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W as würde geschehen, wenn die heutige Generation der 40- bis 50-Jährigen auf wundersame Weise verschwän- de? Wäre das die Lösung für aktuelle Probleme rund um die Phänomene steigendes Rentenalter oder Jugend- arbeitslosigkeit? Es sind solche Denkanstöße, die bei einem Dinner in der Sammlung Maramotti diskutiert werden. „Wir brauchen Diskonti- nuität“, „Mehr Platz für die Jugend!“, lauten die Parolen. Ungewöhnlich, doch umso sympathischer, dass solche Sätze von dem erfolgreichen Modeunternehmer Luigi Maramotti stammen. Letzterer sowie seine Geschwister Ignazio und Maria Ludovica haben von ihrem Vater, dem berühmten Achille Maramotti, das Familienunternehmen Max Mara geerbt, das mit 23 Marken, mehr als 2300 Geschäften in 105 Ländern und einem Umsatz von rund 1,22 Milliarden Euro im Jahr 2010 als „silent giant“ der italienischen Mode bekannt ist. Der Zusatz „silent“ meint übri- gens die mediale Zurückgezogenheit, ein Merkmal der Maramottis. Ein anderes ist ihre Kunstleidenschaft. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2005 erbten die drei Kinder nicht nur das Unternehmen, sondern auch seine Kunstsammlung, die mehr als 600 Werke umfasst und seit 2007 öffentlich zugänglich ist. Sitz der Sammlung ist die ehemalige Max-Mara- Fabrik in der industriellen Peripherie von Reggio Emilia, der Heimatstadt der Maramottis. Dort, in einem Saal der Bibliothek, ehemals das Archiv von Achille Mara- motti und seinem befreundeten Galeristen Mario Diacono, findet gerade ein Empfang statt. Gastgeber sind Marina Dacci, Direktorin der Samm- lung, sowie Luigi Maramotti und Ignazio Maramotti mit ihren Ehefrauen. Die Schwester Maria Ludovica ist zurzeit auf Reisen. Nach den ersten offiziellen Worten nehmen die Erben in entspannter At- mosphäre auf der Couch Platz, über der das großformatige Gemälde „The Library“ von Chris Martin hängt. Passend zum Saal und wie im Titel des Werks angedeutet, sieht man auf dem Bild lauter Buchrücken. Während Ignazio Maramotti bisweilen eher zurückhaltend wirkt — er und seine Frau müssen die Veranstaltung sogar schon früher verlassen, da ihre vier Kinder aufs Abendessen warten — gibt sich Luigi sehr offen, macht ironische Kommentare, erzählt Witze und führt oft das Wort, was ihm sichtlich Spaß bereitet. Neben der Debatte über aktuelle soziale Themen kreist die Unterhaltung um Fragen in puncto Bildung und natürlich Kunst. Von der Mode- zur Kunstfabrik Die Kunstleidenschaft der Familie hat tiefe Wurzeln. Achille begann schon in den 60er-Jahren zu sammeln. Ende der 90er-Jahre stellte er erstmals einige seiner Werke (darunter ein großformatiges Gemälde von COLLECTING ARTINVESTOR 45 Foto: Joseph Desler Costa Courtesy of the artist, Salon 94 and Galerie Thaddaeus Ropac, Collezione Maramotti Aus einer kleinen Schneiderei machte Achille Maramotti die Designermarke Max Mara. Heute führen seine drei Kinder die Geschäfte. Und sie investieren eifrig in Kunst – wie schon der Papa VON SILVIA ANNA BARRILA COLLECTING Explosiv Jules de Balincourt, „Burst Painting“, 2012 Innovativ Achille Maramotti (unten Mitte) zählte 2001 laut „Forbes Magazi- ne“ zu den 20 reichsten Unternehmern der Modeindustrie. Im einstigen Haupt- sitz seiner weltweit bekannten Fashion- firma Max Mara wird jetzt Kunst ausge- stellt Wirtschaftswunder 44-45 21.01.13 18:09

Wirtschaftswunder - Collezione · PDF fileWirtschaftswunder 44-45 21.01.13 18:09. Fotos: Collezione Maramotti Alex Katz, dessen Arbeiten Achille als Erster in Europa erwarb) in den

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Was würde geschehen, wenn die heutige Generation der 40- bis 50-Jährigen auf wundersame Weise verschwän-de? Wäre das die Lösung für aktuelle Probleme rund um die Phänomene steigendes Rentenalter oder Jugend-

arbeitslosigkeit? Es sind solche Denkanstöße, die bei einem Dinner in der Sammlung Maramotti diskutiert werden. „Wir brauchen Diskonti-nuität“, „Mehr Platz für die Jugend!“, lauten die Parolen. Ungewöhnlich, doch umso sympathischer, dass solche Sätze von dem erfolgreichen Mode unternehmer Luigi Maramotti stammen. Letzterer sowie seine Geschwister Ignazio und Maria Ludovica haben von ihrem Vater, dem berühmten Achille Maramotti, das Familienunternehmen Max Mara geerbt, das mit 23 Marken, mehr als 2300 Geschäften in 105 Ländern und einem Umsatz von rund 1,22 Milliarden Euro im Jahr 2010 als „silent giant“ der italienischen Mode bekannt ist. Der Zusatz „silent“ meint übri-gens die mediale Zurückgezogenheit, ein Merkmal der Maramottis.Ein anderes ist ihre Kunstleidenschaft. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2005 erbten die drei Kinder nicht nur das Unternehmen, sondern auch seine Kunstsammlung, die mehr als 600 Werke umfasst und seit 2007 öffentlich zugänglich ist. Sitz der Sammlung ist die ehemalige Max-Mara-Fabrik in der industriellen Peripherie von Reggio Emilia, der Heimatstadt der Maramottis. Dort, in einem Saal der Bibliothek, ehemals das Archiv von Achille Mara-motti und seinem befreundeten Galeristen Mario Diacono, findet gerade ein Empfang statt. Gastgeber sind Marina Dacci, Direktorin der Samm-lung, sowie Luigi Maramotti und Ignazio Maramotti mit ihren Ehefrauen. Die Schwester Maria Ludovica ist zurzeit auf Reisen. Nach den ersten offiziellen Worten nehmen die Erben in entspannter At-mosphäre auf der Couch Platz, über der das großformatige Gemälde „The Library“ von Chris Martin hängt. Passend zum Saal und wie im Titel des Werks angedeutet, sieht man auf dem Bild lauter Buchrücken. Während Ignazio Maramotti bisweilen eher zurückhaltend wirkt — er und seine Frau müssen die Veranstaltung sogar schon früher verlassen, da ihre vier Kinder aufs Abendessen warten — gibt sich Luigi sehr offen, macht ironische Kommentare, erzählt Witze und führt oft das Wort, was ihm sichtlich Spaß bereitet. Neben der Debatte über aktuelle soziale Themen kreist die Unterhaltung um Fragen in puncto Bildung und natürlich Kunst.

Von der Mode- zur KunstfabrikDie Kunstleidenschaft der Familie hat tiefe Wurzeln. Achille begann schon in den 60er-Jahren zu sammeln. Ende der 90er-Jahre stellte er erstmals einige seiner Werke (darunter ein großformatiges Gemälde von

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Aus einer kleinen Schneiderei machte Achille Maramotti die Designermarke Max Mara. Heute führen seine drei Kinder die Geschäfte. Und sie investieren eifrig in Kunst – wie schon der Papa

von SilViA AnnA BArrilA

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Explosiv Jules de Balincourt, „Burst Painting“, 2012

innovativ Achille Maramotti (unten Mitte) zählte 2001 laut „Forbes Magazi-ne“ zu den 20 reichsten Unternehmern der Modeindustrie. Im einstigen Haupt-sitz seiner weltweit bekannten Fashion-firma Max Mara wird jetzt Kunst ausge-stellt

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Alex Katz, dessen Arbeiten Achille als Erster in Europa erwarb) in den Fluren seiner Fabrik aus — als Galerie für seine Angestellten und Mitar-beiter. Dabei folgte er demselben Innovationsdrang, den er schon in der Modebranche bewies, etwa als er Anfang der 50er-Jahre einen Teil der Schneiderei seiner Mutter übernahm, die Arbeitsmethode revolutionier-te und das italienische Prêt-à-porter erfand. Die Ölflecken auf dem Stein-boden der heutigen Ausstellungsräume in der Fabrik erinnern noch an diese Zeiten. Maschinen, von denen die Spuren stammen, findet man allerdings hier keine mehr, stattdessen Gemälde und Installationen. Derzeit sind in der Sammlung die neuesten Arbeiten von Jules de Balincourt zu sehen. Nach Abschluss der Sonderschau werden sie in die Sammlung aufgenommen. Geboren 1972 in Paris, ist de Balincourt in Paris, Zürich, Ibiza und Kalifornien aufgewachsen. Studiert hat er am California College of the Arts in San Francisco und am Hunter College in New York. Die häufigen Ortswechsel haben die Kunst des Umtriebigen sichtlich beeinflusst. De Balincourt ist ein „Tourist der Globalisierung, der sich von visueller und intellektueller Kultur ernährt und seine persönlichen Visionen durch Bilder ausstrahlt“, so seine Selbstbeschreibung. In der Sammlung Mara-motti zeigt er Bilder, die er allesamt zeitgleich in seinem Atelier gemalt hat. Wie sein Gesamtwerk bewegen sie sich an der Grenze zwischen Figurativem und Abstraktion. Im Mittelpunkt der Werkgruppe steht „Burst Painting“, ein Gemälde, das eine leuchtende Explosion zeigt, eine Art Urknall, der Schöpfung und Zerstörung zugleich in sich trägt und da-mit die Polarität, die Jules de Balincourts Kunst ausmacht, unterstreicht.

Von der Malerei bis zur Musik Achille Maramotti hegte ein großes Interesse für die Malerei — und deren Entwicklung. Mit Neugierde widmete er sich seinen Zeitgenossen in Italien, kaufte frisch aus den Ateliers. In den 80er-Jahren wurde er zum engagierten Verfechter der Transavanguardia-Bewegung, an der sich die Künstler Mimmo Paladino, Francesco Clemente, Sandro Chia, Enzo Cucchi und Walter de Maria beteiligten. Gleichzeitig begann er im Aus-land nach neuen Strömungen Ausschau zu halten. Deutsche Künstler wie etwa Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Sigmar Polke sind heute ebenfalls in seiner Sammlung vertreten, zudem Cy Twombly, David Salle, Julian Schnabel, Jean-Michel Basquiat und Francis Bacon.

Dass in der Sammlung Maramotti aufstrebende amerikanische Künstler der Gegenwart zu finden sind, ist vor allem Luigi Maramotti und seinen Reisen in die USA zu verdanken. Alle drei Kinder begleiteten Achille ab Mitte der 90er-Jahre bei seinen Kunstreisen- und -käufen. Heute führen sie die Tradition, weltweit Neues zu entdecken, fort. Alle drei Geschwister sammeln aber auch unabhängig voneinander und vom Auftrag des Vaters. Luigi interessierte sich schon in seiner Jugend für Kunst, als er noch das humanistische Gymnasium besuchte. Aus dieser Zeit kennt er auch Marina Dacci, die heutige Direktorin der Samm-lung. Der heute 55-jährige Sammler kauft aber nicht nur Kunstwerke, sondern auch Instrumente. Er ist ein echter Musikbegeisterter, spielte in der Schule in einer Rockband mit. Heute spiegelt sich dieses Hobby auch in seinem persönlichen Kunstgeschmack wider, denn Werke, in denen Bild und Klang in Dialog treten, haben es ihm besonders angetan. Und auch generell hat er ein gutes Auge für Talente: In den USA entdeck- te Luigi Künstler wie Jacob Kassay, noch bevor dessen Arbeiten auf Auk- tionen umkämpft waren und Rekordpreise von bis zu 86 500 Dollar erzielten (Phillps de Pury; das Zehnfache der unteren Schätzung). Und bevor der Newcomer auf der Art Basel debütierte. Maramotti sah Kas-

COLLECTING

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„Wir brauchen Diskontinuität. Wir brauchen mehr Platz für die Jugend!“

Feierlich Luigi Maramotti, Sohn des legendären Achille, mit Iwona Blazwick, Direktorin der Whitecha-pel Gallery, und Andrea Büttner, Preisträgerin des Max Mara Art Prize

Befreundet Marina Dacci, Direktorin der Collezione Maramotti, hat zusammen mit Luigi die Schulbank gedrückt

Konstruktiv Einblick in die Collezione Maramotti nach der Umgestaltung durch die Architekten Pastorini und Salvarani

COLLECTING

Mobil Tom Sachs, „The Choice (Ghetto-Sculpture Park)“, 2001-2002

Verschlüsselt Jannis Kounellis, „Senza Titolo“, 1961

Schwebend Claudio Parmiggiani, Caspar David Friedrich, 1989

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DIE SAMMLUNG MARAMOTTICollezione MaramottiVia Fratelli Cervi 6642124 Reggio Emilia – Italien Tel. +39 0522 [email protected]

AUSSTELLUNGEN bis 27. Jan. 2013 Jules de Balincourt | Parallel Universe

MAX MARAModefirma, gegründet 1951 von Achille Maramotti. Der Name der Firma ist abgeleitet von ‚Mara‘ (Nachname Maramotti) und ‚Max‘ (Graf Max, der in den 1950er-Jah-ren „selten nüchtern, aber immer stylisch“ war).

says Kunst 2009 in der Rivington Gallery und lud den Künstler gleich nach Reggio Emilia ein. Dort erhielt der junge Kassay seine erste Solo-ausstellung in Italien und seinen ersten Katalog. Kurz darauf wurde die Künstlerin Kara Tanaka eingeladen; Luigi hatte auch sie durch Zufall in einer jungen Galerie in New York entdeckt. Zu seinen weiteren Favoriten unter den Newcomern zählen die Italienerin Margherita Manzelli und John F. Simon Jr., der 2009 zum ersten Mal in Italien seine Software-Art präsentierte. Neben dem Erwerb von Kunstwerken über die klassischen Kanäle des Kunstmarkts sind auch Auftragsarbeiten ein wichtiges Standbein der Sammlung. Der Besitz von Kunst ist aber nicht das einzige Ziel der Sammlerfamilie: Die Maramottis führen die Tradition des Vaters fort, indem sie den Diskurs über Malerei anstoßen. Damit nicht genug, unterstützen sie auch junge Talente mit einer Aus-zeichung: Der Max Mara Art Prize wird seit 2005 vergeben, ausschließ-lich an Frauen übrigens, also passend zur Ausrichtung der Modefirma Max Mara. Die letzte Auszeichung erhielt die deutsche Künstlerin Andrea Büttner. ■

Aufgewirbelt Jules de Balincourt, „Big Globe Painting“, 2012

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