4
Wilhehn Freiherr v. Stauffenberg T. Wilhelm Sche nk, Freiherr zu Stauffen berg, ist geborcn 1879 als Sohn des Majors Freiherrn Carl zu Stauffenberg in Augsburg. In seinem 8. Lebensjahre erkrankte er an einer schweren eitrigen Rippenfell- entzfindung, die nach Monaten durch eine Rippenresektion geheilt wurde, aber eine dauernde Schrumpfung dcr einen Lunge und eine Ver- kriimmung des Brustkorbes und der WirbelsEule hinterlieB. Dieses k6rperliche Leiden, welches ihm unter seinen Altersgenossen eine Aus- nahmestellung auferlegte, begrfindete bei dem sensitiv veranlagten Knaben eine Verinnerliehung und Vergeistigung. Friih lernte er mehrere fremde Sprachen beherrschen und seine kiinstlerischen Neigungen zu betEtigen. Von auBerordentlichem EinfluB war auf ihn sein Onkel, der bekannte, hoehgebildetc Politiker und Reichstagsabgeordnete Franz Freiherr v. Stauffenberg, auf dessen Gut er seine Ferien verbrachte. Dieser unterstiitzte sein Interesse an Biichern, indem er ihm seine reich- haltige SchloBbibliothek zur Verfiigung stellte, erweekte und schErfte seine kritische Begabung. -- Nach Vollendung der Gymnasialstudien in Augsburg und Miinchen, wandte sich Wilhelm v. Stauffenberg, der sich zum Gutsbesitzer bestimmt glaubte, dem Studium der Rechte zu, da er aber zu diesem keine innerliche Verwandtschaft fiihlte, ging er haupts~chlich seinen kiinstlerisehen Neigungen nach und vertiefte sich in das Studium der Philosophie. Immerhin wurde eine als Doktor- dissertation projektierte Untersuehung fiber die Todesstrafe so gut wie vollendet. W~hrend der letzten Semester seines juristischen Studiums wurde es ihm klar, daft er eines Berufes bediirfe, der ihm den Einsatz und die Entfaltung seiner ganzen PcrsSnlichkeit ermSgliche, und sein brennendes Interesse fiir den Menschen, seine Eigenarten und Ge- miitszust~nde fiihrten ihn zu der Medizin. Hier auf dem Gebiet der Naturwissenschaften fiihlte er sich sofort zu ttau.se. In Bonn machte Pfliige rs gewaltige PersSnlichkeit groften Eindruck auf ihn. In Mfinchen und Tiibingen wurden die klinischen Semester vollendet. So sehr ihn dabei aueh die rein wissenschaftliche Seite des Faehes und besonders der Neurologie fesset~e, so wandte sich doch seine innerliehe herzens- Z. f. d, g, Neur. u. Psych. O. LIIL :[

Wilhelm Freiherr v. Stauffenberg

Embed Size (px)

Citation preview

Wilhehn Freiherr v. Stauffenberg T.

W i l h e l m Sche n k , Freiherr zu S t a u f f e n b e r g , ist geborcn 1879 als Sohn des Majors Freiherrn Carl zu Stauffenberg in Augsburg. In seinem 8. Lebensjahre erkrankte er an einer schweren eitrigen Rippenfell- entzfindung, die nach Monaten durch eine Rippenresektion geheilt wurde, aber eine dauernde Schrumpfung dcr einen Lunge und eine Ver- kriimmung des Brustkorbes und der WirbelsEule hinterlieB. Dieses k6rperliche Leiden, welches ihm unter seinen Altersgenossen eine Aus- nahmestellung auferlegte, begrfindete bei dem sensitiv veranlagten Knaben eine Verinnerliehung und Vergeistigung. Friih lernte er mehrere fremde Sprachen beherrschen und seine kiinstlerischen Neigungen zu betEtigen. Von auBerordentlichem EinfluB war auf ihn sein Onkel, der bekannte, hoehgebildetc Politiker und Reichstagsabgeordnete Franz Freiherr v. Stauffenberg, auf dessen Gut er seine Ferien verbrachte. Dieser unterstiitzte sein Interesse an Biichern, indem er ihm seine reich- haltige SchloBbibliothek zur Verfiigung stellte, erweekte und schErfte seine kritische Begabung. - - Nach Vollendung der Gymnasialstudien in Augsburg und Miinchen, wandte sich W i l h e l m v. S t a u f f e n b e r g , der sich zum Gutsbesitzer bestimmt glaubte, dem Studium der Rechte zu, da er aber zu diesem keine innerliche Verwandtschaft fiihlte, ging er haupts~chlich seinen kiinstlerisehen Neigungen nach und vertiefte sich in das Studium der Philosophie. Immerhin wurde eine als Doktor- dissertation projektierte Untersuehung fiber die Todesstrafe so gut wie vollendet. W~hrend der letzten Semester seines juristischen Studiums wurde es ihm klar, daft er eines Berufes bediirfe, der ihm den Einsatz und die Entfaltung seiner ganzen PcrsSnlichkeit ermSgliche, und sein brennendes Interesse fiir den Menschen, seine Eigenarten und Ge- miitszust~nde fiihrten ihn zu der Medizin. Hier auf dem Gebiet der Naturwissenschaften fiihlte er sich sofort zu ttau.se. In Bonn machte P f l i ige rs gewaltige PersSnlichkeit groften Eindruck auf ihn. In Mfinchen und Tiibingen wurden die klinischen Semester vollendet. So sehr ihn dabei aueh die rein wissenschaftliche Seite des Faehes und besonders der Neurologie fesset~e, so wandte sich doch seine innerliehe herzens-

Z. f. d, g, Neur . u. Psych . O. L I I L :[

2 F. Mtlller :

warme Teilnahme yon Anfang all hauptss dem leidenden Menschen zu. Nach Absolvierung des Staatsexame~ s 1907 promovierte er mit einer Schrift fiber ,,Zwei Fiille yon Hemians ohne Motilits I m Jahre 1909 t ra t er als Assistenzarzt an der 2. IVied. Klinik ein, d e r e r bis zu seinem Lebensende angeh6rte. Wenn er sich in seiner Assistenten- t~tigkeit auch mit dem ganzen weitem Gebiet der inneren Medizin zu beschs hatte, so galten doch seine Neigungen und seine Forscher- arbeit hauptsiiehlich den Erkrankungen des Gehirns und der NerVen- krankheiten fiberhaupt. Zur weiteren Vertiefung in dieses Spezialstudium wandte er sich zuerst nach Berlin und da ihm 0 p pe nhe i m s sorgf/iltige Art der einfachen Registrierung der Beobachtungen kein vSlliges Ge- nfige bot, so ginger 1909 nach Paris. Dort hSrte e r v o r allem D 6j e ri ne , P i e r r e M a r i e und die anderen Kliniken der Salpfitribre. Die franzS- sisehe Art, die Probleme aufzufassen, war ihm sehr anregend, der K a m p f der alten Nemologie, C h a r e o t s e h e n Stils mit der neueren Lokalsations- lehre war entbrannt und wurde mit groSer Heftigkeit geffihrt. Neben dem medizinisehen Studium wurde auch Philosophic getrieben und u. a. Be rg so n gehSrt, mit dessen ,,Mati6re et m6moire" sich v. S ta u f f e n- b e r g in seinen sp~teren Arbeiten immer wieder auseinandersetzte. Reich an neuen Eindrficken kehrte er an die Miinchner Klinik zmfick, und nun galt es, sich der selbst~ndigen Forscherarbeit zu widmen. v. S t a u f f e nbe rg begann dami~, die organischen Gehirnkrankheiten, u. a. einige F/ille yon Seelenblindheit einem eiI~gehenden ana]ytischen Studium zu unterwerfen; die Verarbeitung des pathologisch-anato- mischen Befundes setzt eine grfindliche Beherrschung der Technik und der feineren Gehirnanatomie voraus, und da an der Miinchner Klinik nicht die genfigende Anleitung ffir gehirnanatomische Studien gegeben war, ging v. S t a u f f e n b e r g auf den Ra t seines Klinikchefs 1912 nach Zfirich zu v. M o n a k o w . Dort fand er, was er suehte: nicht b]ol~ den Meister der hirr~anatomischen Forschur g, sondern auch neue umws Ideen, welche ihm de shalb so sympathisch waren, well v. M o n a k ow den engen Standpunkt der alien Lokalisationslehre verlassen und auf dem Boden der Biologic und Psychologic eine neue Auffassurg der Gehirnfunktionen eirgeffihrt hatte. In Zfirich wmde der anato- mische Tell von v. S ta u f fe n be rg s Arbeit fiber die Seeler blh: dheit voll- endet, die er r ach seiner Rfickkehr als Habil i tat iorsschrift 1913 der Mfinchner Fakul ts einreichte. Diese umfangreiche Arbeit ha t die /ilteren einfachen Anschauurgen fiber das Wesen dieser eigenartigen Er- k rankurg nach allen Richturgen e, weitert und vertieft und wird grund- legend bleiben, nicht nur in an atomischer Beziehurg) son dern auch durch die Einffihrurg der psychologischen Betrachturgsweise in die Unter- suchung der Kranken. Auf demselben Boden bewegten sich auch v. S t a uf f e n b erg s weitere Forschungen fiber die aphasischen, agnosti-

Wilhelm Freiherr v. Stauffenberg T. 3

schen und apraktischen Symptome, welche kurz vor seinem Tode in dieser Zeitschrift erschienen sind und jahrelarge Studien, sowie viele Serien- reihen yon groBen Gehirnschnitten zur Grundtage hatten. In allen diesen Schriften kommt die vorurtei]sfreie, kritische und dabei doch kilnstle- rische, philosophisch durchgebildete Denkurgsart v. S t a u f f e n b e rgs zur vollen Geltung. Den SchluB von v. S t a u f f c n b e r g s hirnanato- mischen Arbeiten bilden zwei F~lle yon Erkrankm~gen des extrapyra- mydalen motorischen Systems und yon diffuser periaxialer Encepha- litis. Die pr~,chtigen Schnittserien bilden einen besonderen Schatz der reichen Sammlung, welche v. S t a u f f e n b e r g seiner Klinik hinter- ]assen hat.

In Zi~ich hat v. S t a u f f e n b e r g aber noch andere Anregungen gefunden, und zwar solche, welche in seinem Wesen besonders anklargen und die filr ihn in der Fo]gezeit mehr und mehr bestimmend werden sollten: Ihn, den scharfen Beobachter und ausgezeichneten Menschen- kenner interessierte nicht so sehr ,,der Fall" mit seinen grob nach- weisbaren Defekten, ihn interessierte leidenschaftlich der k r a n k e Me n s c h mit seinen Charakterver~nderungen und der Wandlu~g seiner emotionellen Reaktionsweise. In Zilrich sch|oB er sich an Ble u l e r an, um n~heren Einblick in die Psychiatrie und namentlich das Wesen der Schizophrenie zu gewinnen, und dann filhrte ihn sein Wunsch, dem secliseh-kranken Menschen zu h e l f e n , auf das Gebiet der Psycho- therapie. Obwohl er den Lehren F r e u d s urspliinglich skeptisch, ja ab- lehnend gegerilber stand, gewann er doch im n~heren Verkehr mit Ve rag u th , F r a n k und J u ng ein steigendcs Interesse an der neueren psychotherapeutischen Richtung. Ihr galten nach seiner Rilckkehr an die Milnchner Klinik seine haupts~chlichen Bestreburgen u n d e r ver t ra t sie auch in seinen Vor]esurgen. E r erkannte bald, dal~ die Methode des Abreagierenlassens von Affekten meist nicht genilgt, um der krank- haften Erscheinungen Herr zu werden und die p s y c h o a n a l y t i s c h e Behandlungsmethode der zugrunde ' l iegenden K o n f l i k t e schien ihm mehr Aussicht auf Erfo]g zu versprechen. Mit welch unermild- licher Liebe zum kranken Menschen hat er sich seit jenen ein- drucksvollen Zilricher Jahren der psychotherapeutischen Kleinarbeit hiegegeben und schlieBlich doch mit wie geri~gem Erfolg! ])as dankbare Vertrauen, das ihm seine Patienten und auch seine Schiller entgegenbrachten, waren der Lohn filr seine aufopfernde T-~tigkeit, welche seine Kr~fte mehr und mehr verzehrten. In seinen Vor- lesungen hat er sich auf das Gebiet der Neurologie und speziell der Gehirnkrankheiten beschr~nkt und stets einen ausgew~hlten Kreis yon Zuh6rern um sich versammelt. G 51~er war noch sein pelsSnlicher Einflul3 auf die einzelnen, ihm n~her stehenden Schiller auf der Kranken- abteilung.

1"

4 F. Miiller: Wilhehn Freiherr v. Stauffenberg "i.

Welcher Verlust fiir die Medizin, dab eiu so hochbegabter , tier ge- bildeter Geist mi t ten aus se iner reifsten Entwicklm~g dahingeraff t wurde ! Ffir die Mih~chner 2. medizinische Klinik bedeutete v. S t a u f - f e n b e r g s Tod, der am 13. I I . 1918 an einer bOsartigen Lungenentzi in- dung erfolgte, eine unersetzliche Liicke. Wi lh e 1 m v. S t a u f f e n b e rg war ein Edelmann im vollen Sinn des Wortes, er war t rotz aller En t - sagung, die ihm sein kOrperliches Leiden auferlegte, ein gliicklicher Mensch, denn es fehlte ihm ganz die F~higkeit, an sich selbsb zu denken.

F. Mii l le r (Miinchen).