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Zusammenfassung: Während die Linguistik sich schon lange der speziellen Kommuni- kation in Psychotherapie, Beratung oder anderen Professionen widmet, ist die spezifische Kommunikation im Coaching bisher noch kaum Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Die Autorin will die praktische Relevanz einer linguistischen Beschäftigung mit dem Thema Coaching für die Profession Coaching aufzeigen: Ne- ben dem Einbringen sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Diskussion um Qua- litätssicherung im Coaching könnte das Wissen um die Wirkung Coaching-spezifischer kommunikativer Strategien z. B. in die Konzeption zukünftiger Coaching-Ausbildungen einfließen. Um solche praxis-relevanten Erkenntnisse gewinnen zu können, muss die gewählte linguistische Herangehensweise eine angewandte, holistische, pragmatische und interdisziplinäre Perspektive einnehmen. Schlüsselwörter: Linguistik · Kommunikation · Coaching · Professionalisierung Abstract: “We communicate and therefore we are” – A communicative-linguistic per- spective on coaching. Whereas psychotherapy, counselling and other forms of profes- sional communication have received considerable linguistic attention over the last years, the specific communicative interaction in coaching has been largely ignored. The author calls for a linguistic analysis of the communication between coach and client. The cho- sen linguistic approach should shed an applied, holistic, pragmatic and interdisciplinary light on the specific communicative interaction found in coaching in order to come up with valuable insights for both, linguists and professional coaches as well as their clients. Linguistic insights could for example be used in the development of quality standards for coaching or in the conceptualisation of future coaching trainings. Keywords: Linguistics · communication · coaching · professionalisation „Wir kommunizieren, also sind wir“ Coaching aus kommunikativer und sprachwissenschaftlicher Sicht Eva-Maria Graf HAUPTBEITRÄGE OSC 15 (2008) 2:156-168 DOI 10.1007/s11613-008-0076-6 E.-M. Graf (*) Rümannstr. 94, D-80804 München, Deutschland E-Mail: [email protected]

„Wir kommunizieren, also sind wir“

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Zusammenfassung:  Während die Linguistik sich schon lange der speziellen Kommuni-kation in Psychotherapie, Beratung oder anderen Professionen widmet, ist die spezifische Kommunikation im Coaching bisher noch kaum Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Die Autorin will die praktische Relevanz einer linguistischen Beschäftigung mit dem Thema Coaching für die Profession Coaching aufzeigen: Ne-ben dem Einbringen sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Diskussion um Qua-litätssicherung im Coaching könnte das Wissen um die Wirkung Coaching-spezifischer kommunikativer Strategien z. B. in die Konzeption zukünftiger Coaching-Ausbildungen einfließen. Um solche praxis-relevanten Erkenntnisse gewinnen zu können, muss die gewählte linguistische Herangehensweise eine angewandte, holistische, pragmatische und interdisziplinäre Perspektive einnehmen.

Schlüsselwörter:  Linguistik · Kommunikation · Coaching · Professionalisierung

Abstract:  “We communicate and therefore we are” – A communicative-linguistic per-spective on coaching. Whereas psychotherapy, counselling and other forms of profes-sional communication have received considerable linguistic attention over the last years, the specific communicative interaction in coaching has been largely ignored. The author calls for a linguistic analysis of the communication between coach and client. The cho-sen linguistic approach should shed an applied, holistic, pragmatic and interdisciplinary light on the specific communicative interaction found in coaching in order to come up with valuable insights for both, linguists and professional coaches as well as their clients. Linguistic insights could for example be used in the development of quality standards for coaching or in the conceptualisation of future coaching trainings.

Keywords:  Linguistics · communication · coaching · professionalisation

„Wir kommunizieren, also sind wir“Coaching aus kommunikativer und sprachwissenschaftlicher Sicht

Eva-Maria Graf

HAUPTBEiTRäGE

OSC 15 (2008) 2:156-168DOi 10.1007/s11613-008-0076-6

E.-M. Graf (*)Rümannstr. 94, D-80804 München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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1. Ausgangssituation und Anliegen1

Coaching als personenbezogene Beratungsform mit primärem Fokus auf beruflichen Anliegen ist zu einer festen institution in der Personalentwicklung und auf dem Weiter-bildungsmarkt geworden. Mehr und mehr rücken in den letzten Jahren dabei Fragen der Evaluierung und Qualitätssicherung in den Mittelpunkt des professionellen interesses. Personalentwickler/innen, Organisationspsycholog/innen, Sozialwissenschaftler/innen, sowie Trainer/innen, Coaches und Berater/innen beschäftigen sich mit der Entwicklung objektiver Kriterien und Standards u. a. im Bereich der Evaluierung von Business-Coa-ching um unter Einbringung ihrer jeweiligen Expertise den schwer zu überschauenden Weiterbildungsmarkt für Unternehmen, aber auch für Privatpersonen übersichtlicher zu machen. Gleichzeitig soll so auch dem Überangebot durch teilweise nicht ausreichend oder nicht angemessen ausgebildete Anbieter oder Anbieter, die nicht über die nötige Erfahrung und das branchenspezifische Wissen verfügen, Einhalt geboten werden. Vor allem im Coaching geht es also insgesamt um die Professionalisierung eines Bereichs, der zum momentanen Zeitpunkt noch nicht über allgemeingültige Ausbildungsstandards verfügt und keine geschützte Berufsbezeichnung beinhaltet.

Trotz dieser gestiegenen Bedeutung des Beratungsformats Coaching und trotz der Tatsache, dass Coaching – wie auch andere Beratungsformen, Supervision, Training und Therapien – auf verbaler und nonverbaler interaktion zwischen Coach und Klient/in basiert, hat sich die Sprachwissenschaft bisher aus dieser Diskussion um Qualitätser-mittlung und -sicherung gänzlich herausgehalten. Selbst rein deskriptive linguistische Ansätze, die die Charakteristika dieser spezifischen Kommunikation nur darstellen, feh-len zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dass es bisher noch zu keinerlei Annäherung oder Begegnung zwischen der Linguistik und Coaching gekommen ist, ist vor allem aus drei Gründen überraschend und bedauernswert:0 Andere Bereiche des Personalentwicklungs- und Weiterbildungssektors sowie The-

rapiegespräche, aber auch Arzt-Patientenkommunikation und andere professionelle Gespräche stehen – sowohl im deutschsprachigen als auch im anglo-amerikanischen Forschungsraum – sehr wohl im Mittelpunkt linguistischen interesses, und entspre-chende Erkenntnisse gelangen z. B. im Rahmen von berufsspezifischen Kommuni-kationstrainings zur konkreten Anwendung.

0 Wie erwähnt, basiert Coaching auf verbaler und non-verbaler Kommunikation. Un-abhängig davon, ob ein lösungsorientiertes oder ein personenorientiertes Vorgehen im Zentrum des jeweiligen Coaching-Ansatzes steht, kann Coaching aus linguisti-scher Sicht als eine spezifische, zielgerichtete Gesprächsform definiert werden, im Rahmen derer kommunikative Strategien und ihre jeweiligen sprachlichen Korrelate zum Erreichen kommunikativer Ziele zum Einsatz kommen. Diese kommunikativen Strategien und Ziele dienen dabei einem übergeordneten Beratungsziel, nämlich der gewünschten Veränderung oder dem angestrebten Erkenntnis- und Wissensgewinn auf Seiten des Klienten.

1 ich danke Thomas Dietz und Antje Freyth für viele wertvolle Anregungen und ideen aus der Praxis.

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0 Einige Ansätze im Coaching integrieren interventionsformen aus einem therapeu-tischem Vorgehen, die sich explizit auf ein bestimmtes Verständnis von Sprache oder Kommunikation berufen bzw. zum Zentrum ihrer ideen macht (siehe z. B. das Neurolinguistische Programmieren von Bandler & Grinder (1975, 1976) oder den „collaborative language systems approach“ von Anderson (1997)).

Warum sich bisher praktisch keine linguistische Herangehensweise an das Beratungs-format Coaching findet, kann und soll an dieser Stelle nicht geklärt werden. Stattdessen sollen im Folgenden mögliche Beiträge und Fragestellung einer sprachwissenschaft-lichen Perspektive auf das Coaching skizziert und erste ideen zur konkreten Analyse von Coaching-Gesprächen aufgezeigt werden.

2. Mögliche Beiträge einer linguistischen Erforschung von Coaching 

Da eine (sprach-)wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Thema oder einer Frage-stellung ja nicht um ihrer selbst willen geschieht oder zumindest nicht geschehen sollte, stellt sich natürlich zunächst die Frage, ob und welchen Beitrag die Linguistik für die Wissensgemeinde leisten kann. Hierzu möchte ich drei mögliche, miteinander verbun-dene Bereiche kurz skizzieren:

(1) Erkenntnisse einer sprachwissenschaftlichen Erforschung des Diskurses im Coa-ching können einen wertvollen Beitrag zur Diskussion um Qualitätssicherung2 und Professionalisierung leisten.

(2) Solche Erkenntnisse können bei der Konzeption zukünftiger Coaching-Aus-/Weiter-bildungen zur Anwendung kommen und so den interessenten zugänglich gemacht werden.

(3) Erkenntnisse über Coaching-spezifische kommunikative Charakteristika können ei-nen weiteren Beitrag leisten zur Abgrenzung von Coaching zu Psychotherapie und/oder zu anderen Beratungsformen.

Hierbei handelt es sich um mögliche Beiträge, die nicht im Rahmen eines einzigen For-schungsprojekts geleistet werden können. Stattdessen generieren sie Forschungsfragen, denen sich ein wünschenswertes wachsendes linguistisches interesse widmen könnte. Relevante Forschungsfragen im Zusammenhang mit diesen Bereichen könnten lauten:

(1) Definition der spezifischen kommunikativen Situation(en) im Coaching unter Be-rücksichtigung des Rollenverständnisses der Beteiligten und ihrem kommunikativen Verhalten, des Wissens um die Multimodalität von Kommunikation und um das Zusammenspiel von verbaler, prosodischer und kinesischer Modalität sowie den Zu-sammenhang von Sprache und Affekt im Kontext emotiver Kommunikation.

(2) Erforschung und Etablierung der übergeordneten kommunikativen Ziele im Coa-ching auf Seiten von Coach und Klient/in und der zu deren Erreichung eingesetzten kommunikativen Strategien. Mögliche kommunikative Ziele auf Seiten der Klient/

2 in Anlehnung an Hess & Roth (2001) ist hierbei zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnis-qualität zu unterscheiden. Im Falle einer linguistischen Qualitätsermittlung liegt das Augen-merk auf Prozess- und Ergebnisqualität. und Professionalisierung leisten.

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innen könnten z. B. Selbsterforschung, auf der Seite des Coachs Unterstützung und Ermöglichung sein. Die damit verbundene linguistische Frage lautet: Was sind mög-liche kommunikative Strategien, die es den Beteiligten erleichtern, die angestrebten kommunikativen Ziele zu erreichen, um das jeweilige übergeordnete Ziel oder An-liegen des Coaching-Auftrags erfolgreich umzusetzen?

(3) Können phänomenologische und verhaltensspezifische Veränderungen, die im Ver-lauf des Coaching-Prozesses bei den Klient/innen auftreten, linguistisch erfassbar gemacht werden? Und die sich daran anschließende Frage: Wie ist eine solche Ver-änderung linguistisch definierbar und sprachlich manifestierbar?

(4) ist es möglich, Erfolg und Qualität im Coaching in Beziehung zu setzten zu den kommunikativen Strategien, die der Coach im Verlauf eines Prozesses einsetzt? D. h. ist es möglich, ein Best-Practice Modell zu entwickeln, das auf der einen Seite ein Gerüst für erfolgreiches Vorgehen im Coaching bietet, auf der anderen Seite aber der Kreativität und Persönlichkeit des Coachs und der Klienten sowie der Situations- und Themenabhängigkeit des Coaching-Prozesses genügend Freiraum lässt?

3. Desiderata an die linguistische Analyse von Coaching

Welche Desiderata für die Linguistik bzw. für die gewählten Ansätze ergeben sich aus diesen Forschungsfragen? Die idee einer linguistischen Beschäftigung mit dem The-ma Coaching kann nur wissenschaftliche Früchte tragen, wenn sie im Spannungsfeld zwischen theoretischem und praktischem Wissen angesiedelt ist. Obwohl linguistische Konzepte und Methoden im Mittelpunkt dieser Herangehensweise stehen, sollen und dürfen diese nicht isoliert zur Anwendung kommen und zu einer bloßen Beschreibung des Gegenstandes führen. Stattdessen sollen sie, eingebettet in den professionellen Dis-kurs, sich an den Bedürfnissen des Marktes und des Untersuchungsgegenstandes ori-entieren und offen sein für Anregungen von „außen“. Des Weiteren müssen Ansätze gewählt werden, die sich nicht der bloßen Struktur von Sprache widmen, sondern die die Funktion von Sprache als primärem menschlichem Kommunikationsmittel sehen – d. h. es sollte ein angewandter, holistisch, pragmatisch und interdisziplinär ausgerich-teter Fokus zur Anwendung gelangen. Was unter den unterschiedlichen Foci genauer zu verstehen ist, soll in den folgenden Punkten näher ausgeführt werden.

3.1 Angewandte Perspektive

Das Desiderat der angewandten (linguistischen) Perspektive bedeutet zunächst, dass es nicht ausreichend und sinnvoll ist, mittels rein deskriptiver Ansätze „typische“ sprach-liche Formulierungen in Coaching-Gesprächen aufzuzeigen. Selbst wenn dies möglich wäre – was ich in Anbetracht sprachlicher Kreativität3 bezweifle –, wozu dienten uns diese Erkenntnisse, ohne den Zusammenhang zwischen äußerer Form und deren Funk-

3 Die Kreativität menschlicher Sprache, also die Fähigkeit, mittels eines beschränkten Formen- und Konstruktionsinventars eine unendliche Anzahl an Sätzen und Äußerungen zu bilden, ist eines der wenigen universellen Kriterien, die menschliche Sprache von allen anderen Kommu-nikationsformen anderer Lebewesen unterscheidet und sie wahrlich einzigartig macht.

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tion oder Zweck zu untersuchen? Ohne also die Frage zu stellen, warum der Coach bestimmte kommunikative Strategien und deren sprachliche Ausformulierungen einsetzt und was deren Effekte für die Klient/innen sind, aber auch ohne eine praktische Ver-wendung dieser Erkenntnisse anzustreben.

Obwohl die Beschäftigung mit real existierenden sprachlichen Situationen – wie sie ja im Coaching gegeben ist – im Rahmen der sprachwissenschaftlichen Tradition bereits als Schritt weg von der rein deskriptiven Linguistik hin zur angewandten Linguistik gewertet wird, die bloße Beschäftigung mit Coaching also schon als „angewandt“ ver-standen werden kann, ist eine solche Herangehensweise meiner Ansicht nach weder ausreichend noch gewinnbringend. Wie auch Martin Bygate (2005) in seiner Diskussion zum Stand der angewandten Sprachwissenschaft fordert, ist es Zeit, den nächsten Schritt zu tun: weg von der reinen Beschreibung solch real existierender sprachlicher Situati-onen – also weg von der bloßen Frage, „wie kommunizieren Coach und Klient/in“ – hin zu der Verwendung so gewonnener Erkenntnisse bei der Lösung mit diesen Situationen verbundener Fragen oder Probleme. Um von Anfang an ein zielgerichtetes Vorgehen und ein wirkungsvolles Umsetzen der Ergebnisse zu sichern, fordert Bygate eine enge Zusammenarbeit zwischen Linguist/innen und Praktiker/innen4, hier also Coaches, um die Vernetzung von theoretischem und praktischem Wissen zu garantieren.

Eine bloße Beschäftigung der Linguistik mit der Kommunikation im Coaching kann also ohne eine Einbettung in einen professionellen Diskurs mit der Praxis nicht wirklich zu befriedigenden Ergebnissen führen, da die Einseitigkeit der Perspektive wichtige Fragestellungen oder Anliegen unberücksichtigt lässt, bzw. in Ermangelung des Wissens lassen muss. Diese Argumentation führt auch in den Bereich der interdisziplinarität, ein weiteres Desiderat an die linguistische Erforschung von Coaching (s.u. Punkt 3.4). Die angewandte Perspektive setzt natürlich die Verwendung authentischen Materials, also Audio- und Videoaufnahmen von Coaching-Sitzungen voraus, die dann in tran-skribierter Form die Basis der linguistischen Analyse bilden. Ein solcher Umgang mit authentischem Material muss nach strengen ethischen Vorgaben erfolgen und setzt das Einverständnis der Beteiligten voraus. Eine Möglichkeit, die gewonnenen Erkenntnisse konkret in die Praxis umzusetzen, könnte sein, sie in die Konzeption zukünftiger Coa-ching-Aus- und Weiterbildungen einfließen zu lassen und dadurch die Coaching-spezi-fische kommunikative Kompetenz zukünftiger Coaches zu verbessern.

3.2 Holistische Perspektive

Neben der Forderung nach der Erforschung und Umsetzung praxisrelevanter Fragestel-lungen ist die Forderung einer ganzheitlichen Herangehensweise zu nennen. Besonders um die von Martens-Schmid (2007) geforderte „ganze Person“ im Coaching in der linguistischen Forschung berücksichtigen zu können und die persönlichen Erfahrungen, Anschauungen sowie das explizite, aber vor allem auch das implizite Wissen der Kli-ent/innen zugänglich zu machen, muss ein holistischer Ansatz gewählt werden, der

4 Als Beispiel kann der Forschungsverbund „Angewandte Gesprächsforschung“ angeführt wer-den, im Rahmen dessen professionelle Kommunikation praxisrelevant und -nah analysiert wird (www//gespraechsforschung.de; vgl. Brünner, Fiehler & Kindt 2002).

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der Komplexität menschlicher Kommunikation Rechnung trägt und sich nicht auf die rein sprachliche Ebene für den Erkenntnisgewinn beschränkt. Da von Klient/innen ge-wünschte Veränderungen – sollen sie tief greifend und langfristig sein – vorrangig auf der emotionalen Ebene und nicht auf der rein kognitiven Ebene ihren Ausgangspunkt haben, ist es wichtig, erfassen zu können, wo und wie diese emotionale information kommuniziert und „bearbeitet“ werden kann. Gerade auf der non-verbalen Ebene wer-den oft wichtige Signale gesendet, die den Klient/innen mit Hilfe des Coachs Zugang zu verborgenem Wissen und Ressourcen gewähren.

Es ist also eine Beschreibungsmatrix notwendig, die nicht nur die verschiedenen Kommunikationsmodi bzw. -systeme berücksichtigt, also Sprache, Prosodie und Gestik/Mimik, sondern vor allem auch deren Zusammenspiel erklärbar und analysierbar macht. implizites Wissen bzw. Möglichkeiten des Zugangs zu diesem Wissen werden oft im Rahmen von indices, also Zeichen, bei denen ein natürlicher, kausaler Zusammenhang zwischen inhalt und Ausdruck besteht, nicht-intentional gesendet: Ein leichtes Erröten, eine starrer werdende Haltung, eine sich verändernde Lautstärke oder eine schnellere Sprechweise, aber auch das häufige Verwenden des unbestimmten Personalpronomens „man“ statt der direkten Referenz „ich“ können unbewusste Einstellungen, Haltungen, Gefühle der Klienten aufzeigen und als wichtige indikatoren für den weiteren Prozess dienen. Um solche analogen, graduellen Bedeutungseinheiten oder Bedeutungsunter-schiede analysierbar zu machen, müssen sowohl inter-systemische (z. B. verbal oder prosodisch) als auch intra-systemische Optionen (z. B. mehr oder weniger Distanz zur eigenen Person als Akteur, ausgedrückt durch „man“ vs. „ich“) im gewählten Ansatz zur Verfügung stehen.

Die Arbeiten von Arndt & Janney (1987) und von Norris (2004) können hierbei als Möglichkeiten für eine holistische Perspektive herangezogen werden. Erstere stellen mit ihrer „interGrammar“ die verbale Ebene in das Zentrum der interaktion und sehen die Bedeutung von Prosodie und Kinesik in Relation dazu. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Frage, ob verbal, prosodisch und kinesisch gleiche oder widersprüch-liche Nachrichten gesendet werden: Besonders widersprüchliche Nachrichten (z. B. die verbale Aussage der Klienten lautet, sie sei mit einer Entscheidung zufrieden, während ihre Körpersprache – von ihr unbemerkt – das Gegenteil kommuniziert) können als wichtiger Zugang zu implizitem Wissen angesehen werden und vom Coach dazu ver-wendet werden, den Klient/innen diesen Zugang zu ermöglichen. Das Modell von Nor-ris nimmt im Unterschied dazu keinerlei Gewichtung bezüglich der verschiedenen Modi vor, sondern ermöglicht es vor allem zu berücksichtigen, auf welcher Aktion gerade die meiste Aufmerksamkeit der Beteiligten liegt. Mit Hilfe dieses Ansatzes können also Interventionsformen wie Aufstellungen, Externalisierungen etc. parallel zu dem ablau-fenden Gespräch zwischen Coach und Klient/in ausgewertet werden, und die wechseln-den Aktivitäten können nach der jeweiligen Priorität gewichtet werden.

3.3 Pragmatische Perspektive

in der (linguistischen) Pragmatik wird Sprache als Kommunikationsmittel angesehen, nicht als abstraktes System von Zeichen. im Zentrum des interesses dieses Ansatzes stehen die beteiligten Sprecher sowie der jeweilige Kontext, in den die kommunikative

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interaktion zwischen den Beteiligten eingebunden ist. Sprechen bzw. Kommunizieren wird als Form des zielgerichteten Handelns angesehen, wobei sprachliche Handlungen – je nach Intention des Sprechers und je nach Kontext – unterschiedliche Funktionen er-füllen können. Kommunikative Funktionen sind also nur bedingt über ihre äußere Form abzuleiten: Je nach Situation hat die Äußerung „Da drüben stehen zwei Polizisten.“ un-terschiedliche Funktionen, d. h. sie hat kontextuell abhängige, unterschiedliche Bedeu-tungen. Die Funktion hängt darüber hinaus von dem jeweiligen kommunikativen Ziel ab, das der Sprecher mit der Äußerung verfolgt (im obigen Beispiel also die Frage, ob er seinen interaktionspartner warnen, informieren oder zu etwas auffordern möchte). Um seine jeweiligen kommunikativen Ziele zu erreichen, setzt der Sprecher entsprechende verbale, prosodische und/oder kinesische Strategien ein, im Falle von Coaching z. B. systemische Fragen, zirkuläre Fragen, Kontaktaussagen, langsamere Sprechweise etc.

Ein weiteres wichtiges Anliegen der Pragmatik ist es, zu klären, wie die Sprecher die Brücke zwischen Gesagtem, Gemeintem und Verstandenem in Anbetracht der gerade genannten Sprecher- und Kontextabhängigkeit von Äußerungen schlagen. Das Ableiten der jeweiligen Bedeutung wird definiert als komplexer Verhandlungsprozess zwischen den Beteiligten (Maynard 2002), der geprägt ist von globalen, situativen und persön-lichen Vorannahmen. Während globale Annahmen allgemeine Aspekte gesellschaftlich-kultureller Natur beinhalten, beziehen sich die situativen Vorannahmen auf die jeweilige konkrete Kommunikationssituation und deren Besonderheiten, wie z. B. das Rollenver-ständnis bzw. das Machtverhältnis der Beteiligten, d. h. auf die interpersonalen Beson-derheiten in einer Situation. Die persönlichen Vorannahmen beziehen sich auf das ex-plizite und implizite Wissen der Beteiligten, auf ihre Erwartungen, Befürchtungen oder subjektiven Bewertungen der jeweiligen kommunikativen Situation.

Eine besonders sensible Stellung – nicht nur in der Coaching-Kommunikation – neh-men hierbei das Macht- bzw. Rollenverständnis der Beteiligen auf der einen Seite und ihr jeweiliges „informationsterritorium“ (Kamio 1997) auf der anderen Seite ein. Hier-bei handelt es sich um Aspekte, die besonders die situativen Vorannahmen der Be-teiligten prägen. Verhandlungsprozesse bezüglich der Bedeutung des Kommunizierten laufen unter Einbeziehung des jeweiligen Wissens zwischen den Territorien der Betei-ligten ab, wobei – je nach Position und vorhandenem Wissen – „Übergriffe“ in Form von Anleitungen, Vorschriften etc. ein fester Bestandteil des kommunikativen Alltags sind. Im Coaching kommt diesem sensiblen Verhandlungsprozess eine besondere Rolle zu: Die Qualität und der Erfolg einer Zusammenarbeit zwischen Coach und Klient/in hängen entscheidend davon ab, wie der Coach den Balanceakt meistert zwischen der Annahme, dass der Klient selbst über die Lösungen und die notwendigen Ressourcen, diese zu finden und umzusetzen, verfügt, und der Notwendigkeit, in bestimmten Phasen oder Fragestellungen sehr wohl als Coach die Führung des Prozesses zu übernehmen und somit in das Territorium des Klienten einzudringen. (Sprachlicher) Respekt auf Seiten des Coachs vor dem Territorium des Klienten in Form bestimmter sprachlicher/kommunikativer Strategien ist dabei von größter Wichtigkeit für die Gestaltung der Beziehung und somit für den Verlauf und das Gelingen des Prozesses.

Einer pragmatischen Analyse von Coaching soll also ein Verstehen von Sprache/Kommunikation als zielgerichtetem, strategischem Verhalten zugrunde liegen. Es ist nicht ausreichend, eine objekt-sprachliche Detailanalyse vorzunehmen, d. h. sich auf

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die sprachliche Oberfläche zu konzentrieren wie etwa die spezifische Wortwahl in einer bestimmten Coaching-Situation. Stattdessen ist eine meta-sprachliche Funktions- bzw. Strategieanalyse wichtig, d. h. die Konzentration auf übersprachliche Phänomene, deren Auftreten nicht gebunden ist an ein konkretes Coaching-Gespräch zwischen Coach A und Klient/in B, sondern die als feste Bestandteile der Kommunikation im Coaching immer wieder – allerdings realisiert in individueller Form – ihren Platz haben und somit als kommunikative Charakteristika dieses Beratungsformats angesehen werden können. Gleichzeitig sind diese kommunikativen Charakteristika auf Seiten der Coaches auch ein wichtiger Bestandteil ihrer Coaching-spezifischen kommunikativen Kompetenz, de-ren gezielte Vermittlung oder Stärkung mit Hilfe der Erkenntnisse einer sprachwissen-schaftlichen Analyse das übergeordnete Ziel des hier vorgestellten Projekts ist.

3.4 interdisziplinäre Perspektive

Eines der wichtigsten Desiderata an die sprachwissenschaftliche Herangehensweise ist ihre interdisziplinäre Offenheit. Nur unter Einbeziehung des Expertenwissens aus den unterschiedlichen beteiligten Bereichen wird es gelingen, neue Erkenntnisse zu gewin-nen, die von tatsächlicher Relevanz und Tragfähigkeit für die Profession Coaching sind und gleichzeitig auch für die Sprachwissenschaft einen Zugewinn an Wissen bedeuten. interdisziplinarität ist besonders in zweierlei Hinsicht erstrebenswert: Zum einen bei der Entwicklung der Kategorien für die linguistische Analyse von Coaching-Gesprächen und der damit verbundenen Frage, mit welcher Methodik diese Analysekategorien zum Einsatz kommen; zum anderen bei der Umsetzung der durch die linguistische Heran-gehensweise gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis, ein Aspekt, der bereits unter 3.1 angeschnitten wurde und hier nicht weiter ausgeführt werden soll.

Die sprachwissenschaftlichen Kategorien sollen sich aus den psychologischen und/oder therapeutischen Ansätzen oder Konzepten generieren, die dem analysierten Coa-ching-Ansatz zugrunde liegen. Darüber hinaus sind die Kategorien auch im Hinblick auf die aus der Coaching-Praxis abgeleiteten Forschungsfragen zu generieren, also z. B. im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung der Qualitätssicherung. Diese Verankerung der sprachwissenschaftlichen Analyse in den theoretischen Coaching-Hintergrund ist meines Erachtens ein wichtiger Aspekt der interdisziplinären Perspektive.

Hierzu einige Gedanken, die in die Entwicklung der Kategorien einfließen könnten: Davon ausgehend, dass Kommunikation zielgerichtetes Handeln ist, stellt sich die Fra-ge, welche übergeordneten kommunikativen Ziele Coach und Klient/in im Coaching verfolgen und wie diese in Zusammenhang stehen mit den Zielen, die in der Zielklä-rung und im Auftrag an den Coach herausgearbeitet werden und in einem erfolgreichen Coaching-Prozess von Coach und Klient/in idealerweise erreicht werden. Die kommu-nikativen Ziele dienen also dem Erreichen der Coaching-Ziele. Auf Seiten des Coachs geht es hierbei um kommunikative Ziele wie „Unterstützung“ und „Ermöglichung“, auf Seiten der Klient/innen um „Selbsterforschung“ und „Veränderung“. Diese Ziele werden mit Hilfe unterschiedlicher Strategien wie zirkuläre oder systemische Fragen etc. kommunikativ umgesetzt. Je nach Coaching-Ansatz stellt sich dabei für die Analyse z. B. die Frage, welche Konzepte sich in der Linguistik eignen, um „Unterstützung“ und „Ermöglichung“ im Rahmen von personen-orientiertem Vorgehen im Coaching zu ana-

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lysieren. Genauer gesagt, wie zeigt sich eine solche Haltung sprachlich-kommunikativ in den Äußerungen des Coachs? Oder, wie manifestiert es sich sprachlich-kommunika-tiv, dass der Coach je nach Fragestellung und Phasen im Coaching dem Klienten folgt, an anderen Stellen im Verlauf der Sitzung aber auch klar die Führung übernimmt, und wenn ja, wie? Ist es möglich, die phänomenologischen und verhaltensspezifischen Ver-änderungsprozesse, die durch das Coaching beim Klienten ausgelöst werden (sollen), in der Kommunikation des Klienten sprachlich-kommunikativ nachzuweisen?

Auch bei der zu wählenden Methodik ist meiner Meinung nach eine rein sprach-immanente Herangehensweise wenig sinnvoll; stattdessen sollte auch hier ein Ansatz gewählt werden, der die Einbettung des Kommunikations- und Sprechereignisses Coa-ching in seinen sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund erfasst. Hierbei sollte – in Anlehnung an die Forderung einer pragmatischen Herangehensweise, die sich auf über-geordnete kommunikative Ziele und Strategien konzentriert und nicht auf spezifische sprachliche Formulierungen richtet – eine qualitative statt einer quantitativen Methode gewählt werden. Schließlich sollte es nicht darum gehen, statistisch relevante Häufig-keiten bestimmter Ausdrücke oder Formulierungen aufzuzeigen, sondern die kommuni-kative Funktion bestimmter äußerer Formen zu ermitteln und letztlich – wenn möglich – das Auftreten kommunikativer Strategien in Zusammenhang mit dem Erreichen kom-munikativer Ziele zu bringen. Die u. a. von Mayring (52002; 82003) entwickelte sozi-alwissenschaftlich orientierte „qualitative Inhaltsanalyse“, die zwischen der sehr engen Konversationsanalyse nach Sacks, Schegloff & Jefferson (1974) und der Diskursanalyse im Sinne von Coulthard (1985) anzusiedeln ist, scheint hierfür gut geeignet. in ihr wird mit Hilfe der aus der Theorie entwickelten Kategorien ein System entwickelt, das den Kodierleitfaden für die inhaltsorientierte Analyse der Transkripte bildet. Gleichzeitig er-möglicht diese Vorgehensweise auch, auf das Zusammenspiel bzw. die Wechselwirkung zwischen den Äußerungen des Coachs und der Klient/innen einzugehen.

Selbstverständlich sind auch andere Vorgehensweisen oder Fragestellungen als die hier vorgestellten im Rahmen einer linguistischen Beschäftigung mit Coaching vorstell-bar. So könnte man etwa die spezifische Verwendung von Metaphern oder idiomatische Wendungen, die besondere sprachliche Gestaltung von Erstgesprächen, die Bedeutung von Selbstoffenbarung im Rahmen von Narrativen, den Einsatz unterschiedlicher Fra-geformen etc. sprach-wissenschaftlich erforschen. Angesichts der linguistischen Brach-landschaft im Bereich Coaching scheint es mir persönlich aber sinnvoller zu sein, die Analyse zunächst auf eine breite Basis zu stellen und übergreifende linguistische Cha-rakteristika wie Coaching-spezifische kommunikative Strategien und Ziele zu ermitteln, bevor im Rahmen von mikroskopischen Analysen in die Tiefe gegangen wird. Auch lassen sich meiner Meinung nach gerade durch die Konzentration auf meta-sprachliche Phänomene, wie z. B. die Ermittlung übergeordneter kommunikativer Ziele und Strate-gien von Coach und Klient/in, die unter Punkt 2 aufgelisteten möglichen Beiträge einer linguistischen Erforschung von Coaching erbringen, während Erkenntnisse einer objekt-sprachlichen Detailanalyse zum momentanen Zeitpunkt nicht in Bezug zu einem großen Ganzen gesetzt werden und so nicht ausreichend gewürdigt werden könnten.

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4.  Linguistische Analyse kommunikativer Strategien im Coaching: Möglichkeiten und Grenzen

Wie könnte nun die Umsetzung dieser Desiderata an eine linguistische Analyse in der Realität aussehen, um die unter Punkt 2 aufgeführten Beiträge der Sprachwissenschaft leisten zu können? Hier muss zunächst der bereits angesprochene Aspekt der Daten auf-gegriffen werden. Die Verwendung authentischen Materials ist zum einen die conditio sine qua non für eine linguistische Beschäftigung mit der Kommunikation im Coaching, zum anderen stellt sie die größte Hürde für solch eine Analyse dar. Das oberste Gebot der Vertraulichkeit im Umgang mit den im Rahmen von Coaching-Prozessen erörterten persönlichen Informationen muss auch bei der Fixierung, Bearbeitung und linguisti-schen Auswertung gewahrt bleiben. Es setzt selbstverständlich das Einverständnis der Klienten voraus. Auch müssen stets ausreichend Maßnahmen zur Anonymisierung der Daten getroffen werden: Die Namen der Klienten und aller Beteiligter sowie die Namen der Unternehmen erscheinen nicht in den Transkripten. Die Daten dürfen nicht an Dritte weitergegeben werden, und es sollen nur kurze Auszüge der Transkripte zur illustration in Veröffentlichungen verwendet werden, nie aber ganze Coaching-Sitzungen.

Um das transformierende Potenzial der Kommunikation zwischen Coach und Klient ermitteln zu können, muss ein Modell entwickelt werden, mit dem eine Ursache-Wir-kungs-Relation auf sprachlich-kommunikativer Ebene nachgewiesen werden kann. im Unterschied zu anderen Studien, die sich der Qualitätssicherung und Wirksamkeitsfor-schung von Coaching widmen und etwa in Follow-up-Studien die implementierung von Coaching-Zielen und deren Nachhaltigkeit im beruflichen Alltag des Klienten überprü-fen, sollte sich die linguistische Herangehensweise trotz des hier geforderten interdiszi-plinären Ansatzes auf das ihr zur Verfügung stehende sprachlich-kommunikative Mate-rial beschränken. Eine vielversprechende Möglichkeit ist hierbei, die oben beschriebene qualitative Inhaltsanalyse der transkribierten Coaching-Gespräche durch schriftliche Leitfadeninterviews sowie durch Fragebögen mit offenen und geschlossenen Fragen zu ergänzen. Coach und Klient werden jeweils gebeten, die einzelnen Sitzungen und/oder den gesamten Coaching-Prozess im Hinblick auf bestimmte Aspekte wie Schlüsselstel-len, eingesetzte kommunikative Strategien etc. (subjektiv) zu evaluieren.

Durch dieses Vorgehen käme es zum einen zu einer Triangulation der Daten, was zur Qualitätssicherung der Analyse selbst beitrüge. Zum anderen wäre es so möglich, die subjektive Einschätzung von Coach und Klient bezüglich der Wirksamkeit und Qualität der Coaching-Gespräche in Beziehung zu bringen mit der sprachlich-kommunikativen Darstellung in den Transkripten: Ausgehend von der Prämisse, dass das, was wir sagen, immer untrennbar verbunden ist mit unserer Einstellung dazu, aber auch zu uns als Sprecher, zur Situation oder Kontext und vor allem auch zu unserem Gesprächspartner (Wiener & Mehrabian 1962; Watzlawick, Beavin & Jackson 1967; Janney 1996), ist die zugrunde liegende Hypothese, dass sich (phänomenologische) Veränderungen beim Klienten genau in dem, wie etwas gesagt wird, zeigen.

Um das bereits genannte Beispiel zu wiederholen, ein Klient, der im Laufe des Coa-ching-Prozesses mehr und mehr die Verantwortung für sein Tun übernimmt, wird von einem häufigen Gebrauch des unpersönlichen „man“ als Ausdruck emotiver Distanz zum persönlichen „ich“ als Ausdruck emotiver Nähe übergehen. Andere sprachliche

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Möglichkeiten, die Übernahme von Verantwortung auszudrücken, ist z. B. der Wechsel von Passiv- zu Aktivkonstruktionen in den Ausführungen des Klienten. Solche sich verändernden äußeren Formen als Ausdruck emotionaler, emotiver und kognitiver Ver-änderungen gilt es, aufzuspüren und in Beziehung zu setzen mit den kommunikativen Strategien des Coachs, die diese Veränderungen ermöglichen und in Gang setzen.

Obwohl quantitative Fragen hier nicht im Zentrum stehen sollen, so ist es doch not-wendig, eine relativ große Zahl an Coaching-Prozessen im Hinblick auf die eingesetzten kommunikativen Strategien und deren Wirkungen hin zu analysieren, um schließlich ein Best-Practice-Modell extrahieren zu können, das als Referenz für Coaching-spezi-fische kommunikative Kompetenz herangezogen werden kann und wünschenswerter-weise linguistische Erkenntnisse für die Qualitätssicherungsdebatte liefern kann. Dies stellt, neben der Verwendung authentischen Materials, die größte Herausforderung an die Forscher und Forscherinnen dar, da eine qualitative Auswertung eine äußerst zeit-aufwändige interpretative Methode ist, bei der es kaum computertechnische Unterstüt-zung gibt.

5. Synthese und Ausblick

Der vorliegende Beitrag kann nur die grobe Richtung für eine linguistische Beschäfti-gung mit Sprache und Kommunikation im Coaching aufzeigen. Mein Anliegen ist dabei vor allem, das gegenseitige Interesse zu wecken und kurz anzureißen, welche Mög-lichkeiten und Ergebnisse eine angewandt-linguistische Herangehensweise idealerweise über die Grenzen der Sprachwissenschaft hinaus bieten kann.

Um das interesse und die notwendige Unterstützung von Coaches und Klient/innen für (zukünftige) linguistische Projekte in dieser Richtung zu sichern, möchte ich nun noch etwas genauer auf den Nutzen für die Beteiligten eingehen: Der Nutzen für den Coach ist sowohl von unmittelbarer als auch von mittelbarer Natur. Zunächst wird die Beteiligung an einer linguistischen Studie zu einer höheren Sensibilität und Selbstrefle-xion bezüglich des eigenen kommunikativen Handelns im Coaching führen. Möglicher-weise kommt es so bereits von Anfang an zu einem bewussteren Einsatz sprachlicher Strategien. Längerfristig gesehen werden die Ergebnisse der Studie über die Effektivität sprachlicher Strategien die Qualität der eigenen Arbeit entweder bestätigen oder dazu beitragen, diese u erhöhen. Besonders effektive Strategien können bewusster in die eigene Kommunikation eingebaut werden. Neben dem Nutzen für die eigene Arbeit als Coach kommt eine sprachwissenschaftliche Beschäftigung auch der Profession des Coaching – und damit wieder jedem Einzelnen – zugute, da die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Professionalisierung beitragen können, wenn sie z. B. zur Evaluierung von Coaching-Prozessen und zur Verbesserung bestehender und zukünftiger Coaching-Ausbildungen herangezogen werden.

Dieser Beitrag zur Professionalisierung kommt vor allem künftigen Klient/innen zu-gute, die bei der Auswahl ihrer Coaches von zunehmend klaren, beschreibbaren Quali-tätsstandards ausgehen können. Die Unterstützung einer linguistischen Studie kann aber bereits von Anfang an für die beteiligten Klient/innen folgende unmittelbare Vorteile bringen: Ihre Wahrnehmung und Selbstreflexion im Coaching-Prozess werden durch die Beschäftigung mit den Fragebögen geschärft, und Erkenntnisse, Fragen oder auch

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Wünsche an den Coach können klarer, bewusster und stärker eingebracht werden. Besonders hilfreich kann auch die nochmalige Beschäftigung mit den Coaching-Sit-zungen beim Anschauen der aufgezeichneten Sitzungen auf DVD sein, die der Coach den Klient/innen zur Verfügung stellen kann. Der langfristige Nutzen der Studie für die Klient/innen liegt darin, dass durch die Sensibilisierung und Selbstreflexion der beteiligten Coaches die Effizienz und positive Wirkung von Coaching für sie erhöht werden kann.

Es bleibt für beide Seiten – die Profession Coaching und die Sprachwissenschaft – zu hoffen, dass es in naher Zukunft zu einem professionellen Austausch kommt, der in anderen Bereichen wie (Psycho-)Therapie oder Arzt-Patienten Kommunikation schon seit längerer Zeit für alle Beteiligten erfolgreich stattfindet.

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Dr. phil. Eva-Maria  Graf, Assistenzprofessorin am institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Klagenfurt, Fachbe-reich Linguistik. im Rahmen ihrer Habilitation erforscht sie kom-munikative Ziele und Strategien im Coaching, Titel des Projekts: „The Discourse of Personoriented Coaching“; darüber hinaus ist sie DBVC-zertifizierter Coach und arbeitet im Internen Weiterbil-dungsprogramm der Alpen-Adria Universität im Bereich Wissen-schafts-Coaching. Anschrift: Alpen-Adria Universität Klagenfurt, institut für Anglistik und Amerikanistik, Universitätsstr. 65-67, A-9020 Klagenfurt; privat: Rümannstr. 94, D-80804 München; E-Mail: [email protected].