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Doktor Faustus Frei bearbeitet von Willibald Böhm ____________________________

Willibald Böhm: Doktor Faustus

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Page 1: Willibald Böhm: Doktor Faustus

Doktor Faustus

Frei bearbeitet von Willibald Böhm ____________________________

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Doktor Faustus. Frei bearbeitet von Willibald Böhm. http://lithes.uni-graz.at/texte.html

[U1]

DOKTOR FAUSTUS

Ein romantisches Zauberspiel. Nach einem alten Volksbuche frei bearbeitet von

Willibald Böhm. Mit Scherenschnitten von Eva Schreier.

Verlag v. A. Haase, Prag. [U2]

[1]

DOKTOR FAUSTUS

Ein romantisches Zauberspiel in 3 Aufzügen.*

Nach einem Volksbuche frei bearbeitet von Willibald Böhm.

1922

Verlag von A. Haase, Prag, Wien, Leipzig. [2]

Druck von A. Haase, Prag. [3]

PERSONEN.

Doktor Johannes Faustus.

Christoph Wagner, sein Famulus.

Kasper, Diener des Faustus.

Mephistopheles als Teufel und als Mönch.

Der weiße Geist.

*Doktor Faustus. Ein romantisches Zauberspiel. Nach einem alten Volksbuche frei bearbeitet von Willibald Böhm. Mit Scherenschnitten von Eva Schreier. Prag, Wien, Leipzig. Verlag von A. Haase 1922. (= Im Kasperltheater. 7.) Gebunden. Format: 12,5 x 16,4 cm. Transliteration: Anna Thurner, Lektorat: Eveline Thalmann. Orthographie und Interpunktion wurden im Haupttext beibehalten, im Nebentext (Regieanweisungen) der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber vereinheitlicht und vervollständigt. .

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Graf Hartmann von Hartenfels.

Gretchen, seine Tochter.

Ritter Romuald.

SACHEN.

Ein Tisch und ein Sessel.

Ein altes Zauberbuch.

Ein Stück Kreide.

Ein Pergament.

Ein langer Stecken.

Der erste Aufzug spielt in der Studierstube des Faustus, der zweite im Empfangs-

zimmer des Grafen Hartmann und der dritte in einer Waldwildnis.

[4] 5

ERSTER AUFZUG.

Von Faustus höllischem Bündnis.

1. Auftritt.

FAUST, später WAGNER.

FAUST brütet über einem alten Zauberbuche, plötzlich ruft er erregt aus. Endlich hab’ ich sie gefunden,

die alte Zauberformel, nach der ich schon lang gesucht! Nun soll es mir gelingen, den höl-

lischen Geist zu zwingen und mit seiner Hilfe alles zu ergründen, was bisher mein schwa

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cher Menschengeist nicht vermocht’. O Faustus, preis dich glücklich, dein sehnlichster

Wunsch harrt der Erfüllung! Hier steht das allmächtige Zauberwort … Er liest leise den

Anfang des Zauberspruches.

Schwebe aus dem Grunde,

Geist der Unterwelt,

hör’ aus Meisters Munde,

was er Dich bestellt!

Hokus, pokus, spiritus …

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WAGNER kommt herein. Mein Herr und Meister!

FAUST erschrickt und springt auf. Ha, Geist der Hölle, heb Dich von dannen! Ich hab’ Dich

nicht gewollt!

WAGNER. Aber, mein gnädiger Gebieter, ich bin’s doch, Euer Famulus!

FAUST faßt sich. Ach, Du bist es, mein lieber Wagner? Wie konnten mich doch meine Augen

trügen?

WAGNER. Das ist die Folge Eurer Überanstrengung. Die ganze Nacht pfloget Ihr des Studi-

ums, nicht achtend meiner Warnung. Ihr werdet Euch an Leib und Seele schaden, wenn

Ihr ferner Tag und Nacht in den Büchern wurmen werdet. Schon ist der helle Tag

gekommen und Ihr habt noch kein Auge zugetan.

FAUST. Macht nichts, lieber Freund. Das Opfer ist gering im Vergleich zu dem hohen Preis,

den ich erringen werde. Und so vernimm denn, teurer Famulus, die frohe Botschaft: Es ist

mir gelungen, das lang gesuchte Buch zu finden, das mich der Wahrheit in die Arme füh-

ren soll. Ich werde alles, alles wissen und glücklich sein! 7

WAGNER. O, täuscht Euch nicht, geliebter Herr! Das Wissen ist es nicht allein, das den

Menschen glücklich macht; zum Erdenglück gehört noch andres.

FAUST. Du predigst, wie Du’s in der Schule gelernt hast. Ich aber sage Dir: Wer nicht alles

weiß, ist zu beklagen.

WAGNER. Ich bezweifle, was Ihr da behauptet. Ich glaub’ vielmehr, daß der Mensch den

rechten Weg gehen soll, wenn er nach der Wahrheit sucht. Ich warne Euch darum vor

allen Teufelsbüchern.

FAUST spöttisch. Hab Dank für Deinen Rat! Ich werde tun, was mir das Beste dünkt. Er geht in

Erregung einige Schritte auf und ab.

WAGNER. Verzeiht, mein Herr und Meister! Ich wollt’ Euch mit meinen Worten nicht krän-

ken. Ich mein’ es gut mit Euch.

FAUST bleibt stehen. Schon gut, mein lieber Wagner. Doch sag’ an, was führte Dich denn in

meine Arbeitsstube? Ich weiß, du kommst nur, wenn es nötig ist.

WAGNER. Ich wollt’ Euch sagen, daß sich der neue Diener gemeldet hat, den Ihr mitnehmen

wollet auf Eure große Reise. 8

FAUST freudig. Wirklich? – Das trifft sich gut. Da kann ich wohl schon morgen reisen und

mein heißer Wunsch nach der Welt und ihren Wundern wird erfüllt. Er soll sofort zu mir

kommen, ich möchte sehen, ob er der Bursche ist, den ich suche.

WAGNER. Ich werde ihn gleich zu meinem lieben Meister schicken. Ab.

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FAUST geht auf und ab. Der brave Mann, wie sehr er besorgt ist um mein Seelenheil. Er zittert,

wenn er an das Böse denkt. Und ich? Er lacht heiser auf. Ich erschrack schon, als er uner-

wartet zu mir trat, weil ich meinte, den Teufel selbst zu sehen. Ich bin eben wie ein

Mensch, der einen Berg ersteigen will und vor der steilen Felsenwand, die plötzlich seinen

Weg versperrt, in Bangen stehen bleibt. Und schuld daran ist nur mein schwacher Geist,

der mir das Glück versagt, den Gipfel aller Weisheit zu erreichen. Und darum los von die-

sem Geist, der mich führt und niemals höher bringt, ich will mein eigener Herr auf dieser

Erde sein!

Es klopft.

2. Auftritt.

FAUST, KASPER1.

FAUST. Herein!

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KASPER. Guten Morgen! Ich bin der Herr, den Ihr zu sprechen wünschet.

FAUST beiseite. Na, der tritt wie ein Ritter auf; der scheint von seiner Wichtigkeit sehr über-

zeugt zu sein. Laut. Es freut mich, Deine Herrlichkeit zu sehen. Hoffentlich findest Du es

nicht unter Deiner Würde, in meinen Dienst zu treten?

KASPER. Nein, geehrter Herr Doktor. Ich suche schon lange einen Herrn, bei dem ich’s gut

haben könnte.

FAUST beiseite. Ein pfiffiger Vogel. Diese Art gefällt mir, denn Duckmäuser und Schmeichler

sind mir zuwider. Laut. Du sollst es bei mir nicht schlecht haben. Ich verlange nicht viel

Arbeit und zahle gut.

KASPER. Das läßt sich hören; denn von der Arbeit allein kann der Mensch nicht leben.

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FAUST. Wie heißt du denn?

KASPER würdevoll.

Ich bin als Kasper wohlbekannt,

man hat mich lieb im ganzen Land.

FAUST. Kasper? – Ein schöner Name. Und wie heißt du noch?

KASPER beiseite. Aha, das ist der Mann, der alles wissen möchte. Laut. Wie ich noch heiße? –

Ich heiße wie mein Vater.

1 Die Rolle des Kasper soll nach Tunlichkeit in die ortsübliche Mundart übertragen werden.

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FAUST. Und wie heißt denn Dein Vater?

KASPER. Mein Vater? – Der heißt wie ich.

FAUST. Und wie heißt ihr beide?

KASPER. Wie werden wir heißen? Wir heißen einer wie der andere.

FAUST. Du bist ein Schelm, Kasper, und gerieben.

KASPER unschuldig. Gerieben? – Ich wüßte nicht, wer mich gerieben hätt’.

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FAUST. Wo bist Du denn geboren?

KASPER beiseite. Ist das aber eine Neugierde! Laut. Wo soll ich denn geboren sein? Selbstver-

ständlich daheim bei meiner Mutter. Ich bin doch ein ordentlicher Christenmensch und

nicht in einem Vogelnest ausgebrütet worden.

FAUST lacht. Du hast es faustdick hinter den Ohren. Beiseite. Der lustige Bursche, er gefällt

mir sehr. Laut. Und was hast Du denn gelernt?

KASPER stolz. Was ich gelernt habe? – Ich habe alles gelernt. Zuerst hab’ ich das Liegen und

Trinken gelernt, dann das Sitzen und Essen, hernach das Reden und Lachen, dann das

Gehen und Laufen usw. usw. Kurz, ich kann alles, was ein zweibeiniger Diener kennen

muß. Ich begreif’ Euch überhaupt nicht, daß Ihr das noch fragen könnt. Es wäre doch

traurig, wenn ich das nicht könnte. Welcher Herr würde mich in den Dienst aufnehmen?

Ich wäre ja rein zu nichts zu gebrauchen.

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FAUST lacht belustigt auf. Kasper, Du bist ein ganzer Kerl; vor Dir muß man alle Achtung

haben. Ich nehme Dich als meinen Diener an und zahle Dir fünf Florentiner Jahreslohn.

Und nun paß auf, was Deine Tagesarbeit ist: Morgen früh, da bürstest Du schön die

Schuh’ und Kleider …

KASPER einfallend. Die putz’ ich mir eh, da habet keine Sorgen. Ordnung in meinen Kleidern

halten, das hab’ ich schon zu Haus’ gelernt.

FAUST. Aber, Kasper, m e i n e Kleider meine ich.

KASPER kratzt sich hinter dem Ohre. Ah so? – Na, da müßt Ihr mit mir deutsch reden. Ich bin

kein gelehrter Mann und kann nicht alles wissen.

FAUST. Wenn wir auf Reisen sind – und das wird jetzt sehr häufig sein – , so weckst mich

um 8 Uhr früh ganz sachte, daß ich nicht erschrecke.

KASPER zu den Kindern. Das lange Liegen werde ich ihm schon abgewöhnen. Um fünfe wird

Krawall gemacht. Laut. Ich werde Euch in der sanftesten Weise wecken.

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FAUST. Sind wir zu Hause, so staubst Du fein die Bücher ab, spitzt die Federn und machst

die Tinte an.

KASPER zu den Kindern. Kinder, wißt Ihr, wie man Tinte macht?

KINDER. Nein.

Ich auch nicht. O jemine! Da komm’ ich selber in die Tinte. Laut. Ihr sollt mit meiner

Tinte wohl zufrieden sein.

FAUST. Kommt ein ungelegener Besuch, so fertigst ihn in gebührender Weise selber ab. Ich

glaube, Du hast das rechte Zeug dazu.

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KASPER macht einen Freudensprung. Das möcht’ ich meinen! Ich war doch durch drei Jahre in

einem Gasthof erster Hausknecht. Dort habe ich das edle Handwerk aus dem ff gelernt.

Der Wirt „Zum Grobian“ hat öfter gesagt, ich würde mir einmal in meinem großen Eifer

meine eigenen Knochen brechen und sie im Schneuztüchel nach Hause tragen müssen. So

weit ist es aber niemals gekommen. Da aber mit der Zeit alle Leute unserer Gastwirtschaft

in einem großen Bogen ausgewichen sind und ich ein Hausknecht ohne Arbeit gewesen

bin, da hab’ ich mit schwerem Herzen Abschied genommen von dem Wirt „Zum Gro-

bian“, um mich anderswo um eine andere Beschäftigung umzusehen. Gott sei Lob und

Dank, daß ich bei Euch wieder eine Arbeit gefunden habe, die meinem guten Ruf nicht

schadet. 14

FAUST. Fühlst Du Dich aber auch stark genug, diesen unter Umständen sehr anstrengenden

Dienst in der entsprechenden Weise zu versehen? Du scheinst mir, Deinem Äußeren nach

zu schließen, nicht der Mann zu sein …

KASPER beleidigt. Herr, Ihr kennet meine Kräfte nicht; ich bin imstand’, den Teufel in die

Flucht zu jagen. Probieret nur ein wenig mein Zauberstöckel, Ihr sollt ein zweitesmal an

meiner Kunst nicht zweifeln.

FAUST lacht. Ich danke schön, mein Rücken ist nicht von Leder. Beiseite. Das ist der richtige

Mann, den ich wohl brauchen werde. Laut. Also du bist gedingt von heute an. Geh jetzt zu

meinem Famulus und sage ihm, daß wir morgen reisen!

KASPER. Was? Wir reisen? Und schon morgen? Juchhe, das wird ein Leben sein!

Er tanzt vor Freude und hüpft mit der 1. Strophe des Kasperlliedes hinaus. – Siehe Beilage!

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3. Auftritt.

FAUST, später MEPHISTOPHELES und DER WEIßE GEIST.

FAUST. Nun rasch ans Werk! Noch in dieser Stunde will ich mir den Höllenfürsten dienstbar

machen. Er geht zum Tische, auf dem das Zauberbuch liegt. Nicht mehr soll mich die Angst

ergreifen, mit Mut und unerschrocken will ich die Tat vollbringen. Doch zuerst will ich

nochmals die Zauberworte lesen, die mich zum Ziele führen sollen.

Er liest. „Erstlich, soll der Höllengeist Gestalt und Form erlangen, muß vorerst der Meister

mit geweihter Kreide einen Zauberkreis auf die Erde machen. Zum andern, soll der Geist

auf Befehl des Meisters erscheinen, muß er laut und unverzagt die Formel sprechen, die

zum Schlusse steht. Beim Worte „Perluke“ erscheint der schwarze Fürst der Unterwelt,

darnach er in dem Kreise so lang verbleiben muß, so lang es dem Meister beliebet. Zum

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dritten, soll der Geist aus dem Kreis verschwinden, spricht der Meister das Wort „Piluke“.

Und letzlich, soll der Geist aus dem Kreise treten und zu Willen des Meisters sein, muß der

Meister eine Schrift dem Geiste geben, die er mit seinem eigenen Blute geschrieben hat.“

So will ich denn nach diesen Worten handeln. Hier ist die Kreide, die ich nötig habe, und

hier in der Mitte zieh’ ich den Zauberkreis. Er nimmt eine Kreide, die auf dem Tische liegt und

macht in der Mitte des Zimmers einen Kreis. Dann spricht er laut. Und nun sag’ ich vertrauensvoll

den Zauberspruch. 16

Schwebe aus dem Grunde,

Geist der Unterwelt,

hör’ aus Meisters Munde,

was er Dich bestellt!

Hokus, pokus, spiritus,

bambus, heirus, satanus.

Perluke!

Ein Donnerschlag und MEPHISTOPHELES erscheint im Kreise.

MEPHISTOPHELES ergrimmt. Brrr! Wer ruft mich aus dem Schattenreiche? Welcher Erden-

wurm wagt es, mich mit seinem Zauberwort zu meistern?

FAUST unerschrocken. Ich, Magister Doktor Johann Faustus, will ein Bündnis mit Dir schlie-

ßen.

MEPHISTOPHELES besänftigt. So, so. Ich bin bereit, Deine Wünsche anzuhören.

FAUST. Mein höchster Wunsch ist es, die tiefsten Geheimnisse der Welt zu erforschen. Aus

diesem Grund bedarf ich Deiner Hilfe und verlange daher von Dir, daß Du mir untertänig

und gehorsam sein sollst wie ein Diener.

MEPHISTOPHELES brummt. Nur ungern diene ich den Menschen, doch wenn ich mich

befleiße, ihr treuer Diener zu sein, dann heische ich auch hohen Lohn. Ist Dir der Preis

bekannt, den ich für meine Dienste fordere?

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FAUST ruhig. Ich kenne ihn und will Dir meinen Geist zu eigen geben, der schwächlich ist,

die Rätsel der Welt zu lösen.

MEPHISTOPHELES. Ich bin’s zufrieden. So nenne denn Deine Bedingnisse, damit ich weiß,

ob ich imstande bin, sie zu erfüllen.

FAUST. Fürs erste sollst Du mir die Macht verleihen, daß ich als Geist erscheinen kann. Fürs

zweite, sollst Du in meinem Hause unsichtbar regieren und alles tun, was ich Dir zu tun

befehle. Und schließlich, Du sollst mir, so oft ich es fordere, in der Gestalt erscheinen, die

ich Dir auferlege.

MEPHISTOPHELES. Einverstanden. Ich will Dir in allen diesen Punkten gehorsam sein,

wofern Du auch gesonnen bist, mir in folgender Weise zu gehorchen: Erstlich, wenn Du

versprichst, mir Deine Seele zu verschreiben, zum andern, allen guten Menschen feind zu

sein, und zum dritten, den christlichen Glauben zu verleugnen. Versprichst Du mir das mit

deinem Blute, so diene ich Dir zwölf Jahre lang und Du sollst alles haben, was Dein Herz

gelüstet und begehrt.

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FAUST beiseite. Ich glaube, der Teufel ist nicht so schwarz, wie man ihn gewöhnlich malt. Die

Bedingungen sind leicht zu erfüllen. Laut. Ich bin es einverstanden.

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MEPHISTOPHELES verschwindet; im nächsten Augenblicke steht er neben Faust in der

Gestalt eines Mönches.

Hier ist das Pergament, darauf Du die Urkunde schreiben sollst. Ich werde Dir mit einem

Biß eine Ader öffnen und hierauf diktieren.

FAUST erschrickt, faßt sich jedoch wieder. Ha, Teufel, wie bist Du grausam! – Doch ich bin bereit.

MEPHISTOPHELES neigt sich zum Faustus und beißt ihn heftig in die linke Hand. FAUST stößt einen Schmerzensschrei aus, in demselben Momente erscheint

über seinem Haupte EIN WEIßER GEIST.

DER WEIßE GEIST mit trauriger, tiefer Stimme.

O Faustus, denk doch, was Du treibst,

daß Du dem Teufel Dich verschreibst!

Er verschwindet.

FAUST bestürzt; er sieht hinauf. Was war das? – Hat nicht jemand über meinem Haupt gespro-

chen?

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MEPHISTOPHELES eisig. Du träumst; Deine schwachen Menschensinne trügen Dich. Das soll

nun anders sein. Du wirst fortan mit meiner Geisteskraft die Dinge sehen und auch hören.

FAUST beruhigt. Wohlan denn, so fang an, ich schreibe! Er setzt sich zum Tische und schreibt nach

dem Diktate des Teufels.

MEPHISTOPHELES diktiert.

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Ich, Doktor Johannes Faustus, bekenne mit meiner eigenen Hand öffentlich in Kraft die-

ses Briefes: Nachdem ich mir vorgenommen, die Elemente zu erforschen, aus den Gaben

aber, die mir von oben herab beschert worden, solche Geschicklichkeit in meinem Kopf

nicht befinde, so habe ich gegenwärtigem Geist, der sich Mephistopheles nennt, mich

untergeben und ihn dazu erwählt, mich zu berichten und zu lehren, wie er mir auch ver-

sprochen hat, in allem untertänig und gehorsam zu sein. Dagegen verspreche ich ihm hin-

wieder, daß er nach 12 Jahren mit mir nach seinem Gefallen zu schalten und zu walten

gute Macht haben solle, mit allem, es sei

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Seele, Fleisch, Blut und Gut, und das in Ewigkeit. Dazu absage ich allen, die da leben,

allem himmlischen Heer und allen Menschen. Zu fester Urkunde und mehrerer Bekräfti-

gung habe ich diese Verschreibung mit eigener Hand und mit meinem eigenen Blute

geschrieben und unterschrieben.

Johannes Faustus, Doktor.

So, das Bündnis ist abgeschlossen. Ich bin Dein und Du bist mein.

Er verschwindet mit dem Pergament.

FAUST springt auf. Es ist vollbracht! Ich fühle mich wie neugeboren. Meine Augen sehen mit

nie gekannter Schärfe und meine Ohren hören sogar die Fliegen an der Wand. Er geht einige

Schritte vorwärts. Neue Kräfte fühle ich in meinen Adern strömen, und als hätt’ ich Flügel,

so leicht ist mein Schritt und Gang. O Faustus, Du hast erreicht, was Du gewünscht, die

ganze, ganze Welt ist Dein! Er eilt hinaus.

4. Auftritt.

KASPER, später MEPHISTOPHELES.

KASPER kommt trällernd in die Stube, plötzlich niest er mehrmals. Pfui Teuxel! Da stinkt’s wie in

einer Düngerfabrik. Ein rechtschaffener Misthaufen ist der reinste Rosenhügel dagegen.

Da muß ich aber gleich die Tür aufmachen. Er öffnet die Tür. Wer mag nur den verteufelten

Gestank hereingebracht haben? Zu den Kindern.

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Kinder, wißt Ihr’s nicht?

DIE KINDER. Ja, der Teufel!

Was? Der Teufel? – Na, so eine Frechheit! Schade, daß ich nicht da war! Den hätt’ ich zur

Strafe zwei Stunden knien lassen. Da würde ihm schon die Lust vergehen, hier einen sol-

chen Gestank zu machen. – Nun bin ich aber sehr neugierig, ob da auch so viel buntes

Bandelkrämerzeug zu finden ist, wie ich bisher in den anderen Zimmern gesehen habe. Er

erblickt das große Zauberbuch. Himmlischer Strohsack! Da liegt ja ein ur= ur= ur= ur= uraltes

Buch! Er hüpft auf den Stuhl und schaut in das Zauberbuch. Ei, ei, das muß ich mir mal ein

wenig beaugapfeln. Er steckt seine Nase tief ins Buch hinein und liest. M – m – m – m – m –

erstlich – m – m – m – zum andern – m – m – m – Perluke – m – m – m – zum dritten –

m – m – m – Piluke – und letztlich – m – m – m – schwebe aus dem Grunde – m – m – m

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– hokus, pokus – m – m – satanus. – O jegerl! Das ist ja ein Zauberspruch! Den muß ich

aber gleich erproben. Er springt vom Sessel hinab, nimmt die Kreide und macht einen Kreis auf der

Erde. Eh! Da ist schon ein Kreis, macht aber nichts, doppelt genäht, hält besser. So, jetzt

sind wir fertig. Die Vorstellung kann beginnen. Er hüpft wieder auf den Stuhl und liest mit lauter

Stimme.

Schwebe aus dem Grunde,

Geist der Unterwelt,

hör’ aus Meisters Munde,

was er Dich bestellt!

Hokus, pokus, spiritus,

bambus, heirus, satanus.

Perluke!

Ein Donnerschlag. MEPHISTOPHELES erscheint im Kreise. 22

MEPHISTOPHELES voller Wut stampfend. Brrr! Wer ist der Erdenwicht, der sich dünkt, er sei

mein Meister?

KASPER hält sich die Nase. Püh, Du stinkst wie ein frischer Kleister.

MEPHISTOPHELES knirscht mit den Zähnen. Ich zerreiße Dich in tausend Teile!

KASPER lacht. Hi – hi, nur pomalu, sonst kriegst Du Keile.

MEPHISTOPHELES pfaucht wütend. Ich fresse Dich mit Haut und Haar!

KASPER höhnisch. Beiß in Deinen Schwanz, Du armer Narr!

MEPHISTOPHELES speit Feuer. Ich spieße Dich auf meine Gabel!

KASPER mit spöttischem Gelächter. O je, die ist nichts wert, ich borg’ Dir meinen Sabel.

MEPHISTOPHELES rennt heulend im Kreis herum. Laß mich aus aus diesem Haus!

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KASPER. Bis ich will, Du schwarze Maus.

Zu den Kindern. Kinder, lacht sie einmal tüchtig aus!

Die Kinder lachen.

So, liebes Mäuschen, jetzt kannst nach Belieben in Deinem Loche tanzen. Ich werde der-

weil die Tür schließen Er springt vom Sessel und macht die Tür zu. damit Du Dich nicht ver-

kühlst. Du könntest leicht die Grippe kriegen und ich hab’ hier keine Medizin, die Dich

wieder gesund machen würde.

DER TEUFEL rast wie ein Wahnsinniger herum.

Liebes Mäuschen, mir scheint, Du willst mehr Bewegung machen. Nun, Dir kann geholfen

werden. Zu den Kindern. Jetzt, Kinder, paßt mal auf, wie das Mäuschen springen kann! Zum

Teufel gewendet. Piluke! – Perluke! – Piluke! – Perluke! – Piluke! – Perluke! – Piluke! – Per-

luke! –

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KASPER wiederholt etlichemal die Zauberworte und MEPHISTO fliegt nach dessen Befehle bald aus dem Kreise hinaus, bald wieder in den Kreis hinein. Dabei sind starke Donnerschläge zu hören.

So, liebes Mäuschen, jetzt glaub’ ich, daß Du hinreichend Bewegung gemacht hast.

MEPHISTOPHELES brüllt vor Wut.

Ich nehme Deine freundliche Zustimmung mit besonderer Befriedigung zur Kenntnis und

entlasse Dich nun in allen Gnaden. Piluke!

DER TEUFEL verschwindet mit Donnergekrach.

Ha, Ha, ha, ha, ha! Kasper kugelt sich vor Lachen. Da hab’ ich einmal den dummen Teufel

ordentlich drang’kriegt. Wenn das meine selige Großmutter gesehn

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hätte, die wäre ganz aus dem Häusel gekommen. Die hat immer gemeint, der Teufel sei ein

geriebener Fuchs, dem man auf keine Weise beikommen kann. In Wahrheit ist er ein blitz-

dummer Kerl, den man zum besten halten kann, wenn man es nur recht versteht. Gut, daß

ich das Zaubersprüchlein weiß, ich werde es mir für die Zukunft merken, wer weiß, ob ich

es nicht noch einmal im Leben brauchen werde. Geht singend ab.

Der Vorhang fällt.

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ZWEITER AUFZUG

Von Faustus Abenteuern.

1. Auftritt.

GRAF HARTMANN, RITTER ROMUALD.

HARTMANN geht dem Ritter entgegen. Nun, mein lieber Ritter Romuald, was bringet Ihr für

Nachrichten?

ROMUALD. Eure gräfliche Gnaden, erschrecket nicht! Es ist eine höchst betrübliche Kunde,

die ich bringe. Das ganze Land ist im hellen Aufruhre, aus allen Dörfern strömen die

bewaffneten Bauern zusammen, sie zünden und morden, der wildeste Bauernkrieg ist ent-

brannt.

HARTMANN erschrocken. Was Ihr nicht sagt. Das ist ja unerhört! Die Bauern, sie hätten sich

gegen ihre starken Herren empört? – Das kann ich nicht glauben.

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ROMUALD. Und doch ist es so. Es geht ein Leuchten durch die Welt. Überall stehen Predi-

ger auf, die dem Volke die Augen öffnen und sie über ihre Menschenrechte aufklären.

Eine neue Religion will die Christen frei und besser machen. Die Bauern wollen nicht

mehr fronen, sie verweigern den Zehent und rufen nach Gleichheit und Freiheit. Schon

haben sie die Grenzen unseres Gaues überschritten und ziehen raubend und sengend von

Burg zu Burg.

HARTMANN entsetzt. Mein Gott! Das ist ja furchtbar. Und meine Untertanen?

ROMUALD bitter. Eure Untertanen? – Es ist ihnen nicht zu trauen. Sie warten allem

Anscheine nach nur auf den Feind, um sich ihm begeistert anzuschließen, sobald er

kommt. Sie werden die Burg des edlen Grafen Hartmann von Hartenfels keineswegs

schonen.

HARTMANN bestürzt. Und naht denn keine Hilfe?

ROMUALD. Kaiser Karl und sein Heer sind weit und ehe sie kommen, sind alle Burgen zer-

stört. Wenn nicht ein Wunder geschieht, so sind wir alle verloren; denn eine Flucht ist

unmöglich. Wir sind von allen Seiten eingeschlossen. 27

HARTMANN. Verdammt! So wollen wir, falls es ernst werden sollte, unser Leben bis zum

letzten Blutstropfen verteidigen. Unsere Frauen und Kinder sollen an uns würdige Männer

und Väter finden.

ROMUALD. Gewiß. Doch wäre es viel besser, wir könnten die Feinde so verjagen, wie es

kürzlich Euer Freund Faustus bei Innsbruck getan.

HARTMANN. Erzählet, Ritter Romuald, mir ist dieses Abenteuer meines Freundes nicht

bekannt!

ROMUALD. Doktor Faustus weilte vor kurzer Zeit am Hofe des Kaisers Karl. Als er nun

Abschied genommen und schier anderthalb Meilen von Innsbruck entfernt war, erblickte

er jäh sieben Reisige, die mit aufgezogenen Hahnen auf ihn losritten. An der Spitze war

aber der Ritter, dem Faustus bei Hofe für kurze Zeit ein Hirschgeweih auf den Kopf

gezaubert hatte und der sich deshalb an dem Doktor Faustus rächen wollte. Faustus ver-

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Doktor Faustus. Frei bearbeitet von Willibald Böhm. http://lithes.uni-graz.at/texte.html

barg sich ein Weilchen in einem Dickicht, er kam jedoch bald wieder hervor, indem gleich-

zeitig das ganze Dickicht voll von geharnischten Rittern war, die alle auf die sieben Gesel-

len losrannten. Da gaben sie das Fersengeld. Sie wurden aber eingeholt und mußten sich

ergeben. Faustus schenkte ihnen die Freiheit, verzauberte sie jedoch, so daß sie einen

Monat lang Ziegenhörner und die Pferde Kuhhörner tragen mußten. Das war ihre Strafe

und brachte sie in Spott und Schande. 28

HARTMANN. Das ist fürwahr eine ergötzliche Geschichte. Mein Freund Faustus versteht,

viel wunderhafte Zauberstücke zu machen. Wenn er hier wäre, er könnte uns gute Dienste

leisten. Wenn er auf seine Art dem Feinde ein großes Kriegsvolk im Harnisch vorzaubern

würde, wir wären ... Er hält erschreckt inne und eilt zum Fenster. Heiliger Georg! Da sehet,

Ritter Romuald, die blutige Röte am Himmel! Unser Verderben ist nahe. Mit erhobener

Stimme. O Faustus, Faustus, komm und rette uns!

Er eilt hinaus, der RITTER ROMUALD folgt ihm mit klirrenden Schritten nach.

2. Auftritt.

KASPER, MEPHISTOPHELES.

KASPER wird von Mephistopheles mit Blitzesschnelle von oben herab auf den Boden des

Zimmers gesetzt; Mephistopheles verschwindet ebenso schnell. Himmlischer Strohsack!

Wo bin ich denn eigentlich? Er sieht sich sitzend um. Ei jei – jei – jei! Ist es denn möglich? Da

bin ich ja in dem Empfangszimmer des Grafen Hartmann von Hartenfels. Da hängen ja

noch die Bilder, wie ich sie voriges Jahr gesehen habe, als wir den Grafen besucht haben.

Er springt auf und streckt sich. Ganz damisch bin ich von der schnellen Reise. Noch vor eini-

gen Minuten bin ich mit meinem Herren weit von da auf einer Landstraße geritten, da

kommt auf einmal so ein sakrischer Wind daher und schwupsdi! fliege ich durch die Luft.

Und ehe ich mich bei der Nase habe 29

zwicken können, ob ich denn noch am Leben bin, bumsdi! ist auch schon meine Herrlich-

keit im Zimmer Seiner gräflichen Gnaden. Zu den Kindern. O Kinder, Ihr wisset gar nicht,

was ich schon in den letzten neun Jahren gesehen und erlebt habe! Ihr würdet das Maul

gerade wie ein Nilpferd aufmachen, wenn ich Euch alles erzählen möchte, und Ihr würdet

es mir vielleicht gar nicht glauben, ich sag’ Euch aber, alles ist heilige Wahrheit, so wahr

wie der Stiefelwichs weiß – ach, ich wollte sagen: schwarz ist. Kinder, soll ich Euch was

erzählen?

KINDER. Ja, Kasperl, erzähl’ uns was!

Alsdann, macht eure Ohrwascheln ordentlich auf und loset zu! Er setzt sich ganz vorn auf den

Rand der Bühne und läßt die Beine frei herabhängen. Ich bin mit meinem Herrn – Ihr kennet ihn

ja, den Doktor Faustus – viel in der Welt herumgekommen. So sind wir einmal auch zu

den Kruzitürken gereist. Das sind Euch, Kinder, gar spaßige Leut’. Sie haben eine groß-

mächtige Stadt, die sie Stamperl heißen, und einen Kaiser,

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zu dem sie wie zu einem großen Hund Sultan sagen. Die Mannsleut’ haben auf dem Kopfe

rote Kastrols, die sie Fetzen heißen, und die Weibsleut’ tragen alleweil Maultücher, als

wenn sie ewig Schnupfen hätten. Auf ihren Kirchen, die sie als noblige Leut’ „Mossijö“

titulieren, sieht man ganz oben goldene 30

Kipfel, und wenn’s finster wird, schreit jede Stund’ ein besoffener Kerl herunter: „Allasch

sei mit euch!“ Na, schließlich hat er ja ganz recht: Stamperl und Schnaps passen gut

zusammen. Einmal ist nun mein Herr von dem Hund, ach! ich wollte sagen: vom Sultan

zum Abendessen eingeladen worden. Ich bin selbstverständlich auch dabei gewesen. Da

hat mein Herr dem Sultan verschiedene Zauberstückchen gezeigt, so daß der Sultan vor

lauter Freude ganz närrisch geworden ist. So hat er ihm auch ein Gespenst hervorgezau-

bert; das war grauslich anzusehen, ich hab’ geglaubt, der selige Esau wäre gekommen. Das

Gespenst hat zu dem Sultan gesagt: „Grüß’ Dich Gott, altes Haus! Kennst mich nicht, ich

bin der Mohammed, der Prophet!“ Da hat sich der narrische Sultan vor den Muhhammel

hingelegt wie ein Lineal und hat das Gespenst, denkt Euch, angebetet. So was hab’ ich

mein Lebtag nicht gesehen.

Ja, ja, mein Herr ist ein großer Zauberkünstler, wie’s keinen zweiten gibt. Was der für

Kunststücke schon ausgeführt hat, das kann ich Euch, Kinder, heute gar nicht erzählen.

Wir müßten sonst hier bis morgen früh sitzen bleiben. Er kann, ich lüg’ nicht, frei alles auf

der Welt, und was er einmal will, das geschieht auch. So hat er einst einen ganzen Heuwa-

gen mit ein Paar Pferden, einmal sogar einen Hausknecht verschluckt, ein andermal hat er

ein wunderschönes Schloß auf einen Berg hingezaubert, wieder ein andermal hat er einen

Tisch angezapft und die allerbesten Weine sind herausgeflossen – ja, du lieber Himmel, er

hat sogar die Toten aus den Gräbern zu sich befohlen und sie sind – brr! ich krieg’ die

Gänsehaut, wenn ich dran denk’ - umhergegangen, als wären sie lebendig gewesen.

Brr!

31

Er springt auf. Jetzt erzähle ich Euch nichts mehr. Sonst kriegen wir noch alle miteinander

die Fraisen und es wäre mir doch leid um Euch, denn so brave Kinder gibt’s doch nirgends

als hier in . . . . . . . Beiseite. Bis auf ein paar Spitzbuben, die der Krampus holen soll. Laut.

Ich will mich lieber um meinen Herrn umschauen und dabei mein Liedchen singen. Meine

gottselige Großmutter hat immer gesagt:

Immer lustig und fidel

Hält beisammen Leib und Seel’!

Und darum bin ich immer lustig und fidel und der Tod soll mich auch nicht in hundert

Jahren holen!

Ab mit der 2. Strophe des Kasperlliedes. – Siehs Beilage!

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3. Auftritt.

MEPHISTOPHELES, FAUST.

MEPHISTOPHELES bringt den Faust von oben herab. So, Dein Wille ist erfüllt. Ich hoffe Dich

zufrieden. Er verschwindet.

FAUST. Ja, mein Wille ist erfüllt. Das sehe ich. Ich

wünschte, daß ich mit meinem Diener Kasper nach der Burg Hartenfels mit Windes-

schnelle getragen werde,

32

und Mephistopheles erfüllte getreulich meinen Wunsch. Denn seltsamerweise hörte ich auf

meiner Reise die Stimme des Grafen über meinem Haupte erschallen, ich vernahm, wie er

meinen Namen laut rief, und da wollte ich die Ursache des sonderbaren Ereignisses erfor-

schen. Er geht erregt auf und ab. Ob ich aber zufrieden bin? Nein, das bin ich nicht. In meiner

Brust ist die Zufriedenheit nicht daheim. Der Teufel ist zwar ein treuer Diener und er hat

mir die tiefsten Geheimnisse des Lebens enthüllt, doch konnte er mich damit nicht zufrie-

denstellen. Denn je mehr ich ergründete, umsomehr quälte mich der Wissensdurst. Ich

fand mit jedem Tage, daß ich nicht alles erforschen könnte, und wenn ich tausend Jahre alt

würde. O Wagner, Du hattest recht, als Du sagtest, daß das Wissen allein nicht das Glück

des Menschen ist! Und doch möchte ich auch zufrieden sein und so glücklich, wie ich es

als kleiner Knabe war, als mich meine guten Eltern liebten und ich die größte Freude hatte

an allem Schönen, Edlen und – Guten. An allem Guten! Faust, weißt Du, was Du sprichst?

Warst Du denn in den letzten neun Jahren ein wenig nur zugetan den guten Menschen? –

Bist Du nicht vielmehr ein Feind gewesen allen braven Menschen? – Hast Du nicht bislang

alle tugendhaften Menschen genarrt, gespottet, verachtet und verfolgt? – O Faust, was hast

Du denn getan? !

Es nahen eilige Schritte.

Ha, es kommt jemand. Ich will mich jetzt nicht zeigen. Hier in der dunkeln Fensternische

will ich mich verstecken und lauschen. Er verbirgt sich.

33

4. Auftritt.

GRETCHEN, später FAUST.

GRETCHEN verzweifelt. Es ist entsetzlich! Wie ein Blitz aus dem heiteren Himmel stürzt das

Unglück über uns her. Die Dörfer um die Burg meines Vaters, noch vor einer Viertel-

stunde ein Bild des stillsten Friedens, sind der Schauplatz der wildesten Empörung gewor-

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den. Die Bauern umzingeln die Feste, ringsum flammen die Feuer, jeden Augenblick kann

der Sturm beginnen. O barmherziger Vater im Himmel, nimm uns in Deinen gnädigen

Schutz!

FAUST tritt leise hervor. Edles Fräulein, erschrecket nicht! Ich bin es, Euer Freund, der Doktor

Faustus.

GRETCHEN prallt erschrocken zurück. Ist’s möglich? ! Sie faßt sich schnell und eilt dem Doktor

entgegen. O willkommen, Herr Doktor! Ihr kommet wie gerufen. Helft uns, die Bauern rot-

ten sich zusammen und werden unsere Burg stürmen!

FAUST kühl. Fräulein Gretchen, Ihr verlangt von mir Unmögliches. Wie kann ich einzelner

Mann einer ganzen Bauernschar entgegentreten? Sie würden mich in tausend Stücke zer-

reißen.

34

GRETCHEN lebhaft. O sprechet nicht so, werter Herr Doktor! Euch ist nichts unmöglich. Die

Welt ist voll von Euren Taten.

FAUST. Ihr schmeichelt, edle Komtessin. Meine Schwarzkunst ist nicht weit her. Den Leuten

ein bloßes Blendwerk vorzumachen, ist noch keine Hexerei.

GRETCHEN. O nicht, Herr Doktor! Ihr könnt mehr, als sterbliche Menschen vollbringen

können. Ich weiß es und alle Leute auch. Ihr wollt uns aber nicht helfen, weil .... Sie weint.

FAUST bestürzt. Gnädiges Fräulein, o weinet nicht! Beiseite. Was soll ich machen? Soll ich

untreu werden meinem Worte? Er kämpft einige Augenblicke mit sich selbst. Dann spricht er

zögernd. Mein Fräulein, Ihr meinet, ich könnte helfen?!

GRETCHEN fällt zu seinen Füßen. Ja, Herr Doktor, Ihr könnet helfen, wenn Euer Herz nur

will. O helfet uns, Ihr seid ein Christ, der liebe Gott wird Euch segnen und glücklich

machen!

35

FAUST ergriffen. So stehet doch auf, mein liebes Fräulein! Der Mensch soll nicht vor Men-

schen knien. Er hebt sie auf.

Beiseite. Wie ist mir? Es wird mir so warm ums Herz. Ich fühle ein Erbarmen mit den guten

Menschen. Laut. Ich werde tun, was in meinen Kräften liegt, Fräulein Gretchen.

GRETCHEN. O tausendfachen Dank, lieber Herr Doktor! Sie reicht Faust die Hand. Gott möge

Euch’s lohnen!

FAUST. Danket nicht, ehe ich’s verdiene! Ich muß erst nachdenken, was unter den Verhält-

nissen zu tun rätlich wäre. Dürfte ich Euch, geehrtes Fräulein, bitten, mich für kurze Zeit

allein zu lassen, daß ich mich mit mir allein beraten könnte?

GRETCHEN. Gewiß, Herr Doktor. Doch lasset mich nicht lange warten. Ab.

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5. Auftritt.

FAUST, MEPHISTOPHELES.

FAUST. Mephisto, erscheine!

MEPHISTOPHELES erscheint in Mönchskleidung.

MEPHISTOPHELES. Ich wäre ohnehin gekommen, denn ich habe Euch belauscht.

36

FAUST. Du bist ein wahrer Teufel. So schlecht habe ich mir Deine verruchte Seele nicht

gedacht.

MEPHISTOPHELES lacht heiser. Es ist Dir wohl recht unangenehm, mein Faust, doch muß ich

Dich streng im Auge behalten; denn was Du jetzt tun willst, ist wider alle Rechte. Ich

warne Dich zum ersten und zum letzten Male, Dein gegebenes Versprechen als Mann zu

halten, sonst …

FAUST wild. Was? Du drohst, Satan? – Wer ist Dein Herr und Gebieter? !

MEPHISTOPHELES eisig. Ich bin Dein und Du bist mein! Noch einmal abgewichen von dem

Wege, den Du versprochen hast zu wandeln, und Du verfällst mir sofort mit Leib und

Seele.

FAUST stampft wütend mit dem Fuße. Ha! So willst Du mich schmählich im Stiche lassen, wo ich

an der Tür des Glückes steh’?

MEPHISTOPHELES lacht spöttisch. Du faselst, Faust, ein süßer Traum hat Dich verrückt

gemacht. – Doch, daß Du siehst, daß ich nicht so teuflisch bin, so will ich Dir diesmal,

jedoch nur dies

37

einzigemal, gegen unsere Abmachung behilflich sein. So sag’ denn, was ist Dein Begehr?

FAUST aufatmend. Ich danke Dir, Mephisto. Aber nur rasch ans Werk! Es muß, ehe das Burg-

fräulein wiederkommt, vollendet sein. Diese Burg soll mit allem, was da leibt und lebet, auf

eine schöne, friedliche Insel gezaubert werden und dort so lange bleiben, bis der Bauern-

krieg beendet ist.

MEPHISTOPHELES streckt befehlend die rechte Hand aus. Es geschehe! Er verschwindet.

6. Auftritt.

FAUST, GRETCHEN.

FAUST ruft zur Tür hinaus. Gnädiges Fräulein!

GRETCHEN eilt herein. Nun, darf ich hoffen?

FAUST führt Gretchen zum Fenster. Ja, mein Fräulein. Bemühet Euch zum Fenster und sehet

hinaus!

GRETCHEN im höchsten Grade erregt. Ach, was sehen meine Augen? – Ein herrliches Land,

umspült von den Wellen des Meeres, zu Füßen

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die friedlichen Dörflein, dort die grünen Wiesen und Wälder. . . . . ! Ist das nicht ein trüge-

rischer Traum, der meine Sinne umgaukelt? !

FAUST lächelnd. Nein, liebes Gretchen, alles ist wahr, Eure Augen trügen Euch nicht!

GRETCHEN umarmt stürmisch den Faust. Ach, edler Meister, wie soll ich Euch danken?

FAUST beglückt. Euch glücklich zu sehen, ist mein Lohn und Glück!

GRETCHEN reißt sich los. Auf Wiedersehen! Ich eile zu meinen Eltern, ihnen unsere Rettung

zu melden. Ab.

FAUST ruft ihr nach. Auf Wiedersehen! Und bring mir wieder die Kraft, gut und glücklich zu

sein! Auf der anderen Seite ab.

7. Auftritt.

KASPER.

KASPER stürzt herein. Na, jetzt weiß ich wirklich nicht, bin ich meschugge oder ist die Welt

närrisch geworden. Seh’ mich da nach

39

meinem Herrn um, wo er denn eigentlich steckt, und schau zu einem Fenster auf den Hof

hinaus, ob er nicht vielleicht dort zu finden ist, da schau ich auf einmal hinaus in die Weite

und seh’, du himmlischer Strohsack, ein wildfremdes Land, daß ich nicht gewußt hab’,

träum’ ich oder wach’ ich. Ich zwick’ mich schnell ein paarmal in mein Naserl, aber es hilft

nichts, das fremde Landl liegt noch immer vor mir, ein Landl, das ich mein Lebtag nicht

gesehen habe. Und ringsherum ist das blaue Meer, und auf dem großen Wasser schwim-

men schön still die Schifferln herum, gerade so, wie ich sie schon einmal bei der Stadt

Niapel gesehen hab’, wo der Teufel einen mentisch großen Backofen hat. Ich schau zufleiß

noch einmal in den Hof hinunter, ob ich denn wirklich in der Burg Hartenfels bin, aber es

ist so, ich bin da, und schau dann wieder hinaus und es ist alles wieder so, wie ich es vorher

gesehen habe. Da renn’ ich wie nicht gescheit auf den Turm hinauf und schau schnell in

die Weite, aber da ist das Landl auch nicht anders geworden, so daß ich frei nicht gewußt

habe, bin ich ein Mannl oder ein Weibl.

Jetzt ist mir aber alles eins, die närrische Welt soll mir auf den Buckl kraxeln, ich pfeif’ auf

den windverdrahten Faschingskollatschen. Wenn ich nur meinen Herrn finden täte, daß

ich endlich wüßt’, ob ich dableiben oder um ein Häusel weiter schieben soll.

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Zu den Kindern. He, Kinder, habt Ihr nicht vielleicht da herinnen den Herrn Doktor Faustus

gesehen?

KINDER. Ja, er ist da.

Wirklich? – Nun, dann mache ich kurzen Prozeß. Da soll er mich nur selber suchen. Ich

leg’ mich einfach da auf die Bretter und ruh’ mich von der verflixten Lauferei aus. Ein

Schläfchen kann ja nicht schaden. Kommt der Herr Faustus her, so wird er mich schon

sehen und gewiß auch wecken. Er soll einmal auch eine Freud’ haben, er ist ohnehin schon

seit langer Zeit so brummig wie eine alte Baßgeige. Er legt sich nieder. Und Ihr, Kinder, seid

fein still, daß ich schlafen kann, sonst steh’ ich auf und hau’ Euch durch. So, jetzt behüt’

Euch Gott alle miteinander und träumt heut abend wie ich von einer großen Leberwurst

und von einer Riesenbuchtel! Amen. Er schnarcht.

Der Vorhang fällt.

41

DRITTER AUFZUG.

Von Faustus Erlösung.

1. Auftritt.

GRETCHEN, HARTMANN.

GRETCHEN begeistert. Wie reizend ist doch der deutsche Wald! Es gibt nichts Schöneres auf

der Welt, nichts auf Erden gleicht seiner Pracht und Hoheit. O, wie danke ich dem lieben

Gott, daß er dem deutschen Land diesen Schmuck verliehen hat! Wie glücklich bin ich,

daß ich wieder in meinem grünen Walde bin und mich erfreuen kann an seiner Herrlich-

keit!

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HARTMANN. Du hast recht, liebe Tochter. Es gibt nirgends seinesgleichen. Wie schön war

doch der Wald dort auf jener fernen Insel, wo wir geborgen waren vor der Wut des

empörten Bauernvolkes, und doch, er konnte

42

mir nie den Wald der deutschen Heimat ersetzen! Darum bin ich meinem Freunde Faustus

zu größten Dank verpflichtet, daß er uns wieder heil und unversehrt in unsre liebe Heimat

gebracht hat.

GRETCHEN seufzt. Ach, wo mag nur Faustus weilen! Er hat sich so schnell und ohne jeden

Abschied von uns entfernt, da er uns gerettet hatte, so daß es uns nicht möglich war, ihm

unseren Dank in geziemender Weiße abzustatten.

HARTMANN. Gestern hörte ich die Leute in unserem Nachbardorfe erzählen, daß in diesem

Walde ein Mann mit seinem Diener hause. Sie sollen bereits öfter gesehen worden sein

und ihrer Beschreibung nach zu schließen, vermute ich sehr, daß Faustus und sein lustiger

Geselle in unserer Nähe sind.

GRETCHEN lebhaft. O, dann wollen wir doch Umschau halten, vielleicht führt uns ein Zufall

zu den guten Leuten!

HARTMANN. Das können wir ja tun, doch meine ich, es wird uns kaum gelingen. Der Wald

ist dicht und an vielen Stellen unwegsam, so daß wir sie schwerlich finden werden.

GRETCHEN. Immerhin, wir wollen es versuchen. Es wär’ doch so schön, wenn wir den

Doktor Faustus in unserer Heimat wiederum begrüßen könnten.

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HARTMANN. Wohlan denn, versuchen wir es, vielleicht ist das Glück uns hold!

Beide ab.

2. Auftritt.

KASPER.

KASPER bewaffnet mit einem langen Stecken, marschiert auf. Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grena-

dier, fünf,

sechs, alte Hex, sieben, acht, Kasperl wacht, neun, zehn, jetzt bleib’ ich steh’n. Macht halt.

Donner und Doria! Ist das eine Arbeit! Der helle Schweiß rinnt mir von der Stirn, ich

kleck’ nicht, mein Schneuztüchel auszuwinden. Hätt’ mir nie gedacht, daß so eine Wachte-

rei eine solche Sauarbeit ist. Aber was geschehen muß, muß geschehen. Mein gottseliger

Vater – er ist Soldat gewesen – hat immer gesagt: „Böfehl ist Böfehl!“ Und mein Herr hat

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mir den „Böfehl“ gegeben, ich soll hier wachten, und es wäre doch traurig von mir, wenn

ich ihn nicht perspektiven, herstellt! spektivieren, herstellt! respektiern tat.

DER PUPPENSPIELER schaut ein wenig in die Bühne hinein: Schäm’ Dich, Kasperl, vor den Herrschaften! Bist Du denn nicht deutsch, daß Du ein solch dummes Kauderwelsch daher-

44

redest? ! Daß mir das nicht mehr geschieht, Kasperl, sonst bin ich hab auf Dich!

Herrschaft noch einmal! Jetzt hab’ ich’s g’kriegt! Na, es soll nimmer geschehen; das tu ich

mit meinen Händen und Füßen bemeineiden. Und nun weiter: Eins, zwei, Polizei, drei,

vier, Grenadier ... Er bleibt stehen und wischt sich den Schweiß ab. Herr Gott, bin ich müde! Na,

ein bissel Niedersetzen wird ja nicht gegen das Reglement . . . .

DER PUPPENSPIELER schlägt ihn mit der Hand auf den Mund.

au! wollt’ ich sagen: gegen die Dienstordnung sein.

Kasperl setzt sich vorn nieder und spricht zu den Kindern. Ja, Kinder, es ist ein schweres Amtl, was

ich jetzt habe. Aber macht nichts, meinem Herrn zulieb’ tu ich alles und sollt’ ich auf

meine Leibspeise – Powidelknödel mit Semmelbröseln – ein ganzes Jahr verzichten! – Der

arme Herr! Er tut mir von Herzen leid. Er ist jetzt so traurig, daß ich meine, er wird vor

lauter Herzleid sterben. Und das Schlimmste ist, ich weiß nicht, was ihm eigentlich fehlt;

ich möcht’ ihm ja so gern helfen. Denkt Euch nur, wenn er nicht einmal ein bißchen lacht,

wenn ich sing’ oder selber lach’, na, da muß er schon sakrisch krank sein. Anfangs, als wir

hergezogen sind, da ist es mit ihm noch angegangen, da hat er Blümelein gesucht und

Käfer und Schmetterlinge gefangen und hat den Vöglein zug’lost, wie die im Walde so

schön singen, aber dann ist er ganz ängstlich geworden, vor jedem Eichkatzl und Eidechsel

ist er zusammengeschrocken und ist die längste Zeit zwischen den großen Steinen gehockt

und hat mir strenge befohlen, ich soll nur recht fleißig achtgeben, daß ihm niemand etwas

zuleide tut. Heut früh ist er aber gar so traurig gewesen, er hat von seinem Felsenhaus alle- 45

weil nach der schönen Burg Hartenfels hinübergeschaut, daß ich geglaubt hab’, sein Herz

wird ein Kasquarkel. Kasper, hat er gesagt, heut nehmen wir Abschied voneinander, ich

mach’s nimmer lang. Um neun Uhr ist’s aus! Geh wachten, ich komm’ vor neun Uhr auf

Deinen Posten, da werd’ ich Dich zum letzten Male sprechen. Kinder, ich hab’ gemeint,

mir tut jemand mit einem Spagatl den Hals zuschnüren, so weh’ hat’s mir getan, daß ich

hernach – ich schäme mich nicht, es zu sagen – geweint hab’ wie ein altes Weib. Na, hab’

ich zu meinem Herrn gesagt, ich verlaß Euch nicht und sollt’ ich zu Grund gehen mit

Euch, und sterben werdet Ihr auch nicht, denn dazu seid Ihr noch zu jung, und . . . .

Er springt auf und lauscht. Ich höre Schritte, er kommt. Kasper, schnell, tu Deine Pflicht! Er

marschiert auf und ab. Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grenadier, fünf, sechs, alte Hex, sieben,

acht, Kasperl wacht . . . .

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3. Auftritt.

FAUST, KASPER.

FAUST beiseite wehmütig. Der gute Kasper! Wie treu er seines Amtes waltet! Laut. Ich danke

Dir, lieber Kasper, für Deine Mühe. Es ist das letzte Mal, daß ich Deine treuen Dienste

beansprucht habe. Mit dieser Stunde benötige ich Dich nicht mehr und wir wollen daher

Abschied nehmen. 46

KASPER bestürzt. Was, Abschied nehmen? Das kann doch nicht möglich sein! Er eilt auf seinen

Herren zu und umfasst seine Knie. Herr Doktor, ich bitt’ Euch, verstoßet mich nicht! Ich kann

ohne Euch nicht leben, es wär’ mein Tod!

FAUST gerührt, hebt den Kasper auf. Lieber Freund, mach’ mir den Abschied nicht schwer! Es ist

so, wie ich sagte: Wir müssen scheiden.

KASPER schreit auf. Ach, lieber Herr, warum sollen wir uns trennen? Seid Ihr vielleicht meiner

überdrüssig geworden?

FAUST weich. Nein, herzensguter Kasper. Aber . . . . Beiseite. Ich muß ihm doch die Wahrheit

sagen. Laut. Ich will Dir sagen, warum wir uns trennen müssen. Er setzt sich auf einen Stein.

Da setz’ Dich neben mir und hör’ zu! Ich will Dir nichts verschweigen. Vor allem teile ich

Dir mit, daß ich ein Bündnis mit dem Teufel abgeschlossen habe.

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KASPER verwundert. Was? Mit dem Teufel? Mit dem vermaledeiten Gottseibeiuns? !

FAUST traurig. Ja, Kasper. Ich tat es, weil ich glaubte, ich würde glücklich sein, wenn ich alles

wüßte und wenn ich die Macht hätte, alles zu tun, was ich will. Es war töricht von mir, daß

ich solches glaubte, denn ich wurde nicht glücklich, und nur zu spät lernte ich einsehen,

daß wir nur dann wahrhaft glücklich sind, wenn wir Gott und alle braven Menschen von

Herzen lieben und wenn wir immer Gutes tun. Doch, ich will Dir keine langen Lehren

geben, Du warst ja stets ein wackerer Bursch, den alle liebten und der niemals wissentlich

etwas Unrechtes getan. Ich will Dir nur noch sagen, daß ich heute meinen frevlen Hoch-

mut bitter büßen muß. Der Teufel wird mich um die neunte Stunde holen und mein Leib

und meine Seele sind dann ewig sein.

KASPER springt auf. Du himmlischer Strohsack! Und da wißt Ihr Euch, Herr Doktor, gar

nicht zu helfen?

FAUST steht ganz gebrochen auf. Nein, mein lieben Kasper. Ich bin verloren.

KASPER lacht belustigt auf. Ha, ha, ha! Ein studierter Doktor sein und sich nicht helfen kön-

nen. Da wird Euch halt der dumme Kasper helfen.

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FAUST ungläubig. Du, Kasper, wolltest mich retten? !

KASPER bestimmt. Ja, mein Herr. Ich werde den Teufel schon drankriegen. Geht nur heim in

Euer Felsenloch und laßt mich machen! Ich werde mit dem verflixten Schwefelpatron

allein fertig werden und Euch hernach aufsuchen.

FAUST geht traurig ab. Mach’, was Du machen willst, mein lieber Kasper! Ich glaube aber, alle

Deine Bemühungen werden vergeblich sein.

4. Auftritt.

KASPER, später MEPHISTOPHELES.

KASPER. Das wär’ traurig, daß ich mit dem Teufel nicht fertig würde. Dem werde ich schon

heimleuchten, dem grauslichen Seelenschinder. Der soll auf mich noch nach tausend Jah-

ren denken. Er geht einige Schritte vor. Jetzt aber schnell an das Erlösungswerk! Gut, daß

ich immer ein Stück geweihte Kreide bei mir habe. Er sucht in der Tasche und holt die Kreide

hervor. So, jetzt mache ich zuerst ein Löchlein für das Mäuschen, diesmal nicht so groß,

damit das Mäuslein nicht so viel Platz zum Tanzen hat.

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Er zieht den Zauberkreis. Und jetzt man los das Zaubersprüchel, daß das dumme Vieh in die

Falle springt. Mit hämischer Freude.

Schwebe aus dem Grunde,

Geist der Unterwelt,

hör’ aus Meisters Munde,

was er Dich bestellt!

Hokus, pokus, spiritus,

bambus, heirus, satanus.

Perluke!

MEPHISTOPHELES erscheint mit Donnergetöse. Brr! Ich folge Deinem Rufe, elender Erdenknirps.

Was heischt Du von mir?

KASPER kichernd. Hi, hi, hi! Schön willkommen, Freundchen! Vorderhand will ich nichts von

Dir, im Gegenteil, Du sollst von mir etwas kriegen. Hoffentlich kennst mich noch.

MEPHISTOPHELES brummt zornig. Wohl kenne ich Dich, Kasper. Du bist der Diener des

Faustus, den ich mir in ein paar Minuten holen werde. Mach’ keine langen Geschichten

und sag’, was Du von mir willst! Ich habe keine Zeit zu verlieren.

KASPER. Ich hab’ Dir schon einmal gesagt, vorderhand will ich nichts von Dir, sondern Du

sollst von mir den Lohn für deine Dienste, die Du meinem Herrn geleistet hast, ausbezahlt

erhalten. Schau’ Dir einmal dieses Stöckchen an, es ist aus Buchenholz und hält was aus!

50

MEPHISTOPHELES stampft wütend mit dem Pferdefuße. Mach’ keine Dummheiten! Sonst zerreiße

ich Dich in lauter Stücke.

KASPER lacht den Teufel aus. Ha, ha, ha! Wenn Du könntest, liebes Freunderl, willst Du sagen.

Aber so kannst Du nicht und bist in meiner Hand. Alsdann, zuerst das Versprochene.

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Er geht dem Kreise näher und schlägt im Takte nach dem TEUFEL; dabei singt er die 3. Strophe des Kasperlliedes. – Sieh Beilage!

MEPHISTOPHELES brüllt vor Schmerzen. Hu, hu, hu, hu! Es ist schon genug. Du haust mich ja

tot.

KASPER hört zu schlagen auf. Nun, so machen wir derweilen „Ruht!“ Mir tut ohnehin die

rechte Hand schon weh. Dann können wir ja zur Abwechslung die Linke benützen. Meinst

Du nicht, liebes Mauserl?

MEPHISTOPHELES ächzt. Laß mich los, Kasper! Ich halt’ es da nimmer aus!

51

KASPER gemütlich. Na, so geschwind haben wir miteinander nicht abgerechnet. Du bleibst

schön in Deinem Löchlein, und zwar so lange, bis Du meine Bedingnisse erfüllst, die ich

stellen werde. Ich hab’ Zeit und kann warten. Ich sag’ Dir, ich hab’ eine Geduld wie ein

Lammerl und kann auch jahrelang warten.

MEPHISTOPHELES springt voller Wut auf und ab. Kasper, Kasper, hab doch Erbarmen! Ich tu

alles, was Du willst. Laß mich nur heraus!

KASPER vergnügt. So laß ich mir’s gefallen, närrischer Schwanz. So los’ mal zu: Fürs erste, Du

bringst mir die Schrift, die Dir mein Herr gegeben hat; fürs zweite, Du versprichst mir, nie

mehr auf die Erde zu kommen. Bist Du einverstanden?

MEPHISTOPHELES windet sich wie wahnsinnig auf der Erde. Das geht nicht, Kasper, nein, das

kann ich nicht tun. Verlange von mir die kostbarsten Schätze der Welt, Du sollst sie haben,

aber diese beiden Forderungen kann ich nicht erfüllen!

KASPER gleichgültig. Wenn Du nicht kannst, hm, so soll es mir auch recht sein. Dann bleibst

Du halt einfach in Deinem hübschen Löchlein und die Welt und mein Herr werden von

Dir

52

auch Ruh’ haben. Mir ist alles Wurst. So behüt’ Dich Gott, mein bockiges Kind, und

unterhalt Dich gut! Er will sich entfernen.

MEPHISTOPHELES voller Angst. So bleib doch, Kasper! Ich habe es mir überlegt. Du sollst

haben, was Du verlangst.

KASPER ruhig. Und versprichst, hernach nie mehr auf die Erde zu kommen?

MEPHISTOPHELES kleinlaut. Ja, lieber Kasper, ich verspreche es.

KASPER. Dann ist’s recht. Also geschwind wie der Wind und auf Befehl: Piluke!

Ha, ha, ha! Den hab’ ich dran g’kriegt. Ha, ha, ha! – Jetzt will ich gleich den Dummian

wieder rufen: Perluke!

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MEPHISTOPHELES kommt wieder, in der Hand die Vertragsurkunde.

So, jetzt bist Du brav, mein liebes Mauserl. Schmeiß nun den Wisch zu mir her!

DER TEUFEL tut es brummend.

So, und jetzt schau, daß Du wieder weiterkommst! Grüß’ mir alle Bekannten in der Höll’

und sag’ ihnen, daß Du ein saudummer Kerl bist! Das sag’ ich Dir aber noch zum

Abschied, wie Du Dich noch einmal hier auf Erden

53

sehen läßt, so gehst wieder sofort ins Loch hinein und hernach bleibst für immer drinnen.

Hast verstanden?

MEPHISTOPHELES brummt.

Alsdann leb’ wohl! Laß Dir in der Höll’ keine weißen Haare wachsen! KASPER hebt den

Stecken in die Höhe. Piluke!

KASPER senkt die Hand mit dem Stecken, MEPHISTO verschwindet unter großem Donner.

So, den höllischen Patron wären wir glücklich los. Den Wisch da nehme ich zur Sicherheit

zu mir – KASPER hebt die Urkunde auf. und bringe ihn meinem Herrn, der gewiß schon . . . .

Man hört nahende Schritte.

Achtung! Es kommt jemand. Das Gewehr in Bereitschaft!

Er stellt sich in Kampfstellung und hält den Stecken wie einen Spieß vor. Sobald das GRETCHEN sichtbar wird, ruft er mit lauter Stimme.

Halt, wer da? Feind oder Freund?

5. Auftritt.

KASPER, GRETCHEN.

GRETCHEN erkennt sofort den Kasper. Aber, Kasper, kennst Du mich nicht?

KASPER läßt den Stecken sinken und springt dem Burgfräulein freudig entgegen. Jessas na! Ihr seid es,

Fräulein Gretchen? Wie kommt Ihr denn daher?

54

GRETCHEN. Wir suchen Deinen Herrn, den Doktor Faustus. Mein Vater ist unweit, er ist

dort nach der linken Seite gegangen und ich habe hier auf der rechten Seite gesucht.

KASPER. Da ist der Herr Vater auf dem richtigen Weg; denn dort in den Felsen ist mein

Herr zu finden. O, wie wird er sich freuen, daß er Euch wieder sehen kann! Wartet hier

nur ein Weilchen, ich werde ihm sagen, daß Ihr hier seid. Er wird gewiß gleich kommen.

Beiseite. Ich weiß, da wird er wie ein Närrischer herrennen und auf den Teufel ganz verges-

sen. Ab.

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Doktor Faustus. Frei bearbeitet von Willibald Böhm. http://lithes.uni-graz.at/texte.html

GRETCHEN. Mein Gott! Wie freue ich mich doch selbst auf das Wiedersehen! Fände ich nur

die richtigen Worte, um dem guten Manne meinen herzlichsten Dank auszusprechen für

unsere Rettung und unsere glückliche Heimkehr! Ist mir doch gar so eigen zumute und so

wonnebang ums Herz! Horcht.

KASPER hinter der Szene. Ja, ja, Herr Doktor, hier gleich hinter dem Busch wartet das Fräulein.

Und da, nicht wahr, da guckt Ihr, was ich Euch gebracht habe! Ich habe aber auch zu tun

gehabt, eh’ ich den Wisch erobert habe. Noch jetzt tut mir die Hand vom Dreschen weh.

Doch daß ich schnell frag’, habt Ihr den Herrn Grafen nicht gesehen? – Ja? – In unserer

Wohnung? – Und er

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hat Euch um das Fräulein geschickt? – Na, da will ich meine Haxen anziehen und nach

Hause laufen. Der Herr Graf wird gewiß in Sorgen sein. Behüt’ Euch Gott derweil und

kommt bald nach mit dem Fräulein! Ich hole inzwischen aus unserem Felsenkeller ein paar

Flaschen mit Wein. Und jetzt, Kasper, hü!

KASPER läuft fort, seine Schritte verhallen in der Ferne. Dann tritt FAUST rasch auf.

6. Auftritt.

FAUST, GRETCHEN.

FAUST geht dem Gretchen schnell entgegen. Liebes Fräulein, ich heiße Euch von Herzen willkom-

men!

GRETCHEN reicht ihm freudig die Hand. Gott zum Gruß, Herr Doktor! Ich freue mich unend-

lich, Euch wiederzusehen, um Euch meinen herzlichsten Dank abzustatten für alles Gute,

das Ihr mir und meinen Eltern getan.

FAUST. O Fräulein Gretchen, danket nicht mir, sondern dem lieben Gott, der alles zum

Guten geführt hat!

GRETCHEN. Wohl, Herr Doktor. Doch neben Gott gebührt auch Euch mein herzinnigster

Dank. Ich werde es Euch nie vergessen, was Ihr um mich getan.

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FAUST feurig. Ihr macht mich glücklich, liebes Gretchen, ich wäre aber der glücklichste Mann

auf Erden, wüßte ich, daß Eure Worte nicht allein Eurer Dankbarkeit entspringen.

O teures Gretchen, sprecht die Worte, die mein reinstes Glück bedeuten sollen!

GRETCHEN herzlich. Ich wäre unaufrichtig, wenn ich meine wahren Gefühle verschwiege. Sie

gibt ihm die Hand. Ich habe Dich lieb, Faustus, und bin Dein für alle Zeiten.

FAUST umarmt jubelnd das Gretchen. Hab Dank, mein Gretchen! Dir weih’ ich mein Herz und

mein ganzes Leben!

Der Vorhang fällt rasch.

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BEILAGE: DAS KASPERLIED.