, die wir in den letzten zwanzig Jahren kennengelernt haben,befinden sich diese Informationen entweder in unterschiedli-chen Datenbanken, die nicht miteinander kommunizieren, oderschlicht und ergreifend in den Köpfen der Mitarbeiter. Durchdiese neue Form der Datennutzung verschiebt sich der komplet-te Verkaufsprozess in Richtung Analyse und Auswertung vonBedürfnisstrukturen, die sich in Algorithmen wiederfinden las-sen. Sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich verschiebt sich sodas Machtverhältnis zwischen Erzeuger, Händler und Kunden.Das Wissen über den Kunden und damit der Verkaufsprozesswandern ins Digitale. Dort werden die Daten verarbeitet undfür die Fortsetzung des Verkaufsprozesses genutzt. Die aktuellenFortschritte im Bereich künstlicher Intelligenz, die Mustererken-nung im Verhalten von Zielgruppen, im Internet der Dinge unddie Analyse großer Datenmengen mit dem Ziel, Konsumverhal-ten präzise zu prognostizieren, geben einen kleinen Ausblick aufmögliche Anwendungen und Auswirkungen in der Zukunft. DerKonsument wird vom Suchenden zum Gefundenen, die Muste-rerkennung digitaler Intelligenz dreht den Spieß im Kaufprozess

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um. In den B2B-Vertriebsorganisationen werden intelligenteCRM-Systeme die Planung, Steuerung und Kontrolle von Ver-kaufsprozessen automatisiert durchführen. Von der Kampagnebis zum Abschluss werden die Verkäufer mit einem Set aus KPIs(key performance indicators) beurteilt, ihre Schwächen undEntwicklungsbedarf offenbar. Parallel dazu werden Menschendigital vermessen um ihre Persönlichkeitseigenschaften mitdem Anforderungsprofil zu vergleichen. Psychometrie wird inder digitalisierten Welt eine wesentliche Rolle spielen, wenn esum die Führung, Steuerung und Kontrolle von Organisationengeht. Dort wo Verkäufer gebraucht werden, sind sie das Interfacezwischen Maschine und Kunde. Die Maschine plant und gibtHinweise für die Verkaufsaktivitäten, die Planung der aktivenVerkaufszeit und auf Grund des psychometrischen Profils desKunden, Hinweise auf die Form der Verhandlungsführung,die Art des verwendenden Werbemittels und des Zielpreises.Klingt für Sie wie Science-Fiction? Das beschriebene Szenarioist bereits Realität.

Alles wird 4.0 – die Konsequenzen für den Vertrieb

Hinter diesem Begriff steckt in erster Linie die intelligente Ver-netzung, sich selbst organisierender Systeme. Für die Industrie4.0 bedeutet dies, den gesamten Wertschöpfungsprozess durchdigitale Systeme zu steuern. Von der Produktentwicklung überdie Fertigung, die Vermarktung, die Nutzung bis zur Wieder-verwertung (Recycling) werden die Prozesse automatisiert undkontrollieren sich selbst. Allerdings darf man Industrie 4.0 nichtauf ein reines Technologiethema reduzieren, speziell im Vertriebnicht. Vor allem Menschen, Prozesse, Technik und Organisatio-nen im Vertrieb müssen in den Innovationskreislauf einbezogenwerden. Dies trifft im Besonderen auf den B2B-Vertrieb zu, denndieser darf sich, anders als im B2C, nicht vom Markt entfernen.Eine reine E-Commerce-Plattform für den Konsumenten zuerstellen, benötigt Produkte und Daten über die Zielgruppe. ImB2B muss der Kontakt zum Markt stetig gehalten werden, um

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Trends, Entwicklungen und Wettbewerbsangebote rechtzeitigzu erkennen. Die Innovationszyklen im B2B sind meist vonden Anforderungen der Kunden abhängig und daher wird jederVertrieb, der sich auf die reine Digitalisierung der Markt- undKundenbearbeitung zurückzieht, schon in kurzer Zeit seineInnovationskraft verlieren. Eine kurze Annekdote dazu: In den80er Jahren hatte meine Hausbank noch eine Filiale und ichhatte einen Ansprechpartner, der sich um meine Geldgeschäftekümmerte. Von der Beratung, ob und welche Aktien ein sinnvol-les Investment sind, bis zum Ausfüllen einer Überweisung war erfür mich da. Er kannte meine Bedürfnisse und es gab ein stillesEinverständnis, wenn ich meine Kreditlinie überzogen hatte.Bis ich wieder Liquidität aufgebaut hatte, wurde die Kreditlinieohne viel Aufwand meinen Bedürfnissen angepasst. Es gab soetwas wie ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, basierend aufjahrelanger Erfahrung miteinander. Dann entschloss sich meineBank, den Fokus auf das Investmentgeschäft und auf Menschenmit höheremEinkommen alsmeines zu legen.Meine Filiale wur-de geschlossen, mein Ansprechpartner gekündigt und ich standvor einem Geldautomaten. Vorbereitet hat man mich auf diesenSchritt nicht. Im nächsten Schritt erhielt ich die Zugangsdatenfür Internet- und Telefonbanking. Das Privatkundengeschäftwuchs und die große Masse der Kleinkunden wurde nur nochvia Callcenter oder Online Banking abgefertigt. In den nächstenJahren sah ich keinen Mitarbeiter dieser Bank mehr und wurdeauch nicht kontaktiert. Mit Gründung der ersten Online-Bankwurde ich bei dieser Kunde. Der Service war besser, die Kostengeringer, also gab es keinen Grund meiner Bank treu zu bleiben.Insgeheim hoffte ich auf eine Reaktion meiner Bank, auf dieSchließung meines Kontos – Fehlanzeige. Ein knappes Jahr spä-ter erhielt ich einenAnruf, einesMitarbeitersmeiner ehemaligenBank. An den Hintergrundgeräuschen konnte ich feststellen,dass es ein Callcenter war, aus dem versucht wurde, neueFinanzprodukte an den Mann oder die Frau zu bringen. Diesmalwar es ein geschlossener Immobilienfond, der mir als exklusivenKunden der Bank angeboten wurde. Als ich den freundlichen

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Herren sagte, dass ich das Angebot ja gerne annehmen würde,aber schon seit Jahren kein Konto mehr bei seiner Bank habe,legte er einfach auf. Schlechtes Datenmanagement würde manheute sagen. Was war also passiert? Die wertvollsten allerInformationen für ein Kreditinstitut, die Informationen übermeine Transaktionen und Geldgeschäfte, wurden verschenkt.Der Beschenktewar dieOnline-Bank, zu der ichwechselte. Inter-essanterweise haben wir zu einem späteren Zeitpunkt in meinerEx-Bank ein Projekt begleitet, welches sich mit der Wieder-beschaffung von Informationen über die ehemaligen Kundenund dem persönlichen Aufbau einer neuen Kundenbezie-hung befasste. Die Kosten für dieses Projekt waren enorm.Dieses Beispiel ist typisch für Unternehmen, die Technologiedazu einsetzen, um den Kunden loszuwerden. Das beschrie-bene Szenario ist nicht nur typisch für die Finanzbranche.Vergleichbare Fehlleistungen lassen sich in allen Branchenfinden. Da stimmt es beruhigend, dass die künstliche Intelligenznun auch Einzug in die Managemententscheidungen hält.Sie soll als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschinedie Wertschöpfungsketten fehlerfrei halten und kontinuier-lich optimieren. Diese sich selbstorganisierenden Systemewerden eine direkte Form der Kooperation zwischen künstli-cher und humaner Intelligenz beinhalten. Wer das führendeSystem ist, wird von der jeweiligen Aufgabe abhängig sein.Das ist übrigens keine revolutionäre These, sondern heuteschon gelebter Alltag, zum Beispiel im Cockpit jedes modernenFluggerätes, Autopilot genannt. Technologie verhindert, dassdie Piloten Flugbewegungen durchführen, die für bestimmteSituationen ein zu hohes Risiko beinhalten. Schon lange werdenkomplexe Vorgänge in der Logistik automatisiert gesteuert.Cyberphysische Systeme (CPS) vernetzen unterschiedlichsteSoftwarekomponenten zu hochkomplexen, miteinander kom-munizierenden Systemen. Diese steuern zum Bespiel unserStromnetz, sie werden für das Management von Infrastruk-tursystemen eingesetzt (SMART-Citys) sowie zur Berechnungund Steuerung militärischer und ziviler Sicherheitsprozesse.

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Wenn wir die unterschiedlichen Zyklen betrachten, in der sichunsere Arbeitswelt evolutionär veränderte, stellen wir fest, dasses immer die Technologie war, die unser Arbeiten veränderthat. In der ersten industriellen Revolution war es maßgeblichdie Wasser- und Dampfkraft, welche für die Beschleunigungvon Produktions- und Logistikprozessen verantwortlich war.Es fand die erste Welle der industriellen Automatisierung statt.In der zweiten industriellen Revolution trieb die elektrischeEnergie die Fließbänder der Massenproduktion an. In derdritten industriellen Revolution, die auch schon als digitaleRevolution bezeichnet wurde, war es die Informationstech-nologie, welche die Automatisierung durch Speichermedienund IT-Infrastrukturen vorantrieb. Letztendlich könnten wirdie vierte industrielle Revolution ebenso als zweite Phase derTechnologisierung durch digitale Vernetzung und künstlicheIntelligenz nennen.

Für den Vertrieb haben wir eine andere Zeitrechnung zuGrunde gelegt, da der professionelle Verkauf an große Ziel-gruppen erst mit Beginn der Massenproduktion möglich war.Nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre stieg derWettbewerbsdruck nur sehr langsam. In diesem Verkäufermarktwurde in erster Linie die Bedarfsdeckung in den Mittelpunktder Vertriebsstrategien gestellt. Wir können den steigendenWettbewerbsdruck sehr gut an den ersten medialen Werbefor-men wie Anzeigen in Tageszeitungen und später in den erstenkommerziellen Fernsehspots sehen. Diese Phase des Vertriebsbezeichnen wie als Vertrieb 1.0. In den 70er Jahren zeichnetesich eine Überproduktion in vielen Branchen ab und durchdieses Überangebot mussten sich die Vertriebsorganisationennun neue Strategien zur Markt- und Kundenbearbeitung über-legen. Marketing und Vertrieb rückten nun in das Interesse derUnternehmensstrategien. Im FMCG-Bereich (FMCG = FastMoving Consumer Goods) hatte dies Auswirkungen auf denWerbedruck, der auf den Konsumenten ausgeübt wurde. DieEtats für klassische Werbung explodierten mit dem Effekt, dass

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die Massenmedien einen enormen wirtschaftlichen Aufschwungerhielten. In der Printbranche gab es immer mehr Titel, diesich nicht mehr durch den Verkauf von Abo- und Einzelexem-plaren rechneten, sondern deren Gewinne aus dem Markt derwerbetreibenden Wirtschaft sprudelten. In den B2B-Märktenmussten die Unternehmen ebenfalls umdenken. Der Kundeund seine Bedürfnisse standen plötzlich im Mittelpunkt desInteresses. Vertriebsorganisationen vergrößerten sich, CRM-und Vertriebssteuerungssysteme hielten Einzug in die Organi-sation und das Bild des Verkäufers wandelte sich. Er wurde vomVerteiler zum Verkäufer. In dieser Ära des Verkaufs entstandendie ersten Sales Management Systeme, die sich mit der CustomerJourney auch im B2B-Geschäft auseinandersetzten. Führung,Steuerung und Kontrolle von Vertriebsprozessen wurden zueiner Kernaufgabe einer neuen Generation von Vertriebsma-nagern. Die strategische und potenzialorientierte Markt- undKundenbearbeitung, die mittels CRM-Systemen die Transpa-renz der Kunden, Märkte und Verkäufer herstellten, wurde zumWettbewerbsvorteil. Die Nachfrage nach CRM-Systemen stiegseit den siebziger Jahren enorm und kaum ein Unternehmenkann es sich heute leisten, in diesem Bereich mit veralteterTechnologie zu arbeiten.

E-Commerce leitete in unserer Definition den Vertrieb 3.0ein. Der Zeitraum, den wir als Vertrieb 3.0 definieren, beginntin den 2000er Jahren und reicht bis in die Gegenwart. DiePreistransparenz und der bequeme Einkauf sowie die zeitloseVerfügbarkeit der Produkte machten Online Shopping zu einemenorm schnell wachsenden Verkaufskanal. Dies betraf nichtnur den Konsumentenmarkt, sondern hatte ebenfalls starkeAuswirkungen auf den Industrievertrieb. Einkaufsplattformenmachten die Leistungen und Preise transparent, der Kundebrauchte keinen Account Manager oder Sales Consultant, derihm die Produktvorteile erklärt. Die Kunden sind dank desWWW sehr gut über den Lieferanten informiert. PersönlicheGespräche zwischen Lieferanten und Kunden dienen in der

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Regel zur Überprüfung gemeinsamer Interessen oder Ko-operationen, an denen beide Unternehmen Vorteile erzielen.Der persönliche Kontakt ist nur dann notwendig, wenn dieVerhandlungspartner sich einer gegenseitigen Abhängigkeitbewusst sind. In diesem Fall geht es in der Regel darum, Prozessezu optimieren, um einen besseren Preis zu erzielen. Als Beispielkönnte hier die Automobilindustrie dienen, bei der einigeHersteller die Wertschöpfungsprozesse der Zulieferer auf eigeneKosten optimieren und dadurch einen Preisvorteil erzielen. Mitanderen Worten gesagt, der Kunde kennt den Lieferanten undseine Wertschöpfung besser als der Lieferant selbst.

Auch die Konsumenten sind heute exzellent über den Lieferan-ten und seine Produkte informiert. Durch die Transparenz imNetz werden nicht nur die Preise und die Leistungen einfachvergleichbar. Auch die Qualität der Produkte wird frei Hausauf dem Bildschirm geliefert. Die Bewertung eines Produktesdurch echte Nutzer erreicht einen wesentlich höheren Effekt imKaufverhalten als jegliche Form der Werbung. Glaubwürdigkeitist wohl das stärkste Marketinginstrument und auch das wissendie Werbungtreibenden zu nutzen. Social Marketing ist heuteeines der beliebtesten Schlagworte in der Werbebranche, gefolgtvon viraler Werbung und Neuro-Marketing. Meist verbirgt sichhinter diesen Schlagworten nicht mehr, als der verzweifelteVersuch, den sich immer stärker überforderten Konsumentendurch allerlei undurchsichtiger Manipulation doch noch zumKauf zu bewegen. Die Anzahl der Experten in diesem Bereichwächst genauso schnell wie die Panik der Unternehmen, denAnschluss an den Kunden zu verlieren.

Die Ära des Vertriebs 4.0 wurdemit der intelligentenVernetzungund der damit einhergehenden Analyse der Customer Journeybegonnen. Big Data wird zu Smart Data und im zunehmendglobalisierten Wettbewerb wird der Kunde als Profil angelegt,dessen Bedürfnisse transparent werden. Ziel ist der digitaleDoppelgänger, mit dem man die Bedürfnismuster des Kon-sumenten oder Kunden erkennt, noch bevor die reale Personweiß, dass sie dieses Bedürfnis verspürt. Es mag bis dahin noch

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einiges an Wegstrecke zurückgelegt werden müssen, aber wirsind näher dran, als die meisten Menschen wissen.

Der Homo Digitalis wird nicht mehr in der Lage sein, die massivsteigenden Informationen zu seinen Kaufabsichten selektiv zuanalysieren. Er wird Suchmaschinen einsetzen und ihnen immerkomplexere Suchaufgaben geben. Diese Aufgaben geben seinBedürfnisprofil preis und ermöglichen dem Algorithmus dieAngebotsvariante so präzise zu formulieren, dass der Rezipientdas Gefühl hat, die Maschine arbeitet für ihn. Die Wahrheitist, dass die Maschine die Bedürfnisse steuert. Mehrere Softwa-reanbieter arbeiten bereits an diesen Lösungen und sind in dennächsten zwei bis drei Jahren mit ersten Prototypen am Markt.Die Investitionen in Technologie werden in Zukunft zu einementscheidenden Wettbewerbsvorteil. Sicher werden sich nachwie vor Nischenanbieter in speziellen Marktsegmenten, wiezum Beispiel Luxusgüter, die in kleineren Auflagen hergestelltwerden, bewähren können. Für den globalen Markt, wirdder Vertriebsprozess allerdings immer mehr zum Kampf umInformationen über Marktpotenziale und Bedürfnisstrukturen.Die Kunden erwarten in Echtzeit die präzise zur Anforderungpassende Lösung ihres Problems. Dazu müssen die Daten desKunden nicht nur in ausreichender Quantität und Qualitätverfügbar sein, sie müssen vor allen Dingen intelligent vernetztwerden. Die heutigen CRM-Systeme sind zum großen Teil nichtin der Lage, intelligentes Pull-Marketing auf Basis aggregier-ter und individualisierter Kundendaten durchzuführen. DieSales- und Marketing Clouds der führenden CRM-Anbieterarbeiten jedoch an der Realisation der vollautomatisiertenPull-Kampagnen, die aus einem gigantischen Datenpool ge-speist werden. Automatisierung bedeutet in diesem Fall, dass diebedürfnisgenaue Ansprache des Kunden, die Leadgenerierungbis zum Abschluss der Transaktion, ohne menschliches Zutunerfolgt. Die Konsequenz für die Unternehmen ist, dass siedie heute oft konkurrierenden Bereiche Sales und Marketingauflösen können. Die beiden Disziplinen werden ineinander-wirken und sich damit gegenseitig auslöschen, oder anders

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gesagt, es wird ein neues Berufsbild entstehen, das sich wederan den expliziten Fähigkeiten eines Marketingexperten noch andenen des Sales Managers orientieren wird. Gefragt sein wirdein Prozessmanager, der in der Lage ist, den Algorithmus zuoptimieren und durch seine Erfahrung und Intuition schnellerseine Zielgruppe erreicht, als der Wettbewerb. Verkäufer wird esweiterhin geben, aber sie werden eine andere Rolle spielen, dazuspäter noch mehr. Daneben wird die Politik die Aufgabe haben,die Datenschutzgesetze den neuen Gegebenheiten anzupassen.Folgt dies nicht den Erfordernissen der sich veränderndenMärkte, werden die Anbieter darauf reagieren und ihren Stand-ort in Regionen verlagern, in denen der Datenschutz nichtso dominant ist. Es ist zudem ein Irrglaube, dass die neuenKonsumenten ein großes Problem mit dem Datenschutz per sehaben. Sofern der Absender von Werbebotschaften über einehohe Reputation verfügt, entscheidet sich der Empfänger eherfür zielgerichtete Angebote statt irrelevanter Massenangebote.

Erlebniswirtschaft statt Verkauf

Wenn wir heute Unternehmen auf ihre Zukunftsfähigkeit analy-sieren, ist die Experience Economy einer der wichtigsten Werte.Alles dreht sich heute um das Kundenerlebnis, unabhängig obim B2C oder B2B. Viel wird in Content, Customer Journey undDesign investiert, um den Kunden zufriedenzustellen und sichvom Wettbewerb zu differenzieren. Während sich in den späten90er Jahren die Unternehmen noch auf USPs beim Produktoder der Kundenkenntnis im Vertrieb verlassen konnten, geltenheute völlig andere Kriterien für den Erfolg. Die CustomerExperience wird als wichtiger, wenn nicht als wichtigsterErfolgsfaktor für den Erfolg eines Produktes oder einer Markegesehen. In vielen Branchen wurde den einstigen Platzhirschenschmerzhaft bewusst, dass sie die digitale Konkurrenz zu langenicht ernst genommen haben. Die Management-Denke, dass derWettbewerb zumindest aus der eigenen Branche kommt, führteoffensichtlich zu einem falschen Sicherheitsgefühl. Erst spät

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erkannten führende Unternehmen, dass die datengetriebeneKopie ihres Geschäftsmodells, die Kunden besser angesprochenhat. Kaum einer konnte sich vorstellen, dass das Kundenerlebnisim Handel durch die Bequemlichkeit und Zeitersparnis durchOnline-Transaktionen ersetzt werden kann. Unternehmen,die Kundenorientierung als einer ihrer Kernwerte fest ver-ankert haben, sind im Vorteil, wenn es darum geht, digitaleVertriebskanäle zu implementieren. Sie sind weniger angreifbarals technologie- oder designorientierte Unternehmen, da sie inder Regel mehr Informationen über ihre Kunden und Märktebesitzen. Das macht sie weniger empfindlich für disruptive Tech-nologien. Das gilt natürlich nur, wenn diese Unternehmen keineProbleme damit haben, ihreMarketing- undVertriebsaktivitätenschnell den neuen Realitäten anzupassen.

Die Grundlage für die Optimierung des Kundenerlebnisses istdie richtige Nutzung von Daten. Damit sind nicht die klassischenMarketing-Analysen gemeint, sondern der wichtige Ausbau derDatenanalyse und die daraus resultierende, optimierte Custo-mer Experience. Auf diesem Gebiet sind viele Unternehmennoch in einer sehr rudimentären Findungsphase, da sie fürein datenbasiertes Geschäftsmodell noch nicht gerüstet sind.Die Datenkompetenz bzw. die Fähigkeit Daten zu analysierenreicht aber nicht aus, um ein positives Kundenerlebnis zuentwickeln. Vielmehr ist es das Zusammenspiel aller für dasKundenerlebnis relevanten Bereiche. Die Technologie alleine aufdas optimale Kundenerlebnis auszurichten, reicht nicht aus,um Vertriebe erfolgreich zu digitalisieren. Die ständige Ände-rung der Kundenanforderungen benötigt Kreativität aus allenUnternehmensbereichen.

Die Erweiterung des digitalen Angebotes wird vor allem un-ter dem Aspekt der Multi- oder Omnichannel-Strategie zurHerausforderung. Themen wie Virtual und Augmented Realitysowie die zunehmende Nutzung von Mobiles sind wichtigeErfolgsfaktoren für den digitalen Vertrieb. Die Personalisierungder Werbebotschaften wird auch durch Social-Media-Marketing

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unterstützt, was man am Wachstum der Werbeumsätze vonsozialen Plattformen ablesen kann. Auch wenn Social MediaPlattformen noch immer mit großer Skepsis betrachtet wer-den, zeigen sie ihre Stärke durch die steigenden Zahlen derNutzer. Auch die Verweildauer auf diesen Plattformen steigtund damit erreichen sie eine höhere Relevanz als Absatzkanal.Experten sind sich nicht einig, ob Social-Media-Marketingein Zukunftsmodell für den Vertrieb bleiben wird. Da immermehr soziale Plattformen auf den Markt drängen, werden dieZielgruppen dort fragmentierter und es bleibt abzuwarten, obsich bei dieser Fragmentierung neue Chancen für Marketingund Vertrieb ergeben. Die Gunst der Stunde wird allerdingsgenutzt und die Investitionen in Social-Media-Plattformensteigen aktuell. Die Befürworter sehen in erster Linie den de-mographischen Wandel und die damit einhergehende Nutzungvon Social-Media-Plattformen als starkes Argument für weiteresWachstum. Die Millennials ihnen nachfolgende Generationensind weit aktiver als ihre Elterngeneration.

Betrachtet man E-Commerce-Giganten wie Alibaba, wird klar,dass B2B und B2C dieselben Vertriebsmechaniken nutzenund damit zusammenwachsen. Im Zuge der Bemühungen, dieCustomer Experience so effizient wie möglich zu gestalten,nehmen Targeting und Re-Targeting einen relevanten Teilder Marketing-und Werbebudgets in Anspruch. Dazu wird inverstärktem Maße die Interaktion via mobiler Apps kommen.Die großen Massenmedien-Anbieter rüsten sich schon für dieZeit nach der Awareness-Ära. Werbekunden werden vermehrtLeistungsbeweise fordern und sich nicht mehr auf Befragungenoder andere Ergebnisse von Marktforschungsunternehmenverlassen. Die Investitionen in künstliche Intelligenz sind explo-sionsartig gestiegen und es scheint, als wäre ein neues Rennenum die führende Technologie in der digitalen Welt entbrannt.

Digital Marketing wird von nahezu allen Unternehmen mithöchster Priorität versehen, doch die dafür notwendige Kom-petenz muss vielerorts noch erarbeitet werden. Dabei setzt auch

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Erlebniswirtschaft statt Verkauf 37

die Medienindustrie zunehmend auf Programatic Ad Buyingund ermöglicht Marketing- oder Media-Verantwortlichen, vonAgenturen oder Unternehmen in Echtzeit personalisierte Inhaltezu verbreiten. Da die Budgets für Personalisierung stetig steigen,wird offensichtlich, dass die Bereitstellung personalisierterInhalte als großes Potenzial gesehen wird. Genau genommenist die Personalisierung die Grundlage einer einzigartigenCustomer Experience. Mit dem Ziel, die Conversion Rateskontinuierlich zu optimieren, wird auch in Zukunft die direkteund individualisierte Ansprache Mittel der Wahl sein. Durchdie steigende Nutzung mobiler Endgeräte erfreut sich dasE-Mail-Marketing wieder steigender Beliebtheit. Besonders fürdie Kundenbindung sowie das Up- und Cross-Selling ist es eingutes Instrument.

Wir erleben einen sehr schnellen Wandel im Bewusstsein derVertriebsorganisationen, die sich plötzlich in einem Wettbe-werb des physischen Verkaufs gegen den digitalen Verkaufsehen. Das Digitale Marketing ist dabei nicht nur vom Ver-trieb getrennt, sondern häufig auch noch von den klassischenMarketingfunktionen. Die Integration von Digital Marketing indie Wertschöpfungskette des Unternehmens ist daher ein wichti-ger Schritt, wenn die Digitalisierung tatsächlich einen relevantenStellenwert in der Vermarktung haben soll. Es geht nicht um in-ternen Wettbewerb, sondern um Kollaboration, um Märkte undKunden besser erschließen und ausschöpfen zu können. SpeziellMarketing und Sales müssen ihre Kundenkenntnisse ausweitenund die Schnittstellen zwischen den Bereichen im Sinne derCustomer Experience und Customer Journey auflösen. Einegut konzipierte Customer Journey zu orchestrieren, geht nurim Einklang von Marketing, Vertrieb, Produktentwicklung undIT. Nur im Zusammenspiel der Disziplinen kann die CustomerJourney an allen Kontaktpunkten immer wieder optimiertwerden. Speziell die IT ist häufig das Bottleneck, da sie in vielenUnternehmen als interner Dienstleister gesehen wird und kaumeinen Einfluss auf Entscheidungen in Richtung Kunden hat.

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38 Wie sich Vertrieb durch die Digitalisierung verändert

Dabei müsste der Bereich IT eigentlich der Treiber im Digita-lisierungsprozess sein und ein tiefes Verständnis für Vertriebund Marketing besitzen. Nahtlose Transaktionen innerhalb derCustomer Journey sind die Grundlage für eine funktionierendeDigitalstrategie und diese ist Aufgabe der IT. Viele Unternehmennutzen daher die Vorteile von Cloud-Services und SaaS (Softwa-re as a Service) sowie Managed Services, um im Wettbewerb umden Kunden nicht den Anschluss zu verlieren. Besonders derMittelstand ist kaum in der Lage, die finanziellen Ressourcenaufzuwenden, eine Customer Journey an allen Kontaktpunktenoptimal zu bedienen. Es fehlten die Kenntnisse über die Nutzungvon Endgeräten, sowie die Steuerung vonOn- undOffline-Datenfür die Steuerung der Customer Experience (CEM - CustomerExperience Management). Ein Unternehmen, welches seinedigitale Transformation im Vertrieb gut bewerkstelligt hat,erkennt man an den individualisierten Vertriebsstrategien,die sich in jedem Vertriebskanal als einzigartige CustomerExperience darstellt. Digitale Integration der unterschiedlichenVertriebskanäle geht in der Regel mit der Transformation desgesamten Unternehmens einher.

Nicht nur die Technologie bestimmt den Erfolg bei der Digita-lisierung. Eine mindestens ebenso große Rolle spielt dabei dieUnternehmenskultur. Für viele Führungskräfte sind Themen wieKünstliche Intelligenz absolutes Neuland und die Skepsis groß,wenn es um Investitionen in Zukunftstechnologien geht. DataDriven Marketing ist für viele noch ein Buch mit sieben Siegelnund im operativen Geschäft bleibt kaum die Zeit, sich um dieAnforderungen und Auswirkungen neuer Technologien zukümmern. Einzigartige Kundenerlebnisse mit Marketing- undVertriebsautomatisierung gleichzusetzen, scheint immer nochein zu starker Bruch mit den konventionellen Strategien zu sein.Erfolgreiche Unternehmen ändern ihre Denkweise und habengelernt, die Erwartungshaltung der Kunden zu antizipieren.Kanalübergreifende Konsistenz der Botschaften und klare Wert-wahrnehmungder Produkte gehören ebenso zuHygienefaktorenwie die Personalisierung und die leichte Menüführung.

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Digitaler Vertrieb ist nicht nur Preisdiktat 39

Digitaler Vertrieb ist nicht nur Preisdiktat

Obwohl die digitale Transformation jeden Tag mit neuenBuzzwords, Büchern, Leitartikeln und Konferenzen auf sichaufmerksam macht, wollen wir uns nicht der üblichen digitalenHysterie anschließen, sondern die relevanten Entwicklungenfür den Vertrieb der Zukunft beleuchten. Wir wissen, wiewichtig Digitalisierung im Vertrieb und Sales Management ist,welche Möglichkeiten es heute schon gibt, die Customer Journeydatengetrieben zu begleiten und die Verkaufsressourcen optimaleinzusetzen. Wir wissen auch, dass der Kundennutzen in vielendigitalen Geschäftsmodellen, in denen meist nur Kosten undErlöse von der physischen in die digitale Welt überführt werden,häufig auf der Strecke bleibt. In erster Linie profitieren Plattform-und Datenmonopolisten wie Amazon, Google, Facebook etc.von dieser Strategie. Wie bei jeder Form des Mono- oderOligopols, führt das Preisdiktat zu sinkenden Qualitäten bei denHerstellern und steigenden Preisen bei den Endverbrauchern.Die Reaktion der Unternehmen ist häufig, einfach die eigenenGeschäftsmodelle zu digitalisieren. Dies führt oft dazu, dass dieDigital-Strategien vieler Unternehmen nur wenig mit Zukunftzu tun haben. Eher sind sie der Versuch, das Schlimmste zuverhindern. So wird das Neue zum Alten in digitaler Form.Unberücksichtigt bleibt dabei eine gesellschaftliche Entwick-lung, die sich in Schlagworten wie Generation Y und Z abbildetund die nicht nur eine neue Zielgruppe beschreibt, sondern auchein damit einhergehendes Konsumverhalten, welches nicht mehrden klassischen Bedarfsmustern folgt. Zudem müssen die Unter-nehmen erkennen, dass die einfache Übersetzung eines bishergelebten Prozesses nicht zur Umsetzung in die digitale Weltgeeignet sein muss. Torsten Dirks, CEO von Telefónica Deutsch-land, hatmal sehr treffend gesagt: »Wenn sie einen Scheißprozessdigitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.«

»Teilen ist das neue Haben« ist nur eine der vielen Aussagen, diediesen Zielgruppen zugesprochen werden. Auswirkungen spü-ren wir zum Beispiel in der Automobilindustrie, die zunehmend

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mehr auf Mobilität als auf Markenimage ausgerichtet wird. Wasdie Marke verspricht, ist jederzeit mobil zu sein, ohne sich mitdem Besitz eines Fahrzeuges belasten zu müssen. Doch das istnur einer der sich stabil entwickelnden Trends in einer neuenKonsumentengeneration. Gewinner sind Unternehmen, diesich diesen Trend zunutze machen und die Bedürfnisse dieserZielgruppe durch nachhaltige und kreative Ideen befriedigen.Ein Beispiel ist das Unternehmen Mud Jeans, das Nachhaltigkeitin den Mittelpunkt seines Vertriebskonzeptes gestellt hat. MudJeans kann man nicht kaufen, sie werden geleast. Gegen eineGebühr werden die Jeans an den Konsumenten verliehen. Siesind aus nachhaltig angebauter Baumwolle und da kein Lederverwendet wird, auch vegan. Wenn sie abgetragen sind, werdensie einfach zurückgeschickt und wieder verarbeitet. Träger dieserMarke wissen, wo die Jeans genäht wurde und dass dort faireLöhne bezahlt werden. Diese perfekte Kreislaufwirtschaft wirdbeschleunigt durch die Digitalisierung, da das Unternehmenkeinen stationären Handel benötigt. Wobei nicht ausgeschlossenist, dass sich Mud Jeans auch irgendwann mit Flagship Stores inden Innenstädten präsentieren wird. An diesem Beispiel bildetsich der Trend einer Shared Economy ab, die für Vertriebsorga-nisationen in Zukunft eine hohe Relevanz haben wird.

Es geht im digitalen Vertrieb also um mehr als nur den Preis.Customer Experience Management (CEM), Customer-Journey-Analysen und Omnichannel-Management sind hier nur einigeder Herausforderungen, die auf etablierte Unternehmen sowieStartups warten. Die Radikalität, mit der sich die Vertriebswegeund die Kundenanforderungen ändern, ist für viele Mitarbeiterin Marketing und Vertriebsorganisationen schwer nachvoll-ziehbar. Jeder Trend wird kritisch diskutiert und nur zu häufigwerden neue Entwicklungen als wenig relevant eingestuft, diesich als disruptiv für das eigene Geschäftsmodell herausstellen.In der neuen, digitalen Vertriebswelt gibt es wenig Zeit zumNachdenken. Schnelle Reaktionen sind gefordert, da sonst dieGefahr lauert, einen wichtigen Schritt in der technologischenEntwicklung zu verschlafen und ins Hintertreffen zu geraten.

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Die neue Währung im Vertrieb 41

Viele Vertriebsorganisationen können sich heute noch nichtvorstellen, welchen enormen Einfluss die datengetriebene Tech-nologie auf ihr Geschäft hat. Unternehmen sollten lieber heuteals morgen mit dem Aufbau von Test-Laboren oder MVP-Projekten (MVP =Minimum Viable Product) beginnen, um imKleinen zu lernen, wie der Kunde denkt, wie man Prozesse ver-ändern kann und welche Auswirkungen das auf das bestehendeGeschäft hat. Mit der gewonnenen Erkenntnis ist es einfacher,Entscheidungen zu treffen.

Die neue Währung im Vertrieb

Die Währung im Netz heißt Daten. BIG DATA halten viele fürdas Zauberwort der Digitalökonomie und kaum ein Unterneh-men ist nicht auf der Suche nach möglichst vielen Daten. Wirkennen viele Unternehmen, die enorm viele Daten besitzen,aber nicht wissen, wie sie diese nutzbringend auswerten können.Big Data ist aber nur der Rohstoff, den es zu analysieren undintelligent aufzubereiten gilt. In Wahrheit ist jedoch SmartData das Zauberwort der Digitalökonomie. Smart Data ist dasFutter für die Algorithmen der Zukunft. Wie das geht, zeigtbereits die Formel der Smart-Data-Begleitforschung, gefördertdurch das Bundesministerium für Wirtschaft: Smart Data =Big Data + Nutzen + Semantik + Datenqualität + Sicherheit +Datenschutz, mit dem Ergebnis: nutzbringende, hochwertigeund abgesicherte Daten zu verarbeiten. Die digitale Wirtschaftlässt sich einiges einfallen, um an die Daten der Konsumenten zukommen. Meist in Form von digitalen Produkten, die vermeint-lich gratis angeboten werden, sogenannte Freemium Deals. DerKonsument bekommt eine Basisleistung, vermeintlich ohneBezahlung und bezahlt im wahrsten Sinne des Wortes mitseinem guten Namen bzw. mit seinen Daten. Für jede Leistungaußerhalb der Basisleistung bezahlt er mit harter Währung.Bei Computerspielen und in Apps ist dieses Modell extremerfolgreich. Aber nicht nur Softwareunternehmen verdienendamit Geld. Ob Ihr Telefonanbieter, der Dienstleister, der diePost nach Hause bringt, oder das Onlinewarenhaus, bei dem

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die Bücher bestellt werden – bei jeder Transaktion gibt derNutzer seine Daten preis. Damit werden Konsumprofile oderScorecards erstellt und das Verhalten der Kunden berechnet.

Doch oft geben wir unsere Daten gar nicht bewusst preis. Wirnutzen das Produkt eines Unternehmens und generieren fürdieses einen vielfachen Mehrwert, ohne dass wir es wissen.Wenn Sie beispielsweise den Kartendienst eines internationalenSuchmaschinen-Anbieters nutzen, sehen Sie – insbesonderein Großstädten – die Verkehrssituation auf einigen Straßenin Echtzeit dargestellt. Nun hat der Anbieter des Dienstes inDeutschland an keiner Straße Sensoren aufgestellt, die den Ver-kehrsfluss messen könnten. Mittels intelligenter Datennutzungmisst das Unternehmen die Bewegungen von Smartphones, diesich in Fahrzeugen befinden. Die Besitzer solcher Smartphonesmüssen dafür lediglich die Software des Anbieters verwenden,über eine Online-Verbindung und GPS verfügen sowie dieFreigabe der eigenen Positionsdaten erlauben. Die Softwaresendet dann diese Daten anonymisiert an den Anbieter desDienstes – von überall auf der Welt.

Algorithmen und Großrechner erstellen daraus ein Bewegungs-profil und ermitteln so die Geschwindigkeit, mit der sich dasSmartphone im Auto fortbewegt. Über Matching mehrerersolcher Bewegungsdaten im näheren Umkreis zum Nutzerentsteht ein nahezu realistisches Abbild der Verkehrslage inunterschiedlichen Farben. Grün bedeutet freie Fahrt, gelbbedeutet zähfließender Verkehr und rot bedeutet Stau. DieNutzer sehen auf ihrem Endgerät dafür, welche Route fürsie am besten ist. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig: Durchdas Erfassen von Daten und das entsprechende Aggregierenund Zusammenführen dieser entstehen neben entsprechen-den Vermarktungsmöglichkeiten digitale Spiegelbilder derRealität. Aber auch das Individuum erhält ein Spiegelbild imNetz. Unsere Biografien in Businessnetzwerken, Gedanken aufFacebook-Seiten, Posts und Links auf Twitter erschaffen einmehr oder weniger passendes digitales Abbild von uns selbst.Diese Daten sind für die Wirtschaft bares Geld wert.

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Durch das Auswerten von Big Data ist aber noch vieles mehrmöglich. Durch Aggregation von diversen Daten auf Meta-Ebenen werden neue, wertvolle nutzbringende Daten generiert.Aggregiert man zum Beispiel alle Tweets von Twitter über gewis-se Zeiträume, erhält man ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wirkönnen erkennen, welche Themen gerade gesellschaftspolitischangesagt sind. Auch Trends werden erkannt und können für be-stimmte Unternehmen oder politische Parteien genutzt werden.Erweitert man diese Daten um Posts auf Facebook, Pinterest,LinkedIn und ähnlichen sozialen Netzwerken, bekommt manwertvolle Informationen über die Bedürfnisse unterschiedlicherZielgruppen. Aber nicht nur Bedürfnisse werden erkannt,es werden auch Meinungen, Haltungen und Glaubenssätzeanalysiert, die sich wunderbar einsetzen lassen, um politischeZiele zu verfolgen. Die Spracherkennung als neue Form derKommunikation mit dem Netz etabliert sich gerade und inKürze wird auch Gesichtserkennung zum Standard der Tech-nologie gehören. Daraus entstehen viel stärker individualisierteDatensätze, die den Nutzer perfekt in seinem Lebensstil, seinenEinstellungen und Werten sowie seinen Konsumgewohnhei-ten abbilden. Bereits heute forschen Unternehmen nach denMöglichkeiten, psychische Krankheiten auf diesem Weg zudiagnostizieren. Das soziale Netzwerk Facebook testet, ob sichauf Grund bestimmter Merkmale in Postings, ein Suizid einesNutzers prognostizieren und damit verhindern lässt. KünstlicheIntelligenz macht es möglich, bestimmte Handlungen voraus-zusagen und so dürfte die Suizidprävention nur eine von vielenAnwendungen automatisierter Erkennung von zukünftigenHandlungen sein. Stellen Sie sich vor, welche Auswirkungendas Erkennen von zukünftigen Handlungen auf den Vertriebhaben wird. Unternehmen können sozusagen auf Basis vonZukunftsprognosen bestimmter Zielgruppen ihre Produktionentsprechend vorproduzieren lassen und dadurch ihre Kapa-zitäten vorausberechnen. Daher ist es heute enorm wichtig,zu analysieren, welche Daten vorliegen und wie diese genutztwerden können.

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Bisher war es aufgrund der technisch verfügbarenMöglichkeitenund Lösungen nicht so einfach möglich, die meist in großenUnternehmen vorhandenen Datenmengen ohne Weitereseinfach und vor allem schnell aufzubereiten. Allerdings schrei-ten die Entwicklungen in diesem Segment rasch voran undso gibt es bereits erste Lösungen, die eine Handhabung vonBig-Data-Datenmengen ermöglichen. NoSQL, Spark, Hadoopoder InMemory sind Datenbanklösungen bzw. Datenbank-managementsysteme, deren Anwendung sich speziell an dasVerwalten und Auswerten großer Datenmengen richtet. Mitneuen, speziell auf statistischen Kontext ausgelegten Program-miersprachen wie R oder Python, dem Einsatz von semantischenTechnologien oder künstlicher Intelligenz (KI, auch maschi-nelles Lernen) wird das Generieren von Smart Data immereinfacher. Das Konzept des DataLake, als Sammelbehälter fürUnternehmensdaten, löst bisheriges Data Warehousing ab.

Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unter-nehmen führen Big-Data/Smart-Data-Konzepte zu drastischenVeränderungen. Berufsbilder wie das des Data Business Analystsverändern sich und neue Berufe wie beispielsweise das des DataScientists entstehen. Alle Unternehmensbereiche werden lernenmüssen, digitaler zu denken und die eigenen analytischenFähigkeiten weiterzuentwickeln.

Aufgrund desUmfangs wollenwir in diesemBuch kein komplet-tes Integrationskonzept für Big Data/Smart Data beschreiben.Vielmehr konzentrieren wir uns auf die relevanten Themen, dieeinen Mehrwert für die Verkaufsorganisation bringen.

Von Big Data zu Smart Data

Zuerst empfehlen wir die Erstellung einer Big-Data-Potenzialanalyse. Sie kümmert sich um den Rohstoff für SmartData und soll initial die wichtigste aller Fragen klären: WelchenNutzen oder welche Mehrwerte kann die Nutzung von Daten

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Von Big Data zu Smart Data 45

für unser Unternehmen bringen bzw. welche Auswirkungenkann es haben, wenn wir sie nicht nutzen?

Die wichtigsten Vorteile von Big Data liegen auf der Hand:

• individuelle Auswertungsmöglichkeiten und das Herstellenvon Beziehungen zwischen verschiedenen Datenquelleninnerhalb und außerhalb des Unternehmens aus Vergan-genheit, Gegenwart und Zukunft (beispielsweise mittelsHochrechnungen);

• kurze Reaktions- und Auswertungszeiten;

• höhere Responsewerte;

• neue Produktvariationen für immer differenziertere Ziel-gruppen;

• optimiertes Up- und Cross-Selling und somit Erhöhung desCustomer Lifetime Values;

• Möglichkeit der Erstellung von umfassenden Analysen beste-hender und potenzieller Kunden;

• Generieren von Smart Data: analysieren, verdichten undoptimieren von Big Data. Dies ermöglicht das Feststellen vonMustern und Korrelationen. Daraus lassen sich beispielsweisePotenziale, mögliche Auswirkungen von Entscheidungen,Handlungsempfehlungen oder Einsparungsmöglichkeitenaufzeigen. Selbstverständlich können die Daten im Kontextdes Datenschutzes gegebenenfalls auch gewinnbringend ver-marktet werden.

Fällt die Entscheidung für Big Data oder eine Weiterentwicklungvon bestehenden Datenkonzepten, ist es empfehlenswert, eineentsprechende Bedarfsanalyse im Unternehmen durchzuführen.Sie soll aufzeigen, wie und wo Daten im Unternehmen bereitserhoben werden. Dies schließt auch bereits extern erhobeneoder zugekaufte Daten mit ein. Diese Daten werden dannvisualisiert dargestellt und nach sogenannten Datendomänengeclustert. Die so entstehende Big-Data-Matrix hilft, einen

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BIG DATAKonzept Kundendaten

• Stammdaten• Auftragsdaten• Produktdaten• Vertragsdaten• Geodaten

Produkte &Dienst-

leistungen

• Produktstammdaten• Absatzvolumina• Preisdaten• Logistikdaten• Lagerdaten

Sales &Marketing

• Daten aus dem Marketingmix (Interaktionsdaten, Kampagnendaten, Leads etc.)• Daten aus der CRM Strategie• Online Marketing Daten (Social Media, E-Commerce etc.)• Daten aus Vertriebskanälen• Nicht dokumentiertes Verkäuferwissen

Finanzen

LieferantenLogistik •

Distribution •Beschaffungsdaten •

Unternehmensentwicklung •Rechnungsdaten •

Bonitäts- und Zahlungsdaten •Controlling- und Planungsdaten •

MitarbeiterKompetenzprofile •

Gehaltsdaten •Mitarbeiterzufriedenheit •

Abbildung 1.1: Big-Data-Matrix

ersten Eindruck über die bereits im Unternehmen erhobenenDaten zu erhalten. Zudem sollte noch analysiert werden, welcheUnternehmensbereiche bereits welche Daten mit welchenErgebnissen nutzen (siehe Abbildung 1.1).

Im Anschluss geht es darum, herauszufinden, welche Unter-nehmensbereiche konkret welche Anforderungen und welchenNutzen/Mehrwert an welcher Art von Informationen haben.Wichtig dabei ist es, bewusst über den Tellerrand hinaus zublicken. Alle Beteiligten am Big-Data-Projekt sollten zu Beginnim Rahmen eines Brainstormings davon ausgehen, dass allesmöglich ist (Greenfield-Konzept). Dazu zählt auch, den weiterenZukauf von Daten oder andere Möglichkeiten externer Beschaf-fung mit einzubeziehen. Dieses Vorgehen beinhaltet nebenUnternehmensbereichen, die zwar Bedarf an Daten haben,jedoch noch keine aktive Datennutzung betreiben, auch Unter-nehmensbereiche, die bereits Daten nutzen und verarbeiten. Dieso entstehenden Szenarien-Sammlungen sollten anschließendnach Umsetzbarkeit, Ergebnisorientierung und Relevanz imKontext von Zeit priorisiert werden.

Gleichzeitig müssen die Daten nun ausgewertet und optimiertwerden, damit das Ergebnis »Smart Data« entsteht.

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Im Anschluss daran geht es darum, die zu Beginn dieses Kapitelsbereits beschriebene Smart-Data-Formel in die Überlegun-gen mit einzubeziehen. Das bedeutet, alle Szenarien stehennochmals auf den Prüfstand, hinsichtlich ihres Nutzens und dieBedeutung für das Unternehmen, Automatisierungsmöglichkei-ten und Einsatz von künstlicher Intelligenz, Datenqualität sowieDatenschutz und -sicherheit. Hier kommt unter anderem derBegriff »Data Mining« ins Spiel. Data Mining meint das Anwen-den statistischer Verfahren auf den Big-Data-Bestand mit demZiel, neue Trends, Verbindungen, Potenziale etc. zu erkennen.

Smarte Daten sind präzise und genau, flexibel sowie handlungs-leitend. Sie unterstützen Unternehmen und Vertriebsorgani-sationen, menschliches Verhalten und darin enthaltene sozialeInteraktionen neu bewerten und verstehen zu können.

Der Nutzen von Smart Data ist:

• Schärfung von (Online-)Marketing-Strategien: Der größteNutzen liegt in der Möglichkeit, gezielte (Online-)Marketing-strategien zu planen und umzusetzen.

• Potenzialfokus: Neue Potenziale entstehen durch Analysenvon bisher nicht beachteten Zusammenhängen in Daten-sätzen. Dies hat insbesondere auch Auswirkungen auf denVerkauf in der Zukunft: Der Kunde und dessen Bedarfe,Interessen und Potenziale werden transparent.

• Business Analytics – der Überbegriff für viele Analyseformenauf Basis von Daten und statistischen Methoden im wirt-schaftlichen Kontext mit dem Ziel, neue Erkenntnisse ausVergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu gewinnen, um sogezieltere Vorhersagen für die Geschäftsplanung treffen zukönnen. Einzelne Elemente von Business Analytics sind:– Entscheidungs-Analysen: Es werden Algorithmen entwi-

ckelt, oder entwickeln sich durch künstliche Intelligenzselbst, die verschiedene Entscheidungen auf Basis von Sze-narien auf deren Wahrscheinlichkeit des Eintreffens über-prüfen. Sowerden Entscheidungsvorlagen u. a. auf Basis von

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Geschäftsdaten aus der Vergangenheit, aktuelle Entwicklun-gen, Wettbewerbsanalysen, technologische Entwicklungen,Preispunkte etc. entwickelt. Dies ermöglicht kurzfristigeund präzisere Entscheidungen mit verringertem Risiko. DieErgebnisse von Entscheidungen werden dadurch deutlichvalider und minimieren die Fehleranfälligkeit. Für denVerkauf könnte dies bedeuten, Entscheidungsvorlagen fürkünftige Kundenbesuche und Produktangebote zu erhalten.Termin- und Vermarktungsplanung könnten von einemAlgorithmus unterstützt werden.

– Diagnostische Analysen: Diagnostische Analysen ermög-lichen den Zusammenhang von Ursache und Wirkungdarzustellen und lassen Rückschlüsse darauf zu, warumgewisse Ereignisse in gewissen Kontexten oder unter gewis-sen Umständen eingetreten sind. Diese Form von Analysennutzt bereits heute beispielsweise die Stau- und Unfall-forschung. Für den Verkauf könnte das bedeuten, mehrTransparenz im Bereich der Verkaufssteuerung und Ver-kaufsunterstützung zu erhalten.

– Descriptive Analysen: Durch die Analyse der Vergangen-heit lassen sich Auswirkungen auf Gegenwart und Zukunftsimulieren. Für Verkaufsorganisationen kann dies wertvolleErkenntnisse für Gegenwart und Zukunft liefern.

– Predictive Analysen: Effizientere, genauere Vorhersagenvon geplanten Business-Settings, die in der Zukunft liegen.Dies beinhaltet auch Produkt- und/oder Portfolioplanun-gen. Bereits heute wird dies im Verkauf durch sogenannteSales-Funnels (Verkaufstrichter) und Forecasts verwendet.

– Prescriptive Analytics: Eine Erweiterung von PredictiveAnalysen. Hier werden noch die Dimensionen »Entsche-idungsvorlagen und -optionen« inklusive deren Auswir-kungen und Effekte auf andere Bereiche simuliert. ImSmart-Data-Kontext würde im Sales-Kontext beispielsweiseder Sales-Funnel mit anderen Daten vernetzt werden undumfassende, umfangreiche Vorhersagen sowie Auswirkun-gen und Effekte für die Organisation ermöglichen.

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Wichtig dabei ist, dass Big-Data- und Smart-Data-Ansätze nichtnur zukünftige Business-Modelle unterstützen und optimierenkönnen, sondern auch durchaus einen hohen Nutzen undMehrwert für bestehende Geschäftsmodelle bringen können.Dabei spielt die Frage nach der Analyse des »Wie verhältsich etwas?« eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist vielmehr»warum« das Verhalten so ist, wie es ist und wie es sich zukünftigverhalten wird.

Für das Internet of Things und die Digitalisierung ist Smart Dataunverzichtbar und wird immer mehr zur Lösung künftiger wirt-schaftlicher Herausforderungen einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Smart-Data-Ergebnisse werden dann in einer DMP (DataManagement Plattform) gespeichert (siehe auch Abbildung 1.2).Diese DMP ist die Schnittstelle zwischen internen Systemenund Daten (Website-Daten, CRM, Data Warehouse, Busi-ness Intelligence) sowie externen Daten (zugekaufte Daten,Adserver-Daten, Daten aus externen DMPs etc.). Bereits heutewerden DMPs genutzt, um Ergebnisse von Daten von Online-Marketing-Kampagnen auf Benutzerebene zu analysieren. Diesgeschieht zum Beispiel durch den Einsatz entsprechenderAttributionsmodelle, also der individuellen Möglichkeit derZuweisung von Ursache und Wirkung auf ein Ergebnis. Diese

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Big Data / Smart Data intern

Maß

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/Aktivitäten

externe Daten

DMPData Management

PlattformTV

Online

Mobile

POS

Phone

É-Mail

CRM, BI, Data Warehouse,GeoData, Finance etc.

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TV

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Mobile

POS

Phone

Social

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Display

Radio

Adserver, DMPs, gekaufte Daten

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Abbildung 1.2: Data Management Plattform (DMP)

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Daten werden dann zur optimierten Ansprache von Kundenmittels Programmatic Marketing in Kombination mit DSPs(Demandside Plattforms) verwendet. Gleichzeitig lassen sichdamit aber auch Customer Journeys besser orchestrierenund die Ausgaben für gezieltes Marketing in den relevantenTouchpoints optimieren.

Die wohl größte Herausforderung jedoch ist der Aspekt derSicherheit und des Datenschutzes. Denn ohne die Gewähr-leistung von Sicherheit bei der Verarbeitung und Nutzung wieauch des Schutzes vor Verfälschung und Missbrauch werdendie erwarteten wirtschaftlichen Vorteile nicht zu erreichensein. Dazu gehört neben technischen Lösungen zur Einhaltungvon Datenschutz und Sicherheit auch die Klärung rechtlicherFragen, zum Beispiel hinsichtlich der Rolle des Urheberrechtsund des Eigentums von Daten. Es werden also Werkzeugebenötigt, die ein transparentes Management von Zugriffsrechtenin Bezug auf Datenbestände, Anfragen und Analysen ermög-lichen und auch durchsetzen. Zudem müssen die Opt-In unddie Opt-Out-Prozesse optimal gestaltet sein und die Daten-banken in der Lage sein, Zu- und Absagen von Kunden sowieSachen werblicher Kommunikation in schnellstmöglicher Formzu verarbeiten. Hat ein Kunde dem Empfang von Werbungwidersprochen und erhält, aufgrund mangelhafter Prozesse,die Werbebotschaft dennoch, kann es kommunikativ schnellunangenehm und auch sehr teuer werden.

Nach dieser Priorisierung gilt es, Entscheidungen zu treffen,welche Szenarien der gesammelten Big-Data-Konzepte alsSmart-Data-Konzept umgesetzt werden sollen. Wir empfehlen,mit ein oder zwei Szenarien zu beginnen, um erste Erfahrungensammeln zu können. Damit lässt sich zeitnah überprüfen, obund wie durch Smart-Data-Konzepte ein Mehrwert für das Un-ternehmen generiert werden kann. Die technische Umsetzungder Szenarien erfolgt im Idealfall nach klaren, agilen Projekt-managementregeln. Wichtig ist, bei der Zusammenstellungder Mitarbeiter für das Projekt alle betroffenen Bereiche (zumBeispiel IT, Sales, Marketing etc.) zu berücksichtigen.

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Von Big Data zu Smart Data 51

Mögliche Fragen zu Beginn eines solchen Projektes können sein:

• Welchen Bedarf an welchen Daten gibt es bereits heute imUnternehmen?

• Welche Daten werden wie heute schon mit welchem Ergebnisgenutzt?

• In welcher Form liegen im Unternehmen welche Daten vor?

• Welche im Unternehmen vorliegenden Daten haben dasPotenzial, gewinnbringend/er genutzt zu werden?

• Wie werden diese Daten erhoben? Gibt es doppelte Datener-hebung?

• In welchem Bezug stehen die Daten zueinander?

• In welchen Zeitabständen werden diese Daten generiert/geändert?

• Wie groß ist das generierte Datenvolumen?

• Wie kann solches Potenzial einfach und effektiv identifiziertwerden?

• Ist die Quote der werblichen Einwilligungen hoch genug?Um die Relevanz und Wichtigkeit von Big Data und Smart Datazu unterstreichen, haben wir mit Markus Heinmann von Telefó-nica gesprochen.Das nachfolgende Interview zeigt auf, wiewich-tig Daten in Zukunft für jede Art von Unternehmen sein werden.

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Menschliche Intelligenz wird kein Differenzierungsmerkmal mehr sein.Interview mit Markus Heimann, Director Business and Market Intelligence beiTelefónica Deutschland.

Markus Heimann verantwortet bei Telefónica Deutschland die Bereiche Business

Analytics, Data Science, Data Warehousing, Big Data, Artificial Intelligence, Reporting,

Automated and triggered Campaign Execution, Risk and Fraud optimization. Über fünf

Jahre leitete er als Chairman das Globale Business Intelligence Forum von Telefónica.

Nach seinem Studium startete er seine Karriere bei Teradata und hatte dort mehrere

Funktionen unter anderem als Europe Group Manager in San Diego.

Abbildung 1.3 brachte Markus Heimann zu unserem Gespräch mit.

DATA

CloudService

DataLake

Big DataTechnology

all kinds of Data

IOT esim

Vernetzung von neuen Devices

• Smart Home• Autonomes Fahren• Tracking

ArtificialIntelligences

RoboticsBots

DeepLearning

Linguistics

RealtimeSuggestion

System

Campagning

Affinitä

ten-

Scoring

Digital

Command

Center

BehavioralEconomics

NBA/NBO

CorporateSteering

DCC

Daten-Demokratie

DataPrivacy

OmniChannel

WahlzeitEU-Daten-

schutz GleichesMarkenerlebnis

SocialMedia

Abbildung 1.3: Die digitale Entwicklung im Vertrieb

Frage: Du hast in unserem Vorgespräch gesagt, dass Daten das neue Ölsind. Was genau meinst Du damit?

MH: Der Megatrend in unserer Zeit ist ganz klar Big Data. Alles drehtsich um Daten und um die Art und Weise, wie die Industrie diesenutzen kann. Anhand meiner Grafik möchte ich die Zusammenhängeerklären und aufzeigen, welche enormen Möglichkeiten heute schonmöglich sind und welche in Zukunft maßgeblich für unsere Arbeit

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werden. Daten sind das neue schwarze Gold. Daten lösen Öl als wich-tigstes Wirtschaftsgut ab, das ist sicher. Durch die Cloud-Technologiewird die Abhängigkeit von der lokalen IT-Infrastruktur eliminiert undes entsteht dieMöglichkeit, unendlich viel Speicherplatz zu nutzen, derzudem sehr billig geworden ist. Big Data wird als Asset zum differen-zierenden Potenzial.

Frage: Bedeutet das, dass die Nutzung von Daten Cloud übergreifendwird? Also können alle, die für Daten bezahlen, auch die Daten andererClouds nutzen, wie zum Beispiel Amazon?

MH: Nicht unbedingt die Daten, aber die neuesten Technologien, diein einer Cloud verfügbar sind. Die Daten kann man begrenzt ebenfallsnutzen, je nach Business Modell, zum Beispiel für Kampagnen oderAuswertungen, aber das ist nichts Neues. Neu ist die Möglichkeit, wiediese Daten verarbeitet werden. Da geht es weniger um Datensätze,sondern die Technologie, mit diesen Daten zu arbeiten.

Frage: Das bedeutet, ein Unternehmen schiebt seine Daten auf eineCloud und nutzt deren Technologie, um die Daten zu verarbeiten,verstehe ich das richtig?

MH: Genau das meine ich. Du kannst 1000 Terrabyte einfach in eineCloud schieben und sie dort mit der modernsten Technologie verar-beiten. Dazu nutzen viele große Unternehmen die Clouds der Markt-führer wie Amazon, denn kaum ein Unternehmen hat die Zeit, diesesKnowhow schnell genug selbst aufzubauen.

Frage: Die eigenen Daten werden also nicht mehr im eigenen Unterneh-men zur Verarbeitung gehalten?

MH: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es langfristig viele Unterneh-men gibt, die sich das leisten können. Es geht immer um »Time toMarket«. Wer schneller die neusten Technologien zur Datenverarbei-tung nutzen kann, wird das Rennen gewinnen.Wir sprechen heute voneinem Data Lake und das Ziel ist, riesige Datenmengen intelligent undschnell verarbeiten zu können, um genau das herauszuarbeiten, wasfür den Kunden wichtig ist.

Frage: Ist Geschwindigkeit der Wettbewerbsvorteil?

MH: Absolut, denn entscheidend ist die Geschwindigkeit, in der dieDaten verarbeitet werden können. Es geht um die relevanten Insights,

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die neue Kunden bringen oder bestehende Kunden an das Unterneh-men binden bzw. eine Abwanderung verhindern. Es gibt heute ganzneue Möglichkeiten, diese wichtigen Massendaten zu generieren. Frü-her waren Unternehmen in ihrer eigenen Welt, in der sie Daten erho-ben haben gefangen. Heute können alle die Daten aus dem Internetnutzen. Nehmen wir nur die sozialen Netze, das ist ein wahrer Infor-mationsschatz, auf den wir heute zugreifen können. Es gibt auch vieleöffentlich zugängliche Daten wie Statistiken. Dazu kommen noch so-ziodemografische Daten von Brokern. Da wird eine enorme Fülle anMöglichkeiten geboten, die deshalb so wichtig sind, weil sie unter an-deremhelfen, immermehrAttribute proKunde zu generieren. Jemehrbeschreibende Informationen man über einen Kunden hat, desto ge-nauer werden die Analyseergebnisse.

Frage: Die Formel ist also Menge an Daten plus Geschwindigkeit in derVerarbeitung ergibt künstliche Intelligenz?

MH: Nicht ganz, denn man benötigt mehr als nur Informationen undTechnologie. Es werden Deep-Learning-Verfahren auf der Basis vonneuronalen Netzen eingesetzt. Diese Netze sind dem menschlichenGehirn nachempfundenund auch keine neue Erfindung.Vor zehn Jah-ren hat man bereits intensiv mit neuronalen Netzen gearbeitet, aberdie technischen Möglichkeiten waren sehr begrenzt und es konntennur wenige Funktionalitäten genutzt werden. Heute nutzen viele dieneuronale Netztechnologie, die zum Beispiel Google mit TensorFlowkostenlos im Internet zur Verfügung stellt. Dadurch sind heute großeUnternehmen in der Lage, ein neuronales Netz mit tausend Ebenenbzw. Funktionen zu erstellen. Zum Vergleich, vor etwa zehn Jahrenkonnte man gerade mal eine Hand voll Ebenen nutzen. Meine Pro-gnose ist, dass man in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, neuro-nale Netze zu bauen, die dem menschlichen Gehirn sehr nahe sind.In vielleicht zehn Jahren wird ein System so viel Intelligenz wie alleMenschen zusammen besitzen, das ist nur eine Frage der Zeit. Durchdie exponentielle Kurve der Entwicklung kann man das leicht hoch-rechnen. Mit den tausend Ebenen bzw. Funktionen, die heute möglichsind befinden wir uns gerade mal auf dem Entwicklungsstadium einesInsektengehirns. Aber die Lernkurve geht steil nach oben und in dennächsten zehn Jahren ist eine enorme Entwicklung zu erwarten.

Frage: Wenn wir jetzt mal zehn Jahre nach vorne blicken, wie weit wer-den die Maschinen sein und was bedeutet das für Unternehmen, speziellfür den Vertrieb?

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MH: In zehn Jahren wird menschliche Intelligenz kein Differen-zierungsmerkmal mehr sein, denn die Maschinen werden sehr vielintelligenter sein als die Menschen. Die Rolle des Homo Sapienswird sich grundsätzlich ändern und sich im Business, speziell imVerkauf, mehr auf die emotionalen und intuitiven Bereiche verlagern.Künstliche-Intelligenz-Systeme werden auch in zehn Jahren noch kei-ne Emotionen in der Qualität transportieren können, wie Menschendas tun. Gerade im Verkauf liegt hier die große Chance.

Frage: Die Schlüsselkompetenzen des Verkäufers in zehn Jahren sind alsoEmotionalität und Intuition?

MH: Ja, da bin ich sehr sicher. Wobei das auch heute schon der großeUnterschied zwischen einem guten und einem schlechten Verkäuferist.

Frage: Die Maschine wird also kein Bewusstsein haben, verstehe ich dasrichtig?

MH: Das ist schwer zu sagen. Wenn wir uns anschauen wie die techno-logische Entwicklung voranschreitet, halte ich es nicht für unmöglich.Wir sind ja den chemischen Prozessen im menschlichen Gehirn aufder Spur und wissen zum Beispiel, welche Hormone für welche Ge-fühle verantwortlich sind.

Frage: Die Maschine definiert also die Bedürfnisstruktur auf der Basisder vorhandenen Daten und der Verkäufer muss nur noch seine Emotio-nalität einsetzen, um den Auftrag zu bekommen?

MH: Genau! Also in einer gewissen Weise findet es ja jetzt schon statt.Das Gefährliche an der Digitalisierung ist, dass Menschen auf Grundihrer Verhaltensweisen in bestimmte Segmente eingeteilt werden.Dann entscheidet der Algorithmus, welche Informationen undAngebote an diesen Menschen ausgeliefert werden. Der Algorithmusentscheidet, was jemand zu sehen bekommt – und was nicht. Wennsich jemand für Elektromobilität interessiert, dann gibt es mehreretausend Informationen im Netz. Aber die Suchmaschine wählt fürdas Individuum aus, was es über dieses Thema an Informationenbekommen soll. Es ist also nicht mehr die Entscheidung des Ein-zelnen, welche Informationen er zu einem Thema bekommt. DieSuchmaschine erkennt dein Profil und liefert die Informationen, diesie für den Nutzer vorselektiert hat. Anders gesagt, die Suchmaschinesagt dem Nutzer, was ihn zu interessieren hat.

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Frage: Sind wir schon so weit, dass die Maschine die Meinungen be-stimmt?

MH: Ich denke schon, da die Suchmaschinen natürlich kommerziellausgerichtet sind, wird der Konsument auf die Produkte gelenkt, derenUnternehmen dafür bezahlen. So läuft dasGeschäftsmodellmit Daten.Ein anderes Beispiel könnte auch die Wahlbeeinflussung durch die Fir-ma Cambridge Analytica während des Brexits oder der US-Wahl sein.

Frage: Betrifft das nicht alles nur den B2C-Markt?

MH: Nein, immer mehr Transaktionen werden auch im B2B voll-automatisiert werden. Ich denke hier vor allem an den SoHo- undSME-Bereich. Auch hier treffen immer mehr Computersystemeimmer öfter Businessentscheidungen. Der Vorteil ist, dass sie das inEchtzeit tun und auch die gesamte Kommunikation mit dem Lieferan-ten managen. Ein intelligentes System kann bei Standardproduktenden besten Preis errechnen und die Bestellung in Gang setzen.

Frage: NutzenAnbieter diese Systeme ebenfalls, um zur richtigen Zeitmitdem attraktivsten Preis auf den Markt zu gehen?

MH: Selbstverständlich nutzen Anbieter dieses System, Wirtschaft istja in den meisten Fällen ein permanenter Kampf um den besten Preis.Wir bei Telefónica haben ein System für unsere Entscheidungsprozes-se bezüglich der Preisfindung. Damit reagieren wir in Echtzeit auf denMarkt. Unsere Systeme analysieren permanent, wie die Nachfrage fürein bestimmtes Produkt bei welcher Zielgruppe ist und welche Ange-bote der Wettbewerb macht.

Frage: Wenn alle Anbieter im Telekommunikationsbereich dasselbe tun,dannmüsste ja immer das besteAngebot gewinnen.Daswürde aber auchbedeuten, dass es bald kaum noch Margen gibt und die Unternehmenkaum noch Gewinne erzielen. Gewinnt immer der Billigste?

MH: Wenn der Preis immer das Entscheidende wäre, dann würdensich dieWettbewerber gegenseitig vernichten. Es gibt ja auch gegenläu-fige Tendenzen, wenn wir zum Beispiel feststellen, dass sich die Preisenach oben verändern, weil andere relevante Entscheidungsgründe fürden Kunden wichtig sind.

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Frage: Brauchen wir das klassischeMarketing dann noch? Anders gesagt,brauchen wir außer digitalem Marketing noch die »alten« Mediengat-tungen?

MH: Es wird sicher in Zukunft auch noch einen Gattungsmix bei Mar-ketingentscheidungen geben. Aber die digitalen Medien werden dasRuder übernehmen, sofern sie es nicht schon getan haben. Wir habenimmer zwischen fünfzig und hundert Kampagnen parallel laufen,vollautomatisiert selbstverständlich. Unser System berechnet kon-stant, welche Kampagne die beste Performance leistet. Das bedeutet,dass für jeden einzelnen Kunden jede Kampagne und jedes Angebotpermanent durchgerechnet wird. Wir erkennen daraus, welchesAngebot in welchem Zeitfenster für den Kunden am besten ist. Wenner nicht auf eine Kampagne reagiert, also nicht kauft, wird eine weitereKampagne angestoßen, ebenfalls vollautomatisch. Im Wettbewerb derKampagnen gewinnen diejenigen, die mit der höchsten Profitabilitätpunkten können oder als strategisch wichtig eingestuft werden.

Frage: Aber die Entscheidung, welche Kampagnen aufgesetzt werden,treffen noch Menschen?

MH: Zurzeit schon noch, aber ich schließe nicht aus, dass das in Zu-kunft auch von Computern übernommen wird. Spätestens dann wirdsich das Marketing grundsätzlich verändern.

Frage: Wenn die Maschine gelernt hat, welche Conversion-Rates in wel-chen Kampagnen bei einer bestimmten Zielgruppe oder Einzelperson ambesten konvertieren, könnte sie den komplettenVertriebsjob voll automa-tisiert machen.

MH: Das ist durchaus denkbar. Es gibt einen Lean-Feedback-Loop,das bedeutet, das System überprüft seine Entscheidungen und opti-miert diese. Wann immer das prognostizierte Ergebnis nicht eintritt,fließt diese Erkenntnis in alle weiteren Entscheidungen ein. So sorgtdas System für eine kontinuierliche Optimierung seiner Entscheidun-gen. Dadurch werden die Algorithmen, die hinterlegt sind, immer bes-ser. Dieses selbstlernende System wird durch jeden Fehler besser.

Frage: Wer gibt die Benchmark vor? Machen das die Menschen odermacht das das System? Wer sagt, was gut ist?

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MH: Heute gibt meistens der Mensch den Benchmark vor. Erwird zum Beispiel nach Affinitäten und Customer-Life-Time-Valueberechnet und daraus wird eine Prognose abgeleitet. Der Menschdefiniert was gut ist, also wie hoch die Affinität und der CLTV seinmuss, damit ein Kunde das Produkt kauft und es sich für uns rechnet.Wir sehen schon in einer sehr frühen Phase einer Kampagne, obdie Life-Time-Value-Kurve erreicht wird. Dadurch sieht man ob derAlgorithmus greift, das heißt ob er so effektiv ist, wie er sein sollte,oder eben nicht.

Frage: Glaubst du an dieTheorie, dass B2BundB2C zusammenwachsen?Dass die Systeme imB2B- undB2C-Bereich sich immermehr angleichen?

MH: In der Telekommunikationsindustrie ist das in einigen Bereichenbereits so. Wir versuchen die Intelligenz der B2C-Prozesse auch fürden B2B-Markt einzusetzen. Wir modifizieren die Produkte, aberletztendlich sind die Prozesse im Hintergrund identisch. Wenn es umspezielle Einzellösungen für Großunternehmen geht, dann ist das einanderes Vertriebsmodell.

Frage: Lass uns nochmal auf die Cloud Services und Data Lakes kom-men.

MH: Das wirklich Revolutionäre ist, dass man auch Bilder und Spra-chemitverarbeiten kann.Die neuen kognitiven Technologien sind hiersehr hilfreich, denn mit ihr kann man große Datenmengen in hoherGeschwindigkeit verarbeiten. Sprache und Bilder schnell zu verarbei-ten ist wirklich neu und eröffnen völlig neue Möglichkeiten.

Frage: Die Zukunft ist also Siri, Cortana und allen voran wieder einmalAmazon mit Alexa.

MH: Das ist die nächste Entwicklungsstufe und alle versuchen in die-sen Markt einzusteigen.

Frage: Wäre es denkbar, dass ich einen Anruf von einem freundlichenRoboter bekomme, der mir erzählt, was ich für ein Angebot bekomme?

MH: Das wird in absehbarer Zeit zum Standard werden. Es gibt be-reits Programme, die einem erklären, wie man ein Problem mit einerbestimmten Anwendung lösen kann.

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Frage: Klingt wie der Abgesang auf Callcenter.

MH:Callcenterwerden sicher von dieser Technologie sehr bald betrof-fen sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Callcenter der Zukunftsehr stark Sprachcomputer einsetzen werden.

Frage: Wird in Zukunft die Sprache das führende Instrument der Digi-talökonomie?

MH: Mit Alexa hat Amazon den ersten Schritt gemacht. Weltweit wer-denApps fürAlexa programmiert. DieAnwendungen für Sprache sindja noch lange nicht ausgereizt. Das ist eine Frage der Zeit, bzw. derSchnelligkeit der Entwicklung. Ich gehe davon aus, dass in den nächs-ten fünf Jahren die Sprachentwicklung der Computer nahezu perfektsein wird. Die Spracherkennung und -auswertung ist ja ebenfalls nurein Interface, hinter dem intelligente Systeme sitzen, die in Echtzeit aufFragen oder andere Kommunikationsinhalte reagieren.

Frage: Ist die menschliche Sprache nicht zu komplex? Die Stimme zeigtja auch die Stimmung und sie ist Ausdruck der Persönlichkeit.

MH: Ich gebe ein Beispiel, wie die Stimmanalyse in naher Zukunftstandardisiert mit Hilfe von Systemen mit künstlicher Intelligenzumgesetzt wird. Viele Anwendungen fokussieren sich zum Beispielauf die Gespräche in Call Centern. Die Interaktion zwischen Kundeund Agent wird nach unterschiedlichen Kriterien analysiert. Das istziemlich kompliziert, weil es keine »Eins-zu-eins«-Übersetzung gibt.Die Maschine lernt, wie hoch der Anteil Sarkasmus im Dialog ist,ob der Anrufer erregt ist und um welche Form der Erregung es sichhandelt. Ist er enttäuscht, aggressiv etc. und wie würde die beste Reak-tion auf seine Stimmung klingen. Welche Stimme, Tonalität, Timbre,Geschwindigkeit und Lautstärke würden dem Anrufer das Gefühlgeben, sein Gegenüber versteht ihn und will ihm helfen. Das allesmuss in Echtzeit, also während des ersten Satzes des Anrufers, ana-lysiert und ausgewertet werden. Diese sogenannten Touch-Faktorenmüssen richtig verstanden werden.

Frage: Das heißt, man kann die Emotionalität desMenschenmessen undgeht anhand der emotionalen Befindlichkeit in die Feedbackschleife. Dar-aus ergibt sich dann zum Beispiel, ob es besser wäre, wenn jetzt einemännliche oder weibliche Stimme antwortet, oder ob die Stimme eherautoritär, betroffen oder sehr freundlich sein soll.

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MH: Ja, das ist die Idee! Es geht darum, zu lernen, den Kunden richtiganzusprechen, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Begriff hierfür istBehavioral Economics. Es ist wichtig, zu verstehen, mit welchem Kun-dentypus man zu tun hat und möglichst präzise auf seine emotionalenBedürfnisse eingeht. Idealerweise gleich zuBeginn der Interaktion undnicht erst im Laufe des Gespräches. Da spielt die Sprache eine wichti-ge Rolle, aber auch seine Einstellungen und Werte. Die Quelle dafürsind die sozialen Netze wie zum Beispiel Facebook, denn sie zeigen,was den Kunden interessiert, was er liked oder disliked. Das alles sindKriterien, mit denen ein Kundenprofil erstellt werden kann.

Frage: Wird Amazon mit Alexa auch die Telekommunikationsindustriedisruptieren?

MH: Das kann passieren, denn die Technologie ist vorhanden. Siebauen Intelligenz in diesem Sektor auf und sie können sich durch ihrAngebot differenzieren. Nehmen wir an, wir möchten eine Konferenzin fünf Ländern mit unterschiedlichen Sprachen durchführen. Heutewürden wir ein Tool verwenden wie Skype, oder wir würden uns einendigitalen Konferenzraum bei einem Telekommunikationsanbietermieten. Die gemeinsame Sprache wäre Englisch, denn das hat sich soetabliert. Ich könnte mir vorstellen, dass es in Zukunft ein Interfacegeben wird, dass das Sprachenproblem in Echtzeit überwindet, sodass jeder in seiner Sprache sprechen kann und simultan übersetztwird. Dieses Interface bräuchte also enorm viele Daten zum ThemaSprache und das könnte durchaus von Amazon kommen.

Frage: Werden wir auch ohne online zu sein mit dem Internet kommu-nizieren?

MH: Wir persönlich müssen nicht online sein, um unsere Datenspu-ren überall zu hinterlassen. Es werden in Zukunft überall immer mehrChips bzw. Sim-Karten integriert werden, die eben extrem viele Infor-mationen beisteuern werden.

Frage: Was meinst Du mit überall?

MH: Es gibt kaum Gegenstände des täglichen Lebens, die nichtmit einem Chip versehen werden können. Nehmen wir als Beispieldie Modeindustrie. Wenn in Kleidung ein Chip eingebaut wird,kommuniziert dieser zum Beispiel mit der Waschmaschine. Auf dieseWeise stellt sie das richtige Programm ein oder gibt die Information,

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dass dieses Wäschestück gereinigt werden muss. Gleichzeitig lernt derMaschinenhersteller, wie oft die Waschmaschine benutzt wird undwann sie einen Service braucht. Das ist eine gute Gelegenheit, wiedermit dem Kunden in Verbindung zu treten und so die Serviceori-entierung mit Kundenbindung zu verknüpfen. Wenn er die Datendem Waschmittelhersteller weitergibt, dann kann der sehen wie hochder Verbrauch ist und kann spezielle Angebote machen. Auch dieGröße der Familie wird daraus ablesbar und noch vieles mehr. Inhochwertigen Produkten wie Uhren und Schmuck kann dieser Chipals Diebstahlsschutz eingebaut werden und die GPS-Daten an denBesitzer weiterleiten, oder an die Versicherung. Die Möglichkeitensind nahezu unbegrenzt. Wir werden das Leben im und außerhalbdes Netzes immer mehr miteinander kombinieren. Am Ende sind dasalles wieder Daten, die dann verarbeitet werden müssen.

Frage: Ist das die nächste Revolution der Digitalisierung?

MH: Es hat ja schon mit Alexa von Amazon angefangen. Zwar istAlexa direkt mit dem Netz verbunden, aber eigentlich ist sie nichtsweiter als ein Interface, genau wie ein Chip. Alexa bekommt nun eineKamera und dann kann sich jeder zu Hause fotografieren. Die Bilderkönnen dann verwendet werden, um sich Kleidung direkt auf denLeib schneidern zu lassen, oder vorab zu sehen, wie die Kleidungaussieht, wenn man sie trägt. Außerdem wird Alexa den Kleidungsstilidentifizieren und Tipps geben. Man kann also morgens Alexa fragen:»Alexa, ich habe heute ein Vorstellungsgespräch bei Amazon, was sollich anziehen?«, und Alexa wird aus dem Kleiderschrank das richtigeheraussuchen.

Frage: Wer wird dieses Chip-Geschäft beherrschen?

MH:Daswerden unterschiedlicheAnbieter sein, sicher die klassischenHersteller, aber auch Telcos wie Telefónica. Wir haben ein Unterneh-men, Telefónica Next, das sich um IoT-Themen (Internet of Things)kümmert. Die Telefónica Next entwickelt mit Partnern unter anderemunterschiedlichste IoT-Lösungen. Ein interessantes Produkt finde ichzum Beispiel ein Hundehalsband mit Chip, das das Bewegungsver-halten von Hunden trackt. Hunde, die wenig Bewegung bekommen,neigen dazu, Arthrose zu bekommen. Durch die Schmerzen, die dieseKrankheit verursacht, werden die Tiere oft aggressiv und beißen dannplötzlich. Durch den Chip kann man sehen, ob der Hund zu der Risi-kogruppe gehört und entsprechende Maßnahmen einleiten.

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Frage: Wenn der Chip beim Hund funktioniert, dann funktioniert erauch beim Menschen. Das freut bestimmt die Krankenkassen und diePharmaindustrie.

MH: Es gibt bereits die Möglichkeit, durch spezielle Kontaktlinsen dieBlutgruppe zu bestimmen und die Herzfrequenz zu messen. Wennzu den Bewegungsdaten noch die Waage den Gewichtsverlauf sendetund der Bon aus dem Supermarkt die Ernährungsgewohnheitenliefert, kann man sich ein gutes Bild über den Gesundheitszustand desMenschen machen.

Frage: Das wäre dann der automatisierte Gesundheitsberater. Wird erden Arzt ersetzen?

MH: Ersetzen nicht, aber ergänzen und dem Arzt die Möglichkeitgeben, sehr individuell auf den Patienten einzugehen. Wenn erzum Beispiel weiß, wieviel Alkohol sein Patient kauft und wie vieleSchachteln Zigaretten, wenn er weiß, welche Nahrungsmittel er zusich nimmt, dann kann er sich schon mal ein gutes Bild machen.Sicher wird es aber auch den Online-Arzt als App geben, der ausdiesen Daten ein Gesundheits- bzw. Risikoprofil errechnet. Mit diesenDaten kann er dann ein entsprechendes Programm vorschlagen, umdas Krankheitsrisiko zu verringern.

Frage: Könnte es sein, dass dieser Vorschlag von Dr. App dazu führt, dassder Patient höhere Krankenkassenbeiträge bezahlt, wenn er dem Rat sei-nes Online-Arztes nicht folgt?

MH: Technisch ist das auf jeden Fall denkbar, ob es sich jemals in dieRealität umsetzen lässt, hängt von der Gesetzgebung ab. Es gibt ja be-reits Apps, die kontinuierlich verarbeiten, wie viel man sich bewegt,wie alt man ist und wie viel man wiegt etc. Diese Informationen sindin jeder Fitness-App vorhanden. Die Frage ist, was mit diesen Datenpassiert und wer sie, zu welchem Zweck, mit anderen Daten zusam-menbringt. In jedem iPhone kann man nachschauen, wie das eigeneAktivitätsprofil ist. Schritte werden gezählt, der Kalorienverbrauch be-rechnet und Hinweise gegeben, wie man im Vergleich zur Peer Groupabschneidet. Diese Informationen werden von Apple natürlich gespei-chert, um sie zu verwerten. Daraus resultieren Statistiken, die für vieleAnbieter relevante Informationen beinhalten.

Frage: Ich komme noch einmal auf das Thema Marketing zurück. WennChips oder Sim-Cards die entsprechende Verbreitung in der Bevölkerung

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haben, wirdWerbung stark personalisiert. Diese Personalisierung bedeu-tet aus meiner Sicht, dass das Denken in Zielgruppen und Affinitätenobsolet wird. Wird damit die Werbung wie wir sie kennen überflüssig?

MH: Sicher werden wir immer mehr in die Richtung der direktenAdressierung von individualisierten Angeboten gehen. Die klassi-schen Trägermedien wie Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehenoder Out of Home werden an Bedeutung verlieren. Sie werden andereAnwendungen finden müssen und sicher wird dabei die Vernetzungeine Rolle spielen. Nehmen wir die Tageszeitung als Beispiel, denndaran können wir gut sehen, wie sich der Werbemarkt entwickelnwird. Früher waren die Tageszeitungen Informationsmonopolisten, dasie durch gute Recherche und hervorragenden Journalismus aktuelleThemen bedienen konnten. Heutzutage braucht niemand mehr eineTageszeitung, da die Nachrichten mittlerweile in Echtzeit im Netzerscheinen. Aber die journalistische Qualität einer guten Tageszeitungwird im Netz nie erreicht werden. Dazu ist das Netz zu anfällig fürManipulation, denken wir nur an die Fake News und alternativenFakten. Den Fehler, den viele Zeitungen gemacht haben, ist, dass sieihren Qualitätsjournalismus aufgegeben haben und die Redaktionenverkleinert haben. Sie haben sich auch viel zu spät um das Internetgekümmert. Ich muss guten Journalismus ja nicht auf Papier drucken,es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Form.

Frage: Also nur noch personalisierte Werbung?

MH: Das wird ganz klar einer der wichtigen Elemente der Digitali-sierung werden. Je besser wir den Konsumenten in seinem Verhaltenkennen, umso besser können wir prognostizieren, welche Bedürfnisseer entwickelt. Sicher werden wir auch Einfluss auf seine Bedürfnissenehmen, das bedeutet, wir machen das, was Werbung eben macht, Be-dürfnisse erzeugen.

Frage:WürdestDu sagen, dass das eineWin-win-Situation fürHersteller,Lieferanten und Kunden ist?

MH: Das kommt drauf an, wie weit man noch Herr seiner eigenenDaten bleiben will. In den USA ist man da sehr offen und hat kaumRestriktionen. In Europa ist das schwieriger, denn die Länder habenkein einheitliches Datenschutzgesetz. Das macht es Unternehmen derDigitalökonomie sehr schwierig, Innovationen im europäischenMarktzu platzieren.

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Frage: Ist das aus Deiner Sicht ein relevanter Wettbewerbsnachteil?

MH: Das ist es in jedem Fall. Die Daten gehören dem Kunden, dennschließlich erzeugt er diese. Die Frage ist, ob er die Daten zur Nutzungfreigeben will. Das ist im Moment so eine Art rechtsfreier Raum, derextrem von den amerikanischen Unternehmen genutzt worden ist,um sich hier massive Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Speziell inEuropa haben wir dadurch Nachteile, denn wir entwickeln unsereAnalyse-Produkte und Dienstleistungen zwar weiter, dürfen sie abernur sehr begrenzt nutzen.

Frage:Wird derMittelstand in diesemRennenumDaten noch eineÜber-lebenschance haben?

MH: Es wird noch Nischen geben, in denen der Mittelstand etwas bie-ten kann, was die Großen nicht leisten können. Das ist vergleichbarmit den Discountern, die im Lebensmittelhandel die Situation verän-dert haben.

Frage: Du meinst den Metzger um die Ecke oder die Boutique, die füreine spezielle Zielgruppe anbietet?

MH: Solche Geschäfte wird es immer geben und die Konsumentensind bereit, dort auch mehr zu bezahlen, weil man auf Nähe Wert legtunddie persönliche Beratung schätzt. Trotzdemwird das Internet auchdiese Geschäftsmodelle massiv verändern.

Frage: Das bedeutet, dass Du diese Händler nur in Deinem Umfeld fin-den kannst. Wenn Du in München lebst und in Hamburg gibt es einenBäcker der das weltbeste Bio-Brot bäckt, wirst Du ihn nie kennenlernen.

MH: Das ist richtig. Die Frage ist, wenn Kunden einfach immer beiAmazon einkaufen, dass das zu einem festen Programm wird, eineRoutine. Dann werden sie nie von irgendwelchen anderen Anbieternerfahren. Wahrscheinlich wird der Bio-Bäcker aus Hamburg, wenn eronline ist, auch viele andere Kunden gewinnen, die eben auch genausolche Produkte mögen. Aber es sind dann Kunden, die irgendwie aufdas Produkt aufmerksam werden.

Frage: Wie wird jemand auf den Anbieter aufmerksam? Das ist ja derentscheidende Punkt.

MH: Wenn ich einen Bio-Bäcker online suche, dann sortiert mir dieSuchmaschine auf Grund meines Profils schon aus, welche Bio-Bäcker

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ich angezeigt bekomme. Wenn der Bäcker aus Hamburg nicht in dieSuchmaschine investiert hat, werde ich ihn wahrscheinlich nie ken-nenlernen. Ich erfahre also gar nicht, dass es ihn gibt. Außerdem wirddie Suchmaschine wissen, ob ich oft bei Amazon einkaufe und dannsehe ich sofort die Backwaren, die Amazon vertreibt.

Frage: Was ist denn die nächste Entwicklung im Telco-Business?

MH: Die E-SIM, das ist eine neue Entwicklung. Es gibt keine festenSIM-Karten mehr, sondern elektronische, die in allen Devices einge-baut sind. Dadurch hat der Nutzer eine extrem hohe Flexibilität, denner kann ohne großen Aufwand den Carrier wechseln. Das ist einfachnur ein Reboot zu einem neuen Anbieter. Für die Telcos ist das einegroße Herausforderung und gleichzeitig eine große Chance.

Frage: Gewinnenwird derAnbietermit dembestenAngebot und den bes-ten Preisen. Oder derjenige, der die Daten am besten nutzen kann unddamit die Bedürfnisse des Kunden präzise voraussagen kann.

MH: Es wird sowohl das eine als auch das andere sein. Wichtig istdie Convenience und die wird sich durch perfekten Omnichannel-Vertrieb herausstellen. Wenn es um Convinience und CustomerService geht, ist Amazon ganz klar der Vorreiter. Das ist auch dieErwartungshaltung, die damit als Benchmark für andere Anbieter gilt.Was immer wichtiger wird, ist über alle Kanäle hinweg durchgängigkonsistent zu performen, überall das gleiche Erlebnis zu haben. Dasist die Herausforderung für jeden Anbieter.

Frage: Angenommen ein o2-Kunde kommt in einen o2-Shop und hat si-cher vorher online die Angebote angeschaut, wäre es dann möglich, dassder Kundenberater bereits alle wichtigen Informationen über ihn hat?

MH: Mittels Gesichtserkennung wäre es theoretisch möglich, wenner zum Beispiel ein Videochat gemacht hätte und uns erlaubt hätte,ein Foto zu hinterlegen, ihn im Shop sofort zu erkennen und seineDaten aufzurufen. Die Herausforderung ist, die Übergänge zwischeneinzelnen Vertriebskanälen möglichst fließend zu gestalten. Wenn derKunde vorher im Callcenter angerufen hat und der Callcenter Agentbereits Informationen über ihn hat, wird das System bereits individu-elle Angebote ausgearbeitet haben. Auf Grund des Verhaltens und derTransaktionen des Kunden kann man die Daten so verdichten, dassman ziemlich genau weiß, welches Angebot man ihm zur welchen Zeitmachen muss.

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Frage: Würdest Du sagen, dass jede wirklich gute VertriebsstrategieOmnichannel ist?

MH: Das würde ich sagen, denn der Kunde erwartet heutzutage denperfekten Service im Verkauf. Er wird kein Verständnis dafür haben,dass er im Internet ein anderes Angebot bekommt als im Shop, oderdass er vom Callcenter Agent eine andere Information erhält als vomBerater.

Frage:Wie denkst Du über den Satz vonMark Zuckerberg, »Ich halte diePrivatsphäre für überbewertet«?

MH:Das ist eine ganz schwierigeGeschichte. Fakt ist, dass sich das Radnicht mehr zurückdrehen lässt. Wir sind als Kunden alle schon gläsernund man kann sich nicht dagegen wehren. Wenn Technologie vorhan-den ist, wird sie auch genutzt.Nehmenwir Facebook als Beispiel.Wenndort jemand austreten will, hat er praktisch keine Chance, nicht mehrauf dieser Plattform identifiziert zu werden. Nehmen wir an, derjeni-ge ist auf einem Geburtstag eingeladen und es werden Fotos gemacht.Diese Fotos werden in Facebook gepostet. Mittels Gesichtserkennungwird das System ihn identifizieren.

Frage: Wenn ich an meine Gespräche mit Experten aus unterschiedli-chen Bereichen der Digitalisierung denke, werden immer zwei Firmengenannt, Amazon und Google. Bestimmen diese beiden auch in dennächsten Jahren noch das Onlinebusiness, oder werden sie auch durchneue Technologien abgelöst?

MH: Ich glaube, dass die beiden den Markt bestimmen werden. Al-lein durch die enorme Erfahrung mit großen Daten umzugehen undsie zu analysieren. Es ist so, dass sie andere Unternehmen an ihremKnowhow teilhaben lassen. Aber sie verfügen über so viel mehr Datenwie kein anderes Unternehmen weltweit. Außerdem sind sie so reich,dass sie das größte Innovationspotenzial haben.

Frage: Dann werden wir in den nächsten Jahren von diesen beiden An-bietern abhängig?

MH: Zumindest werden sie die Datenwelt beherrschen und wer diesebeherrscht . . . .

Frage: Das ist doch ein schönes Schlusswort, vielen Dank.

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Der neue Kunde 67

Der neue Kunde

Neben der technologischen Entwicklung führen auch neueGenerationen zu einer neuen Herausforderung im Vertrieb.Manager, Konsumenten und Entscheider werden immer jüngerund deren Wertehierarchie weicht zum Teil deutlich von denender Elterngenerationen ab. Die nachwachsenden Generationenrichten ihr Konsumverhalten neu aus und sind es gewohnt,mobil und schnell zu handeln. Sie sind es gewohnt, schnelleKaufentscheidungen auf Basis von User- und Test-Berichtenzu treffen, sogenannter UGC, »User Generated Content«, underwarten im Gegenzug schnelle Antworten des Unternehmens.Bleiben diese aus, wandert die Anfrage zum Wettbewerb unddas zweitbeste Produkt gewinnt, weil es schneller reagiert.Nur wenige Vertriebsstrategien beziehen die Unterschiede imKaufverhalten, der Kriterien für Kaufentscheidungen und dieTechnologieaffinität dieser Generationen mit ein. Wenn wir unseinige Entwicklungen der letzten Jahre anschauen, stellen wirein verändertes Konsumverhalten fest. Die Millennials (geborenzwischen 1980 und 1999) und nachfolgende Generationenhaben einen Trend gesetzt, dem auch immer mehr Menschenälterer Generationen folgen. So entstehen immer mehr Kreis-laufwirtschaften, die dem Motto »Teilen statt Haben« folgen.Diese »Shared economy« ist der erste Ausdruck einer Bewegung,welche die Koordinaten des Wirtschaftssystems kontinuierlichverändert. Auch die sogenannte »Neo-Ökologie« verändertdie Koordinaten der Wirtschaftssysteme. Gefragt ist eine neue,von ethischer Verantwortung getragene Business-Moral, dienachhaltig mit den Ressourcen von Umwelt und Menschumzugehen weiß. Umweltschutz, Ressourcenschonung, Nach-haltigkeit, Corporate Social Responsibility sind nur einigeder Begriffe, die im Geschäftsleben immer stärker in denVordergrund drängen. Wie lange die Wirtschaft noch unterdem Primat des Wachstums steht, ist fraglich, weiß doch jederum die begrenzten Ressourcen dieses Planeten. Konsum undWirtschaft könnten sich als eine neue Mischung, bestehend aus

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Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlichem Engagement neudefinieren. Schon heute können wir eine schnell wachsendeZahl von konsumkritischen Menschen beobachten, die alsGood Watcher bezeichnet werden. Sie beobachten das Verhaltenvon Unternehmen sehr genau und durch das Internet werdennegative Informationen einfach und schnell verbreitet. Produk-tionsbedingungen, Servicebereitschaft, Kundenorientierung,Management und Führung von Unternehmen sowie Daten-schutz werden transparent und nach Maßstäben gemessen, dieabseits vom klassischen Shareholder Value liegen. Was das fürden Vertrieb bedeutet? Marken, Unternehmen und Produktewerden transparenter und die Informationen werden in Echtzeitverbreitet. Der Kunde, unabhängig ob es der Verhandlungspart-ner im Industrieunternehmen oder der Käufer im Handel ist,kann sich schnell und unkompliziert über sein Unternehmeninformieren. Wer im Verkauf arbeitet, muss wissen, welcheInformationen aktuell über sein Unternehmen und dessenProdukte im Umlauf sind, daher ist es wichtig informiert zu seinund dieselben Informationskanäle wie der Kunde zu nutzen.Bricht ein Shitstorm über ein Unternehmen herein, kann daseklatante Umsatzeinbrüche zur Folge haben, unabhängig davon,ob es sich um ein B2B- oder B2C-Unternehmen handelt.

Das Informationsverhalten der neuen Kunden hat sich starkverändert. Im B2C-Markt sind zwei Faktoren ausschlagge-bend für den Erfolg von E-Commerce-Plattformen. Der ersteFaktor heißt Preisorientierung. Informationen über Produkteund Preise benötigen keine Zeit mehr und somit sinken dieInformationskosten gegen Null. Durch die Preistransparenzwird die Preissensibilität erhöht und damit wird der Preiszum entscheidenden Kauffaktor. Während man früher nochüberlegte, ob man ein Produkt brauchte oder nicht, geht esheute mehr um die Frage, ob man es sich für den Preis leistenwill, auch wenn die Notwendigkeit des Besitzes nicht zwingendist. Der zweite Faktor ist Bequemlichkeit. Sie ist ein unschätz-barer Verkaufsvorteil in unserer Gesellschaft, in der Zeit zum

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raren Gut geworden ist. Das gilt nicht nur für den Kunden,der auf Amazon einkauft, sondern auch für den Einkäuferin der Industrie. Die Convenienceorientierung im B2B hatsich in dieser Zielgruppe deutlich verändert. Die Vorteile fürden industriellen Einkauf sind neben der Zeitersparnis dieFlexibilität und der geringere Planungsaufwand. Es müssenkeine Termine mit Verkaufsmitarbeitern vereinbart werden, diestundenlangen Preisverhandlungen können reduziert werdenund die Ware wird nach Bedarf und Verfügbarkeit bestellt. Auchauf Seiten des Lieferanten entstehen dadurch Vorteile, da erseine Vertriebsorganisation verschlanken kann und dadurchsein Kapitalrisiko minimiert. Speziell im Käufermarkt könnenProdukte durch gutes Yield Management deutlich teurer ver-kauft werden, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Dasfrüher so hoch geschätzte Beziehungsmanagement zwischenKunden und Verkäufer verliert zunehmend an Bedeutung.Nicht die Stärke, sondern die Flexibilität und Lockerheit vonLieferanten/Kunden-Beziehungen sind heute gefragt. EinLieferantenwechsel geschieht heute in vielen Fällen ohne denursprünglichen Lieferanten davon in Kenntnis zu setzen. Ermerkt es meist erst durch fehlende Umsätze bei seinem Kunden.In Folge dessen wird das gute, alte Verkaufsgespräch immerseltener. Heutzutage tauscht man sich auf Einkaufsplattformenaus und sucht nach normierten Produkten, die dann lediglichüber den Preis ihren Kunden finden.

Dieser Trend wird sich durch die demographische Entwicklungauch in Zukunft weiter verstärken. In den USA zählen bereitsknapp die Hälfte der Entscheider zu den Millennials. Auchin Europa verändert sich das Bild durch die demographischeEntwicklung in ähnlicher Weise. Das hat Konsequenzen für denVertrieb, denn diese neue Managergeneration ist es gewohnt,Kaufentscheidungen am Mobile oder Laptop zu treffen undVerhandlungen via SMS oder Mail zu führen, statt sich mitVerkäufern in Verhandlungen zu begeben. Ihre Anspruchs-haltung gegenüber ihren Lieferanten ist auf Geschwindigkeit

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und Effizienz ausgerichtet. Informationen werden über dasInternet eingeholt und die Kommunikation wird rationalisiert,da die Entscheidungsparameter für einen Kauf vorher eindeutigfestgelegt werden. Dieser Anspruch generiert sich aus demtäglichen Umgang mit B2C-Anbietern, von denen sie gewohntsind, dass Transaktionen jederzeit und überall unkompliziertablaufen. Dabei ist es für Lieferanten und Hersteller wichtig,zu verstehen, dass die führenden B2C-Anbieter wie Amazon,Alibaba und andere auch neue Standards im Service gesetzthaben. Auch diese werden von der beschriebenen Zielgruppeals selbstverständlich erwartet. Die Adaption dieser, im B2Cselbstverständlichen Standards, auf die Zusammenarbeit mitLieferanten und Herstellern, bedeutet große Chancen, wennman bei der Digitalisierung der Vertriebs- und Servicekanälevorn dabei ist. Sie bedeutet aber auch existenzielle Gefahr, wennman sich diesen Standards nicht anpasst.

Fakt ist, dass in B2B-Unternehmen noch viel zu tun ist, umdas Potenzial der Digitalisierung im Vertrieb zu nutzen. Leiderinvestieren die B2B-Unternehmen nur einen Bruchteil ihresBudgets für die digitale Vermarktung. Der Trend zu neuerHardware ist seit mehreren Jahren rückläufig, während dieSoftwarehersteller kontinuierlich an Umsatz zulegen. Für denVertrieb 4.0 bedeutet dies, noch mehr Flexibilität in integrierteGesamtkonzepte im Vertrieb zu investieren. Die intelligenteVernetzung aller relevanten Kundeninformationen sowie dieparallele Vernetzung des Angebotes (Produktportfolio, Ser-vicelevels, Aktionen, Sonderangebote etc.) miteinander sinddie Grundlage, den neuen Kunden optimal zufriedenzustellen.Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die neue Gene-ration der Kunden nicht mehr an den traditionellen Werten derklassischen Vertriebsabläufe orientieren wird. Während manfrüher den persönlichen Kontakt und die teilweise über mehrereStunden dauernden Verhandlungsrunden als selbstverständlichansah, werden sie in Zukunft die Ausnahme sein. Sicher wirdes in Zukunft auch noch Verhandlungen geben und Menschenwerden sich gegenübersitzen, um gemeinsame Lösungen zu

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finden. Aber die Teilnehmer dieser Verhandlungen werdenbesser informiert sein, die Gespräche sind kürzer und dieEntscheidungsparameter schon vor der Verhandlung bekannt.Damit verschiebt sich auch der Sales Cycle in Richtung Vor-bereitung. Das bedeutet, dass die Analyse und Vorbereitungder Verhandlung deutlich mehr Zeit beanspruchen wird als dieVerhandlung selbst. Auch hier wird die Vernetzung der Datendie ausschlaggebende Rolle spielen, denn wer schneller Infor-mationen erhält, diese intelligent vernetzt und dadurch mehrüber den Verhandlungspartner weiß, wird in der Verhandlungdie besseren Optionen haben.

Customer Value – der Mehr-Wert des Kunden

Kunden sollten – weder inB2B- noch inB2C-Vertriebskanälen –rein als Einmalkäufer betrachtet werden. Selbst dann nicht,wenn ihr Produkt eine hohe Produktlebensdauer (zum BeispielWaschmaschine, Heizungstechnik etc.) aufweist. Wichtig ist es,den Kundenwert (Customer Value) für das eigene Unternehmenzu analysieren. Durch die Digitalisierung erhält dieses Themaeine neue Qualität, da der Kunde transparenter wird und damitdie Möglichkeit besteht, ihn schnell mit den notwendigenLösungen zu versorgen. Ein Beispiel ist der Autohersteller Tesla,der kontinuierlich mit seinen Kunden in Kontakt ist. Teslareagiert zum Beispiel auf extreme Wettersituationen und sendetdem Fahrer ein Update zur Funktion seines Fahrzeugs. Als sichan der Westküste der USA ein heftiger Starkregen ankündigte,erhielten die Tesla-Fahrer in diesem Gebiet eine Informationauf ihrem Display, da ihnen ein Update zur Funktion ihrerScheibenwischer übermittelt wurde, die sie einfach schnellermachten. Diese Form der Services erhöht die Kundenbindung,da der Kunde das Gefühl hat, dass sich das Unternehmen auchnach dem Kauf um ihn kümmert.

Ein weiterer entscheidender Faktor, wenn es um die Ein-schätzung des tatsächlichen Kundenwertes geht, ist darüber

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hinaus der Lebensertragswert eines Kunden (Customer LifetimeValue). Ein Lebensertragswert ist die Hochrechnung des Um-satzes, den der potenzielle Kunde bei guter Betreuung,entsprechender Liquidität und entsprechendem Angebot IhresUnternehmens leisten kann. Je höher der Lebensertragswert,desto wichtiger ist der Kunde für das Unternehmen und sollteeinen entsprechenden Service Level erhalten. Mit der Dauerder Kundenbeziehung steigt auch der Ertragswert des Kundenund daher sind möglichst viele Kontaktpunkte mit IhremUnternehmen von großer Bedeutung.

Neben den zu erreichenden Ertrags- und Lebensertragswertendes Kunden ist ein weiterer wichtiger Faktor die Profitabilität.Nicht jeder Kunde ist profitabel und rentabel. Um die Profita-bilität, die Rentabilität und das Potenzial eines Kunden besserbewerten zu können, ist aktuell CRM – Customer RelationshipManagement – von essenzieller Bedeutung. Zukünftig wirdsich dieser Begriff mehr in Richtung CSM – Customer SuccessManagement – entwickeln.

Falls Ihr Unternehmen lediglich auf analogen Vertrieb setzt,nehmen Sie sich die Chance, die digitalen Kontaktpunkte mitihren Kunden für den Vertrieb zu nutzen. Selbst wenn derKunde sich lediglich online über Ihre Produkte informierenmöchte, sollten Sie ihm diese Möglichkeit bieten. Die Gefahr,dass ein anderer Anbieter diese Lücke in Ihrer Vertriebss-trategie nutzt, ist nicht zu unterschätzen. Lebensertragswertesind auch auf Kundengruppen anwendbar. Dazu müssen dieKundengruppen ermittelt und in Cluster eingeteilt werden.Aus diesen Clustern lassen sich durch Erfahrungswerte diejeweiligen Lebensertragswerte errechnen und entsprechendeStrategien zur Kundenansprache und Kundenbindung entwi-ckeln. Online sowie offline ist ein Benchmark die Frequenz,mit der Ihr Kunde mit Ihrem Unternehmen in Kontakt tritt.In klassischen Vertrieben wird dies durch Besuchsfrequenzengesteuert, doch diese Form der Kundenpenetration trägt nurselten zu steigenden Lebensertragswerten bei. Der Grund dafürist, dass die Besuchsfrequenz vom Unternehmen und nicht

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vom Kunden vorgegeben wird. Viele Verkäufer wissen, dasssie ihr Kunde nicht jeden Monat sehen will und trotzdemversuchen sie den Vorgaben des Vertriebsmanagements gerechtzu werden. Die Auswirkung liest man in Besuchsberichten,in denen allerlei verkäuferische Prosa steht, die aber kaumeinen Mehrwert für das Unternehmen, geschweige denn denKunden hat. Der Glaube, mit der Besuchsfrequenz erhöht sichauch die Kundenzufriedenheit, ist im analogen Vertrieb eingefährlicher Irrtum.

Im digitalen Vertrieb gelten andere Regeln. Hier bestimmt derKunde selbst, mit welcher Frequenz er mit dem Unternehmenin Kontakt treten will. Damit erhöhen sich auch die Qualität derKundenbindung und auch der Lebensertragswert. Dies jedochnur, wenn die wichtigen Parameter wie gute Benutzerführung,transparente und leicht zugängliche Produktinformationen,die Möglichkeit per Rechnung zu bezahlen oder leicht auf-findbare Kontaktinformationen und Selfservice-Applikationenvorhanden sind. Wenn ergänzend noch kluge, onlinebasierteIncentive-Lösungen zum Einsatz kommen, die den Kundenfür sein Verhalten und seine Transaktionen belohnen (LoyalityManagement), kommt das dem Optimum schon sehr nahe.

Auch die Kundenzufriedenheit kann an der Frequenz derdigitalen Kontaktpunkte gemessen werden, da ein unzufriedenerKunde kaum eine steigende Frequenz in einem Onlineshop odereine Website des Unternehmens haben wird. Durch die Daten-analyse kann der Gesamtbedarf des Kunden errechnet werdenund dies bietet die Möglichkeit, den Umsatz des Kunden zuerhöhen. Mittels einer Potential-Scorecard können Absatzpoten-tiale untermauert werden, sodass der Kunden im Lebenszyklusoptimal bedient werden kann. Eine weitere Stärke des digi-talen Vertriebs ist nicht nur, dass mit jeder Transaktion derKundenbedarf klarer wird und das Unternehmen den Kundenbesser kennenlernt, sondern die Tatsache, dass die Qualität derKommunikation mit dem Kunden steigt. Je gezielter die Anspra-che ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kundezum Wiederkäufer wird. Gleichzeitig verringern Sie die

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Kundenfluktuation und minimieren dadurch den Vertriebsauf-wand. Steigende Kundenloyalität lässt sich sehr gut messen undführt in der Konsequenz dazu, dass der Lieferant mit dem Kun-den gemeinsam am Kundennutzen arbeitet, auch wenn dieseTatsache dem Kunden nicht bewusst ist. Mit jeder Transaktionerhöht sich das Wissen um den Kunden und damit auch dieOptionen, dem Kunden zur richtigen Zeit das richtige Produktanzubieten. Die Stärke dieses Vorgehens, welches nur in derdigitalen Vertriebswelt möglich ist, liegt auf der Hand. Genaugenommen entwickelt der Kunde seine Produkte entlang seinerBedürfnisstrukturen selbst und erhöht somit den CustomerValue. Dies kann durchaus als klassische Win-win-Situation ver-standen werden, da Kunde und Unternehmen davon profitieren.Im Idealfall erhält der Kunde keine Standardangebote, sondernsie sind exakt auf seine Bedürfnisse zugeschnitten. Damit pro-filieren sich Unternehmen abseits der Durchschnittsleistungenvieler Wettbewerber. Discovery-Programme können Kunden-gruppen zu exzellenten Produktentwicklern machen, da sieihren Bedarf idealerweise kontinuierlich an das Unternehmenweiterleiten.

Das gesamte Bewertungsgerüst für die Ermittlung von Kun-denklassifizierungen und Lebensertragswerten wird in Zukunftdurch Smart-Data-Auswertungen noch effizienter werden.Alle Unternehmen, die sich mit digitalen Vertriebskanälenbeschäftigen, setzen hierzu einen digitalisierten Prozess auf.

Es gibt noch einen weiteren Wert des Kunden, der mindestensgenauso wichtig wie der digitale Lebensertragswert ist: dieVernetzungsdichte des Kunden in der Gesellschaft, genauergesagt sein soziales und berufliches Umfeld und seine Glaub-würdigkeit als Opinion-Leader. Am Beispiel eines E-Commerce-Konzerns sehen wir, welchen digitalen Mehrwert der Kundedem Unternehmen zum Lebensertragswert bringt. Er nimmtdort unterschiedliche Rollen ein, die dem Unternehmen zu Gutekommen. Er ist…

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Meinungsmacher und Produkttester

Als Meinungsmacher schreibt er für das Unternehmen Bewer-tungen von Produkten und Dienstleistungen, die anderen Usernzur Verfügung stehen. Bereits heute erstellt er Unboxing-Videosund Produktfotos, welche die Vorteile, den Kundennutzen undAnwendungsbeispiele in der täglichen Praxis zeigen. DieseInformationen werden auf der Homepage des Unternehmensausgespielt. Diesen User Generated Content publiziert derKunde aber auch in sozialen Medien, Blogs und auf anderenBewertungsplattformen.

So werden pro Tag Tausende Produkte und Dienstleistungenpositiv oder negativ bewertet. Eine positive Empfehlung sorgtfür einen um ca. 35% höheren oder wahrscheinlicheren zusätz-lichen Umsatz für das Unternehmen. Eine negative Bewertungbewahrt andere Kunden vor etwaigen negativen Erfahrungenmit schlechten Produkten oder Dienstleistungen und steigert soindirekt wieder die Kundenzufriedenheit. Richtig umgesetzt hatdieser user driven content zudem positive Auswirkungen aufdas SEO-Ranking des Unternehmens.

Gleichzeitig ist der Kunde ein wertvoller Meinungsmacherin seinem sozialen Umfeld. Freunde, Kontakte aus sozialenMedien und »Follower« sind für uns heute schon vertrauens-würdiger, als Versprechungen der Werbung und der Beratungvon unbekannten Verkäufern. In der digitalen Welt ist der»Point-of-Sale« (POS) und der »Point-of-Tell« (POT) einwichtiger Erfolgsparameter für den Erfolg. Im analogen Verkaufwurde der Multiplikationsfaktor eines zufriedenen Kundennoch mit 10-20 Multiplikationen gerechnet, das heißt, wenn ermit dem Kauferlebnis und dem Produkt zufrieden war, hat erdieser Anzahl von potenziellen Neukunden von seinem posi-tiven Kauferlebnis berichtet. Da Menschen eher über negativeErlebnisse berichten, wundert es nicht, dass der unzufriedeneKunde zwischen 30-50 potenziellen Kunden von seiner Unzu-friedenheit erzählte. In der digitalen Welt werden diese Wertedeutlich übertroffen. Wer schon einmal einen Shitstorm im

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Netz erlebt hat, weiß wie katastrophal sich dieses Ereignis aufdie Absatzzahlen und das Image eines Unternehmens auswirkt.Soziale Medien, Blogs und andere Bewertungsseiten, die zumBeispiel Unternehmen aus Sicht der Mitarbeiter beurteilen, sindheute zu wichtigen Marketinginstrumenten geworden.

Stellen Sie sich vor, Sie haben Probleme mit Ihrem Smartphone.Sie kontaktieren den telefonischen Service des Herstellers.Dort fühlen Sie sich schlecht behandelt und verbreiteten IhrenFrust und das Problem auf Facebook, Twitter, LinkedIn undweiteren Bewertungsplattformen. Gleichzeitig unternehmenSie weitere Kontaktversuche zum Hersteller, um das Problemzu lösen, Sie sind minutenlang in Warteschleifen und legenirgendwann genervt auf. Den negativen Eindruck Ihres Erlebensmit dem sogenannten Kundenservice nehmen Sie als Beweisund untermauern damit Ihre Posts. Sie erhalten plötzlich hoheZustimmung von anderen Nutzern, die ähnliche Erfahrungengemacht hatten oder einfach nur Ihre Beharrlichkeit bemer-kenswert finden. Das Ergebnis ist, dass die Multiplikation dernegativen Erfahrungen am Ende ca. mehr als 100 000 Personen –im schlimmsten Falle für den Anbieter sogar mehrere 100 000Personen – auf unterschiedlichen Plattformen gelesen, kom-mentiert und weiterverbreitet haben. So geschehen mit demSmartphone-Hersteller, den wir an dieser Stelle nicht benennendürfen, der sich aber ausgerechnet hat, dass ihn dieser eineServicefall mindestens eine halbe Million Dollar an Umsatzgekostet hat. Neben dem finanziellen Verlust sinken zudem dieKPIs für die Kundenzufriedenheit, beispielsweise der Net Pro-moter Score, der nicht selten in Unternehmen als ein Zielwertfür Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlung herangezo-gen wird. Meist sind solche KPIs in den Zielvereinbarungenals Grundlage für die Bonifizierung der Geschäftsführungverankert. Sie sehen: Ein unzufiedener Kunde kann viel Geldkosten – in jeder Hinsicht.

Der Kunde im Netz bietet also nicht nur viele Möglichkeiten denUmsatz zu erweitern, er stellt auch ein hohes Risiko dar, wenn

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er negative Erfahrungen mit Ihrem After Sales Service macht.Daher ist der After Sales Service in einer digitalen Vertriebsstra-tegie ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Der Kunde als Berater

Doch nicht nur als Meinungsmacher oder Produkttester istder Kunde eines Unternehmens ein hohes wirtschaftlichesGut. Auch als Berater wird er immer wieder gerne genutzt.Intelligente E-Commerce-Plattformen nutzen ihre Kundenfür das Cross-Selling. So werden Kunden regelmäßig gebetenüber das von ihnen erworbene Produkt Fragen potenziellerKäufer oder Interessenten zu beantworten. Dies ist der Eintrittin ein unentgeltliches Beschäftigungsverhältnis mit dem Unter-nehmen, welches den Käufer als Berater beschäftigt und ihmdadurch natürlich auch Vorteile verschafft. Ein Algorithmusakquiriert die Gratis-Mitarbeiter kostengünstig als Verkaufs-berater für das Unternehmen, in dem er sein Kaufverhaltenund seine Bereitschaft seine Meinung zu posten überprüft.Wenn der Kunde die Fragen dann beantwortet hat, wird er vonUnternehmen und anderen Usern für seine Leistungen gelobtund erhält Wertschätzung, indem er im Ranking für kostenloseArbeitskräfte steigt. Am Anfang erhält er noch Bewertungen,die Schulnoten ähneln und freut sich über das »Sternchen imHausaufgabenheft«. Je mehr Bewertungen er schreibt und je bes-ser diese von anderen Kunden bewertet werden, desto elitärereKreise erschließen sich der Gratis-Belegschaft. Am Ende stehteine Mitgliedschaft im exklusiven Programm für Produkttester.Dort winken dann Gratisprodukte, die das Unternehmen denKunden zur Bewertung zur Verfügung stellt. Allerdings mussdafür auch ein entsprechender Bewertungsumfang erfolgen. Sowundert es nicht, dass potentielle Kunden sich zuerst bei dengroßen Onlineshops informieren und meist gar nicht mehr inden stationären Einzelhandel gehen. Sollten sie dies doch tun,sind sie meist extrem gut vorbereitet und wissen oft mehr als diedort arbeitenden Verkaufsmitarbeiter.

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Der Kunde als Produktentwickler, Filmkritiker undMusikredakteur

Seit der Erweiterung des Produktportfolios um Video- undMusikclouds – meist sogar mit entsprechendem Gratis-Angebot – nehmen die Job Descriptions dieser unentgeltlichenKundenbeschäftigungen immens zu: Vom Filmkritiker bis hinzum Musikredakteur und Musikkritiker werden die Kundenumfassend eingespannt. Sie schreiben Kritiken zu den aktuellenKinofilmen, bewerten die Lieblingsmusik und erstellen gleichganze Playlists für andere Kunden. Auch dafür gibt es wiederBewertungen von anderen Nutzern und zeigt die Qualität derArbeit des Einzelnen.

All diese Tätigkeiten würden immense Summen an Gehältnernverschlingen und wären mit angestellten Mitarbeitern, die eineVergütung für ihre Leistungen erhalten würden, wahrscheinlichgar nicht realisierbar. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Unterneh-men anGlaubwürdigkeit gewinnt, da es reale Kunden sind, derenMeinung nicht von Werbe- oder Marketingagenturen gestaltetwurden. Zumindest geht der Konsument davon aus. Zur Glaub-würdigkeit kommendannnochderGratis gelieferteContent unddie gesteigerte Kundenzufriedenheit.

Die Plattformen und damit die User sind nicht nur für das B2C-Geschäft wichtig. Sie sind nicht nur Käufer, sondern könnenauch zum Beeinflusser / Influencer einer Kaufentscheidung umB2B sein. Wenn ein Hersteller durch negative Produkttests undschlechten Service auffällt, droht ihm die Auslistung aus demE-Shop. Während früher eine solche Entscheidung wahrschein-lich Wochen oder Monate gedauert hätte, zeigt sich aufgrundder unzähligen unentgeltlich angestellten Kunden ein funktio-nierendes oder nicht funktionierendes Produkt innerhalb vonTagen oder wenigen Wochen. Um die eigene Zielgruppe nur mitguten Produkten zu beliefern und damit die Kundenzufrieden-heit zu erhalten, haben erfolgreiche E-Commerce-Plattformenstrenge Auflagen, wenn es um Produkte oder Lieferanten geht.Lange Umtauschrechte, unkomplizierte Produktrückgaben,

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Im Relevant Set des Kunden verankern 79

einfache Reparaturprozesse helfen, die Kundenzufriedenheithochzuhalten. Regresspflichtig werden anschließend Herstellerund Lieferanten gemacht.

Da wundert es nicht, dass auch immer mehr Hersteller/Anbieterversuchen, direkt auf die unentgeltlichen Kundenarbeitskräfteder großen Onlineshops zuzugehen. Sie entdecken immermehr, dass es äußerst intelligent ist, die eigenen, in großenOnlineshops angebotenen Produkte von eigenen Vertriebsmit-arbeitern oder dem eigenen Kundenservice bearbeiten zu lassenund Kundenfragen oder auch Reklamationen direkt auf derSeite des Onlineshops zu beantworten. Die Intention ist einfach:jeden Kontakt mit dem potenziellen Kunden nutzen, denn jederKontaktpunkt, jede Empfehlung, ja jedes positive Wort über einProdukt oder eine Marke ist meist bares Geld wert.

Im Relevant Set des Kunden verankern

Wie erwähnt, werden sich die Bedürfnisstrukturen der Kun-den auch in Zukunft nicht viel verändern. Aber sie werdenkomplexer und entstehen schneller, werden vielschichtiger unddamit schwerer zu definieren. Durch sich rapide veränderndeMarktgegebenheiten sind die Kundenbedürfnisse der Zukunftoft nicht mehr so klar definiert und werden dann in »realtime«befriedigt. Meist entwickeln sich die Bedarfe auch erst in derKommunikation mit dem potentiellen Kunden. Durch eine kon-tinuierlich wachsende Informationsübersättigung kombiniertmit stetig steigendem Vertriebsdruck weichen potentielle Kun-den Akquiseversuchen immer häufiger aus. Aus diesem Grundwird der zukünftige Verkaufserfolg immer mehr in Abhängigkeitvon engen, etablierten und von Vertrauen gekennzeichnetenKundenbeziehungen möglich sein. So wird das heute nochvielfach propagierte Mittel der Kaltakquisition in einigen Jahrensowohl im B2B- als auch im B2C-Umfeld vermutlich überhauptnicht mehr funktionieren. Analog wie Digital wird die Zeitzur relevanten Währung in der Interaktion mit dem Kunden.

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Convenience bedeutet nicht nur, bequem und ohne großenAufwand in der Informationsbeschaffung einzukaufen, sondernauch sehr gezielt die Produkte angeboten zu bekommen, diezum momentanen Bedarf passen. Konsumenten wie Einkäuferreagieren immer ablehnender auf schlecht gesteuerte Up- oderCross-Selling-Aktivitäten.

Der Durchschnittskunde wird mit hunderten von Marken undderen Botschaften täglich konfrontiert. Im Durchschnitt erlebter mehrere 1000 Kommunikationsakte täglich. Dies führt dazu,dass Werbung immer mehr als störend empfunden wird. Immermehr Menschen blockieren diese online und offline.

Einen Beitrag zum Erfolg des Kunden leisten heißt in Zukunftnicht nur, den Nutzen der eigenen Produkte und Dienstleistun-gen in die Welt des Kunden zu transferieren. Vielmehr müssendie eigenen Produkte und Dienstleistungen einen messbarenBeitrag bzw. Mehrwert im Rahmen der Wertschöpfung des Kun-den on Demand leisten. Dabei spielt aufgrund der vorstehendbeschriebenen schnelleren Bedürfnisbefriedigung der Bereichvon Online Relevant Sets (ORS) eine wichtige Rolle.

Ein »Relevant Set« ist ein gelerntes, meist unbewusst verankertesAuswahlschema, welchem wir uns immer dann bedienen, wennwirKaufentscheidungen treffenwollen. Für die unterschiedlichs-ten Bereiche haben wir so in unserer täglichen Routine Bedarfs-deckungsprozesse definiert, die uns langes Suchen nach passen-den Anbietern ersparen.

Ein Beispiel: Wenn Sie heute ein saftiges Steak oder einenKosmetikartikel im Einzelhandel kaufen, recherchieren Sienicht erst in irgendwelchen Wochenblättern, Tageszeitun-gen oder dem Internet nach passenden Anbietern. Sie habensowohl für den Bereich Nahrungsmittel als auch Kosmetikein vordefiniertes Anbieter-Ranking im Kopf. Als Erstes fälltIhnen hierzu vielleicht die Metzgerei ihres Vertrauens ein,wenn die geschlossen hätte oder Steaks ausverkauft wären,käme an Position zwei vielleicht noch eine andere Metzgerei.

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Im Relevant Set des Kunden verankern 81

An Position drei steht beispielsweise die Fleischtheke eines ent-sprechenden Supermarktes. Genauso läuft es auch im BereichKosmetik: Die erste Anlaufstelle wäre vielleicht eine lokaleParfümerie, die zweite eine Parfümeriekette und die dritte einDrogeriemarkt. Sie sehen also, die Charts bzw. Hitlisten für dieindividuelle Bedarfsdeckung sind längst geschrieben.

Wichtig dabei ist, dass der Lieferant, der auf Platz eins ihresindividuellen Relevant Sets steht, automatisch immer derjenigeist, der am meisten an ihnen verdient. Er ist »Top of Mind«und hat diesen Platz nur, weil er in der Vergangenheit ihre Be-dürfnisse am besten erfüllt hat. Sei es aus Gründen der Qualitätoder des Preises, der Bequemlichkeit oder einer Kombinationvon verschiedenen Faktoren. Platz zwei wird nur ab und zuvon ihnen besucht, nämlich dann, wenn Platz eins nicht liefert.Je weiter wir im Relevant Set nach unten gehen, desto geringerist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sie bei den dort stehendenLieferanten kaufen. Wichtig dabei ist, dass ein Lieferant imindividuellen, persönlichen Relevant Set eines Kunden nurdann im Ranking nach oben klettern kann, wenn der Kundemit dem aktuellen Lieferanten, der sich weiter oben im Rankingbefindet, unzufrieden wird. In Zukunft werden die Kunden mitsehr großer Wahrscheinlichkeit auch weiterhin in Relevant Setsdenken und handeln – allerdings in digitalen!

Die Zeit zwischen Bedarf, Kaufentscheidung und daraus folgen-der Bedarfsdeckung wird sich enorm verkürzen. Die Kundener-wartung wird immer mehr zu Bedarfsdeckung in Echtzeittendieren. Das bedeutet auf der Lieferantenseite, dass Produkteund Dienstleistungen on demand verfügbar sein und schnellgefunden werden müssen. Online Relevant Sets müssen mehrereMarktbereiche (zum Beispiel Elektronik, Haushalt, Unterhal-tung und Medien etc.) abdecken und damit analoge RelevantSets noch schneller überflüssig machen. Daher ist es wichtig,sich als Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen mit denOnline Relevant Sets rechtzeitig auseinanderzusetzen.

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ORS lassen sich in zwei Bereiche aufgliedern:

1. ORS-Portale, die zur Suche von passenden Lösungen imBedarfsfall dienen;

2. ORS, die tatsächliche Lieferantenportale darstellen und aufdenen der vorherrschende Bedarf zudem noch direkt befrie-digt werden kann.

Wichtig ist, dass Unternehmen geeignete digitale Strategien defi-nieren, um in beiden ORS-Feldern aktiv zu sein und sichtbar zuwerden, sollte ein potenzieller Kunde Bedarf an ihren Produktenund Dienstleistungen haben. Dies setzt voraus, dass Alleinstel-lungsmerkmale, Produktvorteile und sämtliche Produktdatenentsprechend digital verfügbar sind und den ORS-bildendenSystemen zeitnah zugeführt werden können. Der Algorithmuskennt dann Angebot und Nachfrage. Doch wer entscheidet überden Algorithmus?

Das beste Beispiel dafür liefert die größte und erfolgreichsteSuchmaschine der Welt. Noch zu Beginn des Marktes für SearchEngine Optimizing war es möglich, Produkte und Lösungenaußerhalb der Google-Welt zu vermarkten. Anbieter vonOnline-Tracking-Lösungen konnten sich an teilweise noch weitgefassten Schnittstellen (APIs) mit dem Google-Algorithmusaustauschen. Je größer das Unternehmen wurde, desto engerund limitierter wurden die API-Schnittstellen. Heute mussein enormer Zertifizierungsaufwand betrieben werden, umüberhaupt noch Zugang zur API-Welt von Google oder anderenKonzernen zu erhalten. Die dadurch sukzessive entstehendeMonopolisierung schützt Google vor unliebsamen Wettbe-werbern. Ein klassischer Verdrängungsmarkt findet bei dendigitalen Marktführern wie Google, Facebook, Amazon, Alibabaetc. kaum noch statt. Wer im Online-Vertrieb erfolgreich seinwill, kommt an den großen Plattformen nicht mehr vorbei.

Ein Touchpoint ergibt noch keine Customer Journey

Ein Touchpoint ist ein Kontaktpunkt, den der Kunde mit ihremUnternehmen, ihren Marken oder ihren Produkten hat, bis

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Ein Touchpoint ergibt noch keine Customer Journey 83

er das von Ihnen definierte Ziel (zum Beispiel Kaufabschluss,Newsletter-Anmeldung, Anfrage eines Angebotes etc.) imbesten Falle erreicht. Diese Kontaktpunkte können sowohlinnerhalb des Unternehmens (zum Beispiel Stores, Onlineshopsetc.) oder auch außerhalb des Unternehmens (zum BeispielEmpfehlungen, Events, TV-Spots, Radio Spots etc.) stattfin-den. Reiht man diese Kontaktpunkte aneinander, entsteht diesogenannte Customer Journey, also die Reise des potentiellenKunden vom ersten Interesse bzw. dem ersten Kontakt hinzum gewünschten Ziel. Betrachtet man die Customer Journeysvon vor 20 Jahren mit denen von heute, stellt sich heraus, dassdiese zu 90 % identischen Charakter haben. Allerdings sind dieCustomer Journeys von heute deutlich komplexer geworden. Esgibt viel mehr Touchpoints, insbesondere in der digitalen Welt.

Hier hat Sales 4.0 die klare Aufgabe, einen Mehrwert (engl.Added Value) innerhalb der Customer Journey zu schaffen, umso den vorstehenden Customer Life-Cycle stabil zu halten. Dabeigilt der Leitsatz: »Es ist heute nicht so wichtig ein Produkt zuhaben, vielmehr ist es wichtig über eine geeignete Zielgruppezu verfügen und deren Bedürfnisse bestmöglich zu kennenund mit ihr kommunizieren zu können.« Die Marke verliert anBedeutung.

In der Abbildung 1.4 hatte ein Endkonsument beispielsweiseseinen ersten Kontakt mit einem Produkt, einer Marke odereiner Dienstleistung über den Bereich Social Media gemacht.Anschließend hatte er sich offensichtlich mit jemandem überdie Thematik unterhalten (zum Beispiel mit einer oder meh-reren Personen aus seinem sozialen Umfeld) und vielleichteine entsprechende Empfehlung bekommen. Dann hatte erbeim Lesen eines Magazins oder einer Zeitung erneut einenBerührungspunkt mit einer dort geschalteten Print-Anzeige.Sein Interesse am Produkt, der Marke oder der Dienstleistungist gestiegen, denn er hatte sich aufgrund seiner gesteiger-ten Interessenlage auf der Homepage des Anbieters für einenNewsletter angemeldet. Per Mobile-Advertising gab es auf einemmobilen Endgerät einen weiteren Berührungspunkt. Dann hörteer – vielleicht im Auto – einen Radio-Spot des Anbieters und

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hatte erneut einen Kontakt mit dem Produkt, der Marke oderder Dienstleistung. Dazwischen können weitere Touchpointsgelegen haben, die dem Unternehmen gegebenenfalls noch garnicht bekannt waren.

ÜberWerbeanzeigen auf Suchmaschinenmittels Search-Engine-Advertising (SEA) und gezieltem Search Engine Optimizing(SEO), also dem strategischen Optimieren von Homepages zurbesseren Auffindbarkeit auf Suchmaschinen wurde der poten-zielle Kunde weiter angetriggert. Bei einem Besuch in einemStore (PoS), der das Produkt oder die Dienstleistung führt, hatteer sich gegebenenfalls vor Ort informiert oder beraten lassenund war so der Kaufentscheidung wieder mehrere Schrittenähergekommen. Über einen weiteren SEA-Kontakt hatteder potenzielle Käufer offensichtlich den ausschlaggebendenKaufimpuls erhalten und letztendlich im Online-Shop desHerstellers oder eines Händlers gekauft.

Wichtig ist es nun, als Unternehmen zu verstehen, welcheTouchpoints der vorangegangenen Customer Journey den Kaufin welcher Weise beeinflusst oder gar erst ermöglicht haben.In digitalen Märkten erfolgreiche Unternehmen tracken schonheute die meisten Touchpoints im Zuge ihrer Online-Marketing-Strategie. Die so gewonnenen Customer-Journey-Daten wer-den analysiert, ausgewertet und zur besseren Aussteuerungvon Marketingkampagnen, aber auch zur Bestimmung derrelevanten Kommunikations- und Absatzwege verwendet. ImIdealfall geschieht dies durch digitale Attributionsmodelle,die dynamisch eine Zuweisung von Ursache und Wirkungauf ein Ergebnis (beispielsweise Kauf) leisten. Die so ge-wonnenen Erkenntnisse helfen, die künftigen CustomerJourneys durch gezieltes Aussteuern und gezielte Investiti-tonen in Touchpoints zu optimieren. Schon heute bestehtdie Möglichkeit, Online-Werbung auf individuelle User oderUser-Gruppen gezielt und bei Bedarf individualisiert auszulie-fern. Targeting-Strategien (zielgerichtetes Ansprechen neuer,

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potenzieller Kunden) und Retargeting-Strategien (zielgerichte-tes Ansprechen bereits bekannter Interessenten oder Kunden)werden so Dank Smart-Data-Analysen möglich. Somit könnenneue Zielgruppen erschlossen und Neukunden erreicht werden.Welche Merkmale soll der relevante User erfüllen? Sollen nurUser erreicht werden, die ein bestimmtes Surf-Verhalten imWorld Wide Web an den Tag zu legen? Basierend auf diesenEinstellungen wird dem relevanten potenziellen Kunden einexakt zu seinem Suchverhalten passendes Produkt oder eineentsprechende Dienstleistung angezeigt. Dynamische Werbe-mittel erlauben eine noch individuellere Ansprache. Es werdenihm beispielsweise Produkte einer bestimmten Marke angezeigt,weil er sich in der Vergangenheit bereits für diese Marke inter-essiert hat. Auch die Einblendung von Cross-Selling-Produktenist möglich. Beispielsweise die Suche nach einem Anzug imSegment Abendgarderobe zeigt auch das passende Hemd, diepassenden Schuhe oder die Blumen für die Begleitung etc.

In Zukunft werden weiterentwickelte Tracking-Möglichkeitendie Customer Journeys und die dort gewonnenen Konsu-mentendaten noch transparenter machen. Vielleicht hat derAlgorithmus dann bereits Informationen über gewünsch-te Schnitte, Farben, Stoffe, aber auch Allergien usw. parat.Insbesondere die Vermengung von bestehenden Daten mitzugekauften oder anderweitig gewonnenen vervollständigen dasBild des »gläsernen Kunden«. Die immer komplexer werdendeCustomer Journey hat aktuell noch erhebliche Auswirkungenauf den Planungsaufwand durch das Online-Marketing. Je mehrKontaktpunkte eine Customer Journey umfasst, desto intensiverder Planungsprozess. In Zukunft werden auch hier vermehrtAllgorithmen, künstliche Intelligenzen und digitale Prozesse dieOptimierung der Customer-Journey-Analyse und diemöglichenOptimierungen durch digitale, automatisierte Attributions-,Steuerungs- und Buchungsverfahren übernehmen.

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Algorithmus versus Relationship Management

Unterschiedliche Studien belegen, dass aktuell nicht nur imB2C-Vertrieb Kaufentscheidungen online vorbereitet werden.Auch im B2B-Bereich nutzen immer mehr Einkäufer dasNetz, um vor dem Kauf relevante Informationen zum Pro-dukt oder dem Anbieter zu sichten. Mehr als die Hälfte derKaufentscheidungsprozesse im Industrieeinkauf werden ohneKontakt zu einem Verkäufer des Lieferanten durchgeführt.Umso erstaunlicher ist es, dass immer noch nicht alle Anbieterihr Angebot online vermarkten. Durch das Fehlen eines digi-talen Vertriebskanals entstehen enorme Wettbewerbsnachteile.Dies eröffnet neuen, digitalen Anbietern die Möglichkeit, dieKundenbeziehung zu übernehmen. Denn es ist nicht nur derAuftrag, der verloren geht, wenn kein digitaler Vertriebskanalvorhanden ist. Was verloren geht, ist die Kundenbeziehung.Berechnet man den Lebensumsatzwert (Customer Value) einesKunden, kann man sehr schnell feststellen, wie hoch der Verlusttatsächlich ist. Im Vergleich zu den Produktionsprozessen oderzu Märkten, wo sich die Digitalisierung schon deutlicher durch-gesetzt hat, steckt der B2B-Vertrieb noch in den Kinderschuhen.Deep-Customer-Discovery-Programme werden in Zukunftherausfiltern, welche Produkte und Dienstleistungen des Her-stellers oder Lieferanten, die größten Schnittmengen mit demBedarf des Kunden bilden. Auf Grund von Erfahrungswertenin der Kunden-Lieferantenbeziehung werden Algorithmenneue Produkte und Produktvariationen entwickeln, die demBedarf des Kunden präzise angepasst werden. Somit wird derKunde – wenngleich unfreiwillig – zum Vorteil beider Parteienzum Produktentwickler. Entscheidend für den Erfolg ist dasVerständnis für die Wertschöpfungskette des Kunden. Um diesezu verstehen, muss nicht nur der Markt des Kunden verstandenwerden, sondern es müssen im B2B-Kontext auch die Kundendes Kunden analysiert werden. Eine Win-win-Situation entstehtdann, wenn der Lieferant den Vertriebserfolg des Kunden stei-gern kann, indem er ihm die richtigen Produkte zur richtigen

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Zeit, am besten noch mit den nutzenorientierten Argumentenfür den Verkauf, liefert. In Zukunft sind Kundenkenntnissein Form von Daten der entscheidende Vermögenswert einesUnternehmens und damit eine Form von virtueller Währung,nach der ein Unternehmen bewertet wird. Was früher in denKöpfen der Account Manager abgebildet war, wird in Zukunft inDatenpools und Algorithmen abgespeichert sein. Unternehmen,die heute nicht massiv in Kundenkenntnisse investieren, werdenbei der Entscheidung über einen Lieferanten das Nachsehenhaben. Daten und Informationen über Kunden werden zum ent-scheidenden Wettbewerbsvorteil. Der Besitz und die intelligenteNutzung der Kundenkenntnis wird eines der erfolgskritischenMomente im Lebenszyklus eines Unternehmens. Wir sind derMeinung, dass die digitalen Beziehungsstrategien ein Kernstückjeder gesamtheitlichen Vertriebsstrategie werden sollten. Dieseswird weit über das schon bekannte Customer Relation Mana-gement hinausgehen. Auch heute schon werden Unternehmendanach bewertet, wie groß ihr Datenpool ist und wie profes-sionell sie mit diesen Kundendaten umgehen. Wir finden dieseKennzahlen nicht in Bilanzen oder BWA’s, durchaus aber in denRatings professioneller Investoren.

Ein weiteres Ziel der Digitalisierung des Vertriebs ist es, dasgesamte Unternehmen auf die Kunden auszurichten. Die Kun-denbindungsfähigkeit eines Unternehmens hat sinkendeVertriebskosten zur Folge und trägt damit zur direktenWertschöpfung bei. Kundenbindung hat in erster Linie mitKundenzufriedenheit und mit der Dialogfähigkeit des Unter-nehmens mit dem Kunden zu tun. Letztere wird sich immermehr digitalisieren, denn es ist nicht notwendig, jedes Gesprächzwischen Hersteller oder Lieferanten und dem Kundenpersönlich zu führen.

Auch die Akquisition von Neukunden, die ähnliche Bedarfss-trukturen haben, wird durch die intelligente Nutzung von Dateneinfacher. Schon heute werden Online-Käufe auf soziodemogra-fische, interessensspezifische und weitere Faktoren mit dem Zielanalysiert, Datensätze zu finden, die über eine hohe Deckung

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verfügen. Damit wird nicht nur Up- oder Cross-Selling betrie-ben, sondern auch die Neukundenakquisition aktiviert. Nehmenwir als praktisches Beispiel den Käufer eines Tesla-Automobils.Der Datensatz wird mehrere Informationen beinhalten, wie zumBeispiel Alter, Einkommen, Bildung, Familienstand, Anzahl derPersonen im Haushalt, Herkunft, Sprache, Wohnort, Mailadres-se und noch einiges mehr. Bis hierher ist dieser Datensatz nocheher unspektakulär. Wenn dieser Käufer auch online in einemanderen Unternehmen Kunde ist, wird es interessanter. WelchenHobbys geht er nach? Welche Nahrungsmittel kauft er ein? Wieist sein Freizeitverhalten? Die meisten dieser Fragen sind leichtzu beantworten. Suchen wir weiter in den sozialen Medien,lernen wir auch sein psychologisches Profil kennen. Mit welcherPeergroup kommuniziert er über welche Themen? Ist er ökolo-gisch motiviert, oder ist der Tesla eher ein Statement über dieInnovationsfreudigkeit unseres Datensatzes? Würden wir hiernoch weitere Fragen stellen, die mittels Datensätzen beantwortetwerden können, würden wir die nächsten zwanzig Seiten damitfüllen. Nehmen wir nun an, wir finden einen Datensatz, der mitdiesem nahezu identisch ist, würden wir aus diesem einen Leadfür einen potenziellen Tesla-Kunden generieren. Dieser würdeauf unterschiedlichen Plattformen immer wieder Informationenzum Unternehmen bekommen. Wahrscheinlich würde er auchüberproportional oft mit Nachrichten konfrontiert werden, diedas Thema Luftverschmutzung und die Emissionen als Ursachefür Krankheiten haben, und er würde auch Testberichte überElektrofahrzeuge etc. erhalten. Immer wieder würde der Algo-rithmus prüfen, ob der Lead diese Informationen konsumiert,wie lange er welchen Artikel liest und welche Site er, nachdemer den Artikel gelesen hat, besucht. Sollte dies beispielsweisedie Tesla-Website sein und unser Lead vielleicht auch noch dasHändlerverzeichnis angeklickt haben, dann wird aus dem Leadeine Opportunity, eine Verkaufschance. Diese wird in einemCRM-System gekennzeichnet, auf seine Solvenz hin geprüftund dann bestimmte Aktivitäten auslösen, zum Beispiel dieEinladung zu einer Probefahrt. Das alles geschieht, währendunser Datensatz im Netz surft und sich informiert. Ob sich unser

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Interessent über diese Einladung freut? Wir wissen es nicht, aberdie Wahrscheinlichkeit, dass er das Angebot annehmen wird,ist relativ hoch. Unternehmen, die diese Interaktionen steuern,lassen sich auch durch Lead-Provisionen bezahlen und haben soeinen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber herkömmlichenAkquisitionsbemühungen. CPL (Cost per Lead), in diesem Falleine Probefahrt, ist mittlerweile eine gängige Währung, die vonvielen Anbietern angeboten wird.

Auch im B2B-Bereich ist der Kunde durch seine Erfahrungenals B2C-Kunde gewöhnt, dass er Informationen erhält, diezu seinem Bedarf passen. Daher wird auch im B2B-Bereichmit diesen Modellen gearbeitet, auch wenn die Daten in denmeisten Unternehmen noch nicht den dafür erforderlichenReifegrad erreicht haben. Wenn der Lieferant genügend Infor-mationen über das Geschäftsmodell des Kunden hat und er dieWertschöpfungskette gut kennt, lassen sich daraus interessanteGeschäftsmodelle entwickeln.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass wir uns daran gewöhnthaben, dass unsere Kaufentscheidungen von Algorithmen vor-bereitet werden und wir dies nicht per se als Nachteil ansehen.Der Algorithmus ersetzt sozusagen den Verkaufsberater, nicht inallen Belangen, aber bei vielen Routinekäufen.