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Wittgenstein-Studien Internationales Jahrbuch für Wittgenstein-Forschung herausgegeben im Auſtrag der Internationalen Ludwig Wittgenstein Gesellschaſt e.V. (ILWG) von Wilhelm Lütterfelds, Stefan Majetschak, Richard Raatzsch und Wilhelm Vossenkuhl Band 6/2015 DE GRUYTER

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Wittgenstein-Studien

Internationales Jahrbuch für Wittgenstein-Forschung

herausgegeben im Auft rag der Internationalen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. (ILWG)

von Wilhelm Lütterfelds, Stefan Majetschak, Richard Raatzsch und Wilhelm Vossenkuhl

Band 6/2015

DE GRUYTER

Wissenschaftlicher BeiratJames Conant, Donatella Di Cesare, Peter Hacker, Danièle Moyal-Sharrock, Felix Mühlhölzer, Katalin Neumer, Christoph Nyíri, Alois Pichler, Klaus Puhl, Thomas Rentsch, Andreas Roser, Josef G. F. Rothhaupt, Joachim Schulte, Pirmin Stekeler-Weithofer

RedaktionProf. Dr. Stefan MajetschakUniversität KasselMenzelstraße 13–15D-34121 [email protected]

Redaktion BuchbesprechungenDr. Mathias IvenMoritz-Schlick-ForschungsstelleInstitut für PhilosophieUniversität RostockD-18051 [email protected]

ISSN 1868-7431 (print) ISSN 1868-7458 (online)

Library of Congress Cataloging-in-Publication DataA CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/BostonDruck und Bindung: CPI books GmbH, Leck♾ Gedruckt auf säurefreiem PapierPrinted in Germany

www.degruyter.com

Inhalt / Table of Contents

Andrew Norris, Santa BarbaraDoubt in Wittgenstein’s “Remarks on Frazer’s Golden Bough” 1

Hans Julius Schneider, PotsdamWas ist das Spielerische am Sprachspiel? 19

Katrin Eggers, Basel„Diese musikalische Phrase ist für mich eine Gebärde. Sie schleicht sich inmein Leben ein.“

Musik als Geste und musikalische Gesten bei Wittgenstein 39

Susan Edwards-McKie, CambridgeThe Cosmic Fragment: Härte des Logischen Zwangs und Unendliche Möglichkeit

Nachlass discoveries and Wittgenstein’s conception of generality and theinfinite 51

Mathias Iven, RostockEr „ist eine Künstlernatur von hinreissender Genialität“

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick sowieausgewählte Briefe von und an Friedrich Waismann, Rudolf Carnap, Frank P.Ramsey, Ludwig Hänsel und Margaret Stonborough 83

Fynn Ole Engler, Berlin / Rostock„Allerdings ist die Lektüre äusserst schwierig.“

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 175

Christian Erbacher, BergenEditionspraxis, Philosophie und Zivilisationskritik: Die Geschichte vonWittgensteins Vermischten Bemerkungen 211

Jiang Yi, Beijing, and Zhang Xue-guang, Xi’anPhilosophical Studies on Wittgenstein in China 237

Mark Addis, Birmingham, Steen Brock, Aarhus, and Alois Pichler, BergenContributions to a Conceptual Ontology for Wittgenstein 257

„Das Buch ist voller Leben …“Neuere Wittgenstein-Literatur 277

Die Autorinnen und Autoren des Bandes / Authors of this Volume 297

VIII Inhalt / Table of Contents

Mathias Iven, Rostock

Er „ist eine Künstlernatur von hinreissenderGenialität“¹

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und MoritzSchlick sowie ausgewählte Briefe von und an FriedrichWaismann, Rudolf Carnap, Frank P. Ramsey, Ludwig Hänselund Margaret Stonborough

Abstract: The correspondence between Ludwig Wittgenstein and Moritz Schlickpresented in this publication is part of the complete correspondence of Schlickwhich is intended for publication in the context of the Moritz Schlick Gesamt-ausgabe (Collected Papers of Moritz Schlick). As explained and illustrated in thefollowing essay, the present publication not only reproduced the complete knownand comprehensively commented correspondence between Wittgenstein andSchlick, but complements it with letters from and to Friedrich Waismann andRudolf Carnap. Only this context enables a broader understanding of the topicsand facts addressed in the letters, some of which have be re-dated.

Die überlieferte und bis dato erschlossene wissenschaftliche Korrespondenz vonMoritz Schlick umfasst cirka 1.700 Stücke. Dabei handelt es sich nur bei einemguten Drittel um Briefe von Schlick, der weitaus größere Teil versammelt an ihngerichtete Schreiben von mehr als 200 Absendern.

Zu den umfangreichsten Beständen zählen die Schriftwechsel mit RudolfCarnap (rund 170 Stücke) und Hans Reichenbach (rund 100 Stücke). In einerzweiten Gruppe finden sich Korrespondenzenmit einemUmfang zwischen 30 und50 Briefen, hierzu gehören unter anderem die Briefwechsel mit Albert Einstein,Max von Laue, Heinrich Scholz, Herbert Feigl und Hans Vaihinger. Die gleichfallsin diese Gruppe gehörende Wittgenstein-Schlick-Korrespondenz zählt inhaltlichdabei sicherlich zu den bedeutendsten Dokumenten.

Zwischen Ende 1924 und Sommer 1935 tauschten Wittgenstein und Schlick inwahrscheinlich mehr als vier Dutzend Schreiben, von denen bisher 36 aufge-funden wurden, ihre Gedanken aus. Hinzu kamen seit dem Februar 1927 zahl-reiche persönliche Begegnungen, die meist in Wien und oftmals in Anwesenheitvon Friedrich Waismann stattfanden.

Vgl. Moritz Schlick an Albert Einstein, 14. Juli 1927 (Nr. 8).

All das sind bekannte biographische Tatsachen, die hier nicht näher ausge-breitet werden müssen – wichtiger sind die Inhalte der Briefe und Gespräche, dieBezüge auf die Werke des jeweils anderen, das Geben und Nehmen, sprich: diegeistigen Wahlverwandtschaften zweier für die Geschichte der Philosophie des 20.Jahrhunderts wichtiger Persönlichkeiten, wie sie in dem dieser Dokumentationfolgenden Beitrag rekonstruiert werden.

Die Idee zuder nunmehr vorliegendenVeröffentlichung reicht bis in das Jahr 1995und damit in die Entstehungszeit der Dissertation² des Herausgebers zurück. Durchvielerlei Umstände kamdas Projekt zumdamaligen Zeitpunkt jedochnicht zustande.³

Erst im Rahmen der seit dem Jahre 2002 laufenden Arbeiten an der Moritz SchlickGesamtausgabe (MSGA) gab es erneut Überlegungen für ein derartiges Vorhaben.Doch nun stellte sich nicht mehr die Frage, allein den Briefwechsel zwischen Witt-genstein und Schlick zu publizieren, sondern die gesamte, im Nachlass von MoritzSchlick überlieferte Korrespondenz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Parallel zu diesen Bemühungen wurde seit 1996 am Innsbrucker Brenner-Archiv an der Erstellung des Gesamtbriefwechsels von Ludwig Wittgenstein inmaschinenlesbarer Form gearbeitet. Das Ergebnis dieses vom österreichischenFonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Pro-jektes lag schließlich 2004 vor.⁴ In der daran anschließenden Zeit konnten demfast 2.300 Stücke umfassenden Textkorpus weitere Briefe hinzugefügt werden, sodass 2011 eine zweite erweiterte Ausgabe online gehen konnte.⁵

Neben der Arbeit an der elektronischen Briefausgabe – zumal diese nicht fürjeden Interessenten frei zugänglich ist – wurde aber auch die herkömmlichePublikationsweise nicht aus den Augen verloren. Schon frühere Projekte desBrenner-Archivs hatten die Veröffentlichung einzelner, sehr umfangreich kom-mentierter und meist mit zusätzlichen Materialien angereicherter Wittgenstein-Korrespondenzen in Buchform zum Gegenstand: 1989 erschienen Gottlob FregesBriefe an Wittgenstein,⁶ gefolgt von dem Band Ludwig Hänsel – Ludwig Witt-genstein. Eine Freundschaft (1994).⁷ Im Jahre 2000 wurde Wittgensteins Brief-wechsel mit Rudolf Koder⁸ veröffentlicht und schließlich kam es 2006 zu einerNeuausgabe der Korrespondenz mit Paul Engelmann.⁹

Iven 2002. Zwischenzeitlich wurde der Briefwechsel Wittgenstein – Rand veröffentlicht (Iven 2004). Wittgenstein 2004. Wittgenstein 2011. Janik 1989. Vgl. dazu auch die Neuausgabe in Pellegrin 2011. CLH 1994. Wittgenstein und die Musik 2000. CPE 2006.

84 Mathias Iven

Die hier vorgelegte, auf den Ergebnissen der Innsbrucker Forschungsgruppeaufbauende Separatausgabe ist – wie oben angedeutet – eine weitere Vorweg-nahme¹⁰ der in den nächsten Jahren als Teil derMoritz Schlick Gesamtausgabe zuerwartenden Veröffentlichung von Schlicks gesamten Schriftverkehr. Seit 2011 istdas unter dem Titel „Moritz Schlick Gesamtausgabe. Nachlass und Korrespon-denz“ an der Moritz-Schlick-Forschungsstelle der Universität Rostock angesiedelteProjekt ein von der Bundesrepublik Deutschland gefördertes Langzeitvorhabender Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Im Rahmen einer vier Abteilungenumfassenden, auf 30 Bände angelegten Edition soll Schlicks Korrespondenz in 4Bänden chronologisch geordnet und umfangreich kommentiert vorgelegt werden.

Entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung des anschließenden Aufsatzeswird nachfolgend nicht nur der bisher bekannte Briefwechsel zwischen Witt-genstein und Schlick vollständig wiedergegeben, ergänzt wird das Ganze unteranderem durch Briefe von und an Friedrich Waismann¹¹ bzw. Rudolf Carnap. Erstdiese Art von Kontextualisierung ermöglicht ein weitergehendes Verständnis, derin den Briefen angesprochenen Themen und Sachverhalte.

Ausgehend von der elektronischen Ausgabe des Brenner-Archivs wurde au-ßerdem die Entzifferung bzw. Datierung aller Briefe noch einmal überprüft –entsprechende Kommentare dazu finden sich in den Anmerkungen. Undschließlich haben die aktuellsten Forschungsergebnisse zu Schlicks Leben undWerk Eingang in die umfangreich erweiterte Kommentierung gefunden.

Der Dank für die bereitwillige und zuvorkommende Unterstützung bei der Vor-bereitung dieser Publikation geht an Joachim Schulte, Jonathan Smith, MarkRooks, Michael Nedo, Anton Unterkircher, Brigitta Arden und Brigitte Parake-nings.

Die Zustimmung für die Veröffentlichung der Briefe wurde erteilt von:· The Master and Fellows of Trinity College Cambridge· Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Universität Innsbruck· InteLex Corporation, Charlottesville/VA· Rudolf Carnap Collection: Quoted by permission of the University of Pitts-

burgh – All rights reserved.

Siehe dazu bspw. die Veröffentlichung der Briefwechsel mit Wolfgang Köhler und OttoNeurath (Engler/Henning/Böger 2010). Bis auf einen Brief wird hier die gesamte im Schlick-Nachlass vorhandene KorrespondenzWaismanns wiedergegeben. Bei dem aus thematischen Gründen nicht berücksichtigten Stück handeltes sich um einen von Schlick an Waismann gerichteten Brief vom 25. Februar 1934, der die zu diesemZeitpunkt laufende Auseinandersetzung mit Wilhelm Brandenstein (1898–1967) zum Inhalt hat (vgl.auch Moritz Schlick an Wilhelm Brandenstein, 16. November bzw. 5. Dezember 1933).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 85

Zur Textgestalt

Bei der Wiedergabe der Briefe wurde versucht, die „optische“ Form möglichstweitgehend zu wahren. Das heißt, Gruß- und Schlussformeln, Datumsangaben(davon ausgenommen sind die vereinheitlichten Poststempelangaben), An-schriften, Absenderangaben etc. werden von der Anordnung her so wiedergege-ben, wie es dem äußeren Bild der Originale entspricht. Das schließt auch dieWiedergabe aller Korrekturen bzw. die Kennzeichnung von Einfügungen oderStreichungen ein, ausgewiesen durch die untenstehenden Zeichen.

Nicht gesondert gekennzeichnet sind von den heutigen Regeln abweichendeSchreibungen bzw. Verschreibungen oder Schreibeigenheiten (bspw. bei Schlick„Ramsay“ für „Ramsey“ oder Wittgensteins durchgängige Schreibweise „Waiß-mann“ anstelle von „Waismann“) sowie offensichtliche Sofortkorrekturen.

Die neben der durchgehenden Zählung der Stücke im Briefkopf angeführtenInventarnummern verweisen auf den Standort der einzelnen Schreiben: Be-zeichnungen in der Form „122/Wai- …“ bzw. „123/Wittg- …“ oder „574/X.19“ be-ziehen sich auf den im Noord-Hollands Archief in Haarlem/NL aufbewahrtenSchlick-Nachlass bzw. das dortige Wiener-Kreis-Archiv, mit der Sigle „ASP RC“versehene Schreiben stammen aus dem Nachlass von Carnap, einzusehen in denArchives of Scientific Philosophy der University of Pittsburgh, nicht näher be-zeichnete Briefe wurden vom Brenner-Archiv zur Verfügung gestellt. Anmerkun-gen zu weiterführenden Schriftstücken verweisen,wenn nicht anders angegeben,auf die im Schlick-Nachlass überlieferten Korrespondenzen.

Auf umfangreichere Querverweise zwischen den hier wiedergegebenenBriefen wurde verzichtet,¹² da sich Erklärungen durch die fortlaufende Lektürezum großen Teil von selbst ergeben.

Verwendete Zeichen und Abkürzungen¹³

| Seitenumbruch/ Abschnittsumbruch\…/ Einschub bzw. im Zusammenhang mit einer Streichung gemachte Ersetzung[…] Einfügungen bzw. Korrekturen des Herausgebers[…]? Unsichere Lesart[…]? […]? Unsichere, einmal bzw. mehrmals gestrichene Lesart[?] Unleserliches Wort bzw. Wortanfang

Verweise erfolgen lediglich unter Angabe der Nummer des betreffenden Briefes. Die mit einem * versehenen Abkürzungen (allg. bekannte und gebräuchliche Formen werdenhier nicht aufgeführt) wurden ausschließlich von Wittgenstein bzw. Schlick verwendet.

86 Mathias Iven

[?] [?] Einmal bzw. mehrmals gestrichenes unleserliches Wort bzw. Wortanfang/…/ Alternative, wenn das ursprüngliche Wort nicht gestrichen wurdeAb AbschriftBl. BlattD DurchschlagH.* HerrHs HandschriftInv.-Nr. InventarnummerK KopieKb Gedruckter KopfbogenMSGA Moritz Schlick GesamtausgabeN. Ö. Niederösterreicho. O. ohne OrtsangabeS. Seite(n)SS SommersemesterTs TyposkriptWS Wintersemester

Übersicht zu den Briefen

. Schlick an Wittgenstein [Wien], . . . Wittgenstein an Schlick Otterthal, . . . Schlick an Wittgenstein [Wien], . . . Schlick an Hänsel [Wien], . . . Waismann an Schlick Wien, . . . Schlick an Wittgenstein Wien, . . []. Stonborough an Schlick [Wien], . . . Schlick an Einstein Wien, . . . Ramsey an Schlick Cambridge, . . . Schlick an Wittgenstein Millstatt, . . . Schlick an Wittgenstein Wien, . . . Wittgenstein an Schlick Wien, . . []. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Schlick an Wittgenstein [Wien], . . []. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Waismann an Wittgenstein o. O., . . . Wittgenstein an Waismann [Cambridge, vor dem . . . Wittgenstein an Schlick [Hohenberg/N. Ö., . . ]. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Schlick an Wittgenstein Wien, . . []. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Waismann an Wittgenstein mit Zusatz von Schlick Wien, . . . Waismann an Schlick Mitterndorf, . . . Wittgenstein an Schlick [St. Aegyd, August ]

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 87

. Waismann an Schlick Wien, . . . Waismann an Schlick Königsberg, . . . Wittgenstein an Schlick [St. Pölten], . . []. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Schlick an Wittgenstein [Wien], . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Wittgenstein an Schlick [Wien, . . ]. Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . . Schlick an Waismann [Berkeley], . . . Schlick an Wittgenstein [Berkeley], . . []. Wittgenstein an Schlick Cambridge, . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge], . . . Waismann an Schlick Wien, . . . Waismann an Schlick [Wien, . . ]. Wittgenstein an Carnap Cambridge, . . . Carnap (Rundbrief) Prag, . . . Wittgenstein an Schlick Cambridge, . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge], . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . . Schlick an Carnap [Wien], . . . Carnap an Schlick [Prag], . . . Wittgenstein an Schlick Hochreit [Hohenberg/N. Ö.], . . . Schlick an Wittgenstein Millstatt, . . []. Wittgenstein an Carnap Hochreit [Hohenberg/N. Ö.], . . . Wittgenstein an Schlick Gmunden, . . . Schlick an Carnap Millstatt, . . . Schlick an Waismann Millstatt, . . . Carnap an Schlick Prag, . . . Carnap an Wittgenstein [Prag], . . . Carnap an Schlick Prag, . . . Wittgenstein an Schlick [Hohenberg/N. Ö., . . ]. Waismann an Schlick [Neuberg a. d. Mürz], . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge, . . ]. Waismann an Schlick Wien, . . . Waismann an Schlick Steinach a. Brenner, . . . Waismann an Schlick Wien, . . . Wittgenstein an Schlick Cambridge, . . . Wittgenstein an Schlick [Cambridge, Ende ]. Wittgenstein an Waismann Cambridge, . . . Waismann an Wittgenstein Wien, . . . Wittgenstein an Waismann [Cambridge, Juli ]

88 Mathias Iven

1 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Ts/K (Unterschrift Hs), 2 S., 123/Wittg-20]

Prof. Dr. M. SchlickWien IV [Wien] 25. 12. 24.

Prinz-Eugen-Str. 68

Sehr geehrter Herr Kollege,als Bewunderer Ihres tractatus logico-philosophicus hatte ich schon lange die

Absicht, mit Ihnen in Verbindung zu treten. Die Last meiner Amts- und sonstigenVerpflichtungen ist schuld daran, daß die Ausführung meiner Absicht immerwieder zurückgeschoben wurde, obgleich seit meiner Berufung nach Wien bereitsfast fünf Semester verflossen sind.¹ Im Philosophischen Institut pflege ich jedesWintersemester regelmäßig Zusammenkünfte von Kollegen und begabten Stu-denten abzuhalten, die sich für die Grundlagen der Logik und Mathematik in-teressieren, und in diesem Kreise ist Ihr Name oft erwähnt worden, besonders seitmein Kollege der Mathematiker Prof. Reidemeister über Ihre Arbeit einen refe-rierenden Vortrag hielt,² der auf uns alle großen Eindruck machte. Es existiert hieralso eine Reihe von Leuten– ich selbst rechnemich dazu–, die von derWichtigkeitund Richtigkeit Ihrer Grundgedanken überzeugt sind, und wir haben den leb-haften Wunsch, an der Verbreitung Ihrer Ansichten mitzuwirken. Dazu ist vorallem erforderlich, daß die Beschaffung von Exemplaren Ihrer Abhandlung leichtermöglicht werde. Uns stand bisher nur ein einziges, der Universitätsbibliothekgehörendes Exemplar zur Verfügung. Besitzen Sie vielleicht noch Sonderdruckeder Arbeit aus den Annalen der Naturphilosophie?³ Bejahendenfalls wären wir

Auf Grund der am 31. August 1922 vom österreichischen Bundespräsidenten Michael Hainisch(1858– 1940) vorgenommenen Ernennung wurde Schlick mit Wirkung vom 1. Oktober 1922 alsordentlicher Professor der Philosophie an die Universität Wien berufen. Der Mathematiker Kurt Reidemeister (1893– 1971) hatte 1922 einen Ruf auf eine außerordent-liche Professur an der Universität Wien angenommen. Über seinen Kollegen, den seit 1921 an derUniversität lehrenden Mathematiker Hans Hahn (1879– 1934), kam er mit den Ideen des späterso genannten Wiener Kreises in Berührung. Bereits 1925 wechselte Reidemeister nach Königs-berg, wo er bis 1933 lehrte. – Wann der hier angesprochene Vortrag konkret gehalten wurde, ließsich bis dato nicht ermitteln. Folgt man Reidemeisters Angaben (Stadler 1997: 267), so veran-staltete Schlick in den WS 1923/24 und 1924/25 ein wöchentlich stattfindendes Kolloquium zuWittgensteins TLP, in dessen Rahmen dieser Vortrag wahrscheinlich stattgefunden hat (vgl. auchHayeks dementsprechende Bemerkung in seiner unvollendeten Wittgenstein-Biographie, Wie-ner-Kreis-Archiv, Inv.-Nr. 577/X. 24, Bl. 40). Siehe auch Nr. 6, Anm. 19. TLP 1921. Die Erstveröffentlichung der Logisch-philosophischen Abhandlung erfolgte im letztenBand der 1901 von Wilhelm Ostwald (1853–1932) gegründeten Annalen der Naturphilosophie

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 89

Ihnen zu herzlichem Danke verpflichtet, wenn Sie wenigstens Herrn KollegenReidemeister und mir selbst ein Exem|plar überlassen könnten. Außerdemmöchten wir Sie bitten, uns den bequemsten Weg zur Beschaffun[g] von weiterenExemplaren anzugeben. Wäre es vielleicht durch Ihre Vermittlung möglich, dieenglisch-deutsche Ausgabe⁴ zu einem ermäßigten Preise zu beziehen? (Nebenbeibemerkt hatte ich im Sommer die Freude, Herrn Ramsay, den Übersetzer IhrerArbeit, bei seinem letzten Aufenthalt in Wien kennen zu lernen.)⁵ Für eine gütigeAuskunft wären wir Ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Ich spreche dabei, wiegesagt, besonders auch im Namen von Prof. Reidemeister, aber auch einer Anzahlanderer Interessenten und Bewunderer. Eine besondere Freude würde es mir sein,Sie persönlich kennen zu lernen, und ich würde mir gestatten, Sie gelegentlicheinmal in Puchberg⁶ aufzusuchen, es sei denn, daß Siemichwissen lassen sollten,daß Ihnen eine Störung Ihrer ländlichen Ruhe nicht erwünscht ist.

Ich sehe Ihrer freundlichen Antwort entgegen und bleibe mit dem Ausdruckganz besonderer Wertschätzung Ihr sehr ergebener

M. Schlick.

(XIV. Jg., Heft 3/4, Leipzig:Verlag Unesma G.m.b.H. 1921, 185–262; die deutsche Übersetzung desVorwortes von Russell ebd.: 186–198). TLP 1922. Die erste zweisprachige Ausgabe erschien in der von Charles Kay Ogden (1889–1957) herausgegebenen International Library of Psychology, Philosophy and Scientific Method(London: Verlag Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., Ltd. 1922) (vgl. zur Editionsgeschichte TLP1989: VII–XXVI). – Ogden stellte seiner Ausgabe folgende Bemerkung voran: “In rendering MrWittgenstein’s Tractatus Logico-Philosophicus available for English readers, the somewhatunusual course has been adopted of printing the original side by side with the translation. Sucha method of presentation seemed desirable both on account of the obvious difficulties raised bythe vocabulary and in view of the peculiar literary character of the whole. As a result, a certainlatitude has been possible in passages to which objection might otherwise be taken as over-literal. / The proofs of the translation and the version of the original which appeared in the finalnumber of Ostwald’s Annalen der Naturphilosophie (1921) have been very carefully revised by theauthor himself; and the Editor further desires to express his indebtedness to Mr F. P. Ramsey, ofTrinity College, Cambridge, for assistance both with the translation and in the preparation of thebook for the press.ˮ Frank Plumpton Ramsey (1903– 1930) hatte als Student des Trinity College Wittgenstein imSeptember 1923 für ca. zwei Wochen in Puchberg besucht und mit ihm an der Neu-Übersetzungdes TLP gearbeitet (vgl. TLP 1933; siehe auch CCO 1973); im Oktober desselben Jahres veröf-fentlichte er außerdem eine Rezension des TLP (Ramsey 1923). Von März bis Oktober 1924 weilteRamsey erneut in Österreich. Es kam nicht nur zu einer Begegnung mit Schlick, Ramsey be-suchte auch Wittgenstein mehrere Male in Puchberg bzw. in Otterthal. Wittgenstein hatte bereits im September 1924 seine Tätigkeit an der Volksschule in Otterthalaufgenommen.

90 Mathias Iven

2 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 2 S. bzw. Ts/Ab, 1 S., 123/Wittg-1]

Otterthal, 7. 1. 25.Sehr geehrter Herr Professor!Gestern, bei meiner Rückkunft vom Weihnachtsurlaub, fand ich Ihre gütigenZeilen vor, die mir von Puchberg hierher nachgeschickt worden waren. Für diefreundliche Gesinnung, die Sie darin meiner Arbeit und mir selbst aussprechen,sage ich Ihnen meinen besten Dank. – Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß ich\selbst/ kein Exemplar der Abhandlung besitze, weder in der Ausgabe der An-nalen, noch in der englisch-deutschen. Die Exemplare, die ich hatte, mußte ichFreunden und Bekannten geben undmir eines zu kaufen, dazu fehlte mir das Geld(und die Lust). Ein Exemplar in der Ostwaldschen – leider sehr fehlerhaften –Ausgabe glaube ich aber Ihnen verschaffen zu können, da einer meiner Be-kannten⁷ –meines Wissens – zwei Stück besitzt und mir das eine wohl überlassenwird. Einen bequemen Weg das Buch zu bekommen, kenne ich nicht. Das Bestewirdvielleicht sein, an denVerlag (Trench,Trubner &Co London) zu schreiben. Ichkann aber auch, wenn Sie es wünschen, mich an Herrn Ramsey wenden; der mirgewiß den Gefallen täte, einige Exemplare zu besorgen, wenn ihm das Geld ge-schickt würde. Daß esmirmöglich ist, Ihnen das Buch zu einem ermäßigten Preisezu verschaffen, | glaube ich nicht. (Und ich muß offen gestehen, daß ich nur mitWiderstreben etwas für die Verbreitung des Druckes täte, da ich glaube, daß essich seinen Weg selbst machen muß.). – Sie, sehr geehrter Herr Professor, kennenlernen zu dürfen, wäre mir ein großes Vergnügen; und wenn Sie mich einmalbesuchen wollten, würde ich mich sehr freuen! Meine Adresse ist: Otterthal, PostKirchberg am Wechsel, Nieder-Österreich.

Wegen des oben erwähnten Exemplares der Abhandlung werde ich michgleich erkundigen und sollte ich es bekommen können, sowerde ichmir erlauben,es Ihnen zu schicken. Bitte lassen Siemichwissen, ob Sie wünschen, daß ichmichan Herrn Ramsey \um weitere Exemplare/ wende.

Mit vorzüglicher Hochachtung bin ichIhr sehr ergebener

Ludwig Wittgenstein

Bei diesem Bekannten handelte es sich um Wittgensteins Freund Ludwig Hänsel (1886– 1959).In der Antwort auf Wittgensteins Bitte schrieb Hänsel am 10. Januar 1925 (CLH 1994: 92): „DasHeft der Ostwaldschen Annalen mit Deinem Werk werde ich (nicht ganz gern) am Donnerstag,wenn er zum Abend der philos. Gesellschaft kommt, dem Prof. Schlick übergeben, sonst werdeich dort wenigstens seine Adresse erfahren.“ – Siehe dazu auch Nr. 4.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 91

3 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Postkarte, Hs]

[Absender]⁸SchlickWien IVPrinz Eugen Str. 68

[Anschrift][An]⁹ HerrnDr. Ludwig Wittgenstein[in]¹⁰ OtterthalPost Kirchberg am WechselN. Ö.

[Poststempel: Wien] 14. I. 25.Sehr geehrter Herr Kollege,für Ihren freundlichen Brief herzlichen Dank. Ich bitte Sie, sich wegen Beschaf-fung von Exemplaren Ihrer Schrift gar nicht bemühen zuwollen,weder direkt nochdurch Herrn Ramsay. Ichwerdemir bestimmt ohne großeMühe durch Buchhandelund Verlag Exemplare der englischen Ausgabe verschaffen können und tue sofortdie nötigen Schritte.Wie Herr Ramsay mir sagte, findet das Buch in England ganzguten Absatz. Sobald die nächste Gelegenheit sich bietet,werde ichmir die Freudemachen, Sie aufzusuchen. Dass ich mich auch sehr über Ihren Besuch freuenwürde, wenn Ihr Weg Sie einmal nach Wien führt, versteht sich von selbst.Einstweilen bin ich mit bestem Dank und Gruß Ihr ergebenster

M. Schlick.

Absender mit dem Stempel der aufgebenden Behörde: „Philosophisches Institut der Univer-sität Wien“. Als Vordruck auf der Vorderseite der Karte. Dito.

92 Mathias Iven

4 Moritz Schlick an Ludwig Hänsel[Postkarte, Hs]

[Absender]¹¹

M. SchlickIV, Prinz Eugen Str. 68.

[Anschrift][An]¹² HerrnDr. L. Hänsel[in] Wien VKriehubergasse 25/13

[Poststempel: Wien] 25. I. 25.Sehr geehrter Herr Dr,für die freundliche Übersendung der Wittgensteinschen Abhandlung in den An-nalen der Naturphilosophie sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank. Ichhoffe, dass Sie das Exemplar entbehren können¹³ und bleibe mit vorzüglicherHochachtung Ihr sehr ergebener

M. Schlick.

5 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Brief, Hs, 2 S. bzw. Ts/Ab, 2 S., 122/Wai-1]

Wien, 20. 9. 1925.Verehrter Herr Professor,

ich danke Ihnen herzlichst für Ihre liebe Karte aus Müritz¹⁴ und die ganze sofreundliche Anteilnahme an meiner Person! Wie ich sehe, soll die „wissen-schaftliche Weltauffassung“¹⁵womöglich noch in diesem Jahre ans Licht der Welt

Absender mit dem Stempel der aufgebenden Behörde: „Philosophisches Institut der Uni-versität Wien“. Als Vordruck wie bei Nr. 3. Vgl. dazu Ludwig Hänsel an Ludwig Wittgenstein, 10. Januar 1925 (Nr. 2, Anm. 7). Nicht überliefert. Gemeint sind die von Schlick gemeinsam mit Philipp Frank (1884–1966) herausgegebenenund zwischen 1928 und 1937 im Wiener Springer-Verlag erschienenen Schriften zur wissen-schaftlichen Weltauffassung. Der Plan für diese Reihe existierte bereits 1923, initiiert wurde dasGanze offenbar von Heinrich Löwy (geb. 1884) (vgl. Verlag Julius Springer an Moritz Schlick,27. Dezember 1923 bzw. Philipp Frank an Moritz Schlick, 15. Mai 1931).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 93

treten.Was ich dazu beitragen kann,wird hoffentlich geschehen. Der Gedanke anmeine Arbeit hat mich in den Ferien nicht eine Stunde verlassen und mich, einstiller Mahner, auf den schönsten Touren begleitet. Die Arbeit selbst ist nunziemlich weit gediehen,¹⁶ und ich hoffe, sie bei angespanntem Fleiss in höchstenszwei Monaten zu Ende zu führen. Würde es wohl genügen, wenn ich mich ver-pflichte, das Manuskript im Laufe des Monats November abzuliefern? Ich werdealles tun, um den Termin einzuhalten.

Was nun den Titel des Ganzen betrifft, so gestehe ich, dass ich mir allerdingseine bestimmte Überschrift zurechtgelegt habe, nämlich „Raumproblem undPhänomenologie“,¹⁷ und ich freue mich jetzt umsomehr, damit einem ganzähnlichen Gedanken, wie dem von in Ihrem Vorschlag ausgesprochenen, gefolgtzu sein.Was vielleicht ein wenig zugunsten meiner Fassung spricht, ist dies, dasssie den eigentlichen Kernpunkt des Ganzen deutlicher hervorhebt als die | Über-schrift „Mathematik und Phänomenologie“, die vielleicht zu hoch gespannteErwartungen erwecken könnte; denn tatsächlich kommt es nur auf den Raum an.Doch ist das natürlich nur ein Vorschlag, den ich Ihrer geneigten Prüfung emp-fehle.

Ich möchte dieses Schreiben nicht schliessen, ohne Ihnen, verehrter HerrProfessor, in aller Ehrerbietung die Versicherung zu geben, wie sehr ich dasVertrauen, dass Sie in mich setzen, zu schätzen weiss, wie sehr es mich erfreut,ehrt und anspornt, es nicht zu enttäuschen.

Ihr ergebenerFriedrich Waismann

Obwohl das Buch mehrfach als Band 1 der Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassungangekündigt wurde (siehe dazu bspw. auch Nr. 38, Anm. 123), erfolgte eine Veröffentlichung erstposthum (WLP 1965/1976). Vgl. dazu Moritz Schlick an Hans Reichenbach, 5. August 1925 bzw. ders. an Bertrand Rus-sell, 6. Oktober 1925, wo es heißt: “[…] one of my pupils, F. Waismann, has written an essay onRaumproblem und Phänomenologie (containing a criticism of Husserl’s philosophy) […]”.

94 Mathias Iven

6 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Postkarte, Hs]

[Absender]Schlick, IV, Prinz Eugen Str. 68

[Anschrift]HerrnDr. Ludwig Wittgensteinbei Herrn Dr. L. HänselKriehubergasse 25/13Wien V

Wien IV, 19. 6. [26]¹⁸.Sehr geehrter Herr Wittgenstein,die nächste Sitzung unseres philosophischen Cirkels¹⁹ findet am Donnerstag d.24. Juni um 20h 15 statt, im Philosophischen Institut, IX, Boltzmanngasse 5. Wirbitten Sie herzlich um Ihre Teilnahme und würden uns alle sehr freuen, wenn Siekommen.²⁰

Ihr ganz ergebenerM. Schlick.

Schlick schreibt „23“, was – da man seinen Brief an Wittgenstein vom 25. Dezember 1924 alsBeginn der Korrespondenz ansehen muss – nicht stimmen kann, zumal der 24. Juni 1923 einSonntag war. Da auch der Poststempel keine eindeutige Datierung erlaubt, kommt am wahr-scheinlichsten das Jahr 1926 infrage (ansonsten fiel der 24. Juni erst wieder 1930 auf einenDonnerstag). Stadler charakterisiert die Jahre zwischen 1924 und 1929 als Phase der „Institutionalisierungdes Schlick-Zirkels“ (vgl. Stadler 1997: 229–251), Stöltzner und Uebel sehen diese Zeit eher als„Konstituierung des Kreises“ (Stöltzner/Uebel 2006: XXII). Carnap schreibt dazu in seiner Autobiographie (Carnap 1993: 39): „Im Wiener Kreis wurdeein Großteil von Wittgensteins Buch Tractatus Logico-Philosophicus laut vorgelesen und Satz fürSatz durchgesprochen. Oft waren langwierige Überlegungen nötig, um herauszufinden, wasgemeint war. Manchmal fanden wir keine eindeutige Erklärung. Aber wir verstanden immerhinein Gutteil des Buches und diskutierten lebhaft darüber.“ Dass es möglicherweise auch amAbend des 24. Juni 1926 um Wittgensteins Buch ging und man mit ihm darüber diskutierenwollte, ist naheliegend (vgl. dazu auch Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 3. Mai 1926).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 95

7 Margaret Stonborough an Moritz Schlick[Brief, Ts (Unterschrift Hs), 1 S., 118/Ston-1]

[Wien] 19. Februar 1927.Verehrter Herr Professor!

Ich bin gleich nach Erhalt Ihres Briefes²¹ mit dem für meinen Bruder be-stimmten Schreiben²² zu ihm geeilt. Ich wusste, dass er seit langer Zeit vorhatteIhnen zu schreiben, um Ihnen für die freundlich übersandte Schrift²³ zu dankenund, dass er vor lauter Arbeit und Hetzjagd und auch infolge einer heftigen Grippenicht dazu gekommenwar, seinen Vorsatz auszuführen. Er bittet mich nun, Ihnenmit seinen Grüßen und wärmsten Entschuldigungen zu sagen, dass er glaubt,noch immer nicht im Stande zu sein, sich neben seiner jetzigen, ihn ganz und garin Anspruch nehmenden Arbeit²⁴ auf die logischen Probleme conzentrieren zukönnen. Auf keinen Fall möchte er mit mehreren Personen conferieren. Mit Ihnen,Verehrter Herr Professor, allein diese Dinge zu besprechen hielte er für möglich.Dabei würde es sich, wie er meint, zeigen ob er momentan überhaupt fähig istIhnen in dieser Angelegenheit von Nutzen zu sein. Vielleicht machen Sie mirnächste Woche an irgend einem von Ihnen zu bestimmenden Tage (Samstagausgenommen) die Freude zu mir zum Mittagessen (1 1/4 Uhr) zu kommen. Ichwürde meinen Bruder dazu bitten und Sie beide könnten dann nach Tisch dieSache austragen.²⁵

Mit freundlichen GrüßenIhre sehr ergebeneMargaret Stonborough.

Nicht überliefert. Nicht überliefert. Hier ist ganz offensichtlich Schlicks 1926 in den Kant-Studien erschienener Aufsatz „Erleben,Erkennen, Metaphysik“ gemeint (MSGA I/6: 33–54). Wittgenstein hatte am 28. April 1926 um seine Entlassung aus dem Schuldienst gebeten. ImSpätsommer desselben Jahres begann er gemeinsam mit dem Architekten Paul Engelmann(1891–1965) mit den Arbeiten am Haus seiner Schwester Margaret Stonborough (1882– 1958) inder Wiener Kundmanngasse 19. Diese Arbeit beschäftigte ihn bis zum Herbst 1928. In seiner unvollendeten Wittgenstein-Biographie zitiert Friedrich A. Hayek (1899–1992)einen Brief von Blanche Schlick (1879– 1964), der sich u.a. mit dieser ersten Begegnung befasste(Wiener-Kreis-Archiv, Inv.-Nr. 577/X. 24, Bl. 40/41; auch WWK 1967: 14): „Die Einladung von FrauStonborough brachte große Freude und Erwartung mit sich und diesmal wurden M.’s Hoff-nungen nicht vereitelt. Wiederum konnte ich [wie bei der Gelegenheit des fehlgeschlagenenBesuchs in Otterthal] mit Interesse die ehrerbietige Haltung des Pilgers beobachten. Er kehrte ineinem hingerissenen Zustand zurück, sprach wenig und ich fühlte, daß ich keine Fragen stellendürfte.“ – Paul Engelmann, der sich daran erinnerte, dass zu diesem Treffen auch der Psy-chologe Karl Bühler (1879–1963) und dessen Frau Charlotte (1893– 1974) eingeladen waren, hielt

96 Mathias Iven

8 Moritz Schlick an Albert Einstein²⁶[Brief, Ts/Ab/K, 2 S., 098/Ein-47]

Wien IV, 14. Juli 1927Prinz-Eugen-Str. 68

Hochverehrter lieber Herr Professor,für Ihre freundlichen Zeilen und für die liebenswürdige Absicht, Fräulein

Rosenberg bei ihren palestinensischen Plänen zu unterstützen,²⁷ sage ich Ihnenmeinen allerherzlichsten Dank, im Namen meiner Schülerin und in meinem ei-genen. Frl. R. konnte Ihnen damals den beabsichtigten Besuch nicht machen, dasie Berlin plötzlich verlassen musste. Sie wird aber voraussichtlich im Herbstzurückkehren und sich dann mit Ihrer Erlaubnis in den Schutz Ihrer freundlichenEmpfehlungen begeben.

Ich weiss nicht, ob es Sie interessiert, aber ich möchte Ihnen doch gernemitteilen, dass ich jetzt mit der grössten Begeisterung bemüht bin, mich in dieGrundlagen der Logik²⁸ zu vertiefen. Die Anregung dazu verdanke ich haupt-sächlich dem Wiener Ludwig Wittgenstein, der einen (von Bertrand Russell eng-lisch und deutsch herausgegebenen) „Tractatus logico-philosophicus“ geschrie-ben hat, den ich für das tiefste und wahrste Buch der neueren Philosophieüberhaupt halte. Allerdings ist die Lektüre äusserst schwierig. Der Verfasser, dernicht die Absicht hat, je wieder etwas zu schreiben, ist eine Künstlernatur vonhinreissender Genialität, und die Diskussion mit ihm gehört zu den gewaltigstengeistigen Erfahrungen meines Lebens. Seine Grundanschauung scheint mir dieSchwierigkeiten des Russellschen Systems spielend zu überwinden, und imPrinzip auch die ganze Grundlagenkrise der gegenwärtigen Mathematik. Ich

in seinen Erinnerungen fest (WE 2006: 123): „Wittgenstein fand in Schlick einen hochstehendenund verständnisvollen Diskussionspartner, wozu auch der Eindruck von dessen hochkultivierterPersönlichkeit beitrug, was hier, wie immer, für einen gedanklichen Kontakt mit einem anderenMenschen für ihn wesentlich war.“ Eine Antwort Einsteins auf diesen Brief ist nicht überliefert. Vgl. dazu Moritz Schlick an Albert Einstein, 5. Juni und 14. Juli 1927 sowie Albert Einstein anMoritz Schlick, 25. Juni 1927; außerdem Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 29. Januar 1928 bzw.ders. an Bernhard Altmann, 8. März 1930 sowie Hugo Bergmann an Moritz Schlick, 22. Novem-ber 1932. Schlick hatte bereits in den SS 1923 und 1925 sowie im WS 1925/26 Lehrveranstaltungen zurLogik angeboten und bereitete eine derartige Veranstaltung auch für das WS 1927/28 vor.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 97

glaube viel gelernt zu haben und kann kaum sagen,wie primitiv und unreif meineErkenntnistheorie²⁹ mir jetzt erscheint.

Verzeihen Sie bitte, dass ich Ihnen von diesen Dingen erzähle, da Sie dochwahrscheinlich mit ganz andern Problemen beschäftigt sind. Aber wes das Herzvoll ist, des läuft der Mund über,³⁰ und da ichmich entsinne, dass Sie sich vor zweiJahren für Russells mathematische Philosophie interessiert hatten, und nichtweiss, ob Sie schon irgendwie auf die Wittgensteinsche Logik aufmerksam ge-worden sind, so nahm ich mir die Freiheit, darauf als auf etwas wirklich Grossesund Tiefes | hinzuweisen.Vielleicht werden Sie sich in Mussestunden gern einmalauf dies Gebiet begeben, wo (im Gegensatz zur Physik) keine eigentliche Er-kenntniserweiterung, aber doch intellektuelle Beruhigung zu finden ist.

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihre Gesundheit und Arbeit Ihr in Dank-barkeit ergebener

M. Schlick.

9 Frank Plumpton Ramsey an Moritz Schlick[Brief, Ts/Ab, 2 S., 114/Ram-1]

King’s College22nd July 1927 Cambridge

Dear Professor Schlick,I hear from Mr Money-Kyrle³¹ that you are coming to England in October and

may perhaps have time to visit Cambridge. I very much hope this will be poss-ible, and that I shall have the pleasure of seeing you and doing anything inmy power to entertain you. I fear there is only a small school of philosophyhere, as it is a very neglected subject. There is, however, a society called theMoral Sciences Club which meets for discussion on Friday evenings and containsamong its members all teachers and students of philosophy, as well as amateurslike myself. We should be greatly honoured if you would read us a paper, if itwould not be too much trouble, in English. If you could be so kind as to dothis, perhaps either October 21st or October 28th would be a suitable date. Ifyou do not wish to make a definite engagement so long beforehand, there is

Schlicks Hauptwerk, die 1925 in 2. Aufl. bei Springer veröffentlichte Allgemeine Erkenntnis-lehre (MSGA I/1). Vgl. Matthäus 12, 34. Weiterführend zu Roger Ernle Money-Kyrle (1898– 1980) siehe den editorischen Bericht zuSchlick 1927 (MSGA I/6: 85/86).

98 Mathias Iven

no hurry at all. It will be quite sufficient if you let me know whether and whenyou will come, and the title of your paper by the 4th or 5th of October.

I had a letter the other day from Mr Wittgenstein³² criticizing my paper “TheFoundations of Mathematics”³³ and suggesting that I should answer not to himbut to you. I should perhaps explain what you may have gathered from him, thatlast time we met we didn’t part on very friendly terms, at least I thought he wasvery annoyed with me (for reasons not connected with logic) so that I did noteven venture to send him a copy of my paper. I now hope very much that Ihave exaggerated this, and that he may perhaps be willing to discuss variousquestions about which I should like to consult him. But from the tone of his let-ter and the fact that he gave no address I am inclined to doubt it.

³⁴The chief criticism which he made was against my defining x = y as(ϕe) : ϕex ≡ ϕey say Q (x, y) for short.

He seems to admit my contention that Q (x, y) is a tautology when “x” and“y” are names for the same thing, and a contradiction otherwise, but argues thatnevertheless Q (x, y) cannot say that x and y are identical; because if, for in-stance, x and y are different and one could per impossibile suppose them ident-ical that would not be the same as supposing Q (x, y).With this I entirely agree,but it still seems to me that Q (x, y) is an adequate substitute for x = y as anelement in logical notation.We always use x = y as part of a propositional func-tion which is generalised, and in any such case we shall get the right sense forthe resulting general proposition if we put Q (x, y) instead.

Thus consider ($x) : fx.x ¹ a.; this we want to be the logical sum of all thevalues of fx except fa.| if we replace it by

($x) : fx. ~ Q (x, a)that is precisely what it will be; since ~ Q (x, a) will be a tautology and so addnothing to fx for all values of x except a, for which it is a contradiction, whicheliminates this alternative as required. (Cf. p. 352 of my paper)

I never really meant to suggest that Q (x, y) was a way of saying that x and ywere identical. I imagined that Wittgenstein had shown that it was impossible to

Vgl. dazu den Brief Wittgensteins vom 2. Juli 1927 (in Schlicks Nachlass ist eine von CBabweichende Abschrift überliefert) und Ramseys Antwortschreiben (CB 1980: 160–164 bzw. CC1995: 216–221 bzw. WC 2008: 158–161). Vorgetragen am 12. November 1925 (Ramsey 1925; in Buchform Ramsey 1931: 1–61; dt. Ausg.Ramsey 1980: 131– 177). – In Schlicks Nachlass findet sich ein mit einer Widmung versehenesExemplar des Separatdrucks (Inv.-Nr. 496/H.32). In der Abschrift Zusatz am rechten Seitenrand: “at least what he says can, I think, bereduced to this.”

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 99

say any such thing. I only proposed Q (x, y) as a substitute for the symbol x = y,used in general propositions and in defining classes.

He also made some criticisms on my remarks on the number of things in theworld, which I think can be answered in the same sort of way, but in any casethey are less important.

I may possibly be coming to Vienna for a week in the last half of September,and if so I shall try to see him then, and if you are not too busy I should like tosee you too; but I am not sure yet if I shall be able to come.

Yours sincerelyF. P. Ramsey.

10 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 3 S., 123/Wittg-21]

Millstatt, Kärnten 15. 8. 27.Pension Grossegg

Lieber Herr Wittgenstein,vor einiger Zeit erhielt ich hierher Ramsey’s Antwort auf Ihren Brief.³⁵ Ich

schreibe die Stellen, die Sie interessieren, für Sie ab. R. reproduziert zunächst ineinem Satze den Gedanken Ihres Einwandes und fährt dann fort:

“With this I entirely agree, but it still seems to me that Q (x, y) [dies war dieAbkürzung für (ϕe) : ϕex ≡ ϕey]³⁶ is an adequate substitute for x = y as part anelement in logical notation.We always use x = y as part of a propositional func-tion which is generalised, and in any such case we shall get the right sense forthe resulting general proposition if we put Q (x, y) instead.

– – – – – –I never really meant to suggest that Q (x, y) was a way of saying that x and y

were identical. I imagined that Wittgenstein had | shown that it was impossibleto say any such thing. I only proposed Q (x, y) as a substitute for the symbolx = y, used in general propositions and in defining classes.

He also made some criticisms on my remarks on the number of things in theworld, which I think can be answered in the same sort of way, but in any casethey are less important.

Vgl. dazu Nr. 9, Anm. 32. Weiterführend die Aufzeichnungen „Über Ramseys Definition derIdentität“ (WWK 1967: 189–192); siehe auch WC 2008: 186. Die eckigen Klammern wurden in diesem Fall von Schlick selbst gesetzt.

100 Mathias Iven

I may possibly be coming to Vienna for a week in the last half of September,and if so I shall try to see him then.”

Ich selbst werde erst am 1. Nov.wieder in Wien eintreffen.³⁷ Ich kann es nichtunterlassen, schon jetzt die Hoffnung auszusprechen, dass Sie auch dann wiederbereit seinwerden, die kleinen Zusammenkünfte fortzusetzen, die wir mit unserenMontag-Abenden begonnen haben.³⁸ Sie müssen ja gefühlt haben, welche reineFreude uns die | Diskussion mit Ihnen regelmässig bereitet hat.

Es freut mich, dass Ramsey’s Brief mir Gelegenheit gab, Ihnen zu schreiben.Ich fürchte allerdings, dass ich auch ohne diesen Anlass mein Bedürfnis nichthätte unterdrücken können, Ihnen einen wirklichen Gruss aus diesem vollkom-menen Sommer zu senden.

Ihr herzlich ergebenerM. Schlick.

11 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Ts/K (Unterschrift Hs), 1 S.]

[Anschrift auf dem Briefumschlag]Herrn Ludwig WittgensteinWien VKriehuberg. 25oder 24 ?

Wien, 2. Oktober 1927Prinz-Eugen-Str. 68

Lieber Herr Wittgenstein,für kurze Zeit bin ich in Wien, mit den Vorbereitungen für das Wintersemester

und meine englische Reise beschäftigt.³⁹ Am 9. d.M. reise ich ab, und da ich inCambridge Ramsey zu sehen undmit ihm über seine Arbeit zu sprechen hoffe,⁴⁰ sowäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie so freundlich wären, mir bis dahin den

Siehe hierzu den folg. Brief. Siehe dazu u.a. WWK 1967: 15/16. Schlick, der zu Vorträgen nach Oxford und Cambridge (vgl. Nr. 9) eingeladen worden war,sah den Ertrag seiner Reise im Nachhinein allerdings „mehr allgemein-geistiger als wissen-schaftlicher Natur“ (Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 4. November 1927). Während seines Aufenthaltes in Cambridge wohnte Schlick bei Ramsey (vgl. Moritz Schlickan Rudolf Carnap, 21. Oktober 1927).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 101

Sonderdruck seines Artikels On the Foundation of Mathematics⁴¹ zuzustellen.Natürlich nur, wenn Sie ihn bei der Hand haben. Sollten Sie ihn etwa verlegthaben, so macht das nichts, denn so wichtig ist die Sache nicht.

Nach meiner Rückkehr am 1. Nov. hoffe ich Sie sehr bald wiederzusehen. Ichkann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich darauf freue, sondern Sie nur herzlichbitten, in eine Fortsetzung unserer Zusammenkünfte in irgendeiner von Ihnen zubestimmenden Form einzuwilligen. Daß dabei von Wissenschaft nicht die Redesein soll, will ich gern versprechen.⁴²

Mit herzlichem Gruß IhrM. Schlick.

12 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick⁴³[Brief, Hs/Kb, 1 S.]

WIEN, 4. 10 192[7]

Sehr geehrter Herr Professor Schlick!Mein Gewissen drückt mich, weil ich Ihnen auf Ihren ersten Brief ⁴⁴ nicht geant-wortet habe. Aber ich habe sehr, sehr viel zu tun & noch verschiedene andereHemmungen (Eine von diesen war wohl auch \die/ Faulheit). Beiliegend schickeich die Foundations, leider nicht im besten Zustande: Zur Entschädigung erlaube

Vgl. Nr. 9, Anm. 33. Siehe Nr. 10, Anm. 38. – Carnap schreibt dazu in seiner Autobiographie (Carnap 1993: 40):„Vor dem ersten Besuch warnte uns Schlick eindringlich, ja keine Diskussion, wie wir sie imKreis gewohnt waren, anzufangen;Wittgenstein möchte das unter gar keinen Umständen. Selbstmit Fragen sollten wir vorsichtig sein; denn Wittgenstein sei sehr empfindlich und durch direkteFragen leicht zu verstören. Der beste Weg sei, Wittgenstein reden zu lassen und dann nur ganzvorsichtig nach den unumgänglichen Erläuterungen zu fragen.“ Und in seinem Tagebuch heißtes zu einem dieser Treffen (Wiener-Kreis-Archiv, Inv.-Nr. 585/X.47–1, Bl. 2): „4. 7. 1927. […] Abendsmit Wittgenstein bei Schlick.Wieder über Esperanto. Dann über Intuitionismus. Schließlich liester uns Busch vor.“ Wiedergegeben in Nedo/Ranchetti 1983: 213 bzw. Nedo 2012: 247. Offensichtlich das Schreiben vom 15. August 1927 (hier Nr. 10).

102 Mathias Iven

PAUL ENGELMANN & LUDWIG WITTGENSTEIN ARCHITEKTEN

WIEN, III, PARKGASSE 16.TEL. 96265

ich mir ein Schriftchen über ok[k]ulte Wissenschaft⁴⁵ beizulegen, da ich gehörthabe, daß solche an der Universität jetzt fleißig betrieben werden.

Alles Gute zu Ihrer Reise &auf Wiedersehen im November

Ihr ergebenerL.Wittgenstein

13 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 2 S. bzw. Ts/Ab, 1 S. sowie Beilage (Artikel), Ts/Ab, 2 S., 123/Wittg-2]

[Poststempel: Cambridge, 18. 2. 1929]Lieber Herr Professor Schlick!

Ich wollte Ihnen schon lange schreiben bin aber nicht dazu gekommen. Ich habemich nämlich entschlossen ein paar Terms hier in Cambridge zu bleiben & denGesichtsraum⁴⁶ & andere Dinge zu bearbeiten. Zu Ostern d.h. schon am 20tenMärzbin ich wieder für einen Monat in Wien & dann werde ich alles mitteilen, wasmitzuteilen ist. Es wird nicht viel sein. Was mich nun veranlaßt hat heute zuschreiben war der beiliegende Zeitungsartikel den mir ein Bekannter zum Spaßgeschickt hat, der mir aber gar keinen Spaß macht & Ihnen auch keinen machenwird. Ich brauche nicht zu sagen daß es etwas hundsgemeineres als eine WienerZeitung nicht auf der Welt | geben kann. Nun aber: Sagen Sie, kannman sich nichtgegen so etwas verwahren? Wenn ja so tun Sie’s bitte in Ihrem & meinem Namen!Von einem Hund angesch–n zu werden macht nichts gegen so eine Besudelung! –Bitte schreiben Siemir was Sie davon denken&was sichmachen läßt. Bitte grüßen

Um welche Schrift es sich dabei handelte, lässt sich nicht belegen. Bekannt ist, dass sicheinzelne Mitglieder des Wiener Kreises – so auch Schlick – für parapsychologische Forschungeninteressierten (dazu Carnap 1993: 37 bzw. Menger 1994: 14/15, 59 ff. oder auch das Gespräch mitHeinrich Neider, in Marek u.a. 1977: 23 f.). Wittgenstein selbst stand diesen Fragen ablehnendgegenüber. So erinnerte sich Carnap, der sich seinerseits dafür interessierte (Carnap 1993: 42):„Ein andermal kamen wir auf das Thema Parapsychologie zu sprechen; er erklärte sich striktdagegen. Die angeblichen Botschaften, die auf spiritistischen Sitzungen herauskämen, seien,wie er sagte, gänzlich trivial und dumm. Das gab ich zu, bemerkte aber, daß gleichwohl dasVorhandensein und die Erklärung angeblicher parapsychologischer Phänomene ein wichtigeswissenschaftliches Problem darstellten. Er war schockiert, daß ein vernünftiger Mensch ansolchem Mist interessiert war.“ Siehe dazu auch das folgende Schreiben bzw. Schlicks Brief vom 21. September 1931 (Nr. 35).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 103

Sie die Tafelrunde & Herrn Waißmann ganz besonders; ich hoffe & freue mich Siealle in einem Monat wiederzusehen. Ich hoffe bald etwas von Ihnen zu hören.

IhrLudwig Wittgenstein

[Beilage]Interessante Köpfe der Wiener philosophischen Fakultät.⁴⁷Von Ubald.⁴⁸

Es ist ein großer Unterschied zwischen einem, der ein Wissensgebiet aus Lieb-haberei studiert,wenn auch mit tiefstem Ernst, und einem, der sich für Prüfungenvorbereiten muß. Der Kandidat trachtet nach möglichster Homogenität des ge-samten Examenstoffes, er sucht die in sämtlichen Gegenständen gleichlaufendenPrinzipien und Strukturen auf,umdas Gedächtnis nicht unnötigerweisemit einemMehr zu belasten. So wird es verständlich, daß der im Jahre 1922 aus Kiel nachWien berufeneMoritz S ch l i c k anfangs keinen allzu großen Zulauf hatte, denn ergeht fast vollständig eigene Wege. Er schuf einen „Neuen Empirismus“ im Ge-gensatz zu dem älteren Machs, indem er an die Stelle der psychologischen Ent-wicklung der Erkenntnis ihren logischen Aufbau forderte, was vielleicht nichtwunder nimmt, wenn wir erwähnen, daß Schlick von der Physik zur reinen Phi-losophie kam. Seine Kerngedanken sind, daß man zwischen dem „Kennen“ (dasheißt Erleben) und dem „Erkennen“ (das heißt dem Zurückführen des einen aufdas andere) unterscheidenmüsse,was zu einer vollständigen Ablehnung jeglicherMetaphysik führt.⁴⁹Dadurch geriet er auch in Gegensatz zu Kant. Intuition, auf dieder heute sehr metaphysisch eingestellte Mensch bedeutendes Gewicht legt; wirmeinen: die Erkenntnis der Dinge von innen heraus, durch Innenschau, lehntSchlick glatt ab. Intuition ist ihm ein psychologischer Vorgang, aber keine Er-kenntnis. Er vermeint desgleichen die Gegenüberstellung von Leib und Seele,denn Physik und Psychologie unterscheiden sich nach ihm nur durch die Art der

Der erste Teil dieses aus zwei Abschnitten bestehenden Artikels – im zweiten Teil geht es umden niederländischen Zoologen Jan Versluys (1873–1939) – liegt dem Brief im Schlick-Nachlasslediglich in einer maschinenschriftlichen Abschrift bei. Für die vorliegende Ausgabe wird derText wiedergegeben nach der Veröffentlichung im Neuen Wiener Journal, Nr. 12.651, vom 10.Februar 1929, 22. Bei dem Autor handelt es sich um den seit 1924 als Geschäftsführer des Wiener Parapsy-chischen Instituts fungierenden Ubald Tartaruga (1875– 1941). Der Artikel war Teil einer Serie,die zu dieser Zeit im Neuen Wiener Journal erschien. Dabei wurden die verschiedenen Beiträgesowohl mit „Ubald“ als auch mit „U. Tartaruga“ gezeichnet. Weiterführend zur Person Enne2009. Vgl. dazu die Allgemeine Erkenntnislehre (MSGA I/1: 293 ff.)

104 Mathias Iven

Begriffsbildung, gehen aber auf dieselbe Grundlage der unmittelbaren Erfahrungzurück. Will man aber Moritz Schlicks Lebensanschauung in weniger kompli-zierter Form kennenlernen, dann muß man sein Werk „Vom Sinne des Lebens“⁵⁰zur Hand nehmen, wo er sich als Optimisten reinsten Wassers vorstellt und denSinn des Lebens in der Jugend erblickt, da sie allein Begeisterungsfähigkeit be-sitzt. Im Leben offenbaren sich zwei entgegengesetzte Pole: die Arbeit und dasSpiel. Das letztere allein sei Selbstzweck, die Arbeit bloß Vorbereitungshandlung,also nicht der Sinn des Lebens. Etwas Aehnliches sprach auch Schiller aus,wobeifreilich zu bemerken wäre, daß es jedem Menschen leider nicht so gut geht wieunserem Philosophen, der des Lebens Tretmühle zum Glück niemals mitmachenmußte.Wie erwähnt, ist ihm die breite Anerkennung erst allmählich geworden. Esgibt eine eigene, immer mehr anwachsende Schlick-Gemeinde in Wien und manbeginnt zu begreifen, daß man ihn eigentlich nur mit einem Denker vergleichenkann, dem Engländer Bertrand Russell, dem er geistig sehr verwandt ist. Schlickwurde im Jahre 1882 in Berlin geboren,⁵¹ ist also heute erst 46 Jahre alt. Er ab-solvierte in seiner Vaterstadt das Gymnasium und bereitete sich an den Univer-sitäten in Berlin, Heidelberg und Lausanne zum Doktorat der Physik vor, welcheser 1904 in Berlin erlangte. 1911 wurde er Privatdozent, 1921 Ordinarius in Kiel, 1922ordentlicher Professor in Wien. Er las aber auch an den Universitäten Cambridgeund Oxford und folgt demnächst einem Rufe als Gastprofessor an die JohnHopkins University in Kalifornien. Schlick, eine hohe, elegante Erscheinung mitglattrasiertem Gesicht, macht den Eindruck eines Sarkasten, doch ist er es kei-neswegs. Selten wird man einen entwicklungs- und anpassungsfähigeren Ge-lehrten finden als ihn. Er hat eine eigentümlich feine „Nase“ und treibt dadurchgenau genommen immer Zukunftsmusik. So setzte er sich für die EinsteinscheTheorie schon zu einer Zeit ein,wo die Mehrzahl der Philosophen noch eine mehrals ablehnende Haltung einnahm. Wie wir verraten wollen, wird Schlick dem-nächst einen österreichischen Privatgelehrten „ehrenretten“, den merkwürdigenPhilosophen Wi t t gen s t e i n , einen Sonderling, der sein Vermögen der Familieschenkte,Volksschullehrer in irgendeiner kleinen Gemeindewar, seiner Schwesterdann als Architekt ein Palais baute und ein bisher gänzlich unverstandenes, indeutscher und englischer Sprache verfaßtes philosophisches Buch herausgab. Essoll sich da um ein großes Werk handeln, das zum Unterschied von dem Wei-ningers vielleicht noch zu Lebzeiten des Autors gewürdigt werden wird. Anderebekannte Bücher Moritz Schlicks sind: „Lebensweisheit“ (1908),⁵² „Raum und Zeit

Erschienen 1927 (MSGA I/6: 99– 125). Zur Biographie Schlicks u.a. Iven 2008 bzw. Engler/Iven 2007. MSGA I/3: 43–332.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 105

in der gegenwärtigen Physik“, das bereits in vierter Auflage erschien und in dieenglische, spanische, italienische und russische Sprache übersetzt wurde,⁵³„Allgemeine Erkenntnislehre“ (1918).⁵⁴

14 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 4 S.]

[Wien] Freitag, 22. Febr. [1929]Lieber Herr Wittgenstein,

der erfreuliche Teil Ihres Briefes, nämlich die Nachricht, dass Sie über denGesichtsraum und andre Fragen nachgedacht haben und damit in der CambridgerStille fortfahren wollen, und dass wir Sie am 20. März für einen Monat in Wienerwarten dürfen – hat mich mit herzlicher Freude und Hoffnung erfüllt. EbensoWaismann und Feigl, mit denen ich gestern Abend zusammen war.

Der übrige Teil Ihres Briefes und der Zeitungsausschnitt haben mich nurdeshalb nicht in die äusserste Bestürzung versetzt, weil ich schon etwas daraufvorbereitet war, den Artikel im Caféhaus zu Gesicht bekommen, und also dieBestürzung schon hintermir hatte.Vorherwusste ichvon der Sache | folgendes.Voreiniger Zeit erschien in meiner Sprechstunde ein Journalist und sagte, er müsse imAuftrag seiner Zeitung über hiesige Philosophieprofessoren schreiben und bittemich um Ergänzung des Materials, das er über mich gesammelt habe. Ich machteaus meinen Gefühlen keinen Hehl und weigerte mich, ihm die gewünschtenMitteilungen \zu geben/. Es war mir aber klar, dass solch ein von seinen Zeilenlebender Mensch trotzdem irgend etwas schreiben würde, und so fügte ich hinzu,um den ärgsten Unsinn zu verhüten (dies war vermutlich ein Fehler), wenn seinInteresse für meine philosoph. Ansichten wirklich echt sei, so könne er sich ja beimeinen Schülern darüber informieren. In welcher Richtung undWeise er sich nuninformiert hat, geht ja aus dem schnöden Artikel | genugsam hervor. Sie könnensich denken,wie peinlichmir diese ekelhafte Angelegenheit ist. Aber nachmeinenErkundigungen kann man schlechterdings gar nichts machen, da jeder in derZeitung über jeden Beliebiges schreiben darf, so lange es nicht gröbste Beleidi-gung ist. Bei beleidigenden falschen Angaben kann man Berichtigung fordern –aber damit täte man so einem Blatt gerade den grössten Gefallen, denn dadurchwürde die Sache breit getreten und die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Es

MSGA I/2: 158–345. In Aufsatzform zuerst 1917, als Buch 1919, die 4. Aufl. erschien 1922. DieÜbersetzungen wurden 1920 (engl.), 1921 (span.), 1923 (russ.) und 1929 (frz.) veröffentlicht, eineitalienische Ausgabe gab es nicht. 1925 erschien die 2., überarbeitete Auflage.

106 Mathias Iven

bleibt nur übrig, das Gesindel sich selbst zu überlassen. Dabei tunmir auchmeineSchüler leid, die zweifellos Ihren Namen in ganz harmloser Weise nannten undnun sehen,was sie angerichtet haben.Wir müssen die Sache zu vergessen suchen,und ich bitte Sie, mir nicht böse zu sein, dass ich indirekt der unschuldige Anlasssolcher | üblen Geschmacklosigkeit geworden bin.

Ihrer Arbeit und Gesundheit wünsche ich von Herzen das allerbeste. Für Ihrefreundliche Karte⁵⁵ vom Beginn Ihres englischen Aufenthalts noch nachträglichschönen Dank. Da Sie keine Adresse angeben, schicke ich diese Zeilen an Keynes⁵⁶– hoffentlich ist das recht. Ich würde mich riesig freuen, gelegentlich wieder eineZeile von Ihnen zu erhalten.

Mit den herzlichsten GrüssenIhr M. Schlick.

15 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 123/Wittg-3]

[Anschrift]HerrnProf. Dr Moritz SchlickIV. Prinz Eugen Str. 68Austria Wien

[Poststempel: Cambridge, 2. 3. 1929]Lieber Herr Professor Schlick!Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief. Es hat mir wohlgetan Ihre an-ständigen Worte zu hören, nach dieser Schweinerei. Sie haben gewiß recht, mankann in diesem Fall nichts machen. Ich freue mich, Sie bald wieder zu sehen. Ihr

Ludwig Wittgenstein

Nicht überliefert. Wittgenstein wohnte zunächst cirka einen Monat bei dem mit ihm befreundeten National-ökonomen John Maynard Keynes (1883– 1946), damals Fellow des King’s College in Cambridge(vgl. bspw.Wittgensteins Briefe an Ludwig Hänsel, CLH 1994: 113 bzw. 115), war aber zu diesemZeitpunkt schon Ramseys Gast (vgl. John Maynard Keynes an Lydia Lopokova, 25. Februar 1929;Nedo 2012: 259).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 107

16 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs/K, 123/Wittg-4]

[Anschrift]HerrnProf. Dr Moritz SchlickIV. Prinz Eugen Str. 68Austria Wien

[Poststempel: Cambridge, 23. 5. 1929]Ich arbeite mit sehr geringem Erfolg noch immer an der Arithmetik herum.⁵⁷ Wiegeht es Ihnen? Lassen Sie, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, doch einmaletwas von sich hören!Herzliche Grüße!

IhrLudwig Wittgenstein

17 Friedrich Waismann an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 3 S., 574/X.19]

5. Juli 29Lieber Herr Wittgenstein!Ich möchte Sie gern in folgender Sache um Rat fragen:Schlick hat – wie Sie vielleicht wissen – den Ruf nach Bonn abgelehnt und

bleibt nach inWien.⁵⁸Aus diesem Anlassmöchten ihm seine Freunde und Schülereine Freude bereiten und haben da an die Herausgabe einer kleinen Schrift ge-dacht, welche Wesen und Ziel unserer philosophischen Arbeit behandeln soll.⁵⁹Diese Schrift soll eine Art von historischem Bericht sein: Es soll da vor allem

In Wittgensteins Manuskripten tauchen zu dieser Zeit immer wieder Bemerkungen zur„Arithmetik“, zur „arithmetischen Gültigkeit“ oder zur „arithmetischen Sprache“ auf (vgl. dazuu.a. Wi1). Vgl. dazu u.a. Verein Ernst Mach an Moritz Schlick, 2. April und 2. Mai 1929; Bundesmi-nisterium für Inneres und Unterricht (Alfred Majer) an Moritz Schlick, 24. Mai 1929 bzw. MoritzSchlick an das Bundesministerium, 29. Mai 1929 und 29. Februar 1936 sowie Moritz Schlick andas Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Wolfgang Windelband),29. Mai 1929. Dazu auch Margaret Stonborough an Ludwig Wittgenstein, 6. Juni 1929 (CF 1996:110). Gemeint ist die 1929 als Veröffentlichung des Vereins Ernst Mach von Carnap, Hahn undNeurath herausgegebene Programmschrift Wissenschaftliche Weltauffassung – Der Wiener Kreis.

108 Mathias Iven

geschildert werden, wie gerade in Wien durch die Tätigkeit von Boltzmann undMach ein enger Zusammenhang zwischen Philosophie und exakter Wissenschaftangebahnt wurde und wie diese Tradition von Schlick aufgenommen und fort-gesetzt wurde. Es soll dann weiter berichtet werden, welche philosophischenÜberzeugungen in unserem Kreis herrschen –Absage an die | Metaphysik u. s.w. –und in diesem Zusammenhang sollen auch alle diejenigen Autoren angeführtwerden, denen wir nahe stehen oder die irgendwie auf unsere Gedanken Einflussgenommen haben. Es ist klar, dass Ihr Name dabei nicht fehlen darf (so wie z.B.auch Russell und Ramsey genannt werden.) Nun komme ich zu dem Punkt, überden ich Ihre Meinung hören möchte. Ich wurde von den Herausgebern (Hahn,Neurath, Carnap) aufgefordert, sie für die Bibliographie, die den Schluss derganzen Broschüre bilden soll, eine sehr knapp gehaltene Inhaltsangabe IhresBuches⁶⁰ anzufertigen, möchte das aber nicht tun, ohne vorher Ihre Ansicht\hierüber/ erfahren zu haben. Es kann sich natürlich nur darum handeln, demLeser durch Schlagworte eine entfernte Vorstellung \davon/ zu geben, von

Vgl. ebenda: 31–58. Dort heißt es (58): „Diese Schrift erörtert die logischen Grundlagenunserer Sprache, d.h. die Grundlagen eines jeden Zeichensystems, das imstande ist, Gedankenauszudrücken. Zwischen den Sachverhalten der Welt und den Sätzen der Sprache besteht einefundamentale Beziehung, nämlich diese, daß unsere Aussagen logische Bilder der Sachverhaltesind. Alles Denken, Sprechen und Mitteilen ist nichts anderes als ein solches logisches Abbil-den.Was nicht abgebildet werden kann, ist dem Ausdruck durch die Sprache entzogen, es kannauf keine wie immer geartete Weise dargestellt, formuliert, mitgeteilt werden. Das Buch will alsodem Denken eine Grenze ziehen oder vielmehr ‒ nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck derGedanken. Es gibt allerdings Unausdrückbares; dieses ,zeigt sich‘ in der Sprache (z.B. in demlogischen Bau der Symbole); und die klare Unterscheidung des Sagbaren von dem Unaus-sprechlichen bildet das wichtigste Ergebnis dieses Buches. Diese Erkenntnis wird angewendetauf eine Reihe von Fragen der Logik und der Erkenntnistheorie; diese Fragen lösen sich inüberraschend einfacher Weise, sobald man nur das Wesen der Symbolik klar durchschaut hat.So wird hier das Wesen der Logik aufgehellt und der Nachweis erbracht, daß es nur eine Logikgibt; so wird das innere Wesen der Wahrscheinlichkeit aufgedeckt u.a.m. Diese Betrachtungs-weise führt zu einer neuen Auffassung von der Natur der Philosophie. Philosophische Er-kenntnisse, die ausgedrückt und formuliert werden könnten, gibt es nicht. ,Die Philosophie istkeine Lehre, sondern eine Tätigkeit. Das Resultat der Philosophie sind nicht ‘philosophischeSätzeʼ, sondern das Klarwerden von Sätzen. Sie soll das Denkbare abgrenzen und damit dasUndenkbare.‘ ([TLP 1922] S. 76) Die richtige Lösung der philosophischen Fragen besteht danachdarin, daß man die Sprache berichtigt und daß sich in der berichtigten Sprache die Frage nichtmehr stellen läßt. In diesem Sinn ist die vorliegende Schrift selbst nicht eine Theorie, sondernein Weg, der den Leser über die Stufe, auf der er noch philosophische Fragen stellt, hinaus-führen soll.Wer diese Sätze richtig versteht, erkennt am Ende, daß sie unsinnig sind. Er muß sieüberwinden, dann sieht er die Welt richtig. / Die Abhandlung ist schwer verständlich; eineleichtfaßliche Darstellung der Hauptgedanken gibt Waismann.“ – Siehe dazu auch den nach-folg. Brief.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 109

der \welche/ Art von Problemen die Ihr Buch behandelt. Damit Sie mich nichtmissverstehen, möchte ich nochmals deutlich sagen, dass Sie nicht etwa alsMitglied der Wiener Schule angeführt werden, | sondern als ein Autor, dessenGedanken einen tieferen Einfluss auf unseren Kreis genommen haben. Da ichdiesen Artikel bis zum 15. Juli anfertigen soll, möchte ich Sie um rasche Antwortbitten, wenn Ihnen das möglich ist.

Eswäre sehr schönvon Ihnen,wenn Siemir ausserdem ein Lebenszeichenvonsich gäben und mir schrieben, ob Sie wohl im Herbst in Wien anzutreffen sind?

Von mir will ich Ihnen noch eine kleine Überraschung mitteilen: ich habe voreinigen Tagen geheiratet. Meine jetzige Frau⁶¹ und ich kennen uns schon seitJahren und sind uns sehr gut.Wir sind jetzt an einen recht weltentlegenen Ort imBöhmerwald gefahren, hier lebe ich sehr still und zurückgezogen und trachtedanach, mit meiner Arbeit bis zum Herbst fertig zu werden.

Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und den herzlichsten GrüssenIhr

F.Waismann

18 Ludwig Wittgenstein an Friedrich Waismann[Brief, Hs/K, 3 S., 574/X.19]

[Cambridge, vor dem 20. 7. 1929]⁶²Lieber Herr Waißmann!

Das ist eine schwere Geschichte. Ich bin so wie die übrigen Freunde Schlicks derAnsicht, daß ihm eine Freude bereitet werden soll. Aber ich bin auch dafür, daßsich die Wiener Schule bei diesem Anlaß nicht prostituieren soll, wie alle WienerInstitutionen bei jedem Anlaß tun möchten. Und es ist mir sehr unangenehm zudenken, daß hier wieder einmal ein an sich guter Grund, als Anlaß zur G’schaf-telhuberei benützt werden soll. Eben weil Schlick ein nicht gewöhnlicher Menschist, so verdient er, daß man sich davor hütet, Ihn & die Wiener Schule, derenExponent er ist, „in guter Absicht“ durch Großsprecherei lächerlich zu machen.Wenn ich sage „Großsprecherei“, so meine ich damit jede Art der selbstgefälligenSelbstbespiegelung. „Absage an die Metaphysik“! Als ob das was neues wäre!Wasdie Wiener Schule leistet muß sie zeigen, nicht sagen! Ich hielte es darum für vielanständiger, Schlick durch die Herausgabe einer Festschrift zu ehren, die nichtüber die Wiener Schule – & aus der Schule – schwätzt, sondern eine Sammlung

Hermine Antscherl (1894– 1943). Datierung von Barbara van de Velde-Schlick.

110 Mathias Iven

kurzer Aufsätze wäre, die Leute aus der Wiener Schule, etwa Carnap, Sie selbst,u.a., bei dieser Gelegenheit veröffentlichen \würden/, eventuell zusammen miteiner Art Ant[h]ologie aus Mach, Boltzmann & Schlick, die zeigen sollte was dieseSchule wert ist. Das Werk muß den Menschen loben.⁶³ Und das Lob was eineSchule sich selbst spendet stinkt wie jedes Eigenlob. | Diese Sammlungwäre dannmit einemVorwort zu versehenworin Schlickgepriesen& sein Verdienst gewürdigtwird.

Was nun die Inhaltsangabe meines Buches betrifft: Was habe ich mit der zuschaffen? Wenn sie in einem anständigen Geiste, d.h. mit Sachlichkeit & Be-scheidenheit, abgefaßt wird – oder soll ich sagen „würde“ – so habe, oder hätte,ich nichts dagegen; andernfalls ist sie sie nicht in meinem Sinn & ich verböte sie,wenn mir das was nützte!

Rein persönlich bitte ich Sie nicht ummeinetwillen (dennmir geschieht dabeinichts) sondern um Ihretwillen – [?] benehmen Sie sich anständig! D.h., tun Sienichts aus „Gefälligkeit“ gegen eine Clique (Hahn, Carnap etc.), was Sie später –halb lächelnd – gegen sich & andere entschuldigen müssen. Ich höre Sie jetztschon sagen: „Ja, sie haben mich so dringend ersucht, & die Zeit war so kurz; ichhatte gar keine Zeit mir die Sache gründlich zu überlegen“.Wenn es so ist, dannlehnen Sie es ab! Sein Sie versichert, ich lächle nicht bei dem Gedanken, daß zuEhren eines Mannes, den ich schätze vielleicht – oder wahrscheinlich – eineDummheit geschieht & daß Sie sich daran beteiligen. Sein Sie – bitte – rigoros &tun Sie nur was Sie unbedingt glauben verantworten zu können! –

Ich habe in der letzten Zeit sehr viel gearbeitet & mit \gutem/ Erfolg; & hattemich darauf gefreut Ihnen Einiges zu erklären, & darum tut es mir leid, daß Siejetzt nicht zu | erreichen sind. Ich komme nämlich um den 20ten Juli nach Wien &werde Ende September wieder hierher zurückfahren.Wie gesagt, es lägemir daranSie zu treffen. Bitte schreiben Sie mir Ihre Pläne.

Daß Sie geheiratet haben ist brav & ich gratuliere.Bitte nehmen Sie diesen Brief auf, wie er gemein[t] ist, nämlich gut & ernst.

Herzliche GrüßeIhrLudwig Wittgenstein

Meine Adresse wird sein: L.W. bei StonboroughIII. Kundmanngasse 19 Wien

Vgl. dazu den Anfang von Schillers Gedicht „Das Lied von der Glocke“.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 111

19 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs/K, 123/Wittg-5]

[Anschrift]Professor M. SchlickStanford University⁶⁴Calif.

U. S. A.Amerika

[Poststempel: Hohenberg, N. Ö., 9. 8. 1929]Lieber Herr Professor Schlick!Danke für ihre Karte.⁶⁵ Ich habe sehr viel & mit etwas Glück gearbeitet. In einemBrief lassen sich aber die Resultate schwer wiedergeben. Aber wir werden gewißGelegenheit haben sie zu besprechen. Ich wünsche Ihnen alles Gute!

Ihr Ludwig Wittgenstein

20 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 2 S., 123/Wittg-6]

[Anschrift auf dem Briefumschlag]HerrnProf. Dr Moritz SchlickIV Prinz Eugen Str. 68Austria Wien.

[Poststempel: Cambridge, 19. 10. 1929]Lieber Herr Professor Schlick!Vielen Dank für Ihre Karte.⁶⁶ Ich nehme an daß Sie wieder in Wien sind. Ich binziemlich fleißig& hatte auchwährend des Sommers ziemlichviel GlückmitmeinerArbeit. Ich freue mich darauf die Sachen mit Ihnen besprechen zu können, wennich zu Weihnachten (oder vielmehr anfangs Dezember) nach Wien komme. Oder

Bereits im Sommer 1928 hatte die Stanford University Schlick für den Sommer 1929 alsGastprofessor eingeladen (vgl. u.a. Stanford University an Moritz Schlick, 30. Mai 1928). Schlickreiste Ende Mai 1929 nach Amerika und kehrte – nach einem anschließenden vierwöchigenUrlaub in Italien – im Oktober nach Wien zurück. Nicht überliefert. Nicht überliefert.

112 Mathias Iven

werden Sie dann verreist sein? Vor meiner Abreise habe ich H.Waißmann gesehen& gesprochen. Bitte grüßen Sie ihn von mir, wenn Sie ihn sehen. | Ich bin jetztaufgefordert worden, im nächsten Semester hier einen Kurs über Logik zu halten.⁶⁷Und das hat manches Ansprechende für mich & auch manches Abstoßende. Ichweiß noch nicht wie die Resultierende sein wird.

Herzliche Grüße vonIhrem

L Wittgenstein

21 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 2 S.]

Wien, 24. X. [1929]Lieber Herr Wittgenstein,

es hatmir sehr leid getan, dass SieWien schonwieder verlassen hatten, als ichhier eintraf. Für Ihren Brief danke ich Ihnen herzlich. Mit grosser Freude sehe ichaus ihm, dass Ihre Arbeit gute Fortschritte gemacht hat. Auch das hat mich sehrgefreut, dass man Sie in Cambridge gebeten hat, einen Kurs über Logik zu halten.Ichmöchte hoffen, dass Sie sich dazu entschlossen haben; denn es ist tröstlich, zudenken, dass Ihre äussere Tätigkeit Ihrem innersten Berufe so weit wie möglichentspricht. Ich wünschte nur, auch an der Universität Wien möchte möglich sein,was in Cambridge so leicht geht!

Herr Waismann hat mir Ihre Remarks on Logical Form⁶⁸ gegeben | und mirerzählt, dass Sie zwei weitere Publikationen über die Grundl. d. Math.vorbereiten.Ich sehe diesen Arbeiten mit freudiger Spannung entgegen – noch mehr aberIhrem nächsten Besuche in Wien.⁶⁹ Von Anfang Dezember – bis Weihnachten –werde ich ganz bestimmt hier sein. Hoffentlich sehen wir Sie dann recht oft.

Meine amerikanische Reise⁷⁰ hat mich ungemein erfrischt. Dass währendmeiner Abwesenheit meine Freunde gute Absichten in etwas unüberlegter Weise

Wittgenstein begann am 20. Januar 1930 mit seiner ersten offiziellen Lehrveranstaltung zuProblemen der Sprache, Logik und Mathematik (vgl. Wi2: 174.7 bzw. LWL 1984: 19 sowie 23–42sowie Nedo 2012: 275). RLF 1929. Schlick und Wittgenstein trafen sich erst wieder im Dezember 1929 (siehe Nr. 22, Anm. 72). Vgl. Nr. 19, Anm. 64.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 113

ausgeführt haben,wissen Sie.⁷¹ Ich hoffe aber, dass der Sache selbst dadurch keinSchaden zugefügt worden ist.

Wollen Sie Herrn Ramsey von mir grüssen? Ich bin mit herzlichen Wünschenund Grüssen

Ihr aufrichtig ergebenerM. Schlick.

22 Ludwig Wittgenstein an Moritz. Schlick[Bildpostkarte, Hs, 123/Wittg-7]

[Anschrift]HerrnProf. Moritz SchlickIV. Prinz Eugen Str 68Austria Wien

[Poststempel: Cambridge, 3. 12. 1929]Um den 8ten komme ich nach Wien & freue mich auf Gespräche mit Ihnen.⁷² Ihr

Ludwig Wittgenstein

23 Friedrich Waismann mit Zusatz von Moritz Schlick an Ludwig Witt-genstein[Brief, Hs/K, 3 S., 574/X.19]

Wien, 8. Mai 1930Lieber Herr Wittgenstein,

vielen Dank für Ihre Karte!⁷³ Ich schreibe Ihnen heute aus folgendem Grund.Ich bin aufgefordert worden, in unserem Zirkel über den Unterschied zu sprechen,der zwischen Ihrer und der Russellschen Auffassung über die Grundlagen derMathematik besteht.⁷⁴ Ich habe in letzter Zeit viel über diese Fragen nachgedachtund bin in manchen Punkten, wie ich glaube, zu voller Klarheit gekommen. Fallsich spreche, müsste ich natürlich weit ausholen und dabei Dinge zur Sprachebringen, die Sie uns in Ihr unseren Gesprächen dargestellt haben. Ichweiss | nicht,

Vgl. Nr. 17, Anm. 59. Das erste Treffen fand am 18. Dezember 1929 bei Schlick statt (vgl. WWK 1967). Nicht überliefert. Waismann sprach zu diesem Thema am 8., 15. und 22. Mai 1930 (vgl. Stadler 1997: 273).

114 Mathias Iven

ob Sie mit der Publikation Ihres Manuskriptes so weit halten, dass ich das tun darfund möchte Sie fragen, ob \es/ Ihnen recht ist, dass ich in unserem Zirkel überdiese Dinge spreche.

Mir geht es sonst recht gut und ich arbeite fleissig.Mit den besten Wünschen

IhrF.Waismann

Lieber Herr Wittgenstein,was ich von Herrn Waismann über Ihr Manuskript hörte,⁷⁵ hat mich sehr

gefreut. Und von ganzem Herzen bin ich Ihnen dankbar, dass Sie uns später dieausführliche Fassung Ihrer | Arbeit zur Publikation übergeben wollen, wie HerrWaismann mir versicherte. Sie tun damit wirklich ein gutes Werk.

Mit herzlichen Wünschen für Ihre Gesundheit und ArbeitIhr M. Schlick.

24 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-2]

[Anschrift]HerrnProf. Dr M. Schlick,Pension GrosseggMillstattKärnten

Mitterndorf, 15. Aug. 30Verehrter Herr Professor,nein, ich habe wegen meiner Königsberger Reise⁷⁶ nichts gehört u.weiss auch garnicht, ob eine Anmeldung meines Vortrages in diesem Zeitpunkt noch in Frage

Vgl. PB 1964; weiterführend zur Entstehungsgeschichte Wi1: IX/X bzw. Wi2: VII und XI. Vom 5. bis 7. September 1930 fand in Königsberg die Zweite Tagung für Erkenntnislehre derexakten Wissenschaften statt (vgl. dazu auch Kurt Reidemeister an Moritz Schlick, 4. März 1930),an der Waismann teilnahm und auf der er einen Vortrag unter dem Titel „Das Wesen derMathematik. Der Standpunkt Wittgensteins“ hielt (dazu Erkenntnis II, 1931: 135–151, hier spez.140 ff.; siehe auch WWK 1967: 19 f., 102– 107 sowie Stadler 1997: 388–395). Dieser fragmenta-risch überlieferte, erst aus dem Nachlass veröffentlichte Beitrag findet sich in Waismann 1982:157–167 (siehe dort auch 6–8).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 115

kommt. Von Wittgenstein erhielt ich einen Brief über den Eulerschen Primzahl-beweis.⁷⁷ Es scheint ihm jetzt recht gut zu gehen. Auch ich fühle mich in denBergen überauswohl, obwohl der Regen fast alle Ausflugspläne zunichtemacht. –Ich bin jetzt mit dem Text des MS⁷⁸ ziemlich fertig und habe noch die ausführlicheEinleitung sowie verschiedene Erläuterungen zu schreiben. Ein paar guteWochen–u. ich bin fertig. Dass Sie sich jetzt sowohl fühlen, freutmichvonHerzen.Mit denherzlichsten Grüssen u. vielem Dank für Ihre liebe Karte⁷⁹

Ihr F.Waismann

25 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 1 S. bzw. Ts/Ab, 1 S., 123/Wittg-8]

[Poststempel: St. Aegyd, August 1930]Lieber Herr Professor Schlick!Vielen Dank für Ihre freundliche Karte.⁸⁰ Von Waißmann hatte ich einen Brief,⁸¹worin er mir schreibt, es sei nun zweifelhaft ob er die Königsberger Reise werdeunternehmen können. Das tut mir leid, aus egoistischen Gründen.⁸² Mit meinerArbeit geht es besser,wenn auch nicht herrlich; ich bin ziemlich öde&unlebendig.Aber ich soll nicht klagen. – Möchte es Ihnen recht gut gehen!

IhrLudwig Wittgenstein

Nicht überliefert. Vgl. Nr. 5, Anm. 16. Nicht überliefert. Nicht überliefert. Nicht überliefert. Vgl. WWK 1967: 19.

116 Mathias Iven

26 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-3]

[Anschrift]⁸³HerrnProf. Dr M. SchlickCongress of Philosophy⁸⁴New CollegeOxfordEngland.

Wien, 30. 8. 30.Verehrter Herr Professor!Das Gesuch ist bewilligt, ich fahre nach Königsberg. Ich war nun so schön imSchwungmitmeiner Arbeit, nunmuss ich alles abbrechen undHals über Kopf denVortrag für K. ausarbeiten. Aber es freut mich doch, über diese Dinge sprechen zukönnen, und es ist auch Zeit, dass es geschieht. Ich fühle mich sonst recht wohl,

Da die Karte Schlick nachgeschickt wurde, ist die ursprüngliche Anschrift („PensionGrossegg / Millstatt / Kärnten“) gestrichen worden. Schlick war Teilnehmer des Seventh International Congress of Philosophy, der vom 1. bis6. September 1930 in Oxford abgehalten wurde. Sein am vorletzten Kongresstag gehaltener,zuerst 1931 veröffentlichter Vortrag trug den Titel “The Future of Philosophy” (MSGA I/6: 297–303, weiterführend der editorische Bericht, ebd.: 293 ff.). In seinem Kongressbericht fasste deramerikanische Philosoph Percy Brand Blanshard (1892– 1987) Schlicks Vortrag wie folgt zu-sammen (Blanshard 1930: 603): “But undoubtedly the most startling view of philosophyʼsfunction was offered by Professor Schlick of Vienna. The first person in modern times, heasserted, who has seen ‘with absolute clearnessʼ [MSGA I/6: 298] the business of philosophy isMr. Ludwig Wittgenstein. His great discovery is this, that philosophy is not a science, but theprocess of making ideas clear. Science is the only knowledge worthy the name, and the onlyphilosophy worthy the name consists of the ‘activities, proceedings, and contrivances necessaryfor the discovery and proofʼ [ebd.: 300] of scientific propositions, and for ascertaining what theymean. By reason of this discovery, ‘we are witnessing the beginning of a new era of philosophy.ʼ[ebd.: 298] ‘Metaphysical tendencies will be entirely abandoned, simply because there is no suchthing as metaphysics, the apparent descriptions of it being just nonsensical phrases.ʼ [ebd.: 302]The consummation Professor Schlick devoutly wished and confidently looked forward to wasthat ‘no more books will be written about philosophy, but all books will be written in a phi-losophical manner.ʼ [ebd.: 303] One fancies the ghost of Comte clapping its hands in thebackground; but do not these prophecies of the death of metaphysics grow a little unconvincingas the worldʼs great age keeps forgetting to usher itself in?” – Siehe auch die Notiz von CharlesWerner (1931: 353).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 117

gestärkt und erfrischt, und hoffe dasselbe von Ihnen zu hören. Ich reise Dienstagd. 5. ab.

Mit den herzlichsten Grüssen Ihr F.Waismann

27 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-4]

[Anschrift]HerrnProf. Dr M. SchlickWien, IV.Prinz Eugenstr. 68

Königsberg, 8. 9. 30Verehrter Herr Professor!Alles ist glücklich überstanden, ich habe eine Stunde lang gesprochen, wie ichhoffe ziemlich klar, der Vortrag wird gedruckt⁸⁵ und somit ist alles in Ordnung.Sonst bietet der ganze Kongress natürlich wenig, auch Hilbert war nichts Rech-tes.⁸⁶Aber Königsberg ist wirklich eine reizende Stadt undman kann sich hier sehrwohl fühlen. Hoffentlich sind Sie mit Oxford zufrieden? Ich komme am 10. nachWien u. hoffe gegen den 20.Wittgenstein zu treffen. Mit den herzlichsten Grüssen

Ihr F.Waismann

Vgl. Nr. 24, Anm. 76. Zeitgleich bzw. im Anschluss an die Zweite Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissen-schaften fanden in Königsberg der 6. Deutsche Physiker- und Mathematikertag (4. bis 6. Sep-tember) sowie die 91. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (7. bis11. September) statt. In der Vorankündigung (Erkenntnis I, 1930/31: 80/81) wurde – versehen mitdem Vermerk: „Unter den Vorträgen dürften in philosophischer Hinsicht besonders interessieren[…]“ – unter anderem auf Hilberts Vortrag „Naturerkenntnis und Logik“ (gedruckt u.d.T. „Na-turerkennen und Logik“) hingewiesen, den dieser am 8. September hielt und den Waismannoffenbar gehört hat.

118 Mathias Iven

28 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 3 S., 123/Wittg-9]

[Poststempel: […]ernhof – St. Pölten] 18. 9. [1930]Lieber Herr Professor Schlick!Vielen Dank für die Zusendung des Heftes der „Erkenntnis“.⁸⁷ Es tut mir sehr leid,daß ich nicht imstande war, zwischen dem 10ten & 15ten nach Wien zu kommen umSie zu sehen.Vor zwei Tagen fragte ich telephonisch in IhrerWohnung an & erfuhr,daß Sie bereits amMontag nach Italien abgereist seien. Ich fahre übermorgen nachWien & eine Woche drauf nach Cambridge. – Was den Artikel⁸⁸ anbelangt somöchte ich nur Eines sagen: Sie wissen – oder ich hoffe, daß Sie es wissen – wiedankbar ich Ihnen für Ihre freundliche Gesinnung & Anerkennung bin. Aber dasist eine persönliche Sache.Und ichwollte | Sie könnten Ihre – so wohlgemeinten –Fanfarenstößemildern. Es ist ja doch kein Grund zum Triumph; aus 1000 Gründennicht.Undvergessen Sie, bitte, nicht das herrlicheWort Nestroys (ich kann es nichtwörtlich zitieren): der Fortschritt hat es so an sich, daß er immer größer ausschaut,als er ist.⁸⁹ Und überhaupt, in dieser Welt von Ausrufern kann man sich amrichtigsten durch Stille denen zu Gehör bringen, denen man sich verständlichmachen sollte. Verzeihen Sie mir bitte diese \breiten/ Erörterungen! Sie ent-springen keiner Bescheidenheit, sondern nur der Einsicht in manches, das mir\mindestens/ so klar ist, wie irgendwelche Philosophie.

Möchten Sie sich recht erholen. | Noch habe ich Ihnen nicht für Ihre liebenZeilen aus Oxford gedankt.⁹⁰ Ich stelle mir vor daß dieser Kongress etwasschreckliches gewesen sein muß. –Mit meiner Arbeit geht es mäßig gut – ich darf

Es handelte sich hierbei um das erste, 1930 erschienene Heft der aus den Annalen derPhilosophie hervorgegangenen Zeitschrift Erkenntnis, das u.a. Beiträge von Carnap („Die alteund die neue Logik“), Feigl („Wahrscheinlichkeit und Erfahrung“), Frank („Was bedeuten diegegenwärtigen physikalischen Theorien für die allgemeine Erkenntnislehre?“), Mises („Überkausale und statistische Gesetzmäßigkeiten in der Physik“), Neurath („Wege der wissenschaft-lichen Weltauffassung“), Reichenbach („Kausalität und Wahrscheinlichkeit“) und Waismann(„Logische Analyse des Wahrscheinlichkeitsbegriffs“) enthielt. Gemeint ist Schlicks im ersten Band der Erkenntnis veröffentlichter Artikel „Die Wende in derPhilosophie“, wo es u.a. heißt (MSGA I/6: 215): „Die Wege gehen von der Logik aus. Ihren Anfanghat Leibniz undeutlich gesehen, wichtige Strecken haben in den letzten Jahrzehnten GottlobFrege und Bertrand Russell erschlossen, bis zu der entscheidenden Wendung aber ist zuerstLudwig Wittgenstein (im ,Tractatus logico-philosophicus‘, 1922) vorgedrungen.“ Bezieht sich auf einen Satz Nestroys aus der 1847 uraufgeführten Posse mit Gesang „DerSchützling“ (IV, 10), der PU vorangestellt wurde (vgl. TS 227: 1): „Überhaupt hat der Fortschrittdas an sich, dass er viel größer ausschaut als er wirklich ist.“ Nicht überliefert.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 119

mich nicht beklagen. Ich freue mich herzlich darauf Sie zu Weihnachten zu sehen& hoffe, daß ich Ihnen Günstiges \über die Arbeit/ werde melden können.Nochmals herzlichen Dank für Alles & Grüße von

IhremLudwig Wittgenstein

29 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 2 S. bzw. Ts/Ab, 1 S., 123/Wittg-10]

[Poststempel: Cambridge, 27. 11. 1930]Lieber Herr Professor Schlick!Vielen Dank für die Zusendung Ihres Buches.⁹¹ Ich habe nur gerade hineingese-hen. Ich glaube, ich werde in vielem nicht mit Ihnen übereinstimmen.⁹² Abervielleicht ließen sich diese Gegensätze auch leichter lösen, als es mir vorkommt.Ich bin übrigens jetzt unfähig \Ihnen/ etwas \näheres/ darüber zu schreiben oderüberhaupt etwas vernünftiges zu denken, da ich noch unter der Nachwirkungeiner Influenza stehe,⁹³ von | der ich mich nur äußerst langsam erhole. In 10 – 14Tagen hoffe ich in Wien zu sein & Sie dann zu sehen.⁹⁴

Seien Sie herzlichstgegrüßt von IhremL Wittgenstein

Bitte grüßen Sie Waißmann!

30 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 3 S.]

[Wien] 6. XII. 30Lieber Herr Wittgenstein,

herzlichen Dank für Ihre Zeilen! Sie sind mir mit Ihrem Brief zuvorgekommen,denn ich hatte die Absicht, Ihnen bei Gelegenheit der Übersendung des ethischen

Es handelte sich um Schlicks 1930, als vierter Band der Schriften zur wissenschaftlichenWeltauffassung veröffentlichtes Buch Fragen der Ethik (MSGA I/3: 347–536). Vgl. WWK 1967: 115 ff. Siehe dazu auch LE 1989. Vgl. Ludwig Wittgenstein an Sudhir Kumar Bose, 4. Dezember 1930. Die Treffen fanden am 17., 26., 28. und 30. Dezember 1930 sowie am 1. und 4. Januar 1931 statt(vgl. WWK 1967). Abweichend davon notierte sich Schlick in seinem Taschenkalender den16. Dezember 1930 als Termin des ersten Treffens (vgl. Inv.-Nr. 88, C.32– 1).

120 Mathias Iven

Büchleins⁹⁵ zu schreiben, und Ihnen zu sagen, dass die Übersendungweniger eineAufforderung zumLesen darstellen sollte (denn ichweiss, dass Sie Besseres zu tunhaben), als vielmehr eine Bekundung meiner Absicht, die Schrift nicht vor Ihnenzu verheimlichen. Für den Fall, dass Sie doch hineinsehen sollten, glaubte ich,würde Ihr Urteil sein, dass das Ganzemit Ethik nichts zu tun habe – und daswürdeich gar nicht als negative Kritik auffassen.Über die Punkte, in denen Sie dann nochdirekt anderer Meinung sind, möchte ich natürlich sehr gern mit Ihnen sprechen,aber viel wichtiger wird es sein, von Ihren neuen Arbeiten zu hören, und ichmöchte nicht, dass Sie wertvolle Zeit auf die Lektüre des kleinen Buches ver-wenden.

Ich freuemichwirklich sehr, dass Sie schon in einigen Tagenwieder hier | seinwerden, und ich hoffe von Herzen, dass Sie die dumme Influenza dann ganzüberwunden haben.

Waismann,dem ich IhreGrüsse übermittelte, freut sich auch sehr auf Sie. Aberich habemeine Sorge mit ihm. Den Königsberger Vortrag hat er aus einem fertigenManuskript vorgelesen – aber glauben Sie, dass er inzwischen Zeit gefunden hätte,der Arbeit die beabsichtigte endgültige Form zu geben? Keine Spur! Wenn we-nigstens seine grössere Arbeit endlich abgeschlossen würde!

Ich glaube, ich habe Ihnen noch nicht für Ihre Zeilen gedankt, die mir AnfangSeptember nach Oxford nachgeschickt wurden.⁹⁶ Ich kann es Ihnen nicht verargenund finde es verständlich, dass Sie von dem programmatischen Aufsatz in derZeitschrift „Erkenntnis“ nicht erbaut waren, und wahrscheinlich haben Sie recht,wennSiemeinen,dass Aeusserungen in dieser Formnicht zweckmässig sind. AberSie nehmen es gewiss auch nicht übel, wenn der Mund (oder die Feder) von demüberläuft,wovon das Herz voll ist.⁹⁷ In der Vorrede zuWaismann’s Buch⁹⁸ habe ichja denselben Ton angeschlagen, und auch in meinem Oxforder Vortrag⁹⁹ konnteich | mich nicht enthalten, noch einmal recht eindringlich zu sagen, was mir sowichtig scheint. Aber ich fühle selbst, dass es damit nun genug ist. Sie werdensehen, dass von jetzt ab wieder die grösste Einfachheit und Sachlichkeit bei unsherrschen wird.

Vgl. Nr. 29, Anm. 91. Vgl. Nr. 28. Vgl. Nr. 8, Anm. 30. Die Vorrede zu Waismanns Buch erschien zuerst in Waismann 1976: 11–23 (jetzt in MSGAII/1. 2: 73–86). Vgl. Nr. 26, Anm. 84.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 121

Ich freue mich ausserordentlich darauf, Sie in einigen Tagen wieder zu sehenund sende Ihnen inzwischen sehr herzliche Grüsse.

IhrM. Schlick.

31 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs/K, 123/Wittg-11]

[Anschrift]HerrnProf. M. SchlickIV. Prinz Eugen Str. 68WienAustria

[Poststempel: Cambridge, 9. 3. 1931]Lieber Herr Prof. Schlick!Vielen Dank für Ihre liebe Karte.¹⁰⁰ Ich komme Sonntag 15. nach Wien & werde Siebald anrufen.¹⁰¹ Ich bin jetzt sehr müde da ich viel für [mich]? & auch sonst ge-arbeitet habe.

Auf Wiedersehen!IhrL Wittgenstein

32 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/Kb, 2 S., 123/Wittg-12]¹⁰²

[Poststempel: Wien, 20. 3. 1931]Kundmanngasse 19

Lieber Herr Professor Schlick!Verzeihen Sie bitte vielmals daß ich heute nicht ins Caffeehaus gekommen bin. Ichbekam gestern abend einen Anfall von Gallensteinen & muß daher heute liegen.

Nicht überliefert. In Schlicks Taschenkalender findet sich ein Vermerk für ein Treffen am 17. März 1931 (vgl.Inv.-Nr. 88, C.32–2). Briefpapier mit geprägtem Kopf (alles in Großbuchstaben): „Stonborough / Renngasse 4 /Vienna“.

122 Mathias Iven

Wenn ich Sie nicht mehr sehe¹⁰³ so nehmen Sie meine allerbesten Wünsche | mitnach Dalmatien.¹⁰⁴ Vielleicht könnte ich Sie noch morgen auf eine Minute sehen.Ich liege im Haus meiner Schwester Stonborough in der Kundmanngasse.Werdeaber gewiß morgen schon aufstehen.Möge ich bald wieder arbeitsfähig sein!!

IhrLudwig Wittgenstein

33 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 2 S., 123/Wittg-13]

[Anschrift auf dem Briefumschlag]HerrnProf. M. SchlickIV. Prinz Eugen Str 68Austria Wien

[Poststempel: Cambridge, 27. 5. 1931]Lieber Herr Professor Schlick!Vielen Dank für Ihre liebe Karte.¹⁰⁵Mein Unterleib ist jetzt soweit in Ordnung. Nurmein Kopf ist nicht so frisch als ich wünschen würde & vielleicht etwas über-müdet. Ich werde froh sein wenn in einer Woche der Unterricht ein Ende nimmt.Seit 2 Tagen haben wir gutes Wetter & da fühlt man sich gleich ganz anders. Bisjetzt war es sehr kalt & | regnerisch. –Wie’smit meiner Arbeit geht werde ich Ihnenmündlich besser erklären können. Ich glaube ich werde in ca. 14 Tagen nachWienkommen & freue mich darauf Sie wiederzusehen. Bitte grüßen Sie H.Waißmannherzlich. Er soll fest arbeiten!!

Auf Wiedersehen& herzlichste Grüße

IhrLudwig Wittgenstein

Ein weiteres Treffen fand, lt. der Eintragung in Schlicks Taschenkalender, am 25. März 1931statt (vgl. Inv.-Nr. 88, C.32–2). Vgl. Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 27. März 1931. Nicht überliefert.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 123

34 Moritz Schlick an Friedrich Waismann[Brief, Ts/Kb/K (Unterschrift Hs), 2 S., 122/Wai-10]

Department of Philosophy¹⁰⁶University of CaliforniaBerkeley, Cal. U. S. A. [Berkeley] 10. Sept. 1931.¹⁰⁷

Lieber Herr Waismann,diese Zeilen sollen Ihnen sagen, dass es mir sehr gut geht, dass ich oft an Sie

und alle Wiener Freunde denke und die besten Wuensche¹⁰⁸ fuer Ihre Gesundheitund Arbeit hege. Morgen werden schon vier Wochen seit meiner Ankunft ver-flossen sein; ich schreibe Ihnen aber erst jetzt, um Ihnen nicht etwa ein voreiligesBild von den Verhaeltnissen zu geben.¹⁰⁹

Diese Verhaeltnisse sind in allen wichtigen Beziehungen aeusserst guenstig.Berkeley ist vermutlich die schoenst gelegene Universitaet derWelt, und ichwerdemich nie satt sehen an dem Blick ueber die Bay von San Francisco, die Bergejenseits,und durch das Goldene Tor auf denOcean hinaus. Alles das siehtmanvonzahllosen Punkten der Stadt und der Universitaet, denn beide sind an den Ab-haengen 500 m hoher Berge hinaufgebaut. Die Universitaet, am oberen Rande derStadt, besteht aus einem fabelhaften Park, Sommer und Winter gleich gruen,“Campusˮ genannt, in dem alle Institute und Auditoriengebaeude weit verstreutliegen. Ich wohne drei Minuten vom Campus entfernt in einem Familienhotel insehr schoener Lage, und es ist herrlich, aus den Fenstern durch die Zweigekoestlicher Mimosenbaeume auf die Bay hinauszuschauen. Der Gang in dieVorlesungen oder in mein Studierzimmer in der Universitaet ist wahrhaft wun-derbar unter Palmen und maechtigen Eukalyptusbaeumen. Die von der Land-schaft ausgehenden Anregungen werden gewiss verhindern, dass ich durch dieecht amerikanische Bequemlichkeit der Lebensweise zu faul werde, um ordentlichzu arbeiten. Ich bin Besitzer eines schoenen Chrysler-Autos, ich fahre im Lift inmein Arbeitszimmer, das mir die Universitaet in einem Hauptgebaeude auf demCampus zur Verfuegung gestellt hat; ich habe einen Assistenten, der schlechthinalles fuer mich besorgt ausser dem tatsächlichen Abhalten der Vorlesungen. Diesemachen mir uebrigens ebenso wenig Muehe wie das Seminar, und ich brauchemich schlechterdings ueberhaupt nicht vorzubereiten. Ich haette also die aller-

Briefkopf mit Schreibmaschine, am oberen Blattrand (mittig) das Universitätssiegel. Schlicks Aufenthalt in Berkeley dauerte vom August 1931 bis zum Mai 1932 (vgl. MoritzSchlick an Rudolf Carnap, 1. August 1931 bzw. ders. an Albert Einstein, 9. Mai 1932). Die fehlenden Umlaute sind der amerikanischen Tastatur der Schreibmaschine geschuldet. Siehe dazu auch Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 19. September 1931.

124 Mathias Iven

beste Musse, um fuer mich selbst zu arbeiten, wenn ich nicht vorlaeufig nochdurch manche Kleinigkeiten in Anspruch genommen waere: ich muss ziemlichviel Zeit meinen Kindern widmen (meine Frau kommt erst in einer Woche), ichmuss bei offiziellen Gelegenheiten Reden halten, mich im Autosteuern ueben undan Ausfluegen etc. meiner Kollegen teilnehmen. Die Philosophen der Universitaetsind besonders sympathische Leute. Es sind zwei Ordinarien und vier Extraor-dinarien, wozu noch eine Reihe von “teaching fellowsˮ kommen. Die Professorennennen sich alle beim Vornamen und sind ausserordentlich herzlich miteinander.Von Bonzenhaftigkeit und aehnlichem ist nichts zu spueren.

Trotz den erwaehnten Stoerungen habe ich doch ganz nette Anfaenge zurArbeit gemacht. Ich habe begonnen, meine | Vorlesungen nachtraeglich aufzu-schreiben, um sie dann in Buchform (auf englisch) herauszugeben.¹¹⁰ Den fuerEinstein bestimmten Aufsatz ueber die Realitaetsfrage¹¹¹ habe ich wieder aufge-nommen, und er ist fast fertig. Leider muss ich auch einen laengeren Aufsatz fuerdas Jahrbuch dieser Universitaet ueber Kausalitaet¹¹² schreiben. Dies Themawurde von der Fakultaet mir zu Gefallen als Thema dieses Jahrbuches gewaehlt;ich haette jetzt aber natuerlich lieber einen andern Gegenstand behandelt.

Mit denHoerern, besonders im Seminar, bin ich sehr zufrieden; es ist viel guterWille und erquickende Unvoreingenommenheit vorhanden; auch an Intelligenzfehlt es durchaus nicht.

Ich hoffe von ganzer Seele, dass Sie mir Gutes ueber Ihre Arbeiten werdenberichten koennen. Ich glaube, wir hatten uns geeinigt, dass Sie den Aufsatzu[e]ber die Grundlagen der Mathematik als Dissertation¹¹³ waehrend meiner Ab-wesenheit einreichen. Ich bin ueberzeugt, dass Sie da keine wesentlichenSchwierigkeiten haben werden. Vergessen Sie auch bitte nicht, Reininger unmit-telbar vor Beginn des Semesters aufzusuchen und mit ihm ueber das Proseminarzu sprechen; ferner, ihm zu sagen, dass wir fuer dies Jahr den fuer die Bibliothekzur Verfuegung stehenden Betrag bereits aufgebraucht haben, sodass das Institutihn mir schuldet. Ich nehme als sicher an, dass Sie auch das MS Ihres Buches¹¹⁴wa[e]hrend der kommendenMonate ganz fertig stellen, sodass es noch vor meinerRueckkehr erscheint. Ausserdem ist sehr wichtig, dass Sie auch Ihr Thesenma-

Gemeint sind die aus dem Nachlass herausgegebenen Aufzeichnungen unter dem Titel„Philosophy as Pursuit of Meaning“ (MSGA II/1. 2: 125– 144). Schlick 1932/33. Schlick 1932. Waismanns Promotion erfolgte erst 1936. Grundlage waren die zuvor publizierten Artikel„Logische Analyse des Wahrscheinlichkeitsbegriffs“ und „Über den Begriff der Identität“. Vgl. Nr. 5, Anm. 16.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 125

nuskript¹¹⁵ in irgendeiner Form zum Abschluss bringen. Wir haben den Leutengegenueber, die darauf subskribiert haben, eine Verpflichtung uebernommen.Ausserdem ist es auch um der Sache selbst willen begruessenswert. Ich bitte Sieferner, mir ein Exemplar der Thesen in ihrer jetzigen Form fuer Prof. Mackay¹¹⁶hierher zu schicken. Sein Exemplar ist naemlich sehr unvollstaendig. Eventuellwerde ich die Blaetter, die er bereits besitzt, wieder zuruecksenden.

Ich vermute, dass Sie im September oefters Gelegenheit gehabt haben, Witt-genstein zu sprechen und dass er Ihnen einiges von den neuen Ergebnissenmitgeteilt hat. Bei Ankunft dieser Zeilen wird er wohl schon nach England zu-rueckgekehrt sein, sonst wuerde ich Sie bitten, ihn herzlich zu gruessen. Ich habedie Absicht, ihm von hier zu schreiben.

Ihnen und Ihrer Gattin wuensche ich von ganzem Herzen alles Gute. AusIhrem Sommeraufenthalt in Goisern haben Sie gewiss frische Kraeftemitgebracht.Moechten sie bis zum naechsten Sommer vorhalten!

Schreiben Sie mir recht bald. Mit den allerbesten Gruessen fuer Sie und IhreGattin

IhrM. Schlick.

35 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/Kb/K, 2 S.]

Department of Philosophy¹¹⁷University of California [Berkeley] 21. September. [1931]Berkeley, Calif.U. S. A.

Mein lieber Herr Wittgenstein,es sind zwei Monate, seit ich Sie zuletzt sah.¹¹⁸ Ich habe oft an Sie gedacht und

Ihnen Gesundheit und guten Fortgang der Arbeit gewünscht. Sie können sichdenken, dass Ihr Name in meinem Seminar hier oft genannt wird. Unter denTeilnehmern sind verständige Leute, lernbegierig und nicht zu sehr durch Vor-urteile belastet. Ich bin also ganz zufrieden. Und mit den Lebensumständen binich ausserordentlich zufrieden. Das heisst aber nicht, dass ich nicht doch im

Offenbar gemeint Waismann: „Thesen“ (WWK 1967: 233–261). Donald Sage Mackay (1892– 1951) wirkte von 1927 bis zu seinem Tod in Berkeley. Handschriftlicher Briefkopf, am oberen Blattrand (mittig) das Universitätssiegel. Siehe dazu Wi4: VII.

126 Mathias Iven

Frühling sehr froh sein werde, die oesterreichischen Berge wiederzusehen. MeineKinder fühlen sich besonders wohl hier.

Sie haben bestimmt nicht vergessen, dass Sie mir einen Auszug aus IhrenManuskripten hierher senden wollten; ich hoffe aber auch, dass Sie Zeit gefundenhaben, einen solchen Auszug zu machen. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf.

Als wir kürzlich einmal über den Gesichtsraum sprachen, fiel mir ein Faktumein, auf das ich Sie nachträglich aufmerksam machen möchte: die sog. Bewe-gungsnachbilder.Wennman nämlich einen rotierenden Gegenstand (Windmühle)längere Zeit betrachtet und dann den Blick auf einer ruhenden Fläche (Tapeten-wand) ruhen lässt, so scheint sich ein entsprechendes kreisförmiges Stück derFläche gegenüber dem ruhenden Rest in | entgegengesetzter Richtung zu drehen.Das führt zu einer eigentümlichen Grammatik, in der es so etwas wie „Bewegungohne Ortsveränderungˮ gibt.

Bitte lassen Sie bald von sich hören. Ich denke dass Sie jetzt noch inWien sindund dort auch Waismann gesprochen haben. Diese Zeilen richte ich aber nachCambridge, denn ich glaube mich zu erinnern, dass das Trimester dort AnfangOktober beginnt.

Von Herzen beste Gruesse und Wünsche!Ihr M. Schlick.

36 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 4 S., 123/Wittg-14]

Trin. Coll. 30. 10. 31Mein lieber Herr Proffessor [sic!] Schlick!Vielen Dank für Ihren Brief. Ich habe in diesen Ferien d.h. in den letzten 6Wochenderselben aus meinen Manuskripten \in die Schreibmaschine/ diktiert, bin abernicht ganz fertig geworden.¹¹⁹ Nun aber müßte das Getippte gesichtet & ein weniggeordnet werden (es sind ungefähr 400 Seiten mit weiten Zwischenräumen, Ab-sätzen etc) ehe ich es Ihnen schicken könnte. Dazu habe [?] ich aber jetzt we-nigstens, keine Zeit. Nicht weil ich zu viel unterrichten muß, denn ich unterrichtein diesem Jahr beinahe gar nicht; aber | weil mich das Fortführen meiner Arbeit zusehr beschäftigt. Ich glaube jetzt übrigens doch den Kreis der Gegenstände imWesentlichen abgeschlossen zu haben, den ich mir vorgesetzt hatte, & ich hoffe

Gemeint sind Teile der Aufzeichnungen (enthalten in Wi3 und Wi4), aus denen nachweiteren Bearbeitungsstufen (TS 211, TS 212 und “Big Typescript”) die Philosophische Grammatik(PG 1969) hervorging (siehe zum Entstehungsprozess Wi3: IX sowie, den Titel betreffend, ebd.:305.5).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 127

vor einem Jahr mit der Arbeit fertig zu werden, soweit es mir überhaupt gegebenist, sie \oder irgend etwas/ fertig zu machen. Ich beeile mich mit meiner Arbeitdenn, offen gestanden, es drängt mich etwas drucken zu lassen & zwar nicht ausedlenMotiven: Es istmir ein unangenehmer Gedanke, daß,wenn ich heute sterbensollte, es doch sehr schwer | wäre die Antworten auf verschiedene Fragen, die inmeinen Manuskripten enthalten sind, aus diesen zu entnehmen. Und mich be-wegen dabei ganz gemeine Eitelkeits- & Prioritätsschweinereien. Möchte ich diesetrottelhaften Gedanken überwinden \loswerden/ können. Aber ich bin weit davonentfernt. Amwohlsten ist [es]?mir,wenn ich denke–was auchwahr ist– daß ich jadoch nur für ein paar Freunde schreibe & wer es sonst genießen will, & daß es aufEntdeckungen & Erfindungen nicht ankommt. Dabei beruhige ich mich auch;wenn auch die \meine/ Dummheit nicht aufhört [ihr]? | viel zu treiben mich immerwieder hie & da zu beunruhigen. Sollte ich übrigens jetzt sterben (es geht mir abergesundheitlich sehr gut), so weiß ich, Sie werden Sich meiner Sache annehmen,wenn sie auch sehr schwer verständlich sein dürfte. Hoffen wir das Beste! – Es istvielleicht doch nicht ausgeschlossen, daß ich Ihnen noch nach Amerika etwaswerde schicken können. – Leben Sie wohl und behalten Sie

in gutem AngedenkenIhren

Lud Wittgenstein

37 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 6 S., 123/Wittg-15]

[Cambridge] 20. 11. 31Lieber Herr Professor Schlick!Ich kann Ihnen in der Waißmann-Sache nicht anders beistehen, als daß ichWaißmann einen Auszug aus Ihrem Brief ¹²⁰ an mich & mit einigen Bemerkungenvon mir schicke. Meine ganze Beredsamkeit in dieser Sache kann ich nämlich nurdaher nehmen, daß es unanständig ist, Sie so lange warten zu lassen & einwiederholt gegebenes | Versprechen noch nicht eingelöst zu haben. Für die Sacheselbst kann ich mich ja nicht begeistern. Ich bin ja überzeugt daß W. sehr vielesganz anders darstellen würde als ich es für richtig halte. Und das bringt mich aufIhre Bemerkungüber einen [?] Teil der „Abhandlung“: Ich binmit sehr, sehr vielenFormulierungen des Buches heute nicht einverstanden. Dennoch kann ich jetztweiter gar nichts tun, als | ruhig an andern Formulierungenweiterzuarbeiten. D.h.:auch ich kann mein Versprechen – wenn es ein’s war – Ihnen lieber H. Proffes-

Nicht überliefert.

128 Mathias Iven

sor [sic!] einen vernünftigen, oder verständlichen, Auszug aus meinen Manu-skripten zu schicken, nicht halten. [?] Nebenbei: alles \oder doch das meiste/ was„Elementarsätze“ & „Gegenstände“ betrifft hat sich mir als fehlerhaft ge-zeigt \erwiesen/ & mußte gänzlich umgearbeitet werden. – Es schmerzt michIhnen nicht besser an die Hand | gehen zu können. Aber es kann nicht sein. Ichhoffe bis zu Ihrer Rückkunft zu leben, Sie dann zu sehen & manches erklären zukönnen. Ich konnte in der letzten Zeit ziemlich viel arbeiten & hatte dazu die Zeit,da ich nur 2 Stunden der Woche unterrichte. – Wie gesagt: Ich hoffe zu Gott Sienoch sehen zu können & dann meine Arbeit auseinandersetzen zu können. Nureine Bemerkung möchte ich machen, obwohl ich nicht weiß, ob sie Ihnen | helfenkann: Vielleicht der Hauptunterschied zwischen der Auffassung des Buches &meiner jetzigen ist, daß ich einsah, daß die Analyse des Satzes nicht im Auffindenverborgener Dinge liegt, sondern im Tabulieren, in der übersichtlichen Darstel-lung, der Grammatik, d.h. des grammatischen Gebrauchs, der Wörter. Damit fälltalles Dogmatische, was ich über „Gegenstand“, „Elementarsätze“ etc. gesagthabe.Will man z.B. das Wort „Gegenstand“ | verstehen, so sehe man nach wie estatsächlich gebraucht wird. – Aber genug. Es nützt ja doch nichts, zwei Worte zusagen, wo kaum ein Buch die Sache klarmachen kann \wird/. – Bitte bleiben Siemir trotz allem gut gesinnt.

Ihr dankbarerLudwig Wittgenstein

Grüßen Sie bitte Ihren Sohn.Frohe Weihnachten!!!Ein Brief an W. ist abgegangen¹²¹

38 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 8 S., 122/Wai-5]

Wien, 23. Nov. 1931\II, Fruchtg. 3/¹²²

Lieber, verehrter Herr Professor!Ichweiss, dass ich Ihnen schwere Sorgen bereite. Zunächst ist es ja ungeheuer

unanständig von mir, dass ich Ihnen so lange nicht schreibe. Darf ich das er-klären? Ichwar in der letzten Zeit krank (hatte hohes Fieber), der Brief fielmir recht

Nicht überliefert. Die Adresszeile – offenbar von Schlick – nachträglich eingefügt.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 129

schwer und so schob ich ihn von Tag zu Tag auf. Ferner hat mich ein schwererSchlag getroffen: Mein Vater ist gestorben, ganz unerwartet, und dieses Ereignisging mir furchtbar nahe,weit mehr, als ich geahnt habe. Ich hatte eine Zeit tiefsterDepression. Fast um dieselbe Zeit ist meine Frau sehr ernst erkrankt. Ich hatteWochen der grössten Sorge, in denen ich mich kaum aufrecht halten konnte. Ichbitte Sie also herzlichst, verzeihen Sie mir mein langes Stillschweigen! Ich machtemir die grössten Vorwürfe, aber es war wie eine Art inneren Gelähmtseins – ichbrachte nicht das Geringste zustande. Nun ist meine Frau wieder hergestellt undich fange an, mich von dem Druck zu lösen.

| Nun zur Sache. Als Prof. Frank in Wien war, machte er mir den Vorschlag,sein Buch als Bd 1 der Sammlung erscheinen zu lassen.¹²³ Ich sagte ihm, dassdadurch vieles umgestossenwürde, z.B. Ihr Vorwort;¹²⁴ die Entscheidung liege beiIhnen; wenn Sie einwilligten, könnte auch ich nichts dagegen haben. Natürlichdachte ich sofort nach, was ich tun soll. Und hier muss ich offen und ehrlichfolgendes sagen: Es ist schon wahr, dass ich ein Zauderer bin und mir viele,vielleicht allzuviele Bedenken mache. Aber der Hauptgrund für mein Säumen istdas nicht. Der \wahre/ Grund ist der, dass ich einfach nicht zum Arbeiten komme,weil ich den grössten Teil meiner Zeit mit Stundengeben verbringen muss. LassenSie mich offen sprechen, Herr Professor! Ich weiss nicht [an]? Stellen Sie sich auchrichtig vor, was es heisst, von Privatstunden zu leben?¹²⁵ Dass es heisst: auf eineregelmässige Zeiteinteilung verzichten, jederzeit seinen Schülern zur Verfügungstehen, ganz auf ihre Interessen eingehen? Dass man die Verantwortung für denErfolg übernimmt, dass man seine ganze Kraft hergeben muss, wenn man seinenRuf als | Lehrer nicht verlieren will? Glauben Sie mir: Man bezahlt für die Tätigkeitmit Zeit, Geduld, Schwung und Nervenkraft. Und wenn man dann so einen Taghinter sich hat, ist man gehetzt, verbraucht und müde und gar nicht in der Ver-fassung, heikle und schwierige Dinge zu schreiben. Das allein und sonst ist nichtsist der Grund,warum ich nicht fertig werde. Hätte ich nur ein einziges Mal ein paarMonate aufatmen können, so wäre das Buch schon längst gedruckt. Ich sehe ja,wenn ich einmal eine Woche frei bin, komme ich ordentlich vorwärts. Aber wennich gerade im besten Zug bin und die Sätze mir zuströmen, fangen die Stunden an– und wieder ist alles vorbei und abgerissen. Mit diesem ewigen Sichablösen vom

Philipp Franks Buch Das Kausalgesetz und seine Grenzen erschien 1932 als fünfter Band derSchriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung. Vgl. Nr. 30, Anm. 98. Wittgenstein empfahl seinem Neffen John Jerome Stonborough (1912–2002), sich in einpaar Privatstunden von Waismann in die Philosophie einführen zu lassen, um durch die fi-nanzielle Unterstützung damit auch gleichzeitig ein „gutes Werk“ zu tun (persönl. Mitteilungvon J. J. S. an M. I., 18. September 1995).

130 Mathias Iven

WerkundWieder-von-vorn-anfangen,mit diesem quälendenHin undHer habe ichdie letzten Jahre verbracht – ich spreche die Wahrheit.

Immerhin habe ich viel gearbeitet. Grosse Teile sind vollständig fertig, z.B. dieAbschnitte über Sinn, Logik, Syntax; andere sind entworfen. Was fehlt, ist dieAusführung der entworfenen Partieen und die letzte, abschliessende Gestaltungdes Ganzen. Und gerade hierin | liegt für mich die grösste Schwierigkeit, denn dasGanze muss aus einem Guss sein; und eine Glocke kann man nicht stückweisegiessen.

Was also soll ich tun? Das MS so, wie es jetzt ist, in unfertigem, unzusam-menhängendem, lückenhaftem Zustand abliefern? Ich meine: dann wäre es ge-scheiter, es wäre ungeschrieben geblieben. Wenn die neuen Ideen dargestelltwerden sollen, somüssen sie so dargestellt werden, dass man sie versteht und \siein/ ihrem tiefen inneren Zusammenhang sieht. Aus dem Zusammenhang gerissensind es nur Brocken ohne jeden Wert, die man achtlos beiseite schiebt. Soll manalso jetzt, nachdem soviel Arbeit hineingesteckt ist, die Nerven verlieren und, demVerleger zuliebe, \Hals über Kopf/ etwas Unfertiges publizieren, das nur eineUnmenge neuer Missverständnisse erzeugen wird? Soll man sich in letzter Minuteum den ganzen Erfolg betrügen? Glauben Sie nicht, dass ich zu hohe Anforde-rungen an mich stelle und alles in diesem Buch sagen will! Ich habe keinen un-vernünftigen Ehrgeiz. Ich möchte die Sache nur so schreiben, dass ich sie vor mirselbst verantworten kann – und so weit ist das MS nicht.

| Es gibt nur einen Ausweg: Ich muss die Möglichkeit haben, einige Zeit stetigund konzentriert, ungestört von den Stunden, am Buch zu arbeiten. Ich habe nunfolgendes getan: Auf den Rat von Prof. Hahn habe ich ein Gesuch an die Deutsch-Österreichische Wissenschaftshilfe (Notgemeinschaft)¹²⁶ eingebracht mit der Bitteum eine Subvention, um die Arbeit abzuschliessen. Ich erfahre soeben, dass dasAnsuchen bewilligt ist. (Es hängt jetzt nur noch davon ab, ob die Notgemeinschaftin Berlin noch Geld besitzt, um die Summe flüssig zu machen.) Ich werde alsoendlich arbeiten können. Ich mache Ihnen nun folgenden Vorschlag: Bitte, be-wegen Sie den Verleger, noch eine verhältnismässig kurze Zeit zuzuwarten. Ichwerde ununterbrochen arbeiten mit meiner ganzen Kraft, um das MS so rasch wiemöglich abzuschliessen, und Sie werden sehen, dass es diesmal gelingt. Kann ichmich auf die Arbeit konzentrieren, so bringe ich in zwei Monaten mehr fertig alssonst in einem ganzen Jahr. Wie gesagt, es fehlt nicht viel, und doch ist mir dasWenige zuviel,wenn ich [??]¹²⁷ an die Tretmühle gebunden bin und mir nur hie u.

Gemeint ist die 1920 in Berlin gegründete Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Ausdem Zusammenschluss von Notgemeinschaft und Deutschem Forschungsrat entstand 1951 dieDeutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). An dieser Stelle fünf ausgestrichene Worte.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 131

da | eine Stunde abstehlen kann. Es war mein Fehler, dass ich nicht schon ein Jahrfrüher auf diesenAusweg verfallen bin, ich gebe es zu. Aber ichwusste eben nichtsvon dieser Möglichkeit und erhielt erst durch Prof. Hahn Kenntnis von ihr. Ichhoffe nun, dass diese Möglichkeit nicht zu spät kommt und dass es noch gelingt,mit dem Verleger einig zu werden.

Ich danke Ihnen nun noch herzlichst für Ihren ersten ausführlichen Brief.¹²⁸ Eswarmir ein Trost, zuwissen, dass Sie wiederwohlauf sind und sich in IhremneuenWirkungskreis so glücklich fühlen.

Wittgenstein habe ich im Herbst vor seiner Abreise nach England gesehen. Erlässt sich von den Vorlesungen beurlauben,¹²⁹ um ganz ungestört arbeiten zukönnen. Er glaubt, dass nun seine Arbeit dem Ende zugeht.

Mit Prof. Reininger habe ich mich natürlich gleich in Verbindung gesetzt, ihmüber die Absichten des Proseminars berichtet und auch die GeldangelegenheitIhrem Wunsch gemäss geregelt. Ich fand bei \ihm/ das grösste Entgegenkommenund vollkommenes | Verständnis. Nur eine Frage hätte ich da: Prof. Reininger hatvon der Firma Gerold eine Rechnung von S. 260 bekommen, – ist diese Rechnungnicht schon bezahlt? (Ich vermute es, weiss es aber nicht sicher.)

Mit dem Proseminar bin ich diesmal ausserordentlich zufrieden.¹³⁰ Die Hörermachen einen viel besseren Eindruck als in den letzten Semestern und zeigengrosses Interesse, Verständnis und Eifer. Ich hoffe, das Proseminar wird rechtanregend verlaufen. Leider ist der kleine Raum wieder so überfüllt, dass dieTeilnehmer bis auf den Gang hinaus stehen \müssen/. Auf der Liste stehen 64Namen und der Andrang wächst noch immer.

Darf ich Sie nun nochmit einer Anfrage behelligen? Vor einiger Zeit setzte sichein Herr Dr Hertz¹³¹ mit mir in Verbindung und sagte mir, er habe mit Ihnen wegeneiner Dissertation gesprochen und Sie hätten ihmdas BuchvonDuBois-Reymond,Allgemeine Funktionenlehre empfohlen. Er kennt, wie er sagt, auch die neuereEntwicklung, (Frege, Russell und den Intuitionismus) und möchte eine Arbeit

Siehe Nr. 34. Für das akademische Jahr 1931/32 bat Wittgenstein G. E. Moore um die Beurlaubung vonden offiziellen Lehrveranstaltungen, um sich ganz auf seine eigenen Arbeiten konzentrieren zukönnen. Das Thema des Proseminars lautete „Die Aufgabe der Philosophie“ (vgl. dazu in SchlicksNachlass Inv.-Nr. 74, B.56 bzw. Inv.-Nr. 75, B.57). Gemeint ist der Physiker Paul Hertz (1881– 1940). Schlick und er hatten 1921 im BerlinerSpringer-Verlag die erkenntnistheoretischen Schriften von Hermann von Helmholtz in einerkommentierten Ausgabe veröffentlicht (vgl. dazu MSGA I/5: 251–417). Hertz, der sich v.a.Grundlagenfragen der Mathematik und Philosophie widmete, stand dem Wiener Kreis in denzwanziger und dreißiger Jahren nahe und veröffentlichte zwischen 1930 und 1937 insgesamt vierAufsätze in der Erkenntnis. – Siehe auch Max Born an Moritz Schlick, 16. April 1931.

132 Mathias Iven

schreiben über die Entwicklung des Grenzwertbegriffs | mit besonderer Berück-sichtigung der heutigen Lage (Reduzibilitätsaxiom). Ich sagte ihm, ich könne ihmzwar nicht garantieren, meine aber, dass Sie mit einem solchen Thema wohleinverstanden sein würden und dass es doch nur auf die Art der Durchführungankomme. Doch bat er mich, Sie ausdrücklich um IhreMeinung zu fragen,was ichhiermit tue.

Ich hoffe von Herzen, dass Sie sich auchweiter so wohl und kräftig fühlen unddie Musse finden, Ihre Pläne auszuführen.

Bitte, empfehlen Siemich Ihren lieben Angehörigen. Mit den allerherzlichstenGrüssen und Wünschen

IhrF.Waismann

39 Friedrich Waismann an Moritz Schlick¹³²

[Wien, 16. 1. 1932]

[…] In der letzten Stunde vor den Weihnachtsferien kam Wittgenstein auf meineEinladung hin ins Proseminar¹³³ und war alsbald in eine lebhafte Diskussion mitden Hörern verwickelt, denen er eine schwierige Sache durch einige Beispiele soklar zumachen wußte, daß ihm schließlich alle vollkommen zustimmten und sichnur fragten, wer denn der Unbekannte sei, der ihnen die Probleme so interessantauseinandersetzte. Als ich ihnen dann nach demWeggehenWittgensteins verriet,mit wem sie diskutiert hatten – da hätten Sie die Mienen sehen sollen, HerrProfessor!

Ich muß noch jetzt bei der Erinnerung daran lachen. Zuerst wollte es niemandglauben, dann schauten sie sich minutenlang an, versteinert wie die Statuen!Stellen Sie sich nur das Gesicht von Frau Feldmann¹³⁴ vor! Es war zu köstlich –man hätte es fotografieren müssen. […]

Vgl. Nedo 2012: 311. Der Brief wurde Ende der siebziger Jahre von Michael Nedo imNachlass von Thomas Stonborough (1906–1986) entdeckt; da er im Moment nicht zugänglichist, kann er hier lediglich in dieser fragmentarischen Form wiedergegeben werden (persönl.Mitteilung von M. N. an M. I., 30. April 2014). Das von Waismann im WS 1931/32 veranstaltet Proseminar hatte den Titel „Die Aufgabe derPhilosophie“, die erwähnte Lehrveranstaltung fand am 21. Dezember 1931 statt. In dem von derdamaligen Studentin Edith Weisskopf (‐Joelson) (1910–1983) geführten Seminarprotokoll findetsich allerdings kein Hinweis auf Wittgenstein (vgl. Nachlass Schlick, Inv.-Nr. 74, B.56). Eine auch an anderer Stelle in Schlicks Unterlagen erwähnte Studentin.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 133

40 Ludwig Wittgenstein an Rudolf Carnap[Brief, Hs, 1 S., ASP RC 102–78–04]

Cambridge16. 2. 32.

Sehr geehrter Herr Professor Carnap!Ich danke Ihnen bestens für die Zusendung des Sonderdruckes der „Erkennt-nis“.¹³⁵

Ihr ergebenerLudwig Wittgenstein

41 Rudolf Carnap, Rundbrief[Brief, Ts/D (Unterschriftskürzel Hs), 2 S., 095/Carn-29]

Prag, den 2. März 1932.

Mir scheint, ichmuss den Freundenmal wieder einen Bericht schicken, da ichlange nicht geschrieben habe. Ich war ganz beschämt, dass Feigl in der Ver-wirklichung des Rundbriefes mir zuvorgekommen ist, den wir anstelle des alt-modischen individualistischen Briefes einzuführen geplant hatten.

Am 23. Februar hat hier das Sommersemester schon angefangen. Aber meineErnennung habe ich immer noch nicht. Ich bin Supplent für die Professur, die\mir/ vom Präsidenten der Republik im Juni 1931 verliehen worden ist. Und ichbemühe mich, mich selbst möglichst würdig zu vertreten. Seit 3 Wochen heisst esim Ministerium, dass die Formalitäten jetzt im allerletzten Stadium sind, nämlichbei der Uebersetzung des Dekretes ins Deutsche. Seit 3 Wochen soll es mir in denallernächsten Tagen ausgehändigt werden. Für mich ist nur wichtig daran, dassdas richtige Gehalt auch erst von der Aushändigung ab gezahlt wird.

Nach 6 Wochen der Staatenlosigkeit bin ich am 5. Januar endlich hierStaatsbürger geworden. Bald darauf kam ich auch sogar schon vor die Assentie-rungskommission, wurde mit den andern Rekruten nackicht unter das Län-

Carnap 1931a. Briefkopf gestempelt.

134 Mathias Iven

Prag XVII.N. Motol, Pod Homolkou

Prof. Dr. Rudolf Carnap¹³⁶

genmass und vor das Auge des Arztes gestellt, aber zum Glück als untauglichbefunden. Beinahe wäre ich also früher Soldat als Professor hier geworden.

Ich lese jetzt „Einführung in wissenschaftliche Philosophie“ (3 std.), ähnlichwie vor 3 Semestern in Wien. Damals hatte ich 150 inskribierte Hörer, hier bin ichschon stolz diesmal 14 Hörer (wenigstens zum Anfang) gefunden zu haben. Fernerlese ich 2 std. über „Grundlagen der Geometrie“; und dazu Uebungen.

Im Januar habe ich im mathemat. Kränzchen hier über Gödels letzte Arbeit¹³⁷referiert und vorher einmal zur Vorbereitungdarauf über Hilbert. Die Dinge fandensehr lebhaftes Interesse hier. Löwner¹³⁸ und Winternitz¹³⁹ sind intuitionistischeingestellt und haben deshalb besonderes Interesse für das Ergebnis, dass dieFormalisierung der Mathematik nie zu Ende gebracht werden kann.

Mit Frank habe ich einen Donnerstagabendzirkel begonnen. Merkwürdiger-weise sind viele Russen dabei.Wir haben begonnen meinen Metaphysikaufsatz¹⁴⁰zu lesen und darüber zu diskutieren. Mit den Brentanoanhängern, die dabei sind,kann man verhältnismässig gut diskutieren. Sie haben zwar in Manchem andereAnsichten, sind ja aber auch Gegner der grobenMetaphysik; undvor allem sind siestets bemüht, ihre Ansichten und Fragen deutlich zu formulieren. Leider kannman das Letztere von Sergius Hessen (dem bekannten | russischen Philosophenund früheren Mitherausgeber des „Logos“) nicht sagen. Er ist erstens einschrecklicherMetaphysiker, zweitens in seinen eigenen Formulierungen zwar sehrwortreich, aber ganz unklar, drittens im Zuhören immerzu missverstehend. Leiderwar er bisher der Hauptdiskutant. Ich werde aber von jetzt ab versuchen, dieDiskussion hauptsächlich mit Dr. Katkov,¹⁴¹ (auch einem Russen, Assistenten vonKraus) zu führen.

Einen Doktoranden habe ich, einen ganz begabten Mann, der auch die logi-schen Dinge schon einigermassen gut kennt. Er versucht einen Aufbau der Ma-thematik in besonderer Form mit einer Kritik des Existenzbegriffes, die teils vonBrouwer, teils von Brentano inspiriert ist.

Kürzlich bekam ich Korrekturabzug von Schlicks neuem Aufsatz „Realismusund Positivismus“, der in „Erkenntnis“ III 1 erscheinen soll.¹⁴² Ich finde es sehr

Vermutlich Gödel 1931. Gemeint ist der seit 1930 in Prag lehrende Mathematiker Karl Löwner (1893–1968). Der in Oxford geborene Artur Winternitz (1893– 1961) studierte in Prag Mathematik und wardort seit 1931 außerordentlicher Professor. Carnap 1931a. Georg Katkov (1903– 1985), der der engeren Brentano-Schule angehörte, wirkte bis zuseiner Emigration nach England (1939) als Philosoph an der Deutschen Universität in Prag. Erschienen u.d.T. „Positivismus und Realismus“ (MSGA I/6: 323–362).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 135

erfreulich, dass hier die Missverständnisse unserer Auffassung, wie sie z.B. beiPlanck, Bavink und vielen andern vorliegen, gründlich aufgeklärt werden.

In „Erkenntnis“ II 5–6 wird mein Aufsatz über „Physikalische Sprache“ er-scheinen.¹⁴³ Ich hatte ihn vor 1½ Jahren geschrieben und musste ihn jetzt voll-ständig neu schreiben. Ich glaube, dass jetzt manches klarer geworden ist. Ichhabe die Fragen im Dezemb. mit Hempel nochmal gründlich durchgesprochenund mir selbst dabei die Sache erst richtig geklärt. Hempel war in den Weih-nachtsferien hier bei uns zu Besuch, das war sehr erfreulich. Dabei schneite einesAbends auch plötzlich Radakovic¹⁴⁴ herein. Solche erfreulichen Ueberraschungensind aber selten hier. Mit Hempel habe ich hauptsächlich mein Ms „Metalogik“¹⁴⁵besprochen. Der erste Teil ist fertig, von der zweiten Hälfte ist ein erster Entwurfniedergeschrieben, der im Lauf der nächsten Monate fertig gemacht werden soll.Der erste Teil enthält hauptsächlich den formalen Aufbau, über den ich in Wiengesprochen habe, der zweite Teil behandelt in nicht formalisierter und daher leichtlesbarer Gestalt allerhand weitere Probleme, die sich anknüpfen, und versuchtschliesslich zu zeigen, dass die sinnvollen philosophischen Probleme metalogi-sche Fragen sind.

Ich freuemich sehr, dassWaismann jetzt die Möglichkeit hat, in Sammlung anseinem Buch zu arbeiten. Ich hoffe, dass ich das Buch bald in meinen Uebungenoder hier im Zirkel verwenden kann.

Auch jetzt noch verkehren wir fast ausschliesslich mit Franks. Es ist nicht nurmenschlich erfreulich, sondern auch eine grosseHilfe in allen Schwierigkeitenmitden Behörden usw.

R. C.

42 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 2 S.]

Trinity College 4. 3. 32.Lieber Herr Prof Schlick!Nur ein paar Zeilen um Ihnen zu sagen, daß ich öfters an Sie denke & hoffe Sie innicht all zu ferner Zeit sehen zu können.Wann kommen Sie zurück?¹⁴⁶ Haben Sie

Carnap 1931b. Gemeint ist der Mathematiker Theodor Radaković (1895– 1938), ein relativ unbekanntesMitglied des Wiener Kreises (vgl. Wissenschaftliche Weltauffassung 2012: 42). Vgl. Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 15. März 1932. Vgl. Nr. 34, Anm. 107.

136 Mathias Iven

Waißmanns Aufzeichnungen¹⁴⁷ die ich ihm zu Weihnachten diktierte erhalten?Und konnten Sie „make head or tail of it“?¹⁴⁸ Ich wünsche | mir sehr mit Ihnen inden Ferien viel über meine Arbeit reden zu können.

Lassen Sie etwas von sich hören.Ihr

Ludwig Wittgenstein

43 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 5 S., 123/Wittg-16]

[Cambridge] 6. 5. 32.Lieber Herr Professor Schlick!

Ich hoffe Sie sind gut in Wien angekommen!¹⁴⁹ Wie Sie gemerkt haben werden,habe ich Waißmann bei der Abfassung seines Buches zu Ostern wieder aufge-halten & er hat mit größter Geduld gewartet, wenn ich unter Druck, tropfenweise,Erklärungen aus mir herausgepreßt habe. – Nun aber bin auch ich schon soweit,daß ich wünsche sein Buch möge recht bald erscheinen. Dieser Wunsch | wurdeheute früh durch den Umstand geweckt daß mir die Post eine Schrift Carnaps(Sonderdruck der „Erkenntnis“)¹⁵⁰ brachte, in der ich beim Durchblättern vielemeiner Gedanken anonym ausgesprochen fand. Sie wissen, in welcher etwasseltsamen Lage ichmich befinde: Ich habewährend dieser letzten 4 Jahre ziemlichviel gearbeitet, nichts drucken lassen, aber ständig \ausführliche/ mündlicheMitteilungen über meine Arbeit gemacht.Und nunwerde ich bald in der Lage sein,daß meine eigene Arbeit als bloßer zweiter Aufguß \oder als Plagiat/ der Car-napschen [?] \angesehen/ werden wird. Dies ist mir natürlich sehr | unerwünscht.–Das ist eswasmichwünschen läßtWaißmannsArbeitmöchte bald veröffentlichtwerden. Ja, es wäre mir sogar lieb, wenn im Vorwort gesagt würde, daß ich vielemeiner Gedanken schon vor Jahren mündlich weitergegeben habe. Sollten Siedarin etwas Unpassendes sehen, so, bitte, schreiben Sie es mir! Ich lasse michgerne belehren. (Das ist aufrichtig gemeint) Anderseits verstehen Sie bitte meinGefühl: Ich sehe mich wider Willen in das gezogen, was „der Wiener Kreis“ ge-

Bei diesen Aufzeichnungen handelte es sich höchstwahrscheinlich um eine Nachschrift desGesprächs zwischen Waismann und Wittgenstein vom 9. Dezember 1931, das den Abschnitt VI inWaismanns Gesprächsnachschriften bildet (vgl. WWK 1967: 24 bzw. 182 ff.). Übersetzung im übertragenen Sinne: „Und, konnten Sie etwas kapieren (schlau darauswerden)?“ Vgl. Nr. 34, Anm. 107. Carnap 1931b.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 137

nannt wird. In diesem Kreis besteht | Gütergemeinschaft, sodaß ich mich [??]\z.B./ der Gedanken [Schlicks]? \Carnaps/ bedienen kann wenn ich will, er sichaber auch der meinen. Aber ich will mit Carnap [?] nicht gemeine Sache machen &nicht zu einem Kreis gehören, zu dem er gehört. Wenn ich einen Apfelbaum inmeinem Garten habe, so ist es meine Freude \& der Zweck dieses Baumes/ wennsich meine Freunde \(z.B. Sie & Waißmann)/ der Äpfel bedienen; & ich werdeDiebe nicht verjagen oder anzeigen, die über den Zaun klettern, aber das \darf ichmir/ verbitte\n/ [ich mir], daß sich diese als meine Freunde aufspielen oder vor-geben der Baum gehöre ihnen &mir \gemeinsam/.* Bitte suchen Sie | mein Gefühlzu verstehen, aber kritisieren Sie es auch,wenn es Ihnen unrecht zu sein scheint.

Bitte grüßen Sie Waißmann herzlichst von mir & lassen Sie ihn diesen Brieflesen, wenn er will. Waißmann wird Ihnen sagen, daß von Carnap & Feigl derZirkularbrief ¹⁵¹ im Gegensatz zum Individualbrief eingeführt worden ist; & sohandle ich nun zeitgemäß, wenn ich dieses Schreiben als Zirkularbrief ergehenlasse!

Sein Sie herzlichst gegrüßt!\Wie geht es Ihren Kindern?/ Ihr Ludwig Wittgenstein

* Vergl. Nietzsche Zarathustra¹⁵²/¹⁵³

44 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 2 S., 123/Wittg-17]

[Poststempel: Cambridge, 12. 6. 1932]Sonntag

Mein lieber Prof. Schlick!Es tut mir riesig leid, daß Sie nicht gesund sind.¹⁵⁴Hoffentlich finde ich Sie in 8 bis14 Tagen, wenn ich nach Wien komme in erträglichem Zustand.¹⁵⁵ Was Carnapanbelangt, so habe ich einen Fehler begangen, indem ich die Exemplare seiner

Vgl. Nr. 41. „Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. Fremde aberauch Arme mögen sich die Frucht selber von meinem Baume pflücken: so beschämt es weniger.“(Nietzsche, KSA 4: 114) In dieser Form (Abtrennung vom Text mit durchgehender Linie) als Anmerkung am Endeder 4. Seite eingefügt. Ein diesbezüglicher Brief Schlicks an Wittgenstein ist nicht überliefert; vgl. dazu den folg.Brief bzw. Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 29. Mai 1932. In Schlicks Taschenkalender gibt es Eintragungen zu Treffen am 30. Juni und 5. Juli 1931(vgl. Inv.-Nr. 88, C.32–3)

138 Mathias Iven

Schriften, die ermir zuschicken ließ, nicht zurückgeschickt habe | &mich so,wennauch indirekt, mit seinem Benehmen einverstanden erklärt habe. In Zukunft willich es anders machen. – Meine Arbeit hat in den letzten Monaten große Fort-schritte gemacht. In der letzten Woche aber fühlte ich mich etwas überanstrengt.Hoffentlich geht das bald vorüber. Ich bin sehr erpicht darauf, mit Ihnen übermeine Arbeit zu sprechen. Ich freue mich \sehr/ auf ein Wiedersehen

IhrLudwig Wittgenstein

45 Moritz Schlick an Rudolf Carnap[Brief, Ts, 1 S., ASP RC 029–29– 10 bzw. Ts/D, 1 S., 095/Carn-48]

[Wien] 10. Juli 1932Lieber Carnap,

besten Dank für Deinen Brief.¹⁵⁶ Ich bedaure, dass Du nicht nach Wienkommen konntest, denn ich hätte gern mit Dir über die Protokollsätze und einigesandere gesprochen und hätte mich riesig gefreut, Dich nach so langer Zeit wie-derzusehen und über Deine Prager Tätigkeit zu hören. Wegen Deines Buches¹⁵⁷werde ich gern mit Springer korrespondieren; sprechen konnte ich ihn hiernämlich nicht, da der Direktor mehrfach verreist war und auch \ich/ wegen zuvieler Semesterarbeit und wegen meiner Krankheit viele meiner Pflichten ver-säumen musste. Ich erhole mich sehr langsam und habe Erholung und Land-aufenthalt noch mehr nötig als sonst um diese Zeit. Morgen früh reise ich mit Frauund Tochter nach Kärnten; vor Mitte Oktober werde ich kaum in die Stadt zu-rückkehren. Die Londoner Vorträge¹⁵⁸ sind auf den Herbst verschoben, ich konntedas Datum aber noch nicht festlegen.

Die „Physikalische Sprache“¹⁵⁹ habe ich noch einmal gründlich durchgelesen,und dabei ist mir etwas aufgefallen, was nicht den eigentlichen Inhalt des Auf-satzes betrifft, mir aber doch so wichtig erscheint, dass ich Deine Aufmerksamkeitdarauf lenken möchte. Es handelt sich, kurz ausgedrückt, um eine Frage der

Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 30. Juni 1932. Es handelt sich um Carnaps Buch Logische Syntax der Sprache, das erst 1934 als 8. Band derSchriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung bei Springer erschien (vgl. Rudolf Carnap anMoritz Schlick, 15. März 1932). Gemeint sind die im November 1932 von Schlick am Londoner Kingʼs College gehaltenenVorlesungen unter dem Titel “Form and Content. An Introduction to Philosophical Thinking”(MSGA II/1.2: 169–358). Vgl. Nr. 41, Anm. 143 bzw. Nr. 43, Anm. 150.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 139

Gerechtigkeit. Ich halte es nämlich für ungerecht, dass der Name Wittgensteindiesmal in der Abhandlung nicht zitiert ist. Wenn auch jeder weiss, dass dieWiener Schule ihm Grundlegendes verdankt, und wenn Du und Neurath in denfrüherenArbeiten auch darauf hingewiesen habt, so halte ich es doch für nötig, beiden spezifisch Wittgensteinischen Punkten, die so charakteristisch für seineDenkweise sind, immer wieder seinen Namen zu nennen, besonders da er selbstso lange nichts publiziert hat und seine Ideen mündlich verbreitet wurden. Dendeutschen Lesern ist der „Tractatus“ immer noch fast unbekannt. Ich denke vorallem an folgende Stellen: S. 433 oben (Wesen der Philosophie); S. 435 unten f.(auch die Definition durch Aufweisung führt nicht aus der Sprache heraus); S. 440oben (Wesen des Naturgesetzes, wo die Hypothese durch ihre besondere von derder gewöhnlichen Sätze verschiedene logische Form charakterisiert wird); fernerdie Stellen, an denen gesagt wird, dass durch die „formale Redeweise“ dieScheinfragen ausgeschaltet werden (S. 452 Anm., S. 456), denn eigentlich ist diesdoch überhaupt der Grundgedanke W.s.

Sei nicht böse, dass ich auf diese Unterlassungen aufmerksam mache. Siewären mir, glaube ich, kaum aufgefallen, wenn Du nicht Neurath mit seiner, wiemir scheint, viel weniger wichtigen These so ausführlich hervorgehoben hättest.Nun, in der Semantik¹⁶⁰ werden ja diese Gedanken noch einmal und wahr-scheinlichviel eingehender behandelt sein; ich bin überzeugt, dass Du dort an denentsprechenden Stellen auf W. Bezug genommen hast. Schreib mir bitte bald!Meine Adresse (die ich aber sonst niemanden mitzuteilen bitte) ist PensionGrossegg, Millstatt, Kärnten. Ich würde mich riesig freuen, wenn wir uns inKärnten begegnen könnten. Falls Ihr jedoch mit Feigls (denen ich etwas davonabgeraten habe) ins Oetztal geht, wird es kaum möglich sein. Herzlichste Grüssefür Dich und Frl. Stoeger,¹⁶¹ und die bestenWünsche für eine gute Ferienerholung!

DeinM. Schlick.

Vgl. Anm. 157 und siehe dazu auch den nachfolg. Brief. Elisabeth Maria Ignatia (Ina) Stöger (1904– 1964) studierte vom WS 1928 bis zum SS 1932 ander Universität Wien und besuchte dort u.a. Veranstaltungen von Schlick, Bühler, Reidemeister,Gomperz und Carnap, der sie 1935 in zweiter Ehe in Prag heiratete.

140 Mathias Iven

46 Rudolf Carnap an Moritz Schlick[Brief, Ts/Kb, 2 S., 095/Carn-31 bzw. Ts/D, 2 S., ASP RC 029–29–09]

[Prag], den 17. Juli 1932.Lieber Schlick,

Besten Dank für Deinen Brief.¹⁶² Du bist also jetzt schon in den Bergen. Wirwollen am 21. abreisen. NachWien fahre ich jetzt nicht mehr.Wohinwir fahren, istnoch immer nicht fest beschlossen, da die Verhandlungenmit Feigls noch nicht zueinem festen Ergebnis geführt haben. Wir wollen uns dann selber umschauen.Feigls kommen am 1. August nach.¹⁶³ Mit uns fährt Hempel, aber nur bis zum3. August.

Ich hoffe immer noch,dasswir uns in den Ferien einmal sehenwerden. BleibstDu die ganze Zeit bis Oktober in Millstatt? Wir werden sicherlich weiter nördlichsein. Wir bleiben wahrscheinlich bis Ende August. Kommst Du nicht doch malnach Tirol oder treffenwir uns vielleicht mal auf einem zwischengelegenen Punkt?

Auf einige Punkte,von denenDu schreibst, möchte ich noch eingehn; aber nurganz kurz,wie es meiner notorischen Schreibfaulheit entspricht. Meine Ansicht ist(im Unterschied zu Neurath), dass die Protokollsätze aus den übrigen Sätzenherauszuheben sind.Was ichvom „gegenwärtigen Stand der Forschung“ sage, sollnur heissen: ich kann augenblicklich nicht genau sagen, welche Form die Pro-tokollsätze haben;weitere Ueberlegungenwerden das aber klären. Hiergegen hastDu doch wohl keine Bedenken?

Was die Verweisung auf andere Autoren betrifft, so halte ich sie, ebenso wieDu undWittgenstein, im Allgemeinen nicht für sehr wichtig. Auf Neurath hatte ichimManuskript nur kurz hingewiesen. Die ausführliche Fussnote¹⁶⁴ habe ich in derKorrektur auf seine ausdrückliche Aufforderung eingefügt, da er um seine Prio-ritätsrechte fürchtete. Ich bin ganz Deiner Meinung, dass Wittgenstein inDeutschland viel zuwenig beachtet wird. Ich habe deshalb in Veröffentlichungen,Vorträgen und privaten Gesprächen immer wieder auf ihn hingewiesen. Im vor-liegenden Aufsatz aber, wo es sich ja um die Frage des Physikalismus handelt,scheint mir ein Hinweis auf Wittgensteinweniger erforderlich, da er sich ja mit der

Siehe Nr. 45. Vgl. Herbert Feigl an Moritz Schlick, 16. August 1932. Vgl. Carnap 1931b: 452.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 141

Prof. Dr. Rudolf Carnap Prag XVII.

N. Motol, Pod Homolkou

Frage des Physikalismus nicht befasst hat, während Neuraths Arbeiten geradediese Frage betreffen. Die allgemeine philosophische Grundlage, auf der auch dievorliegenden Ueberlegungen beruhen, geht natürlich in vielen Punkten aufWittgenstein zurück; aber das ist ja in den früheren Aufsätzen angegebenworden,während hier diese Grundlagen, wie ausdrücklich gesagt wird, nur kurz undandeutungsweise berührt werden.

Bei den drei Einzelpunkten, die Du nennst, scheint es mir so, dass gerade hierkeine Anlehnung an Wittgenstein vorliegt. Ich muss aber gestehen, dass ich in-folge meiner unhistorischen Einstellung und meines schlechten Gedächtnissesimmer unsicher darüber bin, ob etwas, was ich sage, von einem andern stammt,und von wem. Ich habe jetzt zur Vorsicht noch einmal den Tractatus und Wais-manns Thesen¹⁶⁵ durchgeblättert. Zu den einzelnen Punkten:

1. S. 435 f. Dass auch die sog. Aufweisung eine Definition im | eigentlichenSinne ist und daher nicht aus der Sprache herausführt, wollte ich in erster Liniegegen Reichenbach sagen. Ich vermute auch, dass es der üblichen Auffassungwiderspricht. Aber ich weiss nicht, ob nicht schon früher jemand dasselbe gesagthat.Waismann (Thesen S. 16) sagt aber ausdrücklich das Gegenteil.¹⁶⁶

2. S.440 über Hypothese. Ich denke nicht, dass diese Auffassung neu ist,weissaber nicht, von wem sie stammt. Jetzt sagte mir Reichenbach in Berlin, dass dieseAuffassung von ihm in seinen früheren Schriften zum ersten Mal ausgesprochensei. Ich glaube aber doch, dass sie vor Reichenbach und Wittgenstein schonvertreten worden ist; vielleicht von Poincaré?

3. Unterscheidung zwischen formaler und inhaltlicher Redeweise; Ausschal-tung von Scheinfragen durch formale Redeweise.Gerade in diesemPunkte glaubteich einen wesentlichen Schritt über W. hinauszutun. Hier sind ja nicht dieScheinfragen der Metaphysiker gemeint, sondern die Scheinfragen, wie sie inunsrer wissenschaftlichen Philosophie zuweilen auftreten. Die abzulehnende,inhaltliche Redeweise ist diejenige, in der (wie ich S.456 gesagt habe) die Arbeitenunseres eigenen Kreises bisher geschrieben sind. Das gilt in erster Linie auch fürden Tractatus, an dessen Redeweise wir uns ja in vielem angeschlossen haben.Wenn ich also hier W. hätte nennen wollen, so hätte ich es nur polemisch tunkönnen; das habe ich absichtlich vermieden. Trotzdem gehen natürlich dieUeberlegungen, die mich zu diesem Punkt geführt haben, einfach aus einerkonsequenten Durchführung unsrer philosophischen Grundauffassung hervor,für die wir jaW. sehr vieles verdanken. Ich glaube deshalb auch, dass ich in diesem

Waismann: „Thesen“ (in: WWK 1967: 233–261). Ebenda: 246.

142 Mathias Iven

Punkte zwar der Praxis von W. widersprechen muss, mit seiner Grundauffassungaber im Einklang bin.

Ich möchte nochmals betonen, dass es leicht sein kann, dass ich mich ineinigen Punkten historisch irre und dass ich von W. und Andern viel stärker ab-hängig bin, als ich mir ausdrücklich bewusst mache. Aber das ist ja auch nichtsehr wichtig.

In meiner Semantik gebe ich viele Hinweise auf die bisherige Literatur. Ichmöchte nämlich, dass das Buch auch für diejenigen, die noch keine Kenntnisse inLogik haben, als Einführung in die Probleme der Logik dienen kann. Beim for-malen Aufbau verweise ich natürlich in erster Linie auf Frege, Russell, Hilbert, dieWarschauer, Gödel; im Kapitel über Semantik und Philosophie auf W.¹⁶⁷

Ich bin sicher, dass wir uns über alle Fragen, sowohl die sachlichen, wie diehistorischen, bei mündlicher Besprechung schnell verständigen würden. Aller-dings bin ich mir inbezug auf die Protokollsätze in manchen Punkten selbst nochnicht klar. Aber gerade darüber würde ich gern einmal mit Dir sprechen. Ich hoffe,dass Feigl sich eingehend mit Dir unterhalten hat und über Deine Auffassung inmanchen der Fragen, die wir zusammen besprechen wollen, berichten kann. Ichfreue mich sehr auf die Gespräche mit ihm. Und überhaupt auf unser auch aus-serwissenschaftliches Zusammensein.

Nun wünsche ich Dir vor allem recht gute Erholung und schönes Wetter,schöne Stunden in und am See, und, sobald es Deine Kräfte wieder erlauben, aufden Bergen.

Grüsse bitte auch Deine Frau und Tochter. Dir herzliche Grüsse, auch von Ina,Dein Carnap

47 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick¹⁶⁸[Brief, Ts, 3 S., ASP RC 102–78–02]

Hochreit, Post Hohenberg N. Oe.8. August 1932

Lieber Herr Professor Schlick!Ich danke Ihnen fuer die Zusendung des Carnap’schen Briefes und fuer den

Ihren und Ihre Karte.¹⁶⁹ Die Verspaetung meiner Antwort ruehrt zum Teil daher,dass ich in der letzten Zeit sehr beschaeftigt war (ich habe manchmal sieben

Vgl. Carnap 1934a: Kap. II bzw. V. Es handelt sich bei diesem Schreiben um die Anlage zu dem nachfolg. Brief an Carnap(Nr. 49). Weder Brief noch Karte sind überliefert.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 143

Stunden im Tag diktiert); teils aber daher, dass mich die Angelegenheit, um diesich unsere Korrespondenz dreht, anwidert. Es kostet mich grosse Ueberwindung,darueber zu schreiben und ich bitte Sie vor allem, diesen Brief an Carnap wei-terzugeben, mit der Erklaerung, Sie haetten Ihren Brief an ihn aufmeine Anregunggeschrieben, etc..

Ich gehe aber auf die Sache nicht darum ein, weil es mir um meine Prioritaetbange ist; ja ich glaube, wenn mein Buch einmal erscheinen wird, wird die Au-torschaft der Gedanken den Menschen, die es verstehen, nicht zweifelhaft sein.Und die Anerkennung in akademischen Kreisen strebe ich, wie Sie wissen, nichtan. – Ich gehe also auf die Sache ein, um das, was an ihr durch meine Schuld(durch die Unterlassung einer deutlichen Erklaerung) schief ist, ins Reine zubringen: Ich habe – wie Sie wissen – Carnaps Vorgehen in dieser Sache nicht fueranstaendig gehalten, und sein Brief an Sie hat mich nicht vom Gegenteil dieserMeinung ueberzeugt.

Ich werde die einzelnen Punkte kurz beruehren.1. Carnap sagt, er halte,wie Sie und ich, die Verweisung auf andere Autoren fuer

nicht sehr wichtig. Aber Sie sind doch darin sehr gewissenhaft, und ich habeim Vorwort zur „Abhandlung“ geschrieben, ichwerde keine Quellen angeben.Aber auch Carnap ist gewissenhaft, wo es sich um Zitate aus seinen eigenenWerken handelt, und nur seine Hauptquelle hat er verschwiegen.

2. Dass ich mich nicht mit der Frage des „Physikalismus“ befasst | haette, istunwahr (nur nicht unter diesem – scheusslichen – Namen) und in der Kuerze,in der die ganze „Abhandlung“ geschrieben ist.

3. Ich glaube nicht, dass Carnap sich nicht mehr an das Gespraech mit Wais-mann erinnert, worin dieser ihm meine Auffassung der hinweisenden Defi-nitionen mitgeteilt hat.

4. Seine Auffassung der Hypothesen hat Carnap von mir (und dies habe ichwieder durch Waismann erfahren) und weder Poincaré noch Reichenbachkonnten diese Auffassung haben, da sie nicht meine Auffassung der Saetzeund der Grammatik hatten. Sie selbst aber haben mich in einem Aufsatz, denmir Waismann zeigte, in dieser Sache als Ihre Quelle genannt.¹⁷⁰

5. Dass Carnap,wenn er fuer die formale und gegen die „inhaltliche Redeweise“ist, keinen Schritt über mich hinaustut, wissen Sie wohl selbst; und ich kannmir nicht denken, dass Carnap die letzten Saetze der „Abhandlung“ – undalso den Grundgedanken des ganzen Buches – so ganz und gar missver-standen haben sollte. Und ich muss Ihnen doch wohl nicht sagen, dass sich

Vgl. Schlick 1931 (MSGA I/6: 256).

144 Mathias Iven

meine Kritik der Metaphysik auch auf die Metaphysik unserer Physiker undnicht nur auf die der Berufsphilosophen bezieht.

Am widerlichsten ist es mir, wenn Carnap von seiner „unhistorischen Ein-stellung“ schreibt, und, dass es nicht sehr wichtig sei, wenn er sich seiner Ab-haengigkeit von mir „und Anderen“ vielleicht nicht ganz bewusst sei. Man mu-esste viel gedankenreicher sein als er, um das schreiben zu duerfen.

Noch einmal: Nicht um eine akademische Prioritaetsstreitigkeit handelt essich mir, sondern um eine persoenliche Angelegenheit. Denn im Grunde desHerzens ist mir, was die heutigen Berufsphilosophen ueber mich denken,gleichgueltig; denn ich schreibe nicht fuer sie. – Ich glaubte, diese Erklaerungenabgeben zu sollen, um mir nicht den Vorwurf einer Art feiger Faulheit machen zumuessen. |

[Seien Sie bestens gegrüsstvon Ihrem

Ludwig Wittgenstein]¹⁷¹

Noch eines: Ob Carnap mich in seinem naechsten Werk nennt oder nicht, istmir gaenzlich gleichgueltig. Er braucht mich ueberhaupt nicht zu nennen. Ichwuensche nur, dass er weiss, wie ich ueber sein Verhalten denke.

[L.W.]¹⁷²

48 Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 1 S.]

Pension GrosseggMillstatt, Kärnten9. August. [1932]¹⁷³

Lieber Herr Wittgenstein,immer noch bin ich ohne Nachricht von Ihnen.

Die Grußformel, die sich in dem im Carnap-Nachlass überlieferten Schreiben nicht findet,wird entsprechend der Transkription der Intelex-Ausgabe des Briefwechsels (2011) wiedergege-ben. Dito. Die bisherige Datierung auf das Jahr 1928 ist nicht aufrecht zu erhalten, da Schlick seinenSommerurlaub in jenem Jahr nicht in Millstatt sondern in Seewalchen am Attersee verlebte.Wittgensteins vorhergehender Brief vom 8. August (Nr. 47), der sich mit Schlicks Schreiben

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 145

Entweder Sie sind krank – in diesem Falle bitte ich herzlich, dass Sie mir überIhr Befinden Nachricht geben lassen.

Oder Sie sindmir böse – in diesem Falle bitte ich Sie \recht/ herzlich, mir nichtmehr böse zu sein, sondern mir zu sagen, was ich tun soll \muss/, damit unserjahrelanges gutes Einverständnis\nehmen/ keine Unterbrechung erleidet.

Was immer auch geschehen mag, Sie wissen jedenfalls, dass meine Dank-barkeit Ihnen gegenüber stets völlig unverändert \sicher immer weiter/ bleibenwird,und das\selbe/ gleiche gilt vonmeiner Bereitwilligkeit undmeinem Eifer, fürSie und Ihre Gedanken zu arbeiten. Ich hoffe von Herzen, dass Sie davon \vonmeiner Bereitwilligkeit/ Gebrauch machen werden. Wollen Sie herkommen?Rechtzeitige Anmeldung wäre wegen Platzmangels nötig \ist aber nötig, sonst istin M. kein Bett zu haben./ Ich bleibe [?] \noch/ bis 1. Sept. [?] und [?]

Mit [?] guten Wünschenstets der Ihrige

M. Schlick.

49 Ludwig Wittgenstein an Rudolf Carnap[Brief, Ts (Unterschrift Hs), 3 S., ASP RC 102–78–03]

Hochreit, Post Hohenberg N. Oe.20. August 1932

Sehr geehrter Herr Professor!Ich schreibe den folgenden langen Brief an Sie nur mit dem groessten

Widerwillen. Aber ich muss eine Angelegenheit, die zwischen uns schwebt be-reinigen, auch auf die Gefahr hin, als Krakeeler zu erscheinen.Und ich kann michnur in der Form einer Darstellung des ganzen Hergangs der Sache erklaeren.

Ich erhielt im April (oder Anfang Mai) Ihren Aufsatz ueber den „Physikalis-mus“.¹⁷⁴ Beim Durchblaettern der Schrift fielen mir mehrere Stellen ins Auge, diemir durch ihren Inhalt, wie auch durch gewisse Worte und Redewendungen of-fenbar dem Gedankenmaterial entnommen zu sein schienen,welches ich, teils inder „Abhandlung“ veroeffentlicht, teils im Laufe der letzten drei bis vier Jahredurch muendliche Mitteilungen an Schlick und Waismann diesen beiden Herrenund dadurch Anderen zur Verfuegung gestellt habe. Genaueres Durchlesen be-

gekreuzt hat und offenbar erst nach dem 9. in Millstatt eintraf, ist somit die lange ausstehendeNachricht, auf die Schlick gewartet hatte. Einen unmittelbaren Bezugspunkt für die Neudatie-rung bieten zudem Wittgensteins Schlussbemerkungen in seinem Brief vom 21. August 1932(Nr. 50). Vgl. Nr. 43, Anm. 150.

146 Mathias Iven

staetigte diesen Eindruck und zeigte, dassmein Name an keiner Stelle Ihrer Schrifterwaehnt war. Dies war umso auffallender, als Sie anderseits mit geflissentlicherGewissenhaftigkeit an mehreren Stellen auf Ihre eigenen und auf Herrn NeurathsSchriften hinweisen, so dass der Leser durch die Unterlassung der Nennung IhrerHauptquelle irregefuehrt werden muss. Es schien mir klar, dass hier die bewussteAbsicht vorlag, mich nicht zu nennen; und die Provenienz der Gedanken zuverhuellen. – Ich schrieb damals einen Brief an Prof. Schlick,¹⁷⁵ in welchem ichmeiner Entruestung ueber Ihr Vorgehen Ausdruck gab. Ich schrieb unter anderem,ich haette mich durch die muendliche Veroeffentlichungmeiner Ergebnisse, ohneeine Sicherung durch Teilpublikationen in Zeitschriften etc., in die seltsame Lagegebracht, als Plagiator oder doch Kompilator fremder Gedanken zu | erscheinen,wenn ich einmal mit der angesammelten Arbeit der letzten vier Jahre an dieOeffentlichkeit tretenwuerde. (Denn ich muss gestehen, dass mir Ihre Publikationdamals diesen Schrecken einjagte.) Dieser Gedanke und andere beunruhigtenmich; z.B. dass ich einerseits die Sache nicht „einstecken“, anderseits noch we-niger in ein akademisches Prioritaetsgezaenk eintreten wollte. Dazu aber kammein Widerwille gegen die billige Ausschrotung von Ergebnissen, gegen denselbstzufriedenen und pedantischen Ton Ihrer letzten Schriften (ueber einenGegenstand der mir nahegeht). Mein erster Gedanke war, Ihnen den Sonderab-druck mit einer Bemerkung zurueckzuschicken, aber beim Lesen hatte ich mirVerschiedenes darin angezeichnet und so behielt ich das Heft. Schlick antworteteauf meinen Brief,¹⁷⁶ auch er missbillige Ihr Verhalten, sei aber der Ueberzeugung,dass Sie reinen Herzens handelten. – Es vergingen dann ein bis zwei Monate undmeine Gefuehle aenderten sich. Ich sagte mir:Was habe ich mit Professor Carnapoder einem akademischen Zirkel zu tun, oder damit, welche Meinung man indiesen Kreisen von meiner Publikation haben wird. Sie muss mir gaenzlichgleichgueltig sein; und es bleibt nur noch, dass ich Prof. Carnap meine Ansichtueber sein Vorgehen wissen lassen soll. – Im Juli nun kam ich nach Wien undbesprach die Angelegenheit mit Schlick und Waismann,¹⁷⁷ aber auch mit eineranderen mir befreundeten Person. Diese nun, nachdem ich die mir widerlicheGeschichte geschildert hatte, fragtemich: „Waswirst Du tun?“ – Ich: „Ichwerde C.das naechste Separatummit einer entsprechenden Bemerkung zurueckschicken.“– Mein Freund: „Ist das aber nicht ungerecht? Es ist ja moeglich, dass C. wirklichim guten Glauben handelt und Dich nur aus Versehen nicht genannt hat. Mach esdoch so: | Prof. Schlick ist Carnaps Freund und auch der Deinige; da nun Schlick

Vgl. Nr. 43. Nicht überliefert. Vgl. WWK 1967: 209 ff.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 147

einerseits C.ʼs Vorgehen missbilligt, anderseits aber C. fuer guten Glaubens haelt,so soll er C. auf sein Versehen aufmerksam machen. Aus C.ʼs Antwort wird es sichdann ergeben, ob die Sache einen Dolus hatte oder nicht“. – Dieser Vorschlagschien mir gerecht und anstaendig und ich teilte ihn Schlick mit, und Schlickschrieb Ihnen darauf den Brief, dessen Inhalt ich kenne.¹⁷⁸ – Einige Zeit daraufschickte er mir auch Ihre Antwort,¹⁷⁹ die er selbst fuer zufriedenstellend zu haltenschien, die mich aber ganz anders beruehrte. Damals nun setzte ich einen Brief anSie auf, den ich aber wieder verwarf, und statt dessen schrieb ich einen Brief anSchlick und bat ihn mein Schreiben an Sie weiterzugeben.¹⁸⁰ Ich schliesse diesesmein Schreiben bei und es wird Ihnen meinen Standpunkt deutlich machen.Schlick schrieb mir sofort nach Empfang dieses Briefes¹⁸¹ und ersuchte mich inseiner freundlichen und wohlwollenden Weise, nicht darauf zu bestehen, dassmein Brief an Sie weiterbefoerdert werde. Dies bewog mich nun Ihnen den ge-genwaertigen Brief zu schreiben und alles mir Wesentliche darin auseinander-zusetzen, um die Sache, so weit sie mich betrifft, ins Reine zu bringen. – Und nunnoch einmal,was zwar schon klar in dem beiliegenden Brief an Schlick gesagt ist:Mein Zweck ist es nicht, die Nennung meines Namens in Ihren Schriften zu er-reichen; denn haette ich das gewuenscht, so haette ich Ihnen meine Ansicht nichtso unumwunden mitgeteilt; ja ich hoffe, dass ich bald auch nicht mehr in der –wenn auch lockeren – Beziehungen zum akademischen Leben stehen werde, wiezur Zeit. Aber ich empfaende es als Unrecht, Sie ueber meine Ansicht in der Sachenicht voellig zu unterrichten.

HochachtungsvollLudwig Wittgenstein

Vgl. Nr. 45. Vgl. Nr. 46. Siehe Nr. 47. Nicht überliefert.

148 Mathias Iven

50 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs, 2 S.]

Gmunden 21. August 32.meine Adresse ist aber: Hochreit

Post Hohenberg N. Ö.Lieber Herr Professor Schlick!

Beiliegend sende ich Ihnen einen Brief für Prof. Carnap & eine Abschrift diesesBriefes.¹⁸² Den Brief an Carnap bitte ich Sie gleich an ihn zu schicken. Ich kann esnicht, da ich \mir/ dummerweise seine Adresse nicht notiert habe. Die Kopie bitteich Sie zu lesen, da ichwünsche, daß Sie über meine Schritte unterrichtet sind. Ichdanke Ihnen auch noch für Ihren letzten freundlichen Brief:¹⁸³ Nein, ich bin Ihnennicht böse & hätte keinerlei Recht es zu sein, & wenn Sie wohl auch in manchemschwach oder lau sind, so bin ich es zehnfach & und kann Ihnen deshalb keineVorwürfe machen. – Die Angelegenheit mit Carnap habe ich nur mit ungemeinemWiderwillen & unter Schmerzen erledigt. – Ob ich noch zu Ihnen kommen kann,weiß ich nicht. Nicht aber, weil ich gegen Sie mißgestimmt, sondern weil ichüberhaupt bedrückt & | verstimmt bin. Und auch, weil ich in der letzten Zeit ausmehr als einem unerfreulichen Grunde, mit meiner Arbeit nicht befriedigendvorwärts gekommen bin & viel nachzuholen hätte, wenn Körper & Seele es er-lauben.

Schreiben Sie mir, was Sie nach dem ersten September zu tun gedenken. Ichwünschte recht sehr Sie sehen zu können.

IhrLudwig Wittgenstein

Siehe den vorhergehenden Brief. Vgl. Nr. 48.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 149

51 Moritz Schlick an Rudolf Carnap[Brief, Hs, 3 S., ASP RC 029–29–07]

Pension GrosseggMillstatt, Kärnten 24. August 1932

Lieber Carnap,seit Dein letzter Brief kam,¹⁸⁴ ist nun doch trotz allen gutenVorsätzen geraume

Zeit verstrichen, und mein Dank kommt reichlich spät. Ich lebe ja hier in idylli-schem Zustande, und die Aussenwelt existiert nur, soferne sie sich selbst in Er-innerung bringt. Den Rat des Arztes, überhaupt keine Post nachschicken zu las-sen, konnte ich natürlich nicht befolgen. Aber ich bin ausserordentlich faul, undmit bestem Erfolge, denn mein Gesundheitszustand hat sich erstaunlich gehoben;allerdings war ich in Wien wirklich noch sehr elend. Jetzt kann ich schon wiedereine halbe Stunde ohne üble Folgen bergauf gehen und sogar im warmen See einganz klein wenig schwimmen. Meine allgemeine Faulheit schliesst natürlich nichtaus, dass ich an meinen laufenden Sachen langsam weiter arbeite, und es gehteinigermassen. Das Briefeschreiben fällt mir schwer, wie gewöhnlich.

Aber heut muss ich Dir schreiben, denn Du wirst zu gleicher Zeit einenDoppelbrief von Wittgenstein erhalten,¹⁸⁵ den er mir verschlossen sandte mit derBitte, Deine Adresse auf dem Couvert zu ergänzen.¹⁸⁶ Ich weiss ja aber genau,wasdarin steht, und es fällt mir schwer genug, die Rolle des Briefträgers zu spie-len, | nachdem ichvorher es natürlich abgelehnt hatte, DirWittgensteinsʼs Brief anmich zu schicken, den er Dir nun selber in Abschrift sendet. Duweisst,wie sehr ichEuch beide schätze und kannst Dir denken,welches Leiden mir die unglückseligeAngelegenheit verursacht. Ich stehe in mehrfacher Hinsicht vor einem Rätsel.Welch ein Glück, dass Du so ein ruhiger und verständiger Mensch bist! MeineWeisheit in dieser Sache ist zu Ende.

Über die philosophischen Dinge (Protokollsätze) brieflich zu diskutieren,scheint auch mir zu umständlich, und nach Deinen letzten Bemerkungen bin ichüberzeugt, dass wir uns leicht einigen werden.Wann sehen wir uns wieder? VonFeigl erhielt ich eine Karte (mit einem schönen Bilde vom Burgstein,¹⁸⁷ wo wir voracht Jahren zusammenwaren –weisst Du noch?) mit den besten Nachrichten überEuern Sommeraufenthalt, zugleich aber mit der Mitteilung, dass ein Besuch andiesem schönen See nicht mehr wahrscheinlich sei. Das ist sehr schade. Ichwerde

Vgl. Nr. 46. Vgl. Nr. 47 und 49. Vgl. Nr. 50. Herbert Feigl an Moritz Schlick, 16. August 1932.

150 Mathias Iven

in den ersten Septembertagen mit Frau und Tochter in die Dolomiten reisen; diebeiden müssen dann Mitte des Monats wegen des Schulbeginns nach Wien zu-rück,während ich noch bis Mitte Oktober im Süden zu bleiben gedenke.Vor Wienund dem Wintersemester graut mir diesmal einigermassen. | Meine Vorträge inLondon finden vom 21. bis 25. November statt,¹⁸⁸ und es ist nicht ganz ausge-schlossen, dass ich entweder vorher oder nachher einige Tage in Paris zubringe,¹⁸⁹wo der Professor Louis Rougier eine Société Henri Poincaré gründen möchte. Erschrieb mir vor längerer Zeit aus Aegypten, dass er Dich auch aufsuchenwolle¹⁹⁰ –ist ihm das gelungen? Bist Du noch in Burgstein oder seid Ihr inzwischen weitergewandert? Falls Feigls noch bei Dir sind,wenn Du diese Zeilen erhältst, so grüssesie bitte recht herzlich. Vielleicht finde ich im nächsten Semester einmal eineGelegenheit, nach Prag zu kommen; ichmöchte die Stadt sehr gern kennen lernen.

Lebe recht wohl! Ich wünsche Dir einen genussreichen Verlauf des letztenTeils der Ferien. Grüsse Frl. Stoeger und sei selbst vielmals gegrüsst von Deinem

M. Schlick.

52 Moritz Schlick an Friedrich Waismann[Brief, Hs/K, 2 S., 122/Wai-11]

Pension Grossegg, Millstatt, Kärnten.24. 8. 32Lieber Herr Waismann,

vielen Dank für Ihren Brief!¹⁹¹ Es tut mir herzlich leid, dass Sie immer nochnicht wieder hergestellt sind. Ich bin überzeugt, dass Sie sich körperlich zu vielzugemutet haben. Wenn das Herz angegriffen ist, sind die mit Gebirgstourenverknüpften Anstrengungen sicherlich unzuträglich. Ich kann ja jetzt auch ausErfahrung sprechen; bei mir hat das geringste Mehr an körperlicher Bewegungunangenehme Folgen. Leben Sie jetzt in Neuberg nur ganz vorsichtig! Dann hoffeich Sie zum Winter wieder ganz frisch und munter und arbeitsfähig wiederzuse-hen. Die gewünschte Summe habe ich Ihnen heute durch die Postsparkasse an-weisen lassen, die sie Ihnen per Post zustellen wird. Ich werde mich freuen,wennich so indirekt zu Ihrer Genesung beitragen kann.

Vgl. Nr. 45, Anm. 158. Vgl. dazu Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 3. Dezember 1932. Louis Rougier an Moritz Schlick, 27. November 1931; allerdings findet sich in diesem Briefkein Hinweis auf den beabsichtigten Besuch. Nicht überliefert.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 151

Entschuldigen Sie bitte, dass ich bisher vergass, Ihnen über die Antwort zuschreiben, die ich von Springer bekam.¹⁹² Er ist von der Absicht, das Buch¹⁹³ inzwei Bänden herauszugeben, ganz und gar nicht erbaut. Vor [der]? seiner end-gültigen Entscheidungwill er dasMS sehen. Ich glaube, Sie sollten,wenn es irgendgeht, die Arbeit so konzentrieren, dass wir nur einen Band gebrauchen, der jaumfangreicher sein könnte. Andernfalls müssten wir sozusagen Springer einwenig hinters Licht führen, indem Sie zwei Bücher mit verschiedenen Titelndaraus machen, von denen zunächst das erste als Bd I der Sammlung erscheint.Aber zerbrechen Sie sich nur jetzt nicht den Kopf darüber!

Die Angelegenheit Carnap – Wittgenstein ist wirklich sehr beklagenswert,¹⁹⁴und ich frage | mich oft: wozu eigentlich dieser grosse Aufwand von Nerven-Energie. W.s Brief an mich, den Sie in Abschrift [?] kennen, an Carnap weiterzu-geben, musste ich natürlich verweigern, und die Folge ist, dassW. – offenbar nachlängerer Überlegung – ihn nun selbst an C. schickt mit einem Begleitschreiben,von dem ich eine Abschrift habe, das aber den Eindruck des Briefes nur wenigmildern kann. Ein Glück, das C. ein so ruhiger Mensch ist!

Ich fürchte, dass es W. zur Zeit nicht sehr gut geht. Er klagt, dass er „aus mehrals einem Grunde“ körperlich und seelisch nicht in der Lage war, seine Arbeit soweit zu bringen,wie er gehofft, und deshalb nicht herkommen konnte. Er möchtedas Zusammensein nun in den nächstenMonat verschieben, aber ich fürchte, dassich es kaumwerde einrichten können, denn ichmuss unbedingt noch etwas in denSüden,¹⁹⁵ undmöchte in den ersten Septembertagen hier abreisen.Unsere Pensionwird dann geschlossen. Ich werde Ihnen wieder schreiben¹⁹⁶ und hoffe Ihnen eineneue Adresse angeben zu können. Die jetzige gilt bestimmt noch bis zum 1. Sept.

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen und vielen GrüssenIhr M. Schlick

Nicht überliefert. Vgl. Nr. 5, Anm. 16. 1932 kam es in Gmunden zu einem Gespräch zwischen Schlick und Wittgensteins SchwesterMargaret Stonborough, in dem es auch um die „Verstimmung“ zwischen Wittgenstein undCarnap sowie um eine mögliche Lösung des Konflikts ging (persönl. Mitteilung von J. J. Ston-borough an M. I., 18. September 1995). Bis Anfang Oktober hielt sich Schlick in Costalovara, in der Nähe von Bolzano auf. Es sind keine weiteren Schreiben aus diesem Zeitraum überliefert.

152 Mathias Iven

53 Rudolf Carnap an Moritz Schlick[Brief, Ts/D, 1 S., ASP RC 029–29–06]

Prag, den 13. Sept. 1932.Lieber Schlick,

herzlichen Dank für Deinen Brief, den ich hier bekommen habe.¹⁹⁷Wir hattenwirklich eine sehr schöne Zeit in Burgstein. Ich hoffe, auch Dir hat der Aufenthaltin den Bergen gut getan,und auch die stillere Zeit, die Du jetzt vor Dir hast,wirdDirsicher gut tun. Ueber die unerfreuliche Angelegenheit mit Wittgenstein (von ihmselbst lag auch ein Brief bei) möchte ich heute nicht schreiben;¹⁹⁸ ihm selbst habeich auch nicht geantwortet, vielleicht tu ichs auch nicht;¹⁹⁹ mit Dir werde ich dieSache leichter in Ruhe klären, d.h. Dir meine Gedanken zu dem, was er sagt,mitteilen können.

Heute nur die Frage, ob Du die beiliegenden Bestätigungen unterschreibenmöchtest.²⁰⁰ Ina²⁰¹ braucht sie für ein Familienstipendium. Da sie noch in Wieninskribiert ist, kann ich sie \die Scheine/ nicht unterschreiben. Ina ist jetzt mit derModalitätslogik (Lewis, Becker) beschäftigt; ob wirklich was draus wird, weissman aber noch nicht.

Mit bestem Dank im voraus für Deine Bemühung, und herzlichen Grüssen, –nächstens schreibe ich mehr, –

[Dein Carnap]²⁰²

Eben schreibt mir F. Kaufmann, dass Frl. Rand²⁰³ bei ihm war. Sie sei in grosserwirtschaftl. Bedrängnis u. suchte eine Stellung, er konnte ihr aber jetzt keinebeschaffen. Er meint, sie könnte Philosophiestunden geben.Weisst Du vielleichteinen Studenten oder sonstwen, der derartiges sucht? Meiner Meinung nach kämein einem solchen Fall aber Waismann doch zuerst in Frage. Oder weisst Du viell.sonst eine Beschäftigung, Schreibarbeit oder dergl. für sie?

Vgl. Nr. 51. Vgl. dazu auch Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 3. Dezember 1932. Siehe das nachfolg. Schreiben. Nicht überliefert. Vgl. Nr. 45, Anm. 161. Unterschrift in Stenographie (Stolze-Schrey). Rozalia (Rose) Rand (1903–1980). Dazu Moritz Schlick an Edgar Zilsel, 16. Mai 1933; wei-terführend Iven 2004.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 153

54 Rudolf Carnap an Ludwig Wittgenstein[Brief, Ts/D, 1 S., ASP RC 102–78–01]

[Prag], den 28. September 1932.Sehr geehrter Herr Wittgenstein!

Ihren Brief mit Abschrift des Briefes an Schlick habe ich erhalten.²⁰⁴ EineAntwort darauf werden Sie nicht erwarten.Was ich über die Sache denke, habe ichjetzt an Schlick geschrieben.²⁰⁵ Ich habe nichts dagegen, wenn er Ihnen davonnach Gutdünken Mitteilung macht.

HochachtungsvollR. C.²⁰⁶

55 Rudolf Carnap an Moritz Schlick[Brief, Ts (Unterschrift Hs), 3 S., 095/Carn-32 bzw. Ts/D, 3 S., ASP RC 029–29–04]

Prag, den 28. September 1932.Lieber Schlick!

Besten Dank für Deinen Brief und die Bescheinigungen²⁰⁷. Ich bin sehr erfreutzu hören, dass Du Dich inzwischen wirklich gut erholt hast und die schöne Zeitjetzt in Südtirol wird Dir auch sicher noch sehr gut tun.

Wittgenstein hat mir nicht nur die Abschrift seines Briefes an Dich vom 8. Aug.geschickt, sondern dabei auch einen Brief an mich,von dem ich Dir eine Abschriftbeilege.²⁰⁸

Ich muss gestehen, dass mir die sachliche Frage, ob ich mich in den betref-fenden Punkten anW. anlehne oder nicht, und ob ich ihn hätte²⁰⁹ nennen soll\en/oder nicht, viel weniger zu Herzen geht, als dies Neue, was in W.ʼs Briefen zumVorschein kommt, und was mich wirklich sehr bedrückt: der Ton der Briefe, diemenschlichen Züge, die sich hier zeigen. Ich vermute, dass es Dir auch so geht. Ichmöchte aber doch noch einige Bemerkungen zu der sachlichen Frage machen. Ichhabe auf Deinen ersten Brief hin mich ernstlich bemüht, nachzuprüfen, ob ich W.vielleicht durch die Nichtnennung ein Unrecht getan habe. Wäre ich zu derUeberzeugung gekommen, dass das so ist, so hätte ich nicht gezögert, die Sache

Vgl. die Briefe Nr. 47 und 49. Vgl. den vorhergehenden Brief. Unterschriftskürzel in Stenographie (Stolze-Schrey). Vgl. Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 24. September 1932. Vgl. Nr. 47 und 49 (die Abschrift fehlt in Schlicks Nachlass). Ursprüngl.: „heute“.

154 Mathias Iven

persönlich und bei geeigneter Gelegenheit auch öffentlich wieder gutzumachen.Aber ich habe mich nicht davon überzeugen können, auch nicht nach Wittgen-steins Briefen. Ich glaube, dass die von W. genannten Einzelpunkte meines Auf-satzes nicht von ihm stammen, sondern nur die allgemeine Grundlage. Auf derersten Seite, wo von dieser allgemeinen Grundlage die Rede ist, hatte ich im ur-sprünglichen Entwurf (vor zwei Jahren in Biberwier geschrieben) bei Erwähnungder Entwicklung der neueren Logik und der logischen Analyse der Sprache Frege,Russell, Whitehead und Wittgenstein genannt. Ich habe das später gestrichen,damit die Leser die in der weiteren Abhandlung dargelegten Auffassungen, vorallem den Physikalismus, nicht jenen Logikern zur Last legen. Ich habe dann dortausdrücklich geschrieben: „Ueber die Philosophie und die Formalwissenschaftensoll nur kurz gesprochen werden. Die hier vertretene Auffassung in diesem Punktist schon mehrfach von Anderen dargestellt worden.“²¹⁰ Kein Leser wird hiernachdenken, dass ich in dem Wenigen, was ich über Philosophie, Logik und Mathe-matik sage (es ist nur 1 Seite), Anspruch auf Priorität erhebe. Aus welchen Quellendiese Auffassungen stammen, ist den Lesern der Erk. hinreichend bekannt.

Zu den einzelnen Punkten:1. Ich finde im Tractatus keine deutliche Aeusserung zum Physikalismus. Ja ich

weiss bis heute noch nicht,wie W.ʼs Auffassung hier ist, daWaismann ja nichtdeutlich Stellung genommen hat, sondern nur sagte, dass er (undW.) gewisseBedenken haben, ohne sie jedoch formulieren zu können.

2. Ich erinnere mich unbestimmt, dass in Gesprächen mit Waismann auch vonDefinitionen die Rede war, habe aber keine Ahnung mehr davon,was er überW.ʼs Auffassung von den hinweisenden Definitionen gesagt hat; ich sehe nur,dass Waismann in seinen Thesen, die doch als Darstellung von W.ʼs Auffas-sung gelten, S. 16 sagt: „Wir können einem Zeichen auf zwei Arten Bedeutunggeben: 1. durch Aufweisung, … indem wir … auf die entsprechende Tatsachehinweisen, 2. durchDefinition. Die Definition verbleibt innerhalb der Sprache.Die Aufweisung tritt aus der Sprache heraus … . Die Definition kann in derSprache ausgedrückt werden, die Aufweisung nicht.“²¹¹ Ich vertrete (S. 435 f.)die gegenteilige Auffassung und gebe ein Beispiel an, das[s] auch die sog.Definition durch Aufweisung innerhalb der Sprache verbleibt und keinenHinweisungsakt erfordert.

3. Hypothesen. W.ʼs (von Dir in „Naturwiss.“ angegebene)²¹² Auffassung, dassdie Hypothesen nicht Sätze, sondern Anweisungen zur Bildung | von Sätzen

Carnap 1931b. Vgl. Waismann, „Thesen“ (WWK 1967: 246). Vgl. Schlick 1931 (MSGA I/6: 256).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 155

seien, vertrete ich doch gerade nicht.Was ich über Hypothesen sage, scheintmir nur eine deutlichere (nämlich semantische, auf die Ableitungsverhält-nisse bezogene) Formulierung dessen zu sein, was in ähnlicher Weise auchschon von Poincaré und Duhem gesagt worden ist. (Ich finde übrigens geradein einem MS-Teil der Semantik vom Februar dieses Jahres zu diesem Punktdiese beiden Namen genannt.)

4. Formale und inhaltliche Redeweise. Hier scheint W. mich missverstanden zuhaben. Zum Teil durch meine Schuld, weil diese Begriffe nur kurz erläutertwerden. In meinem Buch werde ich sie ausführlicher behandeln und dannauch darlegen, dass meine Auffassung in diesem Punkt eine Ablehnung derAuffassung vonW.bedeutet. (ImAllgemeinenwerde ich abermit polemischenBemerkungen möglichst sparsam sein.) Mit der Metaphysik der Physiker hatdas nichts zu tun. –

Sicher langweilt Dich die Erörterung dieser Punkte schon. Mich auch.Was unsnahe geht, ist die ganz andere Frage: Wie ist W.ʼs Ueberempfindlichkeit undHeftigkeit zu erklären? Ich verstehe, dass Du hier vor Rätseln stehst. Aber ichmussmich bemühen, seine Einstellung irgendwie psychologisch zu deuten, um überdas Bedrückende und Beunruhigende hinwegzukommen und nicht in Gegenaf-fekte und Gegenvorwürfe zu kommen geraten.Wenn ich die Geringfügigkeit desAnlasses und die Heftigkeit der Reaktion betrachte, so komme ich zu der Ver-mutung, dass bei W. eine starke persönliche Abneigung gegen mich besteht, fürdie der vorliegende Anlass nur die Auslösung ist, um nach langer Aufstauungplötzlich mit umso grösserer Intensität hervorzubrechen. Denn bloss aus dersachlichen Situation heraus wäre die Heftigkeit seiner Vorwürfe nicht zu verste-hen, auch wenn er Recht damit hätte, dass die erörterten Punkte von ihm stam-men. Das wäre sicher kein hinreichender Grund, seinen Zorn gerade gegen michzu wenden. Der vorliegende Aufsatz ist mein vierter in der „Erkenntnis“; in dendrei vorhergegangenen habe ich W. genannt; auch in Vorträgen,Vorlesungen undPrivatgesprächen habe ich unzählige Male auf ihn hingewiesen; ich glaube, ichbin derjenige, der ausser Dir am stärksten aufW. aufmerksam gemacht hat. Für dieVermutung, dass bei W. eine rein persönlich bedingte Einstellung vorliegt, sprichtauch sein ungleiches Verhalten Dir und mir gegenüber: in Deinem Aufsatz überPositivismus²¹³ hast Du ja sehr viel ausführlicher als ich in meinem Aufsatz die imWesentlichen auf W. zurückgehenden allgemeinen Auffassungen²¹⁴ (Sinn, Verifi-

Schlick 1932/33. In diesem Aufsatz wird (wie Carnap hier richtig bemerkt) Wittgensteinnamentlich nicht genannt. Ursprüngl.: „Allgemeinauffassungen“.

156 Mathias Iven

kation, Naturgesetze) dargelegt; wenn ich recht sehe, hast Du ihn nicht (oderwenigstens an mehreren entscheidenden Stellen nicht) genannt (was ja auch garnicht nötig ist war, nachdemDuund ich inmehrerenvorhergegangenen Aufsätzenauf W. hingewiesen hatten). Gegen Dich scheint er keine Vorwürfe zu empfinden,gegen mich aber die heftigsten Affekte. Um seine Abneigung gegen mich zu ver-stehen, versuche ich mich an die Zeit zu erinnern, als ich noch mit ihm zusam-menkam (Sommer 1927 oder 1928).²¹⁵ Es zeigten sich da zuweilen sehr starkeGegensätze zwischen uns, nicht so sehr in theoretischen Ansichten, als in prak-tischen und gefühlsmäßigen Einstellungen. Er als Künstler sah in mir einen pe-dantischen Rationalisten, der das Lebendige vergewaltigen will (erinnere Dich andie scharfe Ablehnung des Esperanto, das Du unvorsichtigerweise mehrmals zurSprache brachtest),²¹⁶ und einen flachen Verächter der erhabenen Dinge (ichglaube, ich sagte etwas gegen Schopenhauer, was ihn sehr aufbrachte; und ichfand viel Gefallen an der überlegenen und zuweilen ironischen Art von Russell in„What I believe“,²¹⁷ während er diesem Buch Oberflächlichkeit vorwarf). Schli-esslich liess er mir durch Dich oder Waismann sagen, dass er nicht mehr mit mirsprechen könne; das müssen wir mit all dem Andern zusammen heute doch wohlals Anzeichen persönlicher Abneigung deuten. Dass aus Abneigung heftige Ab-lehnung werden muss, ist | bei seiner Impulsivität und Entschiedenheit allergefühlsmässigen Einstellungen verständlich. Er Vielleicht spielt auch ein Rivali-tätsgefühl mit, ich weiss es nicht. Jedenfalls wäre es unbegründet, bei derHochschätzung und Verehrung, die W. in unserm Kreis geniesst. Das alles genügtaber doch noch nicht zur Erklärung dafür, dassW. bei seiner Wendung gegenmicheinen so unfreundlichen und verletzenden Ton annimmt. So spricht nur einMensch, dem es nicht gut geht. Damit meine ich nicht nur seine Nervosität, diewahrscheinlich jetzt durch Ueberarbeitung noch gesteigert ist (die neurotischenZüge in seinen Briefen sind ja deutlich und erschreckend). Ich meine, es muss ihmmenschlich irgendwie schlecht gehen. Mehr ist darüber wohl nicht zu sagen.

An W. habe ich nicht über die Sache geschrieben, nur mit einer Zeile denEmpfang seines Briefes bestätigt.²¹⁸ Eine ruhige Erörterung mit ihm ist ja ausge-schlossen. Ich weiss nicht, ob man hoffen kann, dass er später bei ruhiger Be-sinnung zu einer andern Einstellung kommt.Wenn Du wünsch[s]t, ihm etwas ausdiesem Brief mitzuteilen, habe ich natürlich nichts dagegen.²¹⁹

Vgl. dazu Carnaps Tagebucheintragungen vom Juni/Juli 1927 (Wiener-Kreis-Archiv, Inv.-Nr. 585, X.47– 1). Vgl. Carnap 1993: 42. Russell 1925. Vgl. Nr. 54. Ein derartiges Schreiben ist nicht überliefert.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 157

Antworte nicht ausführlich.²²⁰ Du sollst Dich jetzt erholen und nicht langeBriefe schreiben. Hoffentlich bringt der Brief Dir nicht durch Wiederaufrollen desGanzen neue Beunruhigung; ich möchte im Gegenteil wünschen, dass die ruhigeBetrachtungder Sache den scharfen Stachel nimmt, den sie ja sicher auch für Dichhat. Wenn Du ganz kurz in wenigen Zeilen mir etwas über Deine Einstellungschreiben kannst, würde ich mich freuen.

Mit herzlichen Grüssen und besten WünschenDein Carnap

56 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 1 S., 123/Wittg-18]

[Poststempel: Hohenberg, N. Ö., 2. 9. 1933]Donnerstag [31. 8. 1933]

Lieber Herr Professor Schlick!Ich glaube nicht, daß ich so zu Ihnen kommen kann, daß ich am 15ten d M. schonwieder nach Wien fahre.²²¹ Es käme dabei nichts heraus. Ich hatte gerade gehofftumden 18tenherum zu Ihnen zu kommen.Meine Arbeitskraft ist nicht so gut,wie eszu wünschen wäre & umsomehr hatte ich es mir verlangt Ihnen einmal die Er-gebnisse meiner Arbeit gründlich zu erklären, wenn es Ihnen damit voller Ernstgewesen wäre. Denn wer weiß, ob ich sie je werde veröffentlichen können. Soll esaber damit nichts sein, [?] so wird die Welt auch so nicht zu Grunde gehen. – Ichwünsche \daß es/ Ihnen (wie auch mir selbst) halbwegs gut gehen möge.

Ihr Ludwig Wittgenstein

Schlick antwortete erst am 3. Dezember 1932. Aus einem Brief von Schlick an seine Frau geht hervor, dass Wittgenstein, wie geplant, am12. September in Laurana (Istrien) ankam; weitergehend zu diesem Treffen Iven 2009.

158 Mathias Iven

57 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-6]

[Anschrift]Herrn Prof.M. SchlickVilla SouvenirLaurana (Fiume)Italien

[Poststempel: Neuberg a. d. Mürz] 7. Sept. 33Lieber Herr Professor, haben Sie vielen Dank für Ihre liebe Karte,²²² die ich mitgrosser Verspätung erhielt. Ich freue mich von Herzen, dass Sie sich wohlfühlen.Der Sommer ist hier zwar sehr verregnet, mir geht es aber ziemlich gut, und vorallem, die Arbeit schreitet langsam dem Ende zu. Ich bin ab 15. Sept. wieder inWien, in meiner alten Wohnung, Fruchtgasse. Ist Herr Wittgenstein bei Ihnen?Wenn ja, dann grüssen Sie ihn bitte vielmals vonmir. Mit den herzlichsten Grüssen

IhrF.Waismann

58 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick²²³[Brief, Hs, 1 S.]

[Cambridge, 9. 3. 1934]²²⁴ FreitagLieber Professor Schlick!Ich komme \Montag d. 19ten oder/ Dienstag d. 20.ten nach Wien. In gewisser Be-ziehung fürchte ichmich davor, denn ich bin jetzt sehr überarbeitet & kann nurmitgroßer Mühe meine Vorlesungen halten; daher wird mir bei dem Gedanken an diebevorstehende Arbeit mit Waißmann sonderbar zu mute. Ich werde sehr mitmeinen Kräften sparenmüssen. Ich freuemich sehr darauf Sie wiederzusehen. Ichwerde Sie anrufen, so wie ich ankomme.

IhrLudwig Wittgenstein

Nicht überliefert. Wiedergegeben in Nedo/Ranchetti 1983: 240 bzw. Nedo 2012: 284. Vgl. zur Datierung Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 12. März 1934.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 159

59 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-7]

[Anschrift]²²⁵HerrnProf. Dr. M. SchlickHotel NAUMACHIETAORMINAITALIA

Wien, 12. 4. 34.Lieber Herr Professor, vielen Dank für Ihre freundliche Karte!²²⁶ Mir geht es nichtgut, das Buchmachtmir grosse Sorgen, dennwasW.vorschwebt ist eine ganz neueArbeit, von der ich nicht weiss, ob ich sie leisten kann. Ich versuche jetzt, einensolchen Gedankengang auszuarbeiten, komme aber sehr schwer vorwärts. MitCarnap habe ich gesprochen, er wird einen Hinweis im gewünschten Sinn in dasVorwort aufnehmen.²²⁷ Mit den herzlichsten Grüssen u.Wünschen

Ihr F.Waismann

60 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Brief, Hs, 4 S., 122/Wai-8]

Steinach a. Brenner, 9. Aug. 34Lieber Herr Professor,

vielen Dank für Ihre freundliche Karte!²²⁸ Wie Sie schon aus Hungs²²⁹ Kartegesehen haben,²³⁰ bin ich hierher in die Berge gefahren u. geniesse die Natur,wieschon seit Jahren nicht. – Ich möchte Ihnen nun kurz erzählen,was ich mit Wittg.abgemacht habe. Freitag vor Ihrer Abreise kam W. zu mir, um in gemeinsamerArbeit die Disposition zu beginnen. Einen Teil hatte ich schon geschrieben. Alleines zeigte sich, dass W. gleich mit dem Anfang nicht einverstanden war u. erklärte,

Die Karte wurde Schlick nachgeschickt; die ursprüngl. Anschrift lautete: „Hotel Luna /Amalfi (Napoli) / Italien“. Nicht überliefert. Vgl. Carnap 1934a: VI; siehe dazu auch Carnap 1934b: 24/25. Nicht überliefert. Tscha Hung (1909–1992) studierte Ende der zwanziger Jahre in Berlin, Jena und Wien, woer seit 1930 an den Sitzungen des Wiener Kreises teilnahm und 1934 bei Schlick promovierte. Nicht überliefert.

160 Mathias Iven

so könne doch das Buch nicht beginnen. Das Seltsame ist, dass gerade dieserAnfang von ihm stammt. Er hatte mir nämlich zu Ostern, als er den Plan desGanzen entwickelte,vor allem erklärt,wie er sich den Anfang vorstellt u. sogar aufeinem Bogen Papier ziemlich ausführliche Bemerkungen niedergeschrieben, –eben die Sätze, an denen er jetzt Anstoss nahm. Als ich ihm das sagte,wollte er eszuerst durchaus nicht glauben, bis ich zum Glück den Bogen fand u. ihm nunschwarz auf weiss zeigen konnte, dass diese Sätze von ihm sind. Ich schreibeIhnen dieses | Detail durchaus nicht, um etwaW. einen Vorwurf zu machen. Er hatja die wunderbare Gabe, die Dinge immer wie zum ersten Mal zu sehen. Aber eszeigt doch, meine ich, wie schwer eine gemeinsame Arbeit ist, da er eben immerwieder der Eingebung des Augenblicks folgt u. das niederreisst, was er vorherentworfen hat. Sie wissen, wie unendlich hoch ich W.’s Urteil schätze u. wie gernich eine solche gemei[nsame] Arbeit mit ihm machen würde, wenn ich nur diegeringste Möglichkeit dazu sähe, d.h. wenn es sich wirklich nur um die Verbes-serung eines Planes handelte. Aber so sieht man doch nur, dass Stück um Stückdes Aufbaus niedergerissen wird u. dass alles langsam ein völlig anderes Gesichterhält \annimmt/, sodass man fast das Gefühl erhält, dass es ganz egal ist, wieman die Gedanken zusammenfügt, da ja schliesslich doch kein Stein auf demandern bleibt. Vor allem ist dies keine gemeinsame Arbeit: Da brauchte ich jaüberhaupt keine Disposition zu machen u. nur zuzuschauen, wie \sich/ W. einenvöllig andern Weg sucht. Und das schien er nun plötzlich selbst zu erkennen. „Esist des Teufels, mit mir zu arbeiten“ sagte er, „ich kann nur meinen Weg gehen u.weiss nie | vorher,wohin er führen wird.“ Er meinte, er habe das Gefühl, er würdein derselben Zeit mehr leisten,wenn er für sich arbeite, da er dann den Aufbau aufzehn Arten versuchen u. sie vielleicht alle wieder verwerfen u. es auf eine ganzandere Art machen werde. Er sprach die Wahrheit, u. ich sagte ihm dies.W. wirdsich also bis Ende August ausschliesslich mit der Disposition beschäftigen.²³¹ Ober sie bis dahin fertig bringt, weiss er nicht. Ich soll dann nach dieser Dispositiondie Arbeit ausführen. Ob ich das werde tun können, d. h. ob erstens meine Fä-higkeit dazu ausreicht u. ob zweitens die Anlage nicht vielleicht gegen meineÜberzeugung sein wird (was ich im stillen ein wenig fürchte), weiss ich nicht.Gesetzt aber, ich könnte diese Arbeit leisten, so ist die weitere Frage, ob es dannnicht ein irreführender Schein ist,wenn mein Name auf dem Titelblatt steht; es istdoch schliesslich nicht mein Buch.Über diesen Punkt habenwir lange gestritten –aber vorläufig um des Kaisers Bart, denn die Disposition ist eben noch nichtda \gemacht/.Wartenwir also bis EndeAugust, dannwird sich ja zeigen,was da imWerden ist.

Vgl. Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 11. August 1934.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 161

Dass Sie sich in Millstatt wohl fühlen, freut | mich von Herzen. Hung, den ichzufällig am Abendmeiner Ankunft hier getroffen habe, erzählte mir,wie schön Siees dort haben u.wie gern er Sie noch einmal besuchen möchte. Auch ich würde esgern tun, aber ich habe schon eine Retourkarte für die Westbahn. Mit den herz-lichsten Grüssen und Wünschen

IhrF.Waismann

Verzeihen Sie, bitte, die schlechte Schrift. In diesem Gasthof gibt es keineTinte.

Vom 12. bis 19. bin ich in Schruns, Vorarlberg, Pension Gauenstein, am 25.ungefähr bin ich wieder in Wien in der Fruchtgasse.

61 Friedrich Waismann an Moritz Schlick[Bildpostkarte, Hs, 122/Wai-9]

[Anschrift]Prof. M. SchlickCostalovara sul

RenonPensione MaierAlto Adige, Italia

Wien, 5. X. 34Lieber Herr Professor,ich habe Ihren Auftrag ausgeführt und noch gestern zwei Abzüge der Manu-skripte²³² an Neurath abgesandt.²³³ Die weiteren Abzüge stehen zu Ihrer Verfü-gung. Ich freue mich aufrichtig, dass Sie sich so wohl fühlen und frisch und ar-beitsfreudig sind. – Hier in Wien habe ich Dr Nagel (Columbia Univ.)²³⁴ kennengelernt, den Sie wohl von Prag her kennenwerden. Ansonst[en] habe ich noch vielmit der Wohnung zu tun. Mit den herzlichsten Grüssen und Wünschen Ihr F W

Es handelte sich dabei um die beiden Texte „Über den Begriff der Ganzheit“ sowie „Er-gänzende Bemerkungen über P. Jordans Versuch einer quantentheoretischen Deutung der Le-benserscheinungen“; siehe dazu auch die editorischen Berichte zu beiden Texten (MSGA I/6:549 ff. bzw. 613 f.). Vgl. u.a. Otto Neurath an Moritz Schlick, 20. September bzw. 8. Oktober 1934. Ernest Nagel (1901–1985).

Mathias Iven162

62 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 13 S., 123/Wittg-19]

Trin. Coll. Camb.31. 7. 35

Lieber Professor Schlick!Vielen Dank für Ihren Brief.²³⁵ Ich werde, wahrscheinlich diesen Sommer nichtnach Österreich kommen. Anfangs September will ich nach Russland reisen &werde entweder dort bleiben, oder nach einigen \(etwa 6)/ Wochen nach Englandzurückkehren.²³⁶ Was ich in diesem Fall in England tun werde ist noch ganz un-gewiss, aber wahrscheinlich werde ich nicht philosophieren. Mein Manuskript²³⁷muß wegen seiner Unordnung & den vielen bloß angedeuteten Dingen für Sieaußerordentlich schwer zu | verstehen gewesen sein.Über die Anwendung des vonmir gesagten auf Fälle wie den von Ihnen zitierten will ich nur eines sagen:WennSie hören jemand habe bewiesen, esmüsse unbeweisbare Sätze in derMathematikgeben, so ist daran vorerst gar nichts Erstaunliches, weil sie ja noch gar keineAhnung haben, was dieser scheinbar so klare Prosasatz sagt. Sie haben also denBeweis von A bis Z. durchzugehen um zu sehen, was er beweist. D.h.: Ehe Sieihn diesen speziellen Beweis in bis in sein letztes Detail durchgegangen sind,wissen Sie noch gar nichts. Z.B. wissen Sie nicht, was in der Auffassung diesesBeweises ein „mathematischer Satz“ ist. Denn anderseits ist ja eine Mathematikabgrenzbar, in der es nicht unbewiesene | Sätze giebt, z.B die elementare Arith-metik. Daß der Prosasatz, der als Resultat des Beweises gilt, erstaunlich klingt,sagt gar nichts. Es ist [?] klar, daß auch der gegenteilige Prosasatz bewiesenwerden kann. D.h.: ich zweifle nicht, daß ein geschickter Mensch die Anwendungder Worte so wenden kann, daß [??] wir geneigt sein werden den Gegenteiligen

Nicht überliefert. Gemeinsam mit Francis Skinner (1912– 1941) nahm Wittgenstein seit Ende 1933 bei FaniaPascal Russisch-Stunden. Im Juni 1935 bat er Keynes um ein Empfehlungsschreiben für densowjetischen Botschafter in London, Iwan Michailowitsch Maiski (1884– 1975) (vgl. dazu dieBriefe an Keynes v. 30. Juni und 6. Juli 1935 bzw. von Keynes v. 10. Juli, WC 2008: 244 ff.).Wittgenstein kam auf seiner Reise durch die Sowjetunion am 12. September 1935 in Leningradan, reiste am nächsten Tag weiter nach Moskau, wo er am 14. September eintraf, später nachKasachstan, wo man ihm einen Lehrstuhl an der dortigen Universität anbot, und war am1. Oktober wieder zurück in Cambridge (vgl. auch die Postkarte an Gilbert Pattison v. 22. Sep-tember 1935, Nedo 2012: 326). Siehe dazu auch die Verweise auf an Schlick übergebene bzw. nicht auffindbare Manu-skripte in Ludwig Wittgenstein an Rudolf Koder, [vor dem 13. August 1936] (Wittgenstein und dieMusik 2000: 56) bzw. Margaret Stonborough an Ludwig Wittgenstein, 26. September 1936 (CF1996: 153) sowie Ludwig Wittgenstein an Hermine Wittgenstein, [Februar 1938] (CF 1996: 160/161).

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 163

Satz als das Resultat eines Beweises anzuerkennen, wie man ja beweisen kann,daß jede Gerade einen Kreis schneidet & auch, daß nicht jede Gerade einen Kreisschneidet. Wer sich nun wundern würde, daß beide entge|gengesetzten Sätzebeweisbar sind, dem würde ich sagen: Schau Dir die Beweise an dann wirst Dusehen „in welchem Sinn“ das eine & „in welchem Sinn“ das andere bewiesen ist.Und ehe Du die Beweise genau durchstudiert hast ist gar kein Grund zur Ver-wunderung. Alles was Sie aus „meinen Anweisungen“ lernen können ist, daßüberso einen Beweis \& sein Resultat/ nichts gesagt werden kann [? daß]? ehe sie nichtdiesen bestimmten Beweis untersucht haben. D. h.: der Philosoph ist immer imUnrecht, der quasi etwas in der Mathematik prophezeien will & sagt „das istunmöglich“, „das kann nie bewiesen werden“. Warum nicht? das was bewiesenwurde ist ja nur ein |Wortausdruck & der Beweis gibt ihm seinen besonderen Sinn;& [?] \mit wieviel Berechtigung/ wir dann diesen Beweis mit Recht oder Unrechtden Beweis dieses Prosasatzes nennen ist teils Geschmacksache; d.h. es ist Sacheunseres Ermessens & unserer Neigung ob wir das in diesem Prosasatz ausge-drückte Bild hier anwendenwollen oder nicht.Wie es Sache unserer Neigung ist obwir von imaginären Punkten reden wollen oder nicht; oder von unsichtbaremLicht, oder nicht. – Die genaue Untersuchung eines komplizierten Beweises istaußerordentlich schwer. D.h., es ist außerordentlich schwer den Beweis ganzdurchsichtig zu gestalten & volle Klarheit | über seine Beziehung zu andern Be-weisen, seine Stellung in gewissen Systemen etc zu gewinnen. Sie brauchen nureinmal zu versuchen einen Beweis wie den des Satzes, daß √2 irrational ist, genauzuuntersuchen& Siewerden sich davon überzeugen. Das bedeutet aber nicht, daßin diesem Beweis vor dieser Untersuchung etwas Geheimnisvolles ist, sondern nurdaßwir ihn, & besonders seine Stellung zu anderenBeweisen& Sätzen, noch nichtklar überschauen. – Sie sind auf einem falschen Weg,wenn Sie sagen Sie fühltensich trotz meiner Anweisungen noch immer hilflos solchen den & den Beweisengegenüber. DerWitz ist eben daß ich \man/ gar nichts \vonvornherein/ über einenBeweis sagen kann, den ich \man/ nicht tatsächlich untersucht hat, außerdas, | daß man ihn selbst untersuchen muß um [?] zu sehen, wie sehr oder wiewenig angemessen es ist ihn einen Beweis dieses Prosasatzes zu nennen. Philo-sophie kann Ihnen nichts über einen Beweis sagen, & versucht sie es, so [??]müssen Sie allerdings immer zittern, ob sie nicht \wie ein falscher Prophet/ durch[??] \die Wirklichkeit/ lügengestraft werde. Sie denken etwa: „Aber die Philoso-phie soll mir doch sagen, ob so etwas bewiesen werden kann“. Aber es ist ja hierganz unbestimmt gelassen,was unter einem Beweis einesWortlautes zu verstehenist. Erst wenn ich den Beweis kenne, oder das System von Beweisen deren einerunser Beweis ist | sehe ich was hier Beweis genannt wird, wieviel Ähnlichkeitdieses mit andern Konstruktionen hat die wir Beweise nennen &mit welchem Teilder ungeheuren Familie die wir mathematische Beweise nennen es die meiste

164 Mathias Iven

Ähnlichkeit hat. Und erst dann kann man überhaupt über den Beweis & den Satzreden.Wenn also ein Mathematiker auf sie zukommt & sagt: „Nun, was sagen siezu dem neuen Beweis, daß .......“, so haben Sie zu antworten: „Gar nichts“, – abernicht darum weil sie dem Beweis solange nicht trauen können, solange Sie ihnnicht kennen, sondern weil sie auch den Wortlaut des Bewiesenen noch nichtverstehen solange sie den Beweis nicht kennen. \Ebenso:/ Wenn Prof N. N. auf siezukommt & ihnen sagt, man habe | experimentell festgestellt daß es Schmerzengibt die man nicht fühlt, so ist die Antwort nicht: „Ehe ich das glaube, müßte ichdie Experimente kennen“, sondern: „Ehe ich das verstehe muß ich die Experi-mente kennen“. Ich will damit nicht sagen, daß es nicht sehr interessant ist dieseExperimente zu studieren, & jene Beweise. Aber Sie sind in der falschen Auffas-sung begriffen, wenn Sie glauben die Ohren spitzen zu müssen, wenn Ihnen einvon einem neuen Beweis erzählt wird. –

Ich hatte hier große Unannehmlichkeiten im letzten Term. Miss Ambroseveröffentlichte einen Aufsatz in „Mind“²³⁸ der ganz miserabel ist & den | sie quasials von mir inspiriert ausgibt. Ein weiterer ebenso schlechter Aufsatz steht inAussicht. Meine Ansichten sind dort in der dümmsten\r/ Weise Entstellt & als ichden Artikel las hatte ich einen schlimmen Schock. Ich hatte viele und eindring-liche Gespräche mit ihr & versuchte sie davon [?] zu überzeugen, daß eine solchePublikation in jeder Weise, & auch gegen mich, nicht anständig sei. Das Resultatwar, daß sie mir einen ungezogenen Brief schrieb²³⁹ & dadurch unserem Verkehrein Ende machte. Ich bin viel zu beschäftigt um im „Mind“ eine Erwiderung er-scheinen zu lassen. Auch ist mir die Sache jetzt schon gleichgültig geworden, abersie war es mir durchaus nicht & hat mich sehr hergenommen.| Was die „Nachschrift“ zu meinen Vorlesungen betrifft, so habe ich sie nie ge-sehen & weiß nicht ob sie nicht von Mißverständnissen wimmelt; aber es würdemich nicht überraschen, wenn es so wäre.

Als ichWaißmann zum letzten Mal sah sagte ich ihm er könne irgend etwas inmeinemM.S. für sein Buch gebrauchen. –Werweiß ob ich je noch etwas schreibenwerde & ich wollte irgendjemand verstünde meine Manuskripte & benützte sie.

Ambrose 1935; siehe dazu auch Ludwig Wittgenstein an G. E. Moore, 18. Mai 1935 und dieentsprechenden Anmerkungen (CC 1995: 260/261 bzw. WC 2008: 242).Im ersten, im April erschienenen Teil findet sich die Bemerkung (188): “The view presented isguided throughout by certain suggestions made by Dr. L. Wittgenstein in lectures delivered atCambridge in 1932–35.ˮ Der zweite Teil, veröffentlicht im Juli, brachte in einer Fußnote einePräzisierung zur geistigen Urheberschaft, in der es u.a. hieß (319): “This is a view which Iunderstood Dr. L.Wittgenstein to put forward in his lectures and which but for them would neverhave occurred to me. It is only in this sense that any view which I have put forward can be saidto have been ‘guided by suggestions made by himʼ.” Siehe CC 1995: 261.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 165

Denn ich möchte nicht daß die viele Arbeit meiner letzten 6 Jahre umsonst ge-schehen wäre. – Ich weiß freilich, daß meine Bemerkungen sehr schwer | ver-ständlich sind, weil sie ungesichtet & ungeordnet sind; auch sind sie ganz un-vollständig & manches ist handschriftlich in Heften & vieles habe ich nurvorgetragen & nie aufgeschrieben.

Über Miss Ambrose will ich noch sagen, daß sie nicht etwa ein schlechterMensch ist sondern nur das Opfer dummer Ratgeber. Hätte sie Menschen (außermir) um sich gehabt, die ihr gesagt hätten wie elend ihre Arbeit ist, so hätte sie sienie drucken lassen.

Wie Sie wissen existiert ein M.S. welches ich in den ersten zwei Terms diesesJahres diktiert habe²⁴⁰ & welches die Art & Weise zeigt wie ich den ganzen Stoffbehandelt sehen will. Gegenwärtig hat es ein Freund von mir \& eine Kopie hatMiss Ambrose/. Es wird aber davon vielleicht eine Abschrift gemacht | werden & indiesem Falle werden Sie eine Kopie erhalten.

Ich bedaure Sie daß Sie diesen langen geschmierten Brief durchsehen müs-sen.

Ich hoffe, daß wir uns nocheinmal, oder noch öfters, sehen werden. Seien Siesehr herzlich gegrüßt.

IhrLudwig Wittgenstein

Das Buch „G. v. List“²⁴¹ bitte ich Sie zu behalten. Es ist, glaube ich, sehr be-merkenswert.

Hierbei handelt es sich um das “Brown Book” (TS 310), das er Francis Skinner und AliceAmbrose diktierte (weiterführend u.a. Gibson 2010). Guido von List (1848– 1919), dessen Ansichten Hitler wesentlich beeinflussten, beschäftigtesich vorrangig mit Untersuchungen zur germanischen Geschichte, Kultur, Mythologie, Märchen-und Sagenwelt. – Offensichtlich handelt es sich hier um die Biographie von Johannes Balzli (zuLeben und Werk Lists siehe auch den entsprechenden Abschnitt in Hamann 1996).

166 Mathias Iven

63 Ludwig Wittgenstein an Moritz Schlick[Brief, Hs/K, 1 S.]

[Cambridge] Sonntag²⁴²Lieber Herr Prof. Schlick!Danke für Ihre Karte.²⁴³ Ich arbeite äußerst angestrengt! Was vonmeiner Arbeit fürWaißmann brauchbar sein wird,weiß ich nicht & will es mit ihm zu Weihnachtenbesprechen.²⁴⁴ Ich komme wahrscheinlich um den 15ten nach Wien. In wenigenTagenwerden Sie ein Exemplar der Vorlesungen erhalten. Ichwill jetzt nichts überdie Art meiner gegenwärtigen Arbeit schreiben, da ich keine \rechte/ Zeit habe &hoffe, daß wir uns in Wien sehen werden; dann werde ich alles erzählen.

Auf Wiedersehen & Grüße an Waißmann.Ihr

Ludwig Wittgenstein

64 Ludwig Wittgenstein an Friedrich Waismann[Brief, Hs/K, 6 S., 574/X.19]

Trinity College19. 5. 36.

Lieber Herr Waismann!Ich habe gestern den Sonderabdruck Ihres Aufsatzes über Identität²⁴⁵ erhalten &ihn gelesen & danke Ihnen für seine Zusendung. Ich halte es nun für richtig &sogar für meine Pflicht Ihnen das folgende zu schreiben: Zuerst ein Gleichnis:Wenn der Komponist A Variationen über ein Thema des Komponisten B ge-schrieben hat, so heißt es nicht /schreibt er nicht/: „zu diesem Musikstück habeich wertvolle Anregungen von B erhalten“, sondern es heißt \er schreibt/: „Themavon B“. Obwohl man ja das Thema als eine Anregung zu den Variationen be-zeichnen kann. – Anderseits \Ferner/ | aber ist mit der Feststellung, das Thema sei

Der Inhalt des vorhergehenden Briefes lässt den Schluss zu, dass dieses Schreiben mög-licherweise von Ende 1935 stammt. So könnte es am 24. November oder auch am 1. bzw. 8. De-zember 1935 geschrieben worden sein. Nicht überliefert. Wann sich Wittgenstein und Waismann getroffen haben, ist nicht belegt. In Schlicks Ta-schenkalender findet sich allerdings unter dem 29. Dezember 1935 die Eintragung für ein Treffenmit Wittgenstein (vgl. Inv.-Nr. 88, C.32–4). Waismann 1936.

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 167

von B, \ist/ nichts über denWert der Variationen gesagt; dieser kann ebenso groß,ja größer sein, als der des Themas.

Nun die Anwendung: Es ist zwar wahr aber nicht klar & gibt ein falsches Bildvon den Tatsachen wenn Sie in Ihrer \der/ Fußnote schreiben: „Wertvolle Anre-gungen .. etc.“ Vielmehr müßte es heißen: „Der auf den Seiten 56, 57, & 58 ent-wickelte Gedanke [daß nämlich ‘identisch’ nicht eine, sondern eine Reihe miteinander verwandter Bedeutungen hat, entsprechend der benützten ‘Kriterien fürdie Identität’]²⁴⁶ rührt von L.Wittgenstein her“. Dies ist die volle Wahrheit, & ihreFeststellung war \ist/ wichtig weil meine Untersuchungen, die die Grundlage derIhrigen sind /bilden/ nicht veröffentlicht sind. – Ich bin aber überzeugt, daß essich hier | um eine Art Versehen Ihrerseits handelt,vielleicht,– verzeihen Sie,–umeine gewisse Nachlässigkeit, nicht aber um die Absicht, mich um die Fruchtmeiner Arbeit zu bringen. Denn \Und/ Sie wissen sehr wohl daß so ein Gedankeetwas gekostet hat es schwere Arbeit war. – Ich bin sicher Sie werden mich ganzverstehen & \Sie/ werden das unabsichtlich hervorgerufene Mißverständnis aufeine \[?] &/ einwandfreie Weise beseitigen. Dies kann für Sie \von Ihnen/ um sonicht \als/ drückend empfunden werden, da ja die von Ihnen geleistete Arbeitdadurch nichts von Ihrem Werte verliert. (Ich sagte ‘Mißverständnis’, denn ausIhrer Fußnote erweckt \ohne es zu wollen/ den Anschein als habe ich Sie in Ge-sprächen zum Nachdenken über die Identität angeregt, | so aber, daß sich nichtrecht sagen lasse der & \oder/ der wesentliche Gedanke rühre von mir her.)

Ich will Ihnen nicht verhehlen daß die\se/ Sache in mir manche bittere Ge-danken hervorgerufen hat. Aber ich lasse diese nicht zu Worte kommen da ichdarauf vertraue daß Sie, mit dem Empfinden mir Gerechtigkeit widerfahren zulassen, die Ursache zu diesen\r/ bitteren Gedanken austilgen werden.

\Ich/ B\b/itte glauben Sie, mir \zu glauben/ daß dieser Brief in freund-schaftlicher\m/ Weise gemeint \Geiste geschrieben/ ist.

Sein Sie bestens gegrüßtIhrLudwig Wittgenstein

P. S.Wenn ich auch wünsche daß das erwähnte Mißverständnis beseitigt werde sodoch nicht daß es in einer Form geschieht die [???] von Ihnen | mit Recht alsdemütigend \oder unwürdig/ empfunden werden kann. oder Ihrem Rufe alsSchriftsteller und Ich erlaube mir daher /möchte Sie daher bitten/ Ihnen denVorschlag zu machen sich mit Prof. Schlick ins \ [ ? ] / Einvernehmen zu set-

Im Original in eckigen Klammern.

168 Mathias Iven

zen \beraten/. der Ihnen gewiss behilflich sein wird Er wird glaube ich im Standesein einen guten Vorschlag für die richtige Erledigung der Sache zu machen.

Ferner aber möchte ich Ihnen sagen: Ich bitte Sie Sich im Geiste in meine Lagezu versetzen: Ich habe jetzt sieben Jahre lang schwer, &mit \viel/ Erfolg, gearbeitet& habe nicht nur \in dieser Zeit/ noch nichts veröffentlicht sondern bin heute nochzweifelhaft ob ich meine Arbeit je in eine Form bringen werde | in der ich glaubenwerde sie veröffentlichen zu können. Ist es da nicht natürlich wenn daß ichwünschen soll daß die denen ich Resultate meines Denkens zur Verfügung gestellthabe dies \– wo es geht –/ in klarer \& eindeutiger/ Weise zum Ausdruck zubringen? Und ich habe diese Resultate nicht nur ‘in vielfachen Gesprächen’ an-gedeutet sondern sie Ihnen & Andern \eingehendst erklärt/, diktiert & IhnenmeineManuskripte zur Verfügunggestellt. In einem der englischenM.S. ist U.a. istvon der Identität auch in dem engl. M.S. die Rede: es heißt da: Ich sage dies abernicht in vorwurfsvollem Geiste, sondern zur Rechtfertigung meines Verlangens.

L.W.

65 Friedrich Waismann an Ludwig Wittgenstein[Brief, Hs/K, 4 S., 574/X.19]

Wien, 27. V. 36.Lieber Herr Wittgenstein,ich habe Ihren Brief erhalten und möchte Ihnen folgendes erwidern:Als ich von „wertvollen Anregungen“ sprach, da meinte ich, dass das jeder

unbefangene Leser so verstehen müsse, wie es gemeint war, dass nämlich dieGrundidee dieser Untersuchung von Ihnen und die Durchführung vonmir stammt.Ich habe nicht im entferntesten gedacht, dass diese Stelle anders aufgefasstwerden könne und sehe erst aus Ihrem Brief die Möglichkeit einer anderenDeutung. Das tut mir aufrichtig leid, und es ist meinWunsch, die Angelegenheit sodarzustellen, dass nicht der geringste Zweifel möglich ist. Ich möchte daher fol-gendes tun: Da ich in diesen Tagen wieder einen kleinen Aufsatz an die „Er-kenntnis“ einsende, in welchem Sie zitiert sind, werde ich am Schluss eine Notebeifügen,²⁴⁷welche den Inhalt jener Anmerkung richtigstellt, und zwar so,wie Sie

Erst in Band VII der Erkenntnis wurde wieder etwas von Waismann veröffentlicht. ImAnhang zu seinem Beitrag „Ist die Logik eine deduktive Theorie?“ findet sich die Bemerkung(375): „Den in der kleinen Schrift entwickelten Grundgedanken – daß die Axiome der Logik Teilevon Schlußregeln sind – verdankt der Verfasser mündlichen Mitteilungen Herrn LudwigWi t t gen s t e i n s .“

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 169

es in Ihrem Brief angegeben haben. Es wäre vielleicht auch möglich, diese | Be-richtigung in Form einer eigenen Notiz zu bringen. Auf den Rat von Prof. Schlick,dem ich Ihren Brief zu lesen gab, möchte ich den ersteren Weg wählen, weil dieBerichtigung viel ungezwungener ist, weil dann \ferner/ der Aufsatz ungefähr indie Hände derselben Leser kommt wie der erste und weil ich schliesslich dieSeparata an dieselben Personen verschicken kann, während es von einer Notizkeine Separata gibt.

Ich möchte Ihnen nur noch sagen,warum ich die Fussnote so abgefasst habe.Als ich \mit/ den\m/ Aufsatz an die „Erkenntnis“ abschi[cken] fertig war, dawusste ich nicht recht, inwieweit Sie mit dem Inhalt einverstanden sein würdenund inwieweit nicht. Wenn ich nun den Aufsatz oder einen Teil desselben alsWiedergabe Ihrer Ideen bezeichnete, so war ich nicht sicher, ob Sie mir nichterklären würden: ich habe Sie nicht verstanden oder ich habe Ihre Gedankenschief oder entstellt wiedergegeben. Ich bitte Sie, mich richtig zu verstehen undsich auch in meine Lage zu versetzen: ich glaube zwar, Ihre Ideen richtig zuverstehen, aber ganz gewisswäre ichmeiner Sache erst, | wenn Sie dasManuskriptlesen und mir Ihre Zustimmung erklären würden. So bleibt immer ein gewisserZweifel in mir zurück. In dieser Lage habe ich mich Prof. Schlick anvertraut undihn umRat gefragt,was ich da tun soll: ichmöchte, dass Sie Ihr Recht erhalten undandererseits doch nicht, dass Sie die Verantwortung für irgendwelche Fehler in derDurchführung trifft. Prof. Schlick konnte mir damals keinen rechten Rat geben.Schliesslich schrieb ich eine ausführliche Note, in der ich ungefähr das ausein-andersetzte, was ich Ihnen eben angedeutet habe. Da ich damals Prof. Schlicknicht sah und er sehr wenig Zeit hatte, so gab ich den Aufsatz mit der Note einemFreund zu lesen, dem ich auch die Entstehungsgeschichte der Arbeit genau er-zählte. Er fand die Anmerkung zu umständlich und riet mir von Ihrer ihrer Ver-öffentlichung ab. Auf der Suche nach einem kürzeren Ausdruck kam ich schli-esslich dazu, Ihnen die „wertvollen Anregungen“ zuzuschreiben, in der Meinung,damit genau das auszudrücken, was ich sagen wollte, dass ich Ihnen den ent-scheidenden Anstoss, die Richtungder ganzen | Untersuchung verdanke,währenddie Durchführung im einzelnen meine Sache ist. Ich fragte damals noch meinenFreund: Ist es auch klar und deutlich, was ich mit diesen Worten sagen will? Soll

Eine neuerliche, in diesem Sinne abgefasste „Note“ erschien dann 1938 im Rahmen eines ge-meinsamen, von Braithwaite, Russell und Waismann gezeichneten Beitrages unter dem Titel“Symposium: The Relevance of Psychology to Logicˮ. Dort hieß es in einer Anmerkung (54): “Iwish to emphasize my indebtedness to Dr.Wittgenstein, to whom I owe not only a great part ofthe views expressed in this paper but also my whole method of dealing with philosophicalquestions. Although I hope that the views expressed here are in agreement with those ofDr. Wittgenstein, I do not wish to ascribe to him any responsibility for them.”

170 Mathias Iven

ich es nicht anders ausdrücken? und erst auf seine Versicherung, dass werde wohljeder Mensch die Bemerkung richtig verstehenwerde, schickte ich das Manuskriptab. Ich Ihr Brief überzeugt mich, dass dieser Ausdruck dennoch nicht richtiggewählt war, und ich werde daher dieses Unrecht gut machen.

Seien Sie bestens gegrüsst vonIhrem

Friedrich Waismann

66 Ludwig Wittgenstein an Friedrich Waismann[Brief, Hs/K, 2 S., 574/X.19]

[Cambridge] Dienstag²⁴⁸Lieber Herr Waismann!

Der Tod Schlicks ist wirklich ein großes Unglück.²⁴⁹Auch Sie & ich habenviel an ihmverloren. Ichweißnicht,wie ich seiner Frau&

den Kindern meine Teilnahme ausdrücken soll, die ich, wie Sie wissen, wirklichfühle.Wenn es Ihnen möglich ist, so täten Sie mir einen großen Gefallen,wenn Sieeines der Kinder, oder [die]? Frau Schlick, aufsuchten & Ihnen? ihnen sagten, daßich mit warmer Teilnahme an sie denke, daß ich aber nicht weiß, was ich ihnenschreiben soll.²⁵⁰ Sollte | es Ihnen unmöglich sein (äußerlich oder innerlich) dieseBotschaft zu überbringen, so bitte lassen Sie mich’s wissen.

Mit herzlicher Teilnahme & GrüßenIhrLudwig Wittgenstein

Ich habe Ihren Brief erst heute erhalten, da ich verreist war.

Wittgensteins Nachbemerkung legt die Vermutung nahe, dass er den Brief erst nach seinerBretagne-Reise, also im Juli 1936, geschrieben hat. Siehe dazu auch Ludwig Wittgenstein an Ludwig Hänsel, [nach dem 22. Juni 1936] (CLH1994: 133); Margaret Stonborough an Ludwig Wittgenstein, 11. Juli 1936 (CF 1996: 152) sowieLudwig Wittgenstein an Rudolf Koder, [vor dem 13. August 1936] (Wittgenstein und die Musik2000: 56). Zu dieser „Unmöglichkeit der Anteilnahme“ vgl. bspw. Ludwig Wittgenstein an HermineWittgenstein, 4. August 1921 (CF 1996: 87): „Ich würde gerne an Helene schreiben, aber es gehtnicht, sag’ ihr etwas in meinem Sinn, was ihr nicht unangenehm ist. – “ (H. W. hatte ihremBruder mitgeteilt, dass Fritz Salzer, Sohn ihrer Schwester Helene, gestorben war.)

Die Korrespondenz zwischen Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick 171

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MSGA I/2 [= Abt. I, Bd. 2]: Über die Reflexion des Lichtes in einer inhomogenen Schicht /Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik, hrsg. und eingeleitet von Fynn Ole Englerund Matthias Neuber, Wien/New York 2006.

MSGA I/3 [= Abt. I, Bd. 3]: Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre / Fragen derEthik, hrsg. und eingeleitet von Mathias Iven, Wien/New York 2006.

MSGA I/5 [= Abt. I, Bd. 5]: Rostock – Kiel – Wien (Aufsätze, Beiträge, Rezensionen 1919–1925),hrsg. und eingeleitet von Edwin Glassner und Heidi König-Porstner unter Mitarbeit vonKarsten Böger. Wien/New York 2012.

MSGA I/6 [= Abt. I, Bd. 6]: Die Wiener Zeit (Aufsätze, Beiträge, Rezensionen 1926–1936), hrsg.und eingeleitet von Johannes Friedl und Heiner Rutte, Wien/New York 2008.

MSGA II/1.2 [= Abt. II, Bd. 1.2]: Erkenntnistheoretische Schriften 1926–1936, hrsg. undeingeleitet von Johannes Friedl und Heiner Rutte, Wien/New York 2013.

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der Lebenserscheinungen, in: Erkenntnis V, 1935, 181–183 [jetzt MSGA I/6: 617–620].Stadler, Friedrich: Studien zum Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des

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2000.

174 Mathias Iven

Fynn Ole Engler, Berlin / Rostock

„Allerdings ist die Lektüre äusserstschwierig.“Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein

Abstract: The philosophical dispute between Moritz Schlick and Ludwig Witt-genstein has so far not attracted much attention. This is probably mainly due toSchlickʼs rather sporadic references to Wittgenstein and vice versa to Wittgen-steinʼs rather sporadic references to Schlick in their respectivewritings. However, acloser observation of their relationship, taking into account their intellectual le-gacy and, in particular, their extensive correspondence, indicates that their phi-losophical discussions,which had started at the end of 1929 and lasted through to1935/1936, led to reciprocal challenges.Wittgensteinʼs profound trains of thought(Denkbewegungen) seem to have been influenced by this periodwhile Schlick as aconstant companion maintained the essence of his Position throughout.

1. Wahlverwandtschaften

Im April 1926 hatte Ludwig Wittgenstein überraschend seinen Dienst als Volks-schullehrer im niederösterreichischen Otterthal quittiert und kehrte, nachdem ernoch einige Monate bei den Johannitermönchen in Hütteldorf als Gärtner gear-beitet hatte, kurz nach dem Tod der Mutter am 3. Juni 1926 in den Kreis der Familiezurück.Wieder in Wien war Wittgenstein bis zum Herbst 1928 zusammen mit demFreund und Adolf-Loos-Schüler Paul Engelmann und dem ebenfalls aus Olmützstammenden Jaques Groag hauptsächlich mit dem Bau des berühmten Hauses inder Kundmanngasse für seine Schwester Margaret Gretl Stonborough beschäftigt.

Während dieser Zeit kam es aber auch zu den ersten Begegnungen mit MoritzSchlick und – an einigen Montagabenden – mit weiteren Mitgliedern des nach-mals so bezeichneten Wiener Kreises. An diesen Tafelrunden, die regelmäßigneben den berühmten Donnerstagssitzungen des Schlick-Zirkels stattfanden,nahmen auch Rudolf Carnap, Herbert Feigl mit seiner Frau Maria und SchlicksAssistent FriedrichWaismann teil.¹ Dass man bei diesen Treffen gelegentlich auchüber Philosophie sprach, lag vorrangig im Interesse der Kreismitglieder, zu denenWittgenstein bekanntlich nie zählte.

Berichte über die Montagabende finden sich in Carnap 1993: 39–45 und Feigl 1981: 63 f.

So hatte sich Schlick bereits zu Weihnachten 1924 erstmals an Wittgensteingewandt und seine unverhohlene Bewunderung für dessen Logisch-philosophi-sche Abhandlung (TLP 1921, 1922) zum Ausdruck gebracht. Für ihn sollten dieLektüre der Abhandlung, aber auch die Bekanntschaft und freundschaftlicheVerbindung mit Wittgenstein zu den prägendsten Ereignissen seiner WienerSchaffenszeit werden, die 1936 mit seiner Ermordung jäh endete. In seinem erstenBrief an Wittgenstein lautete es:

Als Bewunderer Ihres tractatus logico-philosophicus hatte ich schon lange die Absicht, mitIhnen in Verbindung zu treten. Die Last meiner Amts- und sonstigen Verpflichtungen istschuld daran, daß die Ausführung meiner Absicht immer wieder zurückgeschoben wurde,obgleich seit meiner Berufung nach Wien bereits fast fünf Semester verflossen sind. ImPhilosophischen Institut pflege ich jedes Wintersemester regelmäßig Zusammenkünfte vonKollegen und begabten Studenten abzuhalten, die sich für die Grundlagen der Logik undMathematik interessieren, und in diesem Kreise ist Ihr Name oft erwähnt worden, besondersseit mein Kollege der Mathematiker Prof. Reidemeister über Ihre Arbeit einen referierendenVortrag hielt, der auf uns alle großen Eindruck machte. Es existiert hier also eine Reihe vonLeuten – ich selbst rechne mit dazu –, die von der Wichtigkeit und Richtigkeit IhrerGrundgedanken überzeugt sind, und wir haben den lebhaften Wunsch, an der Verbreitungihrer Ansichten mitzuwirken. […] Eine besondere Freude würde es mir sein, Sie persönlichkennen zu lernen, und ich würde mir gestatten, Sie gelegentlich einmal in Puchberg auf-zusuchen, es sei denn, daß Sie mich wissen lassen sollten, daß Ihnen eine Störung Ihrerländlichen Ruhe nicht erwünscht ist. (Nr. 1)²

Während Wittgenstein demnach immer noch als Lehrer in ländlicher Abge-schiedenheit tätig war, er war drei Monate zuvor von Puchberg ins gut zwanzigKilometer entfernte Otterthal übersiedelt, und von einer Rückkehr zur Philosophienichts wissen wollte, hatte seine Abhandlung, die 1921 in den OstwaldʼschenAnnalen der Naturphilosophie und ein Jahr später in Buchform in einer deutsch-englischen Ausgabe erschienen war, bereits eine Reihe von Anhängern gefundenund war in Wien, aber auch in Cambridge, das Wittgenstein im Oktober 1913verlassen hatte, um in Norwegen zu arbeiten,³ auf großes Interesse gestoßen.

Insbesondere der junge Mathematiker und Logiker Frank P. Ramsey, der dieÜbersetzung der Abhandlung ins Englische besorgt und eine viel beachtete Re-zension für die Zeitschrift Mind verfasst hatte,⁴ bemühte sich um Wittgenstein.Mehrfach besuchte er ihn in den Jahren 1923/24 in Österreich. Dabei diskutiertensie intensiv über die Abhandlung und Ramsey schlug Veränderungen am Text der

Die Nummern verweisen auf die jeweiligen Briefe der dem Beitrag vorangestellten Doku-mentation. Siehe McGuinness 1992: 285–319. Ramsey 1923.

176 Fynn Ole Engler

Übersetzung vor, die Wittgenstein auch akzeptierte. So war es trotz der Anstren-gungen eine für beide Seiten anregende Beziehung, was auch durch ihrenfreundschaftlichen Briefwechsel in diesen Jahren dokumentiert ist.

Doch auch Schlick, zu dieser Zeit bereits ein angesehener Wiener Universi-tätsprofessor, hatte in dem angeführten Brief den Wunsch geäußert, sich mitWittgensteinmöglichst bald einmal zu treffen und an der Verbreitung seiner Ideenmitzuwirken. In seiner Antwort vom 7. Januar 1925 gabWittgenstein allerdings an,dass das Buch „sich seinen Weg selbstmachen muß.“ Zugleich zeigte er sich aberauch offen für eine Begegnung. Er schrieb an Schlick:

Sie, sehr geehrter Herr Professor, kennen lernen zu dürfen, wäre mir ein großes Vergnügen;und wenn Sie mich einmal besuchen wollten, würde ich mich sehr freuen! (Nr. 2)

Nur eine Woche später und endlich befreit von der Last der Fertigstellung derzweiten Auflage seines Hauptwerks, der Allgemeinen Erkenntnislehre (MSGA I/1),die Schlickmehr oder weniger unwilligund eher auf Drängen des Springer-Verlags,denn aufgrund eigener Überzeugungen angefertigt hatte, antwortete er Wittgen-stein:

Sobald die nächste Gelegenheit sich bietet, werde ich mir die Freude machen, Sie aufzu-suchen. Dass ich mich auch sehr über Ihren Besuch freuen würde, wenn Ihr Weg Sie einmalnach Wien führt, versteht sich von selbst. (Nr. 3)

Daraufhin sollte es aber noch eine ganze Weile dauern, bis beide schließlich imFebruar 1927 unter allerdings wesentlich veränderten Vorzeichen erstmals zu-sammentrafen. Wittgenstein war, wie eingangs bereits erwähnt, in der Zwi-schenzeit aus der niederösterreichischen Provinz nach Wien in den Schoß derFamilie zurückgekehrt. Und entscheidender noch: er hatte sich bei einem kurzenAufenthalt in England im August 1925 mit Ramsey tief zerstritten,⁵ was bei Witt-genstein wohl auch zu einer gewissen Offenheit neuen Beziehungen gegenüberführte.

Bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Cambridge Anfang 1929 sollte erjedenfalls in Schlick seinen bevorzugten Gesprächspartner finden; der ihm aberauch dann noch und vor allem nach dem frühen Tod Ramseys im Januar 1930 inwissenschaftlich-philosophischer Hinsicht immerwieder beistand.Über das erste,durch Margaret Stonborough vermittelte Treffen im Februar 1927 in Wien, zuvorhatte Schlick mit einigen seiner Studenten vergeblich versucht,Wittgenstein nochin Otterthal zu besuchen, berichtete Schlicks Frau Blanche später:

Vgl. Monk 1993: 251 und McGuinness 2010: 13.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 177

Die Einladung von Frau Stonborough brachte große Freude und Erwartung mit sich, unddiesmal wurden Mʼs Hoffnungen nicht vereitelt. Wiederum konnte ich [wie bei der Gele-genheit des fehlgeschlagenenBesuchs inOtterthal]mit Interesse die ehrerbietige HaltungdesPilgers beobachten. Er kehrte in einem hingerissenen Zustand zurück, sprach wenig und ichfühlte, daß ich keine Fragen stellen dürfte. (WWK 1967: 14)

Demnach muss Schlick nach seiner ersten Begegnung mit Wittgenstein regelrechtüberwältigt gewesen sein. Und unter dem Eindruck der nachfolgenden Treffenteilte er Wittgenstein am 15. August 1927 aus den Sommerferien in Kärnten mit:

Ich kann es nicht unterlassen, schon jetzt die Hoffnung auszusprechen, dass Sie auch dannwieder bereit sein werden, die kleinen Zusammenkünfte fortzusetzen, die wir mit unsernMontag-Abenden begonnen haben. Sie müssen ja gefühlt haben,welche reine Freude uns dieDiskussion mit Ihnen regelmässig bereitet hat. (Nr. 10)

Zweifellos war Wittgenstein zur Mitte des Jahres 1927 gleichermaßen persönlichwie wissenschaftlich zur wichtigsten Bezugsperson Schlicks geworden. Im Julihatte er daher auch an Albert Einstein, seinem bisherigen Vertrauten und Partnerim Geist, geschrieben:

Ich weiss nicht, ob es Sie interessiert, aber ich möchte Ihnen doch gerne mitteilen, dass ichjetzt mit der grössten Begeisterung bemüht bin, mich in die Grundlagen der Logik zu ver-tiefen. Die Anregung dazu verdanke ich hauptsächlich demWiener LudwigWittgenstein, dereinen (von Bertrand Russell englisch und deutsch herausgegebenen) „Tractatus logico-philosophicus“ geschrieben hat, den ich für das tiefste und wahrste Buch der neuerenPhilosophie überhaupt halte. Allerdings ist die Lektüre äusserst schwierig. Der Verfasser, dernicht die Absicht hat, je wieder etwas zu schreiben, ist eine Künstlernatur von hinreissenderGenialität,⁶ und die Diskussion mit ihm gehört zu den gewaltigsten geistigen Erfahrungenmeines Lebens. […] Ich glaube viel gelernt zu haben und kann kaum sagen,wie primitiv undunreif meine Erkenntnistheorie mir jetzt erscheint.⁷ (Nr. 8)

Gleiches stellte auch Carnap über Wittgenstein fest: „Seine Ansichten und Auffassungen vonMenschen und Problemen, auch theoretischen Problemen, glichen mehr denen eines Künstlersals denen eines Wissenschaftlers; man möchte fast sagen, eines religiösen Propheten oderSehers.“ (Carnap 1993: 41) Etwa zu dieser Zeit war auch Heinrich Neider erstmals zu den Diskussionen im Schlick-Zirkeleingeladen worden. Später in seinen Erinnerungen berichtete er über ein Gespräch mit Schlick:„So bin ich also zu Schlick gekommen und wurde mitten in die Diskussion des Kreises hin-eingezogen. Man hat dazumal noch immer Wittgensteins ,Tractatus‘ gelesen und diskutiert, wieman mir erzählte, schon seit drei Jahren. Wittgenstein war die ganz große Entdeckung. […] Alsich nämlich Schlick nach der Vorlesung fragte ,Herr Professor, ich habe ihre Vorlesung offen-sichtlich nicht verstanden. Sie sagen hier Dinge, die Ihrer Auffassung in der „Erkenntnislehre“völlig widersprechen‘, da sagte Schlick: ,Sie haben vollkommen recht. Aber in der „Erkennt-nislehre“ habe ich schrecklichen Unsinn gesagt‘. Ich fragte: ,Was hat Sie zu dieser Erkenntnis

178 Fynn Ole Engler

Und auch in der Folgezeit wollte Schlick die Verbindung mit Wittgenstein aufkeinen Fall abreißen lassen,wohingegen er Einsteinmehr undmehr verschmähte.So nutzte er selbst einen kurzen Aufenthalt in Wien Anfang Oktober 1927, un-mittelbar vor einer am 9. des Monats beginnenden gut dreiwöchigen Reise nachEngland, wo er auch bei Ramsey wohnen sollte, dazu, um Wittgenstein nocheinmal zu schreiben:

Nach meiner Rückkehr am 1. Nov. hoffe ich Sie sehr bald wiederzusehen. Ich kann Ihnennicht sagen, wie sehr ich mich darauf freue, sondern Sie nur herzlich bitten, in eine Fort-setzung unserer Zusammenkünfte in irgendeiner von Ihnen zu bestimmenden Form einzu-willigen. Daß dabei von Wissenschaft nicht die Rede sein soll, will ich gern versprechen.(Nr. 11)

Betrüblicherweise ließ Wittgenstein allerdings in seinem Antwortschreiben vom4. Oktober keine Zweifel aufkommen, dass er momentan zu sehr von anderenDingen eingenommenwar,umden eingegangenenKontaktmit Schlick aufrecht zuerhalten. (Nr. 12) Und er vermochte auch während der nächsten Monate der Phi-losophie nur wenig Begeisterung entgegen zu bringen,⁸war er doch auch über dasJahr 1928 hinweg noch ganz mit der Vollendung des Hauses für seine Schwesterbeschäftigt, wodurch wiederum einige Zeit verstrich, bis sich Wittgenstein beiSchlick – diesmal jedoch ausdrücklich in philosophischer Absicht –melden sollte.

2. Cambridge und Stanford

Als sich die Fertigstellung des Hauses in der Kundmanngasse abzeichnete, be-schloss Wittgenstein Urlaub zu machen und nach Cambridge zu reisen. An JohnMaynard Keynes, dem er schon im Sommer zuvor ein Wiedersehen angekündigthatte (CB 1980: 164), schrieb er zum Ende des Jahres 1928:

Ich habe gerade mein Haus fertiggestellt, das mich während der letzten Jahre ganz in An-spruch genommen hat. Nun werde ich jedoch Ferien machen und möchte Dich natürlich sobald wie möglich sehen. (CB 1980: 165)

geführt?‘ Da sagte er: ,Ja das ist ein Buch, das ist sehr schwierig, das verstehʼ ich selber nochnicht ganz; das ist der „Tractatus logico-philosophicus“ des Wittgenstein.‘“ (Neider 1999: 299 f.) Eine Ausnahme war Wittgensteins Besuch der Vorträge, die der holländische Mathematikerund Hauptvertreter des Intuitionismus Luitzen Egbertus Jan Brouwer im März 1928 in Wien hielt.Darüber hatte Schlick sogleich auch an Carnap geschrieben: „Vor kurzem hat Brouwer zweiVorträge in Wien gehalten. Sie waren aber weniger interessant als das, was Wittgenstein, der beibeiden zuhörte, uns nachher im Caféhaus darüber sagte.“ (Moritz Schlick an Rudolf Carnap,27.3.1928)

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 179

Im Januar 1929 traf Wittgenstein in Cambridge ein. Noch reichlich unentschlossennotierte er am 2. Februar in einer für ihn typischen Stimmungslage:

Wieder in Cambridge. Sehr merkwürdig. Es ist mir manchmal als ob die Zeit zurückgegangenwäre. Ichmache diese Eintragungen zögernd. Ichweiß nicht wasmich noch erwartet. Eswirdsich etwas ergeben! Wenn der Geist mich nicht verläßt. Jetzt schwinge ich sehr unruhig,weißaber nicht um welche Gleichgewichtslage. Die Zeit hier sollte oder soll in Wirklichkeit eineVorbereitung auf etwas sein. Ich soll mir über etwas klar werden. (Wi1: 3.1)

Und zwei Tage später schrieb er über seine geistige Verfassung:

Mein Gehirn ist in keinem günstigen Zustand. […] Alles, was ich jetzt in der Philosophiehinschreibe ist mehr oder weniger fades Zeug. Ich halte es aber für möglich daß es besserwird. (Wi1: 3.2)

Anders als zunächst geplant, blieb Wittgenstein jedoch in Cambridge. Sein Auf-enthalt wurde zur endgültigen Rückkehr. Schon zwei Tage nach seiner Ankunftwurde er wieder feierlich bei den Aposteln eingeführt.⁹ Die Beziehung zu Ramseylebte kurzzeitig wieder auf.¹⁰ Sehr schnell wurde Wittgenstein nun promoviert,was ihm schließlich auch ein College-Stipendium einbrachte. Und am 18. Februarsandte er auch endlich eine Nachricht an Schlick:

Ich wollte Ihnen schon lange schreiben bin aber nicht dazu gekommen. Ich habe michnämlich entschlossen ein paar Terms hier in Cambridge zu bleiben & den Gesichtsraum &andere Dinge zu bearbeiten. Zu Ostern d.h. schon am 20ten März bin ich wieder für einenMonat in Wien & dann werde ich alles mitteilen,was mitzuteilen ist. Es wird nicht viel sein.[…] Bitte grüßen Sie die Tafelrunde & Herrn Waißmann ganz besonders; ich hoffe & freuemich Sie alle in einem Monat wiederzusehen. (Nr. 13)

Veigl 2004: 132. So notierte Wittgenstein am 15. 2.1929: „Ich habe sehr genußreiche Diskussionen mit Ramseyüber Logik etc. Sie haben etwas von einem kräftigen Sport und sind glaube ich in einem gutenGeist geführt. Es ist etwas erotisches und ritterliches darin. Ich werde dabei auch zu einemgewissen Mut im Denken erzogen.“ (Wi1: 3.4) Über das Jahr sollte Wittgenstein aber seineMeinung über Ramsey ändern; er schrieb später: „Ein guter Einwand hilft vorwärts, ein flacherEinwand, selbst wenn er Recht hat, wirkt ermattend. Ramseys Einwände sind von dieser Art. DerEinwand faßt die Sache nicht an ihrer Wurzel, wo das Leben ist, sondern schon so weit außenwo sich nichts mehr rectifizieren läßt selbst wenn es falsch ist. Ein Guter Einwand hilft un-mittelbar zur Lösung, ein flacher muß erst überwunden werden und kann dann von weiter untenherauf (wie eine überwundene abgestorbene Stelle) zur Seite liegengelassen werden. (Wie wennsich der Baum an der vernarbten Stelle vorbei krümmt um weiter zu wachsen).“ (Wi2: 49.1) ZumVerhältnis zwischen Ramsey und Wittgenstein siehe auch die Bemerkungen Wi2: 66.6 und DB1997a: 20 f. sowie Monk 1993: 278–280.

180 Fynn Ole Engler

Wittgenstein befasste sich also wieder in der Hauptsache mit Philosophie. SeineGedanken kreisten um Themen, die man auch auf den Wiener Montagssitzungendiskutiert hatte.Und wie schon angeführt, hatte sich hierbei eine besondere Nähezu Schlick eingestellt, was Wittgenstein auch Anfang 1929 dazu veranlasst habendürfte, den Kontakt mit ihm wieder herzustellen. Allerdings gab es daneben auchgewichtige philosophische Gründe, die Wittgensteins Nachsuchen bei Schlickverständlich machen. Diese Gründe reichten, wie wir nun sehen werden, bis anden Anfang ihrer Bekanntschaft zurück. So hatte Margaret Stonborough im Zu-sammenhang mit dem erste Treffen zwischen ihrem Bruder und Schlick am19. Februar 1927 an diesen geschrieben:

Ich bin gleich nach Erhalt Ihres Briefes mit dem für meinen Bruder bestimmten Schreiben zuihm geeilt. Ich wusste, dass er seit langer Zeit vorhatte Ihnen zu schreiben, um Ihnen für diefreundlich übersandte Schrift zu danken und, dass er vor lauter Arbeit und Hetzjagd undauch infolge einer heftigen Grippe nicht dazu gekommen war, seinen Vorsatz auszuführen.(Nr. 7)

Bei der hier erwähnten Schrift handelte es sich vermutlich um Schlicks Aufsatz„Erleben, Erkennen, Metaphysik“ (Schlick 1926), der ein Jahr zuvor in den Kant-Studien erschienenwar.¹¹ DemAufsatz zugrunde lag ein Vortrag, den Schlick unterdem Titel „Begriff und Möglichkeit der Metaphysik“ am 4. Dezember 1925 in derPhilosophischen Gesellschaft in Wien (und zuvor, im Juli des Jahres, in der Ros-tocker Kant-Gesellschaft) gehalten hatte, und über den der Pädagoge LudwigHänsel, der am Wiener Vortrag teilnahm, Wittgenstein noch im Dezember be-richtete. Was Hänsel Wittgenstein über den Vortrag Schlicks genau mitteilte, istnicht überliefert. Jedoch liegt das Antwortschreiben Wittgensteins vor. Darinlautete es:

Danke für den Bericht über Prof. Schlick. Es war nichts anderes zu erwarten. (LudwigWittgenstein an Ludwig Hänsel, vor dem 23.12.1925)

Aufgrund des Berichts von Hänsel ist jedenfalls davon auszugehen, dass Witt-genstein bereits zum Ende des Jahres 1925 die Auffassung Schlicks zumindest inGrundzügen kannte. Ganz offensichtlich sah Wittgenstein in Schlick dabei keinenBefürworter seiner Position. Es dürfte hier seinerseits sogar noch ein Gefühl derÜberlegenheit eine Rolle gespielt haben. Und möglicherweise fühlte er sich auchnoch falsch verstanden. Unabhängig davon dürfte Schlick aber Wittgensteinsspäteres philosophisches Interesse an ihm dadurch ausgelöst haben, dass er

Zu den Hintergründen der Entstehung des Aufsatzes vgl. den editorischen Bericht in MSGA I/6: 27–31.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 181

bereits zu diesem Zeitpunkt den Gesichtsraum thematisiert hatte, derWittgensteinunmittelbar nach seiner Rückkehr zur Philosophie Anfang 1929 beschäftigensollte. Und mehr noch: Schlick hatte Wittgenstein in diesem Zusammenhangherausgefordert.

Grundsätzlich war Schlick dabei schon in den Jahren 1925/26 der Ansichtgewesen, dass sich ein Farberlebnis imGesichtsraumnicht ausdrücken bzw.durcheine Sprache oder irgendein anderes Zeichensystem gegenüber Dritten mitteilenließ. So lautete es in seinem Aufsatz:

Was ist nichtmitteilbar? Wenn ich eine rote Fläche anschaue, so kann ich niemandem sagen,wie das Erlebnis des Rot beschaffen ist. […] Und das Gleiche gilt,wie jeder sofort zugibt, vonallen Qualitäten, die als Inhalte des Bewußtseinsstromes auftreten. Sie werden nur durchunmittelbares Erleben bekannt.Wir kennen sie schlechthin,und der Inhalt desKennens kanndurch keine Erkenntnis vermittelt werden; er ist nicht ausdrückbar, nicht mitteilbar. DerGegensatz von Kennen und Erkennen, auf den ich mit so großem Nachdruck hinzuweisenpflege, deckt sich mit dem Gegensatz des Nichtmitteilbaren und des Mitteilbaren. (Schlick1926: 146)

Demnach hielt Schlick gerade auch im Zusammenhang mit Überlegungen zumGesichtsraum an seiner zentralen Unterscheidung aus der Erkenntnislehre fest(MSGA I/1: 293 f.), wobei er beabsichtigte diese nunmehr auch sprachphiloso-phisch zu fassen. Daher führte er imWeiteren noch eine Unterscheidung ein, der ersich von nun an immer wieder bediente und die auch schon mit Blick auf seinedamalige Auseinandersetzung mit Wittgensteins Tractatus von großer Bedeutungwar: Er unterschied zwischen Form und Inhalt.¹² Im Aufsatz hieß es dazu:

Erlebnis ist Inhalt, das Erkennen geht seiner Natur nach auf die reine Form. […] Die reinformale Aufgabe und Funktion der Erkenntnis wird vielleicht am besten ausgedrückt, indemman sagt: alles Erkennen ist stets ein Ordnen und Berechnen, niemals ein Schauen undErleben der Dinge. Alle Erkenntnis ist also ihrem Wesen nach Erkenntnis von Formen, Be-ziehungen, und nichts anderes.¹³ (Schlick 1926: 150f.)

Zu den Details dieser Entwicklung siehe Friedl 2013: Kap. III. Eine ausführliche Behandlungdes Themas findet sich in den drei Vorlesungen, die Schlick unter dem Titel „Form and Content“im November 1932 am Kingʼs College in London hielt (vgl. MSGA II/1.2: 169–358). In diesem Zusammenhang hatte Schlick auch noch zwei Jahre später an den dänischenTheologen und Kierkegaard-Experten Anders Gemmer geschrieben: „Es ist mir in den letztenJahren immer klarer geworden, dass für die Erkenntnistheorie eine der allerwesentlichstenUnterscheidungen diejenige zwischen Inhalt und Form ist, wie ich in einem Aufsatze ,Erleben,Erkennen, Metaphysik‘ angedeutet habe, in den Kantstudien 1926. Der Inhalt der Erlebnisse z.B.eine Farbe, ein Ton, ist das schlechthin Unbeschreibliche, nicht Ausdrückbare. […] Ueberlegtman sich, was eigentlich mitteilbar ist (es ist also dasjenige, was übrigbleibt, wenn wir von allenInhalten im obigen Sinne absehen) so kommt man auf den Begriff der reinen Form oder der

182 Fynn Ole Engler

War nach Auffassung Schlicks daher Erkenntnis auf die logischen Formen ge-richtet, so vermochte man auch erst vermittelt durch diese über Gegenstände alsBestandteile von Sachverhalten sinnvolle Aussagen zu tätigen. Die erkennbarenStrukturen oder formalen Relationen waren jedenfalls grundlegender als die inihnen vorkommenden Dinge.

Und unter dieser Voraussetzung ließ sich aber auch, so Schlick weiter, eineVerbindung zwischen erlebten und transzendenten Gegenständen durch die Zu-rückführung der Aussagen über sie auf strukturelle Beziehungen herstellen; eineAuffassung, die er wie die Unterscheidung zwischen Kennen und Erkennen imGrunde genommen bereits in der Erkenntnislehre niedergeschrieben hatte (MSGAI/1: 233), nunmehr aber aus einer sprachphilosophischen Perspektive heraus neuformulierte. So lautete es bei Schlick:

Man hat oft von der Physik gesagt, meist mit der Absicht eines Vorwurfes, daß sie diequalitative Seite der Welt gänzlich unberücksichtigt lasse, und an deren Stelle ein Gebäudevon leeren und abstrakten Formeln und Begriffen gebe. Jetzt sehenwir, daß die Aussagen dertheoretischen Physik sich in dieser Hinsicht nicht im geringsten von allen anderen Aussagendes täglichen Lebens und auch denen der Geisteswissenschaften unterscheiden. […] Dennden Sinn jener vom Dichter oder Psychologen gebrauchten Worte kann unter allen Um-ständen nur durch Zurückgehen auf die formalen Beziehungen zwischen den Gegenständenangegeben und erklärt werden. […] Das Wort „grün“ drückt ja nicht wirklich aus, was manbeim Anschauen einer grünen Wiese erlebt, das Wort ist dem Grünerlebnis nicht inhaltlichverwandt, sondern es drückt nur eine formale Beziehungaus, durch die alle Gegenstände,diewir grün nennen, miteinander verbunden sind. (Schlick 1926: 149f.)

Somit glaubte Schlick, dass erlebtewie transzendente Gegenstände aufgrund ihrerformalen Eigenschaften erkennbar seien und damit als wirklich ausgezeichnetwerden konnten. Und insbesondere nahm er an, dass wir die Welt vermittelsunserer raum-zeitlich schematisierten Urteilssysteme, wobei die Physik hier alsVorbild galt, erkennen können und damit auch über wirkliche Dinge in denspezifischen Räumen des Erlebens, wie insbesondere über Farben im Gesichts-raum reden können. Diese Position verband Schlick damals vor allemmit CarnapsLogischem Aufbau der Welt, nicht zuletzt aber auch mit Wittgensteins Tractatus.¹⁴

logischen Form. Das wesentliche an jeder Erkenntnis also, dasjenige, was allein mitgeteilt undaufbewahrt werden kann, ist die logische Form, auf sie müssen sich also in letzter Linie alleunsere sinnvollen Aussagen beziehen.“ (Moritz Schlick an Anders Gemmer, 16.11.1928) Siehe dazu die Fußnote 1 in Schlick 1926: 150, wo neben Wittgenstein auch auf Carnapverwiesen wird: „Man vergl. die scharfsinnigen und unwiderleglichen Ausführungen von R.Carnap in seinem demnächst erscheinenden Werk ,Der logische Aufbau der Welt‘, in dem erdartut, daß alle wissenschaftlichen Urteile sich auf reine Strukturaussagen – dieser Begriffentspricht unseren ,Formalen Beziehungen‘ – beschränken müssen. Wir fügen hinzu, daß dies

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 183

Jedoch dürfte sich Wittgenstein damit herausgefordert gefühlt haben. Denngerade im Tractatus hatte Wittgenstein eine andere Position als Schlick zu dengerade besprochenen Dingen eingenommen. So war er hier jedenfalls der Auf-fassung, dass Gegenstände aufgrund ihrer logischen Form – verstanden als eineinterne Eigenschaft (TLP 1989: 2.01231) – in Sachverhalten vorkamen. Er führtehierzu weiter aus, dass die „Form des Gegenstandes“ die „Möglichkeit seinesVorkommens in Sachverhalten“ sei. (TLP 1989: 2.0141) Damit verbunden sprachWittgenstein aber auch vom Raum möglicher Sachverhalte, der zu den Gegen-ständen notwendigerweise noch hinzutrat. Und in diesem Zusammenhang stan-den letztlich auch Wittgensteins Gedanken zum Gesichtsraum. Im Tractatus hießes:

. Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhaltegegeben.

. JedesDing ist, gleichsam, in einemRaumemöglicher Sachverhalte. Diesen Raumkannich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.

. Der räumliche Gegenstand muß im unendlichen Raume liegen. (Der Raumpunkt isteine Argumentstelle.)Der Fleck imGesichtsfeldmuß zwar nicht rot sein, aber eine Farbemußer haben: er hatsozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muß eine Höhe haben, der Gegenstanddes Tastsinns eine Härte, usw. (TLP )

Undmehr noch: Die Farben im Gesichtsraum stellten für Wittgenstein einfache, d.h. nicht weiter zerlegbare phänomenologische Gegenständen der Bekanntschaftdar,¹⁵ die in einem metaphysischen Sinn die Substanz der Welt bildeten.¹⁶ Daherschrieb er im Tractatus:

. Der Gegenstand ist einfach.. Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt. Darum können sie nicht zusammen-

gesetzt sein.. Die Substanz ist das, was unabhängig von dem, was der Fall ist, besteht.. Sie ist Form und Inhalt.. Raum, Zeit und Farbe (Färbigkeit) sind Formen der Gegenstände. (TLP )

Vergleicht man daher die Ausführungen Wittgensteins aus dem Tractatusmit denzuvor angeführten Aussagen Schlicks aus „Erleben, Erkennen, Metaphysik“, so

von allen sinnvollen Urteilen überhaupt gilt, denn die Argumente bleiben für alle, auch dienichtwissenschaftlichen Aussagen gültig. Vgl. ferner Ludwig Wittgenstein, ,Tractatus logico-philosophicus‘, deutsch und englisch, London 1922.“ Siehe dazu Hintikka / Hintikka 1990: Kap. 3. Vgl. ebenda: 102– 110.

184 Fynn Ole Engler

treten grundsätzliche Differenzen in ihren Auffassungen zu Tage, die letztlichwohl auch den Ausschlag gaben für Wittgensteins Reaktion gegenüber Hänsel aufSchlicks Vortrag.

WährendWittgenstein nämlich im Tractatus die sprachlogische Substantialitätder einfachen Gegenstände, zu denen er auch die Farben im Gesichtsraum zählte,verteidigt hatte, vertrat Schlick hingegen in seinem Aufsatz eine erkenntnistheo-retisch strukturalistische Auffassung: Denn angesichts seiner letztlich erkennt-nistheoretisch fundierten Unterscheidung zwischen Form und Inhalt musste erannehmen, dass die Formen der Gegenstände im Gesichtsraum, die von Witt-genstein im Tractatus angeführten Raum, Zeit und Farbe (Färbigkeit), auch diealles entscheidenden Kriterien für ihre Erkennbarkeit seien.

Und damit konnte Schlick schließlich auch auf die so genannte Methode derraum-zeitlichen Koinzidenzen zurückgreifen, die ihm schon bei der Interpretationdes formalen Apparats der Einsteinschen Relativitätstheorie im Dezember 1915gute Dienste geleistet hatte,¹⁷ insofern diese ein Kriterium für die AuszeichnungvonWirklichem zur Verfügung stellte, das den Bereich des unmittelbar Erfahrenenmit einschloss, über diesen aber auch hinausreichte. Die raum-zeitlichen Koin-zidenzen waren daher, wie Schlick in der Erkenntnislehre geschrieben hatte, „er-kenntnistheoretisch von der allergrößten Wichtigkeit“ (MSGA I/1, S. 610).

Angesichts dieser Ausgangslage dürften beim ersten Treffen zwischen Schlickund Wittgenstein im Februar 1927 ihre grundsätzlichen Differenzen überwogenhaben. In diesem Sinne berichtete auch Wittgenstein seinem Freund Engelmannam folgenden Tag über die erste Begegnung mit Schlick, woran sich Engelmannspäter erinnerte:

Schlick met Wittgenstein at the house of Wittgenstein’s sister, Mrs. Stonborough, who hadasked Schlick to tea […]. Wittgenstein told me the next day: “Each of us thought the othermust be mad.” This ironical summing up suggests that Wittgenstein’s laconic utterances,abrupt and paradoxical and ejaculated with great emphasis, must have struck Schlick atfirst as the behaviour of a presumptuous dilettante – a first impression very much likethat of the musicians when Wittgenstein had butted in at their rehearsal.

Afterwards Wittgenstein corrected his own first impression of Schlick and took thetrouble to explain his ideas in detail, and Schlick, in turn, realized very quickly whatsort of men he had met.

Hierzu lautete es in einem Vortrag Schlicks von 1922: „Diese Punktkoinzidenzen sind diewahre objektive Realität, welche die Physik zu beschreiben hat; und alles, was sonst noch inihren Gleichungen auftritt, ist im Grunde nur Mittel der Beschreibung, abhängig vom Stand-punkt und Ausgangspunkt, und verfällt deshalb der vollständigen Relativierung.“ (Schlick 1923:62) Zu den Details siehe insbesondere Engler / Renn 2013.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 185

Wittgenstein found Schlick a distinguished and understanding partner in discussion,all the more so because he appreciated Schlick’s highly cultured personality – somethingwhich Wittgenstein always found essential in his intellectual contacts with others.¹⁸

Demnach stand aber auch nach Wittgensteins Rückkehr zur Philosophie im Jahre1929 einer fruchtbaren Partnerschaft mit Schlick nichts imWeg. DennWittgensteinschätzte auch weiterhin in hohem Maße Schlicks Persönlichkeit; eine besondereNähe hatte sich hier vor allem auf den vorangegangenen Wiener Montagssit-zungen eingestellt.

Und beide dürften nunmehr auch über die gemeinsamen philosophischenThemen,wie insbesondere den Gesichtsraum ins Gespräch gekommen sein. Dasssie hier auch weiterhin anderer Auffassungen waren und sich so gegenseitigherausforderten, sollte sich gerade über die folgenden Jahre als besondersfruchtbar für ihre Diskussionen erweisen.

Schon kurze Zeit nach seiner Ankunft in Cambridge kamWittgenstein dabei zuder Überzeugung, dass sich der Gesichtsraum keinesfalls durch eine phänome-nologische Sprache darstellen ließ,¹⁹ wie er zuvor noch im Tractatus glaubte. Solautete es zu Anfang des Jahres 1929 im Manuskriptbuch:

Wir könnten nicht nur „nicht wissen ob“, sondern es hätte keinen Sinn in diesem Zusam-menhang von gleichen oder von verschiedenen Orten zu reden. Und da es in WirklichkeitSinn hat so hat unser Gesichtsfeld nicht diese Struktur. Es ist eben das eigentliche Criteriumder Struktur,welche Sätze in ihr Sinn haben – nicht welche wahr sind. Das zu suchen ist dieMethode der Philosophie²⁰. (Wi1: 11.4)

Und letztlich bildete auch die Sprache der Physik für Wittgenstein hier keine Al-ternative zur Phänomenologie. Der Gesichtsraum musste also mit anderensprachlichen Mitteln erfasst werden, wie Wittgenstein Anfang 1929 meinte:

Es scheint viel dafür zu sprechen daß die Abbildung des Gesichtsraumes durch die Physikwirklich die einfachste ist. D.h. Daß die Physik die wahre Phänomenologie wäre.

Engelmann 1967: 118. In diesem Zusammenhang notierte Wittgenstein 1929 (in der zweiten Jahreshälfte): „Es ist alskäme ich mit der phänomenologischen Sprache in einen verzauberten Sumpf wo alles Erfaßbareverschwindet.“ (Wi1: 192.1) Dazu führte Wittgenstein später im Jahr 1929 aus: „Meine Art des Philosophierens ist mirselbst immer noch, und immer wieder, neu, und daher muß ich mich so oft wiederholen. Eineranderen Generation wird sie in Fleisch und Blut übergegangen sein und sie wird die Wieder-holungen langweilig finden. Für mich sind sie notwendig. – Diese Methode ist im wesentlichender Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn.“ (Wi1: 177.1)

186 Fynn Ole Engler

Aber dagegen läßt sich etwas einwenden: Die Physik strebt nämlich Wahrheit d.h.richtige Voraussagungen der Ereignisse an während das die Phänomenologie nicht tut siestrebt Sinn nicht Wahrheit an. (Wi1: 4.6; vgl. dazu auch Wi1: 190.2–4 und 193.1/2)

Dennoch blieb die Physik auchweiterhin imGespräch.Wiewir imnächsten Kapitelsehen werden, sollte sie ab Ende 1929 eine zentrale Rolle in den Diskussionenzwischen Schlick, Waismann und Wittgenstein spielen. Insbesondere der Ge-brauch von geometrischen Maßstäben bei physikalischen Messungen solltehierbei als Paradigma für die Darstellung des Gesichtsraums dienen. Überdiestraten mit der Berücksichtigung der Physik aber auch die Differenzen zwischenSchlick und Wittgenstein wiederum deutlich hervor: Während Schlick auch wei-terhin die These Wittgensteins von der logischen Unzerstörbarkeit der Gegen-stände²¹ erkenntnistheoretisch und letztlich unter Rückgriff auf die an der Physikbewährte Koinzidenzmethode fundieren wollte, was schließlich auch in einenStreit mit Wittgenstein über die Fundamentalsätze führte, ging es für Wittgensteininsbesondere darum, in kritischer Auseinandersetzung mit der Physik, ihrenWahrheitsanspruch zu relativieren, um so zu einem neuen Verständnis der Be-ziehung zwischen Sprache und Welt zu gelangen und in diesem Rahmenschließlich auch die Darstellung des Gesichtsraums aufzuklären.²²

Hatte Wittgenstein darüber in den ersten Monaten in Cambridge noch alleinnachgedacht, trat er am 9. August an Schlick heran, um die Dinge nun mit ihmgemeinsam zu diskutieren:

Ich habe sehr viel & mit etwas Glück gearbeitet. In einem Brief lassen sich aber die Resultateschwer wiedergeben. Aber wir werden gewiß Gelegenheit haben sie zu besprechen. (Nr. 19)

Allerdings war Schlick zu dieser Zeit in den USA, so dass er Wittgenstein fürGespräche noch nicht zur Verfügung stand. Er weilte seit Mai 1929 als Gastpro-fessor an der Stanford University und sollte somit erst im Oktober nach Wienzurückkehren. Bevor man sich aber am Ende des Jahres 1929 schließlich wie-dersah, sollte Wittgenstein im Herbst zu einer wichtigen Erkenntnis hinsichtlich

Vgl. dazu Hintikka / Hintikka 1990: 70–72. Anfang 1929 hatte Wittgenstein dazu notiert: „EinGegenstand darf sich in gewissem Sinne nicht beschreiben lassen. D.h. die Beschreibung darfihm keine Eigenschaften zuschreiben deren Fehlen die Existenz des Gegenstandes selbst zu-nichte machen würde. D.h. die Beschreibung darf nichts aussagen was für die Existenz desGegenstandes wesentlich wäre.“ (Wi1: 6.7/8) Wittgenstein notierte wahrscheinlich in diesem Zusammenhang am 30.7.1930: „Es ist einSchritt nötig der dem der Relativitätstheorie ähnlich ist.“ (Wi2: 315.3)

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 187

der Darstellung des Gesichtsraums gelangen.²³ Hatte er dafür zuvor die phäno-menologische Sprache und die Sprache der Physik jeweils für ungeeignet be-funden, gab er am 22. Oktober an, dass die Umgangssprache allein schon hin-reichend sei, um den Gesichtsraum abzubilden, soweit diese gemäß seiner neuenphilosophischen Methode sinnvoll verwendet wurde. So lautete es im Manu-skriptband:

DieAnnahmedaß eine phänomenologische Sprachemöglichwäre unddie eigentlich erst dassagen würde was wir in der Philosophie ausdrücken müssen/wollen/ ist – glaube ich –absurd. Wir müssen mit unserer gewöhnlichen Sprache auskommen und sie nur richtigverstehen. D.h. wir dürfen uns nicht von ihr verleiten lassen Unsinn zu reden. (Wi2: 102.5)

Nur drei Tage zuvor hatte Wittgenstein aus Cambridge an Schlick geschrieben:

Ich nehme an daß Sie wieder inWien sind. Ich bin ziemlich fleißig & hatte auchwährend desSommers ziemlich viel Glück mit meiner Arbeit. Ich freue mich darauf die Sachen mit Ihnenbesprechen zu können, wenn ich zu Weihnachten (oder vielmehr anfangs Dezember) nachWien komme. (Nr. 20)

Demnach war Wittgenstein aus Wien schon wieder abgereist, als Schlick ausAmerika zurückkehrte. (vgl. Nr. 21) So kündigte er ihm für Anfang Dezemberseinen nächsten Aufenthalt in Wien an. Ein Wiedersehen war dabei fest einge-plant, wobei Wittgenstein nun mit Schlick insbesondere auch seine neuen Auf-fassungen zum Gesichtsraum diskutieren wollte. So teilte er ihm mit:

Um den 8ten komme ich nach Wien & freue mich auf Gespräche mit Ihnen. (Nr. 22)

3. Wien, Weihnachten und Neujahr 1929/30

Am18. Dezember 1929 kames inWien zumersten, einer Reihe von insgesamt sechsTreffen über Weihnachten und Neujahr zwischen Schlick, Waismann und Witt-genstein. (WWK 1967: 33–96) Man kam dafür jeweils in der Wohnung Schlicksnahe dem Oberen Belvedere zusammen. Weitere Personen waren nun aber nichtmehr eingeladen, womit die Treffen auch einen anderen Charakter bekamen alsdie früheren Wiener Tafelrunden. Vor allem war Wittgenstein nun mit Eifer und

Dabei handelte es sich um Wittgensteins Wechsel des Sprachparadigmas: von der phäno-menologischen Sprache der Bekanntschaft aus dem Tractatus hin zu einer physikalistischenUmgangssprache. Zu den Details siehe Hintikka / Hintikka 1990: Kap. 6, insbesondere 184f. undKap. 7.

188 Fynn Ole Engler

Ernsthaftigkeit an einer philosophischen Debatte interessiert. Und es wurdeProtokoll geführt. Eines der Themen der ersten Begegnung war der Gebrauch vongeometrischenMaßstäben – starrenKörpernwie Uhren und Stäben– in der Physikund ihre grammatikalische Entsprechung. So lautete es im Gesprächsprotokoll:

Einstein sagt,²⁴ daß es die Geometrie mit den Lagerungsmöglichkeiten der starren Körper zutun hat.Wenn ich tatsächlich Lagerungen der starren Körper durch die Sprache beschreibe,dann kann den Lagerungsmöglichkeiten nur die Syntax dieser Sprache entsprechen.

(Es ist daher kein Problem,daßwir die gesamteMannigfaltigkeit des Raumesmit einigenwenigen Axiomen beherrschen […], denn wir stellen ja nur die Syntax einer Sprache auf.)(WWK 1967: 38 und siehe dazu Wi2: 125.3)

Mit diesen Aussagen wurden schon einige der wesentlichen Aspekte benannt, diefür die folgendenGespräche bestimmendwerden sollten.Undnicht zuletzt dürftendamit Schlick als Physiker-Philosoph und Erkenntnistheoretiker,Wittgenstein alsSprachphilosoph aber eben auch Waismann als Mathematiker und Physiker ihrejeweiligen Rollen für die weiteren Gespräche gefunden haben. Schon wenige Tagenach dem ersten Treffen wurde in einer weiteren Dreierrunde am 22. Dezembernunmehr auch der von Wittgenstein im Herbst vollzogene Wechsel des Sprach-paradigmas thematisiert.Wittgenstein führte dazu aus:

Ich habe früher geglaubt, daß es die Umgangssprache gibt, in der wir alle für gewöhnlichsprechen und eine primäre Sprache, die das ausdrückt, was wir wirklich wissen, also diePhänomene. Ich habe auch von einem ersten System und einem zweiten System gespro-chen.²⁵ Ich möchte jetzt ausführen, warum ich an dieser Auffassung nicht mehr festhalte.

Ich glaube, daß wir im Wesen nur eine Sprache haben und das ist die gewöhnlicheSprache. Wir brauchen nicht erst eine neue Sprache zu erfinden oder eine Symbolik zukonstruieren, sondern die Umgangssprache ist bereits die Sprache,vorausgesetzt, daßwir sievon den Unklarheiten, die in ihr stecken, befreien. (WWK 1967: 45; vgl. dazu auch Wi2: 93.2,118.6 und 145.6)

Aber wie ließ mit der Umgangssprache die Wirklichkeit darstellen? Und vieldrängender noch: In welcher Beziehung standen ihre Sätze zu den geometrischenMaßstäben? Kurz gesagt:Wurde der Gebrauch dieser Maßstäbe bei Messungen inder Physik durch die Syntax der geometrischen Axiome bestimmt, wie man beiEinstein nachlesen konnte, so sollten sich insbesondere die Elementarsätze derUmgangssprache auf die Gegenstände der Welt anwenden lassen, insofern diese

Vgl. Einstein 1921: 6 f. Schlick hatte diesen Vortrag Einsteins rezensiert. (Schlick 1921) Siehe dazu auch noch Wi.1: 191.4: „Die Sprache selbst gehört zum zweiten System.Wenn icheine Sprache beschreibe, beschreibe ich wesentlich etwas physikalisches. Wie kann aber einephysikalische Sprache das Phänomen beschreiben?“

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 189

in ihren logischen Formen übereinstimmten. Dass es sich hierbei um einesprachlogische bzw. grammatikalische, aber keinesfalls um eine erkenntnis-theoretische Frage handelte,wollteWittgensteinwohl vor allemgegenüber Schlickdeutlich machen, hielt dieser doch auch weiterhin an der Erkennbarkeit der lo-gischen Formen und der durch diese dargestellten Gegenstände fest. So meinteWittgenstein:

Für das ganze Gebiet der Elementarsätze herrscht ein Grundsatz, und der lautet: Die FormderElementarsätze läßt sich nicht vorhersehen. Es ist einfach lächerlich,wenn man glaubt, hiermit der gewöhnlichen Form der Umgangssprache, mit Subjekt-Prädikat, mit dualen Rela-tionen und so weiter auszukommen. Schon das eine, daß im Elementarsatz die reelle Zahloder etwas der reellen Zahl Ähnliches auftreten kann, beweist, wie völlig verschieden derElementarsatz von allen übrigen Sätzen sein kann.Undwas da noch alles auftreten kann, daskönnen wir heute unmöglich voraussehen.²⁶ Erst wenn wir die Phänomene logisch analy-sieren, wissen wir, welche Form die Elementarsätze haben. Hier ist ein Gebiet, wo es keineHypothesen gibt. (WWK 1967: 42)

Demnach sollte nach Wittgenstein allein eine sprachlogische Analyse zeigen,welche Formen von Elementarsätzen für die Darstellung der Wirklichkeit ent-scheidend seien. Und gleiches galt auch für die Gegenstände. Auch hier spieltenHypothesen keine Rolle.Wie im Fall der Elementarsätze sollte eine sprachlogischeAnalyse des unmittelbar Gegebenen ihre Darstellungsweise zeigen. Denn auchhier hatte, so Wittgenstein, „die Frage keinen Sinn: Sind die Gegenstände etwasDinghaftes, etwas, das an Subjektstelle steht oder etwas Eigenschafthaftes odersind sie Relationen und so weiter? Von Gegenständen sprechen wir einfach dort,wo wir gleichberechtigte Elemente der Darstellung haben.“ (WWK 1967: 43)

In diesem Zusammenhang kam man auch wieder auf den Gesichtsraum zusprechen: Um diesen abzubilden, wurde nunmehr ein Farbkörper herangezogen,der die Urfarben als gleichberechtigte Elemente enthielt und damit wie ein starrerKörper in der Physik als Maßstab diente. (WWK 1967: 42 f.) Unter Anwendungdieses Maßstabs konnte man allen Farben im Gesichtsraum die logische Formeines Elementarsatzes zuweisen, womit der Zusammenhang zwischen den Ele-mentarsätzen und den Farben als einfachen Gegenständen im Gesichtsraum ge-regelt schien, insofern sie in ihrer logischen Form übereinstimmten. Dabei dientedie Physik als Paradigma für einen Vergleich zwischen Sprache und Welt.

DochwarWittgensteinvon diesen Resultaten der erstenGesprächemit Schlickund Waismann nicht recht überzeugt.Wieder in Cambridge notierte er am 2. Fe-bruar 1930:

In diesem Zusammenhang könnte auch Wittgensteins Bemerkung vom 1.1.1930 gestandenhaben: „Der Begriff des ,Elementarsatzes‘ verliert jetzt überhaupt seine Bedeutung.“ (Wi2: 158.4)

190 Fynn Ole Engler

Der Farbenraumwird z.B. beiläufig dargestellt durch das Oktaeder mit den reinen Farben anden Eckpunkten. Und diese Darstellung ist eine grammatische keine psychologische. Zusagen daß unter den und den Umständen – etwa – ein rotes Nachbild sichtbar wird istdagegen Psychologie (das kann sein, oder auch nicht, das andere ist a priori. Das eine kanndurch Experimente festgestellt werden, das andere nicht)

Daß der Maßstab im selben Raum sein muß und ist wie das gemessene Objekt istverständlich. Aber inwiefern sind die Worte im selben Raum wie das Object dessen Länge inWorten beschrieben wird oder im selben Raum wie die Farbe etc? Es klingt absurd. (Wi2:191.2/3)

Und so nahm Wittgenstein auch in einer seiner ersten Vorlesungen am 2. Februardarauf Bezug.²⁷ Erneut nahm er Anleihen beim Gebrauch von Maßstäben beiphysikalischen Messungen – nunmehr Uhren- und Thermometerablesungen (vgl.Wi2: 189.7) –, um sich über die Beziehung der Sprache zur Welt im Klaren zuwerden. So illustrierte er wiederumdie Relation des Satzes zurWirklichkeitmit derAnwendung eines Maßstabs auf einen Gegenstand. Er führte aus:

Der Satz hat dieselbe Art von Beziehung zur Wirklichkeit wie der Maßstab zu einem Ge-genstand. Dies ist kein Gleichnis, sondern der Maßstab ist ein Beispiel für diese Beziehung.[…]

Wir müssen eine Vereinbarung haben, die uns sagt, wie der Maßstab anzuwenden ist:eine Anwendungsmethode. Der Maßstab muß Länge haben, also im selben Raum sein wiedas gemessene Ding, und wir müssen Verabredungen getroffen haben darüber, wie er an-zuwenden ist.

Für Sätze gelten diese Bedingungen ebenfalls. (LWL 1984: 28)

Sätze galten demnach wie die physikalischen Instrumente als ein Teil der Wirk-lichkeit. Sie konnten daher wie geometrische Maßstäbe bei physikalischen Mes-sungen gebraucht werden. In diesem Sinne konnte Wittgenstein die Physik auchweiterhin als ein Paradigma für einen Vergleich zwischen Sprache und Weltheranziehen. Doch dürften ihn hier weitere Fragen beschäftigt haben: Denn washatte die Umgangssprache tatsächlich mit der Physik zu tun? Und inwiefernsollten Hypothesen, wie sie in der Physik verwendet wurden, bei der Beziehungzwischen Sprache und Welt eine Rolle spielen? Und mehr noch:Wie hingen diese

Im Januar 1930 hatte Wittgenstein begonnen,Vorlesungen zu halten (LWL 1984), worüber erSchlick bereits im Herbst zuvor kurz berichtete: „Ich bin jetzt aufgefordert worden, im nächstenSemester hier einen Kurs über Logik zu halten.“ (Nr. 20 und vgl. dazu Wi2: 102.4) Wittgensteinserste Vorlesung datierte vom 20.1.1930 (vgl. Nedo 2012: 275 und Wi2: 174.7: „Heute meine erstereguläre Vorlesung gehalten: so, so. Ich glaube, das nächste Mal wird es besser werden. – wennnichts unvorhergesehenes eintritt.“) – am Tag zuvor war Ramsey gestorben.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 191

Hypothesen wiederum mit den Sätzen und insbesondere den Elementarsätzenzusammen?

Neben diesen hatte Wittgenstein noch ein weiteres Problem mit der Um-gangssprache ausgemacht, dass ihn nunmehr verstärkt beschäftigen sollte. Be-reits am 23. Dezember 1929 hatte er notiert:

Unserer Grammatik fehlt es vor allem an Übersichtlichkeit. (Wi2: 147.2; vgl. dazu Wi2: 220.2/3)

Von besonderer Bedeutung sollte sich schließlich auch noch die Frage der Veri-fikation (oder Falsifikation) von Sätzen – im Unterschied zur Bestätigung vonHypothesen (vgl. Wi2: 177.1/2) – erweisen. Dass die Verifikation von Sätzen aufirgendeine Weise mit der gerade diskutierten Anwendung von geometrischenMaßstäben bei physikalischen Messungen in Verbindung stand,war Wittgensteinschon vor seinen Gesprächen mit Schlick und Waismann bewusst geworden.Daher hatte er am 13. Dezember im Manuskriptbuch geschrieben:

Unter Anwendung meine ich das was die Lautverbindungen oder Striche auf dem Papier etc.überhaupt zu einer Sprachemacht. In demSinn in demes die Anwendung ist die den StabmitStrichen zu einem Maßstab machen. Das Anlegen der Sprache an die Wirklichkeit.

Und dieses Anlegen der Sprache ist dieVerificationder Sätze (Wi2:132.3/4; vgl. auchWi2:103.5)

So wurde auch auf ihrem Treffen am 22. Dezember das nachmals so berühmteSinnkriterium der Verifikation zwischen Schlick, Waismann und Wittgensteindiskutiert. (WWK 1967: 47 f.) Das Kriterium sollte aber erst im Frühjahr 1930 eineausschlaggebende Rolle einnehmen, als der in den Diskussionen soweit erar-beitete Zusammenhang zwischen der Geometrie als Teil der Physik und derGrammatik der Umgangssprache wiederum brüchig geworden war, womit zu-gleich aber auch die Verbindung zwischen Sprache undWelt sowie die Darstellungdes Gesichtsraums erneut fraglich wurden.

4. Wien, Ostern 1930

Zu Ostern 1930 war Wittgenstein wieder in Wien und diktierte eine Zusammen-fassung der nunmehr vorliegenden gut 1.000 Manuskriptseiten, die seit seinerRückkehr zur Philosophie Anfang 1929 entstanden waren. Während dieser Zeitschrieb er an G. E. Moore:

Ich bin jetzt in Wien und tue eine ganz abscheuliche Arbeit, indem ich eine Synopse ausmeinen Manuskripten diktiere. Es ist ein schreckliches Stück Arbeit und ich fühle mich ganz

192 Fynn Ole Engler

elend dabei. Neulich habe ich Russell in Petersfield besucht und entgegen meiner ur-sprünglichen Absicht angefangen, ihm meine Philosophie zu erklären. Natürlich sind wir inzwei Tagen nicht sehrweit gekommen, aber er schien ein kleinesbißchen davon zu verstehen.Mein Plan lautet, ihn am 22. und 23. April in Cornwall zu besuchen und ihm die Synopsesowie ein paar Erklärungen zu geben. (CB 1980: 177)

Aus der hier angekündigten Synopse (TS 208) kreierte Wittgenstein noch einweiteres Typoskript (TS 209),²⁸ das er im April 1930 in Penzance (Cornwall) anRussell übergab. Auf der Basis dieser Maschinenschrift – die Rush Rhees im Jahre1964 unter dem Titel Philosophische Bemerkungen veröffentlichte (PB 1964) –fertigte Russell ein Gutachten an, das Wittgenstein auch weiterhin ein For-schungsstipendium durch den Council of Trinity ermöglichte. So wurde er am5. Dezember 1930 für die kommenden fünf Jahre zum Fellow des Trinity Collegeernannt. Über sein Treffen mit Wittgenstein im April berichtete Russell am 5. Maian Moore:

[I]ch hatte zum zweitenmal Besuch von Wittgenstein, aber er blieb nur sechsunddreißigStunden, und all das genügte ihm keineswegs, mir eine Zusammenfassung von all dem zugeben,was er getan hat. Er hinterließmir ein ziemlich umfangreiches Maschinenmanuskript[…]. Ich glaube jedoch, daß ich im Lauf der Unterhaltungmit ihm einen recht guten Eindruckvon dem erhielt, was er will. Er benutzt die Worte „Raum“ und „Grammatik“ in eigenartigenBedeutungen, die mehr oder weniger miteinander verbunden sind. Er behauptet, daß,wennes sinnvoll ist zu sagen „Das ist rot“, es nicht sinnvoll sei zu sagen „Das ist laut“.²⁹ Es gibt fürihn einen „Raum“ der Farben und einen anderen „Raum“ der Töne. Diese Räume sind an-scheinend imKantschenSinne a priori gegeben,³⁰ oder zumindestmeint er,wennnicht genaudas, so doch etwas Ähnliches. Grammatikalische Fehler kommen daher, daß man die„Räume“ verwechselt.³¹

Und auch Schlick hatte von Wittgensteins zusammenfassender Darstellung er-fahren. Daher schrieb er am 8. Mai an ihn:

[W]as ich von Herrn Waismann über Ihr Manuskript hörte, hat mich sehr gefreut. Und vonganzem Herzen bin ich Ihnen dankbar, dass Sie uns später die ausführliche Fassung Ihrer

Siehe dazu die Übersicht in Wi1: IX/X und Wi2: VII und XI. Bereits in den Gesprächen mit Schlick und Waismann am 25.12.1929 und 2.1.1930 hatteWittgenstein die Unabhängigkeit solcher Elementarsätze zurückgewiesen: Denn die Elemen-tarsätze schlossen sich wechselseitig aus, da ihre gleichzeitige Behauptung sinnlos war. (vgl.WWK 1967: 64, 67 f. und 73 f. aber auch Wi2: 158.4) Siehe dazu schon Wittgensteins Ausfüh-rungen in dem 1929 erschienenen Aufsatz „Some Remarks on Logical Form“ (RLF 1989: 25); einExemplar dieser Schrift hatte Schlick von Waismann erhalten. (vgl. Nr. 21) Vgl. PB 1964: 51 f. Zitiert nach Russell 1978: 304f. Siehe hierzu auch Monk 1993: 313–315.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 193

Arbeit zur Publikation übergeben wollen,wie Herr Waismann mir versicherte. Sie tun damitwirklich ein gutes Werk. (Nr. 23)

Zuvor waren Schlick und Waismann am 22. März mit Wittgenstein zusammen-getroffen. (WWK 1967: 97– 101) Dabei hatten sie ihre Diskussion von WeihnachtenundNeujahr aufgegriffen.Wiederum standen die Geometrie als Teil der Physikundihre grammatikalische Entsprechung im Blickpunkt, um das Verhältnis derSprache zur Welt zu klären.Wie zuvor schon sollte sich dabei die Betrachtung desGesichtsraums als ausschlaggebend erweisen.

Hatteman soweit versucht, im Gebrauch von geometrischenMaßstäben in derPhysik eine Art Paradigma für das Verhältnis zwischen Sprache und Welt zu se-hen,wobei man damit letztlich auch den Gesichtsraum zu erfassen meinte, galt esnunmehr, wahrscheinlich verstärkt aus der Perspektive Wittgensteins, die Unter-schiede zwischen der Umgangssprache als verwendetem Sprachparadigma undder Physik herauszustellen. Damit ergaben sich aber schließlich zwei verschie-dene Darstellungsweisen der Welt. So lautete es:

Die Geometrie des Gesichtsraums ist die Grammatik der Aussagen über die Gegenstände imGesichtsfeld.³² Man kann nicht sagen: Diese Geometrie ist plausibel.

Die Geometrie des physikalischen Raumes ist etwas ganz anderes. Man kann sieplausibel (wahrscheinlich) machen. Sie steht auf derselben Ebene wie die Naturgesetze. Sieist ein Teil der physikalischen Beschreibung und kann geändert werden. (WWK 1967: 100)

Maßgeblich für diese doppelte Auslegung der Geometrie war die Unterscheidungzwischen grammatikalischen Regeln und physikalischen Hypothesen: Währendsich diese und mit ihnen die geometrischen Maßstäbe der Messungen anhandihrer Vorhersagen durch die Erfahrung bestätigen ließen, wurden jene nunmehrals eine Art apriorischer Gegebenheit,wie auch Russell in dem oben zitierten Briefan Moore schon ganz richtig vermutete, angesehen.

Verwechselte man demnach den Gesichtsraum mit dem Tastraum, so kam eseinfach zu fehlerhaften Sätzen über die im jeweiligen Raum auffindbaren Ge-genstände. Im Unterschied dazu konnte man die geometrischen Maßstäbe als Teilphysikalischer Hypothesen abändern, wenn diese mit den Tatsachen nichtübereinstimmten (Wi2: 177.7–9). In diesem Sinne hatte Wittgenstein schon am26. Februar über den Unterschied zwischen der Umgangssprache und der Spracheder Physik notiert:

Vgl. schon Wi2: 123.1 und 125.3.

194 Fynn Ole Engler

Man könnte beinahe von einer externen und einer internen Geometrie reden.³³ Das was imGesichtsraum angeordnet ist steht in dieser Art von Ordnung a priori, d.h. seiner logischenNatur nach und die Geometrie ist hier einfach Grammatik.Was der Physiker in der Geometriedes physikalischen Raumes in Beziehung zueinander setzt sind Instrumentablesungen dieihrer internen Natur nach nicht anders sind ob wir in einem geraden oder sphärischen Raumleben. D.h. Nicht eine Untersuchung der logischen Eigenschaften dieser Ablesungen führtden Physiker zu einer Annahme über die Art des physikalischen Raumes sondern die Ab-gelesenen Tatsachen.

Die Geometrie der Physik hat es in diesem Sinn nicht mit der Möglichkeit sondern mitden Tatsachen zu tun. Sie wird von Tatsachen bestätigt, in dem Sinne, nämlich, in dem einTeil einer Hypothese bestätigt wird. (Wi2: 223.3/4)

Doch wie ließ sich angesichts dieser doppelten Auslegung der Geometrie dieBeziehung zwischen Sprache und Welt aufrecht erhalten? Soweit hatte sich derGebrauch von Maßstäben in der Physik als Paradigma empfohlen. Nunmehr er-langte die Umgangssprache jedoch eine Vorrangstellung, was auch eine Relati-vierung des Wahrheitsanspruchs der Physik nach sich zog. Denn es machte ausdieser Perspektive nur dann Sinn geometrische Maßstäbe bei physikalischenMessungen zu verwenden, wenn über die zu messenden Gegenstände bereitsSätze in der Umgangssprache gebildet werden konnten, d.h. diese überhauptauffindbar waren. So hatte Wittgenstein in seiner Synopse vom April ausgeführt:

Es hat nur dann einen Sinn, die Länge eines Objektes zu geben, wenn ich eine Methodebesitze, dieses Objekt zu finden – denn sonst kann ich den Maßstab nicht anlegen. (PB 1964:72)

Dahingehend lautete es auch in dem Gesprächsprotokoll des Treffens zwischenSchlick,Waismann und Wittgenstein vom 22. März:

Eine physikalische Gleichung versteht man erst, wenn man die Projektionsmethode kennt,welche den Zahlen Sätze zuordnet. Die Gleichungen sind bezogen auf ein Systemvon Sätzen,in welchen Zahlen auftreten. (WWK 1967: 101)

Und auch in seiner ersten Vorlesung nach den Osterferien am 28. April griffWittgenstein diese Überlegungen aus der Synopse und der Wiener Märzrunde auf.So wollte er zunächst einmal der Verbindung zwischen Hypothesen (physikali-schen Gleichungen) und Sätzen Herr werden, um damit auch hinsichtlich derBeziehung zwischen der Sprache und der Welt wiederum Klarheit zu bekommen.In der Vorlesung lautete es daher:

Siehe dazu auch schon die Diskussion mit Schlick und Waismann am 25.12.1929 in WWK1967: 54 f.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 195

Ein Satz läßt sichverifizieren, eineHypothese nicht, sondern sie ist ein Gesetz oder eine Regelzur Konstruktion von Sätzen, und sie blickt in die Zukunft: D.h. sie setzt uns instand, Sätze zubilden, die sagen, was geschehen wird, und die verifiziert oder falsifiziert werden können.(LWL 1984: 37f.; vgl.WWK 1967: 99 und Wi2: 193.4)

Damit schien der Mechanismus zwischen Hypothesen und Sätzen, wie er in derPhysik Anwendung fand, geklärt zu sein. Darüber hatte man auch in Wien zuvorEinigkeit erzielt:

Die Physik konstruiert ein System von Hypothesen, dargestellt als ein System von Glei-chungen. Die Gleichungen der Physik können weder wahr noch falsch sein.Wahr und falschsind nur die Befunde bei der Verifikation, d.h. die phän[omenologischen] Aussagen. Physikist nicht Geschichte. Sie prophezeit.³⁴ […]

Die Aussagen der Physik sind nie abgeschlossen. Unsinn, sie als abgeschlossen zudenken. (WWK 1967: 101)

Davon unterschieden waren aber die grammatikalischen Regeln, die als abge-schlossen galten. Damit gab es in Bezug auf die Grammatik aber auch nichts,wasdurch irgendeine Hypothese ergänzt werden konnte. Dieser Raum musste immerschon da sein. (LWL 1984: 39 undWi2: 254.3) Am 5. Mai hatte Wittgenstein dazu ineiner Vorlesung in Cambridge ausgeführt:

Es gibt keine Lücken in der Grammatik; die Grammatik ist immer vollständig. Dies erscheintparadox, weil es so aussieht, als könnten wir in Mathematik und Logik Entdeckungen ma-chen.Unvollständigkeit gibt es jedochnur in einemRaum. (LWL 1984: 38; vgl. auchWi2: 257.5)

Im grammatikalischen Raum wurden daher aus Hypothesen, zu denen die geo-metrischen Maßstäbe der Physik zählten,verifizierbare (bzw. falsifizierbare) Sätzeüber die auffindbaren Gegenstände gebildet. Die grammatikalischen Regeln selbstkonnten dabei jedoch nicht gerechtfertigt werden, wie Schlick, Waismann undWittgenstein auf ihrem nächsten Treffen am 19. Juni in Wien festhielten:

Das Wesentliche ist: Die Syntax kann nicht durch die Sprache gerechtfertigt werden. […]Wenn Sie mich dagegen fragen, warum ich eine Syntax verwende, so kann ich zur Recht-fertigung auf nichts hinweisen. Die Syntax läßt sich nicht begründen. Sie ist daher will-kürlich. Losgelöst von den Anwendungen, für sich allein betrachtet, ist sie Spiel, genau sowie das Schachspiel. (WWK 1967: 104f. und Wi2: 226.9 und 227.4)

In dieser Bemerkung kam auch eine Abgrenzung der Physik gegenüber der Mathematik undder Logik zum Ausdruck. So schrieb Wittgenstein am 6.5.1930: „Der Beweis kann nichts pro-phezeien. D.h. er kann nichts Wirkliches prophezeien.“ (Wi2: 249.6; vgl. auch noch Wi4: 64.7)

196 Fynn Ole Engler

Aber sobald man etwas über die Welt aussagen wollte,war man (wie auch immer)auf Hypothesen als heuristische Werkzeuge angewiesen (Wi2: 223.2), um verifi-zierbare (bzw. falsifizierbare) Sätze zu bilden, die sich als wahr oder falsch er-weisen konnten. Nunmehr wurde aber auch deutlich, dass eine Verbindungzwischen Hypothesen und Sätzen über das so genannte Sinnkriterium der Veri-fikation erfolgte: Der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation. Dazuhatte Wittgenstein bereits am 9. März geschrieben:

Die Methode des Messens, z.B. des räumlichen Messens, verhält sich zu einer bestimmtenMessung genau so wie der Sinn eines Satzes zu seiner Wahr- oder Falschheit.

Die Geometrie in dem einen Sinn ist eine Methodologie des Messens. (Wi2: 228.4/5)

Verstand man demnach einen Satz, so vermochte man zu beurteilen, auf welcheWeise man ihn überprüfen konnte. In diesem Sinne war der Satz das strukturie-rende Element im grammatikalischen Raum, in dem sich die physikalischenMaßstäbe anwenden ließen. Daher konnte man, so Wittgenstein, in der Sprachealles regeln und der grammatikalische Raum besaß im Unterschied zu denMaßstäben physikalischer Messungen einen apriorischen Charakter. So notierteWittgenstein am 28. Juni:

Irgendwie ist meine Schwierigkeit darin gelöst daß ich mich andauernd in der Sprache be-wege, aus ihr nicht heraus kann. […]

In der Sprache wird alles ausgetragen. (Wi2: 275.3/10)

Und auch die in Frage stehende Beziehung zwischen Sprache undWelt war einmalmehr und diesmal vermeintlich über das Sinnkriterium der Verifikation gefestigtworden. Doch auch diese Verbindung sollte sich nicht als von langer Dauer er-weisen.

Die Physik hatte durch ihre Einbettung in die Umgangssprache ihren Wahr-heitsanspruch letztlich eingebüßt. War sie zuvor noch als ein Paradigma heran-gezogen worden, um in gewisser Weise den Vergleich zwischen der Sprache undder Welt zu erklären, war nunmehr insbesondere das Verhältnis zwischen gram-matikalischen Regeln und physikalischen Hypothesen in den Blickpunkt gerückt,wobei die Regeln einen Vorzug vor den Hypothesen bekommen hatten.

5. Sprachphilosophische Wende

Anfang August 1930 war Wittgenstein auf der Hochreith, dem Sommersitz derFamilie. Von dort schrieb er an Schlick:

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 197

Mit meiner Arbeit geht es besser, wenn auch nicht herrlich, ich bin ziemlich öde & unle-bendig. Aber ich soll nicht klagen. (Nr. 25)

Und am 22. und 23. August notierte er ins Manuskriptbuch:

Die Grammatik constituiert einen Mechanismus; denn indem sie gewisse Verbindungenerlaubt und andere verbietet, tut sie dasselbe was die Lager, Führungen (und überhaupt alleTeile) des Mechanismus tun: sie lassen bestimmte / gewisse Bewegungen zu und bestimmenso die Bewegung (der Teile). […]

Ich habe noch immer nicht die Maschinerie der Hypothese und des Satzes erfaßt. (Wi3:19.4/7; vgl. auch Wi3: 69.7)

Doch ließ sich eine solche Sprachmaschinerie überhaupt voll und ganz erfassen?Und konnte man sie tatsächlich bis ins Detail verstehen und erklären. Offenbarwar Wittgenstein nicht mehr dieser Ansicht. Daher lautete es am 11. September imManuskriptbuch:

Meine Theorie kommt darauf hinaus, daß man die Sprache in gewisser Beziehung nichterklären kann. (Wi3: 69.7)

Damit war aber auch eine weitere Abgrenzung gegenüber der Physik notwendig,die sich seit Wittgensteins Rückkehr zur Philosophie Anfang 1929 als eine Artständige Begleiterin erwiesen hatte.Wenige Tage zuvor hatte er notiert:

Wirmüssenwissenwas Erklärungheißt. Es ist die ständige Gefahr, diesesWort in der Logik ineinem Sinn verwenden zu wollen, der von der Physik hergenommen ist.

Es ist eine Hauptgefahr der Philosophie dieses Wort falsch zu verstehen. (Wi3: 58.6/7)

Es lief nun alles auf die Grammatik hinaus. Noch am 11. September schriebWittgenstein:

Die Grammatik ist das Geschäftsbuch der Sprache;woraus […] alles zu ersehen seinmuß,wasnicht Gefühle […] sondern harte Tatsachen / Facten / (betrifft)

Ich will also eigentlich sagen: Es gibt nicht Grammatik und Interpretation der Zeichen.Sondern soweit von einer Interpretation, also von einer Erklärung der Zeichen, die Rede seinkann, soweit muß sie die Grammatik selbst besorgen. (Wi3: 70.1/2)

Und vier Tage später lautete es:

Zur Grammatik gehört nur das nicht,was dieWahrheit und Falschheit eines Satzes ausmacht.Nur darum kümmert sich die Grammatik nicht.

Zur Grammatik […] gehören alle Bedingungen des Vergleichs des Satzes mit […] derWirklichkeit.

198 Fynn Ole Engler

Das heißt, alle Bedingungen des Verständnisses.(Alle Bedingungen des Sinnes.) (Wi3: 77.4)

Dochwas blieb dann noch für die Philosophie. In seiner Vorlesung am 13. Oktobergab Wittgenstein dazu an:

Was wir in Wirklichkeit tun, ist, daß wir unsere Begriffe in Ordnung bringen und klarstellen,was sich tatsächlich über die Welt sagen läßt.Uns ist nicht klar,was sich sagen läßt, und wieversuchen dieses Durcheinander aufzuräumen.

Diese Tätigkeit des Aufräumens, das ist die Philosophie. (LWL 1984: 43; vgl. dazu auchWi2: 257.5 und Wi3: 176.7)

Trotz der damit erlangten Klarheit war Wittgenstein jedoch auch noch zum Endedes Jahres 1930 alles in allem unzufrieden mit dem soweit Erreichten. Dies hattewohl vor allem damit zu tun, dass er noch immer nichts veröffentlicht hatte;³⁵wasihm im folgenden Jahr in einem ganz anderen Zusammenhang nochmals deutlichbewusst werden sollte.

Und so war auch der im Spätsommer im ersten Heft der Zeitschrift Erkenntniserschienene Aufsatz „Die Wende der Philosophie“ (Schlick 1930) alles andere alsgutes Timing,³⁶ hob Schlick hierin doch Wittgensteins Leistung besonders her-vor.³⁷ Wittgenstein wies ihn infolgedessen zurecht, denn es war aus seiner Sichteben noch nichts erreicht außer vielleicht ein paar Schlachtrufen, denen er aberohnehin misstraute. Daher schrieb er am 18. September an Schlick:

Was denArtikel anbelangt somöchte ich nur Eines sagen: Siewissen– oder ich hoffe, daß Siees wissen –wie dankbar ich Ihnen für Ihre freundliche Gesinnung & Anerkennung bin. Aberdas ist eine persönliche Sache. Und ich wollte Sie könnten Ihre – so wohlgemeinten –Fanfarenstößemildern. Es ist ja doch kein Grund zumTriumph; aus 1000Gründennicht.Undvergessen Sie, bitte, nicht das herrliche Wort Nestroys (ich kann es nicht wörtlich zitieren):der Fortschritt hat es so an sich, daß er immer größer ausschaut, als er ist.Und überhaupt, indieserWelt vonAusrufern kannman sich am richtigsten durch Stille denen zu Gehör bringen,denen man sich verständlich machen sollte. Verzeihen Sie mir bitte diese breiten Erörte-rungen! Sie entspringen keiner Bescheidenheit, sondern der Einsicht in manches, das mirmindestens so klar ist, wie irgendwelche Philosophie. (Nr. 28)

Und Schlick, der auch noch Anfang September in einem Vortrag unter dem Titel„The Future of Philosophy“ (Schlick 1931) auf dem 7th International Congress of

Wittgenstein schrieb Anfang November eine Reihe von Varianten zu einem Vorwort für einzu diesem Zeitpunkt offensichtlich geplantes Buch; vgl. Wi3: 111– 115 und PB 1964: 7. Zu den Hintergründen des Aufsatzes siehe MSGA I/6: 205–212. Vgl. hierzu Schlick 1930: 6.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 199

Philosophy in Oxford ähnliche Töne wie in dem Aufsatz in der Erkenntnis ange-schlagen hatte, mussteWittgenstein nun beschwichtigen. Am6. Dezember schrieber an ihn:

Sie werden sehen, dass von jetzt ab wieder die grösste Einfachheit und Sachlichkeit bei unsherrschen wird. (Nr. 30)

So vermochte man schließlich auch wieder in Wien an Weihnachten und Neujahrwie im Jahr zuvor in gewohnter Runde zusammenzutreffen. (WWK 1967: 115– 165)Dass es hier nunmehr auch um ethische Themen ging, hing mit dem Erscheinenvon Schlicks Buch Fragen der Ethik (MSGA I/3) zum Ende des Jahres 1930 zu-sammen.³⁸

Doch am 4. Januar 1931 kam man wieder zurück auf die Beziehung zwischender Geometrie als Teil der Physik und der Grammatik, die Wittgenstein über denSommer hinweg mit dem schon angeführten Resultat beschäftigt hatte; dieGrammatik hatte das Gebiet der Physik nun vollständig eingenommen:

DieGeometrie ist nichts Selbständiges, siewird ergänzt durchdie Physik. Sie ist alsoTeil einerHypothese. Diesen Teil kann ich festlegen, indem ich mir vorbehalte, alles übrige so ein-zurichten, daß ich Übereinstimmung erhalte mit der Erfahrung. Einen solchen von vorn-herein festgelegten Teil der Hypothese nenne ich ein Postulat.

Wir können nur eines in der Welt postulieren: das ist unsere Ausdrucksweise. DasVerhalten der Tatsachen können wir nicht postulieren. Ich kann also auch sagen:Wenn ichein Postulat aufstelle, so lege ich damit die Syntax fest, in der ich die Hypothese ausdrücke.Ich wähle ein Darstellungssystem. Es besteht also gar kein Gegensatz zwischen der Auf-fassungder Geometrie als Teil einer Hypothese und der Auffassungder Geometrie als Syntax.(WWK 1967: 162 f.)

Und auch in der Vorlesung am 26. Januar 1931 lautete es nunmehr:

Der Satz ist eine logische Form, und deshalb kann man ihn nicht als etwas definieren, dasdurch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet ist, die es von anderen Dingen unterschei-den, die diese Eigenschaften nicht besitzen, denn sonst könnte man ja sinnvoll bestreiten,daß es diese Eigenschaften hat. Der Satz wird schlicht durch die für ihn geltenden gram-

Schlick hatte das Buch auch an Wittgenstein geschickt. Dieser bemerkte hierzu Ende No-vember 1930: „Vielen Dank für die Zusendung ihres Buches. Ich habe nur gerade hineingesehen.Ich glaube, ich werde in vielem nicht mit Ihnen übereinstimmen.“ (Nr. 29) Ebenso trockenantwortete Schlick, „dass das Ganze mit Ethik nichts zu tun habe“. (Nr. 30) Im Grunde ge-nommen war die Ethik wohl eher ein randständiges Thema in den Diskussionen zwischenWittgenstein und Schlick, abgesehen vielleicht von der auf ihren Treffen am 30.12.1929 ge-führten Debatte über Heidegger und Kierkegaard sowie am 2. und 5.1.1930 über Wittgensteins„Vortrag über Ethik“ (VE 1989 und Nedo 2012: 267); siehe hierzu WWK: 1967: 68f., 77 und 92 f.

200 Fynn Ole Engler

matischen Regeln charakterisiert. Die Aussage, ein Satz sei das, was wahr oder falsch seinkann, heißt also nichts anderes als: Satz ist alles das,was die Grammatik alswahr oder falschzu bezeichnen gestattet. (LWL 1984: 69, vgl. auch 71)

Über das Frühjahrstrimester 1931 überdachte Wittgenstein seine Position nocheinmal gründlich. Ab dem 12. Januar 1931 finden sich bis zu seinem nächstenTreffen mit Schlick am 17. März nahezu täglich längere Bemerkungen im Manu-skriptbuch. (Wi3: 149–245) Mit dem Abschluss seiner Vorlesungen am 9. Märzteilte Wittgenstein Schlick mit:

Ich komme Sonntag 15. nach Wien & werde Sie bald anrufen. Ich bin jetzt sehr müde da ichviel für [mich] & auch sonst gearbeitet habe. (Nr. 31)

Einweiteres Treffenmit Schlick ist für den 25. März überliefert.³⁹Und esmuss auchnoch Anfang Juli 1931 zu einer Reihe von Gesprächen zwischen beiden in Wiengekommen sein,⁴⁰diewohlganz im Zeichen der UmarbeitungenvonWittgensteinsPhilosophie gestanden haben dürften. Am 1. Juli notierte Wittgenstein über diedamaligen Planungen eines Buchs:

(Mein Buch könnte auch heißen: Philosophische Grammatik. Dieser Titel hätte zwar denGeruch eines Lehrbuchtitels aber das macht ja nichts, da das Buch hinter ihm steht.) (Wi3:305.5)

Zu dieser Zeit rückte nunmehr auch das Thema der übersichtlichen Darstellung alseines der zentralen Fragen der Spätphilosophie in den Fokus. Am 2. Juli notierteWittgenstein:

Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Erbezeichnet unsere Darstellungsform, die Art wie wir die Dinge sehen […]. (Wi3: 307.3)

Nur einige Wochen später trat Schlick die Position eines Mills Professor of Philo-sophy an der University of California in Berkeley an. Es wurde sein zweiter längererForschungsaufenthalt in den USA, von wo er erst im Mai 1932 nach Wien zu-rückkehrte.Wittgenstein hatte Schlick bei ihrem letzten Zusammentreffen im Juliin Wien noch versprochen, einige Auszüge aus seinen Arbeiten nachzusenden.Daran wollte Schlick Wittgenstein schließlich am 21. September erinnert haben:

[E]s sind zwei Monate, seit ich Sie zuletzt sah. […] Sie haben bestimmt nicht vergessen, dassSie mir einen Auszug aus Ihren Manuskripten hierher senden wollten; ich hoffe aber auch,

Siehe die Einträge in Schlicks Taschenkalender (Inv.-Nr. 88, C.32–2). Vgl. Wi4: VII.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 201

dass Sie Zeit gefunden haben, einen solchen Auszug zu machen. Ich freue mich jedenfallssehr darauf. (Nr. 35)

Jedoch sollte Schlick auch in den folgenden Monaten nichts von Wittgensteinzugeschickt bekommen.Vielmehr hatte dieser am 5.Oktober 1931mit den Arbeitenan einem neuen Manuskriptband begonnen. Parallel diktierte er aber auch in dieMaschine, worüber er Schlick am 30. Oktober berichtete:

Ich habe in diesen Ferien d.h. in den letzten 6 Wochen derselben aus meinen Manuskriptenin die Schreibmaschine diktiert, bin aber nicht ganz fertig geworden. (Nr. 36)

Während dieser Zeit war Wittgenstein mit einem Typoskript beschäftigt (TS 211),woraus später über eine Zettelsammlung (TS 212) das so genannte Big Typescript(TS 213/Wi11) hervorgehen sollte; er begann daran ab Juli 1932 auf der Hochreith zuarbeiten.⁴¹

Um sich dabei voll und ganz auf die eigenen Arbeiten konzentrieren zukönnen, hatte Wittgenstein bereits im August 1931 bei Moore um eine Absenkungseiner Lehrleistungen während des bevorstehenden Wintertrimesters 1931/32 ge-beten. (CB 1980: 183) Trotzdem ging die Arbeit im Herbst nicht recht voran, so dasser Schlick am 20. November mitteilen musste, dass er seine Zusage vom Juli nichteinhalten könne, einige Auszüge aus seinen Manuskripten in die USA zu senden.Gleichwohl teilte er Schlick mit, dass es tiefgreifende Veränderungen in seinenAnsichten gab und er mittlerweile vieles aus dem Tractatus hinter sich gelassenhabe. Dabei verwies er auch auf ihre letzten Gespräche vom Juli:

Und das bringt mich auf Ihre Bemerkung über einen […] Teil der „Abhandlung“: Ich bin mitsehr, sehr vielen Formulierungen des Buches heute nicht einverstanden. Dennoch kann ichjetzt weiter gar nichts tun, als ruhig an andern Formulierungen weiterzuarbeiten. D.h. auchich kann mein Versprechen – wenn es ein’s war – Ihnen lieber H. Professor einen ver-nünftigen, oder verständlichen, Auszug aus meinen Manuskripten zu schicken, nicht halten.Nebenher: alles oder doch das Meiste was „Elementarsätze“ & „Gegenstände“ betrifft hatsich mir als fehlerhaft erwiesen & mußte gänzlich umgearbeitet werden. – Es schmerzt michIhnen nicht Wissen an die Hand geben zu können. Aber es kann nicht sein. Ich hoffe bis zuIhrer Rückkunft zu leben, Sie dann zu sehen&manches erklären zu können. Ich konnte in derletzten Zeit ziemlich viel arbeiten & hatte dazu die Zeit, da ich nur 2 Stunden der Wocheunterrichte. – Wie gesagt: Ich hoffe zu Gott Sie noch sehen & dann meine Arbeit ausein-andersetzen zu können. Nur eine Bemerkung möchte ich machen, obwohl ich nicht weiß, obsie Ihnen helfen kann:Vielleicht der Hauptunterschied zwischen der Auffassung des Buches& meiner jetzigen ist, daß ich einsah, daß die Analyse des Satzes nicht im Auffinden ver-borgener Dinge liegt, sondern im Tabulieren, in der übersichtlichen Darstellung, der Gram-

Siehe dazu die Übersicht in Wi5: IX und die Ausführungen in Wi11: VII/VIII.

202 Fynn Ole Engler

matik, d.h. desgrammatischenGebrauchs, derWörter. Damit fällt alles Dogmatische,was ichüber „Gegenstand“, „Elementarsätze“ eben gesagt habe. Will man z.B. das Wort „Gegen-stand“ verstehen, so siehtmannachwie es tatsächlichgebrauchtwird.–Abergenug. Es nütztja doch nichts, zwei Worte zu sagen, wo kaum ein Buch die Sache klarmachen wird. (Nr. 37)

Ähnliches hatte Wittgenstein auch gegenüber Waismann im Dezember 1931 be-richtet. (WWK 1967: 182 f. sowie Wi4: 237.3) Vor dem Hintergrund dieser Entwick-lungen wartete Wittgenstein nunmehr aber auch sehr gespannt auf SchlicksRückkehr aus den USA. Schon im März 1932 hatte er ihm geschrieben:

Nur ein paar Zeilen um Ihnen zu sagen, daß ich öfters an Sie denke & hoffe Sie in nicht all zuferner Zeit sehen zu können. Wann kommen Sie zurück? Haben Sie Waißmanns Aufzeich-nungen die ich ihm zuWeihnachten diktierte erhalten? Und konnten Sie „makehead or tail ofit“? Ich wünsche mir sehr mit Ihnen in den Ferien viel über meine Arbeit reden zu können.(Nr. 42)

Und gerade zurück von seinem Aufenthalt in den USA hatte Schlick am 12. Juniwieder Post von Wittgenstein:

Meine Arbeit hat in den letzten Monaten große Fortschritte gemacht. […] Ich bin sehr erpichtdarauf, mit Ihnen über meine Arbeit zu sprechen. Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen.(Nr. 44)

Am 1. Juli 1932 traf man dann in Wien erneut zusammen (WWK 1967: 209–211).Weitere Treffen Wittgensteins mit Schlick dürfte es kurz zuvor am 30. Juni unddann noch einmal am 5. Juli gegeben haben.⁴² Über den Sommer 1932 arbeiteteWittgenstein nun unermüdlich. Er schrieb Anfang August an Schlick:

Ich habe manchmal sieben Stunden im Tag diktiert. (Nr. 47)

Eingetrübt war die Situation jedoch durch einen Prioritätsstreit zwischen Witt-genstein und Carnap, der ausgelöst worden war durch den Aufsatz „Die physi-kalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“ (Carnap 1931), in derWittgenstein einige seiner Gedanken, insbesondere den Wechsel des Sprachpa-radigmas wiederzuerkennen meinte.

Der Streit zog sich hin und hatte einen Höhepunkt in den Sommermonaten.Schlick fungierte hier als eine Art Vermittler zwischen Wittgenstein und Carnap.Durchaus besorgt, er könne sich dabei gegenüber Wittgenstein fehl verhaltenhaben, schrieb er an diesen am 9. August:

Siehe die Einträge in Schlicks Taschenkalender (Inv.-Nr. 88, C.32–3).

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 203

[I]mmer noch bin ich ohne Nachricht von Ihnen. Entweder Sie sind krank – in diesem Fallebitte ich herzlich, dass Sie mir über Ihr Befinden Nachricht geben lassen. Oder Sie sind mirböse– in diesemFalle bitte ich Sie recht herzlich,mir nichtmehr böse zu sein, sondernmir zusagen,was ich tun muss, damit unser jahrelanges gutes Einvernehmen keine Unterbrechungerleide. (Nr. 48)

Und tatsächlich vermochteWittgenstein in seinem Antwortbrief die Wogenwiederzu glätten und Schlick zu beruhigen:

Nein, ich bin ihnen nicht böse & hätte keinerlei Recht es zu sein, & wenn Sie wohl auch inmanchem schwach oder lau sind, so bin ich es zehnfach & und kann Ihnen deshalb keineVorwürfe machen. – Die Angelegenheit mit Carnap habe ich nur mit ungemeinem Wider-willen & unter Schmerzen erledigt. – Ob ich noch zu Ihnen kommen kann, weiß ich nicht.Nicht aber,weil ich gegen Siemißgestimmt, sondernweil ich überhaupt bedrückt& verstimmtbin. Und auch, weil ich in der letzten Zeit aus mehr als einem unerfreulichen Grunde, mitmeiner Arbeit nicht befriedigend vorwärts gekommen bin & viel nachzuholen hätte, wennKörper & Seele es erlauben. (Nr. 50)

Und auch ein Jahr später warWittgenstein noch immer recht unzufrieden mit demFortgang seiner Arbeiten, wie er wiederum Schlick am 31. August 1933 mitteilte:

Meine Arbeitskraft ist nicht so gut, wie es zu wünschen wäre & umsomehr hatte ich es mirverlangt Ihnen einmal die Ergebnisse meiner Arbeit gründlich zu erklären, wenn es Ihnendamit voller Ernst gewesenwäre. Dennwer weiß, ob ich sie je werde veröffentlichen können.(Nr. 56)

Doch Mitte September 1933 hellte sich die Situation auf. Schlick und Wittgensteinverbrachten einige Tage gemeinsam in der Villa Corazza in Medea (Istrien).⁴³ Of-fensichtlich gab es hier nach längerer Zeit wieder einen fruchtbaren Austauschzwischen ihnen. Nach seiner Rückkehr nach Wien schrieb Schlick bezeichnen-derweise an Carnap:

Mein Sommer war märchenhaft schön […]. Auch Wittgenstein hat mich an der Adria auf10 Tage besucht, in bester Verfassung. (Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 25.10.1933)

Und Wittgenstein ging nach seiner Ankunft in Cambridge auch gleich an dieArbeit: Ab Herbst 1933 begann er mit den Diktaten zum Blauen Buch (BBB 1970).

Zu den Details dieser Begegnung siehe Iven 2009.

204 Fynn Ole Engler

6. Fundamentalsätze

Im folgenden Jahr zog es Schlick wieder in den Süden.⁴⁴Am 26. März 1934war er inRichtung Amalfi aufgebrochen.Wittgenstein, der am 19. oder 20. März aus Cam-bridge in Wien eintraf, konnte er somit vor seiner Abreise noch einmal getroffenhaben. (Nr. 58)

In Amalfi angekommen, begann Schlick an seinem Aufsatz „Über das Fun-dament der Erkenntnis“ (Schlick 1934) zu arbeiten. Noch einmal wollte er hier dieFrage klären, ob die Erkenntnistheorie zu einem Fundament sicheren Wissensgelangen könne. Und er vermochte sich wohl auch hier immer noch nicht mitWittgensteins Abkehr von der Physik anzufreunden. Vielmehr glaubte er auchweiterhin an ihre Vorbildfunktion bei der Auszeichnung von Elementarsätzen undihren Beziehungen zu den Gegenständen der Welt. So stellte er sich in seinemAufsatz die Aufgabe, die von ihm so genannten Fundamentalsätze, vor allem imUnterschied zu den Protokollsätzen, eingehend zu charakterisieren.

Fundamentalsätze waren nach seiner Ansicht nach im Besonderen durch dreiMerkmale gekennzeichnet: zum einen ihre Unkorrigierbarkeit, zum zweiten ihreEndgültigkeit und zum dritten ihre Gegenwärtigkeit.(Schlick 1934: 87, 93 f. und 97)Sie waren dabei äußerst flüchtig; man konnte nicht auf ihnen stehen. Sie warenAussagen oder Konstatierungen über das gegenwärtig Wahrgenommene. (Schlick1934: 92) Und sie bildeten den Abschluss der Bestätigung von Hypothesen: ihrerVerifikation (oder auch Falsifikation).Überdies hatten sie eine definitive Form, dieSchlick schon zuvor als von entscheidender Bedeutung für die Erkenntnistheorieerachtet hatte: es waren raum-zeitliche Koinzidenzen. (Schlick 1934: 96)

Wittgenstein hingegen dürfte dem nicht zugestimmt haben. Wie er Schlickbereits im November 1931 schrieb, hatte er alles Dogmatische über Elementarsätzeund Gegenstände, was er noch im Tractatus vertreten hatte, über Bord geworfen.(vgl. Nr. 37) Dennoch dürfte es zumindest Einigkeit in dem einen Punkt gegebenhaben, dass es am Ende von Verifikations- oder Falsifikationsprozessen keinerleiFragen mehr geben dürfe. So wurde schon am 22. März 1930 in gemeinsamerRunde protokolliert:

In bezug auf das unmittelbar Gegeben darf ich keineHypothesenmachen. (WWK 1967: 97; vgl.auch WWK 1967: 74 und Wi3: 16.2)

Vgl. zum Folgenden auch schon Engler 2010.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 205

Und in diesem Zusammenhang hatte Wittgenstein bereits im Tractatus diesprachlogische Unzerstörbarkeit der Gegenstände als Substanz der Welt betont.⁴⁵Man konnte über ihre Existenz schlichtweg nicht reden. Somit gelangte man nachseiner Auffassung aber auch nicht zu Fundamentalsätzen. In einer Vorlesung am3. November 1930 hatte er dazu schon ausgeführt:

Die Sprache kann eine Projektionsmethode im Gegensatz zu einer anderen zum Ausdruckbringen, doch was gar nicht anders sein kann, das vermag sie nicht auszudrücken. ZuFundamentalsätzen gelangen wir nie im Laufe unserer Untersuchungen; wir erreichen dieGrenze der Sprache, und das hält uns von weiteren Fragen ab. Bis an den Grund der Dingegelangen wir nicht, doch wir erreichen einen Punkt, an dem wir nicht mehr weiterkönnenund nicht mehr imstande sind,weitere Fragen zu stellen. Damit findenwir uns zwar nicht ab,doch wir sollten einsehen, daß es nicht richtig war,weiterzufragen.Was der Welt wesentlichist, kann man nicht über die Welt sagen, denn dann könnte es anders sein, da sich jeder Satznegieren läßt.Unsere Schwierigkeit ist, daßunser geistiges Unbehagen nicht beseitigt ist, ehewir einen Überblick über all die verschiedenen Trivialitäten gewonnen haben. Fehlt etwas,was für denÜberblick unerläßlich ist, habenwir immer nochdasGefühl, daßhier etwas nichtstimmt. (LWL 1984: 56)

Demnach hatte sich Wittgensteins früherer Dogmatismus hinsichtlich der Bezie-hung zwischen Sprache und Welt aus dem Tractatus in der Problemstellungaufgelöst, eine übersichtliche Darstellung zu finden. Schlick wiederum hatte 1934in seinem Aufsatz eine Art erkenntnistheoretisches Pendant zur sprachlogischenUnzerstörbarkeit der Gegenstände verteidigt: die Unkorrigierbarkeit der Funda-mentalsätze.

Dabei orientierte er sich auch weiterhin an der Methode der raum-zeitlichenKoinzidenzen, die nun allerdings nicht mehr vermittelt wurde über materielleInstrumente und physikalische Messwerkzeuge, wie Schlick wohl auch noch ge-genüber Waismann und Wittgenstein in ihren ersten Gesprächen in den Jahren1929/30 meinte, sondern die Fundamentalsätze selbst fungierten nun im Momentder Verifikation als Mittler zwischen dem Urteilsnetz und der Wirklichkeit. Indiesem Zusammenhang verwiesen sie aufgrund ihrer definitiven raum-zeitlichenForm im Gebrauch auf unkorrigierbare, endgültige und gegenwärtige Inhalte derWelt. Und damit sollte Schlick schließlich auch hinsichtlich der Darstellung desGesichtsraums seine erkenntnistheoretische Auffassung im Kern beibehalten.Inwieweit Schlick mit ihrer sprachphilosophischen Einkleidung auch eine Radi-

Über die Unzerstörbarkeit der Gegenstände als Substanz der Welt hatte Wittgenstein aucham 1.2.1930 notiert: „Wenn man sagt die Substanz ist unzerstörbar someint man es ist sinnlos inirgend einem Zusammenhang – bejahend oder verneinend von dem ,Zerstören der Substanz‘ zureden.“ (Wi2: 187.4)

206 Fynn Ole Engler

kalisierung seiner Position vornahm, soll hier dahingestellt bleiben. Jedenfallslautete es in „Über das Fundament der Erkenntnis“:

Auf jeden Fall würde ich, welches Weltbild ich auch konstruiere, seine Wahrheit immer nuran der eigenen Erfahrung prüfen; diesen Halt würde ich mir niemals rauben lassen, meineeigenen Beobachtungssätze würden immer das letzte Kriterium sein. Ich würde sozusagenausrufen: „Was ich sehe, das sehe ich“.⁴⁶

7. Übersichtliche Darstellung

Im Gegensatz zu Schlick ging es Wittgenstein schon lange nicht mehr um Fun-damentalsätze. Er hatte mit der Übersichtlichkeit und der übersichtlichen Dar-stellung zentrale Themen seiner Spätphilosophie gefunden,⁴⁷ was er Schlick be-reits im November 1931 mitgeteilt hatte. (vgl. Nr. 37) Später, in den PhilosophischenUntersuchungen, findet sich gleichfalls ihre Bedeutung hervorgehoben:

Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörternicht übersehen. – Unsere Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit – Die übersichtlicheDarstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin besteht, daß wir die „Zusam-menhänge sehen“. Daher die Wichtigkeit des Findens und des Erfindens von Zwischenglie-dern. Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung.Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen. (Ist dies eine„Weltanschauung“?) (PU 2001: 122)

Wittgensteins Übergang von der mittleren Periode zur Spätphilosophie in denJahren 1935/36, wird daher wohl nur verständlich werden, wenn man seine in-tensive Auseinandersetzung mit Schlick berücksichtigt, die von Anfang an durchtiefgreifende Differenzen bestimmt war.

Diese waren aber von entscheidender Bedeutung seitdem Wittgenstein zuAnfang des Jahres 1929 nach Cambridge und zur Philosophie zurückkehrte. Ins-besondere ihre Diskussionen über die Physik im Zusammenhang mit dem Ver-hältnis der Sprache zur Welt erwiesen sich als ausschlaggebend für WittgensteinsNeuformulierung seiner Philosophie in der mittleren Periode, die nach demWechsel des Sprachparadigmas im Herbst 1929 vor allem auch in einer fortwäh-renden Auseinandersetzung um die Darstellung des Gesichtsraums gründete.

Dabei musste sich Wittgenstein zunächst einmal von der Sichtweise derPhysik emanzipieren, die noch zu Anfang seiner Diskussionen mit Schlick und

Schlick 1934: 91. Vgl. Majetschak 2013.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 207

Waismann als ein Paradigma für einen Vergleich der Sprache mit der Wirklichkeitgalt. Spätestens jedoch mit Wittgensteins endgültiger Abkehr vom Wahrheitsan-spruch der Physik, die wahrscheinlich um Ostern 1930 erfolgte und im Folgendenlediglich durch eine kurze Phase des Sinnkriteriums überbrückt wurde,war seineWende hin zur Grammatik der Umgangssprache vollzogen.

Damit dürften sich aber auch die Differenzen zwischen Schlick und Witt-genstein nicht in Luft aufgelöst haben. Während Schlick auch weiterhin amWahrheitsanspruch der Physik festhielt und wohl auch bis zum Schluss an dieExistenz von Elementarsätzen und Gegenständen vermittelt über die Koinzi-denzmethode glaubte, hatte Wittgenstein hingegen seit Anfang 1931, wobeiSchlick auch während dieser Zeit ein gefragter Begleiter war, immer wieder ver-sucht, seine Ansichten zu Papier zu bringen.

So hatte er auch im Herbst 1934 mit einem neuen, dem so genannten BraunenBuch (TS 310) begonnen. (BBB 1970) Er schrieb am 31. Juli 1935 an Schlick:

Wie Sie wissen existiert ein M.S. welches ich in den ersten zwei Terms dieses Jahres diktierthabe & welches die Art & Weise zeigt wie ich den ganzen Stoff behandelt sehen will. Ge-genwärtig hat es ein Freund von mir & eine Kopie hat Miss Ambrose. Es wird aber davonvielleicht eine Abschrift gemacht werden & in diesem Falle werden Sie eine Kopie erhalten.(Nr. 62)

Ein letztes überliefertes Treffen zwischen Schlick und Wittgenstein hat es allerWahrscheinlichkeit nach am 29. Dezember in Wien gegeben.⁴⁸ Ab August 1936arbeitete Wittgenstein dann in Norwegen an einer deutschen Übersetzung desBraunen Buchs. Hiermit war er aber schon bald nicht mehr zufrieden, worüber erMoore am 20. November berichtete. (CB 1980: 201 f.)

Infolgedessen begann Wittgenstein mit einem neuen Projekt: den Philoso-phischen Untersuchungen, deren in Norwegen geschriebene Urfassung (MS 142)weitestgehend mit dem ersten Teil des posthum veröffentlichten Werkes über-einstimmt. (PU 2001: 1– 189a) Hierauf konnte Schlick aber nicht mehr reagieren.Bekanntlich war er am 21. Juni 1936 auf den Treppen der Wiener Universität er-mordet worden.Wittgenstein schrieb über diesen Schicksalsschlag an Hänsel:

Davon, daß Schlick auf der Universität erschossen worden ist, wirst Du gehört haben. Wieschrecklich! (Ludwig Wittgenstein an Ludwig Hänsel, [nach dem 22.06.1936])

Dass Wittgenstein mit dem plötzlichen Tod Schlicks einen äußerst schmerzlichenVerlust zu beklagen hatte, wird einsichtig, wenn wir uns noch einmal die Bezie-

Siehe den Eintrag in Schlicks Taschenkalender (Inv.-Nr. 88, C.32–4). Zuvor ist noch einTreffen am 3.1.1935 überliefert (vgl. ebenfalls Inv.-Nr. 88, C.32–4).

208 Fynn Ole Engler

hungenWittgensteins zu Schlick auf der einen bzw. zu Ramsey und vielleicht auchCarnap auf der anderen Seite vergegenwärtigen.Wittgenstein hatte gerade in demPhysiker-Philosophen Schlick spätestens mit Beginn ihrer Gespräche an Weih-nachten und Neujahr 1929/30 einen ebenbürtigen Partner im Geist gefunden.Überden Mathematiker-Logiker Ramsey hingegen hatte er am 1. November 1931 (unddamit nach den entscheidenden Schritten) nur noch notiert:

(Ramsey war ein bürgerlicher Denker. D.h. seine Gedanken hatten den Zweck die Dinge ineiner gegebenen Gemeinde zu ordnen. Er dachte nicht über das Wesen des Staates nach –oder doch nicht gerne – sondern darüber wie man diesen Staat vernünftig einrichten könne.Der Gedanke daß dieser Staat nicht der einzig mögliche sei beunruhigte ihn teils, teilslangweilte er ihn. Er wollte so geschwind als möglich dahin kommen über die Grundlagen –dieses Staates nachzudenken. Hier lag seine Fähigkeit und sein eigentliches Interesse;während die eigentlich[e] philosophische Überlegung ihn beunruhigte bis er ihr Resultat(wenn sie ein’s hatte) als trivial zur Seite schob.) (Wi4: 172.7)

Bezeichnenderweise hatte sich Wittgenstein auch tags zuvor Gedanken über denUnterschied zwischen angehenden Physikern und Mathematikern gemacht.Unterdem 31. Oktober findet sich in seinem Tagebuch der vielsagende Eintrag:

Zum Studium der Philosophie sind heute am besten noch Studenten der Physik vorbereitet.Ihr Verständnis ist durch die offenbare Unklarheit in ihrer Wissenschaft aufgelockerter alsdas der Mathematiker die in einer selbstsichern Tradition festgefahren sind. (DB 1997a: 56)

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Wendel und Fynn Ole Engler, Wien/New York 2009.MSGA I/3 [= Abt. I, Bd. 3]: Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre / Fragen der

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hrsg. und eingeleitet von Edwin Glassner und Heidi König-Porstner unter Mitarbeit vonKarsten Böger. Wien/New York 2012.

MSGA I/6 [= Abt. I, Bd. 6]: Die Wiener Zeit (Aufsätze, Beiträge, Rezensionen 1926–1936), hrsg.und eingeleitet von Johannes Friedl und Heiner Rutte, Wien/New York 2008.

MSGA II/1.2 [= Abt. II, Bd. 1.2]: Erkenntnistheoretische Schriften 1926–1936, hrsg. undeingeleitet von Johannes Friedl und Heiner Rutte, Wien/New York 2013.

Carnap, Rudolf: Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, in: Erkenntnis II(Heft 5/6), 1931, 432–465.

—: Mein Weg in die Philosophie, Stuttgart 1993.

Zum Verhältnis von Moritz Schlick und Ludwig Wittgenstein 209

Einstein, Albert: Geometrie und Erfahrung. Erweiterte Fassung des Festvortrags gehalten an derPreussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 27. Januar 1921, Berlin 1921.

Engelmann, Paul: Letters from Ludwig Wittgenstein. With a Memoir, Oxford 1967.Engler, Fynn Ole: Koinzidenzen, Gestalten und Denkstile. Moritz Schlick und Ludwik Fleck über die

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Friedl, Johannes: Konsequenter Empirismus. Die Entwicklung von Moritz Schlicks Erkenntnistheorieim Wiener Kreis., Wien/New York 2013 [= Schlick-Studien, Bd. 3].

Feigl, Herbert: The Wiener Kreis in America, in: Herbert Feigl, Inquiries and Provocations. SelectedWritings 1929–1974, Dordrecht/Boston/London 1981, 57–94.

Hintikka, Merrill B./Hintikka, Jaakko: Untersuchungen zu Wittgenstein, Frankfurt am Main 1990.Iven, Mathias: Wittgenstein und Schlick. Zur Geschichte eines Diktats, in: Friedrich Stadler und

Hans Jürgen Wendel (Hrsg.), Stationen. Dem Philosophen und Physiker Moritz Schlick zum125. Geburtstag, Wien/New York 2009, 63–80 [= Schlick-Studien, Bd. 1].

Majetschak, Stefan: Übersicht, übersichtliche Darstellung und Beweis. Bemerkungen zu einigenzentralen Begriffen in der Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins, in: Fynn Ole Engler undMathias Iven (Hrsg.), Große Denker, Leipzig 2013, 105–123.

McGuinness, Brian F.: Wittgensteins frühe Jahre, Frankfurt am Main 1992.—: Wittgenstein und Schlick. Mit einer „Erwiderung“ von Mathias Iven, Berlin 2010 [= Schlickiana,

Bd. 3].Monk, Ray: Wittgenstein. Das Handwerk des Genies, Stuttgart 1993.Nedo, Michael: Ludwig Wittgenstein. Ein biographisches Album, München 2012.Neider, Heinrich: Persönliche Erinnerungen an den Wiener Kreis. Ein Gespräch mit Rudolf Haller und

Heiner Rutte, in: Kurt Rudolf Fischer (Hrsg.), Österreichische Philosophie von Brentano bisWittgenstein, Wien 1999, 297–334.

Ramsey, Frank P.: [Rezension von:] Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, in: MindXXXII, 1923, 465–478.

Russell, Bertrand: Autobiographie II 1914–1944. Zweite Auflage, Frankfurt am Main 1978.Schlick, Moritz: [Rezension von:] Albert Einstein, Geometrie und Erfahrung, in: Die

Naturwissenschaften 9 (Heft 22), 1921, 435f. [jetzt in: MSGA I/5: 465–467].—: Die Relativitätstheorie in der Philosophie, in: Alexander Wittig (Hrsg.), Verhandlungen der

Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. 87. Versammlung zu Leipzig, Hundertjahrfeiervom 17. bis 24. September 1922, Leipzig 1923, 58–69 [jetzt in MSGA I/5: 529–547].

—: Erleben, Erkennen, Metaphysik, in: Kant Studien 31, 1926, 146–158 [jetzt in MSGA I/6:33–54].

—: Die Wende der Philosophie, in: Erkenntnis I (Heft 1), 1930, 4–11 [jetzt in MSGA I/6: 213–222].—: The Future of Philosophy, in: Gilbert Ryle (Ed.), Proceedings of the Seventh International

Congress of Philosophy, held at Oxford, England, September 1–6, 1930, Oxford/London 1931,112–116 [jetzt in MSGA I/6: 297–303].

—: Über das Fundament der Erkenntnis, in: Erkenntnis IV (Heft 2), 1934, 79–99 [jetzt in MSGAI/6: 487–514].

Veigl, Hans: Wittgenstein in Cambridge. Eine Spurensuche in Sachen Lebensform, Wien 2004.

210 Fynn Ole Engler

Die Autorinnen und Autoren des Bandes /Authors of this Volume

Mark AddisBorn 1969, studied at Oxford and Leeds receiving his PhD from the latter. He is Professor of Phi-losophy at Birmingham City University. He is also a Visiting Professor at the Department of Cul-ture and Society at Aarhus University and a Research Associate at the Centre for Philosophy ofNatural and Social Science at the London School of Economics. His publications on WittgensteinincludeWittgenstein: A Guide for the Perplexed (Continuum 2006),Wittgenstein: Making Sense ofOther Minds (Ashgate 1999) and the co-editedWittgenstein and Philosophy of Religion (Routledge2001) as well as a number of articles. Among his recent publications are Wittgenstein and theNaturalness of Religious Belief (in: Origins of Religion, Cognition and Culture, Acumen 2013)and Linguistic Competence and Expertise (Phenomenology and the Cognitive Sciences, 12(2), 2013).

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Steen BrockBorn 1954, studied in Aarhus and Oxford. He received his Ph.D. from the University of Aarhus in1989 with Wittgenstein and Practical Necessity (published as Moralfilosofiske Essay, Institut forFilosofis Skriftserie, Nu. 5, 2005), and his habilitation in 2003 with Niels Bohr′s Philosophy ofQuantum Physics in the Light of the Helmholtzian Tradition of Theoretical Physics (publishedby Logos). Since 1996 he has been Associate Professor in Philosophy at University of Aarhus.He has been a Visiting Researcher at the Wittgenstein Archives at the University of Bergen(2009–2011) and the Niels Bohr Archives at the University of Copenhagen (1998). He is co-found-er and managing editor of SATS: Northern European Journal of Philosophy. Among his recent pub-lications are Radiation Emission as a Virtually Exact Realization of Heisenberg′s Microscope (Nu-clear Instruments and Methods in Physical Research. Section B: Beam Interactions with Materialsand Atoms, 315, 2013) and A Resolute Reading of Ernst Cassirer′s Anthropology (Synthese, 171,2011).

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Susan Edwards-McKielives in Cambridge and researches Wittgenstein’s Nachlass. She developed a life-long interest inreading the Nachlass in the original through early conversations with Michael Nedo. She pub-lishes and presents papers on the Vienna Circle and the philosophy of mathematics of Wittgen-stein, Kant and Leibniz. Recently presented papers include: Some remarks on Hacking’s ‘Leibnizand Descartes: Proofs and Eternal Truths’: a reconstruction of Wittgensteinian agency (2012);Witt-genstein, Einstein and Leibniz (2013) and A tale of two infinities (2013). Her significant teacherswere Elizabeth Anscombe, Bernard Williams and Richard Wollheim. Current research focuseson the mathematical investigations in the newly discovered Skinner Archive and an extendedpaper on the relation of mathematical and musical theories of turn-of-the-century and early

20th century Vienna. She holds a Master’s degree from the University of Cambridge, and is amember of Darwin College, Cambridge.

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Katrin EggersGeb. 1979, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Leibniz UniversitätHannover sowie der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, wo sie 2010 mit derArbeit Wittgenstein als Musikphilosoph (Freiburg 2011) promoviert wurde und anschließend alsWissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt war. Forschungsbereiche sind: Musikphilosophie und–ästhetik, insbesondere Wittgenstein und Musik (diverse Aufsätze), musikalische Narrativität,Musik und Kitsch (Musik und Kitsch, Hildesheim 2014; gemeinsam mit Nina Noeske) sowie dieMusikkultur der Frühen Neuzeit in Mitteldeutschland. Derzeit ist sie postdoc im Schweizer For-schungscluster „eikones“ der Universität Basel mit einem Projekt zur musikalischen Gestik (u.a.Richard Wagner: Musikalische Gestik – gestische Musik, Würzburg 2015; gemeinsam mit RuthMüller-Lindenberg).

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Fynn Ole EnglerStudium der Physik und Philosophie in Rostock und Edinburgh. Seit 2001 wissenschaftlicherMitarbeiter des Instituts für Philosophie der Universität Rostock; seit 2002 Mitarbeit an derMoritzSchlick Gesamtausgabe (MSGA), seit 2011 in der Projektleitung des von der Akademie der Wis-senschaften in Hamburg geförderten LangzeitvorhabensMoritz Schlick Gesamtausgabe. Nachlassund Korrespondenz; Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte inBerlin (seit 2006). Engler ist Gründungsmitglied und geschäftsführender Vorstand des RostockerZentrums für Logik,Wissenschaftstheorie undWissenschaftsgeschichte (ZLWWG) (seit 2006); seit2008 Mitherausgeber der Schlickiana, seit 2011 der MSGA. Er ist Leiter des DFG-Projekts:„Transformationen und integratives Potential der wissenschaftlichen Philosophie“ (seit 2011) undKoordinator/stellvertr. Projektleiter des am ZLWWG durchgeführten interdisziplinären Verbund-projektes im Rahmen der Forschungsfonds des Landes Mecklenburg-Vorpommern: „Transfor-mation wissenschaftlichen Wissens in den Lebenswissenschaften: Morphologie und Neurowis-senschaften im Wandel“ (seit 2011). Jüngste Veröffentlichungen: Wissenschaftliche Philosophie,moderne Wissenschaft und Historische Epistemologie. Albert Einstein, Ludwik Fleck und MoritzSchlick im Ringen um die wissenschaftliche Rationalität (gemeinsam mit Jürgen Renn) (2013),Hume, Einstein und Schlick über die Objektivität der Wissenschaft (gemeinsam mit Jürgen Renn)(2013), Denk-Standpunkte (2011).

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Christian Erbachergeb. 1979, studierte Diplom-Psychologie, Sprecherziehung und Philosophie an der UniversitätRegensburg.Während eines Promotionsstipendiums der Universität Bergen (Norwegen) arbeiteteer am Wittgenstein Archiv an der Universität Bergen. 2011 wurde er mit seiner Dissertation „Zur

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philosophischen Bedeutung der sprachlichen Gestaltung von Wittgensteins Logisch-philosophi-scher Abhandlung“ an der Universität Bergen promoviert. Zur Zeit erforscht er im Rahmen desPostdoc-Projektes Shaping a domain of knowledge by editorial processing: the case ofWittgenstein’swork (NFR 213080) die Geschichte von Wittgensteins Nachlass. Eine Gesamtdarstellung der Edi-tionsgeschichte von Wittgensteins Nachlass ist in Arbeit.

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Mathias IvenWissenschaftlicher Mitarbeiter an der Moritz-Schlick-Forschungsstelle des Instituts für Philoso-phie der Universität Rostock, Gründungsmitglied des Rostocker Zentrums für Logik, Wissen-schaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte (ZLWWG). Seit 2002 Mitarbeit an der Moritz SchlickGesamtausgabe (MSGA), seit 2011 im Rahmen der Projektleitung des von der Akademie derWissenschaften in Hamburg geförderten Langzeitvorhabens „Moritz Schlick Gesamtausgabe.Nachlass undKorrespondenz“. Mitherausgeber derMoritz Schlick Gesamtausgabe (seit 2011) sowieder Schlickiana (seit 2008). Zahlreiche Veröffentlichungen als Autor undHerausgeber,u.a.: „Wennetwas Gut ist so ist es auch Göttlich“. Die Ethik im Leben Ludwig Wittgensteins (2002), Rand undWittgenstein. Versuch einer Annäherung (2004), „Ludwig sagt …“. Die Aufzeichnungen der HermineWittgenstein (2006), Wittgenstein und Schlick (hrsg. 2010), Lebenswege des Friedrich Nietzsche(2011), daneben zahlreiche Artikel und Besprechungen.

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Jiang YiBorn 1961, studied in Chengdu, Tianjin and Beijing. He received his Ph.D. from the the GraduateSchool of Chinese Academy of Social Sciences in 1991 with the thesis On Wittgenstein’s Theory ofLanguage Games (published with revised title as Wittgenstein: A Post-philosophical Culture, Bei-jing: Social Science Document Publishing House, 1996). He taught philosophy at Renmin Univer-sity of China in 1985– 1988 and had been senior research fellow at the Institute of Philosophy,Chinese Academy of Social Sciences since 1993. He has been a professor of philosophy and deanof College of Philosophy and Sociology of Beijing Normal University since 2010. He was visitingscholar in Oxford, Harvard and Rutgers since 1995. He is also president of China Society of Con-temporary Foreign Philosophy and member of various committees in the Chinese academic cir-cle as well as in other countries. He was rewarded with the Changjiang Distinguished ProfessorScholarship sponsored by Ministry of Eduction of China and others. He is also the author ofWitt-genstein (1999), Introduction to Tractatus Logico-Philosophicus (2002), Contemporary Anglo-American Analytic Philosophy (2005), and A Mirror of Thought (2009).

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Andrew Norrisis Associate Professor of Political Science and Affiliated Professor of Philosophy at the Universityof California, Santa Barbara. He is the editor of The Claim to Community: Essays on Stanley Cavelland Political Philosophy (Stanford University, 2006) and the co-editor of Truth and Democracy

Die Autorinnen und Autoren des Bandes / Authors of this Volume 299

(University of Pennsylvania, 2012). His recent publications include “‘How Can It Not Know WhatIt Is?’ Self and Other in Ridley Scott’s Blade Runner,” Film-Philosophy 17, no. 1 (2013): 19–50 and“The Disappearance of the French Revolution in Hegel’s Phenomenology of Spirit,” The Owl ofMinerva: Journal of the Hegel Society of America 44, nos. 1–2 (2012– 13): 37–66. He has previous-ly published on the political implications of Wittgenstein’s remark “the chain of reasons has anend” as understood by thinkers on the right (“‘La chaîne des raisons a une fin.’ Wittgenstein etOakeshott sur le rationalisme et la pratique,” Cités: Philosophie, Politique, Histoire 38 [2009]: 95–108) and on the left (“Das Politische als das Metaphysische und das Alltägliche,” in:Wittgenstein– Philosophie als ‚Arbeit an Einem selbst’, hrsg. v. G. Gebauer, F. Goppelsröder, J. Volbers, Mün-chen 2009, 129– 149). In the fall of 2014 he is a Research Fellow at the Department of Philosophyand the Forschungskolleg Humanwissenschaften of Goethe University, Frankfurt am Main,where he is working on Cavell and Hegel.

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Alois PichlerBorn 1966, studied in Innsbruck and Bergen. He received his Dr.art. from the University of Ber-gen in 2001 withWittgensteins Philosophische Untersuchungen: Vom Buch zum Album (publishedby Rodopi in 2004). He is Professor at the Philosophy Department of the University of Bergenand Head of its Wittgenstein Archives. His main research interests lie in Wittgenstein research,philosophy of language, editorial philology and digital humanities. He is one of the foundersand editors of the new international Wittgenstein journal Nordic Wittgenstein Review. He has re-cently published Reflections on a Prominent Argument in the Wittgenstein Debate (Philosophy andLiterature, 37(2), 2013), Sharing and Debating Wittgenstein by Using an Ontology (Literary and Lin-guistic Computing, 28(4), 2013), and The Philosophical Investigations and Syncretistic Writing (in:The Textual Genesis of Wittgenstein’s Philosophical Investigations, Routledge 2013).

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Hans Julius Schneidergeb. 1944, studierte Philosophie, Germanistik und Anglistik an der FU Berlin, der University ofTexas (Austin) und der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Forschungsbereiche:Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes, Religionsphilosophie, Wittgen-stein. Gastaufenthalte an der University of Georgia, (Athens, GA), der School of the Art Institute ofChicagoundder Fudan-Universität Shanghai. Em.o. Professor für Theoretische Philosophie an derUniversität Potsdam.Wichtigste Veröffentlichungen:Pragmatik als Basis von Semantik und Syntax,Frankfurt a. M. 1975; Phantasie und Kalkül: Über die Polarität von Handlung und Struktur in derSprache, Frankfurt a. M. 1992; Metapher, Kognition, Künstliche Intelligenz (Hrsg.), München 1996;Mit Sprache spielen: Die Ordnungen und das Offene nach Wittgenstein (hrsg. mit Matthias Kross),Berlin 1999; Religion, Berlin 2008;Wittgenstein’s Later Theory of Meaning: Imagination and Cal-culation, Chichester 2014 (aktualisierte Teilübersetzung von Phantasie und Kalkül). Bibliographiebis 2010 in: S.Tolksdorf / H.Tetens (Hrsg.): In Sprachspiele verstrickt, oder:Wie man der Fliege denAusweg zeigt, Berlin 2010, 561–570.

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300 Die Autorinnen und Autoren des Bandes / Authors of this Volume

Zhang Xue-guangBorn in Wuqi Courty, Shaanxi Province, P.R. China, studied in Xi’an, Beijing and Berkeley, hereceived his Ph.D. from Peking University in 1997, with the thesis Wittgenstein and the Problemof Understanding (Xi’an: Shaanxi People’s Publishing House, 2003). He has been a Research Fel-low at School of Humanities and Social Sciences, Xi’an University of Posts and Telecommunica-tions, since 1997 and now is the dean of the School. He published another book about Wittgen-steinWittgenstein: out of the Cage of Language in 1999 (Shenyang: Liaohai Publishing Press) andtranslations of Western works into Chinese, Word and Object by W. V. O. Quine (2005, 2012 withothers), Language and Philosophical Problems by Sören Stenlund (2011), Twentieth-Century An-alytic Philosophy by Avrum Stroll (2014), and Wittgenstein by Hans Sluga (2014). He has beena director of Chinese Society for Contemporary Western Philosophy since 2000. He has been avisiting scholar at The University of California at Berkeley from May 2012 to August 2013. Hehas been awarded various distinctions, including the Excellent Research Achievement of Philos-ophy and Social Sciences, Shaanxi Province, in 2007. His main research interest lies in AnalyticPhilosophy and Wittgenstein. He is presently translating a book, Wittgenstein in Cambridge: Let-ters and Documents 1911– 1951, edited by Brain McQuinness, for The Commercial Press (Beijing).

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Die Autorinnen und Autoren des Bandes / Authors of this Volume 301