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Wissen über Wirtschaft und Politik
Eine explorative empirische Studie zum Basiswissen von Referendaren und Studenten in
NRW
Thorsten Hippe, Reinhold Hedtke
Abstract
Sowohl in der Politikdidaktik als auch in der Wirtschaftsdidaktik konstatieren empirische
Analysen regelmäßig ein unzureichendes ökonomisches bzw. politisches Grundwissen von
jugendlichen und erwachsenen deutschen Bürger(inne)n. In unserer eigenen, explorativen
empirischen Studie (n = 1728) sind wir der Frage nachgegangen, inwieweit sich derartige
Wissenslücken auch bei jungen Akademikern (Referendar(inn)en/Lehramtsanwärter(inn)en
und Student(inn)en) in NRW nachweisen lassen. Hierzu haben wir einen eigenen Wissenstest
mit 15 Fragen zu Politik und Wirtschaft konstruiert. Die Ergebnisse zeigen, dass fast die
Hälfte der befragten Referendar(inn)en (45%) und etwas mehr als die Hälfte der befragten
Studierenden (54%) unseren Wissenstest mit 5 oder mehr falschen Antworten absolvierten.
Dabei konzentrierten sich die Wissensdefizite v.a. auf unsere Fragen zum politischen Bereich,
die im Durchschnitt deutlich häufiger falsch beantwortet wurden als unsere Fragen zum
ökonomischen Bereich.
Politikwissenschaftler und Politikdidaktiker beklagen in empirischen Studien einen
gravierenden Mangel an politischem Grundwissen in der deutschen Bevölkerung bzw. unter
deutschen Jugendlichen (z.B. Patzelt 1998; Reinhardt/Tillmann 2002; Reinhardt 2003; Deutz-
Schroeder/Schroeder 2008; Krappidel/Böhm-Kasper 2006). Die deutliche Mehrheit der
Jugendlichen und Erwachsenen weise erhebliche Wissenslücken und Fehlverständnisse über
die grundlegenden Prinzipien und die Funktionsweise der rechtsstaatlichen Demokratie in
Deutschland auf, was Patzelt (1998, 70) dazu motiviert, den Bürger als die eigentliche
„Schwachstelle unseres Gemeinwesens“ zu bezeichnen.
Ähnlich konstatieren empirische Untersuchungen aus der Wirtschaftsdidaktik und der
Wirtschaftswissenschaft sowie Umfragen von Unternehmensverbänden erhebliche
Wissenslücken und Fehlverständnisse im Bereich ökonomischer Grundkenntnisse (z.B. BDB
2009; Enste/Haferkamp/Fetchenhauer 2009; Sczesny/Lüdecke 1998; Würth/Klein 2001). Das
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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2
Wissen über die Funktionsweise der Marktwirtschaft sei derart defizitär, dass von einem
„ökonomischen Analphabetismus“ (Sczesny/Lüdecke 1998, 403) gesprochen werden müsse.
Die Wissensdefizite und Verständnismängel der Bürger, die sich in den o.g. empirischen
Studien offenbaren, sind insofern problematisch, als sie die Kontrolle politischer Eliten durch
eine – idealiter gut informierte und hinreichend mündige – Öffentlichkeit beeinträchtigen
können oder zu Politikverdrossenheit sowie zu sachlich nicht angemessenen Forderungen an
politische Akteure führen können, die dann ggf. von populistischen Gruppierungen
aufgegriffen werden können. Menschen, die die Funktionsweise grundlegender ökonomischer
und politischer Institutionen nicht verstehen, werden diese schwerlich wirksam verteidigen1
können / wollen, wenn es darauf ankommt. Gemäß dem Böckenförde-Diktum (Böckenförde
1976, 60) ist der Bestand des demokratischen Rechtsstaats allein durch institutionelle
Vorkehrungen nicht zu garantieren, sondern auch auf kulturelle Voraussetzungen angewiesen,
zu denen insbesondere auch ein Mindestmaß an ökonomischen und politischen Kenntnissen
der Bürgerschaft zählt.
Übereinstimmend betrachten die Autor(inn)en der o.g. empirischen Studien die Schule als
zentralen Ort, an dem die o.g. Defizite zumindest deutlich vermindert werden und das
ökonomische / politische Grundwissen der (jungen) Bürger signifikant verbessert werden
könne. Dies setzt allerdings voraus, dass Lehrer(innen), die dort die einschlägigen Fächer
unterrichten, selbst über die notwendigen ökonomischen und politischen Grundkenntnisse
verfügen. Aber nicht nur die spezialisierten Wirtschafts- und Politiklehrer(innen), sondern das
gesamte Lehrerkollegium sollte hier zumindest über grundlegendes Faktenwissen verfügen,
weil dieses für Formen fächerübergreifenden Lernens, für ein möglichst breitenwirksames
Lernen und insbesondere für die Erteilung des – sehr weit verbreiteten2 – fachfremden
Unterrichts im Fachbereich Politik / Wirtschaft benötigt wird. Nicht zuletzt ist es aber auch
die allgemeine Vorbildfunktion der Lehrerschaft in ihrer Rolle als gebildete Bürgerinnen, die
nach einem soliden ökonomischen und politischen Grundwissen aller Lehrenden verlangt.
1 Selbstverständlich geht es nicht um eine generelle kritiklose Affirmation des Bestehenden in jeglicher
Hinsicht. Gleichwohl gibt es aus guten Gründen einen demokratischen Minimalkonsens (Petrik 2007), dessen
begründete Akzeptanz didaktisch anzustreben ist.
2 So wurden in NRW im Schuljahr 2009/2010 in der Sekundarstufe 1 29,4% aller Politikstunden an Gymnasien
von fachfremden Lehrer(inne)n unterrichtet; an Gesamt‐ und Realschulen waren es sogar 60,5% bzw. 60,9%.
Selbst diese sehr hohen Werte wurden noch von den Hauptschulen übertroffen, wo der Anteil fachfremden
Politikunterrichts bei 76,0% lag (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2010, 83).
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
3
Bisher gibt es jedoch (unseres Wissens) keine aktuellen empirischen Untersuchungen, die
diese scheinbar selbstverständliche Annahme genauer überprüft haben. Deshalb haben wir an
einigen Studienseminaren in Nordrhein-Westfalen eine explorative (nicht notwendigerweise
repräsentative) empirische Studie zu der Frage durchgeführt, inwieweit angehende
Lehrer(innen) zumindest über diejenigen grundlegenden ökonomischen und politischen
Faktenkenntnisse verfügen, die bisherige wissenschaftliche Wissenstests für das Verständnis
des wirtschaftlichen und politischen Systems in Deutschland als notwendig erachten.
Die leitende Frage unserer explorativen Studie lautet also wie folgt: Verfügen angehende
Lehrer(innen) über ein zufriedenstellendes ökonomisches und politisches Faktenwissen,
welches bisherige wissenschaftliche Wissenstests von Schülern / Studenten und
einbürgerungswilligen Menschen erwarten? Oder zeigen sich nennenswerte Wissensdefizite,
die es sinnvoll erscheinen lassen, sich künftig intensiver empirisch mit dieser Frage zu
beschäftigen?
1. Konzept der Studie und Charakteristika der Stichprobe
Zu diesem Zweck haben wir einen Kurzfragebogen konzipiert (siehe Anhang), dessen 15
Wissensfragen allesamt aus früheren ökonomischen und politischen „Wissenstests“ aus der
Wissenschaft (Trenkamp 2008: Fragen Nr. 1-3; Würth/Klein 2001: Fragen Nr. 4, 5, 8, 10, 11),
aus dem vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (Humboldt Universität
Berlin) entwickelten deutschen Einbürgerungstest (Fragen Nr. 6, 7, 9, 12, 13) sowie aus dem
„Studentenpisa Politik“ der Wochenzeitschrift `Der Spiegel´ (Fragen Nr. 14 und 15)
entnommen wurden. Eigene Fragen haben wir für diese erste Studie noch nicht entwickelt.
Stattdessen haben wir diejenigen Fragen aus den genannten Wissenstests ausgewählt, die uns
am besten geeignet erschienen das Wissen über zentrale Elemente des deutschen
Gesellschafts- und Wirtschaftssystems abzufragen. Die von uns herangezogenen Wissenstests
und damit auch die von uns ausgewählten 15 Fragen richten sich ausschließlich auf die
korrekte Verwendung von Begriffen und auf Faktenwissen.Bei allen Fragen handelt es sich
um reine Wissens- und nicht um Bewertungsfragen.3
Hiermit soll keinesfalls suggeriert werden, dass ökonomisch-politisches Begriffs- und
Faktenwissen von größerer Bedeutung sei als die darüber hinausgehende Kompetenz der
3 Das gilt auch für Frage 3 zum Problem unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheiten in Bundestag und
Bundesrat. Die zurzeit eingehendste empirische Analyse aus der Politikwissenschaft (Burkhart 2008) zu dieser
Frage zeigt, dass dadurch das politische Handeln für die Bundesregierung in der Tat deutlich erschwert wird.
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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ökonomischen und politischen Urteilsfähigkeit. Diese Kompetenz ist jedoch wesentlich
anspruchsvoller und baut auf einem soliden Begriffs- und Faktenwissen auf. Mit der
vorliegenden Studie sollte vorläufig nur untersucht werden, inwieweit angehende
Lehrer(innen) zumindest über die elementare kognitive Basis eines soliden Begriffs- und
Faktenwissen verfügen, bevor man sie mit darüber hinausgehenden, komplexeren
Anforderungen konfrontiert. Durch diese Vorgehensweise sollten eventuelle Defizite bereits
auf dem weniger anspruchsvollen Basisniveau ökonomischen und politischen Wissens
möglichst breit dokumentiert werden. Die empirischen Ergebnisse der Studie (s.u.) zeigen,
dass diese Vorgehensweise sinnvoll war. Die zweifelsohne ebenso wichtige Frage, inwiefern
angehende Lehrer(innen) über ökonomische und politische Urteilsfähigkeit verfügen, haben
wir also zunächst bewusst zurückgestellt; sie muss in künftigen Studien untersucht werden.
Zusätzlich zu den 15 Wissensfragen wurden das Alter und das Geschlecht der Referendare
und Lehramtsanwärter(innen) erhoben. Insgesamt nahmen 1138 Referendare und
Lehramtsanwärter4 aus sieben Studienseminaren in sieben nordrhein-westfälischen Städten an
der Befragung teil. Eine deutliche Mehrheit von 69,29% der befragten Personen war weiblich;
der Rest (30,71%) männlich. Hinsichtlich der Altersverteilung zeigte sich, dass die Mehrheit
(circa 60%) der befragten Referendare zwischen 26 und 30 Jahre alt war. Etwas mehr als
jeweils ein Achtel war zwischen 21 und 25 Jahre bzw. 31 und 35 Jahre alt; der Rest war älter
als 35 Jahre (vgl. Tab. 1). Außerdem haben wir danach gefragt, an welcher Schulform die/der
Betreffende derzeit tätig ist. Deutlich über die Hälfte der Referendare (62,0%) war zum
Zeitpunkt der Befragung an einem Gymnasium tätig (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Befragte nach Altersstruktur und Schulformen
Alter % Schulform %
18-20 0,0 Gymnasium 62,0
21-25 15,5 Gesamtschule 14,3
26-30 61,4 Realschule 5,9
31-35 14,2 Grundschule 5,2
> 35 8,9 Berufsschule 5,2
Hauptschule 4,4
andere 3,1
4 Lehramtsanwärter/innen werden für ein Lehramt des gehobenen Dienstes ausgebildet, Studienreferendare
für ein Lehramt des höheren Dienstes.
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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Des Weiteren interessierte uns, ob die Referendar(inn)e(n) ein sozialwissenschaftliches
Studienfach abgeschlossen haben. Dies traf für 20,39% der Befragten zu; 79,61% verneinten
dies.
Als eine weitere Gruppe haben wir 590 Studenten an drei Universitäten in Nordrhein-
Westfalen befragt. Diese befanden sich zu etwas mehr als 70% im ersten bis fünften
Semester; weitere ca. 20% waren im fünften bis neunten Semester; die übrigen ca. 10% in
einem höheren Semester.
2. Ergebnisse der Studie
2.1. Leistungsniveau
Von der Gruppe der Referendare und Lehramtsanwärter(innen) wurden im Schnitt 10,68 der
15 Fragen richtig beantwortetet. Es zeigt sich, dass fast die Hälfte (44,6%) den Wissenstest
mit 5 oder (z.T. deutlich) mehr Fehlern absolviert hat (vgl. Diagramm 1). Mehr als die Hälfte
(58,1%) der befragten Referendare und Lehramtsanwärter(innen) waren nicht in der Lage,
zumindest vier Fünftel der Fragen (12 von 15) richtig zu beantworten. Der Anteil derjenigen,
die nicht einmal die Hälfte der gestellten Fragen korrekt beantwortet haben, betrug 13,1%.
Angesichts der Tatsache, dass alle Fragen ausschließlich aus Wissenstests entnommen
wurden, die sich speziell an Schüler, Studenten und einbürgerungswillige Bürger(innen) ohne
deutsche Staatsangehörigkeit gerichtet haben, erscheinen diese Fehlerwerte für Personen mit
einem abgeschlossenen Hochschulstudium, die (bald) junge Menschen zu mündigen Bürgern
erziehen sollen, zu hoch, um von einem guten Ergebnis sprechen zu können. In Anbetracht
dieser zumindest nicht überragenden Ergebnisse erscheint es uns jedenfalls durchaus
lohnenswert, das politische und ökonomische Wissen von Referendaren in Zukunft noch
intensiver und systematischer empirisch zu erforschen.
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
6
0,2% 0,0% 0,1% 0,5%1,1%
2,4%3,0%
5,8%
7,6%
10,6%
13,3%13,4%
14,6%
12,7%
6,9%7,6%
0,0%
2,0%
4,0%
6,0%
8,0%
10,0%
12,0%
14,0%
16,0%
Diagramm 1: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte (Referendare)
Die von uns befragten Studenten konnten im Durchschnitt weniger Fragen richtig
beantworten als die Referendare. Von den Studenten beantworteten 43,1% bzw. 22,2%
weniger als zwei Drittel bzw. weniger als die Hälfte der Fragen korrekt (vgl. Diagramm 2).
Der Mittelwert bei den Studenten betrug 9,91 richtig beantwortete Fragen.
0,0% 0,0% 0,3%1,2%
2,0%
4,4%
5,4%
8,8%9,7%
11,2%11,0%
12,5%12,7%
10,3%
6,3%
4,1%
0,0%
2,0%
4,0%
6,0%
8,0%
10,0%
12,0%
14,0%Diagramm 2: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte (Studierende)
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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Gegen die Salienz der von uns ermittelten Leistungsergebnisse bei den Referendaren könnte
man einwenden, dass weibliche Probanden mit einem Anteil von 69,29% in unserer
Referendars-Stichprobe im Vergleich zur Verteilung der Geschlechter in der
Gesamtbevölkerung deutlich überrepräsentiert sind, sodass unsere Stichprobe in diesem Punkt
kein repräsentatives Abbild der Wirklichkeit darstelle. Dies könnte man bzgl. der
Interpretation der Leistungsergebnisse insofern für relevant halten, als weibliche Probanden in
unserer empirischen Studie im Durchschnitt signifikant schlechtere Ergebnisse erzielten als
männliche Probanden (der Unterschied liegt bei durchschnittlich zwei korrekten Antworten,
vgl. dazu Kapitel 3.3.), was dazu führe, dass unser Leistungsergebnis negativ nach unten
verzerrt werde. Dieser Einwand trägt jedoch insofern nicht, als der Frauenanteil in der
Lehrerschaft in NRW nicht der Geschlechterverteilung in der Gesamtbevölkerung von ca.
50% entspricht, sondern bei rund 66% liegt (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW
2010, 43) und somit in etwa dem Frauenanteil in unserer Studie entspricht.
2.2. Differenzen zwischen ökonomischem und politischem Wissen
Um die Gründe für die wenig befriedigenden Ergebnisse bei unserem Wissenstest für die
Referendare zu erhellen, bietet sich ein Blick auf diejenigen sechs Fragen an, die von den
Referendaren am häufigsten falsch beantwortet wurden. Hierbei handelt es sich um die
folgenden Fragen (vgl. den Fragebogen im Anhang):
Nr. 14 „Richtlinienkompetenz“: von 73,3% nicht korrekt beantwortet
Nr. 13 „Exekutive“: von 52,9% nicht korrekt beantwortet
Nr. 9 „Aufgaben Bundestag“: von 49,4% nicht korrekt beantwortet
Nr. 5 „Generationenvertrag“: von 29,3% nicht korrekt beantwortet
Nr. 3 „Regierungswechsel Bundesland“: von 26,7% nicht korrekt beantwortet
Nr. 15 „Zweitstimme“: von 25,2% nicht korrekt beantwortet
Diese Fragen wurden auch von den Studenten am häufigsten falsch beantwortet, wobei deren
Fehlerquoten zumeist jeweils noch ein wenig höher lagen.
Mit Ausnahme von Frage 13, bei der man die Ansicht vertreten kann, dass sie eher
deklaratives Begriffswissen erhebt, beziehen sich all diese Fragen auf zentrale
Funktionsmechanismen des deutschen Wirtschafts- und v.a. Regierungssystems. Dennoch
werden sie jeweils von mindestens einem Viertel der Befragten nicht korrekt beantwortet.
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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In den gerade aufgeführten fünf Fragen, die am häufigsten falsch beantwortet wurden, deutet
sich an, dass die Probanden mit denjenigen Fragen, die sich auf das politische System i.e.S.
beziehen (Nr. 1, 3, 6, 7, 9, 12, 13, 14 und 15 des Fragebogens im Anhang), größere
Schwierigkeiten hatten als mit den Fragen, die wirtschaftliche Zusammenhänge i.e.S.
betreffen (Nr. 2, 4, 5, 8, 10 und 11 des Fragebogens im Anhang).
Diese Beobachtung bestätigt sich auch dann, wenn man den Blick auf den gesamten
Fragebogen richtet.
Zwar gibt es bei den befragten Referendaren (und auch bei den befragten Studenten) einen
nennenswerten (aber nicht sehr starken) korrelativen Zusammenhang zwischen dem Wissen
zu den politischen Fragen und dem Wissen zu den ökonomischen Fragen (Referendare:
Pearson`s R = 0,445; Studenten: Pearsons`s R = 0,460). Referendare (und Studenten), die
über ein gutes (schlechtes) ökonomisches Faktenwissen verfügen, zeigten also auch oft ein
gutes (schlechtes) politisches Faktenwissen (und umgekehrt). Dass dieser korrelative
Zusammenhang jedoch nicht übermäßig stark ausfällt, liegt u.a. an einem Wissensgefälle
zwischen den ökonomischen und politischen Fragen.
Vergleicht man nämlich das Abschneiden der Referendare bei den „wirtschaftlichen Fragen“
mit den „politischen Fragen“ (vgl. Diagramme 3 und 4) und fragt nach dem Anteil der
Referendare, die mehr als zwei Drittel der jeweiligen Fragen (also mehr als 6 von 9 bei den
„politischen“ Fragen bzw. mehr als 4 von 6 bei den „wirtschaftlichen“ Fragen) korrekt
beantwortet haben, stellt man fest, dass dies bei den „wirtschaftlichen“ Fragen für über 65%
der Referendare gilt. Demgegenüber sind bei den „politischen“ Fragen nur knapp 40% der
Referendare in der Lage, mehr als zwei Drittel dieser Fragen richtig zu beantworten. Dies ist
ein deutlicher Unterschied von mehr als 25 Prozentpunkten. Das wenig befriedigende
Gesamtergebnis des Wissenstests ist also insbesondere (aber nicht nur) auf Defizite eines
erheblichen Teils der befragten Referendare beim politischen Wissen i.e.S. zurückzuführen.
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
9
0,3% 0,7%
3,9%
6,9%
13,2%
16,2%
19,4%
16,9%
11,7%10,9%
0,0%
5,0%
10,0%
15,0%
20,0%
25,0%
Diagramm 3: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte Politik (Referendare)
0,4% 1,1%
4,6%
8,4%
17,9%
35,8%
32,0%
0,0%
5,0%
10,0%
15,0%
20,0%
25,0%
30,0%
35,0%
40,0%
0 richtige Antworten
1 richtige Antwort
2 richtige Antworten
3 richtige Antworten
4 richtige Antworten
5 richtige Antworten
6 richtige Antworten
Diagramm 4: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte Wirtschaft (Referendare)
Dieses Ergebnis zeigt sich in genauso stark ausgeprägter Weise auch in der Teilgruppe der
Studenten (vgl. Diagramm 5 und 6).
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
10
0,7%1,9%
5,6%
13,2% 12,9%
17,5%16,8%
13,7%
12,4%
5,4%
0,0%
2,0%
4,0%
6,0%
8,0%
10,0%
12,0%
14,0%
16,0%
18,0%
20,0%
Diagramm 5: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte Politik (Studierende)
0,5%1,7%
6,4%
10,7%
23,4%
29,5%27,8%
0,0%
5,0%
10,0%
15,0%
20,0%
25,0%
30,0%
35,0%
0 richtige Antworten
1 richtige Antwort
2 richtige Antworten
3 richtige Antworten
4 richtige Antworten
5 richtige Antworten
6 richtige Antworten
Diagramm 6: Prozentuale Verteilung der Leistungswerte Wirtschaft (Studierende)
Nun kann man darüber diskutieren, ob – wie manche Vertreter der ökonomischen Bildung an
dieser Stelle vielleicht einwenden würden – diese Differenz eventuell daher rührt, dass die
von uns ausgewählten wirtschaftlichen Fragen einen niedrigeren Schwierigkeitsgrad
aufweisen als die ausgewählten politischen Fragen. Unseres Erachtens kann dies jedoch –
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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wenn überhaupt – bestenfalls eine partielle Erklärung für die drastischen Wissensunterschiede
zwischen den beiden Teilbereichen sein. Will man dieses für willkürlich-subjektive
Bewertungen hochgradig anfällige Einschätzungsproblem in Zukunft vermeiden, könnten
künftige sozialwissenschaftliche Wissenstest von Vertretern beider Fachdidaktiken vor
Durchführung einer Studie daraufhin geprüft werden, ob sie die Fragen in beiden Bereichen in
etwa als gleich relevant beurteilen. Dann sollte die Zahl der „politischen“ und
„wirtschaftlichen“ Fragen auch identisch sein; dies konnten wir in unserer explorativen Studie
nicht realisieren, da wir Probleme damit hatten, in den vorliegenden Wissenstests überhaupt
genügend Fragen zu finden, die aus unserer Sicht a) nicht missverständlich oder doppeldeutig
waren und zugleich b) wirklich wichtige Aspekte des deutschen Gesellschafts- und
Wirtschaftssystems abfragen.
Eine plausiblere Erklärung für die o.g. deutlichen Leistungs-Differenzen beim Vergleich der
beiden Wissensbereiche Politik und Wirtschaft erscheint uns die Hypothese, dass die in den
wirtschaftlichen Items thematisierten Phänomene (Tarifautonomie/Lohnzahlung,
Sozialversicherungsbeiträge, Steuern) für die Probanden eine höhere und direktere persönlich-
alltägliche Relevanz (unmittelbare Auswirkung auf das eigene Einkommen und auf dasjenige
von Verwandten und Bekannten) besitzen als die in den politischen Items erfragten
politischen Vorgänge in der Regierung, im Bundestag und im Bundesrat im „fernen“ Berlin,
die zwar in den Medien oft thematisiert werden, aber gleichwohl keinen unmittelbaren
Bestandteil ihrer persönlichen Alltagswelt bilden.
Den Schluss, dass man in der Schule nun (wieder) verstärkt politische Bildung auf Kosten der
Zeit für ökonomische Bildung betreiben solle oder müsse, lassen die Ergebnisse der Studie
allerdings nicht zu. Zum einen handelt es sich nur um eine explorative Studie, die sich auch
nur auf kleine Teilgruppen der Gesamtbevölkerung bezieht. Zum anderen – und das ist noch
wesentlicher – erhebt unsere Studie nur Fakten- und Begriffswissen und trifft somit keine
Aussagen über die mindestens ebenso wichtige und komplexere Fähigkeit zur politischen und
ökonomischen Urteilsbildung. Dennoch liefert unsere Studie Indizien dafür, dass es keinen
Grund gibt – wie in den Medien in den letzten Jahren häufig geschehen – einseitig die Mängel
im ökonomischen Wissen herauszukehren. Erst recht gibt es keine empirisch belastbaren
Argumente dafür, ebenso utopische wie absurde Stundenplanentwürfe zu präsentieren, die
ohne eine einzige Schulstunde Politik auskommen und stattdessen ein eigenständiges, 6-
stündiges Fach „Wirtschaft“ vorschlagen (so im Handelsblatt vom 09.02.2009).
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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2.3. Einflüsse von Studienfach, Geschlecht, Schulform und Alter auf die Leistungen im
Wissenstest
Referendare mit einem sozialwissenschaftlichen Studienfach erzielen im Durchschnitt bessere
Ergebnisse als Referendare ohne ein sozialwissenschaftliches Studienfach. Die zuletzt
genannte Teilgruppe der Probanden erzielte einen Durchschnittswert von 10,26 richtigen
Antworten, wohingegen die zuerst genannte Teilgruppe einen Durchschnittswert von 12,29
richtigen Antworten erreichte. Referendare mit sozialwissenschaftlichem Studienfach
beantworten also im Schnitt gut zwei Fragen mehr richtig als Referendare ohne ein solches
Fach. Selbstverständlich muss man hierbei berücksichtigen, dass solche Zusammenhänge
nicht unbedingt kausal interpretiert werden können, da der Leistungsunterschied auch
gänzlich oder zumindest teilweise auf einen Selektionseffekt zurückgehen kann (Personen mit
höherem sozialwissenschaftlichen Wissen und Interesse wählen ein sozialwissenschaftliches
Studienfach) und nicht unbedingt (ausschließlich) einem Bildungseffekt geschuldet sein muss.
Bei der Teilgruppe der Studenten sind die durchschnittlichen Leistungsunterschiede zwischen
Probanden mit (10,17) und ohne sozialwissenschaftliches Studienfach (9,76) zwar auch zu
beobachten, sind aber dort bei weitem nicht so stark ausgeprägt.
Ähnliche Differenzen zeigen sich bei den Referendaren auch bei der Analyse des Einflusses
der Variable „Geschlecht“ auf den Erfolg beim Wissenstest. Männliche Probanden (12,07)
beantworten im Durchschnitt zwei Fragen mehr korrekt als die weiblichen Befragten (10,07).
Diese Differenzen zeigen sich noch etwas stärker ausgeprägt auch in der Teilgruppe der
Studenten (11,24 zu 9,11). Aus unseren Ergebnissen könnte man also die Schlussfolgerung
ziehen, dass besondere pädagogische Anstrengungen notwendig sind, um das Verständnis und
Interesse von Mädchen/Frauen für ökonomische und politische Zusammenhänge zu fördern,
gerade auch mit Blick auf den überproportional hohen Frauenanteil in der Lehrerschaft (s.o.).
Im Vergleich zu den beiden gerade genannten Variablen (Geschlecht, Studium der
Sozialwissenschaften) zeigte die Schulform, an welcher die Probanden tätig waren, deutlich
schwächere Zusammenhänge mit der durchschnittlichen Leistung der Referendare. Auffällig
ist aber gleichwohl, dass ein entsprechendes „Ranking“ der durchschnittlichen Leistungswerte
in etwa die üblicherweise gemessene Leistungshierarchie des (dreigliedrigen) deutschen
Schulwesens abbildet (vgl. Tabelle 2). Allerdings sind die Leistungsunterschiede bei den
Durchschnittswerten hier deutlich schwächer ausgeprägt als bei den Variablen „Geschlecht“
und „Sowi-Studium ja / nein“. Lediglich diejenigen, die an einer Grundschule oder an einer
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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Hauptschule tätig sind, fielen bzgl. der durchschnittlichen Leistung gegenüber denen, die an
einem Gymnasium oder einer Berufsschule tätig sind, relativ deutlich ab, wie Tabelle 2 zeigt.
Tabelle 2: Mittelwerte richtig beantworteter Fragen in Abhängigkeit von der Schulform
Schulform Fallzahl Mittelwert richtig beantworteter Fragen
Berufsschule 58 11,36
Gymnasium 698 10,87
Realschule 66 10,73
Gesamtschule 161 10,37
Grundschule 59 10,10
Hauptschule 49 9,92
Da Referendare, die an einem Gymnasium unterrichten, in unserer Stichprobe mit einem
Anteil von 62,0% zugleich deutlich überrepräsentiert sind, kann man angesichts dieser
Tabellenwerte vermuten, dass unsere Studie das durchschnittliche Leistungsniveau der
Gesamtpopulation aller Referendare sogar noch (leicht) überschätzt. Allerdings ist es
angesichts der sehr geringen Fallzahl der Grundschul-Referendare und der Hauptschul-
Referendare in unserer Stichprobe statistisch gesehen unsicher, ob man die ermittelten
Leistungsunterschiede zwischen Gymnasial-Referendar(inn)en auf der einen Seite und
Grundschul- und Hauptschul-Referendar(inn)en auf der anderen Seite substantiell
interpretieren kann. Hinweise auf solche schulformspezifisch differierenden Fachkenntnisse
von Lehrkräften liefert allerdings auch die COACTIV-Studie5, wenngleich nur für das Fach
Mathematik.
Gegen die Bedeutsamkeit der wenig zufriedenstellenden Ergebnisse unserer Studie könnte
man vorbringen, dass sich diese nur auf relativ junge Lehrkräfte beziehen und zu erwarten sei,
dass sich das ökonomische und politische Wissen der Lehrkräfte mit zunehmendem Alter
erheblich verbessere. In diesem Fall wäre jedoch zu erwarten, dass sich bereits in unserer
Studie ein positiver Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Umfang des ökonomisch-
politischen Wissens zeigt. In der Tat findet sich ein solcher Zusammenhang in unserer Studie,
der allerdings nur sehr schwach ausgeprägt ist (Pearson`s R = 0,095). Die Schwäche dieser
Korrelation spricht eher dagegen, sich vom Alterungsprozess automatische starke Effekte auf
5 Siehe http://www.mpib‐berlin.mpg.de/coactiv/studie/ergebnisse/index.html
Erschienen in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2 (2011) 1, 146-165.
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das ökonomische und politische Wissen zu erhoffen. Diese Frage wäre jedoch in einer
umfassenderen Studie, die auch ältere Lehrkräfte mit einbezieht, genauer zu prüfen.
3. Mögliche Einwände
Misst man unser Ergebnis an den hohen Ansprüchen, die die Gesellschaft in punkto
Demokratieerziehung an die Schule heranträgt, erweist es sich als einigermaßen
problematisch. Denn in unserer Studie ging es ausschließlich um Fragen, die ursprünglich
zum großen Teil für Schüler, einbürgerungswillige Menschen nicht-deutscher Herkunft und
zum geringen Teil für Studierende entwickelt wurden. Deshalb könnte man einen höheren
Anteil an Referendaren erwarten, der den Test mit maximal ein bis zwei falschen Antworten
absolviert, zumal die deutliche Mehrheit der befragten Referendare (über 60% unserer
Stichprobe) zum Zeitpunkt der Befragung an Gymnasien tätig war, d.h. an einer Schulform,
die gemäß der Systematik des deutschen Schulsystems auf die Vermittlung eines deutlich
überdurchschnittlichen Leistungsniveaus abzielt.
Andererseits könnte man kritisch einwenden, dass unsere Studie die tatsächliche
Leistungsfähigkeit der Probanden möglicherweise infolge von Motivationsproblemen
unterschätzt, da wir in unserer Studie für die befragten Personen keine extrinsischen Anreize
eingesetzt haben, sich bei den Antworten genauso stark anzustrengen wie z.B. in einer für den
persönlichen beruflichen Erfolg relevanten Examensklausur.
Wenn dies der Fall wäre, würde man einen relativ hohen Anteil von Flüchtigkeitsfehlern
erwarten, also von Fehlern, die man nicht zwingend als Folge von Unwissen, sondern z.B. als
Folge eines zu oberflächlichen Lesens der Items interpretieren könnte. Analysiert man das
Antwortverhalten unserer Probanden auf solche Fehler, zeigen sich zwei Fragen (Nr. 3 und
Nr. 5), bei denen ein hoher Anteil falscher Antworten eventuell als bloßer Flüchtigkeitsfehler
erklärt werden könnte. So ist bei Frage Nr. 3 der hohe Fehler-Anteil fast ausschließlich darauf
zurückzuführen, dass hier oft Option 1 angekreuzt wurde, die sich von der richtigen Option 3
nur durch ein Wort („Bundestag“ versus „Bundesrat“) unterscheidet. Ähnlich ist bei Frage Nr.
5 der hohe Fehleranteil im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass hier oft Option 2 statt
der richtigen Option 3 angekreuzt wurde, die sich ebenfalls nur durch ein Wort („morgen“
versus „heute“) unterscheiden.
Bei den anderen Fragen mit hohen Fehler-Werten ist eine solche Interpretation als bloße
Flüchtigkeitsfehler hingegen nicht naheliegend, da sich dort die falschen Antworten jeweils
recht ausgeglichen auf mehrere Antwortoptionen verteilen und die Verwechselungsgefahr bei
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den Items auch nicht stark ausgeprägt ist. Zudem gilt auch bzgl. der Fehler bei den Fragen
Nr. 3 und Nr. 5, dass diese nur möglicherweise Flüchtigkeitsfehler sind. Ebenso gut kann es
sich auch hier sehr wohl um echte Fehlverständnisse bzgl. der Begriffe Bundesrat/Bundestag
bzw. um ein mangelndes Verständnis der Funktionsweise der Gesetzlichen
Rentenversicherung handeln. Das nicht zufriedenstellende Gesamtergebnis unserer Studie
kann somit – wenn überhaupt – nur zu einem relativ geringen Teil mit dem Verweis auf
mögliche Flüchtigkeitsfehler „wegerklärt“ werden.
Dieses sich hinter möglichen Flüchtigkeitsfehlern verbundene Motivationsproblem sollte
jedoch in künftigen Studien mit methodisch einschlägigen Anreizen ausgeschlossen werden.
Überdies kann man kritisch diskutieren, ob die hier verwendeten Fragen in ihrer Gesamtheit
in optimaler Weise den anzustrebenden Kern ökonomischen und politischen Wissens
abdecken, über den ein mündiger Bürger verfügen sollte. Uns interessierte jedoch zunächst
erst einmal nur, inwieweit akademisch gebildete, angehende Lehrpersonen diejenigen Fragen
korrekt beantworten können, die von wissenschaftlich-didaktischer Seite bisher als relevant
für Edukanden wie minderjährige Schüler, Studenten und einbürgerungswillige Menschen
erachtet werden. Deshalb haben wir in unserer explorativen Studie nur Fragen verwendet, die
bereits in solchen Tests zur Anwendung gekommen sind, und die ausgewählten Fragen sind
aus unserer Sicht diejenigen, die sich von allen Fragen aus sämtlichen (uns bekannten)
Wissenstests am besten auf das für einen mündigen Bürger notwendige ökonomische und
politische Faktenwissen beziehen. Dennoch kann man sicherlich mit Recht kritisch darüber
diskutieren, ob unabhängig davon nicht Fragen denkbar sind, die für einen mündigen Bürger
relevanter sind als z.B. die nach der korrekten deklarativen Zuordnung der Begriffe Exekutive
und Legislative (Frage 12 und 13). Umgekehrt kann man beanstanden, dass der verwendete
Fragebogen bedeutsame Wissensgebiete wie z.B. Rechtsstaatlichkeit, Europäische
Integration, Internationale Beziehungen, Märkte oder ökologische Nachhaltigkeit
ausklammert. Gleichwohl richten sich die 15 Fragen zweifelsohne auf einige elementare und
damit hochrelevante Bausteine der deutschen Gesellschaftsordnung – nämlich Wahlen,
Föderalismus, Gewaltenteilung, Sozialstaat, Tarifautonomie und Wirtschaftspolitik –, die
zweifelsohne zum relevanten Wissen eines mündigen Bürgers gehören.
Künftigen wissenschaftlichen Studien zum ökonomisch-politischen Wissen von Bürgern
sollte jedoch eine ausführliche systematische theoretische Reflexion über die Frage
vorangehen, welches ökonomische und politische Faktenwissen der mündige Bürger aus
welchen Gründen besitzen sollte. Dieses Faktenwissen könnte z.B. jene Kenntnisse
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spezifizieren, die die Voraussetzung für ein grundlegendes Verständnis von elementaren
politischen Wertekonflikten (Petrik 2007, 161) bzw. Schlüsselproblemen (Breit 2005, 117)
bilden. Darauf aufbauend wäre dann auch ein entsprechender Katalog aus konflikt- und
problemorientierten Urteilskompetenzen zu formulieren. Ein solches umfassend
ausgearbeitetes Set von konflikt- und problemorientierten Grundlagenwissen und
Urteilskompetenzen, das theoretisch-didaktisch elaboriert begründet ist, existiert unseres
Wissens derzeit jedoch noch nicht. Erst aus einem solchen, systematisch entwickelten Ansatz
wäre dann – methodisch abgesichert – ein entsprechender Katalog mit exemplarischen Fragen
zu entwickeln, was hier jedoch nicht geleistet werden kann.
Ein gewichtiges Problem bzgl. der Aussagekraft unserer rein explorativen Studie besteht
schließlich darin, dass wir keine Zufallsstichprobe gezogen haben, wie es zur Gewährleistung
der Repräsentativität der Ergebnisse notwendig gewesen wäre. Stattdessen haben wir der
Einfachheit halber uns zugängliche soziale Netzwerke zur Verteilung der Fragebögen genutzt,
sodass verzerrende Einflüsse unterschiedlicher Art nicht völlig auszuschließen sind. Dies ist
ein Manko, das eine künftige Studie vermeiden muss. Von daher beanspruchen wir nicht, aus
unserer Studie definitive, belastbare Schlussfolgerungen zum ökonomischen und politischen
Wissen von Referendaren ziehen zu können. Die Ergebnisse unserer explorativen Studie
zeigen aber, dass es lohnenswert ist, umfassender, intensiver und detaillierter empirisch zu
überprüfen, ob (angehende) Lehrkräfte tatsächlich über das einschlägige und notwendige
Grundwissen für die Erziehung ökonomisch und politisch mündiger Bürger verfügen, wie es
in vielen Forderungen, die an die Schule herangetragen werden, implizit unterstellt wird.
Überdies gibt es Hinweise darauf, dass unsere Ergebnisse nicht vollkommen arbiträr sind.
Anderenfalls würde man erwarten, dass die von uns festgestellten Mittelwerte bzgl. der Zahl
der richtigen Antworten bei den verschiedenen Seminarstandorten der Referendarsausbildung
signifikant streuen würden. Dies ist jedoch bei den vier Standorten mit hoher Fallzahl (n >
150) nicht der Fall: hier zeigen sich vielmehr sehr eng beieinander liegende Mittelwerte von
10,51 (Seminar 1), 10,54 (Seminar 2), 10,65 (Seminar 3), 10,66 (Seminar 4). Es scheint
relativ unwahrscheinlich, dass diese sehr eng beieinander liegenden Werte rein zufälliger
Natur sind.
Der starke Ausreißer beim Mittelwert des Seminars 5 (12,5) erklärt sich durch den dortigen
stark überdurchschnittlich hohen Anteil von Personen mit sozialwissenschaftlichem Studium
(41,67% der befragten Referendare in Seminar 5 hatten ein Studium der Sozialwissenschaften
absolviert versus 20,39% in der Gesamtstichprobe) und durch die geringe Fallzahl. In
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ähnlicher Weise lässt sich auch der überdurchschnittliche Mittelwert für Seminar 6 von 11,04
mit einer sehr geringen Fallzahl (45) und einem leicht überdurchschnittlich hohen Anteil von
Personen mit sozialwissenschaftlichem Studium (22,22%) erklären.
Nicht auf diese Weise erklären lässt sich hingegen der Ausreißer des Mittelwerts beim
Standort Seminar 7 (11,18), da dort der Anteil der Referendare mit Sowi-Studium sogar
unterdurchschnittlich (16,84%) und die Fallzahl zugleich relativ hoch (96) ist. Insofern muss
letztlich offen bleiben, wie repräsentativ die Ergebnisse unserer Studie sind.
4. Fazit
Die Leistungen der von uns untersuchten Stichprobe von Referendar(inn)en in Nordrhein-
Westfalen als einer akademisch gebildeten sozialen Gruppe zum ökonomischen und
politischen Wissen können schwerlich als zufrieden stellend bezeichnet werden. Setzt man die
Erwartung, dass ein mündiger Bürger zumindest zwei Drittel der 15 Fragen unserer Studie
zum ökonomischen und politischen Faktenwissen korrekt beantworten können sollte, dann
erreicht etwa ein Drittel der Referendare diese Messlatte nicht. Insbesondere beim Wissen
zum politischen System Deutschlands zeigt ein erheblicher Anteil der befragten Referendare
signifikante Schwächen (gut 40% beantworten weniger als 2/3 der „politischen“ Fragen
korrekt).
Hieraus ist natürlich keinesfalls der Schluss zu ziehen, dass sich die ökonomisch-politische
Bildung künftig stärker auf die Förderung von grundlegendem Faktenwissen konzentrieren
sollte. Denn zur politischen Mündigkeit führt die Kenntnis von Fakten selbstverständlich nur
dann, wenn sie mit einer differenziert ausgebildeten Urteilsfähigkeit kombiniert wird.
Insofern sollten künftige empirische Studien auch das Ausmaß der ökonomisch-politischen
Urteilsfähigkeit von (angehenden) Lehrer(innen) und Studenten untersuchen.
Sicherlich kann man gegen die Aussagekraft unserer Studie einige Einwände vorbringen
(Begrenzung auf Berufsanfänger, ungesicherte Repräsentativität, mangelnde extrinsische
Motivation der Probanden, mangelnde systematisch-theoretische Fundierung des
Fragebogens). Aus einer Vielzahl von oben bereits angeführten Gründen ist es jedoch eher
unwahrscheinlich, dass sich das ermittelte Leistungsbild bei Behebung dieser Probleme
deutlich verbessern würde. Angesichts dessen erscheint es uns jedenfalls nicht angebracht,
nun einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Vielmehr zeigt dieses Ergebnis, dass eine
intensivere und systematischere empirische Erforschung des ökonomischen und politischen
Wissensstandes von (angehenden) Lehrer(inne)n sehr sinnvoll ist, um genauer zu prüfen,
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inwieweit die Forderungen, die die Gesellschaft in punkto politisch-ökonomischer Bildung
und Demokratieerziehung an die Schulen heranträgt, derzeit realistisch sind.
Literatur
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Feldfunk
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Anhang: Fragebogen
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