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Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Wilhelm Hauff

    Mitteilungen aus denMemoiren des Satan

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    Inhaltsverzeichnis

    Erster TeilZweiter Teil

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    Erster Teil

    EinleitungMarte, e'rassembra te, qualor dal quintoCielo, di ferro scendi e d'orror cinto.

    Tasso. Jerus. librt. V. 44

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    Erstes Kapitel

    Der Herausgeber macht eine interessante Bekanntschaft

    Wer wie der Herausgeber und bersetzer vorliegendermerkwrdiger Aktenstcke in den letzten Tagen des Septembers1822 in Mainz war und in dem schnen Gasthof Zu den dreiReichskronen logierte, wird gewi diese Tage nicht unter dieverlorenen seines Lebens rechnen.

    Es vereinigte sich damals alles, um das Gasthofleben, sonstnicht gerade das angenehmste, das man fhren kann,angenehm zu machen. Feine Weine, gute Tafel, schne Zimmer,htte man auch sonst wohl dort gefunden, seltener, gewi sehrselten so ausgesuchte Gesellschaft. Ich erinnere mich nicht,jemals in meinem Leben, weder vor- noch nachher, einenmeiner damaligen Tisch- und Hausgenossen gesehen zu haben,und dennoch schlang sich in jenen glcklichen Tagen ein sozartes enges Band der Geselligkeit um uns, wie ich es unter

    Fremden, deren keiner den andern kannte, oder seine nherenVerhltnisse zu wissen wnschte, nie fr mglich gehalten htte.

    Der schne Herbst von 1822, mit seiner erfreulichen Aussicht,dieser Herbst am Rhein genossen, mag allerdings zu dieserruhigen Heiterkeit des Gemts, zu diesem Hingeben jedeseinzelnen, fr die Gesellschaft beigetragen haben, aber nicht mitUnrecht glaube ich diese Erscheinung einem sonderbaren, mir

    nachher hchst merkwrdigen Mann zuschreiben zu mssen.Ich war schon beinahe 11/2 Tage in den Drei Reichskronenvor Anker gelegen; htte mich nicht ein Freund, den ich seitlangen Jahren nicht gesehen hatte, auf den 25. oder 30. bestellt,ich wre nicht mehr lnger geblieben, denn die schrecklichsteLangeweile peinigte mich. Die Gesellschaft im Hause waranstndig, freundlich sogar, aber kalt; man lie einander an derSeite liegen, wenig bekmmert um das Wohl oder das Weh des

    Nachbars; wie man einander die schnen geschmorten Fische,den feinen Braten, oder die Saladire darzubieten habe, wutejeder, aber das Genie, ich meine den Geist, wies sich nichtgehrig an der Tafel, noch weniger nachher aus.

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    Ich sah eines Nachmittags aus meinem Fenster auf den freienPlatz vor dem Hotel herab, und dachte nach ber meineForderungen an die Menschen berhaupt und an dieGasthofmenschen (worunter ich nicht Wirt und Kellner allein

    verstand), insbesondere; da rasselte ein Reisewagen ber dasSteinpflaster der engen Seitenstrae, und hielt gerade untermeinem Fenster.

    Der geschmackvolle Bau des Wagens lie auf eine eleganteHerrschaft schlieen, sonderbar war es brigens, da weder aufdem Bock, noch hinten im Cabriolet ein Diener sa, was docheigentlich zu den vier Postpferden, mit welchen der Wagenbespannt war, notwendig gepat htte.

    Vielleicht ein kranker Herr, den sie aus dem Wagen tragenmssen, dachte ich, und richtete die Lorgnette genau auf dieHand des groen, stattlichen Oberkellners, der den Schlagffnete.

    Zimmer vakant? rief eine tiefe, wohltnendeMnnerstimme.

    So viele Euer Gnaden befehlen, war die Antwort des

    Giganten.Eine groe, schlanke Gestalt schlpfte schnell aus dem Wagenund trat in die Halle.

    Nro. 12 und 13, rief die gebietende Stimme desOberkellners, und Jean und George flogen im Wettlauf dieTreppe hinan.

    Die Wagentre war offen geblieben, aber noch immer wolltekein zweiter heraussteigen.

    Der Oberkellner stand verwundert am Wagen, zweimal hatteer hineingesehen, und immer dabei mit dem Kopf geschttelt.

    Bst, Herr Oberkellner, auf ein Wort, rief ich hinab, werwar denn

    Werde gleich die Ehre haben, antwortete der Gefllige, undtrat bald darauf in mein Zimmer.

    Eine sonderbare Erscheinung, sagte ich zu ihm; ein

    schwerer Wagen mit vier Pferden und nur ein einzelner Herr,ohne alleBedienung.Gegen alle Regel und Erfahrung, versicherte jener, ganz

    sonderbar, ganz sonderbar; jedoch der Postillon versicherte, essei ein Guter, denn er gab immer zwei Taler schon seit acht

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    Stationen. Vielleicht ein Englnder von Profession, die haben alleetwas Apartes.

    Wissen Sie den Namen nicht? fragte ich neugieriger, als essich schickte.

    Wird erst beim Souper auf die Schiefertafel geschrieben,antwortete jener; haben der Herr Doktor sonst noch etwas? Ich wute zu meinem Verdru im Augenblicke nichts; er ging

    und lie mich mit meinen Konjekturen ber den Einsamen imachtsitzigen Wagen allein.

    Als ich abends zur Tafel hinabging, schlpfte der Kellner anmir vorber, eine ungeheure Schiefertafel in der Hand. Er wurdemich kaum gewahr, als er in einer Hand ein Licht, in der andern

    die Tafel, vor mich hintrat, mir solche prsentierend.v. Natas, Particulier, stand aufgeschrieben. Hat er noch

    keine Bedienung? fragte ich.Nein, war die Antwort, er hat zwei Lohnlakaien

    angenommen, die ihn aber weder aus noch ankleiden drfen.Als ich in den Speisesaal trat, hatte sich die Gesellschaft schon

    niedergelassen, ich eilte still an meinen Stuhl, gegenber sa der

    Herr v. Natas.Hatte dieser Mann schon vorher meine Neugierde erregt, sowurde er mir jetzt um so interessanter, da ich ihn in der Nhesah.

    Das Gesicht war schn, aber bleich, Haar, Auge und der volleBart von glnzendem Schwarz, die weien Zhne, von denfeingespaltenen Lippen oft enthllt, wetteiferten mit dem Schneeder blendend weien Wsche. War er alt? war er jung? mankonnte es nicht bestimmen; denn bald schien sein Gesicht mitseinem pikanten Lcheln, das ganz leise in dem Mundwinkelanfngt und wie ein Wlkchen um die feingebogene Nase zudem mutwilligen Auge hinaufzieht, frh gereifte und unter demSturm der Leidenschaften verblhte Jugend zu verraten; baldglaubte man einen Mann von schon vorgerckten Jahren vor sichzu haben, der durch eifriges Studium einer reichen Toilette sich

    zu konservieren wei.Es gibt Kpfe, Gesichter, die nur zu einerKrperform passenund sonst zu keiner andern. Man werfe mir nicht vor, da esSinnentuschung seie, da das Auge sich schon zu sehr an dieseForm, wie sie die Natur gegeben, gewhnt habe, als da es sich

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    eine andere Mischung denken knnte. Dieser Kopf konnte nieauf einem untersetzten, wohlbeleibten Krper sitzen, er durftenur die Krone einer hohen, schlanken, zartgebauten Gestalt sein.So war es auch, und die gedankenschnelle Bewegung der

    Gesichtsmuskeln, wie sie in leichtem Spott um den Mund, imtiefen Ernst um die hohe Stirne spielen, drckte sich auch indem Krper durch die wrdige, aber bequeme Haltung, durchdie schnelle, runde, beinahe zierliche Bewegung der Arme,berhaupt in dem leichten, kniglichen Anstande des Mannesaus.

    So war Herr von Natas, der mir gegenber an der Abendtafelsa. Ich hatte whrend der ersten Gnge Mue genug, diese

    Bemerkungen zu machen, ohne dem interessanten Vis--visdurch neugieriges Anstarren beschwerlich zu fallen. Der neueGast schien brigens noch mehrere Beobachtungen zuveranlassen, denn von dem obern Ende der Tafel waren diesenAbend die Brillen mehrerer Damen in immerwhrenderBewegung, mich und meine Nachbarn hatten sie ber demMittagessen hchstens mit bloem Auge gemustert.

    Das Dessert wurde aufgetragen, der Direktor der vorzglichenTafelmusik ging umher, seinen wohlverdienten Lohneinzusammeln. Er kam an den Fremden. Dieser warf einen Talerunter die kleine Mnzensammlung, und flsterte demberraschten Sammler etwas ins Ohr. Mit drei tiefen Bcklingenschien dieser zu bejahen und zu versprechen, und schritt eilig zuseiner Kapelle zurck. Die Instrumente wurden aufs neuegestimmt.

    Ich war gespannt, was jener wohl gewhlt haben knnte; derDirektor gab das Zeichen, und gleich in den ersten Taktenerkannte ich die herrliche Polonaise von Osinsky. Der Fremdelehnte sich nachlssig in seinen Stuhl zurck, er schien nur derMusik zu gehren; aber bald bemerkte ich, da das dunkle Augeunter den langen schwarzen Wimpern rastlos umherlief es waroffenbar, er musterte die Gesichter der Anwesenden, und den

    Eindruck, den die herrliche Polonaise auf sie machte.Wahrlich! dieser Zug schien mir einen gebtenMenschenkenner zu verraten. Zwar wre der Schlu unrichtig,den man sich aus der wrmern oder kltern Teilnahme an demReich der Tne auf die grere oder geringere Empfnglichkeit

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    des Gemts fr das Schne und Edle ziehen wollte; heult ja dochauch selbst der Hund bei den sanften Tnen der Flte, das Pferddagegen spitzt die Ohren bei dem mutigen Schmettern derTrompeten, stolzer hebt es den Nacken und sein Tritt ist fester

    und straffer.Aber dennoch konnte man nichts Unterhaltenderes sehen, alsdie Gesichter der verschiedenen Personen bei den schnstenStellen des Stckes; ich machte dem Fremden mein Komplimentber die glckliche Wahl dieser Musik, und schnell hatte sichzwischen uns ein Gesprch ber die Wirkung der Musik auf dieseoder jene Charaktere entsponnen.

    Die brigen Gste hatten sich indessen verlaufen, nur einige,

    die in der Ferne auf unser Gesprch gelauscht hatten, rcktennach und nach nher. Mitternacht war herangekommen, ohneda ich wute, wie, denn der Fremde hatte uns so tief in alleVerhltnisse der Menschen, in alle ihre Neigungen und Triebehineinblicken lassen, da wir uns stille gestehen muten,nirgends so tiefgedachte, so berraschende Schlsse gehrtoder gelesen zu haben.

    Von diesem Abend an ging uns ein neues Leben in den DreiReichskronen auf. Es war, als habe die Freude selbst ihrenEinzug bei uns gehalten, und feiere jetzt ihre heiligsten Festtage;Gste, die sich nie htten einfallen lassen, lnger als eine Nachthierzubleiben, schlossen sich an den immer grer werdendenZirkel an, und vergaen, da sie unter Menschen sich befinden,die der Zufall aus allen Weltgegenden zusammengeschneit hatte.Und Natas, dieses seltsame Wesen, war die Seele des Ganzen.Er war es, der sich, sobald er sich nur erst mit seinen nchstenTischnachbarn bekannt gemacht hatte, zum Matre de plaisirhergab. Er veranstaltete Feste, Ausflge in die herrliche Gegendund erwarb sich den innigen Dank eines jeden. Hatte er aberschon durch die sinnreiche Auswahl des Vergngens sich alleHerzen gewonnen, so war dies noch mehr der Fall, wenn er dieKonversation fhrte.

    Jenes ergtzliche Mrchen von dem Hrnchen des Oberonschien ins Leben getreten zu sein; denn Natas durfte nur dieLippen ffnen, so fhlte jeder zuerst die lieblichsten Saitenseines Herzens angeschlagen, auf leichten Schwingen schwirrtedann das Gesprch um die Tafel, mutwilliger wurden die

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    Scherze, khner die Blicke der Mnner, schalkhafter das Kichernder Damen, und endlich rauschte die Rede in so fessellosenStrmen, da man nachher wenig mehr davon wute, als daman sich gttlich amsiert habe.

    Und dennoch war der Zauberer, der diese Lustheraufbeschwor, weit entfernt, je ins Rohe, Gemeinehinberzuspielen. Er griff irgendeinen Gegenstand, eineTagesneuigkeit auf, erzhlte Anekdoten, spielte das Gesprchgeschickt weiter, wute jedem seine tiefste Eigentmlichkeit zuentlocken und ergtzte durch seinen lebhaften Witz, durch seinewarme Darstellung, die durch alle Schattierungen von demtiefsten Gefhl der Wehmut, bis hinauf an jene Ausbrche der

    Laune streifte, welche in dem sinnlichsten, reizendsten Kostmauf der feinen Grenze des Anstandes gaukeln.

    Manchmal schien es zwar, es mchte weniger gefhrlichgewesen sein, wenn er dem Heiligen, das er antastete, geradezuHohn gesprochen, das Zarte, das er benagte, geradezu zerrissenhtte; jener zarte, geheimnisvolle Schleier, mit welchem er diesoder jenes verhllte, reizte nur zu dem lsternen Gedanken,

    tiefer zu blicken, und das ppige Spiel der Phantasie gewann inmanchem Kpfchen unsrer schnen Damen nur noch mehrRaum; aber man konnte ihm nicht zrnen, nicht widersprechen;seine glnzenden Eigenschaften rissen unwiderstehlich hin, sieumhllten die Vernunft mit sem Zauber, und seine khnenHypothesen schlichen sich als Wahrheit in das unbewachte Herz.

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    Zweites Kapitel

    Der schauerliche Abend

    So hatte der geniale Fremdling mich und noch zwlf bis fnfzehnHerren und Damen in einen tollen Strudel der Freude gerissen.Beinahe alle waren ohne Zweck in diesem Haus, und doch wagtekeiner, den Gedanken an die Abreise sich auch nur entferntvorzustellen. Im Gegenteil, wenn wir morgens langeausgeschlafen, mittags lange getafelt, abends lange gespielt undnachts lange getrunken, geschwatzt und gelacht hatten, schiender Zauber, der uns an dies Haus band, nur eine neue Kette umden Fu geschlungen zu haben.

    Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserem Heil. Andem sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag,war unser Herr v. Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. DieKellner entschuldigten ihn mit einer kleinen Reise; er werde vorSonnenuntergang nicht kommen, aber zum Tee, zur Nachttafel

    unfehlbar da sein.Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewhnt, da

    uns diese Nachricht ganz betreten machte, es war uns, alswrden uns die Flgel zusammengebunden und man befehle unszu fliegen.

    Das Gesprch kam, wie natrlich, auf den Abwesenden undauf seine auffallende, glnzende Erscheinung. Sonderbar war es,

    da es mir nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihn,nur unter einer andern Gestalt, schon frher einmal auf meinemLebenswege begegnet; so abgeschmackt auch der Gedanke war,so unwiderstehlich drngte er sich mir immer wieder auf. Ausfrheren Jahren her erinnerte ich mich nmlich eines Mannes,der in seinem Wesen, in seinem Blick hauptschlich, groehnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder Arzt, besuchtenur hie und da meine Vaterstadt, und lebte dort immer von

    Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern umsich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mirbrigens fatal, denn man behauptete, da, sooft er uns besuchthabe, immer ein bedeutendes Unglck erfolgt sei, aber dennoch

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    konnte ich den Gedanken nicht loswerden, Natas habe diegrte hnlichkeit mit ihm, ja es sei eine und dieselbe Person.

    Ich erzhlte meinen Tischnachbarn den unablssig michverfolgenden Gedanken und die unangenehme Vergleichung

    eines mir so grausenhaften Wesens, wie der Fremde in meinerVaterstadt war, mit unserm Freunde, der so ganz meine Achtungund Liebe sich erworben hatte; aber noch unglaublicher klingt esvielleicht, wenn ich versichere, da meine Nachbarn ganz dennmlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten unter einer ganzandern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zuhaben.

    Sie knnten einem ganz bange machen, sagte die Baronin

    von Thingen, die nicht weit von mir sa. Sie wollen unsernguten Natas am Ende zum Ewigen Juden oder Gott wei, zu wassonst noch machen!

    Ein kleiner ltlicher Herr, Professor in T., der seit einigenTagen sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen, undimmer stillvergngt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hattewhrend unserer vergleichenden Anatomie, wie er es nannte,

    still vor sich hin gelchelt und mit kunstfertiger Schnelligkeitseine ovale Dose zwischen den Fingern umgedreht, da sie wieein Rad anzusehen war.

    Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr lnger hinterdem Berge halten, brach er endlich los, wenn Sie erlauben,Gndigste, so halte ich ihn nicht gerade fr den Ewigen Juden,aber doch fr einen ganz absonderlichen Menschen. Solange erzugegen war, wollte wohl hie und da der Gedanke in miraufblitzen, Den hast du schon gesehen, wo war es doch? aberwie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurck, wenn ermich mit dem schwarzen umherspringenden Auge erfate.

    So war es mir gerade auch, mir auch, mir auch, riefen wiralle verwundert.

    Hm! he, hm! lachte der Professor. Jetzt fllt es mir abervon den Augen wie Schuppen, da es niemand ist als der, den

    ich schon vor zwlf Jahren in Stuttgart gesehen habe.Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhltnissen?fragte Frau v. Thingen eifrig, und errtete bald ber den allzugroen Eifer, den sie verraten hatte.

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    Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus undbegann: Es mgen nun ungefhr zwlf Jahre sein, als ichwegen eines Prozesses einige Monate in Stuttgart zubrachte. Ichwohnte in einem der ersten Gasthfe und speiste auch dort

    gewhnlich in groer Gesellschaft an der Wirtstafel. Einmal kamich nach einigen Tagen, in welchen ich das Zimmer hatte htenmssen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach sehr eifrigber einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit dieMittagsgste durch seinen lebhaften Witz, durch seineGewandtheit in allen Sprachen entzcke; in seinem Lob warenalle einstimmig, nur ber seinen Charakter war man nicht rechteinig, denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern

    zu einem Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten,wieder andere zu einem Spion. Die Tre ging auf, man war still,beinahe verlegen, den Streit so laut gefhrt zu haben; ichmerkte, da der Besprochene sich eingefunden habe und sah

    Nun? ich bitte Sie! denselben, der uns denselben, deruns seit einigen Tagen so trefflich unterhlt. Dies wre brigensgerade nichts bernatrliches, aber hren Sie weiter: zwei Tage

    schon hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durchseine geistreiche Unterhaltung die Tafel gewrzt, als uns einmalder Wirt des Gasthofs unterbrach: Meine Herren, sagte derHfliche, bereiten Sie sich auf eine kstliche Unterhaltung, dieIhnen morgen zuteil werden wird, vor; der Herr OberjustizratHasentreffer zog heute aus, und zieht morgen ein.

    Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauerHauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz indiesem Gasthof behauptete, teilte uns den Schwank mit:Gerade dem Speisesaal gegenber wohnt ein alter Junggeselle,einsam in einem groen den Haus; er ist Oberjustizrat auerDienst, lebt von einer anstndigen Pension, und soll berdies einenormes Vermgen besitzen.

    Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigeneGewohnheiten, wie z.B. da er sich selbst oft groe Gesellschaft

    gibt, wobei es immer flott hergeht. Er lt zwlf Couverts ausdem Wirtshaus kommen, feine Weine hat er im Keller, und eineroder der andere unsrer Marqueurs hat die Ehre zu servieren.Man denkt vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstigeMenschen bei sich? Mitnichten! alte, gelbe Stammbuchbltter,

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    auf jedem ein groes Kreuz, liegen auf den Sthlen, dem altenKauz ist aber so wohl, als wenn er unter den lustigstenKameraden wre; er spricht und lacht mit ihnen, und das Dingsoll so greulich anzusehen sein, da man immer die neuen

    Kellner dazu braucht, denn wer einmalbei einem solchen Souperwar, geht nicht mehr in das de Haus.Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz

    dort schwrt Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehrhinber. Den andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann diezweite Sonderbarkeit des Oberjustizrats. Er fhrt morgens frhaus der Stadt, und kehrt erst den andern Morgen zurck; nichtaber in sein Haus, das um diese Zeit fest verriegelt und

    verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus.Da tut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze

    Jahr tglich sieht, speist zu Mittag, und stellt sich nachher an einFenster, und betrachtet sein Haus gegenber von oben bisunten.

    Wem gehrt das Haus da drben? fragt er dann den Wirt.Pflichtmig bckt sich dieser jedesmal und antwortet: Dem

    Herrn Oberjustizrat Hasentreffer, Ew. Exzellenz aufzuwarten. Aber Herr Professor, wie hngt denn Ihr toller Hasentreffer mitunserem Natas zusammen? fragte ich.

    Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor,antwortete jener, es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen.Der Hasentreffer beschaut also das Haus und erfhrt, da esdem Hasentreffer gehre. Ach! derselbe, der in Tbingen zumeiner Zeit studierte? fragt er dann, reit das Fenster auf,streckt den gepuderten Kopf hinaus, und schreit Ha-a-asentreffer Ha-a-asentreffer.

    Natrlich antwortet niemand, er aber sagt dann, Der Altewrde es mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte,nimmt Hut und Stock, schliet sein eigenes Haus auf, und sogeht es nach wie vor.

    Wir alle, fuhr der Professor in seiner Erzhlung fort, waren

    sehr erstaunt ber diese sonderbare Erscheinung, und freutenuns kniglich auf den morgenden Spa. Herr Barighi aber nahmuns das Versprechen ab, ihn nicht verraten zu wollen, indem ereinen kstlichen Scherz mit dem Oberjustizrat vorhabe.

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    Frher als gewhnlich versammelten wir uns an der Wirtstafelund belagerten die Fenster. Eine alte baufllige Chaise wurdevon zwei alten Kleppern die Strae herangeschleppt, sie hielt vordem Wirtshaus; Das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer,

    tnte es von aller Mund, und eine ganz besondere Frhlichkeitbemchtigte sich unser, als wir das Mnnlein, zierlich gepudert,mit einem stahlgrauen Rcklein angetan, ein mchtiges Meerrohrin der Hand, aussteigen sahen. Ein Schwanz von wenigstenszehn Kellnern schlo sich ihm an; so gelangte er insSpeisezimmer.

    Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht,als damals, denn mit der grten Kaltbltigkeit behauptete der

    Alte, geraden Weges aus Kassel zu kommen, und vor sechsTagen in Frankfurt im Schwanen recht gut logiert zu haben.Schon vor dem Dessert mute Barighi verschwunden sein, dennals der Oberjustizrat aufstand, und sich auch die brigen Gsteerwartungsvoll erhoben, war er nirgends mehr zu sehen.

    Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgtenseinem Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenber

    schien de und unbewohnt; auf der Trschwelle sprote Gras,die Jalousien waren geschlossen, zwischen einigen schienen sichVgel eingebaut zu haben.

    Ein hbsches Haus da drben, begann der Alte zu dem Wirt,der immer in der dritten Stellung hinter ihm stand. Wem gehrtes? Dem Oberjustizrat Hasentreffer, Eurer Exzellenzaufzuwarten.

    Ei, das ist wohl der nmliche, der mit mir studiert hat? riefer aus; der wrde mir es nie verzeihen, wenn ich ihm nichtmeine Anwesenheit kundtte. Er ri das Fenster auf,Hasentreffer Hasentreffer, schrie er mit heiserer Stimmehinaus Aber wer beschreibt unseren Schrecken, als gegenberin dem den Haus, das wir wohl verschlossen und verriegeltwuten, ein Fensterladen langsam sich ffnete; ein Fenster tatsich auf, und heraus schaute der Oberjustizrat Hasentreffer im

    zitzenen Schlafrock und der weien Mtze, unter welcher wenigegraue Lckchen hervorquollen; so, gerade so pflegte er sich zuHaus zu tragen. Bis auf das kleinste Fltchen des bleichenGesichtes, war der gegenber der nmliche wie der, der bei unsstand. Aber Entsetzen ergriff uns, als der im Schlafrock mit

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    derselben heiseren Stimme ber die Strae herberrief: Waswill man, wem ruft man? he!

    Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer? rief der aufunserer Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem

    er sich bebend am Fenster hielt.Der bin ich, kreischte jener, und nickte freundlich grinsendmit dem Kopfe; steht etwas zu Befehl?

    Ich bin er ja auch, rief der auf unserer Seite wehmtig, wieist denn dies mglich?

    Sie irren sich, Wertester, schrie jener herber, Sie sind derdreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herber in meineBehausung, da ich Ihnen den Hals umdrehe; es tut nicht weh.

    Kellner, Stock und Hut! rief der Oberjustizrat, matt bis zumTod, und die Stimme schlich ihm in klglichen Tnen aus derhohlen Brust herauf. In meinem Haus ist der Satan, und willmeine Seele; vergngten Abend meine Herrn; setzte er hinzu,indem er sich mit einem freundlichen Bckling zu uns wandte,und dann den Saal verlie.

    Was war das? fragten wir uns, sind wir alle wahnsinnig?

    Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zumFenster hinaus, whrend unser gutes altes Nrrchen in steifenSchritten ber die Strae stieg. An der Haustre zog er einengroen Schlsselbund aus der Tasche, riegelte der imSchlafrock sah ihm ganz gleichgltig zu , riegelte die schwere,knarrende Haustre auf, und trat ein.

    Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurck, man sahwie er dem unsrigen an die Zimmertre entgegenging.

    Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich von Entsetzenund zitterten: Meine Herren, sagte jener, Gott sei dem armenHasentreffer gndig, denn einer von beiden war derLeibhaftige.

    Wir lachten den Wirt aus, und wollten uns selbst bereden, daes ein Scherz von Barighi sei, aber der Wirt versicherte, es habeniemand in das Haus gehen knnen, auer mit den beraus

    knstlichen Schlsseln des Rats, Barighi sei 10 Minuten, ehe dasGrliche geschehen, noch an der Tafel gesessen, wie htte erdenn in so kurzer Zeit die tuschende Maske anziehen knnen,vorausgesetzt, auch er htte sich das fremde Haus zu ffnengewut. Die beiden seien aber einander so greulich hnlich

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    gewesen, da er, ein zwanzigjhriger Nachbar, den echten nichthtte unterscheiden knnen. Aber um Gottes willen, meineHerrn, hren Sie nicht das grliche Geschrei da drben?

    Wir sprangen ans Fenster, schreckliche trauervolle Stimmen

    tnten aus dem den Hause herber, einigemal war es uns, alsshen wir unsern alten Oberjustizrat, verfolgt von seinemEbenbild im Schlafrock am Fenster vorbeijagen. Pltzlich aberwar alles still.

    Wir sahen einander an; der Beherzteste machte denVorschlag, hinberzugehen; alle stimmten berein. Man zog berdie Strae, die groe Hausglocke an des Alten Haus tntedreimal, aber es wollte sich niemand hren lassen: da fing uns

    an zu grauen; wir schickten nach der Polizei und dem Schlosser,man brach die Tre auf, der ganze Strom der Neugierigen zogdie breite, stille Treppe hinauf, alle Tren waren verschlossen;eine ging endlich auf, in einem prachtvollen Zimmer lag derOberjustizrat im zerrissenen stahlfarbigen Rcklein, die zierlicheFrisur schrecklich verzaust, tot, erwrgtauf dem Sofa.

    Von Barighi hat man weder in Stuttgart, noch sonst irgendwo

    jemals eine Spur gesehen.

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    Drittes Kapitel

    Der schauervolle Abend

    (Fortsetzung)

    Der Professor hatte seine Erzhlung geendet, wir saen einegute Weile still und nachdenkend. Das lange Schweigen wardmir endlich peinlich, ich wollte das Gesprch wieder anfachen,aber auf eine andere Bahn bringen, als mir ein Herr vonmittleren Jahren in reicher Jagduniform, wenn ich nicht irre, einOberforstmeister aus dem Nassauischen, zuvorkam.

    Es ist wohl jedem von uns schon begegnet, da er unzhligeMale fr einen andern gehalten wurde, oder auch Fremde frganz Bekannte anredete, und sonderbar ist es, ich habe dieseBemerkung oft in meinem Leben besttigt gefunden, da dieVerwechslung weniger bei jenen platten, alltglichen,nichtssagenden Gesichtern, als bei auffallenden, eigentlich

    interessanten vorkommt.Wir wollten ihm seine Behauptung als ganz unwahrscheinlichverwerfen, aber er berief sich auf die wirklich interessanteErscheinung unseres Natas; Jeder von uns gesteht, sagte er,da er dem Gedanken Raum gegeben, unsern Freund, nurunter anderer Gestalt, hier oder dort gesehen zu haben, unddoch sind seine scharfen Formen, sein gebietender Blick, seingewinnendes Lcheln ganz dazu gemacht, auf ewig sich insGedchtnis zu prgen.

    Sie mgen so unrecht nicht haben, entgegnete Flahof, einpreuischer Hauptmann, der auf die Strafe des Arrestes hin,schon zwei Tage bei uns gezaudert hatte, nach Koblenz in seineGarnison zurckzukehren, Sie mgen recht haben; ich erinneremich einer Stelle aus den launigen Memoiren des italienischenGrafen Gozzi, die ganz fr Ihre Behauptung spricht:

    Jedermann, sagt er, hat den Michele d'Agata gekannt undwei, da er einen Fu kleiner und wenigstens um zwei dickerwar, als ich, und auch sonst nicht die geringste hnlichkeit inKleidung und Physiognomie mit mir gehabt hat.

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Aber lange Jahre hatte ich alle Tage den Verdru, vonSngern, Tnzern, Geigern und Lichtputzern als Herr Micheled'Agata angeredet zu sein und lange Klagen ber schlechteBezahlung, Forderungen usw. anhren zu mssen. Selten gingen

    sie berzeugt von mir weg, da ich nicht Michele d'Agata sei.Einst besuchte ich in Verona eine Dame; dasKammermdchen meldet mich an, Herr Agata. Ich trat hineinund ward als Michele d'Agata begrt und unterhalten, ich gingweg und begegnete einem Arzt, den ich wohl kannte; GutenAbend, Herr Agata, war sein Gru, indem er vorberging. Ichglaubte am Ende beinahe selbst, ich sei der Michele d'Agata.

    Ich wute dem guten Hauptmann Dank, da er uns aus den

    ngstigenden Phantasien, welche die Erzhlung des Professors inuns aufgeregt hatte, erlste. Das Gesprch flo ruhiger fort, manstritt sich um das Vorrecht ganzer Nationen, einen interessantenGesichterschnitt zu haben, ber den Einflu des Geistes auf dieGesichtszge berhaupt und auf das Auge insbesondere, mankam endlich auf Lavater und Konsorten; Materien, die ichhundertmal besprochen, mochte ich nicht mehr wiederkuen, ich

    zog mich in ein Fenster zurck. Bald folgte mir der Professordahin nach, um gleich mir die Gesichter der Streitenden zubetrachten.

    Welch ein leichtsinniges Volk, seufzte er, ich habe sie jetztsoeben gewarnt und die Hlle ihnen recht hei gemacht, ja siewagten in keine Ecke mehr zu sehen, aus Furcht, der Leibhaftigemchte daraus hervorgucken, und jetzt lachen sie wieder undmachen tolle Streiche, als ob der Versucher nicht immerumherschliche?

    Ich mute lachen ber die Amtsmiene, die sich der Professorgab; Noch nie habe ich das schne Talent einesVesperpredigers an Ihnen bemerkt, sagte ich, aber Sie setzenmich in Erstaunen durch Ihre khnen Angriffe auf die bse Weltund auf den Argen selbst. Bilden Sie sich denn wirklich ein,dieser harmlose Natas...

    Harmlos nennen Sie ihn? unterbrach mich der Professor,heftig meine Brust anfassend, harmlos? Haben Sie denn nichtbemerkt, flsterte er leiser, da alles bei diesem feinen....Herrn berechneter Plan ist. Oh, ich kenne meine Leute!

    Sie setzen mich in Erstaunen, wie meinen Sie denn?

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Haben Sie nicht bemerkt, fuhr er eifrig fort, da dergebildete Herr Oberforstmeister dort mit Leib und Seele sein ist,weil er ihm fnf Nchte hindurch alles Geld abjagte, und denAusgebeutelten gestern nacht fnfzehnhundert Dukaten

    gewinnen lie? Er nennt den abgefeimten Spieler einen Mannvon den nobelsten Sentiments und schwrt auf Ehre, er msseber die Hlfte wieder an den Fremden verlieren, sonst habe erkeine Ruhe. Haben Sie ferner nicht bemerkt, wie er denkonomierat gekrnt hat?

    Ich habe wohl gesehen, antwortete ich, da derkonomierat, sonst so moros und misanthrop, jetzt ein wenigaufgewacht ist, aber ich habe es dem allgemeinen Einflu der

    Gesellschaft zugeschrieben.Behte. Er luft schon seit zwanzig Jahren in den

    Gesellschaften umher und wacht doch nicht auf; auf dem Wegist er ein Bruder Lderlich zu werden; der Esel reist krank imLande umher, behauptet einen groen Wurm im Leib zu habenund macht allen Leuten das Leben sauer mit seinen exorbitantenBehauptungen, und jetzt? jetzt hat ihn dieser Wundermann

    erwischt, gibt ihm ein Plverlein, und rt ihm, nicht wie einanderer vernnftiger Arzt, Dit und Migkeit, sondern er sollseine Jugend, wie er die fnfzig Jahre des alten Wurms nennt,genieen, viel Wein trinken etc., und das et cetera und den Weinbentzt er seit vier Tagen rger als der verlorne Sohn.

    Und darber knnen Sie sich rgern, Herr Professor? derMann ist sich und dem Leben wiedergeschenkt

    Nicht davon spreche ich, entgegnete der Eifrige, der alteSnder knnte meinetwegen heute noch abfahren; sondern daer sich dem nchsten besten Charlatan anvertraut und sich alsoruinieren mu, ich habe ihn vor acht Jahren in der Kur gehabt,und es besserte sich schon zusehends.

    Der Eifer des guten Professors war mir nun einigermaenerklrlich, der liebe Brotneid schaute nicht undeutlich heraus.

    Und unsere Damen? fuhr er fort, die sind nun rein toll.

    Mich dauert nur der arme Trbenau, ich kenne ihn zwar nicht,aber bermorgen soll er hier ankommen, und wie findet er diegndige Frau? Hat man je gehrt, da eine junge gebildete Frauin den ersten Jahren einer glcklichen Ehe sich in ein solches

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Verhltnis mit einem ganz fremden Menschen einlt, und zwarinnerhalb fnf Tagen!

    Wie, die schne, bleiche Frau dort? rief ich aus.Die nmliche bleiche, antwortete er, vor vier Tagen war

    sie noch schn rot, wie eine Zentifolie, da begegnet ihr derInteressante auf der Strae, fragt, wohin sie gehe, hrt kaum,da sie rouge fin kaufen wolle (denn solcheToilettengeheimnisse auszuplaudern, heit bon ton), so bittetund fleht er, sie solle doch kein Rot auflegen, sie habe ein sointeressantes je-ne-sais-quoi, das zu einem blassen Teint vielbesser stehe. Was tut sie? wahrhaftig, sie geht in den nchstenGalanterieladen und sucht weie Schminke; ich war gerade dort,

    um ein Pfeifenrohr zu erstehen, da hre ich sie mit ihrer senStimme den rauhhrigen Bren von einem Ladendiener fragen,ob man das Wei nicht noch etwas therischer habe? Hol michder T....! hat man je so was gehrt?

    Ich bedauerte den Professor aufrichtig, denn wenn ich nichtirrte, so suchte er von Anfang die Aufmerksamkeit der schnenFrau auf den schon etwas verschossenen Einband seiner

    gelehrten Seele zu ziehen. Da es aber mit Natas und derTrbenau nicht ganz richtig war, sah ich selbst; von derSchminkgeschichte, die jenen so sehr erboste, wute ich zwarnichts, aber wer sich auf die Exegese der Augen verstand, hattekeinen weitern Kommentar ntig, um die gegenseitigeAnnherung daraus zu erlutern.

    Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eineZeitlang geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brillean die Decke des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gipsaufgetragen waren; Himmel, seufzte er, und die Thingen hater auch; Sie glauben nicht, welcher Reiz in diesem ewig heiternAuge, in diesen Grbchen auf den blhenden Wangen, in demSchmelz ihrer Zhne, in diesen frischen, zum Ku geffnetenLippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden vollenFormen der schwellenden

    Herr Professor! rief ich, erschrocken ber seine Ekstase,und schttelte ihn am Arm ins Leben zurck. Sie geraten auersich, Wertester, belieben Sie nicht eine Prise Spaniol?

    Er hat sie auch, fuhr er zhneknirschend fort, haben Sienicht bemerkt, mit welcher Hast sie vorhin nach seinen

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Verhltnissen fragte? wie sie rot ward? Jung, schn,wohlhabend, Witwe sie hat alles, um eine angenehme Partiezu machen; geistreiche Mnner von Ruf in der literarischen Welt,buhlen um ihre Gunst, sie wirft sie an einen Landstreicher hin;

    ach, wenn Sie wten, bester Doktor, was mir neulich derOberkellner aber mit der grten Diskretion; da man ihnvorgestern nachts aus ihrem Zimmer...

    Ich bitte, verschonen Sie mich, fiel ich ein, gestehen Siemir lieber, ob der Wundermensch Sie selbst noch nicht unter denPantoffel gebracht hat.

    Das ist es eben, antwortete der Befragte verlegen lchelnd,das ist es, was mir Kummer macht. Sie wissen, ich lese ber

    Chemie; er brachte einmal das Gesprch darauf, und entwickelteso tiefe Kenntnisse, deckte so neue und khne Ideen auf, damir der Kopf schwindelte; ich mchte ihm um den Hals fallenund um seine Hefte und Notizen bitten, es zieht mich mitunwiderstehlicher Geisterkraft in seine Nhe, und doch knnteich ihm mit Freuden Gift beibringen.

    Wie komisch war die Wut dieses Mannes, er ballte die Faust

    und fuhr damit hin und her, seine grnen Brillenglser funkeltenwie Katzenaugen, sein kurzes schwarzes Haar schien sich in dieHhe zu richten.

    Ich suchte ihn zu besnftigen; ich stellte ihm vor, da er janicht rger losziehen knnte, wenn der Fremde der Teufel selbstwre; aber er lie mich nicht zum Worte kommen.

    Er ist es, der Satan selbst logiert hier in den DreiReichskronen, rief er, um unsere Seelen zu angeln. Ja, du bistein guter Fischer, und hast eine feine Nase, aber ein ....rProfessor, wie ich, der sogar in demagogischen Untersuchungendie Lunte gleich gerochen, und eigens deswegen hieher nachMainz gereist ist, ein solcher hat noch eine feinere als du.

    Ein heiseres Lachen, das gerade hinter meinem Rcken zuentstehen schien, zog meine Aufmerksamkeit auf sich; ichwandte mich um, und glaubte Natas hhnisch durch die

    Scheiben hereingrinsen zu sehen. Ich ergriff den Professor amArm, um ihm die sonderbare Erscheinung zu zeigen, denn dasZimmer lag einen Stock hoch; dieser aber hatte weder dasLachen gehrt, noch konnte er meine Erscheinung sehen; dennals er sich umwandte, sah nur die bleiche Scheibe des Mondes

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    durch die Fenster dort, wo ich vorhin das greulich verzerrteGesicht des geheimnisvollen Fremdlings zu sehen geglaubthatte.

    Ehe ich noch recht mit mir einig war, ob das, was ich

    gesehen, Betrug der Sinne, Ausgeburt einer aufgeregtenPhantasie oder Wirklichkeit war, ward die Tre aufgerissen, undHerr von Natas trat stolzen Schrittes in das Zimmer. Mitsonderbarem Lcheln ma er die Gesellschaft, als wisse er ganzgut, was von ihm gesprochen worden sei, und ich glaubte zubemerken, da keiner der Anwesenden seinen forschenden Blickauszuhalten vermochte.

    Mit der ihm so eigenen Leichtigkeit hatte er der Trbenau

    gegenber, neben der Frau von Thingen Platz genommen, unddie Leitung der Konversation an sich gerissen. Das bseGewissen lie den Professor nicht an den Tisch sitzen, michselbst fesselte das Verlangen, diesen Menschen einmal aus derFerne zu beobachten, an meinem Platz im Fenster. Dabemerkten wir denn das Augenspiel zwischen Frau v. Trbenauund dem gewandtesten der Liebhaber, der, indem er der Tochter

    des konomierats so viel Verbindliches zu sagen wute, da sieeinmal ber das andere bis unter die breiten Brler Spitzenihrer Busenkrause errtete, das feingeformte Fchen der Frauvon Thingen auf seinem blankgewichsten Stiefel tanzen lie.

    Drei Mcken auf einen Schlag, das heie ich doch meinerSeel, aller Ehre wert, brummte der zornglhende Professor,dem jetzt auch seine letzte Ressource, die konomische Schne,so was man sagt, vor dem Mund weggeschnappt werden sollte.Mit tnenden Schritten ging er an den Tisch, nahm sich einenStuhl und setzte sich, breit wie eine Mauer, neben seine Schne.Doch diese schien nur Ohren fr Natas zu haben, denn sieantwortete auf seine Frage, ob sie sich wohl befinde,bermorgen, und als er voll Gram die Anmerkung hinwarf, siescheine sehr zerstreut, meinte sie I fl. 30 kr. die Elle.

    Ich sah jetzt einem unangenehmen Auftritt entgegen. Der

    Professor, der nicht daran dachte, da er durch ein Sonett oderTriolett alles wieder gut machen, ja durch ein paar ottave rimesich sogar bei der Trbenau wieder insinuieren knnte,widersprach jetzt geradezu jeder Behauptung, die Natasvorbrachte; und ach! nicht zu seinem Vorteil; denn dieser, in der

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Dialektik dem guten Kathedermann bei weitem berlegen, fhrteihn so aufs Eis, da die leichte Decke seiner Logik zu reien under in ein Chaos von Widersprchen hinabzustrzen drohte.

    Eine lieblich duftende Bowle Punsch unterbrach einige Zeit

    den Streit der Zunge, gab aber dafr Anla zu destofeindseligeren Blicken zwischen Frau von Trbenau und Frau vonThingen. Diese hatte, ihrer schnen runden Arme sich bewut,den gewaltigen silbernen Lffel ergriffen, um beim Eingieen dieganze Grazie ihrer Haltung zu entwickeln; jene aber kredenztedie gefllten Becher mit solcher Anmut, mit so liebevollenBlicken, da das Bestreben, sich gegenseitig soviel als mglichAbbruch zu tun, unverkennbar war.

    Als aber der sehr starke Punsch die leisen Schauer desHerbstabends verdrngt hatte, als er anfing, die Wangen unsererDamen hher zu frben, und aus den Augen der Mnner zuleuchten, da schien es mir mit einem Mal, als sei man, ich weinicht wie, aus den Grenzen des Anstands herausgetreten; allerleidumme Gedanken stiegen in mir auf und nieder, das Gesprchschnurrte und summte wie ein Mhlrad, man lachte und jauchzte

    und wute nicht ber was? man kicherte und neckte sich, undder Oberforstmeister brachte sogar ein Pfnderspiel mit Kssenin Vorschlag. Pltzlich hrte ich jenes heisere Lachen wieder, dasich vorhin vor dem Fenster zu hren glaubte; wirklich, es warNatas, der dem Professor zuhrte, und trotz dem Eifer undErnst, mit welchem dieser alles vorbrachte, alle Augenblicke insein heiseres Gelchter ausbrach.

    Nicht wahr, meine Herren und Damen, schrie der Punschaus dem Professor heraus, Sie haben vorhin selbst bemerkt,da unser verehrter Freund dort jedem von Ihnen, nur inanderer Gestalt, schon begegnet ist? Sie schweigen? Ist dasauch Rson, einen so im Sand sitzen zu lassen? HerrOberforstmeister! Frau von Thingen, gndige Frau! sagen Sieselbst; namentlich Sie, Herr Doktor!

    Wir befanden uns durch die Indiskretion des Professors in

    groer Verlegenheit; ich erinnere mich, gab ich zur Antwort,als alles schwieg, von interessanten Gesichtern und ihrenVerwechslungen gesprochen zu haben, und wenn ich nicht irre,wurde auch Herr von Natas aufgefhrt.

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Der Benannte verbeugte sich, und meinte, es sei gar zuvielEhre, ihn unter die Interessanten zu zhlen; aber der Professorverdarb wieder alles.

    Was da! ich nehme kein Blatt vor den Mund! sagte er, ich

    behauptete, da mir ganz unheimlich in Dero Nhe sei, underzhlte, wie Sie in Stuttgart den armen Hasentreffer erwrgthaben; wissen Sie noch, gndiger Herr?

    Dieser aber stand auf, lief mit schrillendem Gelchter imZimmer umher und pltzlich glaubte ich den unglckbringendenDoktor meiner Vaterstadt vor mir zu haben; es war nicht mehrNatas, es war ein lterer, unheimlicher Mensch.

    Da hat man's ja deutlich, rief der Professor, dort luft er

    als Barighi umher.Barighi? entgegnete Frau von Trbenau, bleiben Sie doch

    mit Ihrem Barighi zu Hause, es ist ja unser lieber PrivatsekretrGruber, der da hereingekommen ist.

    Ich mchte doch um Verzeihung bitten, gndige Frau,unterbrach sie der Oberforstmeister, es ist der Spieler Maletti,mit dem ich in Wiesbaden letzten Sommer assosiert war.

    Ha! Ha! wie man sich doch tuschen kann, sprach Frau vonThingen, den auf und ab Gehenden durch die perlmutterne Brillebeschauend, es ist ja niemand anders, als der KapellmeisterSchmalz, der mir die Gitarre beibringt.

    Warum nicht gar, brummte der alte konomierat, es istder lustige Kommissr, der mir die gute Brotlieferung an dasSpital in D n verschaffte.

    Ach! Papa, kicherte sein Tchterlein, jener war ja schwarzund dieser ist blond! Kennen Sie denn den jungen Landwirt nichtmehr, der sich bei uns ins Praktische einschieen wollte?

    Hol mich der Kuckuck und alle Wetter, schrie derpreuische Hauptmann, das ist der verfluchte Ladenprinz undEllenreiter, der mir mein Lorchen wegfischte! Auf Pistolenfordere ich den Hund, gleich morgen, gleich jetzt. Er sprang aufund wollte auf den immer ruhig auf und ab Gehenden

    losstrzen; der Professor aber packte ihn am Arm: Bleiben Sieweg, Wertester! schrie er, ich hab's gefunden, ich hab'sgefunden, kehrt seinen Namen um, es ist der Satan!

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Viertes Kapitel

    Das Manuskript

    So viel als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesemAbend noch in meiner Erinnerung; doch kostete es geraumeZeit, bis ich mich auf alles wieder besinnen konnte; ich mu ineinem langen, tiefen Schlaf gewesen sein, denn als ich erwachte,stand Jean vor mir und fragte, indem er die Gardine fr dieMorgensonne ffnete, ob jetzt der Kaffee gefllig sei?

    Es war eilf Uhr; wo war denn die Zeit zwischen gestern undheute hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bettgekommen sei?

    Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbaremLcheln, das msse ich besser wissen, als er.

    Ah! ich erinnere mich, sagte ich leichthin, um meineUnwissenheit zu verbergen, nach der Abendtafel....

    Verzeihen der Herr Doktor, unterbrach mich der

    Geschwtzige; Sie haben nicht soupiert; Sie waren ja alle zuTee und Punsch auf Nr. 15.

    Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen; ist der Herr Professorschon auf?

    Wissen Sie denn nicht, da sie schon abgereist sind? fragteder Kellner.

    Kein Wort! versicherte ich staunend.

    Er lt sich Ihnen noch vielmal empfehlen, und Sie mchtendoch in T. bei ihm einsprechen; auch lt er Sie bitten, seinerund des gestrigen Abends recht oft zu gedenken, er habe es jagleich gesagt.

    Aha, ich wei schon, sagte ich, denn mit einem Mal fiel mirein Teil des gestern Erlebten ein; wann ist er denn abgereist?

    Gleich in der Frhe, antwortete jener, noch vor demkonomierat und dem Herrn Oberforstmeister.

    Wie? so sind auch diese weggereist?Ei ja! rief der staunende Kellner, so wissen Sie auch das

    nicht? auch nicht, da Frau von Thingen und die gndige Frauvon Trbenau

    Sie sind auch nicht mehr hier?

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Kaum vor einer halben Stunde sind die gndige Frauweggefahren, versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zusehen, ob ich nicht trume, aber es war und blieb so; Jean standnach wie vor an meinem Bette und hielt das Kaffeebrett in der

    Hand.Und Herr von Natas? fragte ich kleinlaut.Ist noch hier; ach das ist ein goldener Herr, wenn der nicht

    gewesen wre, wir wren heute nacht in die grte Verlegenheitgekommen.

    Wieso?Nun bei der Fatalitt mit der Frau von Trbenau; wer htte

    aber auch dem gndigen Herrn zugetraut, da er so gut zur Ader

    zu lassen verstnde?Zur Ader lassen? Herr von Natas?Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr frhzeitig zu Bette

    gegangen, und haben eine ruhigere Nacht gehabt, als wir; Jeanbelehrte mich in leichtfertigem Ton: es mochte kaum eilf Uhrgewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei

    Was fr eine Geschichte mit der Polizei?

    Nun, Nr. 15 ist vorn heraus, und weil, mit Permi zu sagen,dort ein ganz hllischer Lrm war, so kam die Runde ins Hausund wollte abbieten; Herr von Natas aber, der ein guterBekannter des Herrn Polizeilieutenants sein mu, beruhigte sie,da sie wieder weitergingen. Also gleich nachher kam dasKammermdchen der Frau von Trbenau herabgestrzt, ihregndige Frau wolle sterben. Sie knnen sich denken, wieunangenehm so etwas in einem Gasthof nachts zwischen eilfund zwlf Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf, auf der Treppebegegnet uns Herr von Natas, fragt, was das Rennen und Laufenzu bedeuten habe, hrt kaum wo es fehlt, so luft er in seinZimmer, holt sein Etui, und ehe fnf Minuten vergehen, hat erder gndigen Frau am Arm mit der Lanzette eine Ader geffnet,da das Blut in einem Bogen aufsprang; sie schlug die Augenwieder auf und es war ihr bald wohl, doch versprach Herr von

    Natas, bei ihr zu wachen.Ei! was Sie sagen, Jean! rief ich voll Verwunderung.Ja warten Sie nur! kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der

    Tanz von neuem los; auf Nr. 18 lutete es, da wir meinten, esbrenne drben in Kassel; des Herrn konomierats Rosalie hatte

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    ihre histrionischen Anflle bekommen; der Alte mochte ein Glasber Durst haben, denn er sprach vom Teufel, der ihn und seinKind holen wolle; wir wuten nichts anderes, als wieder unsereZuflucht zu Herrn von Natas zu nehmen; er hatte versprochen,

    bei Frau von Trbenau mit dem Kammermdchen zu wachen;aber lieber Gott! geschlafen mu er haben wie ein Dachs, dennwir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort gab, und dieKammerkatze war nun gar nicht zu erwecken.

    Nun, und lie er der schnen Rosalie zur Ader?Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei

    Handbreit aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegebenhaben.

    Armer Professor! dachte ich, dein hbsches Rschen mit ihrensechzehn Jhrchen, und dieser Natas in traulicher Stille derNacht, ein Pflaster auf das pochende Herz pappend.

    Der Herr Papa konomierat war wohl sehr angegriffen durchdie Geschichte? fragte ich, um ber die Sache ins klare zukommen.

    Es schien nicht, denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit

    dem Hirschhorngeist aus der Apotheke zurckkam. Aber eslutet im zweiten Stock und das gilt mir. Er sprach's und flogpfeilschnell davon.

    So war also mit einem Male die lustige Gesellschaft zerstoben;und doch wute ich nicht, wie dies alles so pltzlich kommenkonnte. Ich entsann mich zwar, da gestern bei dem Punschetwas Sonderbares vorgefallen war; was es aber gewesen seinmochte, konnte ich mich nicht erinnern.

    Sollte Natas mir Aufschlu geben knnen? Doch, wenn ichrecht nachsann, mit Natas war etwas vorgefallen; der Professorschwankte in meiner Erinnerung umher am besten deuchtemir, zu Natas zu gehen und ihn um die Ursache des schnellenAufbruchs zu befragen.

    Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit derkurzen Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes

    Billet:

    Ew. Wohlgeboren wrden mich unendlich verbinden, wenn Sievor meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist,mich noch einmal besuchen wollten.

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    v. Natas.

    Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertigzwischen Koffern und Kstchen stehen. Er kam mir mit seinergewinnenden Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich einunverkennbarer Zug von Ironie, der heute um seinen Mundspielte, und den ich sonst nie an ihm bemerkt hatte.

    Er lachte mich aus, da ich mich vor den Damen alsschwachen Trinker ausgewiesen und einen Haarbeutel mirumgeschnallt habe, erzhlte mir, da ich selig entschlafen sei,und fragte mit einem lauernden Blick, was ich noch von gesternnacht wisse.

    Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, erbelachte sie herzlich, und nannte sie Ausgeburten einer krankenPhantasie.

    Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer groenHerbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde; sieseien alle, sogar der morose konomierat dorthin gereist; ihnselbst aber rufen seine Geschfte den Rhein hinab.

    Die Zuflle der Trbenau und der schnen Rosalie ma erdem starken Punsch bei, und freute sich, durch Liebhabereigerade so viele medizinische Kenntnisse zu besitzen, um beisolchen kleinen Zufllen helfen zu knnen.

    Wir hrten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete diesund brachte von dem dankbaren Hotel eine Flasche des ltestenRheinweins. Natas hatte sie verdient, denn wahrlich nur er hatteuns so lange hier gefesselt.

    Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor? fragte er mich,whrend wir den narkotisch duftenden Abschiedstrunkausschlrften.

    Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Literatur?antwortete ich ihm; ich habe mich frher als Dichter versucht,aber ich sah bald genug ein, da ich nicht fr die Unsterblichkeitsinge. Ich griff daher einige Tne tiefer und bersetzte

    unsterbliche Werke fremder Nationen frs liebe deutschePublikum.Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte,

    und fragte mich, ob ich mich entschlieen knnte, die Memoireneines berhmten Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    vorhanden seien, zu bersetzen? Vorausgesetzt, da Siedechiffrieren knnen, ist es eine leichte Arbeit fr Sie, da ichIhnen den Schlssel dazu geben wrde, und das Manuskript imHochdeutschen abgefat ist.

    Ich zeigte mich, wie natrlich, sehr bereitwillig dazu,dechiffrieren verstand ich frher und hoffte es mit wenig bungvollkommen zu lernen. Er schlo ein schnes Kstchen vonrotem Saffian auf, und berreichte mir ein vielfachzusammengebundenes Manuskript. Die Zeichen krochen mir vordem Auge umher wie Ameisen in ihren aufgestrten Hgelchen,aber er gab mir den Schlssel seiner Geheimschrift und dieArbeit schien mir noch einmal so leicht.

    Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl; unter warmemDank fr seine Gte, die er noch zuletzt fr mich gehabt, fr dieschnen Tage, die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn anden Wagen; die Wagentre schlo sich, der Postillion hieb aufseine vier Rosse, sie zogen an und die interessante Erscheinungflog von hinnen; aber aus dem Innern des Wagens glaubte ichjenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von gestern her

    unter den Bruchstcken meiner Erinnerung bewahrte.Als ich die Treppe hinanstieg, hndigte mir der Oberkellnereinen Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meineneigenen Hnden zu bergeben befohlen; ich ri ihn auf

    Verehrter, Wertgeschtzter!Ich bin im Begriff, mein Ro zu besteigen und aus dieser

    Hhle des brllenden Lwen zu entfliehen. Ich sage Ihnenschriftlich Lebewohl, weil Sie aus der todhnlichen Betubung,die Sie hrter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Daunser frhliches Zusammenleben so schauerlich endigen mute!Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es ja klar, da dieserNatas nichts anderes als der leibhaftige Satan war!

    Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblick ber die Schulterund liest, was ich sage, aber dennoch schweige ich nicht. Denarmen konomierat und sein Tchterlein, die blasse Trbenau,

    meine schne Thingen, den Hauptmann und denOberforstmeister hat er in seinem Netz. Gott gebe, da er Sienicht auch gekdert hat. Mich hat er halb und halb, denn ichhabe allzu tief eingebissen, in seine mit chemischen Ideen

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    bespickte Angel. Ich reie mich los und mache, da ichfortkomme.

    Adieu Bester! Montag den 7. Oktober, frh 6 Uhr.Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurck. Ja, es

    war der Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war derTeufel dem es gestern Spa gemacht hatte, uns zu ngstigen; esmuten des Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.

    Wer stand mir aber dafr, da diese Schriftzge mir nichtdurch die Augen ins Hirn hinaufkrochen und mich wahnsinnigmachten; und konnte ich mich nicht gerade dadurch, da ichden Dechiffreur und Dekopisten des Satans machte, unbewut inseine Leibeigenschaft hineinschreiben?

    Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste demProfessor nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ichkeine Spur von irgendeinem der lustigen Gesellschaft in den DreiReichskronen. Entweder hat sie der Satan eingeholt, und inseinem achtsitzigen Wagen in sein ewiges Reich gehaudert, oderhatte er mich in den April geschickt. Das letztere schien mirwahrscheinlicher.

    In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an derDomkirche angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor, underhielt den Bescheid, ich solle so viele Messen darber lesenlassen, als das Manuskript Bogen enthalte. Der Rat schien mirnicht bel. Ich reiste in meine Heimat und schickte am nchstenSonntag den ersten Satans-Bogen in die Kirche. Probatum est;am Montag fing ich an, zu dechiffrieren, und habe noch nichtdas geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mirbemerkt.

    Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehrgehrt. Der Professor fhrt fort, durch seine Entdeckungen inder Chemie zu glnzen, und ich frchte, er ist auf dem Wege,dem Satan Gehr zu geben, der ihn zu einem Berzeliusmachenwill. Der Hauptmann soll sich erschossen haben, Frau vonThingen aber, die schne Witwe, hat, nach einer Anzeige im

    Hamburger Correspondenten, vor nicht gar langer Zeit wiedergeheiratet.

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    I

    Die Studien des Satanauf der berhmten Universitt ....en

    Betrogene Betrger!Eure Ringe sind alle drei nicht echt;der echte Ring vermutlich ging verloren.

    Lessing, Nathan.III. 7

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    Fnftes Kapitel

    Einleitende Bemerkungen

    Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in denSalons der groen und kleinen Residenzen, in den Ressourcenund Kasinos der Mittelstdte, in den Tabagien und Kneipen derkleien spricht man von Memoiren, urteilt nach Memoiren underzhlt nach Memoiren, ja es knnte scheinen, es sei seit zwlfJahren nichts Merkwrdiges mehr auf der Erde, als ihreMemoiren. Mnner und Frauen ergreifen die Feder, um denMenschen schriftlich darzutun, da auch sie in einermerkwrdigen Zeit gelebt, da auch sie sich einst in einerSonnennhe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosenPerson einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen.

    Gekrnte Hupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frhernGrandezza, wo sie, wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf demHaupt zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit,

    da sie auf Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum anderndurchfliegen, um sich gegenseitig von ihrer Freundschaftversichern, schreiben Memoiren fr ihre Vlker, erzhlen ihnenihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt ist zur Nachweltgemacht worden, man hat ihr einen neuen Mastab, wornach siedie Handlungen richte, in die Hnde gegeben es sind dieMemoiren.

    Groe Generale, berhmte Marschlle, weit entfernt, dasBeispiel jenes Rmers nachzuahmen, der in der Mue desFriedens die Taten der Legionen unter seiner Fhrung derNachwelt wrdig zu berliefern glaubte, wenn er von sich nurimmer in der dritten Person sprche, haben den bescheidenerenWeg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es Mnnern vonsolchem Gewichte ziemt als ich,bauen aus ihren Memoiren einOdeon in verjngtem Mastabe, und treten herzhaft vorne auf

    der Bhne auf. Mit Schlachtstcken im groen Stil dekorieren siedie Kulissen, Staatsmnner und berhmte Damen, die groeArmee und ihre lorbeerbekrnzten Adler, die ganze Mitweltstellen sie im Hintergrund als Figuranten auf, sie selbst aberspielen ihre Sulla oder Brutus wrdig des unsterblichen Talma.

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    Mundus vult decipi, d.i. die Leute lesen Memoiren; was hltmich ab, denselben auch ein solches Gericht Gerngesehenvorzusetzen?

    Man wendet vielleicht ein, der Schuster bleibe bei seinem

    Leisten, der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreibenabzugeben. Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan docheinen Beruf htte, Memoiren in die Welt zu streuen, wenn erdoch so viel oder noch mehr gesehen htte, als jenekriegerischen Diplomaten oder diplomatischen Krieger, welchedie Welt mit ihrem literarischen Ruhme anfllen, nachdem dieBulletins ihrer Siege zu erwhnen aufgehrt haben; wenn nundieser arme Teufel einen Drang in sich fhlte, auch fr einen

    homo literatus zu gelten?Ja, ich gestehe es mit Errten, je lnger ich mich in meinem

    lieben Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reit esmich hin, zu schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist,die Finger mit Dinte zu beschmutzen, so wird es doch demTeufel auch noch erlaubt sein?

    Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt

    vielleicht gegen meine schriftstellerischen Versuche, ich sei keinLiteratus, kein Mann vom Gewerbe etc. Aber frs erste habe ichsoeben die Damen, welche, wenn sie noch so gelehrt, dochkeine Gelehrte von Profession sind, anzufhren die Ehre gehabt;sodann berufe ich mich auf jene Shne des Lagers, die unterGefahren gro geworden, unter Strapazen ergraut, keine Zeithatten, Humaniora zu studieren, und dennoch so glnzendeMemoiren schreiben; ich behaupte drittens, da das Vorurteil,ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist, denn ich bin inoptima forma Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinenMemoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiaufweisen.

    Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan meineMemoiren auszuarbeiten bekannt machte, warnte mich mitbedenklicher Miene vor den sogenannten Rezensenten. Er gab

    mir zu verstehen, da ich bel wegkommen knnte, indemsolche niemand schonen, ja sogar neuerdings selbst Doktorender Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart mitgenommenhaben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, da dasSprichwort clericus clericum non decimat fglich auch auf

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    mein Verhltnis zu den Rezensenten angewandt werden knne;werde ich ja doch schon im Alten Testament satn adversarius,das ist Widersacher genannt, was ganz auch auf jene passe; denschlagendsten Beweis nehme ich aber aus dem Neuen

    Testament; dort werde ich diabolos oder Verleumder genannt,da nun diaballein soviel sei als acerbe recensere, so msse er,wenn er nur ein wenig Logik habe, den Schlu von selbst ziehenknnen.

    Der Erzengel bekam, wie natrlich, nicht wenig Respekt vormeiner Gelehrsamkeit in Sprachen, und meinte selbst, da esmir auf diese Art nicht fehlen knne.

    Man wird bei Durchlesung dieser Mitteilungen aus meinen

    Memoiren vielleicht nicht jenes systematische, ruhigeFortschreiten der Rede finden, das den Werken tiefdenkenderGeister so eigen zu sein pflegt. Man wird krzere und lngereBruchstcke aus meinem Walten und Treiben auf der Erdefinden, und den innern Zusammenhang vermissen.

    Man tadle mich nicht deswegen; es war ja meine Absichtnicht, ein Gemlde dieser Zeit zu entwerfen, man trifft deren

    genug in allen soliden Buchhandlungen Deutschlands.Der Memoirenschreiber hat seinen Zweck erreicht, wenn ersich und seine Stellung zu der Zeit, welcher er angehrt, darstelltund darber reflektiert, wenn er Begebenheiten entwickelt, dieentweder auf ihn oder die Mitwelt nhere oder entferntereBeziehungen haben, wenn er berhmte Zeitgenossen und seineVerhltnisse zu ihnen dem Auge vorfhrt. Und dieseForderungen glaube ich in meinen Memoiren erfllt zu haben, siesind es wenigstens, die mich bei meiner Arbeit leiteten, diemeine Khnheit vor mir rechtfertigen, vor einem gelehrtenPublikum als Schriftsteller aufzutreten.1

    ber Persnlichkeit, ber berhmte Abstammung oderglnzende Verhltnisse hat der Teufel nichts zu sagen. Was etwadarber zu sagen sein knnte, habe ich in dem AbschnittBesuch bei Goethe ausgesprochen, und verweise daher den

    Leser dahin.Fleiige Leser, d.i. solche, die Bogen fr Bogen in einerViertelstunde durchfliegen, mgen daher doch diesen Abschnittnicht berschlagen, da er sehr zu besserem Verstndnis derbrigen eingerichtet ist; sittsamen und ordentlichen Lesern habe

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    ich hierber nichts zu sagen, als sie sollen das Buch weglegen,wenn sie sich langweilen.

    Ehe sein Diener mit dem zweiten Bogen aus der Messezurckkommt, hat der Unterzeichnete noch Zeit, einigeBemerkungen einzuflicken. Es scheint ihm nmlich, der Satanbesitze eine ziemliche Dosis Eitelkeit; man bemerke nur, wiewichtig er von jenem Abschnitt spricht, worin er ber sich einigeBemerkungen macht; es wre genug gewesen, wenn er nurangedeutet htte, da dies oder jenes darin zu finden sei, aberdem Leser zu empfehlen, er mchte doch den Abschnitt, inwelchem jene enthalten sind, nicht berschlagen, ist sehr

    anmaend.Sodann die Unordnung, in welcher er alles vorbringt! Ein

    anderer, wie z.B. der Herausgeber htte doch, wenn auch nichtmit dem Taufschein, was nun freilich beim Teufel nicht wohlmglich ist, doch wenigstens mit der Begebenheit angefangen,die der Chronologie nach die erste ist. Ich habe das Manuskriptflchtig durchblttert (zu lesen, ehe jeder Bogen hinlnglich

    geweiht, nehme ich mich wohl in acht), und fand, da er mitEreignissen anfngt, die der ganz neuen Zeit angehren, undnachher in buntem Gemische Menschen und ihre Taten vonzehn, zwanzig Jahren her auftreten lt; man sieht wohl, da erkeine gute Schule gehabt haben mu.

    Zu grerer Deutlichkeit, und da der geneigte Leser trotzdem Teufel whlen kann was er will, habe ich den Inhalt jedemeinzelnen Kapitel vorangesetzt.

    Der Herausgeber

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    Sechstes Kapitel

    Wie der Satan die Universitt bezieht, und welche

    Bekanntschaften er dort machte

    Deutschland hat mir von jeher besonders wohl gefallen, und ichgestehe es, es liegt diesem Gestndnis ein kleiner Egoismuszugrunde; man glaubt nmlich dort an mich wie an dasEvangelium; jenen khnen philosophischen Waghlsen, die aufdie Gefahr hin, da ich sie zu mir nehme, meine Existenzgeleugnet und mich zu einem lcherlichen Phantom gemachthaben, ist es noch nicht gelungen, den glcklichen Kindersinndieses Volkes zu zerstren, in dessen ungetrbter Phantasie ichnoch immer schwarz wie ein Mohr, mit Hrnern und Klauen, mitBocksfen und Schweif fortlebe, wie ihre Ahnen mich gekannthaben.

    Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklrung soweit hinaufgeschraubt sind, da sie, ich schweige von einem

    Gott, sogar an keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unterdiesem Volke sogar meine Erbfeinde, die Theologen, dafr, daich im Ansehen bleibe. Hand in Hand mit dem Glauben an dieGottheit schreitet bei ihnen der Glaube an mich, und wie ofthabe ich das mir so se Wort aus ihrem Munde gehrt:Anathema sit, er glaubt an keinen Teu el.f

    Ich kann mich daher recht rgern; da ich nicht schon frher

    auf den vernnftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeitauf einer Universitt zu verleben, um dort zu sehen, wie manmich von Semester zu Semester systematisch traktiert.

    Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt istjetzt zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wennich einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, damir ein guter Schulsack, etwas Philosophie, alte Literatur, jasogar etwas Medizin fehle; zwar, als das Magnetisieren aufkam,

    habe ich auch einen Kursus bei Memer genommen, undnachher manche glckliche Kur gemacht. Aber damit ist esheutzutage nicht getan; daher die elenden Sprichwrter, die inDeutschland kursieren: ein dummer Teufel, ein armer Teufel, ein

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    unwissender Teufel, was offenbar auf meine vernachlssigtewissenschaftliche Bildung hindeuten soll.

    Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich binvom Himmel gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschlo

    ich mich, zu studieren, und womglich es in der Philosophie soweit zu bringen, da ich ein ganz neues System erfnde, wovonich mir keinen geringen Erfolg versprach. Ich whlte ....en, undzog im Herbst des Jahres 1819 daselbst auf.

    Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versumt, michmeinem neuen Stande gem zu kostumieren. Mein Name warvon Barbe,meine Verhltnisse glnzend, das heit, ich brachteeinen groen Wechsel mit, hatte viel bar Geld, gute Garderobe,

    und htete mich wohl, als Neuling, oder wie man sagt, als Fuchsaufzutreten; sondern ich hatte schon allenthalben studiert, michin der Welt umgesehen.

    Kein Wunder, da ich schon den ersten Abend hflicheGesellschafter, den nchsten Morgen vertraute Freunde, und amzweiten Abend Brder auf Leben und Tod am Arm hatte. Mandenkt vielleicht, ich bertreibe? wre ich Kavalier, so wrde ich

    auf Ehre versichern und Holmichderteufel alsVerstrkungspartikel dazusetzen (denn auf Ehre undHolmichderteufel verhalten sich zueinander wie der Spiritus leniszum Spiritus asper), in meiner Lage kann ich blo meine Paroleals Satan geben.

    Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich diesaber folgendermaen: man kann sich denken, da ich nichtunvorbereitet kam; wer die deutschen Universitten nur entferntkennt, wei, da ein an Sprache, Sitte, Kleidung undDenkungsart von der brigen Welt ganz verschiedenes Volk dortwohnt. Ich las des unsterblichen Herrn von Schmalz Werke berdie Universitten, Sands Aktenstcke, Haupt berBurschenschaften und Landsmannschaften etc., ward aber nochnicht recht klug daraus, und merkte, da mir noch manchesabging. Der Zufall half mir aus der Not. Ich nahm in F. einen

    Platz in einer Retourchaise; mein Gesellschafter war ein alterStudent, der seit acht Jahren sich auf die Medizin legte. Er hattedas savoir vivre eines alten Burschen, und ich befli mich in densechs Stunden, die ich mit ihm der Musenstadt zufuhr, an ihmmeine Rolle zu studieren.

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    Er war ein groer wohlgewachsener Mann von 24 25Jahren, sein Haar war dunkel und mochte frher nach heutigerMode zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus dieKosten scheute, es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf,

    doch bemhte er sich, solches oft mit fnf Fingern aus der Stirnezu frisieren. Sein Gesicht war schn, besonders Nase und Mundedel und fein geformt, das Auge hatte viel Ausdruck, aber welchsonderbaren Eindruck machte es; das Gesicht war von derSonne rotbraun angelaufen; ein groer Bart wucherte von denSchlfen bis zum Kinn herab, und um die feinen Lippen hing einvom Bier gerteter Henri quatre.

    Sein Mienenspiel war schrecklich und lcherlich zugleich, die

    Augbrauen waren zusammengezogen und bildeten dstereFalten; das Auge blickte streng und stolz um sich her, und majeden Gegenstand mit einer Hoheit, einer Wrde, die einesKnigsohnes wrdig gewesen wre.

    ber die unteren Partien des Gesichtes, namentlich ber dasKinn konnte ich nicht recht klug werden, denn sie staken tief inder Krawatte. Diesem Kleidungsstck schien der junge Mann bei

    weitem mehr Sorgfalt gewidmet zu haben, als dem brigenAnzug; diese beilufig einen halben Schuh Hhe messende Bindevon schwarzer Seide zog sich, ohne ein Fltchen zu werfen, vondem Kinn inklusive bis auf das Brustbein exklusive, und bildeteauf diese Art ein feines Mauerwerk, auf welchem der Kopf ruhte;seine Kleidung bestand in einem weigelben Rock, den erFlaus, in zrtlichen Augenblicken wohl auch Gottfriednannte, und welchem er von Speisen und Getrnken mitteilte;dieser Gottfried Flausreichte bis eine Spanne ber das Knie undschlo sich eng um den ganzen Leib; auf der Brust war er offenund zeigte, soviel die Krawatte sehen lie, da der HerrStudiosus mit Wsche nicht gut versehen sein msse.

    Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Samtschlossen sich an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlichgeformt und dienten ungeheuern Sporen von poliertem Eisen zur

    Folie.Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stckchen rotes Tuchin Form eines umgekehrten Blumenscherben gehngt, das er mitvieler Kunst gegen den Wind zu balancieren wute; es sah

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    komisch aus, fast wie wenn man mit einem kleinen Trinkglas eingroes Kohlhaupt bedecken wollte.

    Ich hatte Zacharis unsterblichen Renommisten zu gutstudiert, um nicht zu wissen, da, sobald ich mir eine Ble

    gegen den Herrn Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewigverloren sei; ich merkte ihm daher seine Augenbrauenfalten,sein ernstes, abmessendes Auge, soviel es ging, ab, und hattedie Freude, da er mich gleich nach der ersten Stunde auffallendvor dem Philister und dem Florbesen, auf deutsch einem altenProfessor und seiner Tochter, welche unsere brigeReisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweitenStunde hatte ich ihm schon gestanden, da ich in Kiel studiert

    und mich schon einigemal mit Glck geschlagen habe, und ehewir nach .....gen einfuhren, hatte er mir versprochen, eine fixeKneipe das heit eine anstndige Wohnung auszumitteln, wieauch mich unter die Leute zu bringen.

    Der Herr Studiosus Wrger, so hie mein Gesellschafter, liean einem Wirtshaus vor der Stadt anhalten, und lud mich ein,seinem Beispiele zu folgen, und hier auf die Beschwerden der

    Reise ein Glas zu trinken. Die ganze Fensterreihe desWirtshauses war mit roten und schwarzen Mtzen bedeckt, eswar nmlich eine gute Anzahl der Herren Studiosi hierversammelt, um die neuen Ankmmlinge, die gewhnlich amAnfang des Semesters einzutreffen pflegen, nach gewohnterWeise zu empfangen. Wrger, der alte lngst bemoosteBursche, hatte sich schon unterwegs mit dem Gedankengekitzelt, da seine Kameraden uns fr Fchse halten werden,und wirklich traf seine Vermutung ein.

    Ein Chorus von wenigstens 30 Bssen scholl von den Fensternherab, sie sangen ein berhmtes Lied, das anfngt:

    Was kommt dort von der Hh!

    Whrend des Gesanges entstieg mein Gefhrte majesttisch der

    Chaise, und kaum hatte er den Boden berhrt, so erhob er seinfurchtbares Haupt, und schrie zu den Fenstern empor:Was schlagt ihr fr einen Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht,

    da zwei alte Huser aus diesem Philisterkarren gestiegenkommen? (auf deutsch: lrmt doch nicht so sehr, meine

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    Herren, Sie sehen ja, da zwei alte Studenten aus dem Wagensteigen.)

    Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner:Wrger! du altes fideles Haus! schrien die Musenshne, und

    strzten die Treppen herab in seine Arme; die Rauchervergaen, ihre langen Pfeifen wegzulegen, die Billardspielerhielten noch ihre Queues in der Hand. Sie bildeten eineLeibwache von sonderbarer Bewaffnung um denAngekommenen.

    Doch der Edelmtige verga in seiner Glorie auch meinernicht, der ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich denltesten und angesehensten Mnnern der Gesellschaft vor, und

    ich wurde mit herzlichem Handschlag von ihnen begrt. Manfhrte uns in wildem Tumult die Treppe hinan, man setzte michzwischen zwei bemooste Huser an den Ehrenplatz, gab mir eingroes Paglas voll Bier und ein Fuchs mute dem neuenAnkmmling seine Pfeife abtreten.

    So war ich denn in .....en als Student eingefhrt, und ichgestehe, es gefiel mir so bel nicht unter diesem Vlkchen. Es

    herrschte ein offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nichtin den Fesseln der Konvenienz, die gewi dem Teufel amlstigsten sind, umherzuschleppen, man sprach und dachte, wiees einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt, da ich gerade imHerbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht wundern, daich mich von Anfang gar nicht recht in die Konversation zufinden wute. Denn einmal machten mir jene Kunstwrter(termini technici) von welchen ich oben schon eine kleine Probegegeben habe, viel zu schaffen; ich verwechselte oft Sau, dasGlck, mit Pech, was Unglck bedeutet, wie auch holzen,mit einem Stock schlagen, mit pauken, mit andern Waffensich schlagen.

    Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn nmlich nichtvon Hunden, Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochenwurde, so fiel man hinter dem Bierglas in ungemein

    transzendentale Untersuchungen, von welchen ich anfangswenig oder gar nichts verstand, ich merkte mir aber dieHauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in dieKonversation gezogen wurde, so antwortete ich mit ernsterMiene Freiheit, Vaterland, Deutschtum, Volkstmlichkeit.

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    Da ich nun berdies ein groer Turner war, und eigentlichteufelmige Sprnge machen konnte, da ich mir berdiesnach und nach ein langes Haar wachsen lie, solches feinscheitelte und kmmte, einen zierlich ausgeschnittenen Kragen

    ber den deutschen Rock herauslegte, mich auch auf die Klingenicht bel verstand, so war es kein Wunder, da ich bald ingroes Ansehen unter diesem Volke kam. Ich benutzte diesenEinflu soviel als mglich, um die Leute nach meinen Ansichtenzu leiten und zu erziehen, und sie fr die Welt zu gewinnen.

    Es hatte sich nmlich unter einem groen Teil meinerKommilitonen ein gewisser frmmelnder Ton eingeschlichen, dermir nun gar nicht behagte und nach meiner Meinung sich auch

    nicht fr junge Leute schickte. Wenn ich an die jungen Herrn inLondon und Paris, in Berlin, Wien, Frankfurt etc. dachte, an dievergngten Stunden, die ich in ihrem Kreise zubrachte, wenn ichdiese Leute dagegenhielt, die ich ihren schnen hohen Wuchs,ihre krftigen Arme, ihren gesunden Verstand, ihre nichtgeringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht im Tanzsaal,nur zu berschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu lebhaftem

    Witz, zu feinem Spott, der das Leben wrzt und aufregt,anwenden sah, wenn ich sie, statt schnen Mdchennachzufliegen, in die Kirche schleichen sah, um einen ihrerorthodoxen Professoren anzuhren, so konnte ich ein widrigesGefhl in mir nicht unterdrcken.

    Sobald ich daher festen Fu gefat hatte, zog ich einigelustige Brder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnenergtzliche Lieder vor, wute sie durch Witz und dergleichen sozu unterhalten, da sich bald mehrere anschlossen. Jetzt machteich khnere Angriffe. Ich stellte mich sonntags mit meinenGesellen vor die Kirchtre, musterte mit gebtem Auge dievorbergehenden Damen, zog dann, wenn die Schflein innenwaren, und der Kster den Stall zumachte, mit den Meinigen inein Wirtshaus der Kirche gegenber, und bot alles auf, die Gstebesser zu unterhalten, als der Dr. N. oder der Professor N. in der

    Kirche seine Zuhrer.Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die grere Partie aufmeiner Seite. Die Frmmeren schrieen von Anfang ber denrohen Geist, der einreie; gaben zu bemerken, da wirchristliche Bursche seien; aber es half nichts, meine Persiflagen

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    hatten so gute Wirkung getan, da sie sich am Ende selbstschmten, in der Kirche gesehen zu werden, und es gehrte zumguten Ton, jeden Sonntag vor der Kirchtr zu sein, aber bishieher und nicht weiter. Die Wirtshuser waren gefllter als je,

    es wurde viel getrunken, ja es ri die Sitte ein, Wettkmpfe imTrinken zu halten und, man wird es kaum glauben, es gab sogareigentliche Kunsttrinker!

    Es predigte zwar mancher gegen das einreiende Verderben,aber die Altdeutschen trsteten sich damit, da ihreAltvordern auch durch Trinken exzelliert haben; dieFrmmsten lieen sich groe Humpen verfertigen und zwangenund mhten sich so lange, bis sie wie Gtz von Berlichingen,

    oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten. DenFeineren, Gebildeteren war es natrlich vom Anfang auch einGreuel, ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagtnmlich in seinem unbertrefflichen Quintus Fixlein:

    Jerusalem bemerkt schn, da die Barbarei, die oft harthinter dem schnsten, buntesten Flor der Wissenschaftenaufsteigt, eine Art von strkendem Schlammbad sei, um die

    berfeinerung abzuwenden, mit der jener Flor bedrohe; ichglaube, da einer, der erwgt, wie weit die Wissenschaften beieinem Studierenden steigen, dem Musensohne ein gewissesbarbarisches Mittelalter das sogenannte Burschenleben gnnen werde, das ihn wieder so sthlt, da die Verfeinerungnicht ber die Grenze geht.

    Wenn ein Meister, wie Jean Paul, dem ich hiemit fr dieseStelle meinen herzlichen Dank ffentlich sage, also sichausspricht, was konnten die Kleinmeister und Jnger dagegen?Sie setzten sich auch in die schwarzgerauchte Kneipe,verschlammten sich recht tchtig in dem barbarischenMittelalter, und hatten kraft ihres inwohnenden Genies meinelteren Zglinge bald berholt.

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    Siebentes Kapitel

    Satan besucht die Kollegien, was er darin lernte

    Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte undleben machte, verga ich auch das dic cur hic nicht, und legtemich mit Ernst aufs Theoretische.Ich hrte die Philosophen undTheologen, und hospitierte nicht unfleiig bei den Juristen undMedizinern. Ich hatte, um zuerst ber die Philosophen zu reden,von einem der hellsten Lichter jener Universitt, wenn in derFerne von ihm die Rede war, oft sagen hren, der Kerl hat denTeufel im Leib. Eine solche geheimnisvolle Tiefe, wollte manbehaupten, solche berschwengliche Gedanken, solcheGedrungenheit des Stils, eine so hinreiende Beredsamkeit seinoch nicht gefunden worden in Israel. Ich habe ihn gehrt undverwahre mich feierlich vor jenem Urteil, als ob ich in ihmgesessen wre. Ich habe schon viel ausgestanden in der Welt,ich bin sogar Ev. Matthi am VIII. 31 u. 32 in die Sue gefahren,

    aber in einen solchen Philosophen? Nein, da wollte ich michdoch bedankt haben.

    Was der gute Mann in seinem schlfrigen unangenehmen Tonvorbrachte, war fr seine Zuhrer so gut als Franzsisch freinen Eskimo. Man mute alles gehrig ins Deutsche bersetzen,ehe man darber ins klare kam, da er ebensowenig fliegenknne, wie ein anderer Mensch auch. Er aber machte sich gro,

    weil er aus seinen Schlssen sich eine himmelhohe Jakobsleitergezimmert und solche mit mystischem Firnis angepinselt hatte;auf dieser kletterte er nun zum blauen ther hinan, versprachaus seiner Sonnenhhe herabzurufen, was er geschaut habe, erstieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken stie, blicktehinein in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem grnenGrasboden noch viel hbscher ausnimmt, als oben, und sah wieSancho Pansa, als er auf dem hlzernen Pferd zur Sonne ritt,

    unter sich die Erde so gro wie ein Senfkorn und die Menschenwie Mcken, ber sich nichts.

    Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art wie dieMnner von Babel, die einen groen Leuchtturm bauen wolltenfr alles Volk, damit sich keines verlaufe in der Wste, und siehe

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    da, der Herr verwirrte ihre Sprache, da weder Meister nochGesellen einander mehr verstanden.

    Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er lasber die Logik und deduzierte jahrein jahraus, da zweimal zwei

    vier sei, und die Herren Studiosi schrieben ganze Ste vonHeften, da zweimal zwei vier sei. Dieser Mann blieb dochordentlich im Blachfeld und wanderte seinem Ziele mit grererGelassenheit zu, als seine illustren Kollegen, die, wenn einanderer ihr Gewsche nicht Evangelium nannte, Antikritiken undMetakritiken der Antikritiken in alle Welt aussandten.

    Ich gestehe redlich, der Teufel amsiert sich schlecht bei sobewandten Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern

    Hrsaal ein, wo man ber die Seele des Menschen dozierte.Gerechter Himmel! wenn ich so viel Umstnde machen mte,um eine lderliche Seele in mein Fegefeuer zu deduzieren! DerMensch auf dem Katheder malte die Seele auf eine groeschwarze Tafel, und sagte, so ist sie, meine Herren, damit warer aber nicht zufrieden, er behauptete, sie sitze oben in derZirbeldrse.

    Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen.Um meine Leute nher kennenzulernen, beschlo ich, an einemSonntag nach der Kirche einem oder dem andern meine Visiteabzustatten. Ich kleidete mich ganz schwarz, da ich ein ziemlichtheologisches Air hatte, und trat meinen Marsch an; man hattemir vorhergesagt, ich sollte keinen zu voreiligen Schlu auf denreinen und frommen Charakter dieser Mnner machen; sie seienetwas nach dem alttestamentarischen Kostm, vernachlssigenuere Bildung, und fallen dadurch leicht ins Linkische.

    Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat ich in das Zimmer desersten Theologen. Aus einer blulichen Rauchwolke erhob sichein dicker ltlicher Mann in einem grogeblmten Schlafrock,eine ganz schwarze Meerschaumpfeife in der Hand. Er machteeinen kurzen Knicks mit dem Kopf und sah mich dannungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm auseinander, wie

    mich die Philosophie gar nicht befriedige, und da ich gesonnensei, einige theologische Kollegien zu besuchen. Er murmelteeinige unverstndliche, aber wie es schien, gelehrteBemerkungen, verzog beifllig lchelnd den Mund und schritt imZimmer auf und ab.

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    Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zubegleiten, voraus, und schritt in ebenso gravittischen Schrittenneben ihm her, indem ich aufmerksam lauschte, was seingelehrter Mund weiter vorbringen werde. Vergebens! Er grinzte

    hie und da noch etwas weniges, sprach aber kein Wort weiter,wenigstens verstand ich nichts als die Worte: Pfeife rauchen?ich merkte, da er mir hflich eine Pfeife anbiete, konnte aberkeinen Gebrauch davon machen, denn er rauchte wahrhaftigeine gar zu schlechte Nummer.

    Ich habe mir schon lange abgewhnt, ber irgend etwas inVerlegenheit zu geraten, sonst htte dieses absurde Schweigendes Professors mich gnzlich auer Fassung gebracht. So aber

    ging ich gemchlich neben ihm her, kehrte um, wenn erumkehrte, und zhlte die Schritte, die sein Zimmer in der Lngema. Nachdem ich das alte Ameublement, die verschiedenenKleider- und Wscherudera, die auf den Sthlen umherlagen,das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches gemustert hattewagte ich meine prfenden Blicke an den Professor selbst. SeinAussehen war hchst sonderbar. Die Haare hingen ihm dnn

    und lang um die Glatze, die gestrickte Schlafmtze hielt er unterdem Arm. Der Schlafrock war an den Ellbogen zerrissen, undhatte verschiedene Lcher, die durch Unvorsichtigkeithineingebrannt schienen. Das eine Bein war mit einemschwarzseidenen Strumpf und der Fu mit einem Schnallenschuhbekleidet, der andere stak in einem weiten, abgelaufenenFilzpantoffel, und um das halbentblte Bein hing ein gelblicherSocken. Ehe ich noch whrend dem unbegreiflichenStillschweigen des Theologen meine Bemerkungen weiterfortsetzen konnte, wurde die Tre aufgerissen, eine groe drreFrau mit der Rte des Zornes auf den schmalen Wangen, strzteherein.

    Nein, das ist doch zu arg, Blasius! schrie sie, der Kster istda und sucht dich zum Abendmahl; der Dekan steht schon vordem Altar und du steckst noch im Schlafrock?

    Wei Gott, meine Liebe, antwortete der Doktor gelassen,das habe ich hlich vergessen! doch sieh, einen Fu hatte ichschon zum Dienste des Herrn gerstet, als mir ein Gedankeeinfiel, der den Doktor Paulus weidlich schlagen mu.

  • 5/24/2018 Wilhelm Hauff - Mitteilungen Aus Den Memoiren Des Satan

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    Ohne darauf zu achten, da er sich beinahe der letzten Hlleberaube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreien, umauch seinen brigen Kadaver zum Dienst des Herrn zuschmcken; sein Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen

    Wendung vor ihn hin, und zog die weiten Falten ihrer Kleiderauseinander, da vom Professor nichts mehr sichtbar war.Sie verzeihen Herr Kandidat, sprach sie, ihre Wut kaum

    unterdrckend; er ist so im Amtseifer, da Sie ihnentschuldigen werden. Schenken Sie uns ein andermal dasVergngen. Er mu jetzt in die Kirche.

    Ich ging schweigend nach meinem Hut, und lie denEhemann unter den Hnden seiner liebenswrdigen Xanthippe.

    Ein schner Anfang in der Theologie! dachte ich, und die Lust,die brigen geistlichen Mnner zu besuchen, war mir gnzlichvergangen; doch beschlo ich, einige Vorlesungen mitanzuhren, was ich auch den Tag nachher ausfhrte.

    Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepfropft mitjungen Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten; Mtzen vonallen Farben und Formen, lange herabwallende, kurze

    emporsteigende Haare, Brte, an welchen sich ein Sappeur deralten Garde nicht htte schmen drfen, und kleine zierlicheStutzbrtchen, galante Fracks und hohe Krawatten, nebendeutschen Rcken und ellenbreiten Hemdkrgen; so saen diejungen geistlichen Herren im Kollegium; vor sich hatte jederseine Mappe, einen Sto Papier, Dinte und Feder, um die Worteder Weisheit gleich ad notam zu nehm