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Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Stress am Arbeitsplatz Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014 Dr. Jürgen Reusch Redakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit

Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Stress am Arbeitsplatz Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober

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Wissenschaftliche Erkenntnisse zu

Stress am Arbeitsplatz

Tagung „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“

Arbeiterkammer und ÖGB Salzburg, 2. Oktober 2014

Dr. Jürgen ReuschRedakteur der Jahrbuchreihe Gute Arbeit

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Dr. Jürgen Reusch

Inhalt

1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – EU

2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick – Deutschland

3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen

4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland

5. Den Stress managen – Die Diskussion in der EU

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1. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick - EU

Die von der EU-Kommission verwandte Stress-Definition lautet: „Arbeitsbedingter Stress lässt sich definieren als Gesamtheit emotionaler, kognitiver, verhaltensmäßiger und physiologischer Reaktionen auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung. Dieser Zustand ist durch starke Erregung und starkes Unbehagen, oft auch durch ein Gefühl des Überfordertseins charakterisiert.“

Wir wissen sehr viel über das Ausmaß, die Formen und die Auswirkungen psychischer Belastung am Arbeitsplatz.

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Kerngedanke der europaweiten Kampagne„Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“

„Die Verbreitung von arbeitsbedingtem Stress in Europaist Besorgnis erregend. Die aktuelle Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit der EU-OSHA hat ergeben, dass 51% der Arbeitnehmer der Meinung sind, Fälle von arbeits-bedingtem Stress seien an ihrem Arbeitsplatz häufig. Vier von zehn Arbeitnehmer/innen geben außerdem an, die Verringerung von arbeitsbedingtem Stress werde an ihrem Arbeitsplatz nicht gut gehandhabt.“

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Gesamteuropäische Meinungsumfrage zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Mai 2013)16.600 Befragte aus 31 europäischen Ländern

Gibt es in Ihrem Land Regelungen zu Arbeitsstress, die es ermöglichen, gesund das Rentenalter zu erreichen? Europaweit antworten 12% mit Ja. In Österreich 11%, in Deutschland 8%.

Sollen entsprechende Regelungen eingeführt werden? Mit Ja antworten europaweit 61%. In Österreich ebenfalls 61%, Deutschland 64% (Männer 60%, Frauen 69%).

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Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtemStress an Ihrem Arbeitsplatz? (Deutschland, in %)Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013

Sehr häufig

Eher häufig

Eher selten

Sehr selten

Es gibt keine Fälle von arbeitsbedingtem Stress

Weiß nicht

0 10 20 30 40

17

35

32

13

2

2

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Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtemStress an Ihrem Arbeitsplatz? (alle 31 Länder, in %)Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013

Sehr häufig

Eher häufig

Eher selten

Sehr selten

Eher und sehr häufig

zusammen

0 10 20 30 40 50 60

16

35

28

17

51

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Frage: „Wie häufig sind Fälle von arbeitsbedingtemStress an Ihrem Arbeitsplatz? (Österreich, in %)Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013

Sehr häufig

Eher häufig

Eher selten

Sehr selten

Eher und sehr häufig

zusammen

0 10 20 30 40 50 60

8

37

31

21

45

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Frage: „Welches sind die häufigsten Gründefür arbeitsbedingten Stress?“ (Deutschland, in %)Quelle: Gesamteuropäische Meinungsumfrage 2013

Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher Arbeitsplatzverlust

Nichtakzeptablen Verhaltensweisen wie Mobbing oder Belästigung ausgesetzt sein

Geleistete Stunden oder Arbeitsbelastung

Fehlende Unterstützung von Kollegen oder Vorgesetzten um Ihre Aufgaben zu erfüllen

Fehlende Klarheit der Aufgabe und Verantwortlichkeit

Eingeschränkte Möglichkeit der Gestaltung der eigenen Tätigkeit

0 10 20 30 40 50 60 70 80

79

78

76

66

56

54

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5. Bericht der „Dublin Foundation“ zu den Arbeitsbedingungen in Europa (EWCS 2010)

Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geht weiter, prekäre Beschäftigung macht etwa 20% der Arbeitsverhältnisse aus.

18% klagen über schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. „Klassische“ physische Belastungen am Arbeitsplatz verharren auf

hohem Niveau (körperlich schwere Arbeit 33%, 30% Lärm usw.). Viele Beschäftigte klagen über ergonomische Probleme am

Arbeitsplatz. Repetitive Bewegungen und körperliche Zwangshaltungen sind weit verbreitet.

Arbeitsintensität und Zeitdruck nehmen weiter zu (über 60% Betroffene, deutliche Zunahme in den letzten 20 Jahren).

Eine wachsende Zahl von Beschäftigten glaubt nicht, ihre gegenwärtige Arbeit gesund bis zur Rente ausüben zu können (z. B. 28% der hoch qualifizierten Angestellten, 51% der hoch qualifizierten Arbeiter)

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2. Wissenschaftliche Befunde: ein Überblick - Deutschland

„Mit den Ergebnissen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 konnte gezeigt werden, dass sich viele Merkmale arbeitsbedingter psychischer Belastung nach wie vor auf hohem Niveau befinden, wenn auch – zumindest in den letzten fünf Jahren – keine Zunahme zu verzeichnen ist. Vor allem die Arbeitsmerkmale

‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’,

‚starker Termin- und Leistungsdruck’,

‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’,

‚Störungen und Unterbrechungen’ sowie

‚sehr schnell arbeiten müssen’

sind nach Angabe der Erwerbstätigen nach wie vor weit verbreitet. Aussagen dazu, in welchem Umfang sich die Befragten durch diese Anforderungen belastet fühlen, zeigen zwar ebenfalls nur wenige Veränderungen seit 2005/2006.

Allerdings ist bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen – ‚starker Termin- und Leistungsdruck’ und ‚sehr schnell arbeiten müssen’ – ein Anstieg in der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen.“

(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)

.

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Psychische Belastungenam Arbeitsplatz sind sehr hoch …Quelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12

Verschiedene Arbeiten gleichzeitig

Starker Termin-/Leistungsdruck

Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge

Störungen / Unterbrechungen

Konfrontation mit neuen Aufgaben

Stückzahl, Leistung, Zeit vorgegeben

Verfahren verbessern / neue ausprobieren

Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben

0 10 20 30 40 50 60

42

50

45

34

34

26

23

31

58

52

50

44

39

30

26

26

2011/12 1998/99

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Aber physische Belastungenbleiben auch auf hohem NiveauQuelle: BIBB/IAB-Befragung 1998/99; BIBB/BAuA-Befragung 2011/12

Öl, Fett, Schmutz, Dreck

Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft

Lärm

Heben und Tragen schwerer Lasten

Zwangshaltungen

Arbeit im Stehen

0 10 20 30 40 50 60 70

18

21

21

27

19

61

19

22

27

23

18

54

2011/12 1998/99

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Häufig genannte Arbeitsbelastungen18- bis 65-jähriger Erwerbstätiger sindQuelle: Robert Koch Institut, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, GBE kompakt, Ausgabe 5/2011

Arbeit unter Zeit- oder Leistungsdruck

Überstunden, lange Arbeitszeiten und Arbeitswege

Lärm, Hitze, Kälte usw.

Heben oder Tragen von schweren Lasten

Arbeit in gebückter o. a. unbequemer Stellung

Schichtarbeit

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

35.9

27.5

25.2

23.3

23.6

20.1

44.1

40.5

41.7

30.7

28

21.5

Männer Frauen

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»TopTen« starker Belastungen am Arbeitsplatz:»Fühlen Sie sich durch folgende Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz belastet?« Quelle: WIdO 2010

Ständige Aufmerksamkeit/Konzentration

Termin- oder Leistungsdruck

Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit

Hohes Arbeitstempo

Lärm

Hohe Verantwortung

Zu große Arbeitsmengen

Ständiges Sitzen

Das Risiko, arbeitslos zu werden

Schlechte Belüftung, Klimaanlage

0 5 10 15 20 25 30 35

30.1

29.8

25

24.4

23.8

23.8

22

22

21.6

21.2

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Haben arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck imUnternehmen seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 zugenommen?Quelle: Ergebnisse einer Befragung (2012) von Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall, 3.878 Befragte

Nein Etwas Stark Sehr stark0

10

20

30

40

50

60

5

27

48

20

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Hohe Arbeitsintensität belastet die Beschäftigten(Angaben in Prozent)Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2013

Sehr häufig

Oft Selten Nie

Wie häufig fühlen Sie sich bei der Arbeit gehetzt oder stehen unter Zeitdruck?

23 33 33 11

Wie häufig kommt es vor, dass Sie bei Ihrer Arbeit gestört oder unterbrochen werden, z.B. durch technische Probleme, Telefonate oder Kolleg/innen?

23 31 34 12

Wie häufig werden bei der Arbeit verschiedene Anforderungen an Sie gestellt, die schwer miteinander zu vereinbaren sind?

11 21 46 22

Wie häufig kommt es bei der Arbeit vor, dass Sie nicht alle Informationen erhalten, die Sie brauchen, um Ihre Arbeit gut zu erledigen?

9 23 49 19

Wie häufig kommt es vor, dass Sie Abstriche bei der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr Arbeitspensum zu schaffen?

6 15 42 37

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Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung,Entgrenzung – die KerndatenQuelle: DGB-Index Gute Arbeit 2011

Sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten

Seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten

Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für betriebliche Belange erreichbar zu sein

Auch in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft für ihren Betrieb arbeiten

Fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten

Zu Hause an Schwierigkeiten bei der Arbeit denken

Pro Woche zehn und mehr Überstunden leisten

Mindestens zwei Mal im Jahr auch dann zur Arbeit gehen, wenn sie sich richtig krank fühlen

0 10 20 30 40 50 60 70

52

63

27

15

34

37

20

49

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Missverhältnis von Anforderungund Anerkennung (Prof. Dr. Johannes Siegrist)

Die zunehmenden extremen Leistungsanforderungen sind »an sich« schon ein ernstes Problem.

Die wirkliche Brisanz entsteht aber erst durch den gleichzeitigen Verlust von eigentlich verdienter Anerkennung und durch zunehmende Unsicherheit.

Die Beschäftigten verausgaben sich, aber es ist nie genug, und sie erleben zugleich: Ihre Einkommen bleiben zurück, ihr Beschäftigungsverhältnis wird prekärer, sie erhalten immer weniger soziale Unterstützung, ihre Existenz wird unsicherer, die Lebensplanung wird schwieriger, die Zukunftsperspektiven werden schlechter usw. usf.

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3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen

„Doch trotz all dieser Einschränkungen ist gesichert: ein Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“

„Doch vielfach wird der Anstieg psychischer Arbeitsbelastung für zunehmende Arbeitsunfähigkeitstage und Frühverrentungen aufgrund psychischer Störungen verantwortlich gemacht. Und tatsächlich: mittlerweile gilt als gesichert, dass ein Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und psychischen Erkrankungen, wie z. B. Depressionen besteht.

(Stressreport 2012, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)

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3. Gesundheitliche Folgen hoher psychischer Belastungen

Der Begriff der Belastung ist zunächst neutral – Belastungen können sich positiv und negativ auswirken. Diese individuellen Auswirkungen bezeichnen wir als Beanspruchungen. Zu hohe Belastungen am Arbeitsplatz können auf die Dauer jedoch zu Beeinträchtigungen des Befindens und zu gesundheitlichen Beschwerden führen, längerfristig auch zu Gesundheitsstörungen, chronischen Erkrankungen und zum frühzeitigen Verlust der Arbeitsfähigkeit.

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Psychische Fehlbelastungen machen krank …hoher Sockel arbeitsbedingter Erkrankungen

Das hohe Maß an Arbeits- und Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und zugleich mangelnder Anerkennung und Sicherheit ist verantwortlich für zahlreiche Erkrankungen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Verdauungstrakts, psychische Erkrankungen u. a. m.

Das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsfolgen psychischer Fehlbelastungen ist also größer als alleine an den psychischen Störungen ablesbar.

Diese haben allerdings in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen.

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Gesundheitsrisiko Arbeitsstress(Prof. Dr. Johannes Siegrist)

Wissenschaftlich gut erforschte und bekannte Krankheitsursachen in der modernen Arbeitswelt:

– Fortgesetzte Arbeitsverdichtung, oft in Kombination mit eingeschränktem Entscheidungsspielraum (auch bei monotonen, kurzzyklischen Arbeiten)

– Lange und ungünstige Arbeitszeiten– Zu niedrige Bezahlung, begrenzte Aufstiegschancen, mangelnde

Anerkennung, Arbeitsplatzunsicherheit– Konflikthafte, oft durch mangelnde Fairness gekennzeichnete

Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, soziale Isolation

– Diese Risikokonstellationen können auch in Kombination auftreten (monotone Arbeit unter Zeitdruck und in sozialer Isolation; hoher Zeitdruck und lange Arbeitszeiten bei hoher Verantwortung)

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Daraus folgende stressassoziierte Erkrankungen(Prof. Dr. Johannes Siegrist)

Für jeden der genannten Aspekte sind in umfangreichen Langzeitstudien erhöhte Risiken für stressassoziierte Erkrankungen nachgewiesen, hauptsächlich:

– Depressionen– Koronare Herzerkrankungen

Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat den Zusammenhang von Arbeitsintensität und Depression nachgewiesen. (»Untersuchung arbeitsbedingter Ursachen für das Auftreten von depressiven Störungen«, BAuA Forschungsbericht F 1865, Dortmund 2010)

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Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehenvon Stress-Erkrankungen (Siegrist und Dragano)

Nach Auswertung zahlreicher epidemiologischer Studien haben Siegrist und Dragano den Anteil der Arbeitsbelastungen am Entstehen von Erkrankungen in Prozentanteilen beziffert. Dieser Anteil beträgt demnach bei

– Muskel-Skelett-Erkrankungen 33%– Koronaren Herzerkrankungen 29%– Depressiven Störungen 39%

Die beiden letzten Punkte beziehen sich ausschließlich auf Folgen von psychischen Belastungen. Der Umfang der Krankheitslast v. a. bei älteren Beschäftigten dürfte tatsächlich höher sein.

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Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen, AOK-Mitglieder, Entwicklung seit 1999 (= 100%)

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Fehlzeiten-Report 2012

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 201290

100

110

120

130

140

150

160

170

180

190

100

115.2

124.2128.6

124.3

136.2 133.7 134

146.2

153.1

160.2

169.7

100

118.9

134

141.5 140.7 141.6

135.1 135.8

145.6

152.6

162

176.9

Tage Fälle

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AU-Tage und AU-Fälle pro 100 Versichertenjahreaufgrund psychischer Störungen

Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 1997-2013

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 20130

50

100

150

200

250

0

1

2

3

4

5

6

7

76.7 88

.6 96.3

110

115.

9

123.

8

124.

6

125.

6

125.

4

121.

7

130.

2

140.

2

149.

5 169.

6

195.

6

203.

5

212.

8

2.52.8

3

3.63.8

4.1 44.3

4.1 4.24.5

4.85

5.5

6 6.1 6.2

AU-Tage je 100 VJ AU-Fälle je 100 VJ

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AU-Tage nach Diagnosen, Entwicklung seit 2000Quelle: Techniker Krankenkasse Gesundheitsreport 2012

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Zunahme der Burnout-Fälle 2004 bis 2010Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung,AU-Tage und –Fälle im Jahresverlauf je 1.000 AOK-Mitglieder, Quelle: WIdO 2011

2004 2005 2006 2007 2008 2009 20100

10

20

30

40

50

60

70

80

0

0.5

1

1.5

2

2.5

3

3.5

4

8.113.9

19.9

28.9

39.8

51.2

72.3

0.64

0.96

1.37

1.92

2.46

3.07

3.95

AU-Tage je 1000 Mitglieder AU-Fälle je 1000 Mitglieder

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Haben Erkrankungen wie Depressionen, Burnout-Syndrom,totale Erschöpfung, Hörsturz u. a. im Unternehmen zugenommen?Quelle: Ergebnis einer Befragung im Organisationsbereich der IG Metall mit 3.878 Befragten, 2012

Nein Etwas Stark Sehr stark0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

50%

14%

46%

33%

7%

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Zukünftige Arbeitsfähigkeit – Das Ergebnis der bundes-weiten Repräsentativumfrage unter den BeschäftigtenQuelle: Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012

47%

11%

42%

Nein, wahrscheinlich nicht Weiß nicht Ja, wahrscheinlich

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Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den wichtigsten Diagnosegruppen 1996-2012 (Anteile in %)Quelle: Deutsche Rentenversicherung in Zahlen 2013

Jahr MSE Herz-Kreislauf

Stoffwechsel/Verdauung

Neubildungen Psychische Störungen

1996 27,6 17,6 4,9 10,8 20,1

2000 25,4 13,3 4,9 13,5 24,2

2005 18,1 11,0 4,3 14,5 32,3

2010 14,7 10,0 3,9 13,3 39,3

2011 14,2 9,7 3,9 12,7 41,0

2012 13,7 9,6 3,8 12,7 42,0

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Betriebsräte-Befragung der IG Metall (2012):»Können Beschäftigte gesund und leistungsfähig das gesetzliche Rentenalter von über 65 Jahren erreichen?«

46%

33%

11%

10%

Eher nicht Nahezu nie Überwiegend Ja, in der Regel

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4. Den Stress managen – Die Diskussion in Deutschland

2008: Basispapier der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie: »Erhöhter Zeit- und Verantwortungsdruck, Über- und Unterforderung oder auch die Angst um den Arbeitsplatz« führen »zunehmend zu psychischen Fehlbelastungen. Zudem verändert sich der Charakter der arbeitsbedingten Belastungen durch den beschleunigten Innovationsdruck und damit verbundene schnelle Technologiewechsel«.

GDA-Arbeitsprogramm 2013-2018: Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung. "Stress reduzieren - Potenziale entwickeln" - unter dieser Devise findet ein Bündel von Maßnahmen statt, um der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen von Beschäftigten entgegenzuwirken. Das Ziel des Arbeitsprogramms: Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen.

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Januar 2013: Kongress des BMAS gegen Stress„Stark werden gegen Stress in der Arbeitswelt“

Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU):

„Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten Probleme in der Arbeitswelt und kosten Unternehmen und Sozialversicherungen Milliarden. Allein 2011 gab es 59 Millionen Krankentage wegen psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Leider machen sich noch viel zu wenige Betriebe Gedanken, wie sie ihre Belegschaft vor Stress und Burnout schützen können. Dass es nicht am guten Willen mangelt, zeigt die Tatsache, dass die deutschen Unternehmen spitze sind, wenn es um den Schutz vor körperliche Gefahren geht. Jetzt ist es höchste Zeit, dass wir auch bei den psychischen Belastungen voran kommen. Es ist positiv, dass alle Beteiligten die Brisanz des Themas erkannt haben. Wir haben uns ein 5-Jahres-Ziel gesteckt, das wollen wir erreichen.“

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Klarstellung im ArbeitsschutzgesetzBeschlossen im Juni 2013, in Kraft getreten im Oktober 2013

§ 4 Allgemeine Grundsätze Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen es Arbeitsschutzes von

folgenden allgemeinen Grundsätzen auszugehen: (1) Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das

Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird; ….

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen (1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die

Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. …

(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch … 6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

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Gemeinsame Erklärung von DGB, BDA und BMAS zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt

September 2013

Konsens: … „Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung ist ein geeigneter Ansatz, um in den Betrieben herauszufinden, woraus sich

Gefährdungen der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten ergeben können und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dabei stehen Maßnahmen im Vordergrund, die sich auf die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung

beziehen.“

Dissens: … „Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften

setzen sich für eine „Anti-Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln der Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer Sicht existierende

Regelungslücke bei psychischer Belastung zu schließen. Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird

dieser Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk bereits gewährleistet.“

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Dr. Jürgen Reusch

Aber: Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen mit Berücksichtigung psychischer Belastungen sind weiterhin die

Ausnahme. Eine durchgreifende Besserung ist nicht erkennbar.

Keine amtlichen Daten! DGB-Index-Befragung 2008: Nur 30% der Betriebe hatten eine

Gefährdungsbeurteilung. Bei 40% dieser Betriebe wurden die Beschäftigten nicht nach Belastungen durch Arbeitsabläufe, Arbeitszeitgestaltung oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz gefragt.

Nach der GDA-Dachevaluation 2012 haben 51% der Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung gemacht. Davon hat aber nur eine Minderheit psychische Belastungen berücksichtigt. (s. nächste Folie)

Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung Nachholbedarf. Eine neue Studie der DGPPN, die 12 europäische Länder vergleicht, kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland nur jede zweite Gefährdungsbeurteilung (49%) psychosoziale Aspekte berücksichtigt.

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Berücksichtigung verschiedener Gefährdungsbereichein betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen

Quelle: GDA-Dachevaluation, Betriebsbefragung 2011

Arbeitsmittel

Arbeitsplatzgestaltung

Arbeitsumgebung

Arbeitsorganisation

Arbeitszeitgestaltung

Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz

Psychische Belastungen durch schwierige Kunden

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

95

89

89

55

48

44

39

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Gefährdungsbeurteilungen (Angaben in Prozent)

WSI/Pargema-Befragung 2008/2009

Insgesa

mt

GB einschl. p

sychis

cher B

elastunge

n0

20

40

6056

20

BAuA-Befragung von Kleinbetrieben 2010

Insgesa

mt

GB einschl. p

sychis

cher B

elastunge

n0

20

40

60

38

6

Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20 Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben. Antworten: „Ja“ oder „Teilweise“.

Kleinst- und Kleinbetriebe mit maximal 49 Beschäftigten, die eine GB durchgeführt haben. Antworten: „Ja“.

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Anti-Stress-Initiative der IG Metall und ihre WirkungenBeispiel für erfolgreiches Agenda-Setting

Juni 2012: Entwurf der IG Metall für eine Anti-Stress-Verordnung

Oktober 2012: SPD-geführte Bundesländer legen einen Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung vor

Oktober 2012: Debatte im Bundestag über eine Anti-Stress-Verordnung

Mai 2013: Bundesrat beschließt eine Anti-Stress-Verordnung

Juni 2013: Bundestag beschließt Klarstellung zu psychischer Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz

Oktober 2013: Diese Klarstellung tritt in Kraft September 2014: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles

(SPD) erklärt, eine Anti-Stress-Verordnung sei ihr Ziel

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Anti-Stress-Verordnung: Die Regelungs- und Schutzlücke schließen

EU-Richtlinien ArbSchG … SGB VII

ArbStättV GefStoffV BetrSichV Lärm Vibrations ArbSchV

ArbMedVV

TRGSASRASR TRGSTRGS TRBSTRLV

TRBSTRLV UVVUVV AMR AMR

ASTAASTA AGSAGS ABS AfAmed

Anti-Stress- Verordnung

???

Anti-Stress-Regeln

???

BG Selbst-

verwaltung

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»Anti-Stress-Verordnung« – Wesentliche Inhalte

§ 1 Ziel und Anwendungsbe

reich

§ 2 Begriffsbestim

mungen

§ 3 Grundpflichten

§ 4 Gefährdungsbe

urteilung

§ 5 Unterweisung

§ 6 Arbeitsaufgabe

§ 7 Arbeitsorganisa

tion

§ 8 Soziale Beziehungen

§ 9 Umgebungsbed

ingungen

§ 10 Arbeitszeitgesta

ltung

§ 11 Ausschuss Psychische Belastung

§ 12 Straftaten, Ordnungswidri

gkeiten

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Arbeitgeber in Deutschland sind weiterhin gegen eine Anti-Stress-Verordnung

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat die Anti-Stress-Verordnung der IG Metall kritisiert. „Sie ist überflüssig“, sagte ein Sprecher. Die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz würden vollkommen ausreichen. Die Arbeitgeberverbände halten andere Untersuchungen dagegen. „Studien belegen, dass die Beteiligung am Erwerbsleben mit einer besseren psychischen Gesundheit einhergeht“, sagte ein BDA-Sprecher. Jeder Ansatz, der allein auf das betriebliche Umfeld beschränkt ist, greife zu kurz. „Die Ursachen psychischer Erkrankungen liegen meist außerhalb des beruflichen Umfelds.“ (BDA-Presseerklärung, Juli 2012)

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Die Haltung der großen Koalition

Die Bundesregierung schließt darüber hinaus auch verbindliche Regelungen in Form einer Verordnung gegen arbeitsbedingte psychische Erkrankungen nicht aus. Eine Entscheidung über die Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur psychischen Gesundheit bei der Arbeit kann allerdings erst im Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. (BMAS 12. 3. 2014 – BT-Drucksache 315/13)

„Ich stehe einer ‚Anti-Stress-Verordnung‘ sehr kritisch gegenüber. Ich glaube, die Arbeitgeber müssen nicht mit weiteren Regulierungen rechnen.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel, 21. 9. 2014

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5. Den Stress managen – die Diskussion in der EU

EU-Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2007-2012: Kritik des EGB: Dies war die schwächste jemals vorgelegte EU-Strategie zum Thema. Viel Beschreibung, wenig konkrete Anforderungen und Zielstellungen. Adressat sind vorwiegend die Mitgliedsstaaten, weniger die europäischen Einrichtungen.

Strategischer Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2014-2010: Geltende Rechtsvorschriften sollen in den Mitgliedsstaaten besser umgesetzt werden, v.a. bei KMU. Arbeitsbedingten Erkrankungen soll präventiv besser begegnet werden. Alterung der Erwerbsbevölkerung soll berücksichtigt werden.

Adressat sind wiederum die Mitgliedsstaaten. Kaum eigene Ziele. Z.B. keine einheitliche Richtlinie zu allen Aspekten der Muskel-Skelett-Erkrankungen.

Ziel der Vereinfachung von Rechtsvorschriften kann auch zur Deregulierung genutzt werden (Bürokratieabbau, Stoiber-Kommission usw.)

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Arbeitsbedingter Stress – Kampagne der EU-OSHA

Sehr positiv einzuschätzen Die Kampagne wurde im Verwaltungsrat der Agentur gegen den Widerstand der

Arbeitgeber beschlossen. OSHA fordert die privaten und öffentlichen Unternehmen ausdrücklich auf, die

Notwendig der Stressprävention und Stressreduzierung am Arbeitsplatz anzuerkennen.

Arbeitsstress muss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bekämpft werden.

Mit der Kampagne soll gezeigt werden: Mit psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz muss und kann genau so umgegangen werden wie mit anderen arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken.

Die Kampagne will sensibilisieren, informieren, die betrieblichen Akteure unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben.

Zwar argumentiert die Agentur nicht direkt so, aber die Kampagne kann auch als Argument für bessere verbindliche Arbeitsschutzregelungen zu Stress am Arbeitsplatz genutzt werden. Das ist z.B. Anliegen der Gewerkschaften in Deutschland.

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Motive für das Management aus deutschen Betrieben im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit – in %, Mehrfachnennungen Quelle: ESENER 2009

Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen

Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter

Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht

Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation

Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität

Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

90

80

77

64

62

59

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Gründe für das Management, sich im Betrieb mit psychosozialen Risiken zu befassen (in %)

Quelle: Europäischer Survey ESENER 2009

Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen

Forderungen der Beschäftigten oder ihrer Vertreter

Druck von der Arbeitsinspektion/Arbeitsschutzaufsicht

Forderungen von Kunden/Sorge um den Ruf der Organisation

Abnehmende Produktivität/Einbußen in der Qualität

Mitarbeiterbindung und Fehlzeitenmanagement

0 10 20 30 40 50 60

55

48

20

19

18

16

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EU-Sozialpartner-Vereinbarung Stress am Arbeitsplatz2004, Evaluierungsbericht der EU-Kommission 2011

Arbeitsbedingter Stress hat in den letzten 10 Jahren in der EU zugenommen.

50-60% aller Ausfalltage stehen damit in Verbindung. Wichtigste Stressfaktoren: hohe Arbeitsanforderungen, mangelnder

Handlungsspielraum, Konflikte in den sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz, emotionale Anforderungen, Unsicherheit des Arbeitsplatzes.

Die Sozialpartnervereinbarung sollte dazu beitragen, dass in den Mitgliedsstaaten geeignete Rechtsvorschriften, Tarifvereinbarungen u.a. Regelungen gegen Arbeitsstress entwickelt werden.

In 19 Mitgliedstaaten ist das geschehen. Deutschland ist in dieser Hinsicht Schlusslicht (mit Bulgarien, Tschechien und Estland).

Die insgesamt durchwachsenen Erfahrungen mit der Sozialpartnervereinbarung zeigen: Regelungen zwischen den Sozialpartnern sind wichtig und richtig, ersetzen aber keine verbindlichen staatlichen Rechtsvorschriften.

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„Politik bedeutet einstarkes langsames Bohren

von harten Brettern mitLeidenschaft und

Augenmaß zugleich.“

(Max Weber, Politik als Beruf. Vortrag 1919)