Wilhelm Voßkamp

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Wilhelm Vokamp

Methoden und Probleme der Romansoziologie

ber Mglichkeiten einer Romansoziologie als Gattungssoziologie

Roman und Gesellschaft sind in der romantheoretischen Diskussion seit jeher in eine besondere Beziehung zueinander gebracht worden: "Die Romane entstanden nicht aus dem Genie der Autoren allein die Sitten der Zeit gaben ihnen das Daseyn" heit es 1774 in Friedrich von Blanckenburgs Versuch ber den Roman,1 und August Wilhelm Schlegel formuliert 1798 in den Beytrgen zur Kritik der neuesten Litteratur: "Der Punkt, wo die Litteratur das gesellige Leben am unmittelbarsten berhrt, ist der Roman."2

Mit der sthetischen Emanzipation des Romans als gleichberechtigte literarische Gattung geht die Reflexion auf seine Affinitt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit einher: Romantheorie impliziert immer schon die Bestimmung der sthetischen Struktur des Romans im Verhltnis zu der ihm korrespondierenden sozialen Realitt. Insofern liefert die Tradition der berlieferten Romantheorie eine Vorgeschichte zur aktuellen Diskussion ber Roman und Gesellschaft, und literatursoziologische Fragestellungen der Gegenwart knpfen nicht selten an gerade von der Aufklrungspoetik und von der Frhromantik entwickelte Perspektiven bewut oder unbewut an.3

Wodurch ist die gegenwrtige wissenschaftliche Diskussion ber das Verhltnis von Roman und gesellschaftlicher Realitt charakterisiert? Inwieweit liefern vorliegende Ergebnisse der Romansoziologie Antworten auf diese Frage? Was leisten romansoziologische Anstze fr die Literaturwissenschaft?4

Von diesen Fragen ausgehend ergibt sich eine Zweiteilung dieses Beitrags, insofern im ersten Teil einige wichtige bisher vorliegende Anstze zur Romansoziologie in zugleich methodengeschichtlicher und methodenkritischer Absicht skizziert werden, whrend im zweiten Teil die so gewonnenen Aspekte systematisiert werden sollen unter der Fragestellung, inwieweit sie den Rahmen fr eine allgemeine Theorie der Konzeption der Romansoziologie als Gattungssoziologie liefern knnen. Ich gehe davon aus, da man "statt bloer Konfrontierung" auch in der Romansoziologie nur dann Fortschritte erreichen kann, wenn "man sich zu einer wechselseitigen Problematisierung von Grundannahmen und zu systematischen Vermittlungsversuchen" entschliet.5

I.

Insgesamt kann von der Romansoziologie wohl das gesagt werden, was ein Soziologe einmal sehr lakonisch ber die Literatursoziologie formulierte: Sie ist "immer noch eine Wissenschaft mit vielen Fragen und wenig gesicherten Antworten".6

berblickt man die gegenwrtigen Tendenzen der Romansoziologie, kann man parallel zur literatursoziologischen Diskussion (der Roman kann insofern als paradigmatisch gelten) ganz allgemein von einer durchaus "verwirrenden Vielfalt"7 unterschiedlicher Anstze sprechen. Am anschaulichsten dokumentiert findet sich dieser Pluralismus verschiedenster Richtungen in einer Reihe von Anthologien, von denen ich hier, stellvertretend, die von Hans Norbert Fgen: Wege zur Literatursoziologie (1968), Milton C. Albrecht, u. a.: The Sociology of Art and Literature (1970) und Joachim Bark: Literatursoziologie (1974) nennen mchte.8 Das verwirrende Panorama gegenwrtiger literatursozio-logischer Anstze wird zudem etwa in den Aufstzen von Philippi und Zmegac und in einem Beitrag von David H. Miles deutlich, wobei dieser den Begriff "Literatursoziologie" allerdings zu sehr ausweitet.9

Versucht man, die bisher vorliegenden Konzepte im Bereich der Romansoziologie auf die wichtigsten Hauptrichtungen und -tendenzen zurckzufhren, scheinen mir zwei grundstzlich divergierende Anstze von besonderer Bedeutung zu sein: Der eine ist charakteristisch durch die Thematisierung von Produktion, Distribution und Rezeption literarischer Texte. Der Roman wird dann, dementsprechend, untersucht im "Interaktionsgeflecht Gesellschaft Schriftsteller Verlagswesen und Buchhandel Leserschaft (Publikum) Normen des literarischen Geschmacks".10 Der andere Ansatz ist gekennzeichnet durch eine intensive Reflexion auf das literarische Werk selbst als Objektivation konkreter gesellschaftlicher Zusammenhnge, wobei die Beziehung bzw. Zuordnung von Roman und Gesellschaft als Aufgabe und Problem der literarischen Textanalyse selbst verstanden werden. Die sich aus diesen unterschiedlichen Fragestellungen ergebenden Methoden, so knnte man vereinfachend formulieren, sind abhngig davon, ob Romane mehr "als soziales Phnomen oder in ihrem [literarischen] Werkcharakter gesehen werden"11 oder wie es Robert Escarpit im Blick auf die Literatursoziologie insgesamt gegenbergestellt hat: Die Frage ist, ob Literatur als ein Aspekt des Soziologischen oder das Soziologische als ein Aspekt der Literatur betrachtet wird.12

Im ersten Fall lt sich bei den bisher vorliegenden soziologischen Arbeiten eine deutliche Dominanz empirisch-positivistischer Methoden beobachten, deren Kategorien nicht selten aus der kommunikationswissenschaft-lichen Forschung stammen, whrend im zweiten Fall geschichtsphilosophische Fragestellungen und Begrndungen eine erhebliche Rolle spielen. Diesem unterschiedlichen methodischen Ansatz im wissenschaftstheoretischen Bereich korrespondiert eine Divergenz im sthetischen: Whrend empirisch orientierte Arbeiten auch oder vor allem massenhaft verbreitete (Trivial- bzw. Unterhaltungs-)Romane analysieren,13 lt sich bei den geschichtsphilosophisch begrndeten Verfahrensweisen hufig eine Einengung auf Beispiele der sogenannten 'Hhenkammliteratur' beobachten. Freilich darf man bei dieser bewut scharf akzentuierenden Gegenberstellung nicht bersehen, da es auch Arbeiten gibt, die in der Praxis beide Positionen zu verbinden versuchen. Wichtig scheint mir jedoch, die beiden prinzipiell verschiedenen Anstze einer empirischen oder geschichtsphilosophischen Romansoziologie festzuhalten, um die allgemeine Frage ihrer mglichen produktiven Verbindung spter ausfhrlicher thematisieren zu knnen. Es geht also darum, da zwei unterschiedliche Anstze miteinander konfrontiert werden, um "die Schwchen des einen aus der Sicht des jeweils anderen kritisieren zu lassen", so da die Mglichkeit besteht, Spielrume fr Vergleich und Verstndigung zu gewinnen.14 Die entscheidende Frage ist, ob sich die beiden divergierenden romansoziologischen Anstze verbinden lassen und inwieweit dabei der Entwurf eines (im zweiten Teil dieses Aufsatzes zu erluternden) gattungssoziologischen Konzepts eine Rolle spielen kann.

II.

Dem empirisch- positivistischen Ansatz einer Literatur- und Romansoziologie kann man in der Bundesrepublik am besten an den Arbeiten von Hans Norbert Fgen15 und Alphons Silbermann16 ablesen.

Versucht Fgen, Literatursoziologie als Teilgebiet der allgemeinen Soziologie als Handlungswissenschaft zu definieren, bestimmt Silbermann den Roman als Gegenstand einer komplexen sozio-kulturellen Kommunikation innerhalb eines umfassenden sozialen Systems. Beide gehen davon aus, da der Roman, wie alle literarischen Texte, nicht als sthetisches Gebilde zum Gegenstand soziologischer Untersuchungen gemacht werden kann und demzufolge auch Fragen literarischer Wertung dem Literatursoziologen nicht zugemutet werden drfen.

Nicht sthetische Qualitten, sondern soziale Kriterien mssen es sein, die die Literatursoziologie zur Grundlage der Bestimmung dessen macht, was sie unter Literatur verstehen kann [...] Da die Soziologie das soziale, das intersubjektive Handeln zum Forschungsgegenstand hat, ist sie nicht am literarischen Werk als sthetischem Gegenstand interessiert, sondern Literatur wird nur insofern fr sie bedeutsam, als sich mit ihr, an ihr und fr sie spezielles zwischenmenschliches Handeln vollzieht.17Gegenstand der Literatursoziologie ist daher "die Interaktion der an der Literatur beteiligten Personen",18 wobei Fgen dieses spezielle zwischenmenschliche Handeln als "literarisches Verhalten" bezeichnet.19 Die Untersuchung 'literarischen Verhaltens' bedarf sowohl auf der Seite des Produzenten als auch auf seiten der Rezipienten von Romanen bestimmter analytischer Verfahren, wobei gerade der Bereich der Distribution (Buchverlag, Buchmarkt) von einer Reihe von literatursoziologischen Empirikern, etwa von Robert Escarpit vergl. seine Forderung nach einer "Sociologie du Livre" bzw. nach einer "Psycho-sociologie de la Lecture" , besonders beachtet worden ist.20

Hans Norbert Fgen hat in seiner literatursoziologischen Theorie mehrere Analyseverfahren zu unterscheiden und strker zu systematisieren versucht. Er spricht von der Notwendigkeit einer "Elementaranalyse" (Rollenanalyse, Beziehungen zwischen Rollentrgern: Autor Publikum), "Strukturanalyse" (Untersuchungen von Beziehungen der literarischen Institutionen untereinander); "Faktorenanalyse" (Einwirken des sozialen Systems auf literarische Systeme und umgekehrt) und "Funktionsanalyse" (Funktion einer literarischen Institution fr die Gesamtgesellschaft, Rckwirkungen auf das System der literarischen Institutionen), ohne da schon genauer deutlich wrde, wie diese Analyseschritte im einzelnen zu realisieren wren.21 Insgesamt konzentriert sich Fgens Methode auf eine soziologische Wirkungsanalyse bei den an der Interaktion mit Romanen beteiligten Personen und Institutionen, so da die Nhe zu einem (massen)kommunikationswissenschaftlichen Ansatz evident ist.

Bei Alphons Silbermann werden sowohl kommunikationswissenschaftliche Aspekte als auch die Frage der Interaktionsproblematik innerhalb der Kunstsoziologie besonders hervorgehoben. Auch Silbermann geht es nicht um eine Literatur- und Romansoziologie, die das sthetische thematisiert, sondern um das Problem der Wirkung von Literatur und um Fragen der Produktion bzw. Rezeption literarischer Texte:

In der Folge positivistischen Denkens geht die empirische Kunstsoziologie davon aus, mit der Kunst bzw. den Knstlern einen sozialen Proze gegenberzustellen, der sich als eine soziale Aktivitt manifestiert und daher zweier Partner bedarf: eines Gebers und eines Empfngers. Anders ausgedrckt, bedarf dieser Proze produzierender und konsumierender Gruppen innerhalb der Kunst-Gesellschaft, die durch Gruppenberhrung, Gruppenkonflikt, Gruppendynamik u. a. miteinander in Berhrung kommen. Dies nun nicht im Rahmen einer primitiven Denkbasis, die ausschlielich die Beziehung von Ursache und Wirkung kennt, sondern im Verhltnis von Interrelationen, Interaktionen und Interdependenzen Beziehungen, die einerseits Produzenten- und Konsumentengruppen unter- und miteinander verbinden und andererseits diese beiden Gruppen mit dem sozialen Kontext wie dem sozialen System insgesamt in Verbindung bringen.22Der Literatur- und Kunstsoziologie kann es nicht darum gehen, sich mit sthetischen Aspekten und knstlerischen Wertproblemen zu beschftigen. Silbermann weist jeden Anspruch in dieser Richtung entschieden zurck: Die empirische Kunstsoziologie "hlt [...] sich, im Gegensatz zu sthetischen Werttheorien gleich welcher Herkunft, fern von der Formulierung knstlerischer Normen und Werte: denn das Studium der sozialen Verflechtungen der Kunst dient nicht dazu, Natur und Essenz der Knste selbst zu erklren".23 Die einzelnen Verfahren, die Silbermann vorschlgt, sind experimentelle, statistische und interdisziplinre Arbeitsanstze mit dem Ziel, "Gesetze der Vorhersage zu entwickeln, die es ermglichen zu sagen, da, wenn dieses oder jenes geschieht, wahrscheinlich dies oder das folgen wird",24 wobei Silbermann allerdings darauf hinweist, da es fr eine Bearbeitung aller Fragen der empirischen Literatursoziologie einer umfassenden theoretischen Grundlage bedrfe, die "bis heute noch nicht zustande gekommen ist weder bei der positivistisch- empirischen noch bei der marxistisch-neomarxistischen Literatursoziologie".25

Mglichkeiten und Grenzen des Silbermannschen Ansatzes fr die Romansoziologie werden aus den wiedergegebenen und hervorgehobenen Textpassagen deutlich: Einerseits liefert Silbermann wichtige Hinweise im Blick auf eine Wirkungstheorie der Literatur, indem er sein besonderes Augenmerk auf die "Wirkekreise" der Literatur richtet,26 andererseits bedeutet die Ausklammerung des sthetischen (wie bei Fgen) einen erheblichen Mangel fr die Anwendung seiner kunstsoziologischen Kategorien im Bereich der Literaturwissenschaft. Hinzu kommt, da Silbermann offensichtlich von einem traditionellen Literaturverstndnis ausgeht, das am Erlebnisbegriff orientiert ist, damit aber modernen sthetischen Theorien nicht gengt.27 Die grten Schwierigkeiten bei der bernahme und Anwendung der kunst- und literatursoziologischen Kategorien Silbermanns und Fgens ergeben sich allerdings dadurch, da der historische Charakter sthetischer Gebilde und literarischer Formen weitgehend unbercksichtigt bleibt. Das mu als besonders problematisch bei einer literarischen Form wie dem Roman angesehen werden, der durch seine historische, 'proteische' Wandelbarkeit konstitutiv bestimmt ist. Die jeweilige sthetische Reaktion und Reflexion der bestimmten Romanform auf soziale Wirklichkeit kann nicht unabhngig von der Besonderheit des historischen Produktions- und Rezeptions-Moments adquat untersucht werden. Erst die genauere Bercksichtigung sowohl der Historizitt der Romanform und ihrer geschichtlichen Entstehungs- und Wirkungsbedingungen als auch des jeweils historisch bedingten sthetischen Faktors wrden die Methoden der empirischen Kunstsoziologie Fgens und Silbermanns fr die Literaturwissenschaft und Romaninterpretation voll anwendbar machen.

III.

Klammert eine empirische Romansoziologie kunst- und werttheoretische Aspekte bewut und historische Gesichtspunkte weitgehend aus, thematisieren geschichtsphilosophisch begrndete Anstze vornehmlich den Zusammenhang von Roman und Gesellschaft, wie er sich im einzelnen Werk selbst kristallisiert. Von daher ist es nicht verwunderlich, da im Bereich der Literaturwissenschaft seit Hegels berhmter Romandefinition28 vor allem diese geschichtsphilosophisch fundierten Spielarten diskutiert worden sind. Kurz skizziert werden sollen deshalb im folgenden drei wichtige, geschichtsphilosophisch fundierte (weitgehend hegelianisch und/oder marxistisch bestimmte) Anstze, diejenigen von Georg Lukcs, Lucien Goldmann und Theodor W. Adorno, die jeweils eine bestimmte Intention romansoziologischer berlegung vertreten: Eine vornehmlich mimetische (Lukcs), eine strukturhomologische (Goldmann) und negationssthetische (Adorno). In allen drei Anstzen korrespondiert die geschichtsphilosophische Ausgangsbasis mit einer beschreib- und weitgehend auch abgrenzbaren Romanpoetik im Unterschied zum unbestimmten Literatur- und Romanbegriff empirischer Fragestellungen. Die Beziehung von formbestimmtem literarischen Werk und auerliterarischer Realitt ist als 'dialektische' konstitutiv fr die Definition und Thematisierung geschichtsphilosophisch begrndeter Romansoziologie.

Bei Georg Lukcs zeigt sich dieser Sachverhalt sowohl in seiner hegelianischen29 als auch marxistischen Ausprgung. Die frhe Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch ber die Formen der groen Epik30 geht ebenso wie die spteren, nach Geschichte und Klassenbewutsein (1923)31 entstandenen marxistischen Arbeiten zum Roman von einer geschichtsphilosophischen Verlaufstheorie aus, deren Ausgangspunkt eine klassisch- idealistische Totalittsvorstellung der griechischen Antike ist, wobei die Auflsung der ehemals geschlossenen Welt und "absoluten Lebensimmanenz Homers",32 das Auseinanderreien von Wesen und Erscheinung, Form und Inhalt, den historischen Proze allererst in Gang setzt und die "fortan historisch- soziale Emanzipation des Knstlerischen vom ursprnglichen Lebensproze" mit sich bringt:33

Epope und Roman, die beiden Objektivationen der groen Epik, trennen sich nicht nach den gestaltenden Gesinnungen, sondern nach den geschichtsphilosophischen Gegebenheiten, die sie zur Gestaltung vorfinden. [...] Die Epope gestaltet eine von sich aus geschlossene Lebenstotalitt, der Roman sucht gestaltend die verborgene Totalitt des Lebens aufzudecken und aufzubauen.34Die Form des Romans chrakterisiert Lukcs als "Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit";35 seine "formbestimmende Grundgesinnung" objektiviere sich als "Psychologie der Romanhelden: sie sind Suchende".36 Der Roman stellt deshalb "die Wanderung des problematischen Individuums zu sich selbst" dar.

Der Weg von der trben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen, fr das Individuum sinnlosen Wirklichkeit zur klaren Selbsterkenntnis. [...] Die innere Form des Prozesses und ihre adquate Gestaltungsmglichkeit, die biographische Form, zeigen am schrfsten den groen Unterschied zwischen der diskreten Grenzenlosigkeit des Romanstoffes und der kontinuumartigen Unendlichkeit des Stoffes der Epope.37Damit sind die beiden unter romansoziologischen Aspekten wichtigsten Hauptpunkte der Theorie des Romans benannt: die grundlegende, geschichtsphilosophisch begrndete Differenz zwischen Epos und Roman (gegebene und aufgegebene Totalitt) und die Festlegung des Romans als biographische Form, die die Suche des problematischen Helden nach Selbstverwirklichung in der konfliktreichen Auseinandersetzung mit der Realitt thematisiert. Die im zweiten Teil der Theorie des Romans gegebene Typologie stellt dann auch folgerichtig dieses Romanmodell ("Wilhelm Meisters Lehrjahre als Versuch einer Synthese") in den Mittelpunkt einer historischen "Typologie der Romanform".

Die wesentlich mimetisch-aristotelisch ausgerichtete Romantheorie des mittleren und spten Lukcs wirft in besonderer Weise Fragen der marxistischen berbau-Basis-Problematik und Abbildtheorie auf und kann nur im Zusammenhang mit der Realismuskonzeption erklrt werden. Lukcs ist hier geprgt durch Vorbilder des groen realistischen Romans im 18. und 19. Jahrhundert (Fielding, Scott, Balzac, Tolstoi), wobei vor allem Balzac entscheidende Kriterien fr die Bestimmung dessen liefert, was nach Lukcs die Bezeichnung 'realistisch' verdient. Anknpfend an Friedrich Engels' Realismusdefinition entwickelt Lukcs am Beispiel Balzacs seinen fr die Romantheorie und -soziologie zentralen Begriff des literarischen Typus, der nicht als Durchschnittstypus verstanden wird, sondern dem Idealtypus Max Webers verwandt, die Inkarnation alles menschlich und gesellschaftlich Wesentlichen bedeutet:

Der Typus in bezug auf Charakter und Situation ist eine eigentmliche, das Allgemeine und das Individuelle organisch zusammenfassende Synthese. Der Typus wird nicht infolge seiner Durchschnittlichkeit zum Typus, aber auch nicht durch seinen nur wie immer vertieften individuellen Charakter, sondern dadurch, da in ihm alle menschlich und gesellschaftlich wesentlichen, bestimmenden Momente eines geschichtlichen Abschnitts zusammenlaufen, sich kreuzen, da die Typenschpfung diese Momente in ihrer hchsten Entwicklungsstufe, in der extremsten Darstellung von Extremen, die zugleich Gipfel und Grenzen der Totalitt des Menschen und der Periode konkretisiert.Der wirklich groe Realismus stellt also den Menschen und die Gesellschaft nicht von einem blo abstrakt-subjektiven Aspekt aus gesehen dar, sondern gestaltet sie in ihrer bewegten, objektiven Totalitt. Vom Gesichtspunkt dieses Kriteriums aus bedeutet sowohl der Aspekt der einseitigen Verinnerlichung als auch das einseitige Sich-Nach-Auenwenden fr jede Kunstrichtung gleichermaen eine Verarmung, eine Verzerrung.38

An der Beschreibung des literarischen Typus wird allerdings auch die Begrenztheit des romanpoetologischen und -soziologischen Konzepts bei Lukcs sichtbar. In der Tradition des klassischen deutschen Bildungsromans und ihrer Hegelschen Interpretation verengt Lukcs den Roman vornehmlich auf das biographisch-dualistische Muster in der Darstellung von Individuum und Gesellschaft. Diese Fixierung auf ein Modell des Romans als brgerliche Epope im Rahmen klassizistischer sthetischer Mastbe verhindert jene Offenheit gegenber dem modernen und zeitgenssischen Roman (vgl. Kafka, Joyce), der vor allem beim spten Lukcs deshalb in entscheidenden Punkten miverstanden und fehlinterpretiert wird.39

Im Unterschied zu einer mimetischen Bestimmung der Beziehung von Roman und Realitt in den marxistischen Arbeiten von Georg Lukcs geht Lucien Goldmann von einer strukturhomologischen Zuordnung aus: "In Wirklichkeit besteht zwischen der Struktur der Romanform [...] und der Struktur des Warentausches in der liberalen Marktwirtschaft, so wie sie von den klassischen Nationalkonomen beschrieben wurde, eine strenge Homologie."40 Solche Zurechnungen sind nach Goldmann mglich zwischen geistigen Strukturen von Werken und sozialen Gruppen, wobei der Begriff der Kohrenz kohrente Weltsichten und kohrente Werkstrukturen diese Beziehung terminologisch przisieren soll:

Das literarische Werk ist keine einfache Widerspiegelung eines gegebenen existierenden Kollektivbewutseins, sondern der uerst kohrente Ausdruck der dem Bewutsein einer sozialen Gruppe eigentmlichen Tendenzen, die auf eine bestimmte inhaltliche spezifische Kohrenz gehen, ein Bewutsein, das als ein dynamischer Proze aufgefat werden mu, der einem Gleichgewichtszustand zustrebt (welcher mit der erwhnten Kohrenz identisch wre).41Goldmann mchte damit bloes Analogiedenken vermeiden. Er sieht keine "Inhaltsidentitt" zwischen Kollektivbewutsein und "groen literarischen, theologischen, philosophischen und hnlichen Schpfungen",42 vielmehr eine strukturhomologische Beziehung, die als dynamische verstanden wird (vergl. die Selbstcharakterisierung seiner Methode als "genetischen Strukturalismus"). Der von Durkheim inspirierte Begriff des "zugerechneten Bewutseins" ("conscience possible"/"maximum de conscience possible")43 macht auerdem deutlich, da es Goldmann nicht um das "wirkliche Kollektivbewutsein" geht, sondern um einen theoretischen, "konstruierten Begriff" davon, der die Kategorie des Mglichen enthlt, also "nicht im real Faktischen aufgeht".44

In der Theorie und Geschichte des Romans sind kohrente Entsprechungsverhltnisse zwischen literarischen Werken und sozialen Gruppen von besonderer romansoziologischer Bedeutung. Allerdings zeigt sich nun bei Goldmann eine doppelte Tendenz: einerseits geht er von einer fest umrissenen Gattungspoetik des Romans aus, indem er den dualistischen, biographischen Romantypus (Suche des problematischen Helden, Konfrontation mit der Gesellschaft) wie Lukcs zum klassischen Muster erklrt45 und gewissermaen eine Romanpoetik der Abweichungen von diesem individualistischen Modell konzipiert (je mehr sich der Roman der aktuellen Gegenwart nhert, desto strker schwindet das Individuum), andererseits wird als Entsprechung zu dieser Gattungspoetik des Romans eine Gesellschaftsanalyse gegeben, die von der marxistischen Geschichtstheorie einer Entwicklung zunehmender Verdinglichung im bergang von Gebrauchswerten zu Tauschwerten bestimmt ist.46

Von daher kommt Goldmann zur Abgrenzung dreier Epochen der Romangeschichte:47

1. Der brgerlich-'klassische' Roman, vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, der gekennzeichnet ist durch die "biographische Form" und das "problematische Individuum". Diese Romanform entspricht der Epoche des konomischen Liberalismus.

2. Der moderne Roman von etwa 1910-1945 (seit Kafka), der durch die zunehmende Auflsung individualpsychologisch dargestellter Romanfiguren bestimmt ist ("dissolution du personnage"). Historisch entspricht dem ein sich bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichnender "bergang von der liberalen Kokurrenzwirtschaft zur Kartell- und Monopolwirtschaft".48

3. Der zeitgenssische Roman, vor allem der franzsische 'noveau roman' (etwa Alain Robbe-Grillets), der durch das Verschwinden des individuellen Helden ("disparition du personnage") gekennzeichnet ist. Diese dritte, gegenwrtige Epoche wird nach Goldmann charakterisiert durch eine Form des Kapitalismus, dessen Krisen durch praktische Interventions- und Selbstregulierungsmechanismen gelst werden, wobei aber das Moment des Subjektiv-Individuellen ganz verlorenzugehen droht und in eine vollstndige Verdinglichung mndet. Dem mehr oder minder radikalen Verschwinden des Individuums korrespondiert eine dem entsprechende Zunahme der Autonomie der Dinge.

Der relativ konstanten Romanpoetik (Individualroman nach biographisch- klassischem Vorbild und seine Auflsungen im modernen Roman seit Kafka) entspricht damit eine konomische Prozetheorie der warenproduzierenden Gesellschaft, wovon eine historische Phasentheorie abgeleitet wird.

Die Kritik hat sich sowohl den methodologischen als auch romanpoetologischen und gesellschaftstheoretischen Prmissen Goldmanns zugewandt. Hilmar Kallweit und Wolf Lepenies haben den zentralen Begriff der Kohrenz eine "Hilfskonstruktion" genannt:

Der Rckgang auf kohrente Weltsichten (vision du monde) der sozialen Gruppen und kohrente Werkstrukturen soll der Zuschreibung einen festeren Anhalt bieten. In bezug auf die sozialen Gruppen sind damit aber zunchst nur diejenigen abgegrenzt, denen die Mglichkeit zur Ausbildung einer vision du monde zugesprochen wird. Diese Einschrnkung des Untersuchungsfeldes erscheint fragwrdig, zumal inhaltliche oder formale Kriterien, die sich auf die Stellung der jeweiligen Gruppen im konkreten Geschichtsproze beziehen mten, darin nicht ausgewiesen sind.49Kallweit und Lepenies machen darauf aufmerksam, da in den Untersuchungen zur "Bezugsgruppentheorie" seit langem die Beobachtung gemacht worden ist, "da keinesfalls fr alles soziale Handeln die Gruppe des Handelnden den Orientierungspunkt bildet".50

Unter hermeneutischen Gesichtspunkten ist zudem bezweifelt worden, ob das strukturhomologische Konzept Goldmanns tatschlich in der Lage sei, die "dialektische" Zuordnung zwischen der Strktur des Kunstwerks und der "umfassenden Struktur gesellschaftlichen Verhaltens" zu klren, ohne dabei Gefahr zu laufen, zu "nicht mehr als (einer) sinnflligen Analogie zweier werthaft determinierter Bereiche" zu gelangen.51

Problematisch in Goldmanns romantheoretischem und romansoziologischem Konzept bleibt auch die Interpretation des "Schwindens des Individuums" im Gegenwartsroman. Hier wird eine bestimmte Form des Romans der franzsische 'nouveau roman' zur reprsentativen Romanform erhoben, ohne da zugleich darauf hingewiesen wird, da das Individuum in anderen zeitgenssischen Romanen eine durchaus wichtige Rolle spielt. Von da aus ist die Hypothese, wonach die zunehmende Verdinglichung in der kapitalistischen Gesellschaft generell zum Verschwinden des Individuums im Roman fhre, fragwrdig.52 Zu untersuchen wre vielmehr, in welcher Weise bestimmte Formen der Darstellung des Individums im Gegenwartsroman auf bestimmte Aspekte der vorhandenen Entfremdung und Verdinglichung moderner Industriegesellschaften reagieren.53

Entschiedener noch als Geog Lukcs und Lucien Goldmann erklrt Theodor W. Adorno den sthetischen Charakter literarischer Werke selbst zum Gegenstand der literatursoziologischen Analysen. Zwar hat Adorno keine spezielle Romansoziologie vorgelegt, aber in einer Reihe von Aufstzen zum Roman (Standort des Erzhlers im zeitgenssischen Roman; Balzac-Lektre; Kleine Proust- Kommentare),54 in der polemischen Lukcs-Kritik: Erprete Vershnung,55 den Thesen zur Kunstsoziologie56 und in der sthetischen Theorie57 ist seine Position unmittelbar evident. Sie richtet sich einerseits gegen eine positivistische Verkrzung literatursoziologischer Analysen auf den Proze von Produktion und Rezeption, indem sie sich nicht damit begngt, "[...] zu fragen, wie Kunst in der Gesellschaft steht, wie sie in ihr wirkt, sondern die erkennen will, wie Gesellschaft in den Kunstwerken sich objektiviert".58 Andererseits wendet sie sich gegen einen mimetischen Realismusbegriff und verwirft jede Spielart einer romanpoetologischen Abbildtheorie, auch wenn Adorno den 'realistischen' Charakter des Romans durchaus hervorhebt: Im Roman ist der "gesellschaftliche Charakter der Kunst [...] unvergleichlich viel evidenter als etwa im hochstilisierten und distanzierten Ritterepos. Das Einstrmen von Erfahrungen, die nicht lnger von apriorischen Gattungen zurechtgestutzt werden; die Ntigung, die Form aus jenen Erfahrungen, von unten her, zu konstituieren, sind bereits dem puren sthetischen Stand nach, vor allem Inhalt, 'realistisch'."59 Gleichwohl bildet dieser Befund fr Adorno keine Basis fr eine in irgendeiner Weise 'realistische' Romantheorie.

In seinem Aufsatz ber den Standort des Erzhlers im zeitgenssischen Roman wendet sich Adorno entschieden gegen den traditionellen realistischen Roman in der Nachfolge des groen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts:

Will der Roman seinem realistischen Erbe treu bleiben und sagen wie es wirklich ist, so mu er auf einen Realismus verzichten, der, indem er die Fassade reproduziert, nur dieser bei ihrem Tuschungsgeschfte hilft. Die Verdinglichung aller Beziehungen zwischen den Individuen, die ihre menschlichen Eigenschften in Schmierl fr den glatten Ablauf der Maschinerie verwandelt, die universale Entfremdung und Selbstentfremdung, fordert beim Wort gerufen zu werden, und dazu ist der Roman qualifiziert wie wenig andere Kunstformen. Von je her, sicherlich seit dem 18. Jahrhundert, seit Fieldings Tom Jones hatte er seinen wahren Gegenstand am Konflikt zwischen den lebendigen Menschen und den versteinerten Verhltnissen. Entfremdung selber wird ihm dabei zum sthetischen Mittel.60Gegenber der an Vorbildern des Romans im 19. Jahrhundert orientierten mimetischen Realismuskonzeption Lukcs' betont Adorno die Notwendigkeit des "antirealistischen Moments" im neuen Roman, indem er sich auf das konzentriere, "was nicht durch den Bericht abzugelten" sei:61 "Kunst erkennt nicht dadurch die Wirklichkeit, da sie photographisch oder 'perspektivisch' abbildet, sondern dadurch, da sie vermge ihrer autonomen Konstitution ausspricht, was von der empirischen Gestalt der Wirklichkeit verschleiert wird."62

Allgemein formuliert: Gesellschaftlich [...] ist Kunst weder nur durch den Modus ihrer Hervorbringung, in dem jeweils die Dialektik von Produktivkrften und Produktionsverhltnissen sich konzentriert, noch durch die gesellschaftliche Herkunft ihres Stoffgehalts. Vielmehr wird sie zum Gesellschaftlichen durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft, und jene Position bezieht sie erst als autonome.63Die Dialektik von "fait social und Autonomie" bestimmt daher den "Doppelcharakter der Kunst", und jede literatur- und romansoziologische Analyse mu sich auf diesen Sachverhalt einstellen: Kunst "[...] kritisiert die Gesellschaft durch ihr bloes Dasein [...]. Das Asoziale der Kunst ist bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft."64 Adornos Theorie der sthetischen Negation beruht dabei auf einer historischen Ableitung. "Vor der Emanzipation des Subjekts war fraglos Kunst, in gewissem Sinn, unmittelbarer ein Soziales als danach. Ihre Autonomie, Verselbstndigung der Gesellschaft gegenber, war Funktion des seinerseits wieder mit der Sozialstruktur zusammengewachsenen brgerlichen Freiheitsbewutseins."65 Die sthetische Emanzipation und die Autonomie der literarischen Werke hat die Emanzipation der brgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung.

Auch bei Adorno zeigt sich der Zusammenhang von bestimmter Geschichtsphilosophie und Literatur- bzw. Romantheorie. Der Begriff der sthetischen Autonomie kann ohne einen bestimmten Begriff von gesellschaftlicher Totalitt nicht auskommen. Die Orientierung an Meisterwerken des Romans (vornehmlich der literarisch avanciertesten: Proust, Kafka, Beckett) dokumentiert zudem die Notwendigkeit, den Begriff der sthetischen Negation an eine bestimmte Geniesthetik zu binden, die sich lediglich an den groen Werken orientieren kann. Der Begriff der "sthetischen Negation" ist auerdem der Gefahr einer ontologisierenden berschtzung ausgesetzt, wenn man generell davon ausgeht, da Kunst Negation des Bestehenden sei. Zu Recht hat Hans Robert Jau kritisch darauf hingewiesen,

[da die] Geschichte der Kunst [...] nicht auf den Generalnenner der Negativitt zu bringen [ist], auch dann nicht, wenn man neben den negativen oder kritischen Werken, die fr den Proze der gesellschaftlichen Emanzipation unmittelbar zu Buche schlagen, eine ungleich grere Reihe positiver oder affirmativer Werke abgrenzt, deren naturwchsige Tradition die emanzipatorische 'Bahn fortschreitender Negativitt' einfach hinter sich gelassen htte. Zum einen, weil Negativitt und Positivitt in der gesellschaftlichen Dialektik von Kunst und Gesellschaft keine festen Gren sind, ja sogar in ihren Gegensatz umschlagen knnen, weil sie im Proze der Rezeption einem aller sthetischen Erfahrung eigentmlichen Horizontwandel unterliegen. Zum anderen, weil die Bahn fortschreitender Negativitt als kategorischer Rahmen das Soziale der Kunst unangemessen vereinseitigt, nmlich um ihre kommunikativen Funktionen verkrzt, die mit dem bloen Gegenbegriff der Affirmation weder fr die ltere Kunst einfach abgetan noch fr die moderne Kunst auch unserer Gegenwart einfach preisgegeben werden knnen.66Adornos Romantheorie und -soziologie hat ihre Bedeutung im Ernstnehmen der sthetischen Transformation als soziologischen Gegenstand sie hat ihre Grenzen in der Reduktion der Bestimmung des Zuordnungsverhltnisses von Roman und Gesellschaft als sthetische Negations- oder Affirmationsbeziehung, womit andere Reaktionsweisen des Romans auf geschichtliche Wirklichkeit ausgeklammert bleiben.

IV.

berblickt man die hier skizzierten romansoziologischen Anstze, ergibt sich die Frage, inwieweit die auch prinzipiell unterschiedenen Intentionen systematisch zusammengefat oder in den Rahmen einer allgemeinen Theorie der Romansoziologie eingebracht werden knnten. Lt sich der empirisch-kommunikationstheoretische Ansatz (wie er etwa von Fgen und Silbermann vorgeschlagen wird) mit geschichtsphilosophisch begrndeten und auf die Literarizitt des Romans ausgerichteten berlegungen, die den einzelnen Roman als sthetische Objektivation sozialer Bedingungen charakterisieren, verbinden? Kann der Roman gattungssoziologisch im Rahmen eines umfassenden Kommunikationsmodells sozialwissenschaftlich bestimmt werden, ohne da man auf die Analyse seiner sthetizitt als 'stillstehende Reflexion' sozialer Bedingungen verzichtet? Romansoziologie als Teilgebiet der Literaturwissenschaft knnte ihre Aufgabe nur dann erfllen, wenn auch die spezifische literarische Form und jeweilige historische Funktion des Romans als sozialwissenschaftliche Probleme ernstgenommen werden.67

Geht man von dieser Prmisse aus, ergeben sich meines Erachtens fnf Hauptgesichtspunkte, die in einer erst noch im Detail zu erarbeitenden, umfassenden und literaturwissenschaftlich befriedigenden Romansoziologie zu bercksichtigen wren:

I. Die Vergegenwrtigung literarischer Kommunikationsbedingungen als Voraussetzung romansoziologischer Untersuchungen;II. Voraussetzungen und Bedingungen der Romanproduktion;

III. Rolle und Funktion der Romanrezeption;

IV. Zuordnung von Roman und Gesellschaft unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten;

V. Zusammengehrigkeit von Romantheorie, Romansoziologie und Sozialgeschichte des Romans.

I. Jeder Roman kann und hier lt sich der kommunikationswissenschaftliche Ansatz aufnehmen , wie andere literarische Texte auch, im Rahmen eines Systems literarischer Kommunikation bestimmt werden, wobei dieses differenzierte Kommunikationssystem selbst Teil eines umfassenden sozialen Gesamtsystems ist.68 Textproduktion und Textrezeption Hauptfaktoren jeder literarischen Kommunikation lassen sich als wechselseitig aufeinander bezogene Formen sozialen Handelns soziologisch untersuchen, so da "eine Theorie der literarischen Kommunikation zwangslufig sozialwissenschaft-lichen Charakter annehmen mu".69

Geht man von der Konzeption einer "kommunikativen" bzw. &"kommunikationssoziologischen" Literaturwissenschaft aus,70 bleibt allerdings darauf hinzuweisen, da sich jede literarische Kommunikation in bestimmten, historisch konkreten Augenblicken vollzieht. Jeder Kommunikationsproze erfolgt unter besonderen geschichtlichen Voraussetzungen, die fr den einzelnen Roman bzw. fr den jeweiligen Text zu rekonstruieren sind. Wichtig ist daher, die Historizitt von Kommunikationssituationen genau zu beachten. Erst die Untersuchung einzelner kommunikativer historischer Stationen des Romans erlaubt genauere Aussagen ber die Gattung und Gattungsgeschichte des Romans.

Fr das kommunikative Verhltnis von Romanproduktion und Romanrezeption bleibt einerseits zu beachten, da es sich dabei generell um eine "asymmetrische" Beziehung handelt, weil der Romanautor als Textproduzent mit sehr unterschiedlichen Textrezipienten in einen Dialog eintritt.71 Rezipienten sind so verschiedene Personen wie Schriftstellerkollegen, Verleger, Kritiker, wohlwollende, 'naive' oder vorgebildete Leser aber, bei historisch 'lteren' Romanen, auch historisch sehr differenzierte 'ungleichzeitige' Leser, so da die "dialogische Antwort auf Texte" durchaus "verzerrt erscheint".72

Andererseits drfen Romanproduktion und Romanrezeption nicht unabhngig voneinander betrachtet werden, weil der Romanautor immer schon bestimmte Leser beim Schreiben von Romanen vor Augen hat.73 Seine Produktion wird damit bereits vom (knftigen) Publikum mitbestimmt. Die Erwartungen der Leser gehen als Faktor in den Produktionsproze mit ein: "Ein Publikum als Gesprchspartner besteht schon an der Quelle der literarischen Schpfung."74 Auf die gattungssoziologischen Konsequenzen, die sich aus dieser konstitutiven Verbindung von Produktion und Rezeption ergeben, wird unter Gesichtspunkten der Zuordnungsproblematik von Roman und Gesellschaft (Punkt IV) noch zurckzukommen sein.

II. Konstitutiver Faktor der Literatur- und Romansoziologie ist die Analyse der sozialen Bedingungen und Voraussetzungen der Romanproduktion. Dieser Aspekt umfat in besonderer Weise Probleme der sozio-konomischen Analyse und romantheoretischen bzw. romangeschichtlichen Untersuchungen. Geht man von der notwendigen und wechselseitig aufeinander zu beziehenden Doppelheit von allgemeiner Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und besonderer Literaturgeschichte aus, bedeutet die Analyse von Produktionsbedingungen des Romans nicht nur eine Vergegenwrtigung konkreter historisch-gesellschaftlicher Augenblicke (Rolle und Selbstverstndnis des Autors in einer bestimmten Gesellschaft, Frage der Gruppenzugehrigkeit und konomischen oder politischen Abhngigkeit: Vergl. etwa Zensur, Stand der Buchproduktionsbedingungen, Verffentlichungsmglichkeit), sondern auch die Untersuchung poetologischer Produktionsbedingungen (etwa vorgegebene Gattungsmuster und Erwartungsvoraussetzungen eines durch bestimmte Lektre und Werke geprgten oder normierten Publikumshorizonts). Die Frage der Romanproduktion kann deshalb nicht ohne die wechselseitige Zusammengehrigkeit literar- und sozialgeschichtlicher Aspekte beantwortet werden.

Das durch ein gegenwrtig dominierendes Interesse an rezeptionstheoretischen und rezeptionssthetischen Fragen zu sehr in den Hintergrund gerckte Problem der literarischen Produktion bleibt unter romansoziologischen Gesichtspunkten ein zentrales Aufgabenfeld. Wichtige Themenbereiche sind dabei: Aspekte der Autorensoziologie, Probleme einer sozialwissenschaftlich orientierten literarischen Produktionstheorie, Fragen der Distributionsformen des Romans und spezielle Gesichtspunkte der historischen Romansoziologie.

Untersuchungen zur Autorensoziologie liegen bisher vor allem unter empirisch-statistischen Aspekten vor, wie sie etwa der Autorenreport von Karla Fohrbeck und Andreas J. Wiesand fr die Situation der bundesrepublikanischen Schriftsteller dokumentiert.75 Dabei zeigt sich, da soziologische Fragen der Romanautoren zunchst diejenigen von 'Wortproduzenten' berhaupt sind. Die offenkundige Diskrepanz etwa zwischen den im einzelnen ermittelten, tatschlichen Arbeitsbedingungen von Autoren und dem "traditionell- literarischen Berufsbild" von Schriftstellern gilt ebenso allgemein wie die in den letzten Jahren allerorts beobachtbare Vernderung der Produktionsbedingungen besonders durch "medien-bezogene Verhaltensweisen".76 Die Abtrennung der Romanautoren von anderen Schriftstellern ist schon deshalb schwierig, weil sich nur wenige Autoren allein einem literarischen Genre zuwenden.

Unabhngig davon gibt es eine Reihe von Fragestellungen, die sich auf die spezielle Situation, Rolle und Geschichte von Romanautoren unter soziologischen Aspekten beziehen. Wichtig ist dabei vor allem der Zusammenhang zwischen der sich seit der frhen Neuzeit herausbildenden und kontinuierlich an Bedeutung zunehmenden Gattung Roman und seiner Autoren, deren Herkunft und soziale Rolle. Erst in dem historischen Augenblick, als sich eine breitere Leserschicht zu bilden beginnt und Formen des literarischen Markts die Bedeutung und Funktion des Mzenatentums ablsen, spielt auch der Romanautor (als 'freier Schriftsteller') eine immer wichtigere Rolle. Empirische Untersuchungen ber die soziale Herkunft von Autoren (Standeszugehrigkeit, Selbstrekrutierung aus bestimmten Schichten der literarischen Intelligenz)77 und historische Rekonstruktionen von Autorintentionen sind deshalb besonders aufschlureich. Dies wird um so wichtiger, je mehr der Roman andere, 'konkurrierende' Gattungen im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts im gesamten literarischen Gattungssystem berflgelt.

Romansoziologische und -theoretische Fragen der Werkproduktion sind vor allem unter marxistischen Gesichtspunkten diskutiert worden. Dabei hat ein wie schon im Zusammenhang mit Lukcs hervorgehoben mimetisch orientierter Widerspiegelungsbegriff eine hufig entscheidende Rolle gespielt, indem die Frage des Zusammenhangs von Roman und Gesellschaft unter Basis-berbau-Gesichtspunkten vornehmlich im Werk selbst und unter Aspekten seiner Entstehungs- und Produktionsbedingungen gesehen wurde.78 Allerdings haben einzelne marxistische Theoretiker, wie Pierre Macherey, in deutlicher Abkehr vom vereinfachenden Widerspiegelungskonzept und in hufig kritischer Distanzierung von theoretischen Anstzen Lukcs' darauf aufmerksam gemacht, da es sich bei der Werkstruktur keineswegs um eine bloe Abbildung der Gesellschaftsstruktur handele, sondern da die Widersprche der Gesellschaft auf komplizierte Weise in den Roman selbst eingehen. Am Beispiel Tolstois hat Macherey auf diese Vermittlung gesellschaftlicher Widersprche im Werk hingewiesen:

Die Widersprche innerhalb des literarischen Produkts knnen [...] nicht mit den Widersprchen der Realitt identisch sein. Vielmehr sind sie deren Ergebnisse; dies im Bereich eines dialektischen Verarbeitungsprozesses, der sich der literaturspezifischen Mittel bedient. Tolstoi ist Interpret der geschichtlichen Widersprche. Interpret kann derjenige genannt werden, der im Zentrum einer wechselseitigen Beziehung steht: ber sein Werk stellt uns Tolstoi die Geschichte selbst zur Verfgung; das verlangt jedoch von ihm, da er sich in die historische Auseinandersetzung einlt [...].79Damit analysiert Macherey nicht nur die historisch-gesellschaftlichen Bedingungen des einzelnen Romans und seiner Entstehung, sondern er deutet zugleich auf den funktionalen Aspekt der literarischen Produktion. Der Romanautor als "Interpret" greift in die Wirklichkeit ein. Diese produktionssthetische Konzeption erinnert deshalb an Theorien des "operativen" Schreibens, wie sie von Tretjakov entworfen und von Brecht und Walter Benjamin aufgenommen und weiterentwickelt worden sind.80 Eine produktionstheoretisch orientierte Romansoziologie kann diese Anstze aufnehmen, weil die Literaturproduktion hier als intentionale soziale Handlung begriffen wird. Der Roman ist "zugleich geschichtsbedingt und geschichtemachend".81

Gerade bei der Gattung Roman, die als literarische Groform an das Medium Buch gebunden ist, spielen Probleme der Verbreitung und Distribution und die entsprechenden Marktmechanismen eine entscheidende Rolle. Hier liegen eine Reihe von empirischen Untersuchungen vor, so die detaillierten Analysen von Robert Escarpit.82 Erst in einem bestimmten historischen Moment, der mit der Entwicklung des kapitalistischen Unternehmertums bzw. der Entstehung des literarischen Markts koinzidiert, gelingt dem Roman jene ffentliche Verbreitungsmglichkeit, die ihm seine Bedeutung und soziale Rolle bis in die Gegenwart sichert. Insofern sind gerade Untersuchungen von Produktions- und Distributionsformen des Romans, die seine massenhafte Verbreitung ermglichen, von besonderer Bedeutung. Die Verbreitung populrer Romanlesestoffe etwa kann nur angemessen erklrt werden, wenn man die entsprechenden Distributionsformen (Verlagssystem, Buchhandel, Buchgemeinschaften) genauer analysiert.

Schlielich bleiben allgemeine theoretische Aussagen ber die Romanproduktion und ihre sozialen Bedingungen zu ergnzen durch historische Untersuchungen einzelner Stationen der Romangeschichte. Hier mag lediglich auf die Entstehung des modernen Romans hingewiesen werden, die noch immer eine Reihe von Problemen unter sozialgeschichtlichen Aspekten aufwirft. Erinnert sei nur an die Frage, ob der Roman als "brgerliche Epope" an die Entwicklung und Etablierung der brgerlichen Gesellschaft als 'Klasse' gebunden ist. Inwieweit bleibt ein Romanbegriff, der von dieser Hypothese ausgeht, begrenzt auf das Bild (und Vorbild) des Romans im 19. Jahrhundert? Kann der 'realistische' Roman als Modell und Muster des Romans berhaupt gelten? Um diese schwierige Frage der Koinzidenz von Roman und brgerlicher Gesellschaft genauer beantworten zu knnen, wre es erforderlich, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des modernen Romans noch genauer als bisher aufzuarbeiten und die zugrunde liegenden sozialgeschichtlichen Produktionsbedingungen im Detail zu analysieren. Eine Kritik und Ergnzung der Hegelschen und Lukcsschen Romantheorie wre meines Erachtens so mglich. Der Romanbegriff bleibt insgesamt noch immer zu stark auf das 'brgerliche' Romanmodell des 19. Jahrhunderts und seine theoretische Interpretation durch Hegel fixiert. Eine kritische berprfung dieses Paradigmas unter Bercksichtigung auch des Romans der vorbrgerlichen Gesellschaft knnte die produktionssthetische Perspektive der Romansoziologie sinnvoll erweitern.

III. Literarische Kommunikation ist konstitutiv bestimmt durch das Moment geschichtlich-konkreter Rezeption. Der historische oder zeitgenssische Leser macht den Romantext erst durch seine Vergegenwrtigung beim Lesen zum Gegenstand einer kommunikativen Situation. Der Romanautor befindet sich zudem immer schon im Dialog mit seinen potentiellen Lesern als Gesprchspartnern; die Reaktionen des Publikums wiederum knnen auf den literarischen Produktionsproze einwirken.

Die intensive Diskussion zur Rezeptionsforschung hat in den letzten Jahren eine Reihe von wichtigen Ergebnissen auch unter romansoziologischen Aspekten geliefert.83 Dazu gehren die prinzipielle Unterscheidung zwischen Problemen des 'impliziten' und 'expliziten' Lesers, Fragen einer mglichen Systematisierung historischer Rezeptionsprozesse, Bemhungen um eine Przisierung des von Hans Robert Jau hervorgehobenen 'Erwartungshorizonts' und die Betonung des gesellschaftsbildenden, funktionalen Aspekts von Rezeptionsvorgngen.

Fr die Romansoziologie spielen Gesichtspunkte des 'expliziten' (realen} Lesers eine vorrangige Rolle, whrend der 'implizite' Leser "keine reale Existenz" besitzt;84 "[...] denn er verkrpert die Gesamtheit der Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen mglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet. Folglich ist der implizite Leser nicht in einem empirischen Substrat verankert, sondern in der Struktur der Texte selbst fundiert."85 Von daher handelt es sich bei der Konzeption des 'impliziten' Lesers um eine phnomenologisch orientierte, allgemeine Theorie der Textstruktur, die durch ihre "Aktualisierungsbedingungen" charakterisiert ist. Diese erlauben es, "[...] den Sinn des Textes im Rezeptionsbewutsein des Empfngers zu konstituieren".86 Zwar lt sich gerade beim Roman aufgrund seiner "perspektivischen Anlage" (vgl. die unterschiedlichen "Perspektivtrger" Erzhler, Figuren, Handlung, Leserfiktion) die Struktur des Textes als "ein bestimmtes Rollenangebot" fr seine potentiellen Leser beschreiben,87 ber die historisch-realen Leser und ihre mgliche Einwirkung auf die Romanproduktion kann dabei aber nichts ausgesagt werden.

Whrend die Untersuchung des impliziten Lesers ein Problem der phnomenologischen Text- und Wirkungstheorie darstellt (vergl. die "Appellstruktur" des Textes und die Rezeptionslenkung durch den Text), ist die Frage des expliziten Lesers Gegenstand einer kommunikationssoziologisch orientierten Leserforschung, die die historisch unterschiedlichen Leser- und Publikumsstrukturen untersuchen mu. So wie aber das Problem des impliziten Lesers auf eine Theorie von Textstrukturen verweist, so macht das Problem des expliziten (realen) Lesers auf Fragen einer Theorie des Geschichtsablaufs als Ablauf historischer Rezeptionsprozesse aufmerksam. Rainer Warning hat deshalb zurecht betont, da eine "historisch orientierte Konkretisationsforschung, wie auch immer sie im einzelnen vorgehen mag, nicht um eine klare Beantwortung dieser Frage nach der Systemreferenz von Rezeptionsprozessen herumkommt".88 Auch der von Manfred Naumann vorgeschlagene Begriff der "Rezeptionsvorgabe" ("die Eigenschaft des Werkes, die Rezeption zu steuern, [...] eine Kategorie, die ausdrckt, welche Funktionen ein Werk potentiell von seiner Beschaffenheit her wahrnehmen kann")89 lst dieses Problem nicht; vielmehr verweist es zurck auf Probleme einer produktionssthetisch orientierten Rezeptionstheorie, d.h. auf allgemeine Fragen der Texttheorie und damit nicht auf eine notwendige (Literatur)Geschichtstheorie.

Bei der soziologischen Erforschung des realen Romanlesers knnte man unter Bercksichtigung von historisch unterschiedlichen Kommunikations- situationen drei verschiedene Rezeptionsformen und Rezeptionsmglichkeiten unterscheiden:

1. Eine erste Rezeptionsstufe zum Zeitpunkt der Verffentlichung des Romans. Es ist jene Kommunikationssituation, bei der der Autor (soweit der Roman nicht posthum erscheint) noch 'Mitspieler' ist, so da hier Fragen der Rckkopplung besonders aktuell sind (vergl. etwa die Fortsetzung von Romanen, Reaktion auf die Kritik von Rezensenten, Vorreden und Anmerkungen in spteren Werken des Autors und Folgen fr die weitere Romanproduktion).

2. Als zweite Rezeptionsstufe (Rezeptionsphase) knnen alle auf die erste Rezeption folgenden Rezeptionssituationen bezeichnet werden. Es sind historisch mgliche, aber nicht notwendige Kommunikationsstationen des Romans, die bishin zur aktuellen, zeitgenssischen Rezeption die Voraussetzungen fr eine mgliche Wirkungsgeschichte des betreffenden Romans liefern, wobei sowohl die literarische als literaturwissenschaftliche zu bercksichtigen sind.

3. Die zeitgenssische Rezeption schlielich kann als eine dritte Rezeptionsstufe davon noch unterschieden werden, weil sie besondere Probleme der aktuellen Selektion und reduktiven Auswahl im Blick auf bestimmte gegenwrtige Bedrfnisstrukturen der Lebenspraxis aufwirft.90

Wie jede Rezeptionsforschung mu gerade eine soziologisch fundierte Romanrezeptionsanalyse davon ausgehen, da insgesamt weder von homogenen gesellschaftlichen Leserschichten noch von homogenen Publikumserwartungen bei der Romanlektre gesprochen werden kann. Deshalb bleibt der von Hans Robert Jau betonte Begriff des 'Erwartungshorizonts' im einzelnen zu przisieren und historisch zu konkretisieren.91 Dies bedeutet fr die Romansoziologie, Probleme schichten- oder klassenspezifischen Leseverhaltens zu operationalisieren und sozialpsychologisch begrndete "Typen der Leserreaktion" zu entwerfen.92 Voraussetzung ist dabei die Untersuchung des historisch jeweils unterschiedlichen sozialpsychologischen Bedingungsrahmens und eine genaue Vergegen-wrtigung der literaturgesellschaftlichen Konstellation. Auerdem gehrt dazu die Analyse von Leserdispositionen, die allein die Interdependenz von Roman und Publikum befriedigend erklren kann.93 Die Disposition der Leser drfte in besonderer Weise durch soziale Erwartungen geprgt sein, die sich auf Bedrfnisse und Interessen der geschichtlichen Lebenspraxis richten und in vielen Fllen innerliterarische Erwartungen zurcktreten lassen.

Sowohl die Frage einer historischen Leser- bzw. Leserreaktionstypologie als auch das Problem der praktischen Folgen von Lektreerfahrungen mit dem Roman, lassen sich nur historisch differenziert lsen, wenn man einzelne geschichtliche Stufen oder Abfolgen romansoziologisch genauer untersucht. Dietrich Harth hat eine erste kurze historische bersicht ber das Leseverhalten von Romanlesern gegeben.94 Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich die Romanlektre etwa beim hfischen Roman des 17. Jahrhunderts oder beim brgerlichen Roman seit dem 18. Jahrhundert einzuschtzen ist. Von einer historischen Typologie der Lektreerfahrung her liee sich auch am ehesten die auerordentlich komplizierte Frage nach der praxis- und geschichtsbildenden Rolle des Romans beantworten. Auch hier liefern Untersuchungen zur Entstehung des modernen Publikums in der frhen Neuzeit besondere Aufschlsse ber die Rolle, die das Romanlesen im Kontext vernderter gesellschaftlicher Bedingungen hat. Hingewiesen sei nur auf die Arbeiten von Rolf Engelsing und dessen Analysen zum bergang vom "intensiven" zum "extensiven" Lesen.95

Erst die soziologische Analyse historischer Publikumsstrukturen, die Untersuchung unterschiedlicher Leserdispositionen und die Bercksichtigung jeweils divergierender Leserbedrfnisse lt genauere Antworten auf die Frage nach der Rolle und Funktion von Romanen in den einzelnen historischen Kommunikationssituationen zu. Die Interaktion von spezifischen Lesererwartungen und jeweiliger Romanproduktion verweist auf den konstitutiven Zusammenhang, in dem das einzelne literarische Werk steht.

IV. Die beraus schwierige Zuordnungsfrage von Roman und Gesellschaft lt sich befriedigend nur im Rahmen eines kommunikativen Ansatzes lsen. Historisch-soziologisch analysierbare Publikums- und Lesererwartungen einerseits und bestimmte geschichtliche Produktionsbedingungen andererseits liefern erst die Voraussetzung fr die Entstehung, Ausbildung und Etablierung der jeweiligen Romanformen und die Verfestigung zu bestimmten Gattungstraditionen. Romansoziologie verweist deshalb auf das Problem des Romans als literarischer Gattung im Rahmen des gesamten Gattungs- und Sozialsystems. Die Frage nach dem Verhltnis von Roman und Gesellschaft kann meines Erachtens als gattungssoziologisches Problem einer Lsung nhergebracht werden, wenn man sechs Schwerpunktbereiche beachtet:96

1. Wie andere literarische Gattungen auch lt sich gerade der Roman (vergl. die literarische Groform) generell als Kommunikationsmedium und kommunikatives Deutungsmodell verstehen, das eine Reihe von normativen Kennzeichen aufweist.97 Solche normativen Zge sind vornehmlich bedingt durch einzelne dominante Strukturmerkmale und wiederkehrende Text- und Lesererwartungs-Konstanten, durch die sich bestimmte Romangattung einerseits gegenber anderen literarischen Formen im Gattungssystem auszeichnet und andererseits gegenber der historischen Wirklichkeit im sozialen Gesamtsystem abhebt. Von daher ist der Roman durch seine sinnkonstituierende "Selektionsstruktur"98 charakterisiert, und systemtheoretisch liee sich von einer "verwirklichten Selektion" bzw. einer "Komplexittsreduktion" gegenber der Komplexitt des literarischen Lebens und der der sozialen Wirklichkeit sprechen.99 Darber hinaus knnen beim Roman als einem Teilsystem innerhalb des literarischen Gattungssystems wie in der allgemeinen Systemtheorie drei "Systemreferenzen" unterschieden werden: "Die Beziehung zum umfassenden Gesamtsystem, die Beziehung zu anderen Teilsystemen und die Beziehung zu sich selbst."100 Die Rolle, die der Roman in seiner Beziehung zum (gesellschaftlichen) Gesamtsystem spielt, wirft vor allem Funktionsfragen auf. Die Beziehung des Romans zu anderen literarischen Teilsystemen imliziert besondere Probleme der mglichen Opposition, Alternative, Konkurrenz oder Komplementaritt zu anderen literarischen Gattungen, etwa zum Epos, Drama oder zu bestimmten nicht- fiktionalen Prosaformen. Die "Beziehung zu sich selbst als Reflexion"101 ist beim Roman besonders wichtig unter Gesichtspunkten der romantheoretischen Selbstdeutung und Selbstvergewisserung, vornehmlich whrend seiner sthetischen und gesellschaftlichen Emanzipations- und Legitimationsphase in der frhen Neuzeit, aber auch noch unter Aspekten einer permanent gefhrten Diskussion ber die 'Krise' des Romans.

Bei der partiellen Einfhrung systemtheoretischer Begriffe und Kategorien zur nheren Bestimmung des Romans als Kommunikations- medium darf allerdings nicht bersehen werden, da die poetologische und gesellschaftliche Rolle des Romans konstitutiv durch die Historizitt der einzelnen (geschichtlichen) Kommunikationssituationen bestimmt ist. Deshalb lt sich der Vorgang der gattungsbildenden 'Reduktion' oder 'Selektion' (gegenber der Komplexitt des gesamten literarischen und sozialen Lebens) auch nur als dynamisches Moment auffassen, weil die (Literatur)Geschichte stets offen bleibt fr neue Gattungsbildungs-Prozesse im Sinne mglicher Reduktionen, Kristallisationen und allmhlicher Verfestigungen und Stabilisierungen von Gattungsnormen und -mustern.

2. Eine besondere Rolle fr die Entstehung und Herausbildung von Romangattungen spielen strukturprgende Vorbilder, die man als "Prototypen" bezeichnen kann.102 Romanmuster wie der Picaro-Roman, die Robinsonade, der Briefroman oder der Bildungsroman sind auch romansoziologisch ohne die Bercksichtigung der entsprechenden Prototypen (Lazarillo de Tormes, Defoes Robinson Crusoe, Richardsons Pamela und Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre) und die Analyse ihrer Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen nicht angemessen zu verstehen. Die genauen literatur- und sozialhistorischen Ursachen dafr zu ermitteln, warum und unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Einzelwerk zum Vorbild einer Romangattung werden kann, bleibt ein bisher weitgehend ungeklrtes Forschungsdesiderat. Die Ursachen fr die Gattungsbildung drften einerseits in einer spezifischen Modifikationsfhigkeit und polyfunktionalen Verwendbarkeit von Erzhlmodellen liegen (beim Picaro-Roman etwa die Episodentechnik und die satirisch-kritischen Mglichkeiten der 'Froschperspektive' von unten beim Bildungsroman die biographische Form und die Darstellungstechniken einer konfliktreichen Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft), andererseits kann der kommunikative und normbildende Erfolg solcher Romanmuster nicht allein aus den Werkstrukturen erklrt werden, vielmehr machen ihn erst bestimmte soziologisch zu analysierende historische Bedrfnissituationen mglich.103

3. Die Bedeutung prototypischer Romane als Innovationspotentiale fr den historischen Gattungsbildungsproze darf nicht darber hinwegtuschen, da jedes literarische Werk und im besonderen der Roman als eine vorwiegend neuzeitliche Gattung auf bereits vorhandene, andere Literaturgattungen und -traditionen bzw. auf die literarischen Kenntnisse und historischen Erfahrungen eines rezipierenden Publikums trifft. Deshalb ist dieser Aspekt auch unter Gesichtspunkten einer Soziologie der Romanrezeption schon besonders hervorgehoben worden. Zu ergnzen bleibt hier der rezeptionshistorische Aspekt insofern, als Gattungsbildungsprozesse nicht angemessen erklrt werden knnen ohne die Bercksichtigung der von Hans Robert Jau betonten "fortgesetzte[n] Horizontstiftung und Horizontvernderung".104

Romansoziologische Untersuchungen im Bereich der Rezeptionsgeschichte bieten sich vor allem dort an, wo deutlich konstante bzw. weitgehend konventionalisierte Gattungserwartungen zu beobachten sind und auf die Werkproduktion nachweisbar einwirken. Das knne am Beispiel so unterschiedlicher Romangattungen wie der Robinsonade im 18. Jahrhundert, des historischen Romans im 19. Jahrhundert und der Science- fiction-Romane im 20. Jahrhundert gezeigt werden. Lieen sich Gattungserwartungen soziologisch genauer analysieren, wren von daher Rckschlsse auf die Romanproduktion mglich. Damit wrde die konstitutive Zusammengehrigkeit und Komplementaritt von Erwartungen und (diese wieder mit bestimmenden) Werk-Antworten deutlich. hnlich wie bei der "soziologischen und linguistischen Analyse von Erzhlungen" die Rolle "eines Erwartungsfahrplans" bei der Interaktion zwischen Erzhler und Hrer hervorgehoben worden ist,105 erlaubt erst die Przisierung der komplementren Beziehung zwischen Gattungserwartungen von Lesern und Werkproduktion von Romanautoren die genauere Darstellung von Gattungsbildungs- Prozessen. Jeder Romanautor schreibt immer schon im Blick auf bestimmte Erwartungen, die er zu erfllen sucht, oder mit denen er sich auseinandersetzt, die er aber nicht ignorieren kann, so da solche "Erwartungserwartungen" gattungsrelevant und gattungssteuernd sein knnen.106

4. Der Roman als Gattung ist ein "geschichtlich situierbare[s] Gebilde",107 das als literarisch-soziale Institution aufgefat werden kann. Der Begriff "Institution" von Harry Levin zur Charakterisierung der Literatur insgesamt und des Romans im besonderen vorgeschlagen, aber nicht weiter entwickelt 108 das struktural-funktionale Moment des Romans und dessen deutlich abhebbares Organisationsprinzip bezeichnen. Dabei sind literarische Gattungen (wie der Roman) auch darin Institutionen berhaupt vergleichbar "keineswegs als statische Gegebenheiten zu betrachten; sie sind vielmehr einem fortlaufenden Proze der Institutionalisierung und Entinstitutionalisierung unterworfen".109 Solche Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungsvorgnge scheinen mir unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten des Romans von besonderer Bedeutung zu sein, weil auf diese Weise die Geschichte der Gattung als differenzierte Abfolge von Auskristallisierungs- und Stabilisierungsprozessen einerseits und Auflsungs- und Zerfallsprozessen andererseits beschrieben werden kann. In Michal Glowinskis Darstellung von Strukturierungs- und Destrukturierungsvorgngen lt sich eine Erluterung dieses institutionen-theoretischen und institutionengeschichtlichen Sachverhalts finden:

Strukturierung bedeutet zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Gattung Grundelemente zu konstituieren, die der Identifikation und dem Erkennen der Gattung whrend ihrer Verbreitung innerhalb der Rezipientenschicht dienen [...]. De-Strukturierung dagegen bedeutet Zerfall von denjenigen Faktoren innerhalb der Gattung, die bis zu diesem Zeitpunkt bergeordnete Funktionen der Organisation zu erfllen hatten.110Glowinski macht zudem daruf aufmerksam, da sich solche Strukturierungs- und De-Strukturierungsprozesse nicht nur innerhalb einer Gattung vollziehen, sondern auch zwischen verschiedenen Gattungen und damit das Gattungssystem einer Epoche insgesamt verndern: "Denn die Strukturierung der einen Gattung ist normalerweise mit der De-Strukturierung einer anderen verbunden."111 Die Ablsung der Dominanz des Epos durch die des Romans im 18. Jahrhundert wre dafr ein signifikantes Beispiel.

Vergleichbar sind literarische Gattungen mit sozialen Institutionen in besonderer Weise unter Gesichtspunkten ihres Doppelcharakters von relativer Autonomie und Zweckgebundenheit. So wie soziale Institutionen durch ein hohes Ma an Eigenstndigkeit und Eigengesetzlichkeit charakterisiert sind, so werden literarische Gattungen durch eine Reihe von gattungsimmanenten Merkmalen geprgt, die deren Eigengewicht hervortreten lassen. Die Eigengesetzlichkeit von Gattungen ist vor allem an historischen Gattungsnormen, aber auch an Sanktionen (etwa an der Geschichte der Literaturkritik) ablesbar. Beim Roman ergibt sich hierbei eine zustzliche Nuance insofern, als auch die permanente Normabweichung als Gattungsnorm definiert werden kann, so da die Geschichte des Romans als Geschichte einer stets mglichen kritischen Selbsterneuerung erscheint.112

Insgesamt kann der Roman nur angemessen interpretiert werden, wenn man das gattungssoziologisch konstitutive Spannungsverhltnis zwischen seiner relativen Autonomie und der historisch jeweils unterschiedlichen Sozialabhngigkeit bzw. Zweckgebundenheit beachtet.113 Genauer bestimmbar ist dieses Spannungsverhltnis nur aufgrund von Rekonstruktionen einzelner roman- und sozialgeschichtlicher Stationen.

5. Sowohl unter gattungssoziologischen als auch unter institutionentheoretischen Aspekten spielt die Funktionsfrage beim Roman eine besondere Rolle, die eigens hervorgehoben werden mu. Geht man prinzipiell von einem Antwort-Verhltnis zwischen Roman und Gesellschaft aus, bleiben die unterschiedlichen geschichtlichen Reaktionen des Romans auf die literarischen und historischen Konstellationen und die spezifischen Formen der jeweiligen Erfahrungsverarbeitung im Roman zu untersuchen. Wolfgang Iser hat auf eine Reihe von Reaktionsweisen des Romans gegenber der Lebenswelt (etwa Komplementarisierungs- und Bilanzieungsleistung oder Defizitfllung) hingewiesen, die die Skala mglicher 'Antworten' des Romans auf die Realitt (Vergl. Abbildung, Homologie oder Opposition) erweitern.114

Die beraus schwierige Frage nach der bewutseinsbildenden oder gesellschaftskritischen Funktion des Romans die Hans Robert Jau unter prinzipiellen Aspekten gestellt hat ("normgebende", "normbildende" oder "normbrechende" Funktion der Kunst) 115 sich nur im Rahmen einer sozialhistorisch fundierten Gattungsgeschichtsschreibung beantworten.

Prinzipiell drften Romane unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten als institutionalisierte Funktionsmuster zu charakterisieren sein, die jeweils bestimmte Einstellungen und Reaktionsweisen gegenber der historischen Lebenswelt bzw. deren Widersprche dokumentieren. Kommunikativer Erfolg und 'Wirkung' beim Rezipienten sind weitgehend davon abhngig, inwieweit der Leser durch den Roman "eine Befriedigung seiner gegenwrtigen Bedrfnisse erfhrt".116

6. Wenn man bei der gattungssoziologischen Charakterisierung des Romans (literarisches Teilsystem/literarisch-soziale Institution) den dynamischen Charakter solcher Systembildungen und -auflsungen bzw. Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungsprozesse besonders hervorhebt, bleibt die Frage unabweislich, ob sich allgemeine Gesetzmigkeiten der Gattungsevolution bzw. -devolution angeben lassen. Die bisher vorliegenden Lsungsvorschlge gehen davon aus, da man weder von einer Kontinuitt noch von einer Unilinearitt der Gattungsentwicklung sprechen kann, vielmehr lassen sich lediglich einzelne Entwicklungsrichtungen und Ablaufprozesse angeben. Dazu gehren die "Zielstrebigkeit bestimmter Gattungstendenzen" ("Entelechie"), auf die Hugo Kuhn hingewiesen hat, oder der von H. R. Jau hervorgehobene "Proze der Prgung einer Struktur, ihrer Variation, Erweiterung und Korrektur [...], der bis zur Erstarrung fhren oder auch mit der Verdrngung durch eine neue Gattung enden kann".117 Alastair Fowler unterscheidet in einem Aufsatz ber "Leben und Tod literarischer Formen" drei Phasen der Gattungsevolution:

Perhaps the sequence of phases ist best described as a sequence of relations between genre, mode, and abstract formulation. At the primary stage, no equivalent mode or critical description of the genre as yet exists: following its requirements is a matter of unconscious obedience to the extrinsic type, or of imitation in the common sense. With the secondary phase, criticism begins: the genre is labeled and ist requirements are understood so abstractly that a modal form separates out. Secondary epic may therefore be defined as epic consciously in the heroic mode. During the tertiary stage, criticism may recognize variations of genre (Scaliger's comparison of Homer and Virgil; Tasso's defense of Ariosto's epic; Dryden's distinction between ancient and modern forms of drama). Now conscious modal innovations proliferate. We find not only tertiary epic, but also heroic tragedy and heroic satire: not only tertiary pastoral eclogue, but also pastoral drama, pastoral romance and burlesque pastoral.Fowler formuliert dann die allgemeine Hypothese:

Namely that genre tends to mode. The genre, limited by its rigid structural carapace, eventually exhausts its evolutionary possibilities. But the equivalent mode, flexible, versatile, and susceptible to novel commixtures, may generate a compensating multitude of new generic forms.118Die Schwierigkeiten einer befriedigenden Theorie der Gattungsentwicklung unter soziologischen Aspekten liegen vor allem darin, da die bisher konzipierten Anstze hauptschlich von (formalistischen) Theorien der literarischen Evolution geprgt sind. Dabei bleiben sozial- und institutionengeschichtliche Aspekte noch weitgehend ausgeklammert. Inwieweit die seit einigen Jahren gefhrte neue evolutionstheoretische Diskussion in den Sozialwissenschaften hier Lsungen bietet, wre im einzelnen zu berprfen. Hingewiesen sei hier nur auf zwei gegenwrtig konkurrierende alternative Modelle, einem funktionalen und einem lerntheoretischen: Beschreibt Niklas Luhmann Evolution als "eine Form der Vernderung von Systemen" durch Funktionendifferenzierung: der "Funktionen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung" so versucht Jrgen Habermas evolutionre Wandlungen als soziokulturelle Lernprozesse zu interpretieren.119 Beide Konzepte liefern zwar einzelne wichtige Hinweise auch fr die Evolution literarischer Gattungen, indem sie allgemeine historische Ablaufstrukturen angeben vergl. das generell auch auf Gattungsbildungsprozesse anwendbare Differenzierungsschema: Variation Selektion Stabilisierung , aber insgesamt bleiben soziologisch fundierte Interpretationen von Gattungsbildungen und Gattungsauflsungen oder -erneuerungen vorerst hauptschlich auf die Untersuchung einzelner, mglichst konsistenter Romangattungen angewiesen.

V. Allgemeine Gesichtspunkte der literarischen Kommunikation (von Romanproduktion und Romanrezeption) machen ebenso wie spezielle Aspekte der Gattungssoziologie die Zusammengehrigkeit romantheoretischer, romansoziologischer und romangeschichtlicher Fragestellungen und Problemlsungsversuche deutlich. Romantheoretische und romansoziologische Fragen verweisen notwendig auf Gesichtspunkte einer Sozialgeschichte des Romans bzw. einer sozialhistorisch fundierten Romangeschichte. Umgekehrt mu eine Geschichte des Romans ohne Bercksichtigung soziologischer und sozialhistorischer Untersuchungsmethoden und -verfahren unvollstndig bleiben. Die sich abzeichnende Annherung historischer und soziologischer Methoden sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in den Sozialwissenschaften und die im Vordergrund stehende "prinzipiell gegebene Einheit des Erkenntnisprozesses in Soziologie und Geschichte"120 knnen auch fr die Romansoziologie fruchtbar gemacht werden. Da dabei hermeneutische, gesellschaftstheoretische und geschichtstheoretische Begrndungsprobleme im Spiel sind, mag hier nur angedeutet werden. Schon die Entscheidung des Interpreten fr bestimmte historische Stationen der Romangeschichte oder die Auswahl erkenntnisleitender Fragestellungen hngt mit notwendigen Reduktionsleistungen und historisch bedingten und zu reflektierenden Vorurteilsstrukturen des jeweiligen Erkenntnissubjekts aufs engste zusammen, so da die historische Unabschliebarkeit des Rezeptionsprozesses eines Romans mit der Unabschliebarkeit des geschichtlichen Auslegungsprozesses korrespondiert.

*

berblickt man die Flle der insgesamt skizzierten Fragestellungen und Gesichtspunkte zur Romansoziologie, wird deutlich, welche Probleme im einzelnen noch zu lsen sind, soll die Romansoziologie als Gegenstand der Literaturwissenschaft genauer und umfassender als bisher betrieben werden. Die zu Anfang gestellte Frage, inwieweit kommunikationswissenschaftliche und empirische Forschungsanstze zur Romansoziologie mit geschichts-philosophisch orientierten Fragestellungen verbunden werden knnen, lt sich insofern positiv beantworten, als eine Reihe von Ergebnissen produktiv aufgenommen und weiterentwickelt werden kann, auch wenn sich auf diese Weise noch keine kohrente allgemeine Theorie der Romansoziologie ergibt. Die einzelnen Bedingungen und Faktoren fr eine solche Theorie lassen sich meines Erachtens angeben, wenn man die vorgestellten theoretischen Anstze miteinander vergleicht und auf ihre Brauchbarkeit berprft. Auerdem scheinen mir die einzelnen, hier angedeuteten Teilaspekte durchaus schon genauer lsbar zu sein. Wichtig fr die Weiterentwicklung der Romansoziologie ist es, da man weniger zu neuen Disziplinen kommt als vielmehr zu einem "Austausch von Disziplin- Teilen" und zur produktiven Entfaltung von Disziplinbeziehungen.121 Ich stelle mir deshalb vor, da man ber die Erarbeitung von Teiltheorien einzelner Problemkreise und die Analyse einzelner Themenkomplexe zu einer umfassenden Systematik der Romansoziologie kommen knnte. So lange sich diese noch in statu nascendi befindet, empfiehlt sich insgesamt eine Diskussionshaltung des Vergleichens und wo mglich des Kombinierens unterschiedlicher Anstze.

Zum gegenwrtigen Zeitpunkt sehe ich in einer Soziologie des Romans als Gattungssoziologie produktive Mglichkeiten, sowohl die sthetischen als auch historischen und funktionalen Aspekte des Romans literaturwissenschaftlich angemessen zu untersuchen.

Prof. Dr. Wilhelm VokampUniversitt zu KlnInstitut fr Deutsche Sprache und LiteraturAlbertus-Magnus-PlatzD-50923 Kln

Unredigierte Fassung des in IASL III (1978), S.1-37 im Druck erschienenen Aufsatzes.

Anmerkungen1 Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774. Mit e. Nachwort von Eberhard Lmmert. Stuttgart: Metzler 1965, S. XIII. zurck

2 In: Athenaeum. Hg. von August Wilhelm Schlegel u. Friedrich Schlegel. 1. Bd. 1. u. 2. Stck (1798). Neudruck: Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1960, S. 149. zurck

3 Die enge Verknpfung zwischen Roman und Gesellschaft und die besondere Affinitt des Romans zu gesellschaftlichen Problemen ist in der romantheoretischen Forschung der letzten Jahre deutlich hervorgehoben worden. Die besondere Nhe, die der Roman zur gesellschaftlichen Realitt zeigt, scheint mit seinem proteischen Charakter zusammenzuhngen. Der Roman als die wandlungsfhigste Gattung ist zugleich jene literarische Form, die sich historische Realitt in immer neuer Weise aneignet und aneignen kann. Die einzelnen historischen Ausprgungen, die die literarische Form des Romans erfhrt, hngen unmittelbar zusammen mit historischen Prozessen, die bestimmte Entwicklungen der Romanform berhaupt erst ermglichen. Zum proteischen Charakter des Romans einerseits und zu seiner besonderen Affinitt zur sozialen Realitt andererseits vergl. etwa Walter Pabst: Literatur zur Theorie des Romans. In: Deutsche Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 34 (1960), S. 264-289; Wilhelm Vokamp: Romantheorie in Deutschland von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart: Metzler 1973; Harry Levin: Toward a sociology of the novel. In: Journal of the history of ideas 126 (1965), S. 148ff.; Michel Zraffa: Roman et socit. Paris: Presses Universitaires de France 1971, S. 11ff. zurck

4 Bei der Romansoziologie handelt es sich wie bei der Literatursoziologie um keine einheitliche Forschungsdisziplin. Vergl. Milton C. Albrecht: Introduction. In: The Sociology of Art and Literature. A Reader. Ed. by Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff. New York: Praeger Publishers 1970, S. 615 (Einleitung zu dem Abschnitt: History and theory). Vergl. auerdem dazu Viktor Zmegac: Probleme der Literatursoziologie. In: Zur Kritik literaturwissenschaftlicher Methodologie. Hg. von V. Zmegac u. Z. Skreb. Frankfurt/M.: Fischer- Athenum 1973, S. 253f. Erich Khler hat vorgeschlagen, zwischen den Begriffen "Literatursoziologie" und "Soziologie der Literatur" zu unterscheiden: "Literatursoziologie grenzt sich ab von Soziologie der Literatur. Letztere, vorwiegend empirisch orientiert, ist eine Teildisziplin der Soziologie und bei dieser anzusiedeln. Literatursoziologie dagegen ist eine Methode der Literaturwissenschaft. Wir definieren sie als historisch-soziologische Literaturwissenschaft. Ihr fundamentales Postulat lautet: Jede Literatursoziologie mu historisch, jede Literaturgeshichte mu soziologisch vorgehen. Das Postulat impliziert Dialektik als vom Gegenstand auferlegte Methode." (Einige Thesen zur Literatursoziologie. In: Germanisch-romanische Monatsschrift. N.F. 24 (1974), S. 257.) zurck

5 Vergl. Rainer Warning: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. Mnchen: Fink 1974, S. 17. zurck

6 Horst Knospe: Literatursoziologie. In: Wrterbuch der Soziologie. Hg. von Wilhelm Bernsdorf. Bd. II. Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch 1972, S. 505. Vergl. auerdem dazu Klaus-Peter Philippi: Methodologische Probleme der Literatursoziologie. Kritische Bemerkungen zu einer fragwrdigen Situation. In: Methodenfragen der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Reinhold Grimm u. Jost Hermand. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1973, S. 508-530. zurck

7 Joachim Bark: Vorbemerkung. In: Literatursoziologie. Hg. von J. B. Bd. I. Stuttgart: Kohlhammer 1974, S. 7. zurck

8 Wege der Literatursoziologie. Hg. u. eingeleitet von Hans Norbert Fgen. Neuwied: Luchterhand 1968, 2. Aufl. 1971. The Sociology of Art and Literature. A reader. Ed. by Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff. New York: Praeger Publishers 1970. Literatursoziologie. Bd. I: Begriff und Methodik. Bd. II: Beitrge zur Praxis. Hg. von Joachim Bark. Stuttgart: Kohlhammer 1974. Vergl. auerdem die folgenden Sammelbnde: The Arts in Society. Ed. by Robert N. Wilson. Englewood Cliffs: Prentice-Hall 1964; Karl Erik Rosengren/Jan Thavenius:Literatursociologi. Urval och Redigering. Stockholm: Bokfrlaget Natur och Kultur 1970; Sociology of Literature & Drama. Ed. by Elizabeth and Tom Burns. Middlesex: Pinguin Books 1973; Knstler und Gesellschaft. Sonderheft 15 der Klner Zeitschrift fr Soziologie und Sozialpsychologie. Hg. von Alphons Silbermann u. Ren Knig. Kln 1975; Theoretische Anstze der Kunstsoziologie. Hg. u. mit Einleitungen versehen von Alphons Silbermann. Stuttgart: Enke 1976, und die vom Institut fr Soziologie der Freien Universitt Brssel herausgegebenen Bnde: Problmes d'une Sociologie du roman. In: Revue de l'Institut de Sociologie. Brssel 1962/63; Litrature et Socit. Problmes de mthodologie en sociologie de la littrature. Brssel 1967; Sociologie de la littrature. Recherches rcentes et discussions. 2e edition.Brssel 1973 zurck

9 Vergl. Anmerkung 4 u. 6 und David H. Miles: Literary sociology: Some introductory notes. In: German Quarterly 1975, S. 1-33. Verzeichnisse literatursoziologischer Arbeiten bieten die folgenden neueren Bibliographien: Hugh D. Duncan: Anoted Bibliography on the Sociology of Literature, with an introductory Essay on methodological Problems in the Field. Chicago 1947; Literature & Society, 1950 bis 55 (Bd. I), 1956-60 (Bd. II), 1961-65 (Bd. III). A selective Bibliography. Ed. by Thomas F. Marshall, George K. Smart, Paul J. Carter. Coral Gables, Fla.: Univ. of Miami Pr. 1956-67; Peter Ludz: Bibliographie. In: Georg Lukcs: Schriften zur Literatursoziologie. Ausgewhlt u. eingeleitet von P. L. Neuwied: Luchterhand, 3. Aufl. 1968, S. 503-531; Laura Benzi/Mario Marchetti: Bibliografia classificata di sociologia della letteratura. In: Quaderni de Sociologia 1968, S. 59-123; Hans Norbert Fgen: Literaturverzeichnis. In: Wege zur Literatursoziologie. Hg. u. eingeleitet von H. N. F. Neuwied: Luchterhand, 2. Aufl. 1971, S. 439-451; Robert Escarpit: Bibliographie. In: Le littraire et le social. Elments pour une sociologie de la littrature. Ed. R. E. Paris: Flammarion 1970, S. 299-315; Alphons Silbermann: Empirische Kunstsoziologie. Eine Einfhrung mit kommentierter Bibliographie. Stuttgart: Enke 1973, vergl. vor allem: S. 28-46, S. 125-173 u. S. 202-224; Auswahlbibliographie 1974/75. In: Internationales Archiv fr Sozialgeschichte der deutschen Literatur I (1976), S. 332-396; Auswahlbibliographie 1975/76. In: IASL 2 (1977), S. 259-336. zurck

10 Knospe: Literatursoziologie, S. 504. zurck

11 Hans Norbert Fgen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie und ihre Methoden. Ein Beitrag zur literatursoziologischen Theorie. Bonn: Bouvier, 2. durchges. Aufl. 1966, S. 32. zurck

12 Escarpit: Le littraire et le social. In: R. E.: Le littraire et le social, S. 38. zurck

13 Vergl. Silbermanns besonderes Interesse fr die Popularkultur. Siehe etwa im Kap. Soziologie der Literatur. In: Empirische Kunstsoziologie, S. 115ff. zurck

14 Joachim Matthes: Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften. Ein Bericht ber die Diskussion seit dem Kasseler Soziologentag. Sektionspapier zur Sektion Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften. 18. Deutscher Soziologentag Bielefeld 1976, Ms., S. 9. zurck

15 Vergl. Fgen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie; ders.: Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 13-35. zurck

16 Empirische Kunstsoziologie; ders.: Literaturphilosophie, soziologische Literatursthetik oder Literatursoziologie. In: Klner Zeitschrift fr Soziologie und Sozialpsychologie 18 (1966), S. 139-148; ders. u. Udo Michael Krger: Soziologie der Massenkommunikation. Stuttgart: Kohlhammer 1973; ders.: Von den Wirkungen der Literatur als Massenkommunikationsmittel. In: Knstler und Gesellschaft. Hg. von Silbermann u. Ren Knig. Kln 1975 (Klner Zeitschrift fr Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderh. 17), S. 17-44. Zu vergleichbaren literatursoziologischen Tendenzen in den USA vergleiche einzelne Beitrge in dem Sammelband von Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff. zurck

17 Fgen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie, S. 14f. zurck

18 Ebd., S. 14. zurck

19 "Versteht man unter Soziologie die Wissenschaft von den Prozessen und Strukturen zwischenmenschlichen Verhaltens und unter Literatur jede schriftliche oder durch hufige mndliche Wiederholung in eine relativ feste Form gebrachte Darstellung eines Geschehensablaufs, die ihrer Intention nach auf die konkrete empirische Nachprfbarkeit ihres Inhaltes verzichtet, ohne einen wie immer verstandenen, in seiner geschichtlichen Entwicklung variablen Wahrheitsanspruch aufzugeben, dann wre Literatursoziologie der Zweig der Soziologie, der erstens dieses Schrifttum als Objektivation sozialen Verhaltens und sozialer Erfahrung untersucht und zweitens sich in seinem Erkenntnisinteresse auf ein zwischenmenschliches Verhalten richtet, das die Herstellung, Tradition, Diffusion und Rezeption fiktionalen Schrifttums und seiner Inhalte betreibt; dieses durch eine spezifische Tradition und Normierung von anderen Klassen sozialen Verhaltens differenzierte zwischenmenschliche Handeln soll als literarisches Verhalten bezeichnet werden." (Fgen: Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 18f.) zurck

20 Vergl. vor allem Robert Escarpit: Das Buch und der Leser. Entwurf einer Literatursoziologie. Kln: Westdeutscher Vlg. 1961 (zuerst franz.: 1958); ders.: La rvolution du livre. Paris 1965. zurck

21 Vergl. Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 19ff. Zur Kritik des Fgenschen Ansatzes vergl. Philippi: Methodische Probleme der Literatursoziologie, S. 514ff., und Zmegac: Probleme der Literatursoziologie, S. 257ff. zurck

22 Silbermann: Empirische Kunstsoziologie, S. 15. zurck

23 Ebd., S. 20. zurck

24 Ebd., S. 22. zurck

25 Ebd., S. 122. zurck

26 Vergl. etwa ebd., S. 113ff. zurck

27 Vergl. dazu die prinzipielle Kritk von Ulrich Saxer: "Die kunstsoziologische Forschung untersucht das von Silbermann rigoros ausgeklammerte bzw. im Proze, Erlebnis und Wirkung umgedeutete Kunstwerk eben doch, und zwar als Werk. Auch Silbermanns eigener Verzicht auf kunstsoziologische Werkanalysen grndet letztlich strker in methodologischen als in gegenstandsbezogenen Erwgungen. Weil die gngigen soziologischen Kategorien und Techniken an sthetischen Synthesen, an Kunstwerken sich offenbar nicht recht bewhren, soll Kunstsoziologie das Zentrum des Prozesses, den sie untersucht, aussparen. Das Prinzip von Schuster bleib bei Deinen Leisten sichert zwar die Wissenschaft gegen Dilettantismus ab, verewigt aber auch die Departementalisierung des Geistes, welche die Bemhungen in Bereichen, die dazu quer liegen, wie gerade der kunstsoziologische, entschieden beeintrchtigt." (Rez. der Empirischen Kunstsoziologie. In: IASL I (1976), S. 270f.) zurck

28 "Was die Darstellung angeht, so fordert auch der eigentliche Roman wie das Epos die Totalitt einer Welt- und Lebensanschauung, deren vielseitiger Stoff und Gehalt innerhalb der individuellen Begebenheit zum Vorschein kommt, welche den Mittelpunkt fr das Ganze abgibt." Georg Friedrich Hegel: sthetik. 2 Bde. Frankfurt/M.: Europische Verlagsanstalt (o.J.). Hier Bd. II, S.452. zurck

29 Zur Dominanz der Hegelschen Position in der Theorie des Romans vergl. Rolf Gnter Renner: sthetische Theorie bei Georg Lukcs. Zu ihrer Genese und Struktur. Bern: Francke 1976, S. 26ff., im Unterschied zur strkeren Betonung der frhromantischen Tradition bei Willy Michel: Marxistische sthetik sthetischer Marxismus. Bd. II. Georg Lukcs' Realismus. Das Frhwerk. 2. Tl. Frankfurt/M.: Athenum 1972, S. 88ff. zurck

30 Zuerst erschienen: 1916; 3. zit. Ausg.: Neuwied: Luchterhand (S. 196). Vergl. dazu die wichtigen Beitrge von Karl Mannheim. In: K.M.: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Eingeleitet u. hg. von Kurt H. Wolff. Neuwied: Luchterhand 1964, S. 85-90, und Lucien Goldmann. In: L.G.: Dialektische Untersuchungen. Neuwied: Luchterhand 1966, S. 283-313. Auerdem Gnter Rohrmoser: Literatur und Gesellschaft. Zur Theorie des Romans in der modernen Welt. In: Literatur und Gesellschaft. Vom 19. ins 20. Jahrhundert. Hg. von Hans Joachim Schrimpf. Festgabe Benno v. Wiese. Bonn: Bouvier 1963, S. 1-22, und Jrgen Schramke: Zur Theorie des modernen Romans. Mnchen: Beck 1974, S. 8ff. Zur Lukcs-Literatur insgesamt vgl. das Literaturverzeichnis in der Arbeit von Renner (s. Anm. 29), auerdem den Sammelband: Lehrstck Lukcs. Hg. von Jutta Matzner. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974. zurck

31 Ausg.: Neuwied: Luchterhand 1970. zurck

32 Theorie des Romans, S. 28. zurck

33 Peter Ludz: Marxismus und Literatur. Eine kritische Einfhrung in das Werk von Georg Lukcs. In: G. Lukcs: Schriften zur Literatursoziologie, S. 41. zurck

34 Theorie des Romans, S. 58. Vergl. Michel: Marxistische sthetik sthetischer Marxismus, S. 111ff. zurck

35 Theorie des Romans, S. 35. zurck

36 Ebd., S. 58. zurck

37 Ebd., S. 79f. zurck

38 Lukcs: Vorwort zu Balzac und der franzsische Realismus. In: G. L.: Schriften zur Literatur-soziologie, S. 244. Vergl. auerdem: Es geht um den Realismus (1938). In: Georg Lukcs: Essays ber den Realismus. Probleme des Realismus I. (Werke, Bd. IV) Neuwied: Luchterhand 1971, S. 313-343. zurck

39 Vergl. vor allem: Die Gegenwartsbedeutung des kritischen Realismus (1957). In: Lukcs: Essays ber den Realismus, S. 457-603. Darin besonders die beiden ersten Kapitel: Die weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismus; Franz Kafka oder Thomas Mann? (S. 467-550). Die Abhandlung ist zuerst ital. erschienen: Il significato attuale del realismo critico. Turin: Einaudi 1957, in deutsch unter dem Titel: Wider den miverstandenen Realismus. Hamburg: Claassen 1958. Zur marxistischen sthetik bei Lukcs siehe jetzt Renner: sthetische Theorie bei Georg Lukcs, S. 107ff.: Allgemeine Voraussetzungen einer marxistischen sthetik bei Georg Lukcs. zurck

40 Lucien Goldmann: Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans. In: L. G.: Soziologie des modernen Romans. Neuwied: Luchterhand 1970, S. 26. (Zuerst frz. unter dem Titel Pour une sociologie du roman, Paris 1964.) Zu L. Goldmann vergl. insgesamt den berblick von Dirk Hoeges. In: Franzsische Literaturkritik der Gegenwart. Hg. von Wolf-Dieter Lange. Stuttgart: Krner 1975, S. 208-233, und die dort angebotene Literatur. zurck

41 Goldmann: Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 29. zurck

42 Ebd., S. 30. zurck

43 Ebd., Anm. 5. Vergl. auerdem Lucien Goldmann: Das zugerechnete Bewutsein und seine Bedeutung fr die Kommunikation. In: L. G.: Kultur in der Mediengesellschaft. Frankfurt/M.: Fischer 1973, S. 7ff., und ders.: Der Begriff der sinnvollen Struktur in der Kulturgeschichte. In: L. G.: Dialektische Untersuchungen. Neuwied: Luchterhand 1966, S. 121ff. zurck

44 Vergl. Goldmann: Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 30, und Hoeges: Lucien Goldmann, S. 219. zurck

45 Vergl. Goldmann: Zu Georg Lukcs: Die Theorie des Romans. In: Goldmann: Dialektische Untersuchungen, S. 283-313. zurck

46 Die "Entwicklung der Romanform" kann "nur in dem Ma verstanden werden [...], indem man sie mit der homologen Geschichte der Verdinglichungsstruktur in Verbindung bringt". (Goldmann: Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 29.) zurck

47 Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 35f., und Goldmann: Die Revolte der Literatur und der Kunst in den fortgeschrittenen Zivilisationen. In: L. G.: Kultur in der Mediengesellschaft, S. 35ff. Vergl. dazu auch Schramke: Zur Theorie des Romans, S. 167f., Anm. 10, und Alan Swingewood: Some problems in the sociology of the novel. In: A. S.: The Novel and Revolution. London: Macmillan 1975, S. 23ff. zurck

48 Einfhrung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 35. zurck

49 Literarische Hermeneutik und Soziologie. In: Ansichten einer knf