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Wolfgang Essbach-Die Junghegelianer Soziologie Einer Intellektuellengruppe-Fink, Wilhelm(1988)

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ÜbergängeTexte und Studien zu

Handlung, Sprache und Lebenswelt

herausgegeben vonRichard Grathoff

Bernhard Waldenfels

Band 16

Wolfgang Eßbach

Die JunghegelianerSoziologie einer Intellektuellengruppe

Wilhelm Fink Verlag

Als Habilitationsschrift auf Empfehlungdes Fachbereichs Sozialwissenschaften der Georg-August Universität Göttingen

gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

ISBN 3-7705-2434-9 © 1988 Wilhelm Fink Verlag München Gesamtherstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn Umschlagentwurf; Heinz Dieter Mayer

Inhalt

Abkürzungen

Einleitung ................................................................................................ 11

1. Fragestellung der Untersuchung............................................................. 125. Geistige Tatsachen - gesellschaftliche Bedingungen............................. 126. Soziologie der Intelligenz .................................................................. 147. Übersicht über den Aufbau der Untersuchung .................................. 248. Hinweise zum Umgang mit den Quellen............................................... 21

2. Zur Definition von Intellektuellengruppen im Kontext der vormärzlichenGesellschaft ........................................................................................ 29

9. Publizistische Antizipationen ............................................................. 2910. Hintergrund und Diskrepanzerfahrung................................................. 3511. Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang . . 40

3. Methodologisch-theoretische Fragen .................................................. 4312. Bemerkungen zur Gruppensoziologie.................................................... 4313. Interaktionistischer und diskursanalytischer Zugang ......................... 4614. Zum Problem heterologer Zugänge .................................................... 50

4. Forschungen zum Junghegelianismus.................................................... 52

1. Philosophische Schule ......................................................................... 89

15. Zum Begriff >Schule<.............................................................................. 89

16. Das Bündnis der Schule mit dem modernen Staat .............................. 99

17. Beamtete Intelligenz............................................................................... 103

18. Philosophen unter sich........................................................................... 10819. Die Polemik........................................................................................... 11020. Selbstdefinition der Schule.................................................................... 11221. Aufgaben der Schule............................................................................. 116

22. Erwartungen.......................................................................................... 117

23. Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst............................ 124

24. Positionenstreit und Schulspaltung .................................................... 131

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II. Politische Partei ................................................................................. 157

1. Politik als Schauspiel.............................................................................. 157 a) Das Hegeische Erbe ........................................................................ 157 b)Philosophischer Dialog als theatralische Politik.................................. 161

2 Das Übergangsproblem ........................................................................ 165

3. Die praktische Konsequenz bei Feuerbach und B. Bauer........................ 169a) Philosophie und Leben bei Feuerbach............................................... 169b)Philosophie ohne Fessel (Bruno Bauer) ........................................... 173

4. Zum Begriff politische Partei<.............................................................. 177

5. Die Verfassungsfrage .......................................................................... 183a) Vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie ..................... 183b) Die Widersprüche des Konstitutionalismus....................................... 187c) Liberale Partei, radikale Partei........................................................... 192d) Demokratischer Monismus und Abschaffung des Staates.................. 197

6. Die junghegelianische Partei und die liberale Opposition .................. 204a) Die Serenade für Theodor Welcker und das Verhältnis

zum süddeutschen Liberalismus............................................. 206b) Berlin und Königsberg....................................................................... 210c) DieJungehelianerunddie>RheinischeZeitung<................................. 212

7. Die Spaltung der Partei ...................................................................... 214a) Vorspiel zur Spaltung: die >Freien<.................................................... 215b) Herweghs Reise ............................................................................. 219

8. Stimmen von Zeitgenossen zum Scheitern derjungehegelianischen Partei..................................................................... 226

III. Journalistische Boheme ...................................................................... 249

1 Beamtenkritik und Distribution der Vernunft .................................... 250

2 Pressefreiheit und Zensur........................................................................ 256

3 Der Zensor als Partner -

Kommunikationsgemeinschaft und Politik ..................................... 263

4 Theorie und Masse.................................................................................. 270

5 Theorie statt Masse ............................................................................. 280

6 Das Treiben der Boheme .................................................................... 290 a) Skandalpraxis..................................................................................... 290 b) Literarische Darstellungen................................................................... 295 c) Zum Begriff >Boheme< ...................................................................... 302

6

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Abkürzungen

ADB Allgemeine deutsche BiographieAfS Archiv für SozialgeschichteAKG Archiv für KulturgeschichteALZ Allgemeine Literatur-ZeitungAn Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und PublicistikAnnali Annali delT Istituto Giangiacomo FeltrinelliAth AthenäumBM Berliner MonatsschriftBW BriefwechselDJ Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und KunstDVjs Deutsche VierteljahrsschriftEB Einundzwanzig Bogen aus der SchweizEE Der Einzige und sein Eigentum von Max StirnerEKZ Evangelische Kirchen-ZeitungGG Geschichte und GesellschaftGS Gesammelte SchriftenHg HerausgeberHJ Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und KunstHW G.W.F. Hegel. Werke in zwanzig BändenHZ Historische ZeitschriftIRSH International Review of Social HistoryIWK Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der

deutschen ArbeiterbewegungJG Jahrbücher der GegenwartJWK Jahrbücher für wissenschaftliche KritikKISchr Kleinere Schriften von Max StirnerKorr KorrespondenzKZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und SozialpsychologieLAZfB Leipziger Allgemeine Zeitung für Buchhandel und BücherkundeLFB Ausgewählte Briefe von und an Ludwig FeuerbachLFW Ludwig Feuerbach Werke in sechs BändenMEGA Karl Marx und Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtaus-

gabeMEW Karl Marx und Friedrich Engels WerkeNB Norddeutsche Blätter für Kritik, Literatur und UnterhaltungNDB Neue deutsche BiographieNZSyThRPh Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphiloso-

phieRhZ Rheinische Zeitung für Politik, Handel und GewerbeSA Sozialistische Aufsätze von Moses HeßSW Sämtliche WerkeWD Das Westphälische Dampfboot

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WVjs Wigands VierteljahrsschriftZfG Zeitschrift für GeschichtswissenschaftZfP Zeitschrift für PolitikZfRGG Zeitschrift für Religions- und GeistesgeschichteZPsT Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie

Vorbemerkung zur Zitierweise

Die Orthographie in älteren Zitaten wurde stillschweigend modernisiert. Hervor-hebungen in Zitaten wurden - wenn nicht besonders vermerkt - aus dem Originalübernommen. (!) ist eine Einfügung des Verfassers. Auslassungen im Zitat werdendurch ( . . . ) gekennzeichnet. Zitierte Satzteile werden mit», oder «. abgeschlossen.Zitierte Sätze dagegen werden mit .« abgeschlossen. Erscheint ein Verfassernamein Klammern gesetzt, so ist die entsprechende Schrift anonym erschienen.

Die im Literaturverzeichnis als Primärliteratur aufgeführten Quellen und Quel-lensammlungen werden in den Anmerkungen zitiert: Autor, Kurztitel, ggf. Zeit-schriften-Sigle und Bandangabe, Jahreszahl, Seitenangabe.

Die im Literaturverzeichnis als Sekundärliteratur aufgeführten Arbeiten werdenin den Anmerkungen zitiert: Autor (Jahreszahl) Seitenangabe.

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Einleitung

»L'esprit abhorre les groupements«. Für den Soziologen sind diese Worte PaulValerys eine Herausforderung. Wem zur Gewohnheit geworden ist, menschlichePhänomene aus der Perspektive der sozialen Beziehungen zu analysieren, der fühltsich gekränkt, ein so hoch geschätztes menschliches Vermögen wie >Fesprit< ineinen unversöhnlichen Gegensatz zur Gegebenheit von sozialen Gruppen gesetztzu sehen. Der Soziologe kann sich nun der Kränkung erwehren, indem er nach-weist, daß gerade Valerys Diktum typisch sei für einen Intellektuellen, der dieBeziehungen zu seiner Herkunftsschicht gelockert hat, der aber sein Credo derUnabhängigkeit von Gruppen bestimmten allgemeineren sozialen Verhältnissenverdankt, die es ihm erlauben, die Rolle eines Einzelgängers zu spielen und auszu-statten. Erst dort, wo eine bestimmte soziale Form, nämlich Konkurrenz auf demGebiete des Geistigen, gegeben ist, hat dieser Intellektuellentyp eine Chance. Undzur Illustration dieses Sachverhaltes bedient sich auch A. v. Martin des Valéry-schen Diktums.1

Es fehlte also nicht an Mitteln, den Einzelgänger Valery gleichsam soziologischwieder einzufangen. Denn es handelt sich hier um eine Haltung, die Valery mit vie-len anderen modernen Intellektuellen teilt, die ihrer Verachtung der Zwänge vonGruppen aller Art Ausdruck verleihen. Nach den sozialen Bedingungen von intel-lektuellen Produktionen zu fragen, diese Perspektive schließt zumindest eine Rela-tivierung des Valeryschen Diktums ein. Aber der Dichter Valery hat seine Heraus-forderung durch einen eigenartigen Einsatz erhöht. Es sei daran erinnert, daßValery nach der Publikation von »Une soiree avec Monsieur Teste« (1895), seinePosition verstärkend, zwanzig Jahre als Dichter schwieg. Auch dies könnte einSoziologe erklären und verstehen. Aber er müßte sich auf die Erfahrung einlassen,um die der Valerysche Text, der dem Schweigen vorangeht, sich zentriert: dasErschrecken vor »dieser ungeheuren Tätigkeit (. . .), die man intellektuellnennt«.2

Diese Arbeit handelt von einer Intellektuellengruppe, die gleichsam spiegelver-kehrt das Valerysche Problem durchlebt hat. Auch diese Intellektuellen lösen sichvon ihren Herkunftsschichten ab, aber sie wollen als Intellektuelle eine Gruppebleiben und suchen nach einer sozialen Definition, einer Definition ihrer Beziehun-gen untereinander und ihrer Beziehungen >nach außen<. Im Unterschied zu Valery,der zwanzig Jahre als Dichter schwieg, haben sie mehr als sieben Jahre mit einemintellektuellen Aufwand und mit einer Intensität miteinander diskutiert, die in derGeschichte intellektueller Gruppenbildungen selten anzutreffen sind.

L'esprit abhorre les groupements? Der Analyse der Intellektuellengruppe derJunghegelianer sei Valerys Diktum als Frage vorangestellt.

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1. Fragestellung der Untersuchung

a) Geistige Tatsachen - gesellschaftliche Bedingungen

Soziologische Theorien halten verschiedene Möglichkeiten bereit, den Zusammen-hang von >Geist< und sozialen Formen zu interpretieren. Daß ein Zusammenhangbestehen muß, steht für den Soziologen außer Frage. Er ist gleichsam professionellherausgefordert, wo ein nicht sozial vermittelter >Geist< sein Existenzrecht behaup-ten wollte. Gegen eine rein geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise geistigerTatsachen hat sich in der Soziologie - insbesondere unter dem Einfluß des Marx-schen Ideologiebegriffs und der Mannheimschen Wissenssoziologie - als zentraleund spezifisch soziologische Fragestellung diejenige nach der sozio-ökonomischenund sozialen Bedingtheit geistiger Inhalte weitgehend durchgesetzt.

In der Marxschen oder marxistisch inspirierten Ideologiekritik richtet sich derBlick darauf, welche sozialen Interessen sich in dem, was gedacht, gesagt undgeschrieben wird, ausdrücken. Ideologiekritik hat es leicht, wenn sich das sozialeInteresse unverhüllt zeigt, wenn etwa die Lebensinteressen und die Lebensformeneiner Klasse verklärt, die der anderen Klasse mißachtet werden. Wo in den Ideender Aristokratie die Verachtung bürgerlichen Geschäftssinnes, in den Ideen derBürger die Legitimation des Privateigentums, in den Ideen der Arbeiter das Inter-esse an einer sozialen Reform oder Revolution sich ausspricht, hat der Ideologiekri-tiker keine theoretischen Probleme, weil hier seine Perspektive sich ungebrochenbewährt.

Probleme entstehen in den Abweichungen. Der Adelige, der sich für die Not derArbeiter interessiert, und der Arbeiter, dessen >objektives Interesse< in seinenGedanken keinen Niederschlag findet, Gestalten, die ihre soziale Lage nichterkennbar widerspiegeln - der grobschlächtige Ideologiekritiker wird sie margina-lisieren, der differenziertere Ideologiekritiker wird sein Instrumentarium verfei-nern müssen, um vielleicht doch Latentes zu entdecken, was auf ein soziales Inter-esse hinweist: vielleicht ein vorpolitisches, schüchternes Unbehagen des Arbeiters,Keime eines Klassenbewußtseins, oder eine Krise der sozialen Stellung bestimmterAdeliger, die den Horizont ihres festgefügten sozialen Interesses erweitert und siebefähigt, über ihren sozialen Schatten zu springen.

Im Gegenzug zur marxistischen Ideologiekritik hat K. Mannheim in seinen wis-senssoziologischen Arbeiten versucht, zwischen beiden Ebenen: soziale Träger-schaft und bestimmte Ideen, verschiedene umwegartige Vermittlungsinstanzen zuschieben. Das soziale Interesse, das Ideologiekritik entlarve, sei nicht die einzigmögliche Beziehung zwischen »geistigen Gehalten« und »sozialem Sein«. Vielmehrsei »das mittelbare Engagiertsein an bestimmte geistige Gehalte (. . .) die umfas-sendste Kategorie der Funktionalitätsbeziehungen zwischen geistigen Gehaltenund sozialem Sein.«3 Zwischenglieder seien umfassendere Weltbilder, Denkstile,»geistige Schichten«, die eine relative Quasi-Autonomie besitzen.

Der Preis der Mannheimschen Konstruktion, daraufhaben seine Kritiker hinge-wiesen, besteht darin, daß mit der Typisierung von Zwischengliedern beide Seiten,die es zu verbinden gilt, zunehmend verschwimmen: sozialstrukturelle Bestimmun-gen werden zu einer allgemeinen Seinsverbundenheit, und Ideen unterliegen einem

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genereDen Ideologieverdacht, in dem die Differenz von Theorie und Ideologienicht mehr auszumachen ist.4

Ideologiekritik und Wissenssoziologie, so sehr beide Ansätze sich auch befehdenmögen, der Verdacht liegt nahe, daß hier theoretische Schwachstellen hin- und her-geschoben werden. Denn die Grenze der Ideologiekritik: der Fall, in dem ein sozia-les Interesse, das die Theorie als objektiv gegeben annimmt, nicht zu einem adäqua-ten bewußtseins- oder wissensmäßigen Ausdruck gelangt, - diesen Fall könnte derWissenssoziologe erklären, indem er den Inadäquatheiten nachgehend die Bre-chungen und Verwerfungen von Weltbildern, Denkstilen und »geistigen Schich-ten« nachzeichnet. Allerdings reichte die Erklärung nur bis zur Grenze der Wis-senssoziologie, eine allgemeine Seinsverbundenheit des Denkens zu umschreiben.

Ideologiekritik und Wissenssoziologie gehen beide vom Gedanken einer letztin-stanzlichen Homologie bzw. eines Parallelismus der sozialen Lage von Individuenund ihren geistigen Produktionen aus. Dieser Gedanke hat eine großartige Evi-denz, der sich niemand leicht entziehen kann. Aber ebenso evident ist, daß dieBeziehung von je spezifischer sozialer Lage, sobald sie ausdifferenzierter in denBlick gerät, und geistigen Tatsachen, sobald diese mit ihrer immanenten Mehrdi-mensionalität entfaltet werden, ein solches Maß an Überkomplexität gewinnt, daßsich der Gedanke einer letztinstanzlichen Homologie der sozialen Lage von Indivi-duen und ihren geistigen Produktionen im Rahmen eines Forschungsprogrammskaum realisieren läßt.

Erinnert sei an die Zweifel, die Th. Geiger gegenüber dem Homologieansatz ineinem nachgelassenen Text geäußert hat. Zusammenhänge zwischen »Realbasis«und in Kollektiven vorherrschenden Denkweisen seien zwar aufweisbar, aber:»Soziologische Interpretation ist freilich vielfach gar zu flott im Aufweis von Entsprechun-gen. Das alles sind doch Verstehensversuche expost. Würde man - Hand aufs Herz! - ohnevorheriges Wissen um die Gleichzeitigkeit von Frühkapitalismus und Renaissance beide ein-ander zuordnen und zusammendatieren? Würde, wenn die Kultur einer Zeit ganz andersausgesehen hätte als es der Fall ist, unser Verständnis- und Deutungsdrang nicht auch hierplausible Entsprechungen aufdecken? Riecht das alles nicht ein bißchen nach Rationalisie-rung von Fakten - so etwa wie ein Historiker scherzhaft definiert hat: Geschichte ist die Wis-senschaft, die hintennach beweisen kann, daß es kommen mußte, wie es wirklich kam.«3

Geigers Zweifel sind schwer von der Hand zu weisen, insbesondere wenn mandaran denkt, daß die Tatsachen gesellschaftlicher und ökonomischer Abhängigkeitund Verflechtung sich so tief in das Bewußtsein des modernen Menschen einge-prägt haben, daß kaum noch eine Denkmöglichkeit zu bestehen scheint, dem Banntotaler Sozialvermitteltheit zu entgehen. Es ist allerdings die Frage zu stellen, wielange sich die großartige Evidenz einer Homologie von sozialer Lage und geistigenProduktionen noch als tragfähig erweisen wird. F. Tenbrucks Urteil: »im ganzenhat die Soziologie niemals ein Verhältnis zu den geistigen Tatsachen des gesell-schaftlichen Lebens gewonnen«6, ist sicher provokativ, aber es ist gerechtfertigtangesichts der kaum noch reflektierten Gewohnheit, die soziologische Perspektivegegenüber geistigen Tatsachen allein in der Frage nach ihrer sozialen Bedingtheitzu sehen.

Für marxistische Theoretiker wie O. Negt und A. Kluge ist schon auf einererkenntnistheoretischen Ebene der klassische Widerspiegelungsansatz nicht mehr

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akzeptabel: »die Widerspiegelungstheorie wäre zutreffend, wenn wir davon ausge-hen könnten, daß sowohl das Objekt wie das Subjekt eine fertige Gestalt gewonnenhätten. Davon aber kann geschichtlich keine Rede sein.«7 Rehabilitiert wird die»strikte Ungläubigkeit gegenüber der vorgeblichen Materialität der so beschaffe-nen Wirklichkeit«, und im »konsequenten Idealismus« entdecken sie ein »Protest-potential«, das es in den Marxismus einzubringen gelte.8 Das Modell eines Dualis-mus von sozialer Lage und Bewußtsein ist bei Negt und Kluge weitgehend aufge-sprengt. Es gibt keinen zuverlässigen oder privilegierten sozialen Ort mehr für>richtiges< oder >falsches Bewußtsein^ erst in der Auflösung je definierter sozialerLagen, d. h. an der »Konfrontationsstelle verschiedener Erfahrungsbereiche«9

besteht eine Chance für ein Ereignis von Bewußtseinsarbeit, das nicht auf Entspre-chung beruht, sondern Nichtentsprechungen entspringt.

Geistige Tatsachen - soziale Bedingungen, in dieser Arbeit versuche ich, michein Stück weit von dieser Vorlage zu entfernen. Sicherlich bleibt es eine Aufgabe,nach der sozialen Bedingtheit geistiger Tatsachen zu fragen, aber es kann sich nichtum die einzige Aufgabe handeln. Vor allem gilt es, deutlich zu machen, daß sichsoziologisches Denken nicht in dieser einen Frage erschöpft, wenn es um eineSoziologie geistiger Produktionen geht.

b) Soziologie der Intelligenz

So relativ unangefochten sich der Homologieansatz in der Soziologie ausgebreitethat, wo es um das Bewußtsein und die geistigen Produktionen sozialer Schichtenoder Klassen geht, so kontrovers ist die Rede von der Homologie, wo es um diejeni-gen geht, die zur Intelligenzschicht gerechnet werden könnten. Gemäß der Ent-sprechungslogik ist auch der Soziologe als Teil der Intelligenz Ideenproduzent auseiner sozialen Lage heraus. Der selbstreflexiven Sogwirkung der Entsprechungslo-gik ist kaum zu entgehen. Wer mit Mannheim wissenssoziologisch jeder intellektu-ellen Äußerung qua Seinsverbundenheit Ideologiehaftigkeit zuspricht, muß diestraurige Los auch für seine eigenen Arbeiten auf sich nehmen. Wer umgekehrt aufder Trennung von Ideologie und wahrer Theorie insistiert, muß seine Wahrheit insozialen Kontexten bewähren. Er hat zu entscheiden, wo er die Anerkennung sei-ner Wahrheit suchen will, und er muß einen gesellschaftlichen Kontext von Intelli-genz mitreflektieren. »Es gibt keinen Selbstausweis des wahren Bewußtseins in sei-nem eigenen Element«, daran ist mit H. Plessner festzuhalten.10

Die selbstreflexive Sogwirkung kann gebremst werden, wenn es um die Rekon-struktion des Alltagswissens geht, an dem auch der Soziologe partizipiert. Aberauch A. Schütz trennt sorgsam zwischen der Selbstinterpretation innerhalb dersozialen Realität und der theoretischen und philosophischen Behandlung des Pro-blems.11 Die Regeln, die innerhalb der Erkenntnisgemeinschaft wirksam sind,soziologisch zu reflektieren, ein derartiges Unternehmen bringt den, der es ver-sucht, zwangsläufig in eine problematische Lage, weil er nicht mehr nur mit demerwarteten ganzen Herzen Mitglied der Gemeinschaft ist, sondern diese zugleichmit ihrem Grund in Frage stellt. Die Reaktion von Teilen der Zunft auf den Mann-heimschen totalen Ideologieverdacht könnte als ein soziologisches Exempel dafürdienen.

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Mehr als die Frage nach dem Verhältnis von Ideologie und Wahrheit, die im Rah-men einer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Debatte zu erörtern wäre,steht im Zentrum dieser Arbeit das Problem einer Soziologie der Intelligenz, diesich näher an einem abgrenzbaren historischen Phänomen orientiert. Aber auch dieSoziologie der Intelligenz ist überschattet von der Frage, wie Intellektuelle in denKontext der sozialen Interessen verschiedener größerer Gesellschaftsschichtenoder Hassen zu stellen sind. Sind sie Ideologen oder Theoretiker einer Klasse odersind sie eine eigene Schicht, deren kleine Interessen nicht in den großen sozialenInteressen aufgehen und die sich z. T. davon distanzieren?

Auch diese Fragen sind von ihrem selbstreflexiven Bezug kaum zu trennen, undsie kristallisieren sich immer wieder um jene Intellektuelle, die in hohem Maße tra-ditions- und stilbildend für die europäische Intelligenz gewesen sind. Ohne Zweifelsind hier an erster Stelle die italienischen Humanisten zu nennen. Nicht nur, weil essich um die erste größere Gruppe gebildeter Laien seit der Antike handelt, sondernmehr noch, weil die hier ausgebildeten Formen einer intellektuellen Kultur mitdem Selbstbewußtsein der europäischen Intelligenz innig verwachsen sind.

Aber die nobilitas literaria, welche sozialen Interessen könnte sie ausgedrückthaben? Ihre Verachtung zünftiger Handarbeit und der großbürgerlichenFixierungauf den Reichtum, ihre nie ganz gesicherte Loyalität der politischen Herrschaftgegenüber - wenn sie etwas ausdrücken, war es nicht die Behauptung eines eigenenInteresses an Distanz zu sozialen Interessen?12 Oder war ihr Insistieren auf Tugendund Vernunft gegen ständische Herkunft tief verwoben mit dem Interesse derauf-steigenden bürgerlichen Klasse?13 Die ersten Intellektuellengruppe der Neuzeit,bestand sie aus Ideologen einer Klasse, oder ist sie jenem gesellschaftlichen Unortzuzurechnen, den Mannheim mit dem Begriff »freischwebend« umschriebenhat?14

Geht man den einschlägigen Forschungen in der Sache nach, so wird man Belegefür beide Thesen finden. Aber es bleibt zu fragen, ob nicht trotz aller Relativierungund Abschwächungen, die die zugespitzten Thesen erfahren würden, wenn mandie Ideen der humanistischen Intellektuellen genauer sozial verorten wollte, dersoziologischen Analyse ein zentraler Gesichtspunkt verloren ginge.

Diesen Gesichtspunkt findet man am ehesten, wenn man das berühmte Frescovon Raffael »Die Schule von Athen« (1509/10) betrachtet. (Vergleiche Abbil-dung)15 In unserem Zusammenhang interessiert nicht die Symbolik der 59 Gestal-ten, die verschiedene philosophische Orientierungen darstellen. Soziologischbedeutsam ist zunächst, daß sie nicht als kompakte Menge dargestellt sind, sondernin einer Weise, daß einzelne Personen und Teil-Gruppen fließend ineinander über-gehen. Was die Größe und Sorgfalt der Darstellung angeht, so hat jede Person ihreunvergleichlich individuellen Züge. Die Personen sind zwar symbolisch plaziert,aber ihre Bewegungen zeigen, daß sie nicht an ihre Plätze gefesselt sind, sie könneneinen anderen >Standpunkt< einnehmen, sich abwenden oder zuwenden. Die Skalader Tätigkeiten reicht von meditativer Versunkenheit über den beiläufigenSeiten-blick, die distanzierte Beobachtung zur intensiven Lektüre und dem aufmerksamenGespräch.

Die Bewegungen der einzelnen Personen divergieren und konvergieren zugleich.Die Spannung der Szene findet keine eindeutige Auflösung, auch nicht in den bei-

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den Figuren der Bildmitte, die Piaton und Aristoteles darstellen. Sie gehen Seite anSeite, harmonieren in den Gesten ihrer linken Hände, die ein Buch halten, und siedivergieren dramatisch in den Gesten ihrer rechten Hände: Piaton verweist auf denHimmel, Aristoteles über die Erde. Das Erkennen der himmlischen Vernunft unddas Erkennen der Weltordnung - nicht durch hierarchische Setzung ist diese Alter-native zu entscheiden, sondern nur im Dialog. Beide Protagonisten konkurrieren ineinem buchstäblichen Sinne, sie gehen zusammen aus der vielleicht zeitlich zu deu-tenden Tiefe des Raumes in die Versammlung der Intellektuellen hinein und aufden Betrachter zu. Der Raum der Versammlung ist abgegrenzt und offen zugleich.Es ist ein eigener Raum, aber diesen Bildraum kann der Betrachter betreten, wenner im Raum des Frescos in der Stanza della Segnatura sich der Szene zuwendet.Wenn man will, ist dieser Raum historisch und systematisch offen. Systematisch inder bildlichen Horizontalen, auf der die verschiedenen Intellektuellen synchronversammelt sind, und historisch in der bildlichen Vertikalen, die durch den Blickdes Betrachters und die Schrittbewegung der Protagonisten gebildet wird.

Man könnte nun ideologiekritisch die synchron versammelten Intellektuellennach ihren unterschiedlichen Standpunkten gliedern und sie den sozialen Interes-sen attachieren, die außerhalb des Raumes in der städtischen Renaissancegesell-schaft miteinander im Streit lagen. Man könnte auch wissenssoziologisch die ver-schiedenen »objektiv-geistigen Strukturzusammenhänge«, den Streit der verschie-denen »Weltwollungen« herausarbeiten, um Typen ihres »mittelbaren Engagiert-seins« zu präzisieren.16 So legitim diese Perspektiven sind, es besteht die Gefahr,daß etwas soziologisch Naheliegendes übersehen wird: Raffaels Fresco zeigt schoneine soziale Situation, auch ohne daß die soziologische Perspektive erst umständ-lich von außen eingeführt werden müßte.

Das Soziale von Intelligenz besteht nicht nur darin, daß sie eine gesellschaftlicheSchicht, ob nun abhängig oder >freischwebend<, in Beziehung auf andere gesell-schaftliche Schichten oder Klassen sind, sondern zuerst schon darin, daß sie geradein ihrer für die europäische Geschichte stilbildendsten Epoche selbst >Gesellschaft<sind.

Der sowjetische Historiker L. Batkin, dessen Renaissancebuch mir über dieInterpretation von Raffaels >Schule von Athen< hinaus wichtige Anregungen fürmeine Arbeit gegeben hat, macht darauf aufmerksam, daß die humanistischenIntellektuellen schon deshalb keine »ideologische Gruppe« sein können, weil ihrMenschen unterschiedlicher ideologischer Anschauungen angehören. Batkinspricht von einer »kulturellen Gruppe«, deren soziale Leistungsfähigkeit darinbestand, daß sie die gesellschaftlichen Widersprüche »als eigene innere Widersprü-che deutete«17.

Sie bilden die gesellschaftlichen Interessen nicht einfach ab, wie dies Ideologie-kritik und Wissenssoziologie im Kern nahelegen, sondern sie bilden eine sozialeSituation, in der die gesellschaftlichen Widersprüche, die divergierenden sozialenInteressen in einer anderen Weise erscheinen und erscheinen müssen, weil die Ver-sammlung der Intelligenz selbst eine soziale Tatsache ist. Die sozialen Interessenwerden in der Gruppe nicht verdoppelt oder repräsentiert, auch nicht auf einehöhere Stufe gehoben, sondern der soziale Seite-an-Seite-Dialog der Intellektuellenmißt sich die zur Sprache kommenden Bedürfnisse, Interessen, Anschauungen und

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Begründungen an. Als einzelne mögen sich die humanistischen Intellektuellensozialen Interessen mehr oder weniger angepaßt haben. Aber als Gruppe haben siesoziale Interessen wie Seinsgebundenheiten aller Art ihrer spezifischen sozialenInteraktion angepaßt. Batkin formuliert treffend: die humanistische Intelligenz»versetzt die Gesellschaft in Erstaunen und in Bestürzung, weü sie nicht ihr >ant-wortet<, sondern sich selbst.«18

Der in dieser Arbeit gemachte Versuch einer soziologischen Analyse der Intellek-tuellengruppe der Junghegelianer orientiert sich methodisch in erster Linie daran,daß das >Soziale< von Intelligenz ausgehend von der Gegebenheit einer Gruppe vonIntellektuellen untersucht wird. Ihren Ideen wird nicht vorab im Zusammenhangmit den großen sozialen Interessen von Gesellschaftsschichten oder Klassen nach-gegangen, nicht eine makrosoziologische Perspektive bildet den Ausgangspunkt,sondern ich versuche in erster Linie, von dem kleineren sozialen Zusammenhang,den die Junghegelianer untereinander gebildet haben, auszugehen, um von dort auszu analysieren, wie sie sich als Gruppe im Hinblick auf ihr gesellschaftlichesUmfeld, auf gesellschaftliche Institutionen wie den Staat, auf soziale Bewegungenund soziale Interessen hin definiert haben.

Diesen Ansatz kann man natürlich auf zahllose Intellektuellengruppen anwen-den. Warum soll gerade die Gruppe der Junghegelianer zum Gegenstand einerSoziologie von Intellektuellengruppen gemacht werden? In der europäischenGeschichte sind zwar viele Intellektuellengruppen anzutreffen, aber sie sind nichtalle gleich >bedeutsam<. Ein wichtiges Auswahlkriterium ist, ob eine Intellektuel-lengruppe zu einem über ihre Zeit hinauswirkenden Bezugspunkt der Selbstrefle-xion der Intelligenz geworden ist oder sinnvollerweise gemacht werden kann.

Für die italienischen Humanisten trifft dies ohne Zweifel zu. Der Stil und dieNormen intellektuellen Umgangs untereinander, den sie erfunden haben, ist für dienachfolgenden Intellektuellengruppen über lange Zeit Muster und selbstreflexiverBezugspunkt gewesen. Das humanistische Modell der intellektuellen Gruppenbil-dung hat Pate gestanden bei den Akademien und gelehrten Sozietäten, die im 16.und 17. Jahrhundert in Europa entstehen und die bis in das 18. Jahrhundert hineinzu den aktiven Elementen der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit werden.19

In der revolutionären Epoche von 1789 bis 1848 verliert das humanistischeModell intellektueller Gruppenbildung seine Bindekraft. Neben der Vera-nobili-tas-literaria-Idee, die noch einmal in Humboldts Universitätsreformideen ihrenAusdruck findet, macht sich auch eine breiter werdende Unzufriedenheit bei Intel-lektuellen mit dem traditionellen Sozietätsmodell der Intelligenz bemerkbar. DieGruppe der Junghegelianer bewegt sich in diesem Übergangsstadium. Sie sindzunächst noch philosophische Schule, dem großen Muster von Raffaels >Schule vonAthen< verpflichtet. Aber dieses Muster reicht ihnen nicht mehr, und sie beginnen,ihre soziale Situation als Gruppe umzudefinieren. In ihren Reihen kristallisierensich die neuen Definitionen für das Verhältnis der Intelligenz zur eigenen Sozialitätund der Gesellschaft >draußen<, neue Definitionen, die schon als Spektrum dermodernen Intelligenz ankündigen: sei es der Typ des sich in den Massenbewegun-gen auflösen wollenden Intellektuellen, der Typ des randständigen, in subkulturel-len Gruppen sich bewegenden Intellektuellen oder der Typ, der mit Paul Valerysagen würde: »L'esprit abhorre les groupements«. Diese >offene Lage< der Gruppe

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der Junghegelianer in der historischen Entwicklung von Intellektuellengruppenrechtfertigt eine besondere Beschäftigung mit ihnen.20

Die Rede von der >offenen Lage< bedarf einiger Präzisierungen im Hinblick aufdas Verhältnis geschichtswissenschaftlicher und soziologischer Zugangsweisen zuhistorischen Phänomenen. Die wissenschaftsgeschichtlich überlieferte Abgren-zung zwischen Soziologie und Geschichte, derzufolge im Sinne von Max Weber dieSoziologie »Typenbegriffe« bildet und »generelle Regeln des Geschehens« sucht,die Geschichte dagegen »die kausale Analyse und Zurechnung individueller, kul-turwichtiger Handlungen, Gebilde, Persönlichkeiten erstrebt«21, ist heute in mehr-facher Hinsicht kaum haltbar. Nicht nur hat die Geschichtsforschung in großemMaße, insbesondere im Bereich sozialgeschichtlicher Forschung, Typenbildungund generelle Geschehensregeln in der Weise in ihr Denken aufgenommen, daß siemit historischen Typen arbeitet und im Hinblick auf über längere Zeiträume kon-stant bleibenden ökonomischen und sozialstrukturellen Gegebenheiten relativgenerelle Geschehensregeln annimmt. Auf der anderen Seite ist dort, wo Soziologieüber die Beschäftigung mit der Gegenwartsgesellschaft hinaus sich historischenPhänomenen zuwendet - insbesondere natürlich im Bereich mehr oder wenigermarxistisch inspirierter Soziologie - die Tendenz zur Bildung von umstandslos aufalle historischen Epochen anzuwendenden Typen und Geschehensregeln insoweitgebrochen, als mit historischer Spezifität zumindest gerechnet wird.

Aber trotz aller fruchtbaren Überlappungen von soziologischen Theorien dergesellschaftlichen Entwicklung und einer Geschichtsforschung, die sich als histo-rische Sozialwissenschaft< versteht, ist das theoretische Problem, die Eigenart eineshistorischen Phänomens und die nur typisch zu fassende Regelhaftigkeit sozialenGeschehens in bestimmten Zeiträumen in eine Balance zu bringen, nicht ver-schwunden. Es ist ein Soziologie und Geschichtswissenschaft gemeinsames Pro-blem geworden.

Es muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß insbesondere in den letztenbeiden Jahrzehnten zwei Zugangsweisen zu historischen Phänomenen die Diskus-sion bestimmt haben, die beide dazu geeignet waren, den Gedanken an die Ereig-nisqualität historischer Phänomene an den Rand zu drängen. Zu nennen ist hiereinmal die Perspektive der Kontinuität der geschichtlichen Entwicklung.22 Sie wirdaus vielen Quellen gespeist: dem Entwicklungsgedanken der deutschen Klassikebenso wie dem Bestreben, sich gerade der Kontinuität der deutschen Geschichtezu vergewissern. Auch die >kritische Geschichtswissenschaft zehrt von dieser Kon-tinuitätsperspektive, wenn sie sich durchhaltende obrigkeitsstaatliche und antide-mokratische Traditionen freilegt. Zu nennen ist zum anderen die der Soziologieentstammende strukturanalytische Perspektive. Sie fragt vorrangig nach dem syste-matischen Charakter sozialen Geschehens und nach Funktionsbeziehungen zwi-schen ökonomischen, politischen und kulturellen Sektoren. Es ist gerade diese Per-spektive gewesen, die für die Analyse historischer Phänomene bevorzugt genutztwurde.23 Unter der doppelten Patenschaft von geschichtswissenschaftlicher Konti-nuitätszentrierung und soziologischer Gesellschaftsstrukturanalyse ist wederPlatzfür das Verständnis der Eigensinnigkeit historischer Phänomene noch für eineSoziologie des Ereignisses.

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Die Rede von der >offenen Lage< zielt zum einen auf die Rehabilitierung derEigensinnigkeit des historischen Phänomens der Junghegelianer, zum anderen ver-weist sie auf die in diesem Fall methodisch gegebene Chance, das Verhältnis vonTypenbildung und Ereignis aus einem anderen Blickwinkel zu untersuchen.

Die vorherrschende Perspektive, wonach soziologische Reflexion gerade vomhistorisch Einmaligen zu abstrahieren habe, mag ihren Sinn dort haben, wo es bloßdarum geht, die chaotische Mannigfaltigkeit von historischem Geschehen ordnendzu bewältigen. Entscheidend für die Wahl dieses Einzelfalles, der Intellektuellen-gruppe der Junghegelianer, ist nun aber nicht gewesen, daß es sich um eine Erschei-nung handelt, die in einem direkten Sinn repräsentativ oder exemplarisch für vieleandere Intellektuellengruppen stehen könnte. Man wird auch noch einen Schrittweitergehen müssen und sagen: die Junghegelianer sind nicht nur nicht exempla-risch-repräsentativ zu betrachten, sie sind auch in einem gewissen Sinne eine unty-pische Intellektuellengruppe.

Das Untypische der Junghegelianer ist darin zu sehen, daß diese Gruppe ver-schiedene Typen intellektueller Gruppenbildungen an sich selbst experimentiert.Das den Soziologen Herausfordernde an gerade dieser Gruppe ist, daß sie in unty-pischer Weise gleich mehrere zentrale Gruppentypen >repräsentiert<. Die Frage,um was für einen Gruppentypus es sich bei den Junghegelianern handelt, erhält indieser Arbeit vier verschiedene Antworten: Die Junghegelianer sind eine philosophi-sche Schule, eine politische Partei, eine journalistische Boheme und eine atheistischeSekte. Während man gemeinhin davon ausgeht, daß unter einen begrifflichenTypus verschiedene empirische Gruppen zu versammeln sind, haben wir es bei die-ser Gruppe mit dem Phänomen zu tun, daß unter verschiedenen Typen eineGruppe anzutreffen ist.

Der sich anbietende verlegene Begriff >Mischtypus< ist viel zu ungenau, um denSachverhalt zu treffen. Die Eigensinnigkeit des historischen Phänomens der Jung-hegelianer besteht gerade darin, daß sich in ihren Debatten und Aktionen Typisie-rungen herausbilden, die den spezifischen Rahmen von Selbstdefinitionsmöglich-keiten der Intelligenz in der Moderne umreißen. Die historisch >offene Lage<könnte so beschrieben werden, daß sie sich in den Zwischenräumen bewegt, diezwischen den Typisierungen liegen. Dabei sind die genannten vier Gruppentypennicht Kategorien, die vom Forscher erst an die Gruppe herangetragen werdenmüßten, vielmehr hat die Gruppe selbst in ihren Diskussionen zu einem beträchtli-chen Teil die Arbeit der Typendefinition geleistet. Und es handelt sich dabei umTypisierungen, die nicht zuletzt in die soziologische Begriffsbildung eingegangensind.

Soziologisch-historisch ist diese Arbeit in einem mehrfach verschränkten Sinne.Es handelt sich um die gruppensoziologische Analyse eines historischen Einzelfal-les, dessen strategische Bedeutung darin besteht, daß in der Entwicklung dieserGruppe soziologische Typen konturiert werden, denen als Definitionen für kollek-tive Verhaltensmöglichkeiten von Intelligenz in der Moderne eine systematischeBedeutung zukommt.

Die Möglichkeiten einer kollektiven oder solitären Existenz moderner Intelli-genz, die sie ausgelotet haben, das Spektrum der Konzeptuaüsierungen, das sie ent-worfen haben, kann als eine Enzyklopädie der Seinsweisen moderner Intelligenz

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gelesen werden. Als eine besondere Gruppe haben die Junghegelianer Allgemein-heiten produziert, an die anzuschließen oder sie auszudifferenzieren, sie zu verwer-fen oder apologetisch zu stärken sich Generationen von Intellektuellen nach 1848bemüht haben. Die Problemlagen der staatsorientierten wie der antietatistischenIntellektuellen, der Bewegungsintellektuellen wie der einsamen Gestalten, die Pro-blemlagen der ästhetisierenden wie der politisierenden Intelligenz von der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts bis zu neuesten Linken und denen, die im Verdachtstehen, Verräter an irgendeiner guten Sache zu sein, finden sich mutatis mutandisin den Debatten der Junghegelianer wieder.

Die Krise von Intelligenz in der revolutionären Epoche, die im Phänomen desJunghegelianismus gebündelt zu beobachten ist, wirkt bis in die Gegenwart hinein.Sie wird noch greifbar, wenn es darum geht, die Begriffe >Intelligenz< und >Intellek-tuelle< soziologisch sinnvoll zu definieren. In der Nachkriegs-Kontroverse zwi-schen Geiger und Schumpeter z. B. geht es im Kern darum, ob man mit Schumpe-ter den Begriff >Intellektueller< definiert als den eines sozialen Typus, der sich desgeschriebenen und gesprochenen Wortes, ohne direkte Verantwortung für prakti-sche Dinge, bedient, als irgendwo außerhalb stehender Zuschauer oder als einsozialer Störfaktor,24 - oder ob man mit Geiger >Intellektuelle< definiert als jene, dieim weitesten Sinne geistige Arbeit ausführen, sei es als Arzt, Ingenieur oder Richter,und hiervon kultursoziologisch jene >Intelligenz< unterscheidet, deren Angehörigezwar auch Intellektuelle sind, die aber in einem engeren Sinne »Schöpfer vonBeständen der repräsentativen Kultur sind«, d. h. denen eine kreative gesellschaft-liche Funktion< zukommt, die nicht in einer Rolle als >Störfaktor< aufgeht.25

Geigers Definitionsstrategie zielte darauf ab, den Begriff >Intellektueller< von sei-nem zweifelhaften Beigeschmack zu befreien, ein Beigeschmack, den Schumpeterausspielt und der in der Krise der Intelligenz, die uns anhand der Gruppe der Jung-hegelianer beschäftigen wird, mitentstanden ist. Mit seinem Begriff von >Intelli-genz< dagegen versuchte Geiger, unter dem Funktionsaspekt das Aufspringen vonDimensionen zu beruhigen, die als kreatives Potential in geistiger Arbeit liegenkönnen.

Die Ambivalenz des in der Soziologie verwendeten Intellektuellenbegriffs hatH. Schelsky auf die Formel gebracht: »Die Intellektuellen sind von den Selbstbe-hauptungsinteressen der Gesellschaft her gesehen funktional ebenso unentbehrlichwie gefährlich.«26 Schelskys umstrittene These von einer heute heraufziehendenpriesterlichen Klassenherrschaft der Intellektuellen erinnert nicht nur in auffälligerWeise an die Ängste einiger Zeitgenossen der Junghegelianer, die von diesen ähnli-ches befürchteten. Die Junghegelianer selbst haben sich - wie zu zeigen sein wird -am gegenseitigen Vorwurf, eine neue Religion zu verkünden, aufgetrieben.

In diametralen Gegensatz zu Schelsky hat M. Foucault für die heutige Intelligenzdas Verschwinden des Typs eines universellen Intellektuellen als eines allgemeinenSinnvermittlers prognostiziert, gleichsam das Ende großer Weltdeutungen, die sichin prominenten Anwälten der Emanzipation des Menschengeschlechts verkör-pern.27 Auch diese These erinnert an einen junghegelianischen Gestus, nämlich andie Rede vom Ende der Philosophie, das erreicht sei und zu neuen Orientierungenzwinge.

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Die würdige, kreative Intelligenz im Sinne Geigers, der verdächtige StörfaktorIntelligenz im Sinne Schumpeters, die Priesterherrschaftsbestrebungen der Intel-lektuellen Schelskys und das Ende der universellen Intellektuellen Foucaults - siealle reflektieren bis heute die Krise der Intelligenz, die seit der Irritation des huma-nistischen Modells intellektueller Selbstdefinition in der revolutionären Epocheaufgetreten ist. Die Junghegelianer, die beamtete Sinnvermittler werden wollen,aber zu Störfaktoren ihrer Gesellschaft geraten, die heute in einigen ihrer Gestaltenals »Schöpfer von Beständen repräsentativer Kultur« anerkannt sind, einer Kulturfreilich, die über ihr >posthistoire< rätselt, - die Junghegelianer, sie bündeln dasmoderne Problem der Definition von Intellektuellen und Intelligenz.

Von ihnen gibt es kein Bild, das nach Maßstäben künstlerischer Qualität Raffaels>Schule von Athen< vergleichbar wäre. Überliefert ist lediglich eine karikaturisti-sche Gelegenheitsskizze des jungen Friedrich Engels, die eine bestimmte Gruppen-situation (10. 11. 1842) darstellt, auf die wir im Laufe der Arbeit noch zu sprechenkommen werden. An dieser Stelle interessiert der allgemeinere Inhalt der Szeneund ihre inhaltliche Differenz zur »Schule von Athen<. (Vergleiche Abbildung)28

Der Raum ist keine feierlich-behagliche Halle, die von harmonischen Bögenbegrenzt wird, sondern eine enge Weinstube in Berlin. Die Horizonte der Gruppesind zweifach symbolisiert: das Eichhörnchen verweist auf den preußischen Kul-tusminister Eichhorn und damit auf den politischen Rahmen, in dem sich dieGruppe bewegen muß. Die Guillotine symbolisiert den >Terrorismus der Ver-nunft<, den Rahmen, den die Gruppe sich selbst gesetzt hat. Unter beiden Symbo-len die Protagonisten der Szene: Arnold Rüge und Bruno Bauer. Sie gehen nicht,wie die Protagonisten bei Raffael, Seite an Seite in die Gruppe, sie gehen drohendeinander entgegen. Ihre Gesten verweisen nicht sich kreuzend und ergänzend aufdie himmlische Vernunft und die irdische Weltordnung, sie verweisen auch nichtauf die dargestellten Symbole, sondern ihre Gesten sind fast gleichartige Kampfge-sten von Angriff und Abwehr. Ihre Schriften halten sie nicht mehr in den Händen,sie sind zu Boden gefallen, in einer Turbulenz des Aufbruchs, durch den Über-gänge zu neuen Möglichkeiten der Vernunfterhaltung gewonnen werden sollen.

•Zusammengefaßt lautet das Programm der vorliegenden Untersuchung: Ange-sichts der weithin anerkannten geistesgeschichtlichen Bedeutung der Junghegelia-ner und ihrer »offenen Lage< in der historischen Entwicklung von Intellektuellen-gruppen in Deutschland sollen soziologische Zugänge entwickelt und erprobt wer-den, die die traditionelle wissenssoziologische und ideologiekritische Vorlage(sozialstrukturelle Bedingtheit geistiger Tatsachen) zu überschreiten suchen. DieJunghegelianer werden als eine soziale Gruppe von Intellektuellen begriffen, diesich im Medium der Diskussion über das verständigt, was der Grund ihrer Grup-penexistenz ist. Die Diskussion wird methodisch als ein insularer Ereignisraum auf-gefaßt, der Überraschungen birgt, die den Überraschungen, die die soziale Umweltder Gruppe bereitet, in nichts nachstehen.

Die Definitionen, die die Gruppe für ihre Existenz findet, verdanken sich ebensoder Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit der Umwelt wie sie Antworten auf ihreeigenen Fragen darstellen. In ihrem Streit, was es bedeutet, eine philosophischeSchule, eine politische Partei, eine journalistische Boheme oder eine atheistischeSekte zu sein, entwirft und experimentiert die Gruppe mit den differenten Selbst-

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deutungen zugleich differente gesellschaftliche Funktionen. Um gerade sie zu reali-sieren, bedarf es jedoch nicht nur günstiger sozialstruktureller und politischerBedingungen, sondern zusätzlich des Zerfalls des insularen Ereignisraumes derDiskussion. Wo dieser Zerfall stattfindet, kann von einer kulturellen Gruppe imstrengen Sinne nicht mehr gesprochen werden.

c) Übersicht über den Aufbau der Untersuchung

Zunächst einige Erläuterungen zu den Junghegelianern. In dieser Arbeit wird nichtdas Gesamtfeld des Junghegelianismus untersucht, sondern ein bestimmter Aus-schnitt. Die Untersuchung ist auf die preußischen Junghegelianer konzentriert. Aufdie schwäbischen Junghegelianer,29 d. h. die Tübinger Philosophen Strauß, Vischer,Zeller, Schwegler wird nur dort eingegangen, wo ihre Beiträge für die Debatten derpreußischen Junghegelianer von Bedeutung sind oder wo sie Urteile über dieseabgegeben haben, die deren Probleme erhellen. Ausgeklammert werden dieschweizerischen Junghegelianer,i0 d. h. radikale Intellektuelle wie Döleke, Standauund Marr, die die Diskussion der preußischen Junghegelianer rezipierten und inFraktionskämpfe mit den schweizerischen Frühsozialisten verwickelt waren. Wennin dieser Arbeit von den Junghegelianern gesprochen wird, so sind damit die preu-ßischen Junghegelianer gemeint.

In der Darstellung der Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit habe ich versucht,den >insularen< Aspekt der Gruppendiskussion, den Aspekt >Umwelt< der Gruppeund den Aspekt situationsübergreifender Reflexion der jeweiligen Gruppendefi-nitionen miteinander zu verzahnen.

Die vier zentralen Gruppendefinitionen, die die Junghegelianer an sich auspro-bieren: philosophische Schule, politische Partei, journalistische Boheme und athei-stische Sekte werden in den Kapiteln I-FV systematisch getrennt voneinanderuntersucht. Innerhalb dieser vier Kapitel werden jeweils in einzelnen Abschnitten- übergreifende systematische und historische Zusammenhänge, die den jeweili-

gen Gruppentypus betreffen, diskutiert.- auf die die Gruppe umgebende soziale und politische >Landschaft< speziell in

den Ausschnitten eingegangen, die für den Problemdruck von Bedeutung sind,der auf die Gruppe in Korrespondenz zu ihrer jeweiligen Definition zukommt,

- die Verflechtung der Diskussion und die Modi der Selbstdeutung dargestellt undauf ihre sozialen Effekte für die Gruppe hin interpretiert.Für die Reihenfolge dieser Darstellungsebenen innerhalb der Kapitel waren

jeweils kompositorische Gesichtspunkte ausschlaggebend, um den Leser ange-sichts der Verflechtung des Materials nicht mit unerquicklichen Redundanzen zulangweilen.

Im zweiten Abschnitt der Einleitung erfolgt eine erste Annäherung an Problemeder junghegelianischen Gruppenbildung anhand der Frage, inwieweit in der vor-märzlichen Gesellschaft in Deutschland bestimmte Gruppentypen für die Intelli-genz gleichsam »in der Luft« liegen und in welchem Zusammenhang die publizisti-sche Antizipation von Gruppenbildungen mit existierenden sozialen Verdichtun-gen steht. Eine orientierende Übersicht über die in diese Arbeit aufgenommenenJunghegelianer, über die lokalen Teilgruppen und aus Spaltungen hervorgegan-gene Brudergruppen schließt diesen Abschnitt ab.

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Im dritten Abschnitt der Einleitung werden theoretische Präzisierungen zumGruppenbegriff vorgenommen. Darüber hinaus werden ein interaktionistischerund ein diskursanalytischer Zugang für die Analyse diskutierender Gruppen skiz-ziert und das theoretische Problem der Heterologie dieser beiden Ansätze erörtert.

Im vierten Abschnitt der Einleitung gebe ich eine Übersicht über die bisherigenForschungen zu einzelnen Junghegelianern und zum Gesamtkomplex des Junghe-gelianismus.

Die Untersuchung bezieht sich - abgesehen von den Erörterungen, die soziolo-gisch-historische Fragen zu einzelnen Gruppentypen betreffen - auf den kurzenZeitraum von ca. sieben Jahren. Von 1838 bis 1845/46 hat ein junghegeliani-scher Gruppenzusammenhang bestanden, in dem die vier verschiedenen Selbstde-finitionen der Gruppe durchdiskutiert und experimentiert wurden. Die Reihen-folge der vier Kapitel dieser Untersuchung darf jedoch nicht einfach als >historischeEntwicklung< mißverstanden werden.

Zu diesem wichtigen Punkt sind einige Erläuterungen notwendig. Wollte man ineinem klassisch historiographischen Sinne die Geschichte der Junghegelianererzählen, so müßte man mit der philosophischen Schule und der atheistischenSekte beginnen und die politische Partei und journalistische Boheme anschließen.Aber bei dieser Reihenfolge entstünden schon gravierende Verzerrungen. Die phi-losophische Schule bildet zwar einen Ausgangspunkt, auf den sich die Negationen,nicht mehr nur Philosoph sein zu wollen, sondern zur Praxis überzugehen, bezie-hen, aber im Übergang bleibt auch ein Kontinuum philosophischer Schulreflexionerhalten. Ebenso bildet der Streit um einen gemeinsamen Atheismus einen Aus-gangspunkt, der jedoch die Gruppe nicht verlassen wird, sondern sie bis zu ihremEnde begleitet.

Die junghegelianischen Formeln von der Philosophie, die Partei ergreift, und derPhilosophie, die zum blasphemischen Skandal ermutigt, weisen den Gruppende-finitionen politische Partei und journalistische Boheme jeweils eine zweite Stelleder Entwicklung zu. Aber untereinander sind sie austauschbar: sei es, daß die dro-hende Randständigkeit einer Bohemeexistenz den Übergang zur Partei herausfor-dert oder das Scheitern der Partei zur Boheme führt.

Die Geschichte der Junghegelianer müßte, wollte man sie erzählen, als ein En-semble von mehreren Entwicklungen in den Blick geraten, denn was diese Gruppekonstituiert, ist neben ihren Übergängen zugleich ein >vibrierendes< Feld vonSimultaneitäten. Dieser Umstand bringt erhebliche Darstellungsprobleme mit sich,da es im Medium der Schrift nicht möglich ist, auf vier verschiedenen Monitorenvier >Gruppenprogramme< gleichzeitig abzuspielen.

Mit der schließlich gewählten Reihenfolge der Darstellung der Gruppentypenwurde mehreren Gesichtspunkten Rechnung getragen. Die darin impliziertentheoretischen Entscheidungen seien an dieser Stelle offengelegt.1. Von den beiden sich anbietenden Ausgangspunkten wurde die philosophische

Schule gewählt, weil sie in der Gruppe als ein unumstrittener Ausgangspunktgilt. Auch nach dem Zerfall der Gruppe herrscht Einigkeit darüber, daß sieihren Anfang als philosophische Schule genommen hat.

2. Der zweite Ausgangspunkt, die Frage nach einem gemeinsamen Atheismus, istzwar ebenso wie die philosophische Schule vom Beginn bis zum Zerfall der

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Gruppe gegenwärtig, aber es handelt sich um einen umstrittenen Ausgangs-punkt. Das Problem, aus der Kritik der Religion eine gemeinsame Sache zumachen, ist der entscheidende Destabilisator der Gruppenbeziehungen. Dahersteht die Darstellung der Gruppendefinition atheistische Sekte am Ende derUntersuchung.

1. Von den beiden möglichen Konsequenzen, die aus der Negation der philosophi-schen Schule gezogen werden, wird zuerst die politische Partei und anschlie-ßend die journalistische Boheme dargestellt. Maßgebend für diese Entschei-dung ist die These, daß die kulturelle Gruppe der Junghegelianer strukturellpolitikunfähig gewesen ist. Sie haben zwar wichtige und traditionsbildende Sze-narien von Politik entworfen, aber ihr Versuch, sich als politische Partei zu ver-halten, ist nicht nur aus Gründen staatlicher Repression gescheitert.

2. Von dem Punkt des Scheiterns der Parteiversuche ausgehend wird die Grup-pendefinition der journalistischen Boheme als ein Bündel von Konsequenzendiskutiert, unterhalb der politischen Ebene und in Verbindung mit einer Kritikder Politik die Verbreitung und die Existenz von >Geist< in der Gesellschaft zusichern. Die Spaltung der Junghegelianer in sich befehdende Brudergruppen,die sich im politischen Bereich entzündet, erfährt ihre wesentlichen argumen-tativen Ausdeutungen im antipolitischen, politikkritischen Bereich der Fragenach einer massenhaften, minoritären oder solitären Existenz von Vernunft undKritik in der Gesellschaft.

Mit der gewählten Reihenfolge habe ich mich entschieden, aus dem Feld derSimultaneitäten einige Übergänge zu privilegieren. Zugleich stellt der Aufbau derArbeit den Versuch dar, der eigentümlichen Kreisbewegung Rechnung zu tragen,in deren Bann die Junghegelianer trotz all ihrer »Fortschritte«, ihrer »Überwindun-gen« und ihrer »Konsequenzen«, die sie über alles geschätzt haben und von denenzu reden sie nicht aufhören, sich bewegten, solange sie einen Gruppenzusammen-hang gebildet haben.

Im Unterschied zu den vier Gruppendefinitionen bieten die zentralen geschicht-lichen Erfahrungen der Gruppe eine Folge, die weniger kompliziert ist. Zu nennensind:3. Die Erwartung des Jahres 1840 und die Enttäuschung über die Politik des neuen

Königs Friedrich Wilhelm IV., die mit der Entlassung Bruno Bauers aus derUniversität 1842 besiegelt wird. Der Umgang der Gruppe mit diesen Erfahrun-gen ist in das Kapitel »Philosophische Schule« aufgenommen.

4. Das Scheitern der junghegelianischen Parteiversuche, das sich zur Jahreswende1842/43 abzeichnet, bildet den Abschluß des Kapitels »Politische Partei«.

5. Die Erfahrung der Zeitungsverbote 1843, die Enttäuschung über die politischenMöglichkeiten in Deutschland und ihre Aufarbeitungsformen werden imZusammenhang des Kapitels »Journalistische Boheme« diskutiert.

6. Die Konfrontation der Junghegelianer mit den religiösen Bewegungen des Vor-märz, die in den Jahren 1844/45 kulminieren, wird im Zusammenhang des Kapi-tels »Atheistische Sekte« erörtert.Die Reihe der geschichtlichen Erfahrungen der Gruppe geht somit als ein erzäh-

lerisches Band in die Darstellung der Kapitel ein, die sich in der Hauptsachenachden Konturierungserfordernissen der jeweiligen Gruppendefinition richtet.

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d) Hinweise zum Umgang mit den Quellen

Aus dem bisher Gesagten ergeben sich Konsequenzen für die Vorgehensweise die-ser Arbeit. Wo es etwa um die soziologische Analyse größerer historischer Zeit-räume geht, kann und muß sich der Soziologe in weiten Strecken auf die historischeForschung beziehen, und nur in der geringeren Zahl der Fälle wird er historischeQuellen selbst aufarbeiten. Im Falle dieser Arbeit war ein eigenes historischesQuellenstudium unersetzlich.

Es galt, das zu sichern, was man den ersten soziologischen Blick auf das Materialnennen kann. Wie in dieser Intellektuellengruppe interagiert wurde, wie sie ihrenDiskurs entgrenzt und begrenzt haben, dies wird oft an Stellen deutlich, die für dieIdeengeschichte wie für Historiographie, weil sie etwas anderes suchen, unbedeu-tend sind. Die Gruppendefinitionen, die in dieser Gruppe diskutiert werden, fin-den sich nicht schon separiert in der Weise in den Quellen, daß sie unter einerRubrik >innere Angelegenheiten< der Gruppe aufzufinden wären. Vielmehr sind sieeng verzahnt mit dem, was man die Sachdiskussion der Gruppe nennen kann.

Hauptquellen dieser Arbeit sind die junghegelianischen Schriften, ihre Bücher,Broschüren und Zeitschriften. Mit ihnen stellt sich die Gruppe nach außen dar,und zugleich markieren die einzlnen Gruppenmitglieder ihren Beitrag für dieGruppe, indem sie etwas vorlegen. Die Briefe, die sie untereinander gewechselthaben, geben darüber hinaus zusätzliche Hinweise etwa auf Weichenstellungen derDiskussion und auf Sympathien und Antipathien untereinander. Zu den Quellen,die mitherangezogen wurden, gehören auch Urteile von Zeitgenossen über dieGruppe, die dann besonders wertvoll sind, wenn sie aus einer erkennbaren Näheheraus abgegeben werden. Von den mündlichen Diskussionen ist zum Teil überlie-fert, wo und wann sie regelmäßig stattgefunden haben und wie die Zeugen das>Klima< oder den >Ton< junghegelianischer Debatten erlebt haben. Noch zu Zeitender Existenz der Gruppe sind die Junghegelianer Gegenstand zeitgenössischer lite-rarischer Darstellungen geworden.

Auf der Basis dieses Quellenmaterials wird der Versuch unternommen, dieGruppendiskussion und die Transformationen der Selbstdefinition der Gruppe zurekonstruieren. Es handelt sich um eine von mir vorgenommene Rekonstruktion,weil Diskussionsprotokolle nicht überliefert sind. Ich behandle die junghegeliani-schen Texte gleichsam als archäologische Reste, aus denen die Debatte wiederzusammengesetzt wird. Die Theorien und Thesen der Junghegelianer interpretiereich, indem ich vorrangig nach dem Diskussionswert einer argumentativen Folgefrage, d. h. nach den möglichen Verwendungen im Kontext der Gruppendiskus-sion. Eine These z. B. über die Aufgabe der Philosophie oder über die Form desStaates oder über das Wesen der Religion analysiere ich nicht primär unter der Per-spektive einer Adäquanz von Wörtern und Gegenständen, sondern unter der Per-spektive, wie diese These die Gruppenbeziehungen und Gruppendefinitionen ver-ändern oder determinieren würde, wenn sie unwidersprochen bliebe oder wenn sieeine spezifische Korrektur oder Widerlegung erfahren würde - kurz: ich fragedanach, wie die Gruppe als ein soziales Phänomen mit ihren Thesen leben kann.

Mein Bestreben ist, die Gruppe von einem Standort zu betrachten, der innerhalbder Gruppe liegt, weil erst von einem derartigen Punkt aus eine sinnverstehende

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Kommunikation mit dem Gegenstand, der in den Humanwissenschaften einGegenspieler ist, denkbar ist. Daß solches Sichversetzen in eine vergangene Situa-tion möglich ist, beruht auf der menschlichen Fähigkeit zur Empathie. Ob ich nun,an die phänomenologische Tradition anknüpfend, >Intersubjektivität< als kulturellund zeitlich nicht beschränkte Gegebenheit annehme, die es mir ermöglicht, dieWelt »mit den Augen des andern« zu sehen,31 oder ob ich mit Gadamer histori-sches Sinnverstehen als Verschmelzung von historischen Horizonten mit dem derGegenwart begreife32 - ohne eine methodisch kontrollierte Empathie sind Aussa-gen über Denken und Handeln von geschichtlichen Individuen nicht möglich.

Kontrolliert wird dieses >Sich-Versetzen< durch zwei Bewegungen. Einmal giltes, die »imaginative Selbstübertragung«33 zu fördern, indem soziologische Phanta-sie dort dem Gegenspieler/Gegenstand zuarbeitet, wo er sich >spröde< zeigt. Zumanderen fordert die Kommunikation mit gegenspielerischem Material den For-scher auf, seine Tendenz zu überwältigenden Kommentaren zu bremsen. Er mußseinem >Partner< auch die Chance geben, selbst zu Wort zu kommen.

Die Aufnahme von historischen Zeugnissen in den eigenen Text geht - daraufmuß gerade im Zusammenhang dieser Arbeit hingewiesen werden - nicht auf in derFunktion, als Belege für die eigenen Thesen zu gelten. Das historische Zeugnis, sosehr es auch >herangezogen< wird, verweist immer auch noch auf andere Kommuni-kationsmöglichkeiten als die gerade von mir intendierten. Schon von kleineren For-mulierungen, mehr noch von mittleren Sequenzen junghegelianischer Texte, die alsBelege >dienen< sollen, geht eine eigenartige Wirkung aus, die zu umfassenden Ant-worten auffordert. Das Gefühl, zur junghegelianischen Rede nicht selbst alles dazu-gesagt zu haben, was nötig wäre, hat mich beim Schreiben dieser Arbeit selten ver-lassen.

Das generelle Problem des Umgangs mit der Tendenz, das Material kommentie-rend zu überwältigen, stellt sich besonders scharf, wo es sich um eine intensiveGruppendiskussion handelt, die untersucht wird. Eine Arbeit über die Junghege-lianer, in der nicht vom Ansatz her auch immer die Rede- und Streitlust dieserGruppe mitdokumentiert würde, liefe Gefahr, ihren Gegenstand zu verfehlen. Aufder anderen Seite ist vermehrt soziologische Phantasie dort vonnöten, wo es um einimaginäres Entwerfen von Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten der Gruppeangesichts eines selbsterzeugten oder von außen einwirkenden Problemdrucksgeht.

Die Gruppe von einem Standpunkt zu betrachten, der innerhalb der Gruppeliegt, diese Perspektive muß sich der Grenzen bewußt werden, die der >insulare<Aspekt mit sich bringt. Zwar gleicht die Gruppe einer Reisegesellschaft, die sich mitihren Ausrüstungen auf den Weg macht, aber von dem Gelände, das sie durch-quert, hat der heutige Forscher eine andere Ansicht als die historische Gruppe. Erkann zwar mitverfolgen, wie die Gruppe auf die Überraschungen reagiert, dieihnen die Geschichte bereitet hat, er kann mitempfinden, wo ihre hochfliegendenPläne scheitern, er kann die Not ermessen, die ihnen die Modifikationen ihresGruppenselbstverständnisses bereitet hat, aber der Forscher kann nicht davonabstrahieren, daß er den Ausgang kennt. Die Erklärungen, die er für das Gesche-hen findet, die strukturellen Zusammenhänge, die er beschreibt, überschreiten dieSelbstreflexion der Zeitgenossen.

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2. Zur Definition von Intellektuellengruppen im Kontextder vormärzlichen Gesellschaft

a) Publizistische Antizipationen

Im Juni 1842 erscheint in der >Königsberger Zeitung< eine Berliner Korrespondenz,die von der bevorstehenden Gründung eines Vereins der »Freien« in Berlin berich-tet.Es habe sich eine bedeutende Anzahl von Männern zusammengefunden, »die alle mit derneuesten philosophischen Bewegung fortgeschritten« seien. Die »Freien« wollten eine ähn-liche Tendenz wie der »holsteinische Philaleten-Verein« vertreten. Es handele sich darum,»die Grundüberzeugung der modernen Philosophie, einesteils, daß alle angeblichen Offen-barungen, aufweiche sich die positiven Religionen berufen, erdichtet seien, andernteils, daßder menschliche Geist allein im Stande ist, uns in Beziehung auf übersinnliche Gegenständedie richtige Belehrung zu verschaffen - diese Überzeugung aus der begrenzten Sphäre derWissenschaft auch in die weiteren Kreise des Lebens einzuführen und daselbst geltend zumachen.« Der Verein verwerfe die Bibel als Quelle der Wahrheit, kein bestimmtes Glau-bensbekenntnis werde an die Stelle der Tradition gesetzt, keine positiven Glaubenssätzeaufgestellt, »einzig und allein die Autonomie des Geistes als Fahne« erhoben.Während die »Philaleten« sich bloß innerlich von der Kirche lossagen wollten, sei der Berli-ner Verein der »Freien« jedoch entschlossen, »von Anfang an entschiedener hervorzutre-ten.« Man beabsichtige als ersten Schritt, den »Austritt aus der Kirche öffentlich und mitNamensunterschrift aller seiner Mitgleider zu erklären.« Überlieferungen, »die ihnen längstfremd geworden«, seien »öffentlich zu desavouiren«. Man wolle sich Verpflichtungen ent-ziehen, die man mit guten Gewissen nicht erfüllen könne, »bloßes passives Verhalten« nähreden »Verdacht der Heuchelei«, den man um jeden Preis vermeiden wolle, »die Parteienmüßten sich jetzt bestimmt gruppieren«.34

Die Nachricht über den geplanten Verein der »Freien« gibt eine erste Auskunftüber die Muster von Gruppendefinitionen, die im vormärzlichen Deutschland >inder Luft liegen<: es ist die Rede von »Bewegung«, »Verein« und »Partei«, Verglei-che zu geheimen Gesellschaften werden gezogen und dagegen öffentliche Demon-stration, die in der Nähe des Skandals liegt, befürwortet, auf philosophische Zirkelwird angespielt, die sich als eine atheistische Gruppe bekennen wollen.

Bevor wir jedoch diesem Problembündel nachgehen, muß daran erinnert wer-den, daß sich die Nachricht über den geplanten Verein der »Freien« rasch als eineFalschmeldung herausstellte. Bruno Bauer wird die »Freien« später »das Gespenstjenes Jahres« (1842) nennen.35 Wurde in Berlin tatsächlich der Versuch einer Ver-einsgründung unternommen? Ist die Nachricht eine gezielte oder vorlaute Indis-kretion gewesen? Die Idee eines öffentlichen Austritts aus der Kirche taucht schonAnfang des Jahres in der junghegelianischen Presse auf.36 Wurde die Vereinsgrün-dung wegen der heftigen Pressediskussion und aus Rücksicht auf mögliche Bünd-nispartner wieder abgeblasen? Oder handelte es sich um eine erfundene Denunzia-tion, vielleicht gar nur um eine Zeitungsente? Wir wissen es bis heute nicht, dieJunghegelianerforschung ist auf Spekulationen verwiesen.37

Greifbarer ist der publizistische Diskurs, der sich um die »Freien« bildet. EinKorrespondent der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< bestreitet die Existenz derFreien. Das >Frankfurter Journal< insistiert dagegen auf der Existenz dieses Vereins

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und kann seinen Lesern sogar ein »Glaubensbekenntnis jener Sektierer«, die eine»neuchristliche Kirche« gründen wollten, bieten, das jedoch bald dementiert wird.Im ausufernden Streit der Korrespondenten kann auch die Interpretation aus Ber-lin keine Sicherheit bringen, die Max Stirner liefert: der Verein existiere zwar,»aber es ist ein Verein, dem man im materiellen Sinne diesen Namen streitigmachen kann; es ist ein geistiger, kein bürgerlich konstituierter, kein statutenmäßi-ger, ein Verein, von dem sich nicht sagen läßt, er sei hier oder dort; seine Mitgliedersind aller Orten, und ich stehe nicht dafür, daß, wenn ich mich in die nächste besteGesellschaft begebe, ich mich nicht in der Mitte von Vereinsmitgliedernbefinde.«38

Und die »Philaleten«? Sollte es eine Verbindung zu der 1773 in Paris gegründe-ten Freimaurer-Loge »Les Philaletes« geben?39 Arnold Ruge, der über seinenFreund Theodor Olshausen von »Philaleten« weiß, schreibt an Marx: »die Freienund die Philaleten, beide existieren nicht.«40

Das wichtigste Resultat der zweifelhaften Meldung über die Vereinsgründungwar die öffentliche Existenz des Namens der »Freien« als einer Gruppenbezeichnung.Entscheidend für einen ersten Zugang zum Problem der Gruppenbildung imBereich des Junghegelianismus ist, daß die Definition der Gruppe der »Freien«durch die öffentliche Diskussion einer zweifelhaften Meldung gleichsam von außenzustande kommt. Es steht außer Zweifel, daß in Berlin ein Gruppenzusammenhangvon Junghegelianern tatsächlich existiert hat, aber die Definition der Gruppe voll-zieht sich in einem wuchernden Diskurs journalistischer Stellungnahmen, in denenüber die »Freien« oder auch nur über die Möglichkeit eines Vereins, wie ihn die»Freien« gebildet haben sollen, gestritten wird, und an diesem Metadiskurs beteili-gen sich auch diejenigen, die man vielleicht zu den »Freien« rechnen könnte. Von»den einen ebenso bestimmt geläugnet wie von andern bekräftigt,« schreibtR. Prutz rückblickend, »glich der Verein selbst einer jener Mythen, von denen erangeblich das religiöse Bewußtsein des Volks befreien wollte.«41

Von dem Blätterrauschen des Jahres 1842 ausgehend hat der Name der »Freien«einen festen Platz auch in der wissenschaftlichen Literatur bekommen. Die Grup-penbezeichnung hat sich als praktikabel erwiesen, obwohl es sich um einen Mythoshandelt. Teils werden alle im fraglichen Zeitraum in Berlin weilenden Junghegelia-ner als »Freie« bezeichnet, teils nur einige und in unterschiedlichen Zusammenstel-lungen.42 Es bestünde auch kein Grund, an die zweifelhafte Genese des Namens zuerinnern, wenn die hier dargestellte Definition einer Gruppe über einen wuchern-den journalistischen Diskurs im Bereich des Junghegelianismus ein singuläres Phä-nomen wäre.

1838 erscheint die Broschüre »Die Hegelingen«. Autor ist der konservative Hal-lenser Professor Heinrich Leo.43 Er dokumentiert eine Reihe von Auszügen aus denSchriften von Hegelschülern, die seine »Anklage gegen die junghegelsche Partei«belegen sollen.

Seine Thesen lauten zusammengefaßt: 1. Diese Partei leugne jeden Gott, der eine Person ist,d. h. sie lehre den Atheismus; 2. sie lehre, daß das Evangelium Mythologie sei; 3. sie leugnedie Unsterblichkeit und lehre eine Religion des alleinigen Diesseits; 4. sie verhülle ihre Lehredurch eine nicht gemeinverständliche Phraseologie und gebe sich den Anschein, eine christ-liche Partei zu sein.44

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Um Belege für diese Anklage zu finden, brauche man »heut zu Tage nicht erst Philosophie zustudieren; man begegnet ihnen in jedem Kaffeehause.« Die Schriften dieser »Partei« seienzwar in jedem Buchladen zu haben und würden »auf allen Wegen und Straßen diskutiert«,aber die Stellen, in denen sich der »Frevel« offenbare, seien nicht leicht zu finden. Toleranzsei vielleicht am Platze, »wo sie allein stehen, und nur für ihre Seelen verantwortlich sind«,aber es handele sich um Lehrer auf Universitäten und Gymnasien, »die der deutschenNation Kinder einmauern in den Grund des Turmes heidnischer Vorstellungen«. Und Leoweist präventiv schon daraufhin, daß es ihm nicht um eine »niedrige Denunziation« gehe.45

Im Kontext des vormärzlichen Deutschland handelt es sich natürlich um eineDenunziationsschrift - auf diesen Aspekt werde ich noch zu sprechen kommen -;wichtig ist zunächst, daß Leo mit dieser Schrift den Namen »junghegelsche Partei«publik macht. Geht man den Inhalten der Denunziation unter dem Gesichtspunktder Gruppendefinition nach, so handelt es sich um ein Konglomerat von Defi-nitionsansätzen. Einmal ist es eine »Sekte«46 von Atheisten, die aber als bestalltePhilosophen und Lehrer mit unverständlich verklausulierter Phraseologie ketzeri-sche Lehren äußern, zum anderen hat diese Philosophie ihren Ort »in jedem Kaf-feehaus«, schließlich handele es sich um eine in breiter Öffentlichkeit diskutierteAngelegenheit. Philosophische Schule, Partei, Boheme, Sekte - alle Gruppendefi-nitionen sind präsent in dieser Denunziationsschrift, die wie die vier Jahre späterkursierende Nachricht über den Verein der »Freien« zu einer Flut von publizisti-schen Stellungnahmen führt.47

Gemeinsam an den geschilderten Vorgängen der Jahre 1838 und 1842 ist, daßwir es mit einer für die vormärzliche Situation in Deutschland typischen publizisti-schen Antizipation von Gruppendefinitionen zu tun haben.48 Wie im Berlin desJahres 1842 junghegelianische Gruppen existiert haben, so haben auch 1838 Grup-penzusammenhänge bestanden, aber als was diese Gruppen anzusehen sind, wasihr Name ist, was ihre Kontur in Abgrenzung von anderen Gruppen ausmacht, dar-über entscheidet die publizistische Antizipation, sei es durch zweifelhafte Meldun-gen oder Denunziationen, die einen wuchernden Diskurs hervorbringen.

Definitionen von außen beherrschen die Szene, und dem entziehen sich diejeni-gen, die damit gemeint sind, nur im ersten Moment, um dann selbst die im Außender Gruppe erzeugten Definitionen zu übernehmen. So schreibt Ruge im August1842: die »Freien« existieren nicht, wenige Monate später hat er den Gruppenna-men für die Berliner Junghegelianer wie selbstverständlich aufgenommen.49 Soweist der Berliner Junghegelianer Eduard Meyen 1838 den Titel »Junghegelianer«entschieden zurück und schreibt, »daß der ganze Unterschied zwischen Alt- undJunghegeltum ein gemachter, ein erlogener ist.«50 Meyens Schrift ist im Titelbewußt »Allen Schülern Hegels gewidmet«, und er interpretiert Leos Denunzia-tion als Angriff auf Hegel, die Philosophie und Wissenschaft schlechthin. Aber diepublizistische Antizipation setzt sich durch, die Rede von den »Junghegelianern«geht in die Sprache der Gruppe ein. 1841 nimmt Bruno Bauer den Begriff »Junghe-gelianer« in die zentrale junghegelianische Hegelinterpretation »Die Posaune desjüngsten Gerichts« auf, um seine revolutionäre Hegelinterpretation gegen die ver-mittelnde der Althegelianer abzugrenzen.51

Bauers anonym erschienene »Posaune« ist zum erheblichen Teil inhaltlich undformal der Denunziationsschrift Leos nachgebildet.52 Sie ist eine Selbstdenunzia-

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tionsschrift, denn Bauer versteckt sich hinter der Maske eines orthodoxen Neupie-tisten, um Anklagen gegen den junghegelianischen Hegel zu formulieren. Auchjene in margine gedruckten Hände, die Leo an besonders verdächtige Stellen seiner»Hegelingen«-Zitate hatte anbringen lassen und die die Zeitgenossen so ausführ-lich beschäftigt haben, fehlen bei Bauer nicht. Leo selbst wird in der Vorrede als»Vorgänger« besonders hervorgehoben:»Jeder, der es unternimmt, den Atheismus des Hegelschen Systems aufzudecken und anzu-klagen, muß des Mannes gedenken, der zuerst den Mut hatte, gegen diese gottlose Philoso-phie öffentlich aufzutreten, sie förmlich anzuklagen und die christlich gesinnten Regierun-gen auf die dringende Gefahr aufmerksam zu machen, welche von dieser Philosophie ausdem Staat, der Kirche und aller Sittlichkeit droht. Es ist Leo! Wir geben ihm aufrichtig dieEhre und erkennen es vollkommen an, daß er uns den Weg gebahnt hat, auch dann, wennwir weiter vorwärts dringen, und daß er uns selbst den glücklicheren Angriff, wenn wirglücklicher sind, möglich gemacht hat. Sein Name ist ehrenvoll in die Geschichte dieserschmählichen Schule verwickelt.«53

Es ist nicht leicht, die schillernde Ironie dieser Sätze aufzulösen, denn in der Tatsind die Denunziationen des Jahres 1838 drei Jahre später in der Form der Selbst-denunziation zu Selbstdefinitionen geworden. Und auch der Name »Junghegelia-ner«, den ich im Einklang mit der Forschung in dieser Arbeit verwende, verdanktsich der Denunziation des Jahres 1838.54

Wie kommt es nun zu den publizistischen Antizipationen? Woher stammen dieMuster von Gruppendefinitionen, die antizipiert werden?

Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in Preußen sind K. Mannheimzufolge »ein soziologisches Experiment dafür, was dann geschieht, wenn Ideen, diegenuin aus einem entwickelteren Gesellschaftszustande erwachsen sind, in einensozial unentwickelten, geistig aber hochstehenden Lebensraum einfließen.«55 Essind die »Ideen« der Französischen Revolution von 1789, die in die preußischeGesellschaft »einfließen«. Dieses »soziologische Experiment« hat verschiedenePhasen, als deren letzte die vormärzliche Zeit gelten kann.

Es handelt sich bei diesem »Einfließen« um ein Geflecht äußerst komplexer Vor-gänge. Zunächst könnte davon ausgegangen werden, daß die publizistische Antizi-pation von Gruppendefinitionen eine ihrer Quellen in der verbreiteten Revolu-tionsfurcht konservativer Kreise habe.

So prophezeit das konservative Berliner >Politische Wochenblatt<im Juli 1838,man habe eine »preußische Revolution« von der »junghegelschen Rotte« zu erwar-ten. Wie in Frankreich die philosophischen Theorien der Aufklärung Ursache derRevolution gewesen seien, so würden die »junghegelschen Journalisten undSchriftsteller« Ursache der Revolution in Preußen werden. Ruge mokiert sich in sei-ner Verteidigung, das Politische Wochenblatts habe »so viele Jahre eine Revolu-tion in Aussicht gestellt«, und es wurde »immer nichts daraus«. Revolutionen wür-den nicht projektiert, sie träten nur ein, wenn Entwicklungen gehemmt würden, daaber in Preußen der Staat das »reformierende Prinzip« verkörpere, »so gibt eskeine Notwendigkeit, ja nicht einmal die Möglichkeit der Revolution. Und dieseAnsicht soll revolutionär sein?«36 Es handelt sich bei Ruge keineswegs um eine tak-tische Erklärung, auch nicht um eine, die bloß Rücksicht auf die Zensur nähme,

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vielmehr ist es zu diesem Zeitpunkt die Überzeugung der verdächtigten Junghege-lianer, daß eine Revolution in Preußen nicht wünschenswert ist.

So plausibel es auf den ersten Blick erscheinen mag, die publizistische Antizipa-tion von Gruppendefinitionen auf das Drama zwischen republikanisch-revolutio-nären-linken und restaurativ-konservativen-rechten Kräften zu projizieren - inwichtigen Bereichen greift dieses Modell nicht. Weder die Ankläger der Junghege-lianer noch diese selbst halten eine Revolution für wünschenswert. Trotzdem mußdarüber debattiert werden, und dies in einer seltsam vertauschten Perspektive: dieRechte erwartet eine Revolution, die Linke sieht nicht einmal die Möglichkeitdafür. Es muß hier auch daran erinnert werden, daß die >Technik< des politischenVerdachts, der sich in sozialen Beziehungen ausbreitet und Gruppierungen konsti-tuiert, eine Erfindung der Französischen Revolution gewesen ist. Dieser politischeVerdacht ist genetisch ein revolutionäres Instrument und rührt von der jakobini-schen Schreckensherrschaft her, aber es wird rasch ein gemeinsames Muster, das>Linke< wie >Rechte< handhaben.57

Um dem Phänomen der publizistischen Antizipation von Gruppendefimtionennäherzukommen, ist es nötig, sich ein Stück weit von der >Rechts-Links-Vorlage< zulösen. So sehr sie das Denken der damaligen Zeitgenossen dominiert hat und sosehr sie auch bis heute ein machtvolles Sortierschema geblieben ist, das jedochangesichts thermonuklearer Bedrohungen und ökologischer Krise an Überzeu-gungskraft zu verlieren scheint - die Rechts-Links-Bipolarität verdeckt die Tatsa-che, daß es sich auf beiden Seiten um einen gemeinsamen Erwartungshorizont han-delt. Die »Restauration« ist nicht einfach nur der Gegenpol »radikaler« Bestrebun-gen, wie es die zeitgenössischen Parteibegriffe nahelegen, auf beiden >Seiten< gehtes um Übernahme und Antwort auf die Resultate der >Revolution<. Sie gilt allen alsdas zentrale Deutungsmuster für politische, religiöse und soziale Entwicklungen.

>Die Revolution^ das ist zunächst die von 1789, es ist aber auch die sich erneu-ernde Revolution bis 1830. Man könnte sagen, für Rechte und Linke wiederholtsich die Revolution, wie man von einem >Zeitalter der Revolutionen spricht. Präzi-ser wäre es zu sagen, daß es sich nach dem Sturz Napoleons ineins um ein revolutio-näres wie postrevolutionäres Zeitalter handelt. Denn eine Wiederholung der Revo-lution gibt es nur im Sinne der zyklischen Zeit der Mode-»Struktur«, wie sie J. Bau-drillard charakterisiert hat.58

Postrevolutionär ist die Perspektive, weil die Zeitgenossen auf den Verlauf derFranzösischen Revolution zurückblicken können. Dies hat Konsequenzen fürRechte und Linke, weil nicht mehr nur die >Ideen< der Französischen Revolution indie Diskurse eingehen, sondern auch Thesen über ihren Ursprung, die Typizitätihres Verlaufs und ihr napoleonisches Ende.

Auf beiden Seiten weiß man aus postrevolutionärer Perspektive um den Zusam-menhang von philosophischen Zirkeln und Revolution, von atheistischen Gruppenund Revolution, von Parteien in der Revolution, von der Volksbewegung in derRevolution und von der »Tugend« und der »Frivolität« in den neuen Gruppen, diedie Revolutionsszene beherrscht haben. Die Französische Revolution ist nicht dasexklusive Thema der Linken, sondern das gemeinsame Wörterbuch, aus demRechte wie Linke zitieren.

Revolutionär ist die Perspektive, weil die vergangene Französische Revolution

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eine Dimension eröffnet hat, die auf eine europäische Revolution verweist, in derenZentrum sich alle Beteiligten fühlen. Die gemeinsame Frage der >Radikalen< wie der>Reaktionäre< ist die nach dem Abschluß der Revolution - ein Abschluß, der vonden einen als Ende der Revolution, von den anderen als Vollendung erwartet wird.

Die Verschränkung von postrevolutionärer und revolutionärer Perspektive trittbesonders bei der Generation hervor, die nach der Revolution des Jahres 1830 dasgesellschaftliche Leben gestaltet. Die Julirevolution 1830 hat bei vielen Zeitgenos-sen das Erlebnis einer Zäsur provoziert. Ein scharfsinniger Beobachter wie Her-mann Marggraff spricht von der »Sonne« der Julitage, die die Literatur »blendendin die Augen« gestochen habe. »In der Tat, man fing die Dinge an zu sehen, nichtwie sie waren, sondern wie man sie sehen wollte«; Maßstab wurde die »Tendenzen-elle, die kurze und lange, die aus politischem Holze geschnitten oder aus dem zar-ten Elfenbein sozialer Fragen gedrechselt war.«59

Die Rede von der »Tendenzenelle« signalisiert nicht nur ein erneutes Stadium, indem das Wörterbuch der Revolution wieder aufgeschlagen wird, vielmehr wirdgerade die Koexistenz von postrevolutionärer und revolutionärer Perspektive greif-barer. Das gemeinsame Kennzeichen der neuen Generation ist, wie R. Koselleckschreibt, »daß die große Revolution für sie bereits zur Geschichte gehörte, deren>Vollstreckung< und >Lenkung< sie als ihre Mission betrachteten.«60 Die Revolutionist ein historisches Ereignis, ebenso wie ein Zeitraum, auf dessen Abschluß es sichzu konzentrieren gilt. Diese spezifische Zeiterfahrung drückt sich in bipolarenModellen aus: Ancien Regime/moderner Staat; Fortschritt/Restauration; alt/jungetc. Das Netzwerk sozialer Handlungen wird mit Hilfe des Modells eines Prinzi-pienkampfes quasi neu strukturiert. Selbstdefinition und Fremddefinition erfolgtnach Maßgabe von allgemeinen Prinzipien, denen gleichsam automatisch Kollek-tive nachgeordnet werden.

»Ideen« sind nicht einfach Gedanken oder Überlegungen, sondern »Ideen« sindvirtuelle »Strömungen«, »Tendenzen«, »Bewegungen«. Hierin ist schon einMoment der Beschleunigung von Vorgängen und Ereignissen angelegt. Das Auf-treten einer »Idee« verlangt geradezu nach einer »Bewegung«, d. h. der Antizipa-tion eines Kollektivs, das >hinter< der Idee steht. (Später wid Marx lapidar als sozia-les »Verhältnis« das bezeichnen, »was die Philosophen eine Idee nennen«.61)Ideenbewegung und Bewegungsideen rücken ganz nahe zusammen, im Bewußt-sein der Zeitgenossen tauschen sie sich gegenseitig aus. Soziale Zusammenhängegeraten unter den Druck, Ideenzusammenhänge zu werden, und umgekehrt.

Die publizistische Antizipation, die nach diesem Schema funktioniert, weißimmer schon sehr früh von dem, was auf die Gesellschaft zukommen kann. >IhrerZeit voraus< ist nicht nur die Linke, sondern die Rechte ebenso, denn der revolutio-näre Kanon von Tendenzen ist geschlossen. 1838, vor Erscheinen der »Hegelin-gen«, schreibt Leo über die, die er im Auge hat:

»Noch ist es gar nicht bis zu dem Punkte gekommen, wo diese liberal-revolutionäre Gattungvon Leuten als irgendeine wirkliche Partei angesehen werden könnte, und ist weit eher zufürchten, daß sich in nicht zu langer Zeit in der Form einer philosophischenSchule, in derenTerminologie die derzeitige Studiosengeneration auf einer Anzahl der bedeutendsten Uni-versitäten, ja! schon die Gymnasiasten fast überall einexerziert werden, wirklich eine neuePartei mächtig etablieren dürfte - denn die Terminologie geht nicht ohne die Begriffe auf

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Tausende über, und die eigentümliche Scheidung und Verbindung der Begriffe in den Köp-fen ist allein schon hinreichend, eine neue Denkweise zu schaffen, die sofort als Macht imLeben auftritt, wo sie in dem gleichgebildeten Ausdruck der gebildeten Stände oder auchnur der größeren Masse in denselben eine Stütze findet.«62

b) Hintergrund und Diskrepanzerfahrung

In der Tat sind die publizistischen Antizipationen von »Bewegungen« und »Par-teien« ihrer Zeit weit voraus. Getragen wird der publizistische Diskurs von einergesamtgesellschaftlich gesehen relativ kleinen Schicht. Preußen ist noch nach derRevolution von 1848 allen Bewegungen zum Trotz ein Land, in dem der agrarischeSektor quantitativ dominiert. 73 % der 16,3 Millionen Einwohner leben auf demLande, der Rest lebt in 970 Städten, von denen nur 300 mehr als 3.500 Einwohnerhaben.63 Diese Zahlen sind jedoch schon ein Resultat der Binnenwanderungen unddes demographischen Zuwachses der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von1800-1850/51 steigt die Einwohnerzahl von Berlin von 172.000 auf 419.000, dievon Köln von 50.000 auf 97.000, die von Königsberg von 55.000 (1802) auf 73.000,um drei Städte zu nennen, die im Zusammenhang des Junghegelianismus wichtigsind.64

Befragt man Dieterici, den Direktor des preußischen statistischen Büros, der1848/49 aufgrund einer Berufsstatistik aller über 24 Jahre alten Männer steuerstati-stische Schichtungsangaben gemacht hat, so stellen die »Wohlhabenden«: Ritter-gutsbesitzer, Rentiers, Offiziere, höhere Beamte sowie ein großer Teil des Wirt-schafts- und Bildungsbürgertums alle mit mehr als 500 Taler Jahresverdienst insge-samt 150.000 erwachsene Männer, mit ihren Familien 3 % der Bevölkerung. Ihnenfolgt eine Mittelschicht, die im Jahr 150-500 Taler verdient und die den größtenTeil der Handwerksmeister und Krämer, die Mittelbauern sowie die untere Beam-tenschaft umfaßt. In dieser Schicht zählt Dieterici 1 Million Männer, mit ihrenFamilien etwa 30 % der Bevölkerung. Die unterste Schicht von zwei Dritteln derBevölkerung besteht aus Handwerksgesellen, Fabrikarbeitern, Bergleuten, Klein-bauern, Handarbeitern, Dienstpersonal.65

Auch dieses Bild ist schon ein Resultat verschiedener Verschiebungen im gesell-schaftlichen Schichtaufbau: der Entstehung einer kleinen Industriellenschicht, derVerarmung im Handwerk und - was im Zusammenhang dieser Arbeit hervorgeho-ben werden muß - des sozialen Aufstiegs durch Bildung. Die Zahl der Gymnasia-sten nimmt in Preußen von 1816-1846 um 73 % zu, die Zahl der Gymnasiallehrerum 69 %. Die Zahl der Studenten im späteren Reichsgebiet steigt von 1800-1830von etwa 6.000 auf 16.000 und pendelt sich in den 40er Jahren auf knapp 12.000ein. Wichtig ist, daß neben den Studenten aus Akademikerfamilien, die etwa dieHälfte der Studenten ausmachen, 25-30 % Söhne von Handwerkern, kleinenKaufleuten, kleinen Beamten und Volksschullehrern sind.66

Zahlen wie diese können nur ein grobes, unzureichendes Bild geben. Lediglichvon den extremen Punkten her gesehen lassen sich zwei Beobachtungen ableiten.Einmal finden in den genannten Bereichen der Verstädterung und der Bildung indiesen Zeiträumen erhebliche Umschichtungen statt, aber zugleich bleibt das Bildeiner Gesellschaft, deren bürgerlicher Anteil minoritär ist. Zwischen den vormärz-lichen Antizipationen, die dem Muster der Revolution entstammen, und dem

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gesellschaftlichen Hintergrund klafft eine beträchtliche Lücke. Allerdings erhaltendie Antizipationen Nahrung von den Verschiebungen, die in den minoritären bür-gerlichen Kreisen stattfinden. Die Uneindeutigkeit der Gruppendefinitionen, dieabstrakte Bipolarität des Denkens resultieren zu einem erheblichen Teil aus derDiskrepanz zwischen Antizipationen, die nicht mit Realität gesättigt sind, und einerweithin sehr geringen gesellschaftlichen Organisationsdichte.

Sucht man nach existierenden organisatorischen Verdichtungen im nicht-agrari-schen Bereich der vormärzlichen Gesellschaft, so zeigen sich diese zunächst ineinem Übergangsstadium. Die traditionellen Bindungen der ständischen Gesell-schaft verlieren an Kohärenz, und strenger definierte neue Typen des sozialen undpolitischen Zusammenhangs sind noch in der Experimentierphase.

An erster Stelle sind organisatorische Verdichtungen zu nennen, die im Bereichdes Bildungsbürgertums anzutreffen sind.67 Um die Universitäten bildeten sich seitdem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Vielzahl von organisatorischen Zusammen-hängen, die über die älteren korporativen Bindungen des »Gelehrtenstandes« hin-ausgehend den Kreis möglicher Verbindungen auf die »gebildeten Stände« aus-dehnten. Freimaurerlogen und Clubs ebenso wie Lesegesellschaften können alsorganisatorische Verflechtungen betrachtet werden, in die kooptiert zu werdenoder einzutreten Abstammung oder spezielle berufsständische Herkunft wenigerwichtig waren als das allgemeine Merkmal »Bildung«.68

Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ist eine kontinuierliche Ausbreitung von»Gesellschaften«, »Clubs«, »Kreisen«, »Assoziationen«, »Vereinen« aus dem bil-dungsbürgerlichen Milieu heraus festzustellen, in denen man mit Th. Nipperdeyeinen spezifischen Typus sozialer Organisation sehen kann.69 Diese Vereine entste-hen durch freien Zusammenschluß von Personen, deren rechtlicher Status durchdie Vereinsmitgliedschaft nicht tangiert wird. Der Vereinstypus ermöglicht eineVerdopplung der gesellschaftlichen Bindungen, die beides bedeuten kann: Ersatzfür die brüchiger werdenden korporativen Bindungen und zugleich Kreation einerVerbindung, die eine Sphäre frei verfügbarer Zwecksetzungen darstellt. Die Ver-dopplung der gesellschaftlichen Bindungen ermöglicht den Individuen, gleichsamnoch >mit einem Beim im traditionellen Bereich zu stehen, die Rechte und Begren-zungen zu erfahren, die mit Herkunft und Beruf verbunden sind. Die Teilnahmeam Verein bedeutet keinen Bruch, sie ist ein Medium des Übergangs. Erst wenn dieVerdopplung der gesellschaftlichen Bindungen in den Blick gerät, wird die spezifi-sche Struktur des Vereinsmodells deutlich.

Es handelt sich um eine generative Struktur, die virtuell jeden Zweck produzie-ren oder sich aneignen kann (vielleicht mit Ausnahme eines Zweckes: die Aufhe-bung der Verdopplung der gesellschaftlichen Bindungen). Die generative Strukturdes Vereinstypus ermöglicht auch die Ausbildung gegenläufiger Zielsetzungen:Spezialisierungen wie Musikvereine oder Vereine, die der Differenzierung der Wis-senschaften folgen, sind ebenso möglich, wie Vereine, die gerade die Überwindungder Einseitigkeit zum Zweck haben. Vom »Bau der Menschheit« bis zum Kartoffel-anbau reichen die Möglichkeiten des Vereinstypus, und diese seltsame Elastizität,diese virtuelle Ubiquität von »Verein« hat insbesondere die Zeitgenossen der 40erJahre enorm fasziniert.70

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Der Vereinstypus, der, vom Bildungsbürgertum ausgehend, langsam, vor allemin den 40er Jahren, auch andere Schichten berührt, ist den organisatorischen Ver-dichtungen, die z. B. im Bereich des Handwerks existieren, schließlich überlegen.Das Handwerk verfügt über eine lange Tradition zunftmäßiger Organisationsfor-men. Mit dem demographischen Zuwachs und der Überfüllung der Handwerksbe-rufe geraten die traditionellen Organisationsformen unter einen erheblichenDruck; in der Folge entsteht eine handwerkliche, teils schon frühindustrielleUnterschicht. Aus ihr rekrutieren sich die geheimen Handwerkerbünde, in die dasausgereifte Organisationswissen der Handwerkskultur Eingang findet. Zum tradi-tionellen Bestand gehören komplexe Initiationsriten, Techniken der Esoterisierungdes Berufswissens, Verfahren der Diskriminierung von Nichtdazugehörigen vorallem auch im Bereich der überregionalen Kontakte, die angesichts der hohen undja auch institutionalisierten Mobilität den organisatorischen Bestand sichern.71

So hoch entwickelt das Organisationswissen im Bereich des Handwerks auch ist,erst in dem Maße, in dem die Handwerkerbünde eine den Zunftcharakter über-schreitende Vereinsform gewinnen und sich z. B. zu verschriftlichen beginnen, ent-stehen Chancen, daß auch Angehörige anderer Gesellschaftsschichten, die ihre tra-ditionellen Bindungen lockern, Zugang zu diesen Bünden gewinnen. Heß' undMarx' Kontakte zum Handwerkerkommunismus stehen beispielhaft für diese Ent-wicklung.

Auf der anderen Seite tangiert der Vereinstypus in besonderem Maße die staatli-che Organisation. Das Verhältnis von Verein und Staat ist in der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts ambivalent. Auf der einen Seite besetzen Vereine die Handlungs-felder, die gleichsam staatsfrei, privat sind, auf der anderen Seite wollen Vereine inden staatlichen Handlungsfeldern unterstützend wirken, wo sie meinen, daß etwasgetan werden muß, oder der Staat selbst initiiert oder fördert Vereine. Es muß dar-auf hingewiesen werden, daß der Vereinstypus, bezogen auf den Dualismus vonStaat und Gesellschaft, nicht quasi automatisch dem Bereich >Gesellschaft< zuge-schlagen werden darf.72

Zum Bildungsbürgertum gehört auch ein großer Teil der Staatsbeamten, die ihreim Vereinswesen erlernten Formen der geselligen Kommunikation, der Erörterungvon Zielen und Mitteln auch in der Verwaltung praktizieren.73 Seitdem es insbeson-dere zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Phase der Öffnung des Staates für das Bil-dungsbürgertum gegeben hatte, verschmelzen die organisatorischen Verdichtun-gen im Bereich des Vereinswesens zu einem Teil mit denen der Verwaltung.

So ermöglicht etwa die Institutionalisierung des Kollegialitätsprinzips die Dis-kussion aller wichtigen Gesetzesentwürfe, eine Diskussion, von der die zur »Libe-ralität« angehaltenen und z. T. sehr selbstbewußten Beamten auch ausgiebigGebrauch machten.74 Sucht man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Preu-ßen nach dem, was J. Habermas das räsonierende Bürgertum nennt, das sich kol-lektiv über politische und gesellschaftliche Fragen verständigt, so wird man auchauf die preußische Verwaltung stoßen, für die eine gründliche Erörterung Vorrangvor einer schnellen Exekution hatte. »Viele Gesetze bedurften gleichsam dreierLegislaturperioden, manchmal Jahrzehnte, bevor sie durchgeführt wurden. DieDiskussion artete - auf dem Umweg über die Schriftlichkeit - allzusehr in eine stän-dige gegenseitige Belehrung aus. Die sich dauernd belehrende Beamtenschaft

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brachte ein professorales Element hervor, das den Innenaspekt bietet einer Verwal-tung, die nach außen den Erziehungsstaat verkörperte.«75

Erst von der ambivalenten Stellung des Vereinstypus her, einer Stellung, die teilsim staatsfreien Raum, teils als Bindeglied oder Vermittlungsform zwischen denindividualisierenden Tendenzen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft und dempolitischen Staat und teils als halbpolitisches Element des Staates selbst zu sehenist, lassen sich jene Uneindeutigkeiten erklären, die für Gruppenbildungen in die-ser Zeit charakteristisch sind. Vereine, die sich vereindeutigen ließen, indem manetwa auf eine Vertretung von Gruppeninteressen im modernen Sinne abstellte,wird man eher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden. Der vormärzlicheVerein ist dagegen ein Amalgam von freier Geselligkeit, Bildungsdrang und Ver-breitung von aufgeklärten Grundsätzen.

Es ist dieses bildungsbürgerliche Netzwerk von Organisationskernen, das sichseit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in den Städten ausgebildet hat, das nach1819 zunehmend unter den Verdacht der Revolution gerät.76 Aus dieser Perspek-tive erscheinen die Vereine als präpolitische oder kryptopolitische Organisationen.Der Verdacht vereindeutigt den ambivalenten Charakter der Vereine. Zeitgenos-sen haben diese Tendenz aufmerksam registriert. Man redet in den »Gesellschaf-ten« davon, »daß die Geselligkeit anfinge zu stocken, daß die kleinen Gespräche inden Fensternischen, das Geflüster zu Zweien und Dreien Mode würde«.77 Die 40erJahre stehen im Zeichen einer zunehmenden Politisierung der Vereine. Die junghe-gelianische Gruppenbildung hat ihren Ausgangspunkt im Kreuzungsbereich vonakademischen Zirkelwesen und Verein, die beide auf eine Verbindung zu aufge-klärter Verwaltung hin angelegt sind. An der Politisierung dieses Komplexes neh-men die Junghegelianer regen Anteil.

Es ist üblich geworden, davon zu sprechen, daß es sich beim bildungsbürgerli-chen Vereinswesen des Vormärz um eine Art Ersatzpolitik gehandelt habe. Diestrifft sicher zu. Aber die Rede von der Ersatzpolitik bedarf einer wichtigen Ergän-zung. Für weite Kreise des Bildungsbürgertums war der Verein ebensosehr Ersatz-gemeinde. Es muß daran erinnert werden, daß es im Unterschied zur angelsächsi-schen Entwicklung im nachreformatorischen Deutschland nicht zur Ausbildungeines staatsunabhängigen kirchlichen Gemeindelebens gekommen ist.78

Sowohl das landesherrliche Kirchenregiment wie die inneren Auswirkungen vonLuthers Kirchenbegriff, der den Akzent auf die »unsichtbare Kirche« gelegt unddie äußeren Einrichtungen nur als einen Not-bau betrachtet hatte, blockierten dieEntwicklung von kirchlichen Einrichtungen, in denen sich religiöse Bedürfnissewirksam hätten artikulieren können. Auch die einzig relevante Gegenbewegungzur lutherischen Orthodoxie, der Pietismus, zielte mehr auf eine Stärkung derFrömmigkeit als auf die Ausbildung von äußeren Formen kirchlichen Lebens,obschon gerade vom Pietismus indirekt wichtige Impulse zur Gemeinschaftsbil-dung ausgingen. Für die bildungsbürgerliche Intelligenz um 1800 ist die protestan-tische Kirche wenig attraktiv. Eher schließt sich ein aufgeklärter Pfarrer einemgeselligen Verein an, als daß die, die er dort trifft, in die Kirche gehen.

Selbst in den Reformen, die nach 1806 begonnen wurden, kommt es - woraufH. Holborn hinweist - »nirgends ( . . . ) zu einer Ersetzung des landesherrlichenKirchenregiments durch volkstümliche Kirchenverfassungen. (. . .) Die protestan-

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tischen Kirchen blieben zwar Volkskirchen in dem oberflächlichen Sinne, daß jedesVolksmitglied in sie hineingeboren wurde, aber nicht in dem Sinne, daß die Kircheeine volkstümliche Leitung erhielt, noch daß sie sich der Vielzahl derjenigenLebensprobleme des Volkes widmete, die religiös von gleicher Bedeutung warenwie die Theologie des Bekenntnisses.«79 In den 40er Jahren wird das bildungsbür-gerliche Vereinswesen nicht nur von einer Welle der Politisierung, sondern ebensovon einer Welle der Religiosität erfaßt.80

Zusammengefaßt muß festgestellt werden, daß die wichtigsten organisatorischenVerdichtungen im vormärzlichen Preußen im Bereich des bildungsbürgerlichenVereinswesens anzutreffen sind. So dramatisch es sich auch in den 40er Jahren ent-wickelt, es darf nicht übersehen werden, daß es sich gesamtgesellschaftlich gesehenum >minoritäre< Organisationszusammenhänge handelt. Diese Organisationskernesind die >Basis<, von denen die publizistische Antizipation von Gruppendefinitio-nen, die dem Muster der Revolution folgen, ausgeht.81

Die Antizipation und imaginative Beschleunigung geht jedoch auch einher mitder Erfahrung der Diskrepanz. Die Diskrepanz von geringer gesellschaftlicherOrganisationsdichte und der publizistischen Imagination von Organisiertheit, diedem Muster der Revolution abgelesen ist, durchzieht alle vormärzlichen Debattenum Gruppenbildungen. In den Texten der radikalen Zeitgenossen kommt dieseDiskrepanz als ein Defiziterlebnis zum Ausdruck.

Für Marx stehen die deutschen Zustände »unter dem Niveau der Geschichte«,und er vergleicht das Deutschland von 1843 mit dem Frankreich von 1789.82 Feo-dor Wehl klagt in seinen >Berliner Wespen<: »Berlin hat keine Öffentlichkeit wieLondon und Paris, wo die Politik ihre Stimmen erheben und ihre geheimsten Tie-fen offenbaren kann. (. . .) Welche Daten fehlten in der Historie, wenn Paris undLondon fehlten? Berlin kann man streichen und keine Jahreszahl geht ihr verloren.Berlin ist nur die Stadt, wo die Weltgeschichte sich zur Ruhe setzt.«83

R. Prutz muß sich noch 1847 mit den Zweifeln auseinandersetzen, »ob, wo undwie denn überhaupt eine Opposition bei uns existiert«. Sein Bild der Oppositionist England und Frankreich abgelesen, er denkt an Gruppierungen, die »sich kei-neswegs in den Kreisen der sogenannten Gebildeten, einer geringen Anzahl vonDeputierten und Abgeordneten, einer Handvoll Schriftsteller abschließen: viel-mehr durch alle Stände, alle Klassen der Gesellschaft, durch die ganze Nationerstrecken«. Solche Gruppierungen existieren in Deutschland nicht, denn manhabe es überhaupt noch nicht mit einem »wirklichen Staat«, sondern mit einem»abstrakten, illusorischen Staat« zu tun. So seien Staat und Opposition beides»Schattengebilde«. »Wir setzen Abstraktion gegen Abstraktion, Formalismusgegen Formalismus, Schatten gegen Schatten; es ist eine Geisterschlacht«.84

Zwischen publizistischer Antizipation und der Wirklichkeit der Gruppen, zwi-schen der Erwartung von Tendenzen und Bewegungen, über die man schon einegenaue Vorstellung hat, und dem Defiziterleben besteht ein Gefälle, das kaumnoch auszugleichen ist. »Geisterschlacht« ist ein Ausdruck, der die Auseinander-setzungen um die »junghegelsche Partei« und den Verein der »Freien« präzisetrifft.

Leider ist es kein soziologischer Begriff. Er könnte vielleicht eine soziologische

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Qualität gewinnen, wenn man daran erinnert, daß es gerade der JunghegelianerMarx war, der »Geisterschlachten« in den Bereich des Überbaus verbannte, dereine theoretische Weichenstellung vollzog, die in der vormärzlichen Diskrepanzer-fahrung ihren Ausgangspunkt hatte. Die Anerkennung der »Geisterschlacht« alseines Phänomens, von dem auszugehen ist, und die Depotenzierung des Phäno-mens als Überbau folgen einer gemeinsamen Struktur, die von der Frage nach demOrt und Grund von >Geist< beherrscht ist. Vor den Antworten auf diese Fragen lie-gen aber Erfahrungen, die diese Frage zur Frage werden lassen.

Auszugehen ist von der Diskrepanzerfahrung, sie läßt den Ort und den Grundvon >Geist< extrem unsicher erscheinen. Orientiert am englischen und französi-schen Beispiel weiß man schon, daß »Ideen« für »Bewegungen« stehen, aber imeigenen Lande ist man sich nicht sicher, ob hinter den »Ideen« - das Bildungsbür-gertum in Deutschland zweifelt nicht im mindesten daran, daß es selbst voller»Ideen« steckt - auch das zu finden ist, was eine »bloße Idee« zu einer »wirklichenIdee« macht. Daher sind nicht nur die »Ideen« abstrakt, sondern auch die »Wirk-lichkeit«. Im Verein haben zwar die »Ideen« ihren Ort und ihren Grund, aber derVereinstyp ist ambivalent. Er steht zwischen Staat und Gesellschaft, er geht nichtauf in den Interessen der bürgerlichen Wirtschaftswelt, und er steht nur im Traumvom »Verein freier Menschen« für den Staat. Und schließlich bringt die Verdopp-lung der sozialen Beziehungen im Verein ein neues Moment der Unsicherheit her-ein. Seine generative Struktur, die Vielzahl möglicher Zwecke - macht sie nichtgerade das feste Band zu einem gefährlichen imaginären?

Intellektuellengruppen im Vormärz bewegen sich in einem seltsamen Zwischen-reich von »Idealität« und »Realität«. Diese Ausgangslage gilt es gegenüber voreili-gen Vereindeutigungen, zu denen jede Forschung neigt, zu affirmieren. Die Diskre-panzerfahrung ist, genau genommen, nicht einfach die Erfahrung eines Gefälleszwischen dem, was erwartet wird, und dem, was ist. Die buchhalterische Sicherheitdes »Soll und Haben« gewinnt die bildungsbürgerliche Intelligenz erst nach1848.85 Diskrepanzerfahrung ist vielmehr die Erfahrung des Fallens und derBodenlosigkeit, des Abstrakt-Seins der Geister-Schlacht.

c) Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang

An dieser Stelle möchte ich eine orientierende Übersicht über den junghegeliani-schen Gruppenzusammenhang geben, um die Personen, deren Handeln in dieserArbeit untersucht wird, vorzustellen und ihren Ort im Netzwerk der Gruppenbe-ziehungen aufzuzeigen. Biographische Kurzinformationen werden in den Anmer-kungen gegeben.

Etwa um 1837 sind junghegelianische Gruppen - abgesehen von Tübingen - inBerlin und in Halle nachweisbar. Anfang der 40er Jahre haben sich in Köln sowie inKönigsberg Gruppenzusammenhänge herausgebildet, die junghegelianischgenannt werden können.

In Halle entsteht 1837 in einem Kreis junger Privatdozenten, Professoren undLehrer um Arnold Ruge die Idee einer Zeitschrift, die sich als Gegenprojekt zu denvon Hegel gegründeten Berliner Jahrbüchern (JWK) versteht. Wichtig für dieGruppenkonstitution ist, daß Ruge eine Werbereise unternimmt, d. h. gleich auf

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einen überregionalen Zusammenhang zielt, den er als Herausgeber der >HallischenJahrbücher< (HJ) organisatorisch mit zusammenhält. - In Berlin ist in dieser Zeitein philosophischer Schulzusammenhang von Hegelschülern vorhanden, aus demsich eine Gruppe, der berühmte »Doktorclub«, in dem der junge Marx sichbewegte, herauslöst. Durch Wohnortswechsel bzw. Reisetätigkeit werden Grup-penzusammenhänge im Rheinland (besonders Köln) und Königsberg initiiert oderlokale Ansätze gefördert. Die Zusammenhänge an verschiedenen Orten müssendeshalb als Gruppen bezeichnet werden, weil sie über längere Zeit sich in regelmä-ßigen Treffen und Diskussionen über gemeinsame Ziele realisieren. Diese regiona-len Teilgruppen bilden insofern miteinander einen überregionalen Zusammen-hang, als durch Reisen, Briefe und persönliche Freundschaften eine Kommunika-tion hergestellt wird, die die fortlaufende gegenseitige Rezeption der Veröffentli-chungen der Gruppenmitglieder erleichert. Im Hinblick auf die in dieser Arbeitgenannten Junghegelianer stellt sich der regionale wie überregionale Gruppenzu-sammenhang so dar:

A. Ruges86 Kreis in Halle steht in Verbindung und Differenz mit den hegeliani-schen Universitätsmitgliedern, insbesondere mit den Althegelianern Friedrich W.Hinrichs87 und Julius Schallet88; zum Rugekreis sind der Junghegelianer RobertPrutz89 und der Mitherausgeber der Jahrbücher Theodor Echtermeter90 zu rech-nen.91 1841 übersiedelt Ruge nach Dresden und befreundet sich dort mit MichailBakunin92, der sich zuvor in Berliner Junghegelianerkreisen bewegt hatte. Rugesucht schon früh den Kontakt zu Feuerbach93, der gesellige Zusammenhänge mei-det, dafür aber durch seine Schriften und Briefe mit der Gruppe verflochten ist.Ebenso besteht eine Verbindung zwischen Ruge und Karl Theodor Bayrhoffer94 inMarburg. Der Kontakt ins Rheinland läuft über Georg Jung95, der dort zusammenmit Moses Hess96 das Projekt der >Rheinischen Zeitung<97 initiiert, zu dem auch KarlHeinzen98 stößt.

In Berlin gehören dem Doktorklub99 1837 Bruno Bauer100, Adolf Rutenberg101

Karl Friedrich Köppen102 und Marx103 an, vielleicht auch schon Edgar Bauer104 undMitglieder, die 1841 die Zeitschrift >Athenäum<105 tragen, u. a.: Karl Riedel106, Edu-ard Meyen107, Karl Nauwerck108, Ludwig Buhl109 und Friedrich Engels110. Wann Stir-ner111 zu diesem Kreis stößt, ist unbekannt, mit Engels verband ihn eine Duz-freundschaft. Von den älteren Berliner Hegelschülern, die engere Beziehungen zuden Junghegelianern haben, sind Eduard Gans112 und Karl Ludwig Michelet113 zunennen. - Zwischen Berlin und dem Rheinland bestehen enge Verbindungen nichtnur durch die Wohnortswechsel von Bauer, Marx und Rutenberg, sondern auch,weil die »Athenenser« zu regelmäßigen Mitarbeitern der >Rheinischen Zeitung<(RhZ) werden.

In Königsberg114 lehrt der Freund Ruges und Althegelianer Karl Rosenkranz115.Zu den Königsberger Junghegelianem gehören Rudolf GottschaU116, WilhelmJordan117, August Witt118, Karl Reinhold Jachmann119 und Eduard Flottwell120, dersowohl engen Kontakt zu Berlin wie zum Rheinland besitzt.

Ein wichtiges >Zentrum< für Gruppenverdichtungen wie für den Umschlag vonSchriften und Ideen ist das Ausland gewesen: insbesondere die Orte Zürich121,Paris122 und Brüssel123. Herwegh124und Venedey125 gehören mit zu den Emigranten,die für die Junghegelianer Bedeutung gewinnen, bevor einige von ihnen selbstExilerfahrungen machen müssen.

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Neben der regionalen Gliederung sind für das Entstehen von Teilgruppen Spal-tungsprozesse maßgebend. Sie lassen sich am ehesten in Berlin verfolgen. In denJahren 1843-1846 existieren, wenn man die kärglichen Quellenhinweise heranziehtund die entsprechenden theoretischen Positionen berücksichtigt, in Berlin dreiGruppenkerne, wobei Doppelnennungen die Überlappungen zeigen:- Eirr Gruppenkern um Rutenberg, Nauwerck, Meyen, der Positionen eines sozial-

kritisch getönten republikanischen Radikalismus vertritt;126

- ein zweiter Gruppenkern um Buhl, Stirner, Jordan, Meyen, Köppen undE. Bauer, der einen parteikritischen antiautoritären Radikalismus vertritt;127

- ein dritter Gruppenkern, der sich um die von B. Bauer herausgegebene >Allge-meine Literaturzeitung< (ALZ) und die >Norddeutschen Blätter< (NB) kristalli-siert und dem neben B. Bauer u. a. Ernst Jungnitz128 Julius Taucher129, Szeliga130,E. Bauer und Karl Schmidt131 angehören. Diese Junghegelianer können mit der>reinen Kritik< in Verbindung gebracht werden. Kontakte bestehen zu der seitBeginn der 40er Jahre in Köthen existierenden >Kellergesellschaft<132. (Erwähntsei, daß dieser Gruppenzusammenhang mit einer Leipziger Dependance umGustav Julius133 in Verbindung gebracht wird.)Regionale Differenzen und Gruppenspaltungen dürfen nicht darüber hinweg-

täuschen, daß es sich bei der junghegelianischen Gruppenbildung um ein kohären-tes Phänomen handelt. Der gemeinsame Ausgangspunkt ist theoretisch dieHegel-sche Philosophie134 und sozial die Hegelsche Schule135. Der Junghegelianismus istnicht einfach eine geistige Strömung, deren Ränder zerfließen, sondern einbegrenzter Gruppenzusammenhang. Zu den Junghegelianern werden in dieserArbeit diejenigen gerechnet, die ausgehend von der Spaltung der Hegelschule sichin einem eigenständigen Gruppenzusammenhang konstituieren, indem sie ihreAusdeutung der Hegelschen Philosophie nicht als einzelne denkerische Initiativen,sondern als einen neuen Diskussionsrahmen setzen. Wer in diesen Kreis eintritt,muß sich gleichsam auf den Boden der junghegelianischen Hegelinterpretationstellen. Das Zentrum dieser Interpretation ist die Erweiterung der philosophischenReflexion um die Frage nach der Verwirklichung der Philosophie.

Der Begriff >ideologische Gruppe< soll hier nicht verwendet werden, da er inerster Linie an modernen Erscheinungen: wie z. B. den ideologischen Eliten oderan parteipolitischen Fraktionierungen orientiert ist.136 Zwar wird man sagen kön-nen, daß in den junghegelianischen Gruppenspaltungen das moderne Phänomenideologischer Gruppen sich auftut, daß es sich, so gesehen, um protoideologischeGruppen handelt, aber eher zutreffend ist der Begriff der >kulturellen Gruppe<.Denn die Gruppenmitglieder vertreten nicht nur divergierende >Ideologien<, viel-mehr besteht gerade das >Wir< der Gruppe darin, daß sie im Medium der Spracheund des Dialogs ihre Intentionen aneinander bilden und korrigieren. Dies tun sieim Bewußtsein, mit der Hegeischen Philosophie zugleich das kulturelle Erbe desAbendlandes anzutreten. Dies kann man ihnen natürlich streitig machen, aber dazumuß man das tun, was sie auch getan haben: in einer kulturellen Gruppe diskutie-

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3. Methodologisch-theoretische Fragen

a) Bemerkungen zur Gruppensoziologie

Ein für den Soziologen meist untrügliches Merkmal von Übergangszeit ist die Kon-junktur von Gruppen. Dies gilt für den Vormärz ebenso wie für die Gegenwart. InZeiten spürbareren sozialen Wandels - mag er sich nun mehr im sozialstrukturellenoder im normativ-kulturellen Bereich vollziehen - machen die Individuen in ver-mehrtem Maße Gebrauch von ihrer Fähigkeit, über die gegebenen sozialen Ver-flechtungen hinaus Gruppen zu bilden. So hat auch das Wort >Gruppe< in denSozialwissenschaften in den letzten Jahren eine modische Konjunktur erfahren, diees erforderlich macht, den Begriff >Gruppe< präziser zu definieren.137 Der offen-sichtliche Nachteil des Begriffs >Gruppe< ist, daß er nahezu ubiquitär zu verwendenist. Aber diese mißliche Unscharfe, verweist sie nicht auf Verunsicherungen, denendas Denken über Gesellschaft ebenso wie die soziale Selbstverortung der Indivi-duen ausgesetzt ist? Von Gruppen zu reden, dies signalisiert zwar ein Gesellschaft-liches, aber weniger mit der Schwerkraft, die Begriffe wie etwa >Klasse< oder »Insti-tution mit sich führen, als vielmehr mit einer Art zukunftsgerichteter Tönung, diemehr auf die Möglichkeit von Gesellschaft sich richtet. >Gruppe< ist im doppeltenSinn ein leichtsinniger Begriff. Er zielt mehr auf die Kreation von sozialen Bezie-hungen, als auf >angestammte< soziale Bindungen.

Um dem Begriff der sozialen Gruppe einen präzisen Sinn zu geben, ist es nichtsinnvoll, ihn als bloßes Substitut für scheinbar >unpassende< andere Begriffe zu nut-zen. Wenn in dieser Arbeit von einer Intellektuellengruppe die Rede ist, so ist damitder Begriff der Intelligenzschicht nicht einfach aufgelöst, denn nur dort, wo sozialeBeziehungen zwischen Intellektuellen existieren, kann überlegt werden, ob es sichum eine Gruppe handelt.138 Viele Mitglieder der Intelligenzschicht sind eben nichtzugleich Mitglieder in Intellektuellengruppen. Auch reicht das Bestehen von sozia-len Beziehungen nicht aus, um von einer Intellektuellengruppe zu reden. So trittzwar jeder Autor, der etwas publiziert, in eine soziale Beziehung zu seinen Kolle-gen, die seine Leser sein könnten. Dennoch wäre es verfehlt, diese eine Gruppenbe-ziehung zu nennen. Soziale Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern sind nocheinmal von besonderer Art.

J. P. Sartre hat in der Gruppe eine Negation des Kollektivs gesehen.139 Kollek-tive Ansammlungen, die in oder um gegenständliche Substrate wie Fabriken, Stra-ßen, Wohnkomplexe, Fernsehempfänger usw. anzutreffen sind, stellen Pluralitä-ten dar, zwischen denen der Beziehungstyp der Serie anzutreffen ist. Zwischen deneinzelnen einer Serie bestehen auch soziale Beziehungen, seien es funktionelleArbeitsteilungen oder seien es identische Interessen (etwa einen Film in einem ganzbestimmten Lokal sehen zu wollen), aber diese Beziehungen werden durch »Alteri-tätsverhaltensweisen« hergestellt, d. h. jeder ist für jeden nur der Andere, mit demich mich um einen kollektiven Gegenstand vereinigt finde.140

Die Serialitätsstruktur ist der grundlegende Typ des Sozialen. Sie ist es, die vonder Gruppe negiert wird, aber zugleich ist die Gruppe auch Rückabsorptionsten-denzen der Serialität ausgesetzt, denen sie als sterbende Gruppe noch vor ihrem

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Sartre hat als entscheidende Verbindung der Glieder der Serie die Ohnmachtherausgestellt. Weil jeder für jeden der Serie ein nur Anderer ist, ist die Handlung,auch wenn sie das Gefüge der Serie verändert, doch immer nur eine isolierte Hand-lung.142 Erst in der Negation der Serie, d. h. in dem Moment, in dem die Vermitt-lungen durch Gegenstände und die Alterität der Beziehungen übersprungen wer-den, entsteht eine Gruppe. In ihr habe ich mich ebenso wie der vormals bloßAndere in einen Dritten verwandelt. In der Negation der Serialität konstituiert sichdie Gruppe als eine Beziehung von Dritten. Jeder ist der Dritte, ich sehe nicht denAnderen zur Gruppe kommen, »ich sehe mich in ihm zur Gruppe kommen, (. . .).In der fusionierenden Gruppe ist der Dritte meine verinnerte Objektivität. Ich fassesie in ihm nicht als Andere auf, sondern als die meine.«143

Sartres Gruppe von Dritten entspricht der Sache nach dem, was gemeinhin das>Wir< der Gruppe genannt wird, wobei Sartres Begrifflichkeit deutlich macht, daßerst durch einen Sprung, durch eine markante Verrückung des wahrgenommenenRealitätsfeldes eine Gruppe sich konstituiert. Sartres Insistieren auf dem Akt derNegation verweist auf eine Philosophie der Freiheit, die nur schwer vom Gruppen-begriff zu trennen ist. Zufallsgemeinschaften oder Zwangsverbände sind nicht not-wendigerweise soziale Gruppen, sie können es werden, wenn sie aus der wie auchimmer gelagerten Not ihres Zusammenseins eine wie auch immer geartete Tugendmachen.

Mit der Verrückung des Realitätsfeldes entsteht zugleich eine Zeitdimension, inder die Gruppe sich bewegen wird. Bloß situative Koalitionen, die nur aufblitzen,um gleich wieder in die Serialität zurückzufallen, sind keine sozialen Gruppen.Andererseits können sich, der Erfahrung nach, Gruppen nur dann dauerhaft ver-stetigen, wenn sie Züge von Institutionen annehmen, d. h. langsam in die Serialitäteingehen. Viele Religionsgemeinschaften sind aus Gruppen hervorgegangen undzu Institutionen geworden. Die Zeitdimension von sozialen Gruppen ist begrenzt,sei es durch eine Auflösung in Form des Verschwindens oder in Form vermehrterInstitutionalisierung. Wo eine mittlere Zeitdauer, die zwischen situativer Koalitionund Institutionalisierung liegt, vorhanden ist, kann von sozialen Gruppen gespro-chen werden.

Ebenso sinnvoll wie die Begrenzung des Begriffs Gruppe in zeitlicher Hinsichtist die quantitative Begrenzung. Bei einer Anzahl von drei bis ca. fünfundzwanzigIndividuen wird man von einer >kleinen Gruppe< sprechen. Handelt es sich umZusammenhänge größerer Art, etwa von fünfundzwanzig bis hundert Individuen,so muß von einer >großen Gruppe< gesprochen werden. Wo in noch größerenDimensionen von Gruppe gesprochen wird, verliert der Begriff zunehmend seinePräzision bzw. muß stark formalisiert werden, um eine Abgrenzung zu Verband,Anstalt, Gemeinde etc. zu ermöglichen. Am ehesten könnte man von Gruppenver-bänden sprechen, die ihre Verbindung über Delegation, aufgestockte Vertretergre-mien, Führungsstäbe etc. herstellen, wenn es um Größenordnungen von500-l.000Personen geht.144

Sowohl was den Zeitraum wie, was den Umfang angeht - der Begriff der sozialenGruppe kann nur dort sinnvoll verwandt werden, wo es sich um Zwischengrößenhandelt, die durch andere Begriffe nicht abgedeckt werden. Daß ein beträchtlicherRest von Vagheit dem Gruppenbegriff anhaftet, steht außer Frage, aber ich sehe

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hierin keinen Mangel. Denn es sind ja nicht zuletzt die unsicheren Fragen: Wannkönnen wir uns eine Gruppe nennen? Wie lange werden wir zusammenhalten?Was wird, wenn wir zusammenschrumpfen oder uns vergrößern?, die Gruppenbeschäftigen. Diese Vagheiten definitorisch einfach tilgen zu wollen, könnte zurFolge haben, sich Erkenntniszugänge zum Phänomen sozialer Gruppen zu ver-bauen.

Wenn im Begriff der sozialen Gruppe immer auch der Gedanke an ein auf Auto-nomie gerichtetes Streben mitschwingt, so ist zugleich daran zu erinnern, daß sichdie Gruppe, die die Serialität negiert, zugleich in einem spezifischen Spannungsfeldvon Autonomie und Zwang bewegt.

Dies übersieht Ciaessens, wenn er in seiner Gruppentheorie einseitig die Zwängeherausstellt, denen sich die Gruppenmitglieder nicht entziehen können, wie etwa:

»1. den Zwang zur Selbstdarstellung - für jedes einzelne Mitglied; 2. denZwang, den anderen - eben in dessen Selbstdarstellung - registrieren zu müssen;3. den Zwang zur Bildung eines Binnemelbstverständnisses der gesamten Gruppe;und 4. den Zwang zur Außendarstellung der Gruppe gegenüber der >Umwelt<«.143

Betrachtet man diesen Katalog, so fällt auf, daß sich die genannten Zwänge ebenso-sehr als Potentialitäten reformulieren lassen. Als eine besondere Möglichkeit zurSelbstdarstellung, die anderswo nicht gegeben ist, als Chance, den anderen mehrregistrieren zu können als gewöhnlich etc.

Weder eine Fundamentalisierung des Aspekts gesellschaftlicher Zwangsläufig-keit noch eine Verklärung des gemeinsamen Konstitutionsaktes führt in der Dis-kussion um eine Theorie der Gruppe weiter. Das Mysterium von Gruppenprozes-sen liegt in gleichsam infinitesimalen Differenzbewegungen, die jedes Gruppenmit-glied vollzieht, Differenzbewegungen, mit denen das >Hier in der Gruppe< als vonanderen Lebensbereichen unterschieden bewertet wird. Jedes Gruppenmitglieddifferenziert fortlaufend zwischen dem, was als serielle Verstreuung erscheint, unddem, was als >Wir< der Gruppe gilt.

Diese Differenzbewegungen verlaufen nicht synchron, und sie sind aller Grup-pen-Programmatik zum Trotz nicht synchronisierbar. Meine Unterscheidung vonSerialität und >Wir< wird - abgesehen vielleicht von euphorischen, >heißen< Grup-penzuständen, die ihrer Natur nach nur sehr kurz sind - in der Regel nicht mit derUnterscheidung von Serialität und >Wir< zusammenfallen, die du machst. Dieunterschiedlichen Differenzbewegungen, die in letzter Instanz verschiedenen Ant-worten, die wir geben, trennen uns jedoch nicht - wie man auf den ersten Blickannehmen könnte - vielmehr verbinden sie uns. Ob wir uns nach außen darstellenmüssen oder wollen, ob meine oder deine Selbstdarstellung in der Gruppe demDruck oder der Freiheit geschuldet ist - die verschiedenen Antworten, die wir ein-ander geben oder vor einander zurückhalten, verbinden uns, weil sie nicht zusam-menfallen.

In jeder Situation kann jedem die >Tugend<, die er als Gruppenmitglied wünschtund will, zur Last werden, deren Zwangscharakter er sich doch entziehen wollte.Weil die Spaltung mehr oder weniger jeden betrifft, hält die Gruppe zusammen.Erst wenn eine wechselseitige Sicherheit entsteht, im Verhalten des Anderen nurnoch serielle Betriebsamkeit, einen Verrat an den Zielen, ein ungeschichtlichesFesthalten am Mythos der Gruppe oder ein Erkalten des Interesses zu sehen,

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schwindet die Bindekraft des Gruppenzusammenhangs. Alle diese negativen Ele-mente sind als Differenzbewegungen immer schon in der Gruppe vorhanden.Solange aber Unsicherheit darüber besteht, wo sich diese Differenzen festmachenlassen, lebt die Gruppe. Wenn dagegen die Gruppe sich einig geworden ist, wiesich Zwang und Autonomie genau verteilen, gibt es nichts mehr zu sagen. Diegemeinsamen Ziele vereinzeln sich. Entweder einzelne verlassen die Gruppe, oderdie Gruppe implodiert, oder sie spaltet sich in Brudergruppen, die neue Kohären-zen ausbilden. Austritte, Auflösungen und Spaltungen gehören ebenso mit zumGruppengeschehen wie ihre Kontinuitäten. Oft scheint in diesen Prozessen dasauf, was die Gruppe zusammengehalten hat. Wo ein sozialer Zusammenhalt >sang-und klanglos< verschwindet, hat es sich wahrscheinlich kaum um eine sozialeGruppe gehandelt.

b) Interaktionistischer und diskursanalytischer Zugang

Die Junghegelianer sind eine diskutierende Gruppe. Die Debatte, der theoretischeStreit, der Austausch von Argumenten ist das Lebenselement dieser Gruppe. Wieaber läßt sich ein soziologischer Zugang zu dem auf den ersten Blick einfachen Phä-nomen einer diskutierenden Gruppe finden?

Die Zugangsweise, der zunächst nachzugehen ist, beginnt mit der Frage, inwie-weit das, was einer in der Gruppe sagt, abhängig ist, von dem, was andere zuvorgesagt haben. Offensichtlich handelt es sich bei Diskussionen um Interaktionenvon Individuen, deren Meinungen, Anschauungen, Ideen aus der sozialen Interak-tion entspringen und in ihr abgeändert werden.

Meine Frage hat nicht allein einen Grund in mir, sondern ebenso einen Grundim anderen, den ich frage. Meine Antwort bezieht sich zwar auf die Frage des ande-ren, aber ebenso antworte ich mir selbst, indem ich die Frage des anderen meinemGrund zuführe. Reziprok gehe ich davon aus, daß es sich beim anderen ebenso ver-hält. Seine wie meine Auffassungen entspringen aus unserer Interaktion, bzw. dieAuffassungen, die jeder von uns mitbringt, sind in der Vergangenheit aus im Kernverwandten Interaktionen mit anderen entsprungen. Für den interaktionistischenZugang entspringt die Bedeutung, die ein Gegenstand gewinnt, nicht aus der>Natur der Sache< und auch nicht aus den der Sache zuströmenden Affekten, son-dern eben aus der sozialen Interaktion.146

So plausibel dieser Zugang ist, es bleibt zu überlegen, auf welches Problem erantwortet. Die interaktionistische Betrachtungsweise antwortet in spezifischerWeise auf die im Hintergrund jeder Analyse von Diskussion - insbesondere natür-lich bei intellektuellen Debatten - liegende Frage nach dem Wahrheitsgehalt derAussagen, die gemacht werden.147 Wo die Bedeutung, die ein Gegenstand gewinnt,nicht von der >Natur der Sache< herrührt, und diese auch nicht mehr eine richtendeFunktion haben soll, wie dies in der klassischen Formel veritas est adaequatio intel-lectus ad rem mitgegeben ist, ist der interaktionistische Analytiker zunächst entla-stet. Er hat die philosophische Wahrheitsfrage ausgeklammert, ohne in einen ufer-losen Irrationalismus zu verfallen, denn ebenso wie die >Natur der Sache< sind dieder Sache zuströmenden Affekte in ihrer bedeutungskonstituierenden Rollezurückgedrängt. Pointiert gesprochen, markiert der interaktionistische Zugang

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zwischen philosophischem Problem und psychologischem Problem eine Art sozia-les Territorium, von dem her gedacht wird.

Aber dies ist nicht nur eine Frage der Disziplinen. Man könnte auch daran den-ken, daß der interaktionistische Zugang auf bestimmte Gefährdungen des Dialogssich bezieht, wenn er sich so abgrenzt. Denn eine Gefährdung des Dialogs wäre es,wenn eine privilegierte Instanz mitspräche, deren Privileg es wäre, das >letzte Wort<zu haben. Die Instanz >Natur der Sache< hätte, würde sie anerkannt, dies Privileg.Auf der anderen Seite wäre der Dialog gefährdet, wenn ich in der Hauptsacheannehmen müßte, die Bedeutungen, die mein Gesprächspartner Gegenständengibt, resultierten aus einer im Kern unauflösbaren fetischistischen Liebe, die erihnen entgegenbringt, einem Strom von Affekten, der mir den Eindruck vermit-telte, über diese oder jene Gegenstände läßt er weder mit mir noch mit sich reden.

Der interaktionistische Zugang zum Phänomen einer diskutierenden Gruppehat dort seine Stärke, wo es darum geht, den Blick auf den Austausch von Auffas-sungen und Ideen zu richten. In diesem Austausch, der der Logik von Frage undAntwort folgt, leistet jeder Diskutierende etwas für die Aussagen des anderen, under zehrt von den Beiträgen anderer. Seine Ideen sind nicht allein individual-schöp-ferisch seine Ideen, sie sind zwar individuell profiliert, aber zugleich Übernahmen,Entwendungen, Ausfüllungen und Verwerfungen der Ideen anderer. Reziprok giltdies für alle, die die Kommunikationsgemeinschaft bilden.

Für die Junghegelianer eignet sich ein interaktionistischer Zugang deshalb, weildie Entwicklung der Auffassungen eines jeden so sehr mit der Diskussion in derGruppe verflochten ist, daß eine isolierende Betrachtungsweise kaum möglich ist.Diesen Sachverhalt hat der Historiker G. Mayer schon früh bemerkt, als er von derAufgabe sprach, »das geistige Eigentum der führenden Berliner Junghegelianerdeutlicher als es bisher möglich war, abzugrenzen. Das sich überstürzende Tempo,in dem die Selbstauflösung der spekulativen Philosophie sich schließlich vollzog,auch der enge persönliche Verkehr der wichtigsten Vertreter, den man als eineständige gegenseitige Beeinflussung auslegen kann, macht diese Arbeit zu einerungemein schwierigen«.148

In den etwa sieben Jahren intensiver Diskussion hat jeder Junghegelianer inAbhängigkeit vom kollektiven Diskussionsprozeß seine Auffassungen bisweilen imRhythmus eines Jahres oder weniger Monate tiefgreifend verändert, er hat sie nichteinfach gradlinig ausgebaut, sondern korrigiert und teilweise verworfen. Die Argu-mente finden sich von einem Stadium der Diskussion zum anderen neu verteilt wie-der. Die Gruppenmitglieder reagieren ständig aufeinander; ihre Schriften bildenein Netzwerk von Aufnahme und Kritik, Gegenkritik und Anspielung.

Angesichts dieses kontinuierlichen Prozesses von gegenseitiger Beeinflussungmuß gefragt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Aufgabe zu stellen, das gei-stige Eigentum< der einzelnen gegeneinander abzugrenzen. Sh. Na'aman hat in sei-ner Heß-Biographie ausgehend von einem speziellen Fall, bei dem die Frage des>geistigen Eigentums< von Marx bzw. Heß ungeklärt ist, grundsätzlich daraufhin-gewiesen, daß »das heikle Problem der >Beeinflussung<, des >Plagiats< und desintellektuellen Eigentums (. . .) bei der Arbeitsweise dieser gegenüber der Umweltabgekapselten intellektuellen Gruppe methodisch nicht am Platze ist: was in sol-

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chen Kreisen ausgedacht wird, wird in nicht endenwollenden Diskussionen verar-beitet, tags in Arbeitskammern und nachts in der Kneipe. Wer zusammengehörte,benutzte die gleiche Terminologie, an der die >Partei< gleich kenntlich wurde, undinnerhalb der >Partei< - die Fraktion (oder Clique, wenn man so will)«.149 Geradeder interaktionistische Zugang eröffnet die Möglichkeit, die Gruppendiskussionals einen Austauschprozeß zu begreifen, bei dem das soziale Moment von aus derInteraktion entstehenden Gruppenvorstellungen gegenüber der isolierenden, aufdie Kohärenz eines Theoretikers bezogenen ideengeschichtlichen Betrachtungs-weise hervorgehoben wird.

Dennoch reicht der interaktionistische Zugang allein nicht aus. Er konstituiertzwar eine soziale Perspektive des Tausches, die geeignet ist, die philosophischeoder psychologische Fixierung von Bedeutung zu verflüssigen, aber diese Perspek-tive - bei all der Wertschätzung, die sie dem Dialogischen entgegenbringt - läuftGefahr, einen bestimmten Typ von Gefährdung des Dialogs zu übersehen. Fürdiese Perspektive wäre ein adäquates Verständnis von Diskussion erreicht, wenn esgelänge, die beiden bedrohlichen Gestalten: das >letzte Wort< der Sache selbst unddie Verweigerung der Kommunikation, die nicht von fetischistischer Obsessionablassen will, an den Rand zu drängen. Wie aber, wenn diese beiden Gefahrenblind machten für eine dritte, die nicht von den Peripherien her droht, sonderngleichsam im Innern von Diskussion auftaucht?

Ich möchte diese Gefahr die sophistische nennen und einen zweiten soziologi-schen Zugang um sie gruppieren. Es kann mir in der Diskussion geschehen, daß inirgendeiner Weise die Beziehung zwischen meiner Intention und meiner Aussagebrüchig wird, oder daß ich eine Antwort gebe, die zwar der Forderung auszutau-schen gehorcht, aber quasi eine >leere< Antwort ist. Ebenso kann ich die Beiträgeanderer als bloß Gesagtes, aber nicht Gemeintes oder als >leeres Gerede< erfahren.

Im Sinne des Interaktionismus könnte man zwar von verzerrter oder mißglückterInteraktion reden, bei der die Reziprozitäten gestört sind. Aber warum findet >leeresGerede< statt? Offenbar gibt es in Diskussionen nicht nur das Problem, daß Inten-tionen zum Ausdruck gebracht werden, verzerrt oder nicht verzerrt, sondern auchdas Problem, daß geredet werden muß, daß einfach eine Rede da ist, die fortgesetztwird. Dieses Selbstzweckhafte der Rede macht das sophistische Problem aus.150

In die Richtung eines drohenden Sophismus geht die klassische Frage: »Und aufwelche Weise willst Du denn dasjenige suchen, Sokrates, wovon du überhaupt garnicht weißt, was es ist? Denn als welches Besondere von allem, was du nicht weißt,willst du es dir denn vorlegen oder suchen? Oder wenn du es auch so gut träfest,wie willst du denn erkennen, daß es dieses ist, was du nicht wußtest?«151 In dieserFrage scheint die Möglichkeit eines >leeren Geredes< auf. Die Rede gewinnt hiereinen selbständigen Ereignischarakter. Durchtrennt sind die Bindungen zwischenIntention und Handlung, sie sind in doppelter Weise durchtrennt. Eine Differen-zierung, die A. Schütz gemacht hat, aufgreifend, könnte gesagt werden: wedermein »Um-zu-Motiv« noch mein »Weil-Motiv« gelangen in der sophistischen Redezum Ausdruck.152 Sophistische Rede ist prinzipiell möglich, weil sich Gesagtesnicht auf die Intention beschränken läßt, sondern Sprache mit jedem Wort zu>abwegigen< Assoziationen ebenso wie zu Pseudologik einlädt.

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Gadamer hat daraufhingewiesen, daß bei Piaton im Menon der 2itierte Einwand»bezeichnender Weise nicht durch eine überlegene argumentative Auflösung über-wunden (wird), sondern durch die Berufung auf den Mythos der Präexistenz derSeele.«153 Nicht logisch, sondern mythisch wird der drohende Sophismus außerKraft gesetzt. Im Medium des argumentativen Sprechens könnte ein Sophismus zuweiteren Sophismen Anlaß geben. Ein Wort gibt das andere. Eine wirksameBegrenzung des sophistischen Geredes ist interaktionistisch schwer vorstellbar.Um dieser Gefahr Herr zu werden, ist ein zweiter Zugang erforderlich.

M. Foucault hat die These aufgestellt, »daß in jeder Gesellschaft die Produktiondes Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird -und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und dieGefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu ban-nen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.«154 Weil in jederSituation von Diskussion die sophistische Gefahr lauert, ist zu fragen, welche sozia-len Arrangements vorliegen, um der latenten Tendenz sich verselbständigenderRede zu begegnen. Es darf nicht überall alles gesagt werden, es gibt soziale Regeln,die die Diskussion begrenzen. Solche Regeln lassen sich typisieren. Foucault nenntdrei große Formen der Ausschließung: Das Verbot, das sich auf das Reden überbestimmte Dinge oder das Rederecht bestimmter Personen bezieht, die Entgegen-setzung von Vernunft und Wahnsinn, mit der ein bestimmter Typ von Rede zu»sinnlosem Geräusch« wird, und schließlich eine dritte Form der Ausschließung,die in modernen Gesellschaften die beiden ersten zunehmend verdrängt: der Willezur Wahrheit. Diese Form hat sich historisch früh um die Bewältigung der sophisti-schen Gefahr erstmals im Griechenland des 5. Jahrhunderts gebildet und zahlrei-che Transformationen erfahren.

Die Verbannung der Rede um der Rede willen, die Ermächtigung der Rede,dievom Willen zur Wahrheit geleitet ist, diese Grenzziehung ist rein diskursiv nicht zuerreichen, sie erfolgt vielmehr in Medien sozialer Macht. Die Ausscheidung dersophistischen Gefahr bedarf institutioneller Merkmale, die den Grund derDiskus-sion festlegen.

Nur auf ihre Rede gestützt, hätten die Diskussionsteilnehmer nur wenig in derHand, um >leeres Gerede< zu bannen. Wenn ein Teilnehmer das Wort ergreift, umder bedrohlichen Verselbständigung der Debatte zu begegnen, so wird er dieGruppe daran erinnern, wozu sie zusammengekommen sind, was ihre Aufgabe ist.Er wird auf die Existenzbedingungen der Gruppe zu sprechen kommen, mögen sienun in selbstgesetzten sozialen Normen oder verordneten Aufgabengebieten lie-gen. Er wird versuchen, die Debatte auf ihren Grund zurückzuführen. DieserGrund ist etwas, das nicht zur Disposition steht. Andernfalls ginge man in vierHimmelsrichtungen auseinander.

Der Wille zur Wahrheit ist sozial nicht freischwebend, er wirkt erst in sozial defi-nierten Zusammenhängen, deren Definitionen - in doppeltem Sinne von Begren-zung und Eindeutigkeit - das Maß dafür abgeben, was dem Willen zur Wahrheitfolgt und was nicht. »Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außendie Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskur-siven >Polizei< gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß«.155

Um die diskursanalytische Perspektive von Foucault läßt sich insofern ein sozio-49

logischer Zugang gruppieren, als hier auf den Aspekt sozialer Macht Bezug genom-men wird, einer sozialen Macht, die nicht am Vermögen des einzelnen festhaftet,sondern die immer zugleich mit den Anerkennungsbewegungen gegeben ist, dieIndividuen für ihr gemeinsames Dasein vollziehen.

Für die Junghegelianer ist dieser zweite diskursanalytische Zugang von gleich-wertiger Bedeutung wie der interaktionistische. Auch diese Gruppe definiert dasentscheidende Feld, in dem allein der Wille zur Wahrheit als legitimer sich zeigenkann. Von besonderer Bedeutung ist nun, daß die Junghegelianer im Prozeß derDiskussion den kollektiven Grund ihrer Existenz verändert haben. Die Junghege-lianer definieren sich zunächst als eine philosophische Schule. Aber sie wollenzugleich etwas anderes werden, nämlich eine politische Partei. Sie versuchen, ihresoziale Definition gleichsam umzubauen, indem sie den Willen zur Wahrheit nichtmehr nur in dem philosophischen Gespräch verorten, sondern ihn erst im Feldeparteipolitischer Praxis aufblühen sehen. In den Zwischenräumen des Übergangsvon der philosophischen Schule zur politischen Partei tut sich für sie jedoch einedritte Möglichkeit der sozialen Definition auf: sie entdecken sich als eine Gruppejournalistischer Boheme. Schließlich sind ihre Debatten auch noch von einer viertensozialen Definition durchzogen, die ihnen teils zugemutet wird und die sie teils alsein inneres Band akzeptieren. Was sie von anderen unterscheidet ist das Band, dassie als eine atheistische Sekte umschließt.

Alle vier Definitionen lösen teils einander ab, teils überlagern sie sich, teils wer-den Kreisbewegungen vollzogen. In den Übergängen und Doppeldefinitionen des-sen, was der soziale Sinn ihrer Gruppe ist, bricht immer wieder die sophistischeGefahr durch, und sie kann nur gebändigt werden durch eine angestrengte undsichernde Debatte über das, was der Grund der Gruppe sein soll. Am Ende derjunghegelianischen Debatte werden schließlich Zeitgenossen, die nicht mehr wis-sen, womit sie es bei den Junghegelianern zu tun haben, auf die Idee kommen, daßin ihnen »moderne Sophisten« auferstanden sind.156

c) Zum Problem heterologer Zugänge

Beide Zugangsweisen, die in dieser Arbeit erprobt werden, die interaktionistischeund die diskursanalytische, sind theoretisch kaum zu vereinheitlichen. Sieht man inden Zugangsweisen nur die methodische Seite, so könnte wie selbstverständlich aufdie Notwendigkeit eines Methodenpluralismus verwiesen werden, ohne den keinGegenstand von hinreichender Komplexität zu bearbeiten ist. Beide Zugangswei-sen enthalten jedoch darüber hinaus grundlegende Perspektivierungen, die verfüg-bar zu machen leichter gesagt als getan ist. Es handelt sich um Perspektivierungen,die jede für sich und heterolog zueinander das Soziale der Diskussion mit Blick aufein mögliches Fundament bestimmen.

Der interaktionistische Zugang rückt die kommunikative Seite der Situation desAustausches ins Zentrum. Was sich dem Austausch entzieht, gefährdet die Kom-munikation. Es kann gezeigt werden, wie bestimmte Theoreme im kommunikati-ven Austausch verwandelt werden, wie die Logik des Gesprächs, die Annahme undAbwehr von Begründungen zu neuen Definitionen führen. Die Analyse des sozia-

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len Interaktionsprozesses der Gruppe kann Resultate aufweisen, die eine isolierteBetrachtung denkerischer Leistungen nur schwer in den Blick bekommt.

Auch das >Wir< der Gruppe steht nicht außerhalb der Debatte. Die Begrenzun-gen des Diskurses werden thematisiert: die Begrenzungen des philosophischenDiskurses, in dem nur gesprochen, nicht praktisch gehandelt wird, die Begrenzun-gen des politischen Diskurses, der vor_: Realisierbaren her seine Schranken erfährt,die Begrenzungen der Diskurse subkultureller Boheme, deren Breitenwirkung inZweifel steht, und die Begrenzung des religiösen Diskurses, dessen Dogmatismenden freien Tausch der Argumente behindern.

Der interaktionistische Zugang kommt methodisch dem Phänomen einer kollek-tiven Selbstreflexion, die das Gesagte fortlaufend hinterfragt, entgegen. In diesemZugang spricht sich das Ideal aus, daß Wahrheit nur dort erzeugt werden kann, woSetzungen erkannt, Begrenzungen reflexiv überschritten, stumme Herrschaft derKommunikation unterworfen wird.157

Heterolog dazu steht der diskursanalytische Zugang. Er rückt eine andere Erfah-rung ins Zentrum: In jeder Kommunikation muß auch mit der Angst vor einer sichausbreitenden Geschwätzigkeit umgegangen werden. Das Soziale von Kommuni-kation zeigt sich nicht in der Unendlichkeit der Worte, die gewechselt werden. Esgeht nicht darum, Sprachlosigkeiten zur Sprache zu bringen, sondern die Unbere-chenbarkeit der Rede fortlaufend zu kontrollieren. Das Soziale, das sich konstitu-iert, wenn zusammen geredet wird, ist die gemeinsame Anstrengung, den Ereigni-scharakter von Rede zu bewältigen, ihre Überschüsse zu vernichten, ihren Mangelzu ertragen, ihre Unendlichkeit abzuschließen.

Zugespitzt formuliert: der interaktionistische Zugang folgt einem Ideal, dasgegen das sich verstockende Schweigen, in welcher Form es auch auftritt, gerichtetist. Es gibt hier immer ein Zuviel von dem, was erst noch gesagt, gefragt, ins Spieldes Austausches gebracht werden muß. Der diskursanalytische Zugang folgt einemIdeal, das gegen die Inflation der Worte gerichtet ist. Es gibt hier immer ein Zuvielan Gerede, Berge von Sprachmüll, Assoziationsabfälle und pseudologische Ruinen,die nie vollständig beseitigt werden können, weil sie fortlaufend wieder anfallen.

Beide Zugänge greifen Erfahrungsmomente auf, wie sie in Situationen von Dis-kussionen spontan entstehen. Im Alltag von Diskussionen in Gruppen - das kannreflektierte Selbsterfahrung und Gruppenbeobachtung zeigen - liegen beideErfahrungen dicht beieinander, etwa als Erfahrung, daß etwas nicht zur Sprachekommt oder daß etwas zerredet wird. Auf eine methodische und theoretischeEbene lassen sich die Durchmischungen des Alltags jedoch nur schwer projizieren,weil methodisch-theoretische Reflexion programmatisch von einer geordneten,homogenen Struktur des intellektuellen Bewußtseins ausgehen muß. Theorie kannsich die Ungenauigkeiten des Alltags nicht leisten. Sie muß trennen, ausklammern,ebenso wie konstruieren, Verbindungen herstellen, die auf einen kohärenten Sinnverweisen. Der der Wirklichkeit abgerungene kohärente Sinn ist notorisch radikal,er drängt auf Entweder-Oder-Entscheidungen. Faule Kompromisse sind Sündenwider den theoretischen Geist.

Als bloße methodische Varianten gefaßt ließen sich beide Zugangsweisen harm-los verbinden. Wie aber müßte eine theoretische Struktur beschaffen sein, in derdie Gegensätzlichkeit beider Positionen ausgehalten und durchgeführt werden

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könnte, eine theoretische Struktur, die den fatalen Hang zum Fundamentalenzugleich großzügig anerkennt und jene Fallen vermeidet, in die jede Fundamentali-sierung gerät? - Heterologie nennt Georges Bataille ein Denken, das sich auf dasrichtet, was theoretische Systeme ausscheiden, um sich zu beruhigen.158 An Batail-les Heterologie wäre ebenso anzuschließen wie an ein Theorem von Siegfried Kra-cauer: Wo bewußt geworden ist, daß theoretische Kohärenzen einen Hang zurAusschließlichkeit haben, muß das >Entweder-oder< durch ein >Seite an Seite<ersetzt werden.159

Was sich der Maler Raffael geleistet hat, Anliegen differenter Philosophien Seitean Seite zu stellen, darf sich auch Theorie leisten. Der Bezug, in dem zwei hetero-loge Ansätze zueinander stehen, muß Kracauer zufolge »theoretisch undefinier-bar« gehalten werden. Er plädiert für einen »Halt auf halber Strecke«, der sich diehastige Herabsetzung der je heterologen Position versagt und versagen muß, weilin letzter Instanz nicht auf die homogene Struktur des intellektuellen Universumsvertraut werden darf. »Bei Annahme dieser Einsicht ist der Boden für eine theoreti-sche Bestätigung der namenlosen Möglichkeiten bereitet, von denen anzunehmenist, daß sie in den Zwischenräumen der vorhandenen Lehren hoher Allgemeinheitexistieren und auf Anerkennung warten.«160

4. Forschungen zum Junghegelianismus

Der bei weitem größte Teil der vorliegenden Forschungen zum Junghegelianismusbezieht sich auf deren weitreichende theoriegeschichtliche Bedeutung. Saß hat aufeiner Tagung anläßlich des 100. Todestages von Ludwig Feuerbach für die junghe-gelianischen Debatten der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts die These aufge-stellt: »alle Spielarten überhaupt möglicher kritischer Theorie, alle Spielarten vonAnarchismus und Existentialismus sind ja doch einfach in Berlin durchgespieltworden, und alles, was später kam - um jetzt meinerseits eine These zu überspitzen-: alles, was später kam, sind Neuauflagen: Adorno, Marcuse, Habermas und Hei-degger; sie sind nicht nur historisch später, sie sind auch weniger originell, zugege-ben in manchem gründlicher, im Grundsätzlichen schon lange durchgespielt injenen Jahren in den zwei, drei Stammlokalen, die man in Berlin hatte.«161 Die Theseist zugegeben überspitzt, aber schon ein kurzer Überblick über einige der Wirkun-gen junghegelianischer Debatten mag das kaum abzuschätzende Ausmaß von Tra-ditionssträngen verdeutlichen, das von diesen Gruppenzusammenhängen ausge-gangen ist. (Eine ausführliche Darstellung der Forschungssituation zu einzelnenJunghegelianern würde die Arbeit sprengen, ich versuche im folgenden, in denAnmerkungen einige orientierende Hinweise zu geben und verweise im übrigen aufdas Literaturverzeichnis.)

Zunächst ist an die bekanntesten Junghegelianer Marx und Engels zu denken.Innerhalb der junghegelianischen Debatten bilden sie die zentralen theoretischenElemente ihrer gesellschaftstheoretischen und ökonomiekritischen Auffassungenaus. Der Junghegelianismus ist so seit langem zu einem festen Bestandteil der Lite-ratur über Marx und Engels geworden.162 Unverkennbar ist dabei in vielen Arbei-

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ten aber auch das Bestreben, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus ausdem Kontext der Junghegelianer herauszulösen, um ihre singuläre Stiftungsfunk-tion hervorzuheben.163 Die orthodox marxistische Literatur folgt bei der Darstel-lung der Genese der Marxschen Auffassungen zumeist der Marx-EngelsschenSelbstinterpretation ihrer junghegelianischen Phase. Den Junghegelianern wirdhier eine temporäre Bedeutung im Zusammenhang der Auflösung des Hegelianis-mus und der politischen Radikalisierung im Vormärz zugewiesen. Ihre Auffassun-gen kommen unter der Perspektive der Marx-Engelsschen Polemiken zur Sprache,und diese nachvollziehend, werden ihre Positionen als mehr oder weniger ideolo-gisch beurteilt. Ohne eine Ernstnahme der theoretischen Alternativen der junghe-gelianischen Mitstreiter von Marx und Engels ist jedoch ein fundiertes Marxver-ständnis kaum zu erreichen.

Im Zusammenhang der Krise des Marxismus, die von K. Korsch bereits 1931treffend analysiert wurde,164 sind jene Tendenzen zu sehen, die zu einer vermehrtenBeschäftigung mit Sozialismus- und Anarchismuskonzeptionen geführt haben, dievon der traditionellen deutschen Sozialdemokratie und dem Marxismus-Leninis-mus ausgegrenzt wurden. Auch hier weisen die Spuren zurück in die junghegeliani-schen Debatten: mit Michail Bakunin165 hat der europäische Anarchismus hiereinen seiner Ausgangspunkte, und der Junghegelianer Moses Heß166 gilt heute nichtnur als einer der Begründer des Sozialismus in Deutschland; die >Philosophie derTat<, die er und andere Junghegelianer entwickelten, verweist ebenso wie die früh-sozialistischen Theorien gerade auf jene subjektiv-aktiven Dimensionen von Eman-zipationstheorie, die der orthodoxe ökonomistische Diskurs erstickt.167

In der Geschichte der politischen Parteien in Deutschland haben die Junghege-lianer ihren festen Platz erhalten, weil von ihnen erste Ansätze einer Theorie derPartei ausgingen. Darüber hinaus verbindet sich mit den Junghegelianern ArnoldRugel6S und dem ihm zur Seite stellenden, kaum bekannten Karl Nauwerck169 dieKontroverse, ob es vor 1848 ein Programm und organisatorische Ansätze einerdemokratischen Partei gegeben hat, die gegenüber dem Liberalismus des Vormärzeine Eigenständigkeit besaß und somit beanspruchen kann, zu den Anfängen derdeutschen demokratischen Bewegung gerechnet zu werden.170

Kontrovers bis in die Gegenwart hinein ist auch die Bedeutung, die dem Junghe-gelianer Ludwig Feuerbach171 zugemessen werden muß. Hat er sich durch seine reli-gionskritische Transformation von Religion in Politik, wie Rohrmoser meint, »zueinem Kirchenvater des 20. Jahrhunderts« qualifiziert?172 Oder kann Feuerbachs»Wesen des Christentums« der modernen Theologie als Rettungsanker dienen?Oder ist mit Feuerbachs Politisierung der Sinnlichkeit eine Korrektur an Marx vor-zunehmen, wie A. Schmidt vorschlägt, eine Korrektur, die zu einer »neuen Anthro-pologie« führt, wie sie H. Marcuse in Umrissen entwickelt hat?173 Nicht nur die»neue Sensibilität« der Studentenrevolte der 60er Jahre, auch die vermehrte Refle-xion auf die Folgen der Beherrschung innerer und äußerer Natur, wie sie in sog.neuen sozialen Bewegungen offenkundig ist, kommuniziert mit zentralen Motivender Feuerbachschen »Philosophie der Zukunft«.

Weitaus verdeckter dagegen ist die komplexe Wirkungsgeschichte des Junghe-gelianers Max Stirner174. Seine Renaissance um die Jahrhundertwende standzunächst im Zeichen der Mackayschen Rubrizierung Stirners als »Individualanar-

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chisten«. Aber Stirners Bedeutung reicht weit darüber hinaus. Er hat vor Nietzscheeinen Typ radikaler Vernunftkritik entfaltet, der Anschlüsse nach verschiedenenRichtungen ermöglichte. Seine Konzeption des »Einzigen« hat nicht nur Nietzschebeeinflußt, sondern auch den europäischen Existentialismus und die moderneSprachphilosophie.

Trotz wichtiger Arbeiten, die in den letzten Jahren erschienen sind, steht dieErforschung des monumentalen Werks des Junghegelianers Bruno Bauer115 erst amAnfang. Ein Zeitgenosse wie der Hegelschüler und polnische Graf August vonGeszkowski176, dessen geschichtsphilosophisches Hauptwerk kürzlich der philoso-phischen Diskussion wieder zugänglich gemacht wurde, urteilte bereits 1842 überBruno Bauer: »Wenn man sagen wollte, daß Bruno Bauer keine bedeutende wis-senschaftliche Erscheinung sei, so hieße dies eben so viel, als wenn man behauptete,die Reformation wäre kein bedeutendes Ereignis gewesen. Dies ist aber keine Fragemehr; er leuchtet bereits auf dem Horizont der Wissenschaft, ihn zu verdunkeln istnicht mehr möglich, es kommt vielmehr jetzt darauf an, den Lauf dieses neuenKometen zu lernen und zu berechnen.«177 Es ist wohl der irritierende Lauf diesesKometen gewesen, der der Forschung nur schwer zu übersteigende Probleme auf-gab. Daß Bauer in seiner Entwicklung mehrfach die politischen Fronten des19. Jahrhunderts gewechselt hat und dennoch behauptete, immer derselbe zu seinund zu bleiben, hat ihn bis heute weitgehend inkommensurabel gemacht.

Im folgenden möchte ich auf die Forschungen eingehen, die sich über dieBeschäftigung mit einem Junghegelianer hinausgehend mit dem Gesamtkomplexdes Junghegelianismus bzw. größerer Ausschnitte befassen. Ich gehe hierbei chro-nologisch vor, um damit auch deutlich zu machen, wann der Gesamtkomplex desJunghegelianismus und unter welchen Fragestellungen er thematisch geworden ist.

Noch mit zur junghegelianischen Selbstreflexion gehören zwei Darstellungender Entwicklung der Gruppe aus der Zeit vor 1848: Karl Schmidts »Das Verstan-destum und Individuum« (1846)178 und B. Bauers »Vollständige Geschichte derPartheikämpfe in Deutschland während der Jahre 1842-1846« (1847). Gemeinsamist ihnen die Geste des Abrechnens mit der Gruppengeschichte. Aber die Figur desBruches mit der Gruppenvergangenheit hat in der Gruppe ihre eigene Geschichte.So stehen diese beiden Darstellungen gleichsam auf der Schneide von Abrechnungund Fortführung. Den Junghegelianismus als ein Phänomen, auf das zurückge-blickt werden kann, gibt es erst nach dem Jahr 1848, das für die Zeitgenossen einenheute kaum nachzuvollziehenden Bruch im Zeitbewußtsein darstellt. Nach 1848 ist- überspitzt formuliert - alles das diskreditiert, was vorher Geltung hatte.179 In derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten die vormärzlichen Debatten rasch inVergessenheit, um erst um die Jahrhundertwende wieder in die Erinnerung zurück-zukehren. Um so wichtiger ist es, auf die Texte hinzuweisen, die in den 50er und60er Jahren erschienen und die auch für die heutige Forschung noch wichtigeInformationen enthalten.

Am bekanntesten ist die Darstellung von J. E. Erdmann (1866), die für die Erfor-schung des Zersetzungsprozesses der Hegeischen Schule unentbehrlich ist. Erd-mann sah sich selbst angesichts der allgemeinen Hegelmüdigkeit als einen »letztenMohikaner«, und er muß den Leser gleichsam in eine andere Welt versetzen, um

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ihm deutlich zu machen, wie sehr die Frage nach dem Verhältnis von Glauben undWissen dreißig Jahre zuvor interessiert hat.180

Manchmal angeführt wird die anonyme Darstellung »Die deutsche Philosophieseit Hegels Tod« (1851), die von der Schwierigkeit spricht, »in dem kurzen Raumvon zwei Jahrzehnten, mitten in dem Tumult kämpfender Parteien, bei demZusammensturz alter und der pomphaften Ankündigung neuer Systeme, bei demphilosophischen Sprachengewirr, in das sich noch die politischen und religiösenTagesparolen mischen, den wesentlichen Gang der Entwicklung festzuhalten undeiner so kurz abgegrenzten Epoche ein bestimmtes, charakteristisches Geprägeaufzudrücken.« - Hinter dem Anonymus verbirgt sich - wie ich hier erstmals mit-teilen kann - der Junghegelianer Rudolf Gottschall.181 Eingegangen ist diese Dar-stellung in erweiterter Form in seine Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts(1854)182 Dieses Werk ist von der Forschung kaum zur Kenntnis genommen wor-den, ebenso wie das Parallelunternehmen von Julian Schmidt, der sich in seinerLiteraturgeschichte (21855) ausführlich mit dem »philosophischen Radikalismus«auseinandersetzt.183 Weder bei Erdmann und Gottschall, noch bei J. Schmidt fin-det eine positive Würdigung des Junghegelianismus statt. Die Katastrophe von1848 wirkt nach in ihren Urteilen über die gescheiterten Emanzipationsversuche.Dafür bieten diese Arbeiten aufgrund der Vertrautheit der Autoren mit den Debat-ten der 40er Jahre viele Hinweise, die anderswo nicht zu finden sind.

Der Junghegelianismus als ein bedeutendes Gesamtphänomen kommt erst wie-der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Blick. Zu nennen sind in erster Linie dieklassischen Arbeiten von G. Mayer184 Nicht der philosophische Aspekt steht beiihm und anderen im Zentrum, sondern die politische Frage nach den Quellen desSozialismus und der Demokratie und nach der Entstehung von Parteien. Diese Pro-blemstellung setzt sich bis in die 20er Jahre fort.185

Eine Renaissance der philosophischen Problematik des Junghegelianismus setztEnde der 20er Jahre ein. Nicht mehr die Kontinuitäten der Weltanschauungspar-teien des 19. Jahrhunderts werden diskutiert, nicht mehr die parteiprogrammisti-schen Differenzen von Sozialismus, Liberalismus, Anarchismus werden im Junghe-gelianismus entdeckt, vielmehr stehen sie für eine im Inneren des 19. Jahrhundertsaufgebrochene Krise, die den Status der aus der christlichen Tradition hervorge-gangenen Philosophie zweifelhaft werden läßt.186 Unter dem Eindruck der faschi-stischen Bewegung und der Stalinisierung der Sowjetunion wird der philosophi-sche Horizont des 19. Jahrhunderts, die Geschlossenheit der altbürgerlichenWelt,ein zunehmend verblassender Orientierungspunkt, für den ein Ersatz nicht bereitsteht. 1939 schreibt K. Löwith: »Wer von uns könnte leugnen, daß wir noch durch-aus von diesem Jahrhundert leben und eben darum Renans Frage - es ist auch dieFrage von Burckhardt, Nietzsche und Tolstoi - verstehen: >de quoi vivra-t-on apresnous?«<187 Löwiths Antwort ist die entschiedene Resignation. Zwischen Hegel undNietzsche markiert Löwith in den junghegelianischen Debatten einen geistesge-schichtlichen revolutionären Bruch, der auf die Problematik des 20. Jahrhundertsverweist: sich nicht mehr selbstgewiß in einer historischen Kontinuität zu wissen.Löwiths Arbeiten zum Junghegelianismus sind für die heutige Junghegelianerfor-schung nicht mehr wegzudenken.

Zu denjenigen, die in den junghegelianischen Debatten einen Startpunkt für die

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modernen politischen und philosophischen Auseinandersetzungen gesehen haben,gehört auch Carl Schmitt. Er schreibt 1947: »Wer die Tiefen des europäischenGedankenganges von 1830-48 kennt, ist auf das meiste vorbereitet, was heute inder ganzen Welt laut wird. Das Trümmerfeld der Selbstzersetzung deutscher Theo-logie und idealistischer Philosophie hat sich seit 1848 in ein Kraftfeld theognoni-scher und kosmognonischer Ansätze verwandelt. Was heute explodiert, wurde vor1848 präpariert. Das Feuer, das heute brennt, wurde damals gelegt. Es gibt gewisseUran-Bergwerke der Geistesgeschichte. Dazu gehören die Vorsokratiker, einigeKirchenväter und auch einige Schriften aus der Zeit vor 1848. Der arme Max gehörtdurchaus dazu.«188

Nach dem zweiten Weltkrieg konzentrieren sich die Forschungen im Bereich desJunghegelianismus zunächst auf die überfällige Rezeption der Marxschen Früh-schriften. Darüber hinaus interessieren religionsphilosophische189 und politisch-publizistische Fragestellungen.190 Erst zu Beginn der 60er Jahre setzt eine, gemes-sen an der vorhergehenden Forschungslage intensivere Auseinandersetzung mitdem Gesamtkomplex des Junghegelianismus ein, die bis heute andauert.

Hervorzuheben sind die Arbeiten von Hans Martin Saß, Jürgen Gebhardt undHorst Stuke aus dem Jahre 1963.191 Charakteristisch ist, daß die JunghegelianerMarx und Engels teils ausgeklammert (Gebhardt, Stuke), teils gleichberechtigtneben die anderen Hegelschüler gestellt werden (Saß). Zentrierend ist der Zusam-menhang der Hegelschule und damit der Bezug der Hegelschüler zur HegeischenPhilosophie.

Nicht von den prominenten Ausgängen des Junghegelianismus, sondern vonHegels Religionsphilosophie her entfaltet Saß das Spektrum der philosophischenKonsequenzen, die die einzelnen Hegelschüler gezogen haben. Während sich fürSaß die hegelianischen Positionen am Problem der Säkularisation ausdifferenzie-ren192, sieht Gebhardt in der Hegelschule eine sich verdichtende Politisierung reli-gionsphilosophischer, insbesondere eschatologischer Vorstellungen am Werk, eineSektenmentalität, die auf die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts ver-weise. 193 Bei Saß stehen die Junghegelianer für eine Entwicklung, in der die religiös-methaphysische Entfremdung überwunden werden soll in der Erfüllung mensch-lich-säkularer Ziele, bei Gebhardt stehen sie für die sich ausbreitende neue gnosti-sche Weltreligion im Sinne Voegelins194, die als Heilsbringer der Massen für dieKatastrophen des 20. Jahrhunderts verantwortlich zu machen sei.

Stuke unternimmt den Versuch, die junghegelianische »Philosophie der Tat« alseinen eigenständigen geistesgeschichtlichen Vorgang darzustellen. Auch für ihntritt der messianische Charakter der junghegelianischen Tatphilosophie deutlichhervor, aber sein Urteil differiert wesentlich von dem Gebhardts und bleibt pro-duktiv offen. Stuke plaziert die Junghegelianer gleichsam zwischen der HegeischenVersöhnungsphilosophie, in der die klassische Bestimmung der Philosophie quatheoria erneuert wird, und der Marxschen radikalen Verendlichung in der Kritikder politischen Ökonomie, die der Philosophie ihre Selbständigkeit aberkennt.195

Mit den Arbeiten von Saß, Gebhardt und Stuke ist ein theoriegeschichtlicher Pro-blemhorizont abgesteckt, der einerseits auf die Hegeische Philosophie und ande-rerseits auf Fragen verweist, die, von Löwith und Voegelin in unterschiedlicherWeise aufgeworfen, sich auf die Wirkungen eschatologischer Spekulation für das

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moderne Politik- und Geschichtsverständnis beziehen und zugleich das Problemder Säkularisation ins Zentrum setzen.

Für die Auseinandersetzung mit dem Junghegelianismus im angelsächsischenRaum stehen die Arbeiten von David McLellan (1969/1974) und William Brazill(1970). Beide sehen im Junghegelianismus Denkansätze, die für sich genommenvon Bedeutung sind.196 Während McLellan die wichtigsten Junghegelianer gleich-sam um Marx gruppiert, um neben ihrer Eigenständigkeit zugleich ihren Einflußauf Marx zu charakterisieren, verzichtet Brazill auf eine Einbeziehung Marxens. Eraffirmiert die These von der überragenden geistesgeschichtlichen Bedeutung derJunghegelianer, die mehr ihrem produktiven Dissens als ihrer Übereinstimmung zuverdanken sei, und verweist auf die Kreativität dieser Gruppe, deren Leistung darinbestanden hätte, daß sie auf je verschiedene Art den Übergang »from Christianityto philosophy« experimentiert hätten.197

In den 70er Jahren hat sich die Forschung zum Junghegelianismus kontinuierlichweiterentwickelt. Es erschienen nicht nur wichtige Arbeiten zu einzelnen Junghe-gelianern,198 auch der junghegelianische Gesamtkomplex wurde von verschiede-nen Disziplinen her untersucht. In den Arbeiten von Kurt Röttgers, Johann Maderund Rudolf Ruzicka wurde die Beschäftigung mit der philosophie- und theoriege-schichtlichen Problematik des Junghegelianismus fortgesetzt. Röttgers widmetetwa die Hälfte seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung zum Begriff der >Kri-tik< Hegel und der Hegeischen Schule.200 Mader reflektiert die verschiedenenVarianten im Junghegelianismus, der Theorie unter dem Verwirklichungsdesiderateinen neuen Status zuzuweisen.201 Ruzicka bezieht die junghegelianischen Ideolo-giebegriffe auf die Hegeische >Phänomenologie des Geistes< zurück und zeigt, wiemit dem Verlust der Dialektik zugleich die Aporien eines Panideologismus entste-hen.202

Aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich sind die Arbeiten von Udo Köster(1972) und Claus Richter (1978) hervorzuheben. Unter dem Eindruck des gewach-senen literaturwissenschaftlichen Interesses an Autoren des Vormärz203 untersu-chen beide die Junghegelianer im Zusammenhang mit den Dichtern des JungenDeutschland. Köster legt den Schwerpunkt auf den politischen Gehalt der jung-deutschen Anti-Literatur und der junghegelianischen Publizistik, wobei er auf denletztendlichen Abstand hinweist, den diese Intellektuellen zu den Problemen derökonomischen und sozialen Krise ihrer Zeit hatten.204 Richter untersucht denZusammenhang von jungdeutschem Emanzipationspathos und dem >Realismus<der nachmärzlichen Zeit. Er zeigt, daß die Junghegelianer in ihrer Kritik an denJungdeutschen bereits wesentliche Programmpunkte der nachrevolutionären Rea-listen vorwegnehmen.205

Im historisch-politikwissenschaftlichen Bereich hat Peter Wende206 die Mayer -sche Fragestellung nach der frühen demokratischen Bewegung im Vormärz erneutaufgeworfen und die programmatische Eigenständigkeit eines demokratischenRadikalismus, zu dem er die Junghegelianer Rüge und Nauwerck zählt, herausgear-beitet. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Beziehungen der Junghege-lianer zu den französischen Sozialisten hat Charles Rihs (1978) vorgelegt. Er analy-siert die spannungsreichen Begegnungen, die zwischen deutschen und französi-schen Intellektuellen in den 30er und 40er Jahren stattgefunden haben. Auf den

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Kreis der Berliner Junghegelianer konzentriert sich die Arbeit von Robert J. Hell-mann (1977). Er sieht Max Stirner im Mittelpunkt einer sozial randständigen,bohemeartigen Intellektuellengruppe, die sich, umstellt von der offiziellen Gesell-schaft, einem blasphemischen Kritizismus hingibt. Hellmann versucht, die BerlinerJunghegelianer ein Stück weit aus dem Dunstkreis von Skandalgeschichten heraus-zuholen, der die Hippeischen Weinkneipen-Intellektuellen in der Literaturumgibt. Für Ingrid Pepperle gehören diese Intellektuellen kaum noch zum Junghe-gelianismus.207 Sie setzt die Auflösung der junghegelianischen Bewegung um dieJahreswende 1842/43 an, d. h. mit der Trennung Marxens von dieser Gruppe. Sounhaltbar und durchsichtig diese Periodisierung ist, es muß hervorgehoben wer-den, daß Pepperles Arbeit einen wichtigen Ansatz für die Rehabilitation des Jung-hegelianismus in der wissenschaftlichen Diskussion in der DDR darstellt.208

Der weit überwiegende Teil der neueren Forschung zum Junghegelianismus hatsich auf die theoriegeschichtlichen Impulse konzentriert, die von diesen Denkernausgegangen sind.209 R. Bubner hat zurecht daraufhingewiesen, daß - so folgerich-tig auch der Marxsche Ausgang aus den junghegelianischen Debatten sein mag - esdie Geschichte der Marxschen Lehre und ihrer Prognosen waren, die »die ver-meintlich erledigten Denker nach Hegel wieder zu Ehren«210 kommen ließen.

In diese Problemlage fügt sich auch der Versuch von J. Habermas (1985). Ergeht von einem Veralten des marxistischen Produktionsparadigmas aus undbestimmt die junghegelianische Hegelinterpretation als zentralen Startpunkt fürden philosophischen Diskurs der Moderne:

»Wir verharren bis heute in der Bewußtseinslage, die die Junghegelianer, indem sie sich vonHegel und der Philosophie überhaupt distanzierten, herbeigeführt haben. Seit damals sindauch jene auftrumpfenden Gesten wechselseitiger Überbietung in Umlauf, mit denen wiruns gerne über die Tatsache hinwegsetzen, daß wir Zeitgenossen der Junghegelianer geblie-ben sind.«2"

Habermas geht davon aus, die Junghegelianer hätten von Hegel das Problem dergeschichtlichen Selbstvergewisserung der Moderne übernommen und damit zweiGegner herausgefordert: 1. die rechtshegelianische »Partei der Beharrung«, die erim »neukonservativen« Abschied von der Moderne, z. B. bei Gehlen, Ritter undLuhmann sich fortsetzen sieht, und 2. die an Nietzsche anschließende »Partei derJungkonservativen«, deren »anarchistischen« Abschied von der Moderne er beiAutoren wie Heidegger und Bataille und bei den von ihm als »Neostrukturalisten«etikettierten Konkurrenten Derrida und Foucault zu erkennen glaubt.

So übersichtlich dieses philosophische Dreiparteiensystem auch dargestellt ist,seiner ganzen Anlage nach dürfte es einer Überprüfung kaum standhalten. Haber-mas reduziert - wie in der marxistischen Junghegelianerinterpretation üblich - denJunghegelianismus auf Konzepte, die sich auf die Marxsche Theorie hin beschrei-ben lassen. Im Vergleich zu Löwiths differenzierter Analyse ist dies schon ein Rück-schritt. Nach dieser Reduktion kann er in Nietzsche erstmals den Auftakt für eineVernunftkritik festmachen, die zum »Jungkonservatismus« führe. Habermas igno-riert nicht nur die etatistischen, sozialdisziplinären Elemente in junghegelianischenKonzepten, die näher bei den sog. Rechtshegelianern liegen, als es seine Konstruk-tion zuläßt; er ignoriert auch, daß mit Stirner einige Jahrzehnte vor Nietzsche ver-

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nunftkritische Positionen formuliert waren, aus deren Aufnahme und Abwehr her-aus Marx und Engels allererst zur Ausformulierung des historischen Materialismuskamen. Gegenüber der irrigen These, daß vernunftkritische Positionen erstmals alsReaktion auf marxistische Positionen aufgetreten seien, muß daran festgehaltenwerden, daß die Marxsche Theorie selbst erst in der Reaktion auf die vorgängigeVernunftkritik Stirners ihre spezifische Kontur gewonnen hat.212

Was die Zeit der Junghegelianer der unsrigen näher bringt, ist neben allen gei-stesgeschichtlichen Entwicklungen, die von ihnen zu uns reichen, die Erfahrung, ineiner Zeit des Übergangs zu leben, in der sich neue Definitionen, Zugänge undLösungen erst bilden. In Übergangssituationen stoßen sich die nachdenkendenIndividuen an der Weisheit geschlossener Konstruktionen. Es gibt kaum einenAnsatz, der befriedigt, die Probleme wachsen schneller als die Lösungen, und der»Zeitdruck«213 nimmt zu. Lernprozesse, Umorientierungen, Verwerfungen vonInteressen und Entwürfe neuer Ideale - all dies vollzieht sich mit einer größerenIntensität und Geschwindigkeit.

Eine Erforschung des Junghegelianismus heute brächte jedoch wenig Ertrag,wenn sie blind die Schlachten der Vergangenheit nachspielte. Sie erfolgt in einerZeit, in der die Leitbegriffe des 19. Jahrhunderts, wie >Fortschritt< und >Reaktion<zunehmend unscharf werden, in der die vertrauten Adjektive >frei<, >human<,>sozial<, die auf den Fahnen von Bauer, Feuerbach und Heß standen, sich im Laby-rinth der Sachzwänge verlaufen und in der der Massenatheismus ebenso konstatiertwird wie die Umrisse neuartiger Religiosität. Sie erfolgt schließlich in einer Zeit, diezwar Übergangszeit ist, aber doch andere Erfahrungsgehalte ins Zentrum setzt. Aufdie Fragen, die uns mit der Technisierung und Ästhetisierung unserer Lebensweltgestellt sind, geben uns die Junghegelianer keine Antworten. Ihre Erforschung alsBeitrag zu einer Ethnologie des 19. Jahrhunderts kann jedoch helfen, daß wir ler-nen, - wo nötig - heiter von unserer Vergangenheit zu scheiden.

Anmerkungen

1 A. von Martin (1972) S. 378.2 P. Valery (1965) S. 50, vgl. auch Valerys Beschreibung des Paris der Intellektuellen: »Es

schien mir, als führen wir einer Wolke schwirrender Worte entgegen. Tausend aufstei-gende Ruhmesbahnen, tausend Büchertitel pro Sekunde erschienen und verloren sichunsichtbar in diesem wachsenden Nebelfleck. Ich wußte nicht, ob ich dieses unsinnigeTreiben sah oder hörte. Es gab da Schriften, die schrien, Wörter, die Menschen, undMenschen, die Namen waren . . . Kein Ort auf Erden, dachte ich, wo so viel Sprachewäre, wo diese stärkeren Widerhall, weniger Zurückhaltung hätte als in diesem Paris, woLiteratur, Wissenschaft, Künste und Politik eines großen Landes eifersüchtig konzen-triert werden. (. . .) Reden, wiederholen, widersprechen, weissagen, schmähreden . . .alle diese Verben zusammen enthielten abgekürzt für mich das Gesumm dieses Wortpa-radieses.« (Ebd. S. 44) Aus der Literatur über Valery und das Problem der Intellektuali-tät sei in dieser Arbeit auf die Schriften von K. Löwith hingewiesen, denn es darf vermu-tet werden, daß seine Durchquerung der junghegelianischen »Wortparadiese« mit sei-nem Interesse für Valery in einem Zusammenhang steht: K. Löwith (1970); ders., (1971).

3 K. Mannheim (1964) S. 378.

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4 Vgl. hierzu die frühen kontroversen Diskussionen um die Mannheimsche Wissenssozio-logie, dokumentiert in: V. Meja und N. Stehr (1982) und K. Lenk (1964) S. 52 ff. u. a.Einen hilfreichen problemgeschichtlichen Aufriß hat N. Abercrombie (1980) vorgelegt.Abercrombie weist darauf hin: »However, the problem is not merely to show that certainbeliefs are associated with certain social classes, it is also to explain why one particular setof beliefs, rather than any other, goes together with a particular social class.« (Ebd. S. 9,vgl. auch S. 173) Zu gegenwärtigen Problemen der Klassentheorie vgl. W. Eßbach(1986).

5 Th. Geiger (1962) S. 441.6 F. H. Tenbruck (1976) S. 51.7 O. Negt, A. Kluge (1981) S.1221.8 Ebd. S. 1220.9 Ebd. S. 796. Vgl. zur neueren Diskussion M. Ewert (1982).

10 H. Plessner (1985) S. 68.11 Alfred Schütz to Eric Voegelin (November 1952), in: PJ. Opitz, G. Sebba(1981)S. 437;

A. Schütz (1981) S. 313: »Im täglichen Leben über den Mitmenschen nachdenkend,nehme ich ihm gegenüber gleichsam eine sozialwissenschaftliche Haltung ein. Wissen-schaft betreibend bin ich noch immer Mensch unter Menschen, ja es gehört geradezu zumWesen der Wissenschaft, daß sie Wissenschaft nicht nur für mich, sondern für jedermannsei. Und weiter setzt Wissenschaft bereits einen bestimmten Rückbezug meiner Erfah-rungen auf die Erfahrungen einer Erkenntnisgemeinschaft voraus, auf die Erfahrungenanderer alter egos, welche gleich (!) mir, mit mir und für mich Wissenschaft betreiben.«Der Wissenschaftler unter Menschen ist mehr >ungleich<, der Wissenschaftler unter Wis-senschaftlern muß sich angleichen. Trotz aller Überschneidungen bleibt eine winzige Dif-ferenz.

12 Vgl. A. v. Martin (1932) S. 58 f.; A. Hauser (1957) S. 362.13 K. Garber (1983) S. 32.14 K. Mannheim S. 454. Kritisch dazu: A. Neusüss (1968).15 Bildnachweis: J. H. Beck (1981) S. 107. Zur Interpretation der >Schule von Athen< ver-

danke ich wichtige Hinweise: L. M. Batkin (1981) S. 483-491.16 K. Mannheim (1964) S. 379 und 378.17 L. Batkin (1981) S. 86.18 Ebd.19 Vgl. hierzu F. Hartmann, R. Vierhaus (1977); J. Voss (1980); K. Garber (1983) S. 36;

O. Dann (1976); R. Vierhaus (1980). Von den älteren Arbeiten sei auf die bekannten Pio-nierstudien R. Koselleck (1959); J. Habermas (1965) hingewiesen.

20 Ch. P. Ludz (1976) hat darauf hingewiesen, daß der »Zusammenhang von Ideologie,Intelligenz und Organisation historisch in einer bestimmten Phase, nämlich der des Vor-märz, sich selbst immer stärker und in mannigfaltigen Ausprägungen herauszukristallisie-ren beginnt.« (Edb. S. 124) Ludz untersucht drei Intellektuellengruppen, die er gemäßeines funktionalistisch inspirierten Ideologiebegriffs »ideologische Gruppen« nennt:Fichtes >Bund der freien Männer<, den >Bund der Geächtetem und die >Rechts- undLinkshegelianer<. Leitende Fragestellung ist bei Ludz, inwieweit soziale Integration bzw.Desintegration in die Gesellschaft intentional-utopisches Denken befördert oder nicht.Ludz' Ansatz stellt im Bereich wissenssoziologischer Forschung insofern einen wichtigenFortschritt dar, als er für die Intelligenz die Frage der Gruppenbildung (bei ihm als Orga-nisation begriffen) ins Zentrum rückt. Allerdings beschränkt sich seine Analyse auf denBegriff der ideologischen (intentionalen) Gruppe (Edb. S. 88 ff.), der sicherlich, was dieParteigenese betrifft, von zentraler Bedeutung ist, aber nicht das gesamte von den Jung-hegelianern gegebene Spektrum von Gruppendefinitionen abdeckt.

21 M.Weber (1964) S. 14.

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22 Vgl. R. Vierhaus (1973) S. 72.23 Vgl. in diesem Zusammenhang: W. J. Mommsen (1981).24 J. Schumpeter (1946) S. 235 ff. Vgl. auch das Urteil über den »Intellektuellenstand(es),

der nichts kann wie diskutieren und seine Bedeutung lediglich dem Umstände verdankt,daß er die Arbeit der Welt zu stören vermag«. Ders. (1952) S. 509.

25 Th. Geiger (1949) S. 12 f, 19. Vgl. in diesem Zusammenhang auch D. Bering (1978).26 H. Schelsky (1977) S. 142.27 M. Foucault (1978) S. 47.28 Bildnachweis: Ruge bei den Berliner »Freien«, in: MEW Bd. 27, gegenüber S. 400.29 Zu den schwäbischen Junghegelianern im Kontext übergreifender Gruppenzusammen-

hänge vgl.: W. Brazill (1970) bes . S. 97 ff , 156 ff u.a.; H. Fischer (1916); F. W. Graf(1978). Eine wichtige Orientierung über die schwäbischen Junghegelianer gibt H. Harris(1975). Im Zusammenhang dieser Arbeit sei auf die Angaben zu E. Zeller (Ebd. S. 55 ff.)und A. Schwegler (Ebd. S. 78 f f . ) h ingewiesen. Zu F. T. Vischer vg l . : H. Glockner(1931); F. Schlawe(1959).Aus der umfangreichen Literatur zu D. F. Strauß seien hervorgehoben: A. Hausrath(1876/78); J. F. Sandberger (1972); H. Horton (1973); F. W. Graf (1982 a). Die Arbeitvon Graf enthält eine umfangreiche Strauß-Bibliographie.

30 Zu den Schweizer Junghegelianern vgl.: W. Marr, Das junge Deutschland in der Schweiz,184 6 ; ( H. Ge iz e r ) , D ie ge he ime n Ve rb indu nge n in de r Sch we iz , 18 47 ; A . B eck er ,Geschichte des religiösen und atheistischen Frühsozialismus, 1932. Siehe auch die ein-schlägigen Dokumente bei: A. Kowalski , Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zumKommunismus, 1967. Zur Situation in der Schweiz: vgl.: E. Schraepler (1972) bes. S. 40-

. 126. Vgl. auch Anm. 121.31 H. Spiegelberg (1953) S. 237.32 H. G. Gadamer (1965) S. 288 f.33 H. Spiegelberg (1964) S. 11.34 Königsberger Zeitung Nr. 138 v. 17. 6. 1842, zit. nach: R. Prutz, Zehn Jahre, 1856, Bd. 2,

S. 100-102. Die Berliner Korrespondenz wurde auch in der RhZ Nr. 176 v. 25. 6. 1842abgedruckt, allerdings ohne den Hinweis: »die Parteien müßten sich jetzt bestimmt grup-pieren«.

35 B. Bauer, Parteikämpfe, 1847, Bd. 1, S. 138.36 anonym, Zwei Vota über das Zerwürfnis zwischen Kirche und Wissenschaft, in: DJ 1842

S. 34. Das zweite anonyme Votum ist mit »Ein Philosoph« unterzeichnet. Es wurde auf-merksam regis tr ier t von: (I . H. Fichte) , Die philosophische Litera tur der Gegenwart .5. Artikel, in: ZPsP T (1842) H. 1, S. 144. Ebenso von: (L. Buhl), Die Not der Kirche,1842, S. 9.

37 R. Prutz vermutet, die Initiatoren seien durch die heftige Pressereaktion zum Aufgebenihres Vorhabens gebracht worden (R. Prutz, Zehn Jahre, Bd. 2, S. 102). G. Mayer denktan einen taktischen Rückzieher (G. Mayer, (1913) S. 56 f. und 108.) R. J. Hellmann siehtdie Quelle der Nachricht in einem abendlichen Kneipenulk der Berliner Junghegelianer(R.J. Hellmann, (1977) S. 112 f.).

38 M. Stirner, Kleinere Schriften, 1976, S. 130. Die Korrespondenz, auf die Stirner Bezugnimmt, erschien in der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< Nr. 184v.3. 7. 1842. Das »Glau-bensbekenn tn is« , das im »Frankfur te r Journa l« zue r s t e r sch ien , wurde in der RhZNr. 192 v. 11. 7. 1842 abgedruckt. Zum Dementi vgl. M. Stirner, Kl Sehr, S. 149.

39 G. Schuster, (1906) Bd. 2, S. 261.40 A. Rüge an K. Marx, 7. 8 . 1842, in : MEGA I . Abt . Bd. 1 , 2 S . 279. Zu Olshausen und

»Philalethen« vgl.: (Theodor Olshausen), Denkschrift des Vereins der Wahrheitsfreundeoder Philalethen, Kiel 1830.

41 R. Prutz, Zehn Jahre, Bd. 2, S. 103.

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42 Th. Fontane nennt »Sieben Weise aus dem Hippelschen Keller«: B. Bauer, E. Bauer,L. Buhl, M. Stirner, Leutnant Saint-Paul, Leutnant Techow, J. Faucher (Th. Fontane,Von Zwanzig bis Dreißig, 21898 S. 52-61). Bei J. H. Mackay bestehen die »Freien« aus15 Personen des »inneren Ringes«, einem »weiteren Kreis von ca. 30 Personen und ca. 20zeitweiligen Besuchern, (J. H. Mackay (1914) S. 55.ff.). Bis in neuere Arbeiten ist unklar,wer zu den »Freien« gehört. R. J. Hellmann orientiert sich an der Gelegenheitsskizze desjungen Engels (vgl. diese Arbeit, S. 23, R. J. Hellmann, (1977) S. 98 ff.). Ohne Angabevon Belegen weiß I. Pepperle, daß die »Freien« sich seit Ende 1841 (!) »Freie« nannten,und rechnet alle Berliner Junghegelianer dazu (I. Pepperle (1978) S. 250). G. Mayerbemerkt, daß die »Freien« rasch zu einer Art Chiffre wurden, die »im weiteren Sinne baldauf alle Kreise angewandt« wurde, die gegen die preußische Kulturpolitik öffentlich Ein-spruch erhoben. (G. Mayer (1913) S. 50) In dieser Arbeit wird die Bezeichnung »Freie«nur in Zusammenhang mit dem Gerücht des Juni 1842 verwandt. Zu den Berliner Jung-hegelianern vgl. die Übersicht S. 41 f.

43 H. Leo, Die Hegelingen, 21839. Zu H. Leo vgl. Ch. Freiherr von Maltzahn (1979).44 H. Leo, Die Hegelingen, S. 2 f.45 Ebd. S. 2,1,39 f und 3.46 Ebd. S. 25.47 Die wichtigsten Schriften sind: A. Ruge, Preußen und die Reaktion, 1838 (= Ruges Bei-

träge in den HJ); L. Feuerbach, Über Philosophie und Christentum (1839), in: LFWBd. 2, S. 261-330 (Eine vollständige Veröffentlichung in den HJ wurde von der Zensurverboten); E. Meyen, Heinrich Leo, 1839; G. O. Marbach, Aufruf an das protestantischeDeutschland, 1838/9; Karl Zschiesche, Die deutsche Theologie, 1838; A. Hegeling(= C. M. Wolff), Heinrich Leo vor Gericht, 1838; B. Hegeling (= K. W. Kähne), Neu-entdeckte Jesuitenbriefe, 1838 (die Pseudonyme dieser beiden Schriften hat I. Pepperle(1978) S. 238 aufgelöst); hervorzuheben ist auch der hellsichtige Beitrag: (anonym), DieVoraussetzungen des Hegelschen Systems, in: ZPsT 4 (1839) S. 291 ff. Leo wird vertei-digt von: K. A. Kahnis, Rüge und Hegel, 1838; zu nennen sind aus Hengstenbergs EKZ:(anonym), Die Hallischen Jahrbücher für Deutsche Wissenschaft und Kunst, EKZ 1838Nr. 69 ff., Sp. 545-568; (anonym), Die Hegelingen, EKZ Nr. 75 ff., Sp. 596-600, 1839Nr. 13 ff., Sp. 97-111.

48 Ausführlicher sei hier auf die denunziatorisch-publizistische Antizipation der Gruppen-definition »Junges Deutschland« eingegangen, weil sie eine Art Vorlauf für die Denunzia-tionsstrategien, die die Junghegelianer betreffen, darstellt.Im Dezember 1835 dekretierte die Bundesversammlung in Frankfurt das Verbot »derSchriften aus der unter der Bezeichnung >das junge Deutschland< oder >die junge Litera-tur bekannten literarischen Schule, zu welcher namentlich Heinr. Heine, Karl Gutzkow,Heinr. Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gehören«. Es habe sich eine »lite-rarische Schule gebildet ( . . . ) , deren Bemühungen unverhohlen dahin gehen, in belletri-stischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion aufdie frechste Weise anzugreifen, die bestehenden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigenund alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören«, (zit. nach: J. Hermand (1974) S. 331). Vorbereitend für den Beschluß der Bundesversammlung waren vermutlich die AngriffeWolfgang Menzels auf Gutzkows Roman >Wally, die Zweiflerin<. Menzel stellt Gutzkowals Führer »eines sogenannten jungen Deutschland« dar. »Die Sache ist eine potenzierteNachahmung der neufranzösischen Frechheit, und auch diese ist nur eine Wiederholungfrüherer Sünden. Schriften, wie die von Gutzkow, worin die sogenannte Freigeisterei undObscönitäten Hand in Hand gehen, waren nach Voltaire sehr häufig und kamen auchnach Deutschland.« (zit. nach: A. Estermann (1972) Bd. 1, S. 42 und 46 )Mit dem Beschluß der Bundesversammlung wurde der Begriff »das junge Deutschland«als Name einer Schriftstellergruppe aktenkundig gemacht. Dabei ist dieser Begriff in

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Deutschland zunächst nur ein Schlagwort gewesen, das bei den betroffenen Autoren sehrverstreut und keineswegs als Gruppenbezeichnung auftaucht. So widmet Wienbarg seine1834 erschienenen »Ästhetischen Feldzüge« im Untertitel dem »jungen Deutschland«, indem Sinne, daß er sich an die junge Generation wendet.Zwischen den l i terarischen und polit ischen Auffassungen der betroffenen Autorenbestanden sicher eine Reihe von Gemeinsamkeiten, auch hat es einige zweiseitige Kon-takte gegeben, aber von einer »literarischen Schule« oder einer Gruppe mit gegenseiti-gem Gedankenaustausch und einer ausreichenden Anzahl sozialer Kontakte kann nichtdie Rede sein. (vgl. W. Hömberg (1975) S. 12 ff.)Es muß auch offen ble iben, ob die Bundesversammlung nicht e infach die genanntenAutoren mit dem im Schweizer Exil gebildeten Geheimbund von Handwerkern verwech-selte, der sich unter dem Namen »das junge Deutschland« als nationale Abteilung der vonGiuseppe Mazzini im Frühjahr 1834 ins Leben gerufenen poli t ischen Bewegung »Dasjunge Europa« verstand. Kontakte zwischen den deutschen Autoren und MazzinisGeheimbund lassen sich nicht nachweisen (vgl. E. R. Huber, Bd. 2, S. 129-133 ;J. Proelß(1892) S. 650 f.; W. Hömberg (1975) S. 13. Zu Mazzini siehe: H. G. Keller (1938).Bei den Autoren, die 1835 durch den Beschluß der Bundesversammlung als das »jungeDeutschland« konstituiert werden, führt die Definition von außen zu einer Zersetzungder geringen bestehenden Kontakte. »Indem sie - zu Recht - die Existenz einer Schrifts-te llerorganisation leugnen, schwören Laube, Mundt und Gutzkow direkt oder indirektauch den Gemeinsamkeiten ab (. . .). Der Kampf gegen die Verbotsfolgen artet teilweisein einen Kampf gegeneinander aus.« (Hömberg (1975) S. 20) So schreibt Gutzkow anVarnhagen: »Ich werde mich hüten, für das junge Deutschland die Verantwortl ichkeiteiner zerhackten und geschwätzigen Schreibart (. . .) auf meine Schultern zu laden. (. . .)Von einer Partei kann um so weniger die Rede sein, da es einigen Herren jetzt plötzlicheinfällt, mit ihr zu rechnen.« (Ebd.).

49 Vgl. MEGAI. Abt. Bd. 1, 2 S. 279 und 287.50 E. Meyen, Heinrich Leo, 1839, S. 30.51 (B. Bauer), Posaune, 1841, S. 8, vgl. auch die wichtige Rezension in den DJ: (anonym, Die

Posaune, DJ 1841, S. 594-596).52 In der junghegelianischen Presse wird auf diese Nachbildung gezielt angespielt: »Der

Posaunist hat seine Sache vortrefflich gemacht. Er hat Leo übertroffen«. (E. Meyen, DiePosaune, in: Ath 1841, S. 722).

53 B. Bauer, Posaune, 1841, S. 35.54 Die Frage, inwieweit die Begriffe »Junghegelianer« bzw. »Linkshegelianer« sinnvoll

anzuwenden sind, wird weiter unten im Zusammenhang des Kapitels »PhilosophischeSchule« erörtert. - Leos Denunziation steht in dieser Zeit nicht allein. Zu erinnern ist, daßK. E. Schubart 1839 - vielleicht ermuntert durch Leos »Hegelingen« - seine bereits zehnJahre zuvor versuchte Denunziation der Hegelschen Rechtsphilosophie als einer ver-kappten Revolutionslehre erneuert: Hegel selbst habe zwar die »Gewaltsamkeit seinerLehre« nicht vollzogen, aber »junge Hegelsche Doktoren« glaubten »ihre demagogi-schen Verirrungen« aus Hegels Rechtsphilosophie rechtfertigen zu können. (K. E. Schu-bart, Über die Unvereinbarkeit der Hegelschen Staatslehre mit dem obersten Lebens-und Entwicklungsprinzip des Preußischen Staates, Breslau 1839, abgedruckt in: M. Rie-del, Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, 1975, Bd. 1, S. 249 bis 266, zit. S. 265 f.Riedels Edition enthält auch die wichtigsten Gegenschriften zur Schubartschen Denun-ziation.)

55 K. Mannheim (1964) S. 449.56 A. Ruge, Die Denunziation der Hallischen Jahrbücher, in: HJ 1838 Sp. 1425-1440. Das

Politische Wochenblatt wurde nach diesem Artikel zitiert. (Zit. Sp. 1435,1426,1436 f.)Zu dieser Zeitung vgl.: W. Scheel (1964).

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57 Der irreale, imaginative Charakter des Verdachts ist au«h den Zeitgenossen aufgefallen.1834 reflektiert ein Anonymus (Der Zeitgeist oder das Geld) über dieses Problem: »es istnichts mit der ganzen Demagogie, es ist ein Wahn- und Schreckgebild unserer Zeit, dasnur in unsere r Vors te l lung e in Dase in ha t , und das uns b isher ganz ve rgebl ich undumsonst geängstigt hat.« (Ebd. S. 22) Bei Lichte besehen, könne er nirgendwo in derGesellschaft das entdecken, worauf sich der Demagogenverdacht bezieht. (Ebd. S. 15)Aber woher kommt dieser »Wahn«? »Diese Propaganda und Demagogie hat ihren Sitznicht etwa in weitverzweigten Gesellschaften, die planmäßig wie die Jesuiten einem gro-ßen Endzweck entgegenarbeiteten, nicht e twa in geheimen Obern, die mit Frankreich,England und Belgien in Verbindung ständen, nicht etwa in einer Carbonari- oder Frei-maurerschaft, die sich allmählich unter dem Begriff von Emanzipation und Zivilisationüber ganz Europa ausbreitete. Nein! meine Herren! sie hat ihren Sitz in unserem eigenenKopf, in unserem eigenen Wahn, überall die Spuren einer geheimen Demagogie zu fin-den, sie hat ihren Sitz in unserm eigenen früheren Klagen und Tadeln aller bestehendenRegierungen.« (Ebd. S. 28 f.)Zu den Verdacht-Strategien der Polizei im Vormärz vgl. auch die geheimen Berichte derMetternich-Agenten (H. Adler (1977). Als Quelle für Gruppenbildungen im Vormärzsind diese Berichte nur mit großer Vorsicht zu benutzen. Zur Interpretation vgl. den ein-führenden Aufsatz von H. Adler . Ebd. S. 1-45 und F. T. Hoefer (1981/82).

58 J. Baudrillard (1982) S. 137. Baudrillard weist daraufhin: »Mode gibt es nur im Rahmender Moderne. Das heißt in einem Schema von Bruch, Fortschritt und Innovation. Altesund Neues alternieren in jedem beliebigen kulturellen Kontext. Aber erst für uns gibt essei t der Aufklärung und der industr ie llen Revolut ion e ine his torische und s tre i tbareStruktur von Veränderung und Krise. Anscheinend erzeugt die Moderne gleichzeitig dielineare Zeit des technischen Fortschrit ts , der Produktion und der Geschichte und einezyklische Zeit der Mode.«

59 H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, 1839, S. 195 f .60 L. Bergeron, F. Füret, R. Koselleck (1969), S. 296 f.61 MEWBd. 3,S. 63.62 H. Leo, Sendschreiben an Josef Görres, 1838, S. 129 f.63 Angaben nach: J. Paschen (1977) S. 18. Paschen stützt sich auf C. F. W. Dietericis Mit-

teilungen des Statistischen Büros, Berlin 1 (1848) —3 (1850) und 7 (1854). Zum dominie-renden agrarischen Sektor vgl. H. Schissler (1978).

64 Th. Nipperdey (1983), S. 113.65 Angaben nach: J. Paschen, (1977) S. 19. Dem Modell dieser drei Schichten lag auch Die-

tericis Interesse zugrunde, in die Diskussion des Jahres 1849 zugunsten des Drei-Klassen-Wahlgesetzes einzugreifen. Zur Lebenswelt der vormärzlichen Unterschichten vgl.H. G. Husung (1983) bes. S. 134-156.

66 T. Nipperdey (1983) S. 454. Vgl. auch: K. H. Jarausch (1974).67 Zur Entwicklung und Bedeutung des Bildungsbürgertums vgl. in diesem Zusammenhang

die älteren Arbeiten: H. Weil (1930); E. Manheim (1933); H. Gerth (1935). An neuerenUntersuchungen ist hervorzuheben: H. J. Henning (1977); R. S. Elkar (1979). ElkarsUntersuchung ist zwar regional begrenzt, aber in ihrer Ausführlichkeit von exemplari-scher Bedeutung.

8 Die Erforschung der Freimaurer- und Geheimgesellschaften hat in der jüngsten Zeiteinen erheblichen Aufschwung zu verzeichnen. Hingewiesen sei auf: R. v. Dülmen(1975); E. H. Baläzs (1979); P. C. Ludz (1979); H. Reinalter (1983), mit Bibliographie. -Zu Lesegesellschaften vgl.: O. Dann (1981) und die dort angegebene Literatur. Aus derFülle zeitgenössischer Reflexionen sei besonders genannt: E. S., Über die Lesevereine inDeutschland, DVjs 1839, H. 1, S. 129-251. - Über die geselligen Formen der Berliner»Gebildeten« informiert; P. Weiglin (1942); G. Hermann (1965); E. Heilbronn (1922)

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als Textsammlung. Eindrucksvolle Schilderungen finden sich auch bei Th. Fontane, VonZwanzig bis Dreißig, 1898, und ders., Christian Friedrich Scherenberg, 1885.

69 T. Nipperdey (1976). Diese Thesen sind reformuliert in: ders. (1983) S. 267 ff. Ergiebigist in diesem Zusammenhang immer noch: F. Baiser (1959). Die vormärzliche Diskussionüber das Verhältnis von ständischen Bindungen und »Verein« ist unter rechtsgeschichtli-chem Aspekt entfaltet bei F. Müller (1969). Den Versuch einer typologischen Differen-zierung des Vereinswesens in der Zeit von 1765-1819 hat O. Dann (1976) vorgelegt .Dann beschreibt anhand je e ines konkreten Beispiels sieben Typen: die patr iot ischeGesellschaft, die Lesegesellschaft, den Geheimbund, die informelle Aktionsgruppe, denpolit ischen Diskussionszirkel , die studentische Reformbewegung, den national-polit i-s chen Unte r s tü tzungsv ere in . Vgl . da rüber h inaus G. Wurzbache r (1971) ; F . Krö l l ,S. Bartjes, R. Wiengarn (1982); F. H. Tenbruck, W. A. Ruopp (1983).

70 So konstatieren die junghegelianischen >Norddeutschen Blätter< (NB): »Wir hören vomLokal- und Gewerbe-Verein, vom Verein der protes tantischen Freunde und dem ihrerGegner, vom Zschokke-, Advokaten- und Gesellen-Verein, von Mäßigkeits- , von Trink-und von Bürger-Vereinen, endlich auch vom Gustav-Adolf-Verein. Die Zahl dieser Ver-eine mehrt sich fast täglich, und wer Lust hat, ein >Mann von Namen<, ein >Volksmann<zu werden, der ersinne nur eine neue Zusammenstellung eines Namens, in dem ein reli-giöses oder bürgerliches Verhältnis sich ausdrückt, mit dem Worte >Verein< - und erkann des Beifalls und der Berühmtheit gewiß sein.« (anonym, Der Gustav-Adolf-Verein,in: NB 1845, H. 9, S. 35).

71 Vgl.: K. Abraham (1955); W. Fischer (1964); W. Gimmler (1972); O. Busch, H. Herz-feld (1975).

72 T. Nipperdey (1976) S. 198.73 Zu den geselligen Kommunikationsformen der Beamten und ihrem Einfluß auf die De-

finitionen von »Gemeinwohl« vgl. A. Lüdtke (1982) S. 83 ff.74 R. Koselleck (1966) S. 66. Zur preußischen Verwaltung vgl. auch ders., (1967). Zu den

Problemen marxist ischer Geschichtsschreibung mit den Thesen Kosellecks über dieRolle der preußischen Bürokrat ie als Ini t ia tor e ines Modernisierungsprozesses >vonoben< siehe J. Kocka (1974). Speziell zu Vor- und Nachmärz vgl. J. R. Gülis (1971). ZurMentalität der höheren Beamten sind Hinweise zu finden bei H. Branig (1979). Aus derFülle der Literatur zum >Preußen-Jahr< sei hervorgehoben R. v. Thadden (1981), in unse-rem Zusammenhang bes. S. 60 ff.

75 R. Kosel leck (1966), S. 67.76 O. Dann (1976) weist daraufhin, daß entgegen der Absolutismusvorstellung der Libera-

len des 19. Jahrhunderts davon ausgegangen werden muß, daß vermutlich »gemessen anden restriktiven Bestimmungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - im 18. Jahrhun-dert eine weitgehende Vereinsfreiheit bestanden hat« (S. 224). Erst der mit dem Deu-tungsmuster Revolution einhergehende politische Verdacht strukturiert das Feld derVereine.

77 A. v. Ungern-Sternberg, Erinnerungsblätter, Bd. 2, 1856, S. 13.78 G. Jellinek und M. Weber haben insbesondere im Calvinismus einen Geburtshelfer der

modernen Staats- und Gesellschaftsordnung westeuropäischen Typs gesehen. Ihre The-sen sind oft reformuliert worden. Vgl. in diesem Zusammenhang: O. Hintze (1906);H. Holborn (1966) S. 85-108; H. Plessner (1982) S. 50 ff. und 69 ff.; sowie R. v. Thad-den (1980) S. 146 ff.

79 H. Holborn (1966) S. 97.Auf diese Zusammenhänge gehe ich in Kapitel IV ausführlicher ein.H. Rosenberg urteilt zusammenfassend: »Die gesellschaftlichen Träger dieses geistig-politischen Mobilisierungsprozesses waren Studenten und berufstätige Angehörige derbeamteten und nicht beamteten vorindustriellen Bildungsschichten. Die intellektuelle

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Führungsrolle lag vornehmlich in den Händen von Mitgliedern der geisteswissenschaftli-chen und literarischen Leistungselite in den Universitätsstädten, die in jener Zeit alsForen der politischen Bewußtseinsklärung und der Meinungs- und Willensbildungbesonders bedeutsam waren, zumal Sprecher des noch schwachen kapitalistischen Indu-striewirtschaftsbürgertums in der politischen Öffentlichkeit der neuständischen Gesell-schaft vor den 1840er Jahren nur ganz vereinzelt hervortraten.« H. Rosenberg (1972)S. 9.

82 MEWBd. 1,S. 380 und 379.83 F. Wehl, Berlin und seine jetzige Stellung, in: ders., Berliner Wespen, 1843, H. 1, S. 1 f.84 R. Prutz, Über die gegenwärtige Stellung der Opposition, 1847, S. 57,53 f., 58 f., 60 f.83 Gerade im Bereich literarischer Produktion wird deutlich, wie nach 1848 die Diskrepanz-

erfahrungen eingeebnet werden. Zu Gustav Freytags »Soll und Haben« vgl. C. Richter(1978) hier bes. S. 209 ff.

86 Arnold Ruge (1802-1880) stammt aus einer Pächterfamilie der Insel Rügen. 1821 bis 1824studiert er Theologie und klassische Philologie in Halle, Jena und Heidelberg. Er wirdaktives Mitglied des Geheimbundes »Bund der Jungen«. 1824 Verhaftung und Verurtei-lung zu 15 Jahren Festungshaft. 1825-1830 Haft in Kolberg. 1831 Lehrer am Pädago-gium in Halle und Habilitation. Freundschaftliche Kontakte zu Rosenkranz, Echtermeierund Prutz, Förderung durch Hinrichs. 1838 Mitherausgeber der HJ, seit 1841 Verlegungder Redaktion von Halle nach Dresden (Umbenennung in DJ). 1843 werden die Jahrbü-cher verboten, Ruge geht nach Paris. 1844 Herausgabe der »Deutsch-FranzösischenJahrbücher«, gemeinsam mit Marx. 1845 übersiedelt Rüge nach Zürich, wo er zusammenmit J. Fröbel die demokratische Opposition im Exil organisiert. Ruge unterstützt die frei-religiöse Bewegung und kehrt 1846 nach Leipzig zurück.Ruge beteiligt sich aktiv an der Revolution von 1848 und wird Mitglied des FrankfurterParlaments als Vertreter der Linken. 1849 wird er aus Berlin ausgewiesen, nimmt am Mai-Aufstand in Sachsen teil, flieht nach Karlsruhe und geht im Interesse der badischen Revo-lutionäre nach Paris, von dort über Brüssel nach London. Hier gründet er mit Mazziniund L. Rollin das »Europäische demokratische Komitee«. Seit 1850 ist er bis zu seinemTode Deutschlehrer in Brighton. 1866 unterstützt er Teile der Bismarckschen Politik.1876 wird ihm von Bismarck ein jährlicher »Ehrensold« von 3.000 Mark zugesprochen.(ADB Bd. 29, Zu A. Ruge vgl. die Literatur Anm. 168).

87 Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (1797-1861) stammt aus einer friesischen Pfarrers-familie. Hinrichs hört Hegel 1816 in Heidelberg und wechselt von der Jurisprudenz zurPhilosophie über. Er lehrt seit 1826 als einer der ersten Hegelianer in Halle und betreibtdort eine rührige Nachwuchspolitik. Zwei Momente müssen im Hinblick auf seine Rollefür den Junghegelianismus hervorgehoben werden: er gehört zu den systemtreuestenHegelschülern, seine Terminologie und sein spekulatives Konstruieren bieten einen gesi-cherten Rahmen für die Hallenser Schüler. Auf der anderen Seite bereitet Hinrichs dieWendung spekulativer Schulphilosophie zu einer Beschäftigung mit politischen Fragenvor. Er greift in die verfassungspolitischen Debatten des Vormärz mit seinen »PolitischenVorlesungen« (1843) ein und gerät in Konflikt mit der preußischen Kultusverwaltung. Ermuß seine Vorlesungen für einige Wochen aussetzen und begegnet dem ministeriellenVerweis mit einer aufsehenerregenden Publikation der Vorlesungen. Er unterstützt 1845die freireligiöse Bewegung der Deutschkatholiken.Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 rückt er von den konstitutionellen Forde-rungen ab, die er allenfalls in einem zukünftigen Amerika für realisierbar hält. Wichtigerist für ihn, gegenüber dem sich ausbreitenden Empirismus und Materialismus einen idea-listischen Kernbestand vor der skeptizistischen Resignation zu bewahren. (ADB Bd. 12;NBD Bd. 9; H. Rosenberg (1929) S. 571-577; H. Lübbe (1960) S. 208-213 u .a . ;K. Röttgers (1975) S. 225-232).

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88 Julius Schaller (1810-1868) stammt aus einer Magdeburgischen Predigerfamilie. Er stu-diert in Halle zunächst Theologie, unter dem Einfluß von Karl Rosenkranz wechselt erzur Philosophie. Schaller wird 1834 zum Privatdozenten ernannt, 1838 erhält er eineaußerordentliche Professur. Er ist mit Ruge befreundet, allerdings besteht zwischen bei-den ein Konkurrenzverhältnis. Schaller gelingt die Universitätskarriere, die Ruge miß-lingt. Ruges Bestreben, die HJ ganz auf die Linie der Religionskritik von D. F. Strauß undder Tübinger Junghegelianer zu stellen, wird von Schaller nicht geteilt. Er nimmt über-wiegend gegen Strauß Stellung (Der historische Christus und die Philosophie, 1838). Inder Folgezeit löst er sich mehr und mehr von hegelianischen Positionen und verfaßtArbeiten zur Kritik der Anthropologie und des Materialismus. (ADB Bd. 20; zum Ver-hältnis Rüge - Schaller siehe F. W. Graf (1978 a) S. 390,412 f.).

89 Robert Eduard Prutz (1816-1972) stammt aus einer Stettiner Kaufmannsfamilie. 1834-1838 studiert er in Berlin, Breslau und Halle Philologie. In Jena lebend gehört er mit zumInitiatorenkreis der HJ. Mit Ruge ist er befreundet und verschwägert. Er ist Mitarbeiterder RhZ und schließt 1842 Freundschaft mi t Herwegh. 1843 wird er wegen einesTischliedes auf Dahlmann aus Jena verwiesen. Er übersiedelt nach Halle und entfalteteine breite schriftstellerische Tätigkeit. 1845 trägt ihm eine politische Komödie einenProzeß wegen Majestätsbeleidigung ein, der jedoch von Friedrich Wilhelm IV. auf Inter-vention A. von Humboldts niedergeschlagen wird. 1846/7 kommt es zu einer öffentli-chen Polemik zwischen Ruge und Prutz, bei der Prutz von radikalen Positionen zugung-sten >realpolitischer< Überlegungen abrückt.An der Revolution von 1848 beteiligt sich Prutz als Mitglied des konstitutionellen Klubsin Berlin. 1849 wird er außerordentlicher Professor für Literaturgeschichte in Halle.Unter dem Druck nachmärzlicher Repressionen, Intrigen und Denunziationen gibt Prutz1857 seine hallische Professur auf und kehrt in seine Geburtsstadt Stettin zurück, wo erals freier Schriftsteller tätig ist. 1866 wird er wegen seiner Terzinen »Mai 1866« zu dreiMonaten Gefängnis verurteilt und bald darauf amnestiert. Trotz zunehmender gesund-hei tl icher Schwäche unternimmt er noch zahlreiche Vortragsreisen. (ADB Bd. 26;G. Büttner (1912); W. Spilker (1937); I. Pepperle (1978) S. 109-132, u. a.).

90Ernst Theodor Echtermeier (1805-1844) s tammt aus einer sächsischen Beamtenfamilie .Er studiert zunächst Jura in Halle, dann in Berlin unter dem Eindruck Hegels Philoso-phie. 1831 wird er Lehrer am Pädagogium der Franckeschen Stiftungen in Halle. DieIdee der HJ stammt wahrscheinlich von ihm. Echtermeier begeistert Rüge für die Hegel -sche Philosophie und gewinnt ihn für die Herausgabe der HJ. Eine unheilbare Erkran-kung zwingt ihn seit 1838, seine Aktivitäten einzuschränken. Er tritt 1841 förmlich vonder Redaktion der HJ zurück. (ADB Bd. 48; NDB Bd. 4; A. Stahr, Kleine Schriften,1871, Bd. 1, S. 395^t22; A. Rüge, SW Bd. 6, S. 137-159).

91Zur Situation in Halle siehe H. Rosenberg (1929). Die Herausbildung von Ruges Kreis inHalle ist ausführlich dargestellt bei F. W. Graf (1978 a) bes. S. 388 ff.

92 Michail Bakunin (1814-1876) stammt aus einer russischen Adelsfamilie. Er besucht die Petersburger Artillerieschule, quittiert aber 1835 den Militärdienst. 1836-39 schließt er sich einer Moskauer Intellektuellengruppe an, in der er Hegels Philosophie rezipiert. 1840 kommt er nach Berlin und befreundet sich mit Turgenjew, der Kontakt zu Bruno Bauer hat. 1842 befreundet er sich mit Ruge in Dresden und schreibt für die Jahrbücher. Wegen seiner Aktivitäten für die Jahrbücher muß er Dresden verlassen. 1843 befreundet er sich mit Herwegh in Zürich; in der Schweiz lernt er Weitling kennen. Wegen »politi- scher Umtriebe« muß er die Schweiz verlassen und hält sich in Brüssel und Paris auf (1844-1848), wo er mit Proudhon und Marx zusammentrifft.

In Paris und Dresden nimmt er an der Revolution von 1848 teil und gerät in Haft. VonSachsen wird er an Österreich, von dort an Rußland ausgeliefert. 1861 flieht er aus Sibi-rien über Nordamerika nach London und entfaltet eine ausdauernde konspirative revolu-

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tionäre Tätigkeit in ganz Europa. 1869 kommt es auf dem Kongreß der InternationalenArbeiter-Assoziation zur Konfrontation zwischen Marx und Bakunin, in deren Folge sichder historische Bruch zwischen sozialrevolutionärem Anarchismus und marxistischerSozialdemokratie entwickelt. (Literatur zu Bakunin siehe weiter unten Anm. 165).

93 Ludwig Feuerbach (1804—1872) stammt aus Landshut, sein Vater war der Strafrechtsleh-rer Anselm Ritter von Feuerbach. 1823 studiert er Theologie in Heidelberg, 1825 in Ber-lin; er hört Hegel und wendet sich der Philosophie zu. 1825/26 naturwissenschaftlicheStudien in Er langen. 1832 gibt ef se ine akademische Lehr tätigkeit als Privatdozent inErlangen auf. 1837 heiratet er Bertha Löwe und übersiedelt nach Bruckberg bei Ansbach,wo er bis 1860 als freier philosophischer Schriftsteller lebt. Rüge gewinnt ihn 1837 zurMitarbeit an den HJ. 1839 greift er in die Debatte um die Leosche Denunziationsschriftein. 1841 erscheint »Das Wesen des Christentums«, 1842 die »Vorläufigen Thesen zurReform der Philosophie« mit denen er neben D. F. Strauß und B. Bauer zu einem zentra-len Bezugspunkt junghegelianischer Diskussion wird. Er sympathisiert 1848 mit der Lin-ken im Frankfurter Parlament. Seit 1860 lebt er in Nürnberg. 1870 tritt er der SDAP bei.Feuerbach hat die engen hegelianischen Schulzusammenhänge ebenso wie die junghege-lianischen Gruppentreffen sorgsam gemieden. Er korrespondierte von Bruckberg aus mitRuge und anderen, empfing auch junghegelianische Besucher. Der Einfluß, den er auf dieGruppe hatte, vollzog s ich wesentl ich durch seine Schrif ten. (Literatur zu Feuerbachsiehe Anm. 171).

94 Karl Theordor Bayrhoffer (1812-1888) entstammt einer Marburger Buchdruckerfamilie.Er studiert Philosophie in Marburg, promoviert und habilitiert sich im selben Jahr 1834.1838 wird er dort außerordentlicher Professor. Von Leo wird er als Mitglied der »junghe-gelianischen Partei« denunziert. Bayrhoffer gehört zu den regelmäßigen Mitarbeitern derHJ. 1839 nimmt er gegen Rosenkranz Stellung (HJ 1839, Sp. 1391-1416) und engagiertsich im kurhessischen Symbolstreit gegen die protestantische Orthodoxie. Er organisiertin Marburg einen protestantischen Leseverein, der sich zu einer der radikalen Gemein-den der Bewegung der Lichtfreunde entwickelt. Er hat wesentlichen Anteil an der Ver-breitung junghegelianischer Philosophie in der freireligiösen Bewegung. 1846 wird er einJahr nach Erhalt einer Professur in Marburg vom Amt suspendiert.An der Revolution von 1848 nimmt er aktiv teil und ist Repräsentant der hessischenDemokraten. 1850 gelingt ihm die Flucht nach Zürich. Von dort wandert er in die USAaus. Seine Marburger Professur wird ihm entzogen, 1853 wird er in Abwesenheit zu15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufforderungen, an den Verfassungskämpfen der 60erJahre teilzunehmen, lehnt er ab. Spätere Rückkehrversuche scheitern. Bayrhoffer lebt biszu seinem Tod als Farmer in Green Country und Town Jordan (Wisconsin). (Bayrhofferist in der ADB und NDB nicht aufgeführt. Zur Biographie vgl. Ph. Losch (1939) S.8-9).

95 Georg ]ung (1814-1886) stammt aus einer Rotterdamer Kaufmannsfamilie. Er studiertJura: 1834-35 in Bonn, wo er preußischer Staatsbürger wird, um 1835-36 in Berlin. Erwird Referendar und Assessor am Kölner Landgericht. Jung schreibt für die HJ undgehört zu den Mitbegründern der RhZ. Zusammen mit seinen Freunden Heß und Marxwendet er sich sozialistischen Positionen zu und finanziert das »wahrsozialistische« Köl-ner »Allgemeine Volksblatt«. 1846 geht er nach Berlin.Im März 1848 hält er eine bekannt gewordene Rede am Grab der Berliner Revolutionäre.Er wird Präsident des Politischen-Demokratischen Clubs, und in der preußischenkonsti-tuierenden Versammlung engagiert er sich auf der Seite der demokratischen Linken. Inden 60er Jahren tritt er politisch nicht hervor. 1863-76 gehört er dem preußischen Abge-ordnetenhaus an, zunächst als Mitglied der Fortschrittspartei, ab 1867 unterstützt er alsNationalliberaler die BismarckschePolitik. (NDB Bd. 10).

96 Moses Heß (1812-1875) stammt aus einer jüdischen Bonner Kaufmannsfamilie. Entgegenseinen späteren Selbstdeutungen kann von einer streng jüdischen Erziehung nicht

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gesprochen werden. 1826 soll er in das Geschäft des Vaters eintreten, er beginnt jedoch1830 in Bonn ein zielloses Studium. 1833 geht er heimlich nach Holland und Frankreichund trifft auf oppositionelle Emigranten. Finanzielle Not zwingt ihn zur Rückkehr nachBonn, 1837 erscheint »Die heilige Geschichte der Menschheit. Von einem Jünger Spino-zas« und 1841 »Die europäische Triarchie«. Im selben Jahr trifft er Marx in Bonn. Heßgehört zur Initiativgruppe der RhZ, deren Pariser Korrespondent er wird. Er unterstütztdie Rezeption des französischen Sozialismus bei den Junghegelianern, arbeitet an den>Deutsch-französischen Jahrbüchern< mit. 1844 nimmt er gegen Feuerbach, B. Bauerund Stirner Stellung (»Die letzten Philosophen«) und ist maßgeblich an dem Elberfelder>Gesellschaftsspiegel< beteiligt, dem Organ der deutschen Sozialisten. 1845 betreibt erzusammen mit Marx und Engels den Aufbau einer europäischen kommunistischen Orga-nisation in Brüssel.In der Revolution von 1848 weicht Heß der Auseinandersetzung mit Marx und seinerFraktion im Bund der Kommunisten aus und geht nach Paris. Heß orientiert sich neu.1862 ist er Mitglied der althegelianischen Berliner Philosophischen Gesellschaft und ver-öffentlicht »Rom und Jerusalem«, in dem er für die Errichtung eines jüdischen Staates inPalästina plädiert. In den 60er Jahren nähert sich Heß Lassalle an und wird Mitglied des»Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins«. 1867 rückt er von den Lasalleanern ab undnähert sich Liebknecht und Marx an. Bei Beginn des Krieges 1870 wird Heß aus Frank-reich ausgewiesen, wohin er 1872 zurückkehrt. (Sh. Na'aman (1982) Vgl. auch die Litera-tur in Anm. 166).

97 Zu den organisatorischen Verdichtungen um die RhZ vgl. W. Klutentreter (1966). NebenG. Jung gehört auch Rudolf Schramm zu den Kölnern, die an den HJ mitwirken. Verbin-dungen zwischen den HJ und der RhZ liefen auch über Ruges Freund K. M. Fleischer.Im Sommer 1842 wird für einen Teil der Kölner Gruppe die Diskussion um die »sozialeFrage« wichtig. Zu den sog. »Montagskränzchen«, das auch nach dem Verbot der RhZ1843 weiter besteht, gehören: M. Heß, G. Jung, Bürgers, E. Mayer, W. Thome, C. d'E-ster, G. Mevissen, K. Marx. (Klutentreter (1966) S. 35).

98 Karl Heinzen (1809-1880) stammt aus einer niederrheinischen Forstbeamtenfamilie.1827 Studium der Medizin in Bonn. 1829 wird er wegen aufrührerischer Reden gegen dieUniversitätsbehörden für immer vom Studium ausgeschlossen. 1829 bis 1831 läßt er sichin die holländische Fremdenlegion nach Batavia anwerben. 1833-1840 tritt er in denpreußischen Staatsdienst als Steuerbeamter. In dieser Zeit radikalisiert er sich undgewinnt 1840 Kontakt zum »Jungen Köln« und zu den Initiatoren der RhZ, deren eifrigerMitarbeiter er wird. 1844 flieht er nach Erscheinen seines Buches »Die preußische Büro-kratie« nach Belgien, dann in die Schweiz, wo er mit Ruge und Fröbel verkehrt. 1847überwirft er sich mit Marx und Engels.In wirtschaftlicher Not lebend, geht er 1848 in die USA, kehrt jedoch zur Revolutionszeitwieder nach Deutschland zurück und nimmt am badisch-pfälzischen Aufstand teil. Überdie Schweiz und London kehrt er 1850 nach Nordamerika zurück. Dort gibt er nachein-ander mehrere radikale Zeitschriften heraus. Am einflußreichsten wurde der zuletzt inBoston verlegte >Pioneer< (1859-79). Heinzens Bedeutung für die Entwicklung des ame-rikanischen Radikalismus und Anarchismus muß besonders hervorgehoben werden.(ADB Bd. 50; NDB Bd. 8; H. Huber (1932); C. F. Wittke (1945).

99 Die Quelle für den »Doktorclub« ist Marx' Brief an seinen Vater vom 10. 11. 1837, in: MEW EA 1, S. 10. Genannt wird hier namentlich nur Rutenberg. B. Bauers und F. K. Köppens Zugehörigkeit zum »Doktorclub« wird in der Literatur aufgrund der Freundschaften zu Marx angenommen. Vgl. S. Miller/B. Sawadzki (1956) S. 68 und 226.100 Bruno Bauer (1809-1882) stammt aus einer thüringischen Porzellanmalerfamilie, die nach Berlin übergesiedelt ist. Er studiert 1825-1834 Theologie in Berlin und hört Hegel. 1834 habilitiert er sich, hält Vorlesungen in Berlin und greift in die theologische Diskus-

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sion ein. Bis zum Sommer 1839 ist er radikal-orthodoxer Hegelianer und AnhängerHengstenbergs. 1839 kritisiert B. Bauer seine Vergangenheit und greift Hengstenbergan. Er wird nach Bonn versetzt. In seiner Kritik der Evangelien versucht er, Strauß'»Leben Jesu« zu überholen. Bauer entwickelt sich zu einem radikalen Atheisten und hatmaßgeblichen Einfluß auf die junghegelianischen Gruppen. Er ist vertraut mit Ruge undbefreundet mit Marx, für dessen Karriere er sich verantwortlich fühlt. Er ist Mitarbeiterder HJ und der RhZ. 1842 wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen (vgl. S. 125 ff. dieserArbeit). 1843 beginnt B. Bauer mit einer Kritik des 18. Jahrhunderts, der Revolutionund des politischen Radikalismus bürgerlicher und sozialistischer Prägung. Er entwik-kelt die Theorie der »reinen Kritik«, die er in der ALZ und den NB propagiert.In der Revolution von 1848 wird B. Bauer in Charlottenburg als Abgeordneter vorge-schlagen, aber nicht gewählt. Er wird Opfer der reaktionären Schlägerkommandos des20. August in Charlottenburg. Schon 1849 erscheint seine beißende Kritik der Revolu-tion. 1850-1852 arbeitet er über das Urchristentum. 1852-1855 gerät er in den Ver-dacht, russischer Spitzel zu sein, weil er das Ende des Germanentums und den Aufstiegder großen Mächte Rußland und Nordamerika prognostiziert. Seit 1859 arbeitetB. Bauer an H. Wageners konservativem »Staats- und Gesellschafts-Lexikon« und kon-servativen Zeitschriften mit. Seine Spätwerke behandeln das englische Quäkertum undden deutschen Pietismus (1878), deren Bedeutung für die Säkularisation des Christen-tums er herausstellt, und Bismarck (1880, 1882) - Werke, in denen er unter anderem diestaatssozialistischen Strategien seiner Zeit reflektiert. Von der nachmärzlichen Zeit biszu seinem Tode lebt B. Bauer in Rixdorf bei Berlin, wo er neben seiner Schriftstellereieine kleine Landwirtschaft betreibt. Trotz aller Rätsel, die B. Bauers Leben enthält, ver-gißt kein Biograph, an B. Bauers charakterliche Größe zu erinnern. (ADB Bd. 46; NDBBd. 1. Vgl. die in Anm. 175 angegebene Literatur.

101 Adolf Rutenberg (1808-1869) stammt aus Berlin. Er studiert in Berlin Philosophie, Phi-lologie und Theologie und wird als Burschenschaftler zeitweilig verhaftet. Er ist als Leh-rer an verschiedenen Berliner Schulen beschäftigt, von 1831-40 an der Berliner Kadet-ten-Schule. Wegen seiner Mitarbeit an liberalen Zeitungen wird er entlassen. Er gehörtmit zum »Doktorclub«, zu den »Athenensern« und den Organisatoren der >Serenade fürTheodor Welcker<, für dessen Staatslexikon er mehrere Artikel schreibt (vgl. S. 206 ff.dieser Arbeit). Er ist Mitarbeiter der HJ und der RhZ, als deren Redakteur er im Novem-ber 1842 auf Drängen der Regierung entlassen wird. Rutenberg kehrt nach Berlinzurück, wo er in den Gruppenspaltungen an der Seite Meyens und Nauwercks auf-taucht.In der Revolution von 1848 ist er zunächst im demokratischen, dann im konstitutionellenClub tätig. Mit F. Zabel gründet er die >National-Zeitung<, zieht sich aber bald ausdempolitischen Leben zurück. Später ist er Redakteur des >Preußischen Staatsanzeigers<.(Rutenberg ist in der ADB nicht berücksichtigt.)

102 Karl Friedrieb Köppen (1808-1863) stammt aus einer altmärkischen Pfarrerfamilie.1827—1831 studiert er in Berlin Theologie. Er leistet seinen Militärdienst ab, Engelszeichnet ihn 1842 in Leutnantsuniform. Seit 1833 ist er Lehrer in Berlin. 1837 erscheinteine Arbeit über die Nordische Mythologie, deren religionskritische Intentionen parallelzu denen B. Bauers und Feuerbachs laufen. Als enger Freund von Marx in Berlin gehörter vermutlich zum »Doktorclub« des Jahres 1837. Er ist der erste Berliner Junghegelia-ner, der Kontakt zu Ruges HJ aufnimmt. 1839 verteidigt er Hegel gegen die Schubart -sche Denunziation und initiiert vermutlich um 1840 die Fichte-Rezeption der Junghege-lianer. Er gehört zu den Teilnehmern der >Serenade für Th. Welcker< (vgl. S. 206 ff. die-ser Arbeit) und zieht sich den Unmut der Regierung zu. Er wird Mitarbeiter der RhZ.Seine Verortung in den Spaltungen der Berliner Junghegelianer ist nicht einfach vorzu-nehmen. 1843 erscheint er kurz an der Seite von Prutz, 1844 beteiligt er sich an den NB

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der B. Bauerschen Richtung. 1845 kündigt er eine B. Bauer-Kritik an. 1847 übersetzt ermit Buhl Louis Blancs »Geschichte der Französischen Revolution«. Der »gänzlich guteKoppen« (Engels) hat offensichtlich den mit den Spaltungen einhergehenden Kommu-nikationsabbrüchen zu widerstehen gewußt.In der Revolution von 1848 taucht er im Umkreis von St. Borns »Arbeiterverbrüderung«auf; 1849 ist er Mitglied des Zwölf-Ausschusses der Berliner »Demokratischen Partei«.Nach der Revolution befaßt sich Köppen mit der Erforschung des Buddhismus. 1857-59 erscheint seine zweibändige Arbeit »Die Religion des Buddha«. (H. Hirsch (1955)S. 19-81).

103 Zur junghegelianischen Phase von Karl Marx (1818-1883) vgl. Die in Anm.162 angege -bene Literatur. An dieser Stelle sei an Marx' Aufenthaltsorte erinnert: 1835 Bonn; 1836-April 1841 Berlin, Kontakte im >Doktorc'ub< und mit den >Athenensern<; 1841—Ende1843 Köln, Kontakte durch die RhZ; Ende 1843-Februar 1845 Paris; Februar 1845-1848 Brüssel.

104 Edgar Bauer (1820—1882), der elf Jahre jüngere Bruder Bruno Bauers studiert in Berlinzunächst Theologie, dann Jura. 1842 bricht er sein Studium ab und wird freier Schrift-steller. Er ist Mitarbeiter der DJ und der RhZ und entfaltet eine rege publizistische Tätig-keit. Er verteidigt seinen Bruder anläßlich des Entzugs der Lehrerlaubnis und initi iertdie junghegelianische Kritik am Liberalismus. Seine Position in den Berliner Fraktions-kämpfen dar f nicht mi t der se ines Bruders iden ti f iz ier t werden . Im Untersch ied zuBruno Bauer, an dessen ALZ und NB er zwar mitarbeitet, entfaltet Edgar Bauer eine Kri-tik der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht mehr auf die Formen traditionellen Politik-verständnisses zurückgreif t , sondern den Aspekt der sozialen Revolution herausstell t ,die im wesentlichen vom Proletariat getragen wird. In der angestrebten »freien Gemein-schaft« is t der politische Staat aufgehoben. Die Publikation von »Der Streit der Kritikmi t Ki rchen und Staa t« (1843) i s t Anlaß fü r d ie Verha f tung und Gefangense tzungE. Bauers. Zu vierjähriger Festungshaft verurteilt, ist er seiner Einflußmöglichkeiten aufdie junghegelianische Diskussion weitgehend beraubt.1848 wird E. Bauer freigelassen. An der Revolution in Berlin beteiligt er sich aktiv. 1849gibt er zusammen mit Theodor Ohlshausen die >Norddeutsche Freie Presse< heraus, inder die Befreiung Schleswig-Holsteins gefordert wird. Edgar Bauer lebt in Hannoverund Flensburg. In den 50er Jahren geht er nach London, wo er Marx regelmäßig trifft.E. Bauer ist Redakteur der Londoner Zeitung >NeueZeit<. Nach der Amnestie von 1861kehrt er nach Deutschland zurück. 1866 versucht er, in Hamburg und Altona Fuß zu fas-sen. Er wird preußischer Beamter und redigiert seit 1870 in Hannover die konservativen»Kirchlichen Blatten. (E. Bauer ist weder in der ADB noch in der NDB berücksichtigt.).

105Karl Riedel (Hg), Athenäum. Zeitschrift für das gebildete Deutschland, Berlin 1841(50 Hefte). Zu den Beiträgern des Athenäums gehören über die Genannten hinaus u. a.:Theodor Mügge, Moritz Carriere, Wilhelm Cornelius, Ludwig Eichler, C. M. Wolf undConstantin Frantz. Aus dem Athenäer-Kreis heraus wurde die Serenade für den badi-schen Liberalen Theodor Welcker organisiert (vgl. S. 206 ff. dieser Arbeit). Die fakti-sche Redaktion des Athenäum lag in den Händen von E. Meyen.

106 Karl Riedel (1804-1878) stammt aus Franken. Er studiert Theologie und ist 1826-1839Pfarrer in verschiedenen fränkischen Städten. Er ist mit L. Feuerbach befreundet. 1839gibt er seine Pfarrertätigkeit auf und kommt nach Berlin. Er propagiert zur Thronbestei-gung 1840 entschieden die Unvereinbarkeit von freiem Staat und kirchlicher Hierarchieund eröffnet ein Jahr später die junghegelianische Polemik gegen Schelling.Über Riedels weiteren Lebensweg ist wenig bekannt. Um 1850 ist er nach Amerika aus-gewandert. (Riedel ist in der ADB nicht berücksichtigt.)

107 Eduard Meyen (1812-1870) stammt aus Berlin. Er studiert in Berlin und Heidelberg undpromoviert 1835. 1838/9 ist er Redakteur der Berliner »Literarischen Zeitung<. Seit 1839

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ist er Mitarbeiter der HJ. Die faktische Redaktion des >Athenäum< liegt 1841 in seinenHänden. 1842 ist er Mitarbeiter der RhZ. In den Berliner Spaltungen vertritt er Positio-nen, die ihn in die Nähe von Rutenberg und Buhl rücken lassen. 1843 wendet er sichsozialistischen Positionen zu und ist seit 1844 mit Karl Grün Redakteur der wahrsoziali-stischen >Trierschen Zeitung<.In der Revolution von 1848 ist er u. a. mit Fröbel und Kriege Mitglied des provisorischenZentralausschusses der demokratischen Vereine. Er gehört mit Faucher zu den Mitar-beitern der Berliner >Abendpost<. Nach dem Scheitern der Revolution emigriert er 1851nach London, wo er in Konkurrenz zu Marx und Engels s ich in der opposi t ionel lenSzene engagiert. Ende der 50er Jahre kehrt er nach Deutschland zurück und ist mit RugeBegründer der >Reform<. Meyen schließt sich nationalliberalen Positionen an und istzuletzt Redakteur der >Danziger Zeitung<. (In der ADB ist Meyen nicht berücksichtigt.)

108 Karl Theodor Nauwerck (1810-1891) stammt aus Salem (Herzogtum Lauenburg). 1828-31 studiert er in Berlin und Bonn Theologie. 1834 promoviert er in Halle im Fach Philo-sophie. In Berlin, wo er die venia legendi für Arabisch und Geschichte der Philosophieerhält, ist er seit 1836 Privatdozent. Er gehört mit zum frühen Kreis der Berliner Junghe-gelianer. 1841 ist er Mitarbeiter der HJ und des >Athenäum<, 1842 schreibt er in der RhZ.Die Gründung eines akademischen Lesezirkels erregt den Unmut der Behörden, Nau-werck wird wegen mangelnder Aufs ich t der S tudenten gerügt . 1843 inte rvenie r t derKönig in Sachen des Pr ivatdozenten, und 1844 wird ihm die Lehrer laubnis entzogen,was bei den Berliner Studenten zu einer Demonstration führt. In den Fraktionskämpfensteht er an der Seite Ruges, mit dem er befreundet ist.An der Revolution von 1848 beteiligt sich Nauwerck aktiv und wird Abgeordneter derFrankfurter Nationalversammlung. Hier gehört er der äußersten Linken an. Von 1849bis zu seinem Tode lebt Nauwerck als Inhaber eines Zigarrengeschäftes in Zürich. (Inder ADB ist Nauwerck nicht berücksichtigt. Vgl. Anm. 169)

109 Ludwig H. F. Buhl (1814-Anfang der 1880er Jahre) stammt aus der Berliner französi-schen Kolonie. Er ist Schüler Michelets und promoviert 1837 in Berlin. Im gleichen Jahrveröffentlicht er die erste junghegelianische Schrift zur Hegelschen Rechtsphilosophie(»eine Übersetzung aus der Sprache der Götter in die der übertägigen Menschen«). Buhlentfaltet im Vormärz eine umfangreiche publizistische Tätigkeit, in deren Zentrum poli-tische Analysen stehen. Er gehört zum frühen Berliner Kreis der Junghegelianer, ist Mit-arbeiter des >Athenäum< und der RhZ. In den Berliner Fraktionskämpfen taucht er ander Seite von Köppen, Meyen und Stirner auf. Seine Schriften werden häufig beschlag-nahmt, und Buhl gerät mehrmals in Haft.In der Revolution von 1848 taucht Buhl in demokratischen Clubs in Berlin auf, wo erwegen seiner ironischen Witzeleien die Emphase stört. Nach der Revolution lebt erzurückgezogen. Über sein weiteres Schicksal sind genauere Angaben nicht aufzufinden.(In der ADB ist Buhl nicht berücksichtigt.)

110 Zur junghegelianskhen Phase von Engels (1820-1895) vgl. die in Anm. 162 angegebeneLiteratur. An dieser Stelle sei an Engels Aufenthaltsorte erinnert: 1838-1841 Bremen;1841-1842 Berlin im Kreise der Athenenser; 1842 Barmen, Köln, Treffen mit Heß undMarx; 1842-1844 England; 1844 Paris; 1845-1847 Brüssel.

111An dieser Stelle sei an Stirners Herkunft, Aufenthaltsorte und Kontakte erinnert. Stirner(1806-1856) stammt aus Bayreuth, sein Vater war Instrumentenmacher. 1826-28 Stu-dium der Philosophie in Berlin, dort hört er Hegels Vorlesungen. 1828 Studium inErlangen, 1829-1832 in Königsberg immatrikuliert, lebt zeitweise in Kulm, seit 1832 biszu seinem Tode in Berlin. 1835 Lehrerexamen (Arbeit über Schulgesetze), 1835-1836und 1839-1844 Lehrertätigkeit in Berlin. Er stößt Anfang der 40er Jahre zu den BerlinerJunghegelianern. 1842 Mitarbeit an der RhZ und der >Leipziger Allgemeinen Zeitung<.In den Beiträgen werden auch Kontakte zu Königsberg deutlich. 1843 Heirat mit der

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Junghegelianerin Marie W. Dähnhardt (vgl. S. 292 dieser Arbeit). 1844 Mitarbeit anBuhls >Berliner Monatsschrift<. Ende 1844 erscheint >Der Einzige und sein Eigentum<.1845 Experimente mit einer Milchwirtschaftskooperative. Stirner gerät in finanzielleNot. 1846 Trennung von M. Dähnhardt. 1848 ist kein Hervortreten Stirners überliefert.1852 erscheint die zweibändige >Geschichte der Reaktion«. 1853 gerät Stirner in Schuld-arrest. Er stirbt völlig verarmt. (ADB Bd. 36, vgl. die in Anm. 174 angegebene Literatur)

112 Eduard Gans (1798-1839) stammt aus einer jüdischen Berliner Kaufmannsfamilie. Erstudiert in Berlin, Göttingen und Heidelberg, wo er vielleicht schon Hegelsche Ideenkennenlernt, Jura, Geschichte und Philosophie. 1820 kehrt Gans nach Berlin zurück, woer 1828 eine Jura-Professur erhält. Auf seine Initiative hin kommt es zur Gründung derBerliner Jahrbücher (JWK). Als Kritiker der >historischen Rechtsschule< Savignys vertei-digt er die Notwendigkeit von Rechtsschöpfungen aus den Bedingungen der Gegenwart.Gans hält an den progressiven Elementen der Hegelschen Rechtsphilosophie, wie sie vor1820 entwickelt wurden, entschieden fest und formuliert die Hegelschen Grundsätze ineiner auf tagespolitische Ereignisse offen Bezug nehmenden publizistischen, engagiertenSprache. Zu seinen zahlreichen Hörern gehört auch der junge Marx. Ruges HJ verfolgtGans mit großer Sympathie. Auf die junghegelianische Rechts- und Staatsauffassung hater großen Einfluß gehabt. (ADB Bd. 8; NDB Bd. 6; H. G. Reissner (1965); M. Riedel(1967).

113Carl Ludwig Michelet (1801-1893) stammt aus einer Berliner Kaufmannsfamilie franzö-sischer Calvinisten. Er studiert in Berlin Jura und wendet sich der Hegeischen Philoso-phie zu. Von 1825-1850 ist er Lehrer am französischen Gymnasium, seit 1826 lehrt erals Privatdozent, seit 1829 bis zu seinem Tode als außerordentlicher Professor Philoso-phie in Berlin. Michelet gehört seit 1827 zum Herausgeberkreis der JWK und beteiligtsich an der Herausgabe der Werke Hegels. Rosenkranz zufolge bildet Michelet »denÜbergang von den Althegelianern zu den Junghegelianern«. (K. Rosenkranz, Aus einemTagebuch, 1854, S. 140) Von Leo wird er 1839 als Vertreter der »junghegelschen Partei«angegriffen. 1843 gründet er zusammen mit dem befreundeten Cieszkowski die Philo-sophische Gesellschaft zu BerlinsIn der Revolution von 1848 tritt Michelet für ein Bündnis von Konstitutionellen undDemokraten ein. 1860-1866 redigiert er die Zeitschrift >Der Gedanke<. Bis zu seinemTod veröffentlicht er zahlreiche philosophische Arbeiten. (ADB Bd. 55; C. L. Michelet,Wahrheit aus meinem Leben, Berlin 1884)

114 Im Zentrum der Königsberger bürgerlich-liberalen Opposition steht der Arzt JohannJacoby (vgl. S. 205 und 211 f. dieser Arbeit). In der Konditorei Siegel trifft sich seit 1839/40 ein politischer Zirkel, dem neben Jacoby u.a. Julius Waldeck und Ludwig Walesrodeangehören. Seit 1842 stoßen zu der »Donnerstags-Gesellschaft« weitere Teilnehmerhinzu. Unter den ca. 20 Personen sind auch: Rudolf Gottschall, F. Gregorovius, JuliusRupp, Wilhelm Jordan, E. Flottwell. Neben dem »Jacoby-Kreis« existiert eine Gruppeliberaler Junker, die sich um den Oberpräsidenten Th. v. Schön scharen. Einen eher lite-rarischen Charakter hat der »Dichterbund« um Karl Rosenkranz, dem u. a. Gottschall,Jordan und Gregorovius angehören. Rosenkranz selbst hat zum Jacoby-Kreis wie zumSchön-Kreis eine sympathisierende Distanz gehalten. Aber seine Verbindung zu Rugeeröffnete den Königsbergern einen Zugang zur junghegelianischen Diskussion, der sichrasch von den Rosenkranzschen >Vermittlungsdiensten< emanzipierte. (E. Silberner(1976) bes. S. 66-74 u. a.; L. Esau (1935) bes. S. 70 ff.; A. Jung, Königsberg und dieKönigsberger, 1846)

115 Karl Rosenkranz (1805-1879) stammt aus einer Königsberger Beamtenfamilie. Er stu-diert in Berlin (seit 1824) und in Halle (seit 1826) zunächst Theologie, dann Philosophie.Hinrichs veranlaßt ihn zum tieferen Studium der Hegelschen Philosophie. Rosenkranzpromoviert und habilitiert sich 1828. Um 1830 präsidiert er in Halle der informellen

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hegelianischen »Gartengesellschaft« (»Gesellschaft zum ungelegten Ei«), der Hinrichs,Ritschi, Ruge, Echtermeier und Leo (damals noch Hegelianer) angehörten. Seit 1833lehrt er bis zu seinem Tode in Königsberg. 1838 gründet Rosenkranz einen »Dichter-bund« in Königsberg. R. Gottschall und W. Jordan werden seine Schüler, deren literari-sche Initiativen er fördert. Mit Ruge befreundet, unterstützt er anfangs die HJ und stelltso einen Kontakt zwischen den Königsbergern und den Junghegelianern der Jahrbücherher. Seit 1840 beginnt eine Entfremdung zwischen dem >radikalen< Ruge und dem>gemäßigten< Rosenkranz. Er unterhält Kontakte zu den Liberalen einerseits um denpreußischen Oberpräsidenten Th. v. Schön und andererseits um den Arzt JohannJacoby. Er unterstützt jedoch den ostpreußischen Liberalismus aus einer kritischenDistanz heraus. Die Spaltung der Königsberger Gruppe in >Liberale< und >Radikale< ver-folgt er mit Skepsis. Rosenkranz bleibt ein Anhänger des preußischen Verwaltungsstaa-tes, den er um sozialstaatliche Elemente angereichert sehen will. In der Revolution von 1848 beteiligt er sich am Königsberger Konstitutionellen Clubund wird kurze Zeit vortragender Rat im preußischen Kultusministerium. 1849 ist erMitglied des preußischen Landtags (Linkes Zentrum). Im Herbst 1849 kehrt er nachKönigsberg zurück und konzentriert sich auf seine philosophisch-literaturästhetischeArbeit sowie auf ein Engagement in akademischen und kommunalen Angelegenheiten.(ADB Bd. 29; L. Esau (1935)

116 Rudolf Gottschall(1823-1909) stammt aus Breslau. Sein Vater war Artilleriehauptmann.Nach der Schulzeit in Koblenz studiert Gottschall in Königsberg und Breslau Jura. Erwird von Rosenkranz gefördert und gehört mit zum Königsberger Jacoby-Kreis. Zu denBerliner Junghegelianern hat er Kontakt während seines Militärdienstes in Berlin. Gott-schall schreibt politische Lyrik (Lieder der Gegenwart, 1842; Zensurflüchtlinge, 1843).Nach der Aufführung seines Revolutionsdramas »Robesspierre« wird er aus Breslau aus-gewiesen. 1846 promoviert er in Königsberg im Fach Jura. Gottschall strebt eine Univer-sitätskarriere an, kann jedoch die vom Minister binnen Jahresfrist geforderten Beweiseder Gesinnungsänderung nicht erbringen.In der Revolution von 1848 ist er 24jährig Mitglied des Königsberger Arbeitervereins.Gottschall wird Dramaturg in Königsberg und entfaltet eine breite literarische und lite-raturgeschichtliche Tätigkeit. Seit 1864 redigiert er die >Blätter für literarische Unterhal-tung< Später wird er Mitarbeiter der >Gartenlaube<. Politisch wendet er sich mehr undmehr der Rechten zu (Kriegslieder 1870). 1877 wird er von Wilhelm I. geadelt. (Gott-schall ist in der ADB und NDB nicht berücksichtigt. R. v. Gottschall, Aus meinerJugend, 1898; J. Proelß (1901)

117 Wilhelm Jordan (1818-1904) stammt aus einer ostpreußischen-pommerschen Pfarrerfa-milie. Er studiert in Königsberg zunächst Theologie, dann Philosophie und promoviert1842. Im gleichen Jahr erscheinen seine ersten politischen Gedichte (Irdische Phanta-sien, 1842). Von Königsberg hält er Kontakt zu den Berliner Junghegelianern und läßtsich 1844 als freier Schriftsteller in Leipzig nieder. 1846 wird er wegen eines blasphemi-schen Toasts mit Gefängnis bestraft und des Landes Sachsen verwiesen. Theoretischentwickelt Jordan sehr früh historisch-materialistische Positionen und will programma-tisch die Philosophie in die Naturwissenschaften auflösen. Er geht 1846 nach Bremenund ist nach der Februarrevolution Korrespondent der »Bremer Zeitung« in Paris.Im April 1848 geht er nach Berlin und wird als Vertreter der Linken in das FrankfurterParlament gewählt. Großes Aufsehen erregen seine Reden in der Polendebatte, weil ersich der deutschnationalen Position anschließt und zur Parlamentsrechten übergeht. ImNovember 1848 wird er Ministerialrat in der Marineabteilung des Reichsministeriumsfür Handel. Nach der Versteigerung der deutschen Flotte 1849 wird ihm eine 30jährigePension gezahlt. Finanziell gesichert unternimmt er von Frankfurt/M ausgehend alswandernder Rezitator seiner Stabreimversepen zahlreiche Reisen durch Deutschland,

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Österreich, die Schweiz, Rußland und Nordamerika (bis nach San Francisco).Die junghegelianischen Auseinandersetzungen werden von ihm 1852—54 in dem Verse-pos »Demiurgos« literarisch gestaltet. Er schreibt zahlreiche Dramen, Epen undRomane und wird in seiner Zeit als Dichter hochgeschätzt. Politisch gilt er besonders seit1870 als Propagandist neudeutscher Größe. (NDB Bd. 10; A. Günther (1920); F. Meh-ring (1961a); P.Scholz (1930)

118 Friedrich August Witt studiert in Königsberg Philosophie und wird Oberlehrer amKneiphöfschen Gymnasium zu Königsberg. Er gehört zum Jacoby-Kreis und ist maß-geblicher Redakteur der »Königsberger Zeitung<. Aufgrund seines Engagements im Pro-zeß gegen Jacoby wird er 1841 als Lehrer suspendiert, weil er seine Redaktionstätigkeitnicht aufgeben will. - In der Revolution von 1848 ist er Vorstandsmitglied des >Volks-wehrclubs<. (F. A. Witt ist in der ADB nicht berücksichtigt.)Hingewiesen sei auf den Umstand, daß G. Mayer (1913) statt Friedrich August Witt denKönigsberger Oberlehrer Carl Witt als Redakteur der >Königsberger Zeitung< anführt(S. 6). Carl Witt, der später als Pädagoge bekannt wurde (ADB Bd. 43; Sebastian Hen-sel, Carl Witt, Leipzig 1894), gehörte zwar auch zum Jacoby-Kreis, ist aber in dieser Zeitpolitisch-publizistisch nicht in dem Maße hervorgetreten wie F. A. Witt. Zu dieser Ver-wechslung bei G. Mayer kommt eine weitere: Mayer schreibt den wichtigen anonymenAufsatz: >Preußen seit der Einsetzung Arndts bis zur Absetzung Bauers<, in: EB S. 1—32ebenfalls Carl Witt zu. Nach E. Silberner (1976, S. 129) stammt dieser Aufsatz nachweis-lich von K. R. Jachmann. Die von Mayer festgestelte wörtliche Übereinstimmung mitPassagen einer Broschüre, die von August Witt stammen müßte, habe ich nicht überprü-fen können. (Vgl. G. Mayer, Ebd. S. 6)

119 Karl Reinhold Jachmann, geb. 1810 in Jenkau bei Danzig, studiert Theologie an der Uni-versität Königsberg. Er promoviert 1834 und wird Privatdozent. Er gehört zum Jacoby-Kreis in Königsberg. 1841 tritt er mit einer Streitschrift zur Frage der kirchlichen Unionhervor. Er ist Mitarbeiter der >Königsberger Zeitung<, hat über G. Julius Kontakte zur»Leipziger Allgemeinen Zeitung< und wird von E. Flottwell aufgefordert, für die RhZ zuschreiben. 1843 zieht der Gutsbesitzer Jachmann nach Kobulten, bleibt aber in engemKontakt mit radikalen Gruppen, auch während der Revolution von 1848. 1862 ist erRedakteur des >Neuen Elbinger Anzeigers<, dann ab 1873 wieder Gutsbesitzer und bis1879 Abgeordneter für Ortelsburg-Sensburg. Seit 1879 lebt er als Rentier in Königsberg.(Jachmann ist in der NDB und ADB nicht berücksichtigt.)

120Eduard Flottwell (1811-1862), ältester Sohn des Oberpräsidenten der Provinz SachsenE. H. Flottwell, studiert Jura in Königsberg. Er ist Mitglied im Jacoby-Kreis. 1841 gehter wegen seines Assessorexamens nach Berlin und schließt sich den Berliner Junghegelia-nern an. Er nimmt an der »Serenade für Welcker< teil, was den besonderen Unmut desKönigs erregt. Er wird Mitarbeiter der RhZ und steht mit Jacoby in Königsberg in regemBriefwechsel. 1844 wird er in Elbing zum Stadtrat und Syndikus gewählt.Nach der Revolution wird er 1851 vom Amt suspendiert und wegen seiner demokrati-schen Haltung 1852 durch richterlichen Spruch seines Amtes entsetzt. Seit 1853 lebt erals Fotografin Danzig. (E. Flottwell ist weder in der ADB noch in der NDB berücksich-tigt.)

121 Zürich ist im Vormärz ein überragendes Zentrum der radikalen Publizistik in der Emi-gration. Auch zahlreiche junghegelianische Schriften werden hier verlegt. Hervorzuhe-ben ist das »Literarische Comptoir Zürich und Winterthur«, das Anfang der 40er Jahrevon Julius Fröbel und August Folien gegründet wird. (Vgl. W. Näf (1929);H. G. Keller(1935); ders. (1943).J. Fröbel, ein Anhänger der Feuerbachschen Philosophie, war reger Mitarbeiter der RhZund besaß Kontakte zu fast allen bedeutenden Radikalen seiner Zeit. A. Folien warbefreundet mit Friedrich List und verstand sich als politischer Adoptiwater Georg Her-

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weghs. Privatdozent in Zürich ist Wilhelm Schulz, Mitarbeiter der RhZ und Freund Her-weghs. Schulz' wichtige Rolle für die Kontinuität in den vormärzlichen Oppositionspha-sen is t dargelegt von W. Grab (1979) . Zu den Schweizer Gruppenzusammenhängensiehe ebd. S. 177-210.Eine Übersicht über die radikale Publizistik in der Schweiz gibt K. Koszyk (1966) S. 80-86. Zur Entwicklung der Emigrantenkultur in der Schweiz vgl. E. Schraepler (1962);W. Schieder (1963); A. Gerlach (1975); H. J. Ruckhäberle (1983).

122 In Paris halten sich in den 40er Jahren als Besucher oder Emigranten u. a. zeitweise auf:M. Bakunin, A. Cieszkowski, K. Grün, G. Herwegh, M. Heß, K. Marx, A. Ruge. Wich-tige Vermittler zwischen französischen Sozialisten und Junghegelianern sind neben Heß(vgl. S. 270 ff . dieser Arbeit) Jakob Venedey, Herausgeber des »Geächteten« in Parisund Mitarbeiter der RhZ, Lorenz von Stein, der 1840 mit einem Stipendium der preußi-schen Regierung den französischen Sozialismus studiert und gleichzeitig für die RhZ kor-respondiert, und Alexander Weill, der an französischen wie deutschen Zeitungen mitar-beitet, Kontakte zu Pariser kommunistischen Vereinen hat, sich 1843 den Berliner Jung-hegelianern anschließt , 1844 zur Gruppe um Herwegh, Marx und Ruge überschwenktund ein Jahr später die freireligiöse Bewegung der Deutschkatholiken unterstützt.Zur Kontinuitä t der deutschen Teilnehmer an den Pariser intellektuellen Zirkeln vgl.A. Kaltenthaler (1960); für die frühe Arbeiterbewegung: W. Schieder (1963). Zum Ver-hältnis von Junghegelianern zu französischen Sozialisten in Paris vgl. C. Rihs (1978).

123 Brüssel entwickelt sich nach Zürich und Paris zu einem wichtigen Zentrum. Während inParis den deutschen Intellektuellen die Verbindung mit den französischen Sozialistenmißlingt, entwickelt sich zwischen Zürich und Brüssel insbesondere nach dem Scheiternder >Deutsch-französischen Jahrbücher< eine auch politische Konkurrenz. Während fürZürich A. Rüge die integrierende Gestalt wird, bildet sich in Brüssel um K. Marx einpolitisches Zentrum. (Vgl. Sh. Na'aman (1982) S. 169 f.; A. Cornu (1968) Bd. 3, S. 14-16,149-155; H. v. d. Dunk (1966)

124 Georg Herwegh (1817-1875) stammt aus einer württembergischen Gastwirt- und Hof-bedienstetenfamilie. 1835 wird er in das Tübinger Stift aufgenommen, das er wegen Auf-lehnung gegen die Stiftsordnung bald verlassen muß. Er wechselt vom Theologie- zumJurastudium über und bricht 1837 das Studium ab, um freier Schriftsteller zu werden.Dem strafweisen Einzug zum Miltärdienst entzieht sich Herwegh 1839 durch die Fluchtin die Schweiz. Hier lernt er über G. A. Wirth, J. Fröbel und A. Folien die oppositionel-len Emigrantengruppen kennen. 1841 und 1842 ist Herwegh in Paris. Aufgrund seinesliterarischen Erfolges (Gedichte eines Lebendigen, 1841) unternimmt er 1842 eine»Triumphreise« durch Deutschland, die insbesondere von der RhZ publizistisch beglei-tet wird. Herwegh schließt u. a. Kontakte zu Prutz, Ruge, Bakunin und der Kölner Jung-hegelianergruppe. (Zu Herweghs Reise 1842 und den Ereignissen, die zu seiner Auswei-sung aus Preußen führen vgl. S. 219 ff. dieser Arbeit) 1843 gibt Herwegh die Einund-zwanzig Bogen aus der Schweiz< heraus, seit 1843 lebt er in Paris in engem Kontakt zuHeine, Ruge und Marx.Mit Ausbruch der Februarrevolution 1848 wird er Präsident der »Pariser DeutschenLegion«, die den Versuch unternimmt, die badischen Revolutionstruppen militärisch zuunterstützen. Die Legion wird Ende April 1848 geschlagen. Herwegh und seine Frau,die engagierte Revolutionärin Emma Herwegh, fliehen in die Schweiz. Herwegh gerät inwirtschaftliche Notlagen und schreibt für Schweizer Journale. Unter dem Einfluß Las-salles schließt er sich dem »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein« an und wird dessenBevollmächtigter für die Schweiz. 1865 trennt er sich von den Lassalleanern und nähertsich Marx und Engels an. 1866 wird er Ehrenkorrespondent der I. Internationale. Seitdem Eisenacher Vereinigungsparteitag unterstützt er den revolutionären Flügel derSDAP. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Herwegh in Baden-Baden unter sehr

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ärmlichen Lebensumständen. (ADB Bd. 12; NDBBd. 8; F. Mehring (1961 b); B. Kaiser(1948) ; W.Büttner (1967)

125Jakob Venedey (1805—1871) stammt aus einer Kölner Juristenfamilie. Sein Vater warüberzeugter Jakobiner . Venedey s tud ier t 1825-27 Jura in Bonn und Heide lberg undwird Rechtsanwalt . 1832 ver lier t er durch e ine Schrif t gegen die Schwurger ichte dieChance auf eine Anstellung im preußischen Staat und wird Mitarbeiter am Mannheimer>Wächter am Rhein<. Er is t Teilnehmer am Hambacher Fest und wird verhaftet. Seinzweiter Fluchtversuch gelingt, Venedey geht über Straßburg nach Paris, wo er sich nie-der läßt . 1833 s teht er dem aus dem »Deutschen Volksverein« hervorgehenden »Bundder Geächteten« vor. 1835 wird er aus Paris ausgewiesen, und der »Bund« entwickeltunter dem Gött inger Pr ivatdozenten Theodor Schuster eine zunehmend kommunis t i-sche Programmat ik . Nach Aufentha l ten in Montpel l ier und Le Havre kann Venedeynach Paris zurückkehren. Er hat u.a. Kontakt zu Ruge, für dessen Jahrbücher er unterdem Pseudonym Heinrich Marc schreibt. Er entwickelt sich in den 40er Jahren zu einemargwöhn ischen Kr i t ike r der Linken , besonde r s wenn d iese gegen se ine Lehre vomgesetzlichen Widerstand verstieß.In der Revolution von 1848 wird er in den Fünfziger-Ausschuß des Vorparlamentsgewählt. Er gehört zu den Begründern der Fraktion »Westendhall«, die einen Ausgleichzwischen Liberalen und Demokraten anstrebt. 1850 übernimmt er die Statthalterschaftvon Schleswig-Holstein. Politisch gerät Venedey in der nachmärzlichen Zeit zwischenalle Fronten. 1852 zieht er nach Bonn, 1853 nach Zürich, wo er sich im Fach Geschichtehabilitiert. 1855 lebt er in Heidelberg beim Chemiker Moleschott, schließlich erwirbt er1858 ein altes Bauernhaus in Oberweiler , das seine Frau als Pension führt. Er schreibtüber Franklin, Washington, Stein. Kurz vor seinem Tod wird ihm ein Reichstagsmandatin Aussicht gestellt, das er nicht mehr erwerben kann. (ADB Bd. 39; W. Köppen(1921);H. Venedey (1927)

126Dieser Gruppenkern wird besonders seit 1844/45 erkennbar. Vgl. die Gruppendifferen-zierung, die R. Gottschall in seinen Memoiren vornimmt. Er nennt auf der einen SeiteE. Meyen und A. Rutenberg, die er von der Gruppe um B. Bauer (den »Freien«) unterschei-det (R. v. Gottschall, Aus meiner Jugend S. 169). Eine ähnliche Differenzierung nimmtauch Friedrich Saß vor. Er unterscheidet zwischen einem philosophischen Radikalismus(B. Bauer, E. Bauer und L. Buhl) und einem radikalen Liberalismus. Zu dieser »Partei«zählt er Rutenberg, Zabel, Nauwerck, Mügge und Volkmar. Er bezieht sich dabei auf diegeschei te r ten Ze i tungsprojek te von K. Nauwerck, Monatsschr i f t für Pol i t ik , Ber l in1846; T. Mügge, F. Zabel, Monatsschrift für Volksbindung, Berlin 1846; A. Rutenberg,Monatsschrift für Volkswirtschaft und soziales Leben, Berlin 1846. (F. Saß, Berlin, 1846,S. 163) A. Cornu rechnet zu dieser Gruppe auch noch L. Buhl, G. Julius und K. F. Kop-pen (A. Cornu (1968) Bd. 3, S. 28 f .) . I . Pepperle (1978) S. 104 gruppiert über Berlinhinausgehend R. Prutz, K. Nauwerck, G. Julius und A. Rüge als die Gruppe, die wederB. Bauer noch Marx und Engels zu folgen bereit ist. Die Zuordnung von Buhl, Julius undK. F. Koppen zu diesem Gruppenkern halte ich für zweifelhaft.

127Dieser Gruppenkern versammelt sich 1844 um L. Buhls >Berliner Monatsschrift«, diesich einerseits programmatisch gegen Rugesche und Nauwercksche Positionen wendet,andererseits gegenüber der Gruppe um B. Bauer Distanz hält. Diese fraktionelle >Mittel-lage< zeigt sich auch in anderen Schriften dieser Junghegelianer. Buhl vertritt eine Kritikder Politik, die nicht ins Konzept der politischen Radikalen paßt, und ebenso wendet ersich gegen die »Einsamkeit« der Bauerschen Kritik. Dies verbindet ihn mit Stirner, derversucht, eine Position zwischen Feuerbach und Bauer zu entfalten. E. Bauer undK. F. Koppen müssen auch diesem Gruppenkern zugeordnet werden, obwohl sie in derB. Bauerschen ALZ und den NB ihre Beiträge publizieren. E. Meyens Positionen dage-gen liegen teilweise auch sehr nahe bei Ruge/Nauwerckschen Auffassungen.

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128 Ernst Jungni tz (1818-1848) s tößt nach 1842 zu den Berl iner Junghegel ianern undschließt sich der Gruppe um B. Bauer an. Er ist eifriger Mitarbeiter der ALZ. Seit 1843publiziert Jungnitz zahlreiche Arbeiten über die Französische Revolution: Religion undKirche in Frankreich bis zur Auflösung der Konstituierenden Versammlung, 1843; Reli-gion und Kirche in Frankreich seit der Auflösung der Konstituierenden Versammlungbis zum Sturz Robespierres, 2. Bde., 1844. Zum Teil werden seine Arbeiten in die vonden Brüdern Bauer herausgegebenen Denkwürdigkei ten zur Geschichte der neuerenZeit seit der Französischen Revolution, 1843/44< aufgenommen. Die Vorgeschichte derRevolution behandelt Jungnitz in: Geschichte der französischen Revolution von 1787und 1788, 2 Theile, 1846. Hervorzuheben ist darüber hinaus: Geschichte des religiösenLebens, 1845.1848 stirbt Jungnitz im Alter von 30 Jahren. (Inder ADB ist Jungnitz nichtberücksichtigt.)

129 Julius Faucher 1820-1878) stammt aus einer Berliner hugenottischen Hutmacherfami-lie. Er studiert in Berlin Philosophie. Nach 1842 stößt er zu den Berliner Junghegelianernund wird 1844 Mitarbeiter der ALZ. 1846 gründet er mit J. Prince-Smith u. a. den erstendeutschen »Freihandelsverein«.An den Märzkämpfen der Revolution von 1848 nimmt er lebhaften Anteil. 1850 ist erMitbegründer und Redakteur der anarchistisch-freihändlerischen >Abendpost<. 1850-1861 emigriert er nach London, wo er seit 1856 Redakteur des >Morning Star< ist. Fau-cher wird literarischer Sekretär von R. Cobden. 1861 kehrt er nach Deutschland zurückund wird Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (Fortschrittspartei). MitTh. Fontane ist er seit der Zeit des Vormärz befreundet. (NDB Bd. 5)

130 Unter dem Pseudonym Szeliga hat der preußische Offizier Franz Zychlin von Zychlinski(1816-1900) an der ALZ und den NB mitgearbeitet. Bei den Berliner Junghegelianernhält er sich frühestens seit November 1842 auf. Seine letzte junghegelianische Schriftstammt aus dem Jahre 1846: Die Universalreform und der Egoismus. Aus seiner vor-märzlichen Zeit stammt seine Freundschaft zu Th. Fontane. Zychlinski macht bei derpreußischen Armee Karriere. Er veröffentlicht militärgeschichtliche Arbeiten:Geschichte des 24. Infanterieregiments. 2 Bde. (1854-1857); Anteil des 2. Magdeburgi-schen Infanterieregiments an dem Gefecht bei Münchengrätz und an der Schlacht vonKöniggrätz (1866). Zuletzt ist Zychlinski Kommandeur der 15. Infanteriedivision inKöln. (In der ADB ist Zychlinski nicht berücksichtigt.)

131 Karl Schmidt (1819—1864) stammt aus einer anhaltischen Bauernfamilie. 1841 studierterin Halle Theologie, 1843 wird er unter dem Einfluß von Erdmann und Schaller Hegelia-ner. 1844 geht er nach Berlin. Er vollzieht in kurzer Zeit, ausgehend von althegeliani-schen Positionen, den Übergang zu D. F. Strauß, zu Feuerbach, zu B. Bauer, zu Marxund zu Stirner nach, um sich 1846 selbst als Spitze der junghegelianischen Theorie zupräsentieren. Gleichzeitig vollzieht er einen dramatischen Bruch mit den Junghegelia-nern und wird Pfarradjunkt in Ederitz.Nach der Revolution von 1848 scheidet er aus dem Pfarrdienst aus und wird Lehrer inKöthen. K. Schmidt wird als »anthropologischer Pädagoge« durch zahlreiche Werkezur pädagogischen Theorie und Geschichte bekannt. (ADB Bd. 31; Paul Wätzel (1949)

132Über die Köthener >Kellergesellschaft< informiert P. Wätzel (1949) S. 66 ff.133Gustav Julius (1810—1851) studiert Theologie und wird Anhänger der neupietistischen

Orthodoxie. Wie B. Bauer entwickelt er sich vom Theologen zum Kritiker der Religion.1842/43 ist er für kurze Zeit Chefredakteur der >Leipziger Allgemeinen Zeitung<, diesich unter seiner Leitung rasch radikalisiert. 1843/44 wird er >Bauerianer<, um seit 1845zu einer Kritik der Bauerschen Richtung überzugehen, die er mit einer Kritik an Marx'und Engels' »Heilige Familie« verbindet. 1846-1849 gibt er die >Berliner Zeitungs-Halle< heraus.In der Revolution von 1848 steht Julius auf der Seite der Linken und emigriert nach der

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Niederlage nach London. In der Emigrantenszene versucht er, eine unabhängige Posi-tion zu wahren. 1851 kommt es zu einer theoretischen und praktischen Annäherung zwi-schen Julius und Marx und Engels. (In der ADB und NDB ist Julius nicht berücksich-tigt.)Zur Leipziger Dependance der >Kellergesellschaft< vgl. J. Schmidt, Geschichte derDeutschen Literatur, 1855, Bd. 3, S. 429.

134 In dieser Arbeit wird auf Aspekte der Hegelschen Philosophie nur insoweit eingegan-gen, als von ihnen her Bewegungsformen und Problemzonen der junghegelianischenDebatten sich erhellen lassen. Die Frage, ob und wie die junghegelianischen Hegelinter-pretationen heute Hegel gerecht werden, wird ausgeklammert. Ein Beitrag zu Hegel istdiese Arbeit allenfalls unter einem spezifischen Blickwinkel, nämlich unter dem Blick aufdie >Kollektivierbarkeit< von Grundzügen seines Denkens. Dieser Blick ist >ungerecht<,weil er eine ganz andere Frage an die Philosophie stellt als diese sich selbst. Für die Kohä-renz der Hegelschen Philosophie ist es eine periphere Frage, welche Elemente in einemsozialen Sinne >Schule machen< und vor allem machen können und mit welchen Elemen-ten keine Schule zu machen ist. Es macht einen Unterschied, ob einer Geschichtsphi-losophie treibt oder ob sich mehrere um eine Geschichtsphilosophie vereinen; ob diephilosophische Polemik von einem Philosophen oder einer Gruppe im Namen einesPhilosophen gemacht wird; ob die philosophische Gewißheit bei >mir< oder ob sie bei>uns< ist. In diesen Unterschieden liegt der Grund für die spezifisch soziologische Frage.- Zugänge zur Hegelschen Philosophie haben mir die Arbeiten von Lukács, Kojève,Marcuse und Adorno ebenso vermittelt wie Arbeiten von Ritter, Marquard, Saß, Riedel,Henrich, Theunissen und Bubner. Viel gelernt habe ich in den Diskussionen mit KosmasPsychopedis.

133 Zur Hegelschen Schule vgl. S. 54 ff. angegebene Literatur. »Hegelschule« nenne ich denGesamtkomplex der Schüler mit den verschiedenen Aufspaltungen und Fraktionierun-gen. »Hegelianisch« bezieht sich auf die Hegelschule, »hegelsch« auf Hegel selbst. DieBegriffe »Althegelianer«, »Junghegelianer«, »Rechtshegelianer« und »Linkshegelianer«werden weiter unten S. 137 ff. diskutiert.

136 Zum Begriff der »ideologischen Gruppe« vgl. A. Schweitzer (1944) S. 415, C. Mongar-dini (1979) sowie weiterführend P. C. Ludz (1976) S. 89 ff. Der Begriff »ideologischeGruppe« trifft das Phänomen der junghegelianischen Gruppenbildung nicht, weil erbereits eine politische und theoretische Zuspitzung enthält, die weit vorgreift. DerGedanke, daß Ideen als Ideologien definiert werden können, entsteht zwar bei den Jung-hegelianern, aber er entsteht in einer spezifischen Diskussionslage. Selbst ihre Gegnerhaben die Junghegelianer nicht als »Ideologen« gesehen, sondern als Vertreter von»Prinzipien«, mit denen ein »geistiger Kampf« auszutragen ist. Die von Stirner erzwun-gene Marxsche Einführung des Ideologiebegriffs steht systematisch am Ende des Jung-hegelianismus, sie hat die Funktion, die Debatte zu beenden, den »Prinzipienkämpfen«einen Status zuzuweisen, der via argumenti sinique nicht mehr zu verändern ist. (Vgl.dazu W. Eßbach (1982) S. 63 ff.)Präziser als der Begriff der »ideologischen Gruppe« trifft F. W. Grafs der theologischenDiskussion entnommener Begriff der »Positionalität« und der »Positionenkonkurrenz«.Eine »Position« entsteht durch Selbstunterscheidung von geltenden Positionen, sie trittdamit in eine Konkurrenz, in der sie ihre Eigentümlichkeit behaupten muß. Die Redevon »Ideologie« wäre das Todesurteil für »Positionalität«, weil ihr die Kraft derSelbstunterscheidung abgesprochen wird. (vgl. F.W.Graf (1982 a) S. 44 ff.; ders.(1978 a)S. 383 ff.)

137 Die soziologische und sozialpsychologische Literatur zum Thema Gruppe ist unüber- sehbar. Einige wenige Arbeiten seien hervorgehoben. Zu einer Universalisierung des Gruppenbegriffs neigt der einflußreiche Ansatz von

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G. C. Homans (1965).Im Gegenzug muß hingewiesen werden auf G. Lapassade(1972);Lapassade insistiert auf dem Phänomen der Bürokratisierung von Gruppen. Stark theo-riegeschichtlich systematisierend ist der Ansatz von Th. M. Mills ( 41973).Aus dem deutschsprachigen Bereich seien genannt: D. Ciaessens (1977); F. Neidhardt(1979). Analysen zu Gruppenstrukturen in politisch motivierten Studentengruppen fin-den sich bei L. Binger (1974). Vor einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit kleinerG r u p p e n u n d e in e r Ü b e rh ö h u ng vo n G r u p p e n i m t h e o r e t i s c h e n B e r e i c h w a r n tH. P. Bahrdt (1980). B. Schäfers (1980) bietet einen einführenden Überblick. ZumStand der Diskussion siehe F. Neidhardt (1983).

138 Forschungen zu Intellektuellengruppen, bei denen ein besonderer Aspekt auf die Grup-penbildung gelegt wird, sind noch immer spärlich. Von älteren Arbeiten sind neben viel-fältigen Hinweisen bei G. Simmel theoretisch anregend immer noch: K. Mannheim, DieBedeutung der Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen, in: ders. (1964) S. 566-613;S. Kracauer (1963). Die frühen Arbeiten von H. Rosenberg stellen Ansätze für eine »gei-stige Gruppengeschichte« dar. (H. Rosenberg (1972) S. 10)Die erkenntnistheoretischen Zuspitzungen im Streit um die Wissenssoziologie mögenmit dazu beigetragen haben, daß eine Weiterentwicklung der wissenssoziologischen Dis-kussion in Richtung auf eine Analyse von Intellektuellengruppen gebremst wurde.H i l f r e i c h s i n d i n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g i m m e r n o c h d i e f r ü h e n A r b e i t e n v o nC. W. Mills, in denen z. B. die Auffassung, das Publikum eines Theoretikers bestehe inder »zeitlosen Schar derjenigen, die die Wahrheit suchen«, zurückgewiesen wird. Millsversucht den Begriff des Publikums in Richtung auf Gruppenzusammenhänge zu präzi-sieren. Es handelt sich dabei u. a. um Personen, »die so denken, daß die Bedingungeneines bestimmten Denkmodells erfüllt werden, dessen Formen ihnen mehr oder wenigerbewußt sind und dem sie sich anzupassen trachten. Das ist es, was die >die Wahrheitsuchen< bedeutet. ( . . . ) Die bloße Existenz einer solchen Gruppe ist bereits soziologischbedeutsam. Der Ursprung und die Folgen solcher Gruppen in den verschiedenenZ us a m m e n h ä n ge n h a b e n b i s h e r w e n i g a u s d r ü c k l i c h e B e a c h t u n g g e f u n d e n . «( C . W . M i l l s ( 1 9 6 4 ) S . 2 9 0 ) R i c h a r d G r a t h o f f v e r d a n k e i c h d e n H i n w e i s , d a ßC. W. Mills in seiner Dissertation (1943) ausgehend von der pragmatistischen Intellek-tuellengruppe um Peirce und James die Frage nach der Sozialität eines Intellektuellenmi-lieus aufwirft.Von neueren Arbeiten sind neben den Arbeiten von P. C. Ludz (1976) die Bemühungenhervorzuheben, die seit einigen Jahren vermehrt im Bereich der Erforschung der Frei-maurer und geheimen Gesellschaften stattfinden (vgl. hierzu: Anm. 68). Im literaturwis-senschaftlichen Bereich sind zahlreiche Arbeiten über spezielle Dichter und Schriftstel-lergruppen zu finden. Übergreifende Fragestellungen entwickeln: H. Kreuzer (1968);F. Krön (1976); F. Kröll (1978)Zum Stand soziologischer Analyse von historischen Intellektuellengruppen siehe insbe-s o n d e r e d i e B e i t r ä g e v o n K . W . B a c k , D . P o l i s a r , S a l o n s u n d K a f f e e h ä u s e r ;H. P. Thurn, Die Soziali tät der Solitären, Gruppen und Netzwerke in der BildendenKunst; F. Kröll, Gruppenzerfall. Versuch über die Gruppe 47, in: F. Neidhardt (1983).

139 Zum folgenden vgl. J. P. Sartre (1967) hier bes. S. 271 und 371. Auf Sartres Gruppen-theorie hat mich Konrad Thomas aufmerksam gemacht.

140 Ebd. S. 375,292,307.141 Ebd. S. 373,271.142 »Ich fühle meine Ohnmacht im Anderen, weil ja der Andere als Anderer entscheidet, ob

meine Tat eine verrückte Einzelinitiative bleibt oder mich in die abstrakte Isolierungzurückwirft oder die gemeinsame Tat einer Gruppe wird. So wartet jeder auf die TatdesAnderen, und jeder macht sich zur Ohnmacht des Anderen, insofern der Andere seineOhnmacht ist.« Ebd. S. 295.

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143 Ebd. S. 399,403.144D. Ciaessens (1967) S. V, 59 ff.145Ebd. S. 10.146H. Blumer (1973) S. 81 ff.147Zur erkenntnistheoretischen Problematik vgl. K. O. Apel (1972).148G. Mayer (1913) S. 95.149 Sh. Na'aman (1982) S. 133. H. Hirsch (1955) spricht pointiert von einer »junghegel-

sche(n) Arbeitsgemeinschaft, die das System einer objektiven Begriffsgeschichte an sichzu verwirklichen suchte, indem sie auf individuelle Schreibweise verzichtete.« (S. 46)

150Ich bediene mich bei der Zusammenstellung von sophistischen Problem< und »leeremGerede< bewußt einer konventionellen antisophistischen Redeweise. Sie wird den histo-rischen griechischen Sophisten keineswegs gerecht. Es ist legitim, in den Sophisten dieInitiatoren des Konzepts einer intellektuellen Öffentlichkeit zu sehen und sie an denBeginn der Wissenschaft zu setzen, weil sie mit den verschiedensten Geheimformen derWissensproduktion und -Vermittlung brachen und als mobile Wanderlehrer rationalesDenken und Argumentieren jedermann zugänglich machten, (vgl. F. H. Tenbruck(1967) S. 63 ff.) In dieser Perspektive wären die Sophisten ein hervorragendes Beispielfür den interaktionistischen Zugang zur Analyse von Diskussion. Aber auch die konven-tionelle antisophistische Redeweise hat einen sozialen Sinn, denn mit dem öffentlichenEreignis von Diskussion sind auch die Phänomene der Kontingenz von Debatten, ihrerVerselbständigung, der Labilität ihrer Verbindlichkeit und der möglichen >Leere< desGesagten gegeben. Auf diese Phänomene bezieht sich meine Rede vom »sophistischenProbleme

151Platon, Menon (1957) S. 21, 80 d.132 A. Schütz (1981) S. 115 ff. Das »Um-zu-Motiv« orientiert sich am Zukunftsentwurf

einer Handlung, das »Weil-Motiv« kann erst nach Ablauf eines motivierten Erlebensgesehen werden. Erst auf einer zweiten Ebene könnte sophistische Rede vom Motiv hereingefangen werden: etwas zu sagen, um überhaupt zu reden, kann zwar Motiv sein, aberin diesem Motiv verlieren sich die kommunikativ vorausgesetzten Erwartungen an Spra-che.

153H. G. Gadamer (1965) S. 328.154M. Foucault (1977) S. 7. Vgl. dazu auch W. Eßbach (1985 b).155Ebd. S. 25.156Vgl. K. Fischer, Moderne Sophisten, Die Epigonen 5 (1848), S. 277-316. BeiK. Fischer

heißt es: »Die Philosophie hat in der Sophistik ihren höchsten Feind, ihr eigenes diaboli-sches Prinzip zu bekämpfen, einen Feind, der mit ihr auf gleichem Niveau steht, indemer die Waffen des Denkens gegen das Denken selbst kehrt, einen Feind, der mit der Auf-lösung der theoretischen Wahrheit zugleich die sittliche Praxis fundamental angreift;erst in der Überwindung dieses Feindes gewinnt die Philosophie ihre volle Konkretionund die Sicherheit der philosophischen Praxis.« (Ebd. S. 277 f.) Im Anschluß an Hegelbehandelt K. Fischer: Strauß, B. Bauer, Feuerbach und insbesondere Stirner undK. Schmidt. Eine Formulierung für den junghegelianischen Sophismus, die das Empfin-den vieler Zeitgenossen gut ausdrückt, hat G. G. Gervinus gefunden: er spricht von»herzloser Spekulation«. (G. G. Gervinus, Die Mission der Deutschkatholiken,1845.S. 47).

157Im Werk von J. Habermas hat dieses Ideal eine fundierte Gestaltung erfahren. Hetero-log zur Idee der »herrschaftsfreien Kommunikation« stehen die Überlegungen vonM. Foucault (1977): »Man muß wohl auch einer Denktradition entsagen, die von derVorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnissesuspendiert sind, daß das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Inter-essen der Macht entfalten kann. Vielleicht muß man dem Glauben entsagen, daß die

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Macht wahnsinnig macht und daß man nur unter Verzicht auf Macht ein Wissender wer-den kann. Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nichtbloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar ein-schließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wis-sensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraus-setzt und konstituiert.« (S. 39)

158G. Bataille (1975) S. 308.159S.Kracauer (1971c) S 187.160Ebd. S. 187,198 f.161H. Lübbe und H. M. Saß (1975) S. 146. Über Zusammenhänge zwischen Junghegelia-

nismus und Frankfurter Schule finden sich Hinweise bei R. Bubner(1971 a)S. 160-209.162Aus der Literatur über Marx und Engels möchte ich nur einige wenige Arbeiten anfüh-

ren, die im Zusammenhang dieser Arbeit von Bedeutung sind. Unverzichtbar, weil inhohem Maße traditionsbildend, sind die beiden klassischen Biographien: F. Mehring(1960); G.Mayer (1975).Für die junghegelianische Phase von Marx und Engels grundlegend ist A. Cornu (1954-1968). Von älteren Arbeiten ist noch heute lesenswert H. Speier (1952) S. 142-177;S. Hook (1936). Eine wichtige bibliographische Zusammenstellung der Rezeption derWerke von Marx und Engels in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts bietet B. Andreas(1964/65) S. 353-526.Angesichts der unübersehbar gewordenen Literatur zum >jungen Marx<, die seit der Pio-nierstudie: H. Popitz (1967) erschienen ist, beschränke ich mich auf exemplarische Hin-weise. Weitgehend orthodox wird Marx im Kontext des Junghegelianismus dargestelltbei G. Armanski (1974); N. Lapin (1974). Aus den junghegelianischen Gruppendebat-ten gehen Marx und Engels in dieser Literatur regelmäßig als Sieger hervor. Es hat sichauch eine Art Skala der Wertung einzelner Junghegelianer herausgebildet: Feuerbachsphilosophische Leistung, Heß' sozialistische Orientierung, Ruges Organisationstalentstehen in der Wertung oben an. Ihre Beiträge werden bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, andem Marx und Engels sich von ihnen trennen. Die Brüder Bauer und Stirner bilden dieSchlußlichter der Wertungsskala. Ihre Auffassungen sind oft bis zur Karikatur verzerrtdargestellt. Junghegelianer, denen nicht das zweifelhafte Glück widerfuhr, Opfer derMarx-Engelsschen Polemik zu werden, sind in weiten Bereichen der Literatur über-haupt in Vergessenheit geraten. Insgesamt muß festgestellt werden, daß die starke Kon-zentration des Forschungsinteresses auf die Marxsche Entwicklung und die Entwick-lung der frühen Arbeiterbewegung, so verständlich dies angesichts der weltgeschichtli-chen Bedeutung des Marxismus auch ist, den Junghegelianismus sowohl immer wiedermitthematisiert wie andererseits auch überschattet hat.Literatur zu speziellen Aspekten der junghegelianischen Phase von Marx und Engels istim Literaturverzeichnis aufgeführt. An dieser Stelle sei auf Arbeiten hingewiesen, indenen der junghegelianische Kontext der Entwicklung des jungen Marx besonders her-ausgearbeitet wird: N. Lobkowicz (1967) untersucht aus antimarxistischer Perspektivedie Genese der Idee der revolutionären Praxis bei Marx und behandelt dabei auch aus-führlicher die Auseinandersetzung der Hegel-Schule in den 30er und 40er Jahren (bes.Ebd. S. 141-292). Während Lobkowicz bestrebt ist, die Ursprünge stalinistischer Poli-tik beim Junghegelianer Marx nachzuweisen, bemüht sich A. Wildermuth (1970), denjunghegelianischen Kontext des jungen Marx für die heutige gesellschaftstheoretischeDiskussion zu aktualisieren. Wildermuths These, daß es bei Marx darum geht, dieHegelsche Geistdialektik als einen universellen menschlich-gesellschaftlichen Kommu-nikationsprozeß aufzuschlüsseln (Ebd. S. 420 ff.), wird kenntnisreich und subtil entfal-tet, und dabei werden zugleich die Leistungen der anderen Junghegelianer gewürdigt. Indiesem Zusammenhang muß auch auf die kleine präzise Arbeit von R. Bubner (1971 b)

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hingewiesen werden, die das Theorie-Praxis-Problem ausgehend von den junghegeliani-schen Debatten erörtert. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: S. Kratz (1979).Ohne Bezug auf die Junghegelianer, aber im Zusammenhang dieser Arbeit zu nennen,ist T. Meyer (1973). Meyer konzentriert sich auf zwei Marxsche Probleme, die für dieSpaltung der Junghegelianer von besonderer Bedeutung sind: 1. das Konzept der Ideo-logie und 2. die Rolle des Proletariats. - Einen interessanten psychoanalytischen undfamiliensoziologischen Ansatz hat M. Schneider (1980) verfolgt.

163 Exemplarisch seien hier Überlegungen von E. Bottigelli (1963) genannt. Bottigelli fragt:Liegt der »point de départ« des Marxschen Denkens im Junghegelianismus, oder hat esseine entscheidende theoretische Kontur vor der Konstituierung der Junghegelianergewonnen? (Ebd. S. 10) Welcher Junghegelianer hat Marx maßgeblich beeinflußt, undwie ist »l'originalité de la pensée de Marx<' festzustellen? (Ebd. S. 12) Schließlich heißtes: »Si l'évolution et la radicalisation de l'idéologie jeune hégélienne est une partie inté-grante de l'itineraire intellectuel de Marx, le problème essentiel reste de déterminer defaçon précise les conditions dans lesquelles il a opéré le dépassement de cette idéologie.A quel moment la démarche de Marx est-elle devenue radicalement différente?« (Ebd.)Bei der Verflechtung der junghegelianischen Diskussion sind diese Fragen nur gewalt-sam zu lösen.

164 Karl Korsch (1971) S. 167-172.165 Zu Bakunin vgl. die Arbeiten von M. Nettlau (1901); ders. (1927). Aus der Fülle der

Sekundärliteratur sei aufgeführt: E. H. Carr (1937); B.-P. Hepner (1950); P. Schreibert(1956); R. R. Bigler (1963); Institut d'Etudes Slaves (Hg), Bakounine (1979).Über Bakunins Rolle im Jungehelianismus ist wenig überliefert. Er war mit Ruge undHerwegh gut bekannt. Vgl.: A. Ruge, Erinnerungen an Michael Bakunin, Neue freiePresse, Wien 28/29. 9. 1876 und M. Herwegh, Georg Herweghs Briefwechsel mit sei-ner Braut, 1906. Zum Junghegelianismus Bakunins vgl. auch: D. Tschizewskij (1961)und M. Wolff (1970) S. 151-182.

166 Aus der älteren Heß-Forschung ist zu erinnern an die Pionierarbeit von T. Zlocisti(1921). Grundlegend für die Auseinandersetzung mit Moses Heß sind die Arbeiten vonE. Silberner. Im Kontext dieser Arbeit sind hervorzuheben: E. Silberner (1963) S. 387-437; ders. (1964) S. 5-44; ders. (1966).In den Arbeiten von W. Mönke wird insbesondere die Rolle von Heß für die Herausbil-dung des Marxismus herausgearbeitet. W. Mönke (1963) S. 438-509; (1964). Von neue-ren Untersuchungen zur Heß-Interpretation sind zu nennen: H. Hirsch (1975); H. La-demacher (1977); S. Na'aman (1982). Insbesondere die aus post-marxistischer Perspek-tive geschriebene umfangreiche und erhellende Biographie von Na'aman verweist aufdie bis heute nachwirkende Aktualität von Moses Heß, dessen Gebeine 1962 am150. Geburtstag nach Israel überführt wurden. Na'aman weist auf den gegenwärtigenpolitischen Kontext hin, in dem gerade die Nationalitätstheorie Moses Heß' neu zureflektieren wäre.

167 Die Erforschung des vielfältigen Spektrums des Frühsozialismus, der in den Jahren1842-1846 von den Junghegelianern rezipiert wird, ist inzwischen zu einer Spezialdiszi-plin angewachsen. Vgl. hierzu D. Dowe (1981). Statt einzelne Arbeiten hervorzuheben,sei an den Impuls erinnert, der Ende der 60er Jahre diese Forschung beflügelt hat. Es warHerbert Marcuse, der die »utopische Konzeption des Sozialismus« zunächst rehabili-tierte und dazu aufforderte, von Marx zu Fourier überzugehen. H. Marcuse (1969)S. 41. Vgl. dazu auch M. Vester (1970/71) hier: Bd. 1, S. 223.

168 Neben dem Briefwechsel und den autobiographischen Zeugnissen (s. Literaturverzeich-nis) ist für die Biographie immer noch grundlegend W. Neher (1933). Eine ausführlicheRuge-Bibliographie hat A. Zanardo (1969) vorgelegt, die auch sämtliche Beiträger derHJ und DJ aufführt.

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Außerdem sind zu nennen: F. Blaschke (1919); H. Rosenberg (1972); I. Fanto (1937);M. G. Lange (1948); H. Strauß (1954); G. Groth (1967); G. B. Vaccara (1980). Eineausführliche Auseinandersetzung mit Rüge findet in zwei neueren Arbeiten zum vor-märzlichen Radikalismus bzw. Junghegelianismus statt: I. Pepperle (1971), auch als:dies. (1978); P. Wende (1975).

169Über Karl Nauwerck habe ich keine Arbeit gefunden. BiographischeHinweisegeben P.Wende (1975) S. 47, der sich auch mit Schriften Nauwercksauseinandersetzt, und R. J. Hellmann (1977) S. 203-222.

170Vgl. Problemstellung und Literatur bei P. Wende (1975) S. 17. Zur DDR-Diskussion indieser Frage siehe: I. Bauer, A. Liepert (1982).

171Nach der Feuerbach-Renaissance in den 20er Jahren, die mit den Namen Karl Barth undKarl Löwith verbunden ist, konzentrierte sich die Diskussion der 50er und 60er Jahre aufdas Verhältnis des jungen Marx zu Feuerbach. Exemplar isch seien genannt G. Dicke(1960) ; W.Schuffenhauer (1965).Inzwischen ist insbesondere in den 70er Jahren die Litera tur über Feuerbach enormangewachsen. Ein Vers tändnis für die Kontroversen um Feuerbach gewinnt man gutanhand des Sammelbandes: E. Thies (1976). Im Jahrgang 26 (1972), No. 101 der Revueinternationale de Philosophie, Brüssel, S. 255-423 finden sich Beiträge über Feuerbach,und zwar von H.-M. Saß, E. Thies, K. Löwith, N. Rotenstreich, C. Bruaire, H. Arvon,J. Glasse, M. Henry und C. Cesa.Für die DDR-Diskussion ist zu nennen: Ludwig Feuerbach 1804-1872, Deutsche Zeit-schrift für Philosophie, 20 (1972) Heft 9, mit Beiträgen, die sich in erster Linie mit demFeuerbach-Marx-Problem auseinandersetzen. Siehe hierzu auch W. Bialas, K. Richter,M. Thom (1980) . Ein bre i te res Spektrum wird abgedeckt in H. Lübbe , H. M. Saß(1975) . Der Band enthäl t auch eine Bibliographie der Feuerbach-Literatur der Jahre1960-1973. Hervorgehoben seien: H. Arvon (1957); C. Ascheri (1969); A.Schmidt(1973); M. W. Wartofsky (1977). Von den größeren älteren Arbeiten ist zu erinnern anS. Rawidowicz(1931). Von neueren Arbeiten se i genannt H. H. Brandhorst (1981) .

172Rohrmoser, in: Lübbe, Saß (1975) S. 10.173A. Schmidt (1973) S. 30 ff. Zu Marcuse vgl. in diesem Zusammenhang bes.: H. Marcuse

(1973) S. 72 ff.174Von den älteren Arbeiten über Stirner ist zu nennen J . H. Mackay (1914). Diese bisher

e inzige Stirner-Biographie is t ebenso unentbehrl ich wie unzureichend, da Mackay mitdem von ihm gesammelten Material äußerst nachlässig umgegangen ist . Während Mak-kays Arbeit die Stirnerrezeption maßgeblich beeinflußt hat, wurde Max Adlers nochheute diskussionswerte Stirnerinterpretation in der Literatur kaum rezipiert. M. Adler(1914). Hervorzuheben sind darüber hinaus H. Arvon (1954); H. G. Helms (1966);R. W. K. Paterson (1971); B. Käst (1979).Zum Verhältnis von Stirner und Marx vgl. aus dogmatisch marxistischer Sicht G. Herz-berg (1968); J. Maruhn (1982); sowie andererseits: A. Schaefer (1968); N. Lobkowicz(1969); P. Thomas (1975). Meine Versuche einer Interpretation der Kontroverse zwi-schen Marx und Stirner finden sich: W. Eßbach (1982 und 1985 a). - Zu Stirner-Nietz-sche vgl. J. Bergner (1973); zu Stirners Bedeutung für den Existentialismus vgl. H. Ar-von (1954). Stirners Einfluß auf die moderne Sprachphilosophie erfolgte über FritzMauthner, dessen Bedeutung H. Wein (1968) hervorgehoben hat (Ebd. S. 309). EinenVergleich der Auffassungen Stirners und des Semantikers A. Korzybski hat M. Whitlow(1950) vorgelegt.

175 Charakteristisch für den Stand der Forschung zu B. Bauer ist, daß immer noch eineGesamtausgabe seines Werkes fehlt. Käme sie zustande, so dürften allein die Arbeitenzum Neuen Testament und zum Urchristentum einen Umfang von knapp 4000 Seitenhaben. Eine ausführliche Bibliographie B. Bauers aus den Jahren 1837-1849 hat A. Za-nardo (19651 vorgelegt.

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Von der älteren Bauer-Forschung sind zu nennen: M. Kegel, G. Runze und G. A. vanden Bergh von Eysinga (vgl. Literaturverzeichnis). Kegels Arbeiten sind heute nur nochvon rezeptionsgeschichtlichem Interesse. Runze und van den Bergh van Eysinga(dessengroße Arbeit über B. Bauer noch nicht vollständig veröffentlicht ist) haben als Theolo-gen in den 30er Jahren B. Bauer auf ihre Fahnen geschrieben, was nicht ohne gravie-rende Umdeutungen zu bewerkstelligen war. Dagegen hat E. Barnikol (siehe Literatur-verzeichnis), der sich über 50 Jahre mit B. Bauer befaßt hat, versucht, die Kontinuitätder Bauerschen Entwicklung zu ergründen. Seine 31 in Frageform gehaltenen Thesenzur Entwicklung B. Bauers machen eindringlich deutlich, welche Probleme auf denjeni-gen zukommen, der sich mit diesem Autor eingehender auseinandersetzen will. (E. Bar-nikol (1972) S. 1-5) Angesichts der kaum abzuschätzenden Herausforderung, die dieBauerschen Schriften darstellen, erweisen sich vorschnelle, selektive Deutungen bzw.nicht unter Kontrolle gebrachte Voreingenommenheiten als unzureichend. So z. B. beiD. Hertz-Eichenrode (1957); C. Dannenmann (1969); L. Koch (1971).Hervorzuheben sind aus den Arbeiten der 60er Jahre C. Cesa (1960); J. von Kempski(1962); das Kapitel über Bruno Bauer in H. Stuke (1963); H.-M. Saß (1967 c); ders.,Nachwort zu: Bruno Bauer (1968). Über die Rolle Bruno Bauers in der neueren theologi-schen Diskussion vgl. J. Mehlhausen (1965 und 1975); C. Comoth (1975); G. Lämmer-mann (1979). Zum Verhältnis Marx - Bruno Bauer siehe J. Gebhardt (1962); Z. Rosen(1970). Die wichtige Arbeit von Z. Rosen (1977) enthält einen guten Überblick über dieProbleme der Bauer-Forschung (S. 7—16) Zur noch in den ersten Anfängen steckendenWirkungsgeschichte B. Bauers siehe: A. K. Jelti (1981); Z. Rosen (1982). Zu BauersRußland-Schriften siehe: D. Groh (1965) S. 263-274.

176 Für das neuere Interesse an dem Hegelschüler und polnischen Grafen Augustvon Cieszkowski sprechen die Neuausgaben A. v. Cieszkowski (1979).Von den älteren Arbeiten se i hervorgehoben W.Kühne(1938 , Nachdruck1968) .Über Cieszkowsk i s iehe :H. Stuke (1963) S.83-122; und A.Liebich(1979)

177A. v. Cieszkowski, Gott und Palingenesie, 1842, S. 93.178 Zu K. Schmidt vgl. Anm. 131.179 Vgl. H. Arvon: »Es kam in der deutschen Geistesgeschichte 1849 zu einem Bruch:

einem Bruch, den man jetzt überwinden will, den man aber noch nicht überwunden hat.Alles, was vor 1848 geschah, verschwand eben.« In: Lübbe, Saß (1975) S. 150. Daß die-ser Bruch in den Formeln der 40er Jahre antizipiert wurde, zeigt E. Redslob (1940).Redslob rechnet die 16 Jahre vor 1848 zu den »betont problematischen Zwischenepo-chen der Menschheit« (Ebd. S. 271) Löwiths berühmte These vom revolutionärenBruch im Denken des 19. Jahrhunderts gehört mit in diesen Zusammenhang. Die ambi-valenten Phantasien von schwindelerregenden totalen Verwirklichungsmöglichkeitenund ihren selbstdestruktiven Verkehrungen gehören G. Steiner zufolge zu den Struktur-eigentümlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Vgl. G. Steiner (1972) S. 9-34. Die Ambiva-lenzen, die Steiner beschreibt, kristallisieren sich in Deutschland in hohem Maße an demGeschehen der 1848er Revolution.

180 J. E. Erdmann (1896) S. 637 ff., S. 728 und 685.181 (R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, in: Die Gegenwart. 6. Bd.,

1851, S. 292-340, Zitat S. 293. Den ersten Hinweis auf R. Gottschalls Verfasserschafterhielt ich bei: F. Kampe, Geschichte der religiösen Bewegung, Bd. 1,1852, S. 29. In derVorrede (1854) von: R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts,31872, Bd. 1, S. XIII bekennt sich der Autor zur Verfasserschaft. Rezensiert wurde Gott-schalls anonymer Text von Moritz Carriere in dem Organ des PseudohegelianersI. H. Fichte, siehe ZPsT 21 (1852) S. 153-159. Carriere kritisiert, daß der junghegeliani-sche Radikalismus viel zu stark hervorgehoben wird: »Die negativen Richtungen (derHegelschule, d. V.) sind auf Gassen und Märkten ausposaunt worden als die alleinige

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Wahrheit und Geistesfreiheit, aber auf die Durchführung ihrer Theorien haben sie war-ten lassen.« (Ebd. S. 158).

182 R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur (1872). Hier bes. Bd. 2, S. 142-190. Überdie Junghegelianer im Vormärz siehe auch S. 208-242.

183 J. Schmidt, Geschichte der Deutschen Literatur, Bd. 3.21855, S. 380-449. Für die Beur-teilung der Junghegelianer nach der 48er Revolution vgl. auch (anonym), Die Triarier,1852.

184 G. Mayer (1913 und 1920) aufgenommen in: ders. (1969).185 Zur Junghegelianerliteratur dieser Phase ist zu rechnen: D. Koigen(1901);B. Groethuy-

sen (1923) ist ein Referat der Arbeiten von Koigen und Mayer; in diesen Kontext gehö-ren auch die Arbeiten von Mackay über Stirner (Anm. 174), von Blaschke und Rosen-berg über Ruge (Anm. 168), von Zlocist i über Hess (Anm. 166). Zu nennen ist auch:M. Nettlau (1925) bes. S. 169-179; H. Kobylinski (1933).

186 Die Arbeit von W. Moog (1930) läßt davon noch nichts spüren; sie fällt an Genauigkeithinter die Erdmannsche Darstellung zurück. Das neue Problem reflektieren die Arbei-ten von Löwith über Feuerbach (1928) und ders . , Die phi losophische Kri t ik (1933) ;ders., Von Hegel zu Nietzsche (1941, 81981). Zu erinnern ist in diesem Zusammenhangdaran, daß 1931 der junge T. W. Adorno in seiner Kierkegaard-Schrift über die »Selbst-vernichtung des Idealismus« reflektiert. T. W. Adorno (1974), S. 190 ff.

187 K. Löwith (1964) S. 9.188 C. Schmitt (1950 a) S. 81. Der »arme Max« ist Max Stirner.189 G. E. Müller (1948); E. Benz (1955 b).190 Es ersch ienen Disser ta t ionen zu den wicht igs ten junghegel ian ischen Ze itschr i f ten :

H. Kornetzki (1955) ; W. Klutentreter (1966) .191 Zu Gebhardts und Stukes Arbeiten siehe auch den ausführlichen Rezensionsartikel von

D. Groh (1964) . Zur Konjunktur der Junghegel ianer-Forschung zu Beginn der 60erJahre vgl . auch d ie Textauswahlen , die in der BRD und DDR erschienen . K. Löwith(Hg) , Die Hegelsche Linke, 1962; H. Steussloff (Hg), Die Junghegelianer , 1963. DerBand 6 (1963) der Annali enthäl t überwiegend Beiträge zum Junghegelianismus undFrühsozialismus, u. a. von E. Bottigelli , A. Cornu, C. Cesa, G. A. van den Bergh vonEys inga , E . S i lbe rner , W. Mönke . Zur Diskuss ion de r Al thegel iane r vg l . H . Lübbe(1960), aufgenommen in: ders., (1963).

192 H. M. Saß (1963) S. 221 f. Saß behandelt neben den Althegelianern aus den junghegelia-nischen Gruppenzusammenhängen u. a . Strauß, Feuerbach, Rüge, Bayrhoffer,B. Bauer, E. Bauer, Stirner, Marx, K. Schmidt.

193 J. Gebhardt (1963) S. 15,18,61,152. Gebhardt behandelt neben den Althegelianern ausden junghegelianischen Gruppenzusammenhängen D. F. Strauß, Cieszkowski, Feuer-bach.

194 Ebd. S. 48, 165 f. Zu E. Voegelins Gnosisthese vgl. E. Voegelin (1958), J. Taubes (1984)sowie die Beiträge von P. J . Opitz und G. Sebba, beide in: dies . (1981) S. 21-73 undS. 190-241. Im letzten Kapitel dieser Arbeit werde ich auf diese These zurückkommen.

195 H. Stuke (1963) S. 247 ff.196 D. Mc Lellan (1974) S. 7, 185; W. J. Brazill S. 16, 21.197 Ebd . S . 282 und 263. Zur Diskuss ion im ange l sächs i schen Raum vg l . Ph i losoph ica l

Forum (1978).198 Vgl. die entsprechenden Literaturangaben in den Anmerkungen 166 ff.199 K. Röttgers (1975) behandelt neben den Althegelianern: Feuerbach, D.F.Strauß,

B. Bauer, E. Bauer, K. Schmidt, A. Rüge, K. Marx, J. Mader (1975) bezieht sich u. a. aufCieszkowski, B. Bauer, Stirner, Feuerbach, Kierkegaard, Heß. R. Ruzicka (1977) kon-zentriert sich auf B. Bauer, Feuerbach und Stirner.

200 K. Röttgers (1975) S. 139 ff .

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201 vgl. J. Mader (1975) S. 140 ff.202 R. Ruzicka (1977) S. 3 und 112 ff.203 vgl. hierzu J. Hermand, M. Windfuhr (1970), W. W. Behrens u. a. (1973) und das mo-

numentale Werk von F. Sengle (1971, 1972, 1980).204 U. Köster (1972) S. 158 ff.205 C. Richter (1978) S. 3 und 95. Obwohl Richter die Junghegelianer nur am Rande seiner

Arbeit mitbehandelt, gibt diese sorgfältige und materialreiche Arbeit viele wichtige Ein-blicke in die vor- und nachmärzliche Intellektuellenkultur in Deutschland.

206 P.Wende (1975) untersucht Ruge und Nauwerck in Verbindung mit J. Fröbel, J. G. A.Wirth, G. Struve und K. Hagen ausgehend von der Gruppierung l inker Abgeordneterin der Paulskirche. Zur Begründung der Auswahl siehe Ebd. S. 31 ff.I. Pepperle (1978). Zur Periodisierung Pepperles siehe Ebd. S. 88, 104,139.

208 Der Schwerpunkt der Arbeit I. Pepperles liegt auf der Kunsttheorie der Junghegelianer,insbesondere der Auffassungen von R. E. Prutz. Wie so oft in der wissenschaftlichenDiskussion in der DDR kündigen sich vielleicht auch hier produktive Neuorientierun-gen im literaturwissenschaftlich-ästhetischen Bereich an.

209 In den Jahren 1972-1976 fanden im Rahmen des Zentrums für interdisziplinäre For-schung der Universi tät Bielefeld unter Leitung von J. Frese mehrere Tagungen einerArbeitsgemeinschaft »Theoriebi ldung und Gruppenprozeß« statt , in der anhand ver-schiedener theorieproduzierender Gruppen eine »wissenssoziologische Theorie der Bil-dung von Theorien« en twickel t werden sol l te . Neben der Gruppe der »Freien« umB. Bauer in Berlin 1840—44 wurden über acht weitere Gruppen von der »LittärischenGesellschaft der freien Männer« in Jena u. a. 1796-1801 bis zum Institut für Sozialfor-schung um Max Horkheimer diskutiert. (Zentrum für interdisziplinäre Forschung Uni-versität Bielefeld, Jahresbericht 1973, S. 42 ff. Leider sind mir die Tagungsmaterialiennicht zugänglich gewesen.)

210 R. Bubner, Einleitung zu A. v. Cieszkowski (1981) S. XIX.211 J. Habermas (1985) S. 67.212 Vgl. dazu ausführlich W. Eßbach (1982 und 1985 a).213 »Zeitdruck« im doppelten Sinne von knapper Zeit und belastenden Zeitumständen.

Diese Formulierung verdanke ich Hans Paul Bahrdt, der sie für die Stellung der Soziolo-gie zu den Problemen ihrer Zeit verwendet hat.

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I. Philosophische Schule

Übersicht

Der Begriff >Schule< (1) wird typologisch im Hinblick auf externe (Verhältnis zuKirche und Staat) und auf interne (Pietät gegenüber dem Lehrer, Verbrüderungder Schulmitglieder und der Rolle der >großen Gedanken<) historische Strukturele-mente entfaltet. Im externen Bereich sieht sich die phüosophische Schule im Bünd-nis mit dem preußischen Staat (2) und orientiert sich als integrierter Teü des Staatesan der Figur der beamteten Intelligenz (3), die reformpolitischen Zielsetzungenfolgt. Im internen Bereich akademischer Schulbildung (4) steht die Schule vor demProblem, mit konkurrierenden Auffassungen umgehen zu müssen. Sie tut diesdurch eine Aufwertung der Polemik, der besonderen Legitimation von Schulbil-dungen und der spezifischen Definition ihrer Aufgaben. Im symbolischen Jahr1840 steigern sich die Erwartungen (5) der Gruppe, daß sich ihr Bündniskonzepterfüllt bzw. daß ihnen eine Chance zur Verteidigung gegeben wird. Die EntlassungB. Bauers (6) bedeutet für die Gruppe das Scheitern des Bündniskonzeptes, ausdem sie als >bloße Menschen< hervorgehen. Der interne Positionenstreit (7) kannmit der brüchig werdenden Schuldefinition nicht mehr rein spekulativ gesichertwerden, das politische Richtungsschema >Rechte-Mitte-Linke< indiziert nicht nurdie Schulspaltung, es beruhigt auch das aufbrechende Sophismusproblem.

1. Zum Begriff >Schule<

Der Ausdruck >Schule<, auf wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge ange-wandt, ist vieldeutig.1 Er bezeichnet >Richtungen<, >Denkweisen<, >Theoriesy-steme< ebenso wie bestimmte Gruppen von Wissenschaftlern. Man kann an .kleineZusammenhänge mit ausgeprägtem >esprit de corps< denken und an sehr großeGebilde wie den >Marxismus< als >Schule< oder an sog. >nationale Schulen<. Wennin dieser Arbeit von >Schule< die Rede ist, so bezieht sich der Ausdruck nicht aufeine typologische Ebene derart, daß von mir aus wissenschaftsgeschichtlicher Per-spektive verschiedene Denker zu einer Schule zusammengefaßt werden, weü ichbei ihnen Gemeinsamkeiten entdecke, die den Ausdruck >Schule< rechtfertigenkönnten. Auch soll >Schule< nicht einen Kreis von Denkern bezeichnen, die mehroder weniger gemeinsame Ansichten zu bestimmten Problemen entwickeln, diejedoch sozial kaum oder wenig miteinander zu tun haben. Der Ausdruck >Schule<soll dagegen einen Typ wissenschaftlicher Gruppenbildung bezeichnen, der zah-lenmäßig und lokal definiert werden kann, dessen Zugehörigkeitskriterien sowohlvon Seiten der Gruppe wie von Seiten des einzelnen bewußt anerkannt werden unddem über die Zugehörigkeit zu Institutionen der Wissenschaft hinausgehendbesondere Bindungen eignen.

E. Tiryakian hat eine idealtypische Definition von >Schule< gegeben, die sich89

zwar stark an den kunstgeschichtlichen Schulbegriff anlehnt, aber im Hinblick aufwissenschaftliche Schulen angelegt ist. >Schule< ist ihm zufolge eine »wissenschaftli-che Gemeinschaft, die sich um eine zentrale Figur schart, einen geistigen charisma-tischen Führer und ein Paradigma über die vorfindliche Realität, die Gegenstandder Untersuchung ist.«2 Die paradigmatischen Kernformulierungen - oft auch sol-che esoterischer Art - stammen vom Gründer, die Gefolgschaft besorgt die Ausle-gung und Interpretation der >großen Gedanken< und kooptiert ihrerseits neueSchülergenerationen. In der Schule können neben Gründer und Schülern einekleine Anzahl von Mitgliedern aus der Alterskohorte des Gründers sein, die,obwohl nicht seine Schüler, sich dennoch seinen Thesen aus Überzeugung ange-schlossen haben. An der Peripherie der Schule sind oft >Helfer< anzutreffen, die, seies als Verleger oder als Staatsbeamte, die Schule fördern, ihr angehören, ohneselbst im intellektuellen Bereich hervorzutreten.

Tiryakian kommt bei seiner idealtypischen Definition von >Schule< nicht ohnereligionssoziologische Begriffe aus. Zumindest im Stadium ihrer Entstehung sei dieSchule mit einer Sekte oder Bruderschaft vergleichbar: ihr eigne ein »intellektuellerMissionswille«, und anfangs werde der Schule »der Zutritt zum Tempel« verwei-gert. In dem Maße, wie die Schule sich etabliert, komme es wie bei Sekten zu einerVeralltäglichung des Charismas, und die Ideen der Schule werden in die Standard-konzeption der Disziplin integriert.3

So plausibel die Hereinnahme religionssoziologischer Begriff in die Schuldefin-ition auf den ersten Blick erscheinen mag, die bloße Analogie von >Schule< und>Sekte< verführt leicht zu einer polemischen Sicht. Sicher lassen sich zwischenSchule und Sekte vielfältige Übergangsformen ausmachen: so kann das gelehrteWissen auf eine religiöse Heilswahrheit bezogen sein, oder die Anhänger eines Pro-pheten oder Gottgesandten können die Verbreitung der Heilswahrheit als routi-nierten Schulbetrieb organisieren. Dennoch ist es sinnvoll, mit Max Weber denphilosophischen Lehrer und seine Schule vom Propheten und seiner Gemeinde zuunterscheiden.4 Der philosophische Lehrer übt ein »professionelles Weisheitsge-werbe aus«, der Prophet ist definiert durch die Verkündigung einer religiösenHeilswahrheit kraft persönlicher Offenbarung. Dieser arbeitet gleichsam unent-geltlich kraft eigenem Charisma, jener lehrt professionell im Auftrag. Im Unter-schied zur Sektenbildung ist die >Schule< von vornherein auf die jeweilige Weise derInstitutionalisierung des philosophischen Wissens bezogen.

Der Grad der Institutionalisierung mag hoch oder niedrig sein - bevor dieGruppe um einen Weisheitslehrer >Schule< genannt wurde, war >Schule< der Ort,an dem Mußezeit verbracht wurde -, entscheidend ist, daß mit der Abgrenzung vonBereichen, in denen philosophisches Wissen gelehrt wird, ein Raum für konkurrie-rende Weltauffassungen entsteht. Schulbüdung findet in einem Konkurrenzraumstatt, der institutionalisiert ist.

Der Glaubenskrieg von Sekten ist im strengen Sinne keine Konkurrenz, weil jedeSekte durch ihren Bezug zur Heilsoffenbarung außer Konkurrenz steht und weilHeilswahrheiten ihrer Natur nach der Einrichtung von Konkurrenzräumen, indenen sie >degradiert< werden könnten, widerstreiten. Im Unterschied zur >Sekte<bezieht sich >Schule< immer auf ein Forum. An dieser Differenz muß festgehaltenwerden, um die Selbstdefinitionsprobleme der Junghegelianer erhellen zu können,

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die sich sowohl als philosophische Schule als auch im Kontext häretischer Sekten-traditionen begreifen.3

Im folgenden werde ich einige historische Strukturelemente skizzieren, die sichauf die Genese des Konkurrenzraumes philosophischer Schulbildung und auf dieinnerschulischen Verhältnisse beziehen.

Im Unterschied zum klassischen Altertum, auf dessen Philosophenschulen hiernicht eingegangen werden soll, vollzieht sich die mittelalterliche philosophischeSchulbildung im Rahmen der theologischen Anstalten und wird gemeinhin als Pro-zeß der Verselbständigung der Philosophie gegenüber der Theologie begriffen.6

Die Differenz von Priesterbeamten und Philosophen entwickelt sich über dasmetatheoretische Grundmuster der doppelten Wahrheit. Es gibt die Wahrheit derbiblischen Offenbarung, die in der kirchlichen Lehre tradiert wird, und es gibt dieWahrheit, die durch logische, spekulative oder empirische Rekonstruktion derOffenbarung entsteht. Mit diesem Grundmuster ist der Prozeß einer Freisetzungder Philosophie von der Religion in Gang gesetzt. Entscheidend ist, daß geradedort, wo es um die intellektuelle Rekonstruktion der Offenbarung geht, einzunächst geringer, aber im Laufe der historischen Entwicklung größer werdenderRaum für konkurrierende Rekonstruktionen gegeben ist. Dieser Konkurrenzraumist aber eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Genese konturierter philo-sophischer Schulbildungen, die sich zwar alle zunächst noch bei Strafe sozialer oderphysischer Vernichtung dem kirchlichen Dogma unterordnen müssen, die aberdoch unter sich um eine adäquate Rekonstruktion der Offenbarung konkurrierenkönnen.

Im Gefolge der Reformation und der Religionskriege wird ein zweites histori-sches Strukturelement wichtig, das den sozialen Raum für philosophische Schulbil-dung absichert. Die erstarkenden absolutistischen Staaten befördern durch Akade-mie-Gründungen und Einwirkung auf Universitäten nicht nur die gesellschaftlicheAnerkennung wissenschaftlicher Forschung, sondern sie helfen mit, Institutionali-sierungen zu schaffen, die den Wissenschaftler von den Wechselfällen größereroder geringerer Toleranz der religiösen und politischen Herrschfat entlasten.7 DieInstitutionalisierungen von neutralen Sphären der Wissenschaften geht, woraufKrohn hinweist, einher mit einer gesellschaftlichen Definition legitimer Wissen-schaft.»Die neutrale Sphäre, die der Wissenschaft in ihren Institutionen geschaffen worden ist, istzugleich ein Kompromiß, den sie gegenüber Kirche, Staat und Wirtschaft eingeht. Diegesellschaftliche Stabilisierung erreichen die Wissenschaftler um den Preis, daß ihre eigeneSicherung zugleich eine Zusicherung zu sein hat, keinen Anlaß zur Gefährdung der öffentli-chen Ordnung, der religiösen Orientierung und der Legitimation von Herrschaft zu geben.Es legen damit die Institutionen fest, welches Forschungsverhalten als ein wissenschaftlichesauf Anerkennung und auf Schutz rechnen kann.«8

Kernpunkt dieser gesellschaftlichen Definition legitimer Wissenschaft ist, daßdie Wissensbereitstellung als eine neutrale Tätigkeit definiert wird, »die als solcheweder herrschaftskonform noch dysfunktional ist«.9 Eliminiert sind in dieser Defi-nition umfassendere emanzipatorische Ansprüche, die auf eine praktische Verän-

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derung sozialer und politischer Strukturen sich richten könnten. Das Abkappender praktisch-emanzipatorischen Dimension verweist den Wissenschaftler auf denModus der >Ratschläge<. Auf der anderen Seite bringt die Institutionalisierung derWissenschaften eine Entlastung der Erkenntnisgewinnung von den Zwängen undGefahren gesellschaftlicher Praxis. In jedem Fall führt die gesellschaftliche Legiti-mierung der neutralen Sphäre Wissenschaft zu einer wichtigen Stabilisierung desKonkurrenzraumes für Schulbildungen, die nunmehr relativ abgekoppelt von Ver-bindlichkeiten der kirchlichen Dogmatik und den Wendungen politischer Herr-schaft miteinander konkurrieren können.

Natürlich sind die beiden geschilderten historischen Strukturelemente nichtungefährdet. Im Gegenteil: Verfolgt man die Geschichte der Universitäten, so sindkirchliche und staatliche Eingriffe allzu häufig anzutreffen. Auch setzen sich beideStrukturelemente in den verschiedenen Wissenszweigen unterschiedlich rasch undstabil durch. Während sich im Bereich der technisch-naturwissenschaftlichen,medizinischen und ökonomischen Wissenschaften die Verselbständigungen früherdurchsetzen und sich rascher stabilisieren, dauert es im Bereich der Philosophieerheblich länger.10 Noch im 19. Jahrhundert - dies lehrt gerade die Geschichte derHegelschule - ist die Entkoppelung philosophischer Lehre und Forschung vonkirchlichen und staatlichen Imperativen nicht gesichert vollzogen.

Die beiden skizzierten historischen Strukturelemente beziehen sich gleichsamauf >externe< Voraussetzungen philosophischer Schulbildung. Mit ihnen ist virtuellder Konkurrenzraum gegeben, in dem sich die Schule bewegt. Im folgendenmöchte ich auf zwei weitere historische Strukturelemente eingehen, die die Bezie-hungen der Mitglieder einer Schule untereinander betreffen: sie beziehen sich aufden Komplex der Pietät gegenüber dem Lehrer, der Verbrüderung der Schule unddie Frage der Beschaffenheit der >großen Gedanken<.

M. Weber zufolge gehört die Beziehung zwischen Schüler und Weisheitslehrer»überall zu den festesten Pietätsverhältnissen, die es gibt«.n Der Begriff Pietät ver-weist auf Bindungsformen familialer Herkunft. Er fällt in den Bereich des traditio-nell Üblichen und Erwarteten, einen Bereich, der anders strukturiert ist als diebesondere charismatische Beziehung.12 Es ist sinnvoll, für die Lehrer-Schüler-Beziehung zunächst die Probleme, die mit einem charismatischen Lehrer gegebensind, auszuklammern, nicht nur, weil sonst die typologische Differenz von religiö-ser Gemeinde und philosophischer Schule zu verschwimmen droht, sondern vorallem, weil für die genauere Bestimmung der Schulpietät ihr Verhältnis zur Fami-lienpietät maßgebend ist.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der vom Christentum geprägten abendlän-dischen Tradition der Lehrer-Schüler-Beziehung, daß die Frage nach dem Verhält-nis von Schulpietät zu Familienpietät nicht eindeutig festgelegt ist. Während z. B.der indische >Guru< ein souveräne Gewalt über seine Schüler hat, die die Familien-pietät annulliert, kennt die christliche Tradition eine zweifache Antwort: Es gibtsowohl einen Traditionsstrang, in dem die Pietas gegenüber dem christlichen Leh-rer als eine die Familienbande sprengende begriffen wird. Bezugspunkte dieserTendenz sind die bekannten Jesu-Worte: »Es werden entzweit sein der Vater mitdem Sohn und der Sohn mit dem Vater, die Mutter mit der Tochter und die Toch-

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ter mit der Mutter«. (Lukas, 14,26) Auf der anderen Seite gibt es einen Traditions-strang, in dem das Lehrer-Schüler-Verhältnis ganz nah an die familiale Situationangelehnt wird, so daß im Idealfall geistlicher Lehrer und Vaterschaft zusammen-fallen, wie die Verbreitung der Idee einer >geistigen Vaterschaft< bezeugt.13

Schulpietät ist aufgrund dieser Ambivalenz sowohl eine Wiederholung der Fami-lienpietät: der Vater als Lehrer wiederholt sich im Lehrer als Vater, als auch eineder Familienpietät entgegengesetzte Verbindung: der Lehrer depotenziert denVater. Es kann hier nur daraufhingewiesen werden, daß diese Uneindeutigkeit engverwoben ist mit dem von der psychoanalytisch orientierten Kulturtheorie entdeck-ten Zusammenhang von Vaterschaft, Sublimation und kultureller Produktivität.Der ödipale Vater, der sich dem Begehren des Sohnes in den Weg stellt, ist zugleicheine Gestalt, die den Prozeß der Öffnung der familiären Sozialbindungen in Gangsetzt und zur Anerkennung der Person ebenso wie zur Konstitution der Realitätherausfordert.14

Die Ambivalenz zwischen einer familialistischen und einer antifamilialistischenFassung der Pietät gegenüber dem Lehrer scheint diese eher zu stärken als zuschwächen. Es ist eine fruchtbare Ambivalenz, weil sie in die Autoritätsbeziehungzugleich das Moment ihrer Auflösung einführt.15 Dies wird besonders deutlich,wenn man die der christlichen Tradition entstammende Idee einer Selbstaufhe-bung der Lehrer-Schüler-Beziehung in Betracht zieht.

L. Schuckert hat darauf hingewiesen, daß das christliche Verständnis des Leh-rers, wie es schon früh in den Benediktinischen Regeln erfaßt wird, zwar die Hier-archie von Lehrer und Schüler kennt, aber diese Hierarchie wird »nicht paternal imrömischen Sinne und auch nicht als Verhältnis von Meister und Jünger aufge-faßt«.16 Im römischen Paternalismus und in der Meister-Jünger-Beziehung ist dieinnerschulische Hierarchie grundsätzlich unaufhebbar, lediglich die Folge derGenerationen macht aus Söhnen-Schülern-Jüngern Väter-Lehrer-Meister. Dage-gen kennt die christliche Lehrer-Definition nur die graduelle, nicht prinzipielleinterschulische Differenz. Der Abstand zwischen Lehrer und Schüler verringertsich progressiv, bis er sich - jedenfalls der Idee nach - innerschulisch, d. h. schonvor dem generativen Platzwechsel, selbst aufhebt. Die sozialen Effekte dieser Auf-fassung liegen zum einen in der Möglichkeit, das Lehrer-Schüler-Verhältnis ten-denziell egalitär zu definieren, zum anderen in der Möglichkeit einer Beschleuni-gung der Bildungsprozesse, wird doch das Abstandverringern zum gemeinsamenBezugspunkt.

Die Tendenz der Selbstaufhebung der Lehrer-Schüler-Beziehung liegt schonsehr nahe bei dem Komplex der Verbrüderung der Schule. Tiryakian hatte in seinemIdealtypus >Schule< auf die Schulmitglieder hingewiesen, die, neben dem Gründerstehend, seiner Alterskohorte entstammend, sich, obwohl sie ihre Ausbildunganderswo abgeschlossen haben, dem Schulgründer angeschlossen haben.17 DieBedeutung dieser Mitglieder besteht darin, daß sich in ihrer Beziehung zum Lehrergleichsam modellartig der Verbrüderungsaspekt darstellt. Denn ihr Anschluß andie Schule verdankt sich nicht einer jugendlichen Verehrung des Lehrers, die erstzu läutern wäre, sondern sie erfolgt als Zusammenschluß von virtuell Gleichen.

Der Verbrüderungsaspekt in schulischen Beziehungen soll im folgenden histo-

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risch spezifischer dargestellt werden. Religionssoziologisch betrachtet, läßt sich dieBrüderlichkeitsethik weit zurückverfolgen,18 und sie ist vielleicht als Reaktion aufdie immer gegebene Erfahrung von Gewalt zurückzuführen, die auch in der Schuleals pädagogische Gewalt zugegen ist. Im Zusammenhang dieser Untersuchung istspezieller auf die eigentümliche Sentimentalisierung sozialer Beziehungen hinzu-weisen, die im 18. Jahrhundert aufbricht und die auch den innerschulischen Ver-brüderungsaspekt in ihren Bann schlägt.

Es ist hier nicht der Ort, auf die komplexe Genese dieser Bewegung einzugehen,die zum Ende des 18. Jahrhunderts nahezu alle Bereiche des sozialen Lebens erfaßthat. Genannt seien stichwortartig: die Empfindsamkeit, die Sentimentalisierungder Familienbeziehungen, der Freundschaftskult und die Protestbewegung des>Sturm und Drang<.19 Wahrscheinlich stehen diese Bewegungen in Zusammenhangmit sozialstrukturellen Veränderungen der Sozialisationsbedingungen. Der fami-liäre Raum erhält eine außerordentliche Wertschätzung als ein Ort, den Liebe, Inti-mität, Spontaneität und gefühlhafte Verständigung beherrschen sollen - Qualitä-ten, die dann zum Maßstab für das Zusammenleben der >Menschheitsfamilie< erho-ben werden.20 Allgemein kann man sagen, daß in dieser Bewegung das Bürgertumseinen Anspruch auf moralische Integrität und auf die Authentizität der Emotionengegen die politische Weltklugheit< der Oberschichten geltend macht, für die Emo-tion und Moral strategische Elemente im verhöflichten Spiel der Macht waren.

Im Bereich der Universitäten macht sich die Sentimentalisierung der sozialenBeziehungen etwa im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geltend. Seit den 70erJahren zeichnet sich zunächst im studentischen Bereich ein tiefgreifender Wandelin den Formen der Gruppenbildung ab.21 Die traditionellen Gruppenformen deralten Orden, Landsmannschaften und >Kränzchen<, die auf staatlichen, landschaft-lichen, ständischen und Altersunterschieden basierten und die sich exklusiv defi-nierten, werden von einer neuartigen Bewegung der Verbrüderung in Fragegestellt, für die ein gesteigertes, soziale Distanzen aufhebendes Freundschafts- undGemeinschaftsgefühl, verbunden mit emphatisch-idealisierten Wertvorstellungen,charakteristisch ist. Man beginnt, sich über Standesschranken hinweg zu duzen,und erhebt die freundschaftliche Verbindung mit Fremden zum Programm.22

H. Gerth verweist in diesem Zusammenhang auf die Effekte, die die Auflösungständegesellschaftlicher Bindungen bei der Intelligenz hervorruft: »Die aus ihrenStänden ausgebrochenen Individuen ( . . . ) tasteten im exaltierten Abbau der eige-nen Standestradition nach Formen für die zu neuer Gemeinschaft drängendenGehalte.«23

Die Sentimentalisierung der sozialen Beziehungen, die an den Ausbildungsinsti-tutionen in der studentischen Verbrüderungsbewegung gipfelte, gehört zu den tief wirkenden geschichtlichen Erfahrungen der Vertreter der klassischen Epoche.Fichte und Goethe sind in die hochschulpolitischen Auseinandersetzungen inSachsen-Weimar verwickelt, Schillers Räuberlied wurde von den Studenten begei-stert aufgenommen, Hölderlin, Schelling und Hegel hatten in Tübingen Kontakt zustudentischen Verbrüderungen.24 So wechselvoll und uneinheitlich ihre Haltungzu den Verbrüderungen im einzelnen auch gewesen sein mag, das soziale Klima derSentimentalisierung sozialer Beziehungen hat diese Generation entscheidendgeprägt. Goethe schreibt rückblickend: »Es war überhaupt eine so allgemeine

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Offenherzigkeit unter den Menschen, daß man mit keinem einzelnen sprechen,oder an ihn schreiben konnte, ohne es zugleich als an mehrere gerichtet zu betrach-ten. Man spähte sein eigen Herz aus und das Herz der anderen«.25 Ein anschauli-ches Beispiel für die Wirkungen der Verbrüderungsbewegung auf die Beziehungenzwischen Hochschullehrern und Studenten liefert der Bericht eines Studenten überdie Feier auf dem Picheisberge vom Mai 1819:»Eingeladen waren vornehmlich von den Burschen Prof. Schleiermacher, De Wette, Hegel,Hasse (der nicht kam) und Jahn (der kam auch nicht). Ein Trupp zog schon um 7 Uhr fort, einanderer um 9, ein dritter um 11. Auf dem Berge dort sammelten wir uns alle, und dort warauch das Mahl gerüstet. Mit Ballspiel und Wettlaufen und andern Spielen brachten wir dieZeit hin, bis die Professoren kamen. Als nun alles bereit war und alle Plätze mit den Markenbelegt, die wir von unsern Festordnern für 2 Tlr 4 Gr gelöst, zogen wir hinein in den Saal undsangen bald: Sind wir vereint zur guten Stunde! - zum Wein hatte jeder sein eigenes Glasmitgebracht, doch ist keins wieder heimgekommen. Dann ermahnte uns Schleiermacher,das Lied >Wem gebührt der höchste Preis?< zu singen, und nachdem sprach er: >Wir wollentrinken: daß der Geist, der die Helden von Görschen beseelte, nicht ersterbe! < Gläserklängeund fröhliches Jubelrufen antwortete ihm. Dann sprach Dr. Förster einiges über KotzebuesTod und endete so: >Nicht Sands Lebehoch wollen wir trinken, sondern daß das Böse falle,auch ohne Dolchstoß !< Mir schiens, als wurde nicht ganz laut Bescheid getan. Auch Jahnsward nicht vergessen. Endlich riß der Wein überall hindurch. An die Stelle des ruhigenGesprächs trat jauchzende Lust; auch die Professoren wurden Jünglinge. Alles Bruder undFreund! >Lieber Bruder Schleiermacher<, sagte Hermes, >Du bist ein zu herrlicher Kerl; laßuns Schmollis saufenU Und es geschah. Haake aber sprach zu demselben: >Schleiermacher,Du bist zwar sehr klein und ich sehr groß; ich bin Dir doch gar sehr gut!< Ich aber meinte:Ach wie wirst Du und alle morgen um 6 Uhr in Deine Ästhetik finden! - Selbst vor Lachenund Trunkenheit stammelnd, führte er uns salomonische Sprüche ins Gedächtnis. Alle rie-fen ihm zu: >Du liesest morgen nicht!<, und so gings mit allen Doktoren, die dort waren.«26

Der Bericht zeigt zum einen die sukzessive Aufhebung des Distanzverhältnisses:getrennter Anmarsch, Vereinigung bei Gesang und Wein, die Idealisierung derSituation »Alles Bruder und Freund!«, und schließlich die rauschhaften Über-schreitungen der institutionellen Rollendefinitionen. Nicht weniger wichtig sinddie politischen Bezüge. Beschworen wird die Zeit der Befreiungskriege, die Lehrerund Schüler im gesteigerten Patriotismus zusammen finden ließ, und es deutet sicheine Spaltung an, die Sympathisanten und Gegner von Sands Attentat auf Kotze -bue trennt. Wenige Monate später werden nach den Karlsbader Beschlüssen undder einsetzenden Demagogenverfolgungen Feiern wie diese dem polizeilichen Ver-dacht ausgeliefert sein.

Die Verbrüderungsbewegung stand auch mit Pate bei Fichtes, Schleiermachersund Humboldts Überlegungen zur Universitätsreform. Humboldt begreift, diechristliche Idee einer tendenziellen Aufhebung der Lehrer-Schüler-Hierarchieradikalisierend, »die Universität als die Emanzipation vom eigentlichen Lehren, dader Universitätslehrer nur von fern das eigene Lernen (der Studenten, d. V.) lei-tet«.27 Es geht nicht mehr um bloßen Ausgleich des Gefälles zwischen Lehrer undSchüler, sondern um die Konstituierung einer »geisterfüllten Geselligkeit«, in derbei allen Beteiligten ein gleicher Wille zur Wahrheit vorausgesetzt wird. DerAspekt allseitiger Kommunikation gewinnt hier einen klaren Vorrang vor dem derBelehrung.

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Für die internen Beziehungen philosophischer Schulbildung bedeutet dies: demphilosophischen Lehrer als Mittelpunkt einer Schule gebührt zwar immer noch dietraditionelle Pietas, aber diese wird zunehmend als Verpflichtung gegenüber einerSymbolsphäre begriffen, die sich im egalitären Prozeß der innerschulischen Kom-munikation weiter entfalten soll. Unter diesem Aspekt werden die Debatten derHegelschüler verständlich werden, die davon handeln, inwieweit es notwendig sei,gerade in der Treue zum Lehrer über dessen Lehren hinauszugehen.

Hinzukommt, daß die Geringachtung der sozialen Distanzverhältnisse in derTendenz dazu führen kann, auch den institutionellen Rahmen der Schulbildung,den akademischen Raum, als hinderlich für die Entwicklung der Schule zu begrei-fen. Denn der institutionalisierte akademische Raum besitzt mit seinen Disziplinen,Prüfungen und Graden als ein aufgefächertes Erziehungsinstitut eine eigene sozialeSchwerkraft, die dem Verbrüderungsstreben der philosophischen Schule häufigentgegensteht. Das heißt, die internen Schulbeziehungen sind nicht vollständig mitden akademischen Sozialbeziehungen zur Deckung zu bringen, handelt es sichdoch um zwei Stränge, die sich in der philosophischen Schulbildung des beginnen-den 19. Jahrhunderts treffen: Ein sozialer Beziehungstyp, der dem akademischenBereich Universität als einer staatlichen Ausbildungsinstitution in der Tradition desAbsolutismus entspringt, mit klar definierten Lehrer- und Schülerrollen, und aufder anderen Seite ein sozialer Beziehungstyp, der dem durch die bürgerlicheGesellschaft begründeten freien Verbrüderungs- und Vereinswesen zu verdankenist.

Im Schnittpunkt beider Formen ist die Schule anzusiedeln. Sie beruht auf derPietas gegenüber dem Lehrer ebenso wie auf der Verbrüderung der Schulmitglie-der. Die Festigkeit der Pietät beruht auf der Beziehung der >geistigen Vaterschaft«:,die die mit der bloßen Lehrerschaft gegebene Hierarchie in eine Bewegungsformverwandelt, in der die Prozesse der > Abarbeitung< und Wertschätzung des so Ange-eigneten ineinander greifen. In der Verbrüderung entsteht eine horizontale Kom-munikationsebene, in der sich das Verpflichtungsgefühl zugleich mit der Bewälti-gung der persönlichen Autoritätsprobleme auf eine Symbolsphäre bezieht, deren>große Gedanken< den gemeinsamen Bezugspunkt darstellen.

Diese gemeinsame Symbolsphäre entsteht, weil in einem doppelten Sinn der>Tod des Vaters< in der Schule präsent ist. Nicht nur in dem Sinne, daß von Schulenur geredet werden kann, wenn sie nach dem Tod des Gründers mindestens einegewisse Zeit weiterlebt, sondern auch in dem Sinne, daß sie die >großen Gedanken<in eine tradierbare Struktur bringt, die ihnen Dauer und Bleiben sichert.

Nicht jeder Philosoph oder Theoretiker hat >Schule< gemacht, und es wäre zueinfach, dies lediglich auf die Gunst oder Ungunst der Umstände zurückzuführen.Vielmehr ist daran zu denken, daß sich vielleicht gerade solche Theorien als >schul-fähig< erweisen, in denen der >Tod des Vaters< in besonderer Weise anwesend ist.Dieser Gedanke muß nicht der Erfahrung widersprechen, daß es sich bei denSchulgründern in der Regel um außergewöhnlich selbstgewisse Persönlichkeitenhandelt. Auch sind in der Regel die >großen Gedanken< so beschaffen, daß sie einengleichsam paradigmatischen Charakter haben, der sie als verallgemeinerungsfähi-gen >Schlüssel<, als >Methode< oder als >Ansatz< zur Lösung zuvor verstreut erfahre-

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ner Phänomene und Probleme erscheinen läßt. Der >Tod des Vaters< ist jedoch inschulfähigen Theorien in der Weise anwesend, daß sich die >großen Gedanken< inseltsamer Weise um eine Leerstelle gruppieren. Auf einer persönlichen Ebene magso etwas wie die Fülle des Charismas wirken - was die Theorie angeht, die Schulemacht, so muß von einer Leerstelle im Zentrum gesprochen werden. Sie kannumschrieben werden als Arkanum oder esoterischer Bereich, aber sie ist in derHauptsache nicht positiv bestimmbar. Sie ist daher auch nicht, wie bei Sektengrün-dern, eine Offenbarung, sondern eher umgekehrt eine Verrätselung.

Ein Artikel in der RhZ, der von B. Bauer stammen könnte, macht dies deutlich.28

Wie viele große Männer sei auch Hegel nach seinem Tode ein Gegenstand der Volksmythegeworden. Es wird erzählt, kurz vor seinem Tode soll er ausgesprochen haben: »>Keiner sei-ner Schüler habe ihn verstanden, außer einem, dieser habe ihn aber mißverstanden — >Siehaben mich nicht verstanden< hat der große Denker geseufzt und ist gestorben.« DieseMythe sei populär bei den Gegnern der Schule, aber sie sei natürlich eine Erfindung, siekönne auch nicht in dem Sinne stimmen, daß Hegel nicht zu verstehen sei: »Hunderte vonSchülern, Tausende von Lesern haben Hegel verstanden und verstehen ihn fortwährendsehr wohl.«Was könnte aber ein Sinn der Mythe sein, der für die Schule wichtig wäre? Woraufbezieht sich das mythische Hegel-Wort: »Sie haben mich nicht verstanden?« Demjunghegelianischen Autor zufolge bezieht sich das Mißverstehen nicht auf etwasvom Lehrer Gesagtes, sondern auf etwas Nicht-Gesagtes, gleichsam auf eine Leer-stelle. Das Mißverstandene seien »gewiß nicht jene Worte, welche vernehmlich indie Ohren seiner Hörer drangen, und welche der Preßbengel verewigt hat; wohlaber das, was er nicht aussprach, was der nicht verstehen konnte, der den Lehrer zusehr beim Wort nahm.« Wirkliche Schülerschaft konstituiert sich auf der Ebenedes Paradigmas um eine Leerstelle. Der Mythos drückt dies im Tod des Lehrersaus. »Erst nach seinem Tode geht das wahre Verständnis seiner Philosophie auf;und so hat Mythos uns prophezeit, was wir jetzt erfüllt sehen.«29

Beziehen wir diesen symbolischen Tod des Lehrer-Vaters auf die Situierung derSchule im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung, so kann der sozialeSinn der Leerstelle deutlich gemacht werden. Der Konkurrenzraum kann als einFeld gegenseitiger Herausforderungen umschrieben werden, in dem sich die Bewe-gungen des Bietens und Überbietens austauschen. Auf diesem Kampfplatz zählt die>Stärke<, die >Kontur<, die >Geschlossenheit<, und diesen Werten muß die Theoriesich anpassen, wenn sie sich behaupten will.

Da es aber in der Natur intellektueller Arbeit liegt, daß nagender Zweifel, entmu-tigende Irrläufe und das kontingente Ermüden geistiger Anstrengung kaum zu ban-nende Begleiterinnen darstellen, besteht das soziale Problem, mit diesen Dimensio-nen umzugehen. Sie können individuell ausgehalten werden, aber ein Schulkollek-tiv muß auch eine soziale Lösung finden. Liegt es nicht nahe, daran zu denken, daßder Stärkste der Gruppe, der Gründer der Schule, die paralysierenden Elementeintellektueller Arbeit als eine symbolische Schuld auf sich nimmt und ihnen eineStelle im Innern seines Paradigmas zuweist? Die Schule wäre so entlastet, was dieKonkurrenzfähigkeit nach außen angeht, zugleich wären aber die paralysierendenElemente nicht einfach verschwunden, sondern als symbolische Schuld des Schul-vaters stellen sie eine äußerst motivierende Herausforderung dar.

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Aus soziologischer Sicht ist anzunehmen, daß sich im Innern der >großen Gedan-ken< die Schule gemacht haben, eine Leerstelle befindet, die als symbolischeSchuld des Vaters ihre Tilgung verlangt, wenn das Paradigma sich im Konkurrenz-raum behaupten soll. Aus ideengeschichtlicher Perspektive mag es verwegen sein,im »Unbewußten« bei Freud, in der »Revolution« bei Marx, in der »societe« beiDurkheim, im »Ding an sich« bei Kant oder im »Absoluten« bei Hegel eine Leer-stelle zu sehen. Meine Argumentation ist auch weit entfernt davon, die Leerstellezum Anlaß einer schlichten Polemik gegen den >Stein der Weisen< zu nehmen. Ent-scheidend ist der Gedanke, daß sich die Schulbildung im Konkurrenzraum um sobesser behaupten kann, je mehr es ihr gelingt, ihre Schwächen nach innen auf denGründer zu zentrieren. Die Theorie, die in dieser Frage ein Angebot macht, indemsich ihre Aussagen um ein Rätsel gruppiert wie um ein Monopol der Abwesenheit,eignet sich für eine Schulbildung weitaus besser als eine Theorie, die auf diesesAngebot verzichtet.

Die Überlegungen zum Begriff der >Schule< abschließend, möchte ich auf einParadox aufmerksam machen, das sich auftut, wenn man die Hegeische Philoso-phie mit den dargestellten Strukturelementen philosophischer Schulbildung inBeziehung setzt. Folgt man der Programmatik Hegels in bezug auf die dargestelltenfür die Schulbildung relevanten Strukturelemente, so kommt man zu dem Ergeb-nis, daß der Zielpunkt Hegeischen Denkens in der Idee einer Versöhnung zwischender Philosophie und der Kirche, der Philosophie und dem Staat und zwischen sei-ner Philosophie und konkurrierenden Philosophien liegt. Im Verhältnis zur Kircheknüpft Hegel an das metatheoretische Grundmuster einer doppelten Wahrheit an,aber nicht nur oder nicht in erster Linie, um die Emanzipation der Philosophie vonder Religion zu legitimieren, sondern eher, um das Zusammenfallen von philoso-phischem Wissen und religiösem Glauben zu affirmieren. Im Verhältnis zum Staatzielt die Versöhnung darauf, den Dualismus zwischen philosophischer Vernunftund unvernünftigem Staat zu überwinden. Im Verhältnis zum Konkurrenzraumphilosophischer Schulbildung zielt die Versöhnung darauf, differente Auffassun-gen nicht einfach als wahr-falsch einander feindlich gegenüberzustellen, sondernalle Äußerungen der Denktätigkeit als wahr und berechtigt in das philosophischeSystem aufzunehmen. Schließlich, im Verhältnis zum Problem innerschulischerDifferenz, zielt die Versöhnung auf die Legitimation innerschulischer Abweichungdurch ihre Einbettung in das Modell einer Totalität, in die sich widerstreitendeMomente einfinden.

Paradox ist nun, daß aus diesem umfassenden Versöhnungsprogramm eineSchule erwächst, die zu den aggressivsten philosophischen Schulbildungen gehört,die wir kennen. Eine Schule, die die externen wie internen Strukturen philosophi-scher Schulbildung angreift, die die Balancen zwischen Schule und Kirche, zwi-schen Schule und Staat, zwischen Schule und akademischem Konkurrenzraum wieauch die internen Beziehungen aus dem Gleichgewicht bringt und die einzelnenStrukturelemente revolutioniert. Kann es sein, daß in dieser Philosophie der >Toddes Vaters< als eine motivierende und herausfordernde Leerstelle gleichsam imÜbermaß vorhanden gewesen ist? Die Aggressivität der Junghegelianer ist nichtrestlos auf externe soziale Bedingungen zurückzuführen. In der Leerstelle, die

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»Versöhnung« heißt, ist der soziale Grund für das Drama der Schulbildung undihres Zerfalls gegeben.

2. Das Bündnis der Schule mit dem modernen Staat

Die These ist oft wiederholt worden: die Intelligenz des deutschen Idealismus habeüber der Ausbildung eines apolitischen sittlichen Bewußtseins des Einzelmenschendie Aufgabe aus den Augen verloren, theoretische und praktische Entwürfe für diepolitische Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens einzubringen. Das Prestigebe-wußtsein der bildungsbürgerlichen Intelligenz habe sich an einer geistig-sittlichenRangordnung orientiert, die gleichsam unverbunden neben politischen Machtver-hältnissen aufgebaut wurde. Dabei wird Bezug genommen auf die Spaltung desBürgertums in Besitz und Bildung und konstatiert, daß das politische Interesse desWirtschaftsbürgertums in den Ideen der Intelligenz nur einen schwachen Aus-druck gefunden habe. Für Mannheim war dies einer der Gründe, in der bildungs-bürgerlichen Intelligenz eine freischwebende Schicht auszumachen.30

Für die Junghegelianer am Ausgang des deutschen Idealismus trifft diese Thesekaum zu, und zwar nicht erst in dem Moment, in dem sie daran denken, daß diePhilosophie Partei ergreifen soll, sondern schon zu einem Zeitpunkt, wo sie sichprimär als philosophische Schule definieren. 1838 schreibt Ruge programmatisch,es sei »nicht nötig, für die Vernunft Partei zu machen, solange der Staat durch unddurch auf die Verwirklichung der Vernunft gerichtet ist.«31 Nur wenn man voneinem bürgerlichen Politikverständnis ausgeht, kann man Ruges Programm unpo-litisch nennen. Die Jungehegelianer definieren dagegen ihr Verhältnis zur Politikals ein Bündnis von philosophischer Schule und modernem Staat.32 Gehen wir imfolgenden den wesentlichen Argumentationsfiguren weiter nach.

K. Riedels Ausführungen von 1840 stützen zunächst die These vom unpoliti-schen Charakter der Intelligenz.»Der deutsche intellektuelle Geist scheint die Bestimmung zu haben, das innerste Wesender geistigen Menschennatur zu ergründen und zu repräsentieren.« Er sei »nach innen«gerichtet, steige in den »Schacht des Wissens« hinab und wohne »in dem so erobertenLande ( . . . ) mit heimatlicher Liebe«. Entscheidend aber sei, daß der preußische Staat dieseIntelligenz »in sich als Lebens- und Staatsprinzip« aufgenommen habe. Die Lehre, »welcheden Menschen als freies, geistiges, sich selbst aus innern Kräften bestimmendes, und ausinnern Gesetzen eine Welt konstruierendes Subjekt erfaßt«, sei in das staatliche Handelneingegangen. »Die Philosophie Deutschlands, seine Seele, gewinnt so einen Leib.« Die Zeitdes »bloß theoretisch glücklich«-Seins sei vorbei, und Riedel vergißt nicht, den Thesen desindustriellen Bürgertums eine klare Absage zu erteilen. Nicht »auf Rechnung materiellerInteressen« ginge der moderne Staat, »so großartiger Umschwung fließt nicht aus demEigennutze«, es sei Absicht des Weltgeistes, »der, was er dem sinnenden Geiste vertraut hat,auch im Leben verwirklicht sehen will.«33

Das Bündnis, das Riedel vorstellt, geht schon weit über die bloße staatlicheGewährung einer Sphäre legitimer Wissenschaft hinaus, vielmehr hat der Staat einlegitimes politisches Verhältnis zur Philosophie und die Philosophie ein legitimespolitisches Verhältnis zum Staat: ein Bündnis gegenseitiger Erwartungen.

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Woher stammt dieses Bündnis? Bleiben wir bei den Selbstdeutungen der Jung-hegelianer. Hervorzuheben ist hier Ruges Schrift »Preußen und die Reaktion«(1838), in der der Versuch unternommen wird, die Genese des Bündnisses histo-risch-spekulativ zu konstruieren. Das allgemeine Charakteristikum der neuerenEpoche ist für Ruge, daß sich der »Geist« als eine »Macht« erprobt. Dabei interes-siert ihn nicht die »ganze Ausbreitung des modernen Geistes, sondern nur sein Mit-telpunkt, der deutsche Geist, und dieser wiederum nur in seinem Kern, dem prote-stantischen Deutschland«,34 und d. h. in Preußen. In streng hegelianisch konstru-ierter Stufenfolge wird nun von Rüge dargetan, wie sich der neue Geist zunächst inder Unmittelbarkeit des subjektiven Gefühls, dann in seinen objektiven Gestaltenin Staat und Kirche und schließlich - als Stufe der Aufhebung - im Bündnis vonPhilosophie und Staat darstellt.

Der ehemalige Burschenschaftler Ruge, der wegen demagogischer Umtriebemehrere Jahre lang im Gefängnis gesessen hat, rekonstruiert die erste Stufe derAusbreitung des modernen Geistes als die der Begeisterung der Freiheitskriegeund der burschenschaftlichen Aufbruchstimmung. Diese Stufe, gleichsam die pri-mitive Form des modernen Geistes, basiert auf dem Gefühl des »vollkommenenSelbstbewußtseins«.35 Hegelianisch gedacht, handelt es sich dabei um eine notwen-dige, aber auch einseitige Entwicklung: notwendig, weil das freiheitliche Selbstge-fühl erst einmal ein »erworbener Besitz«36 werden mußte, und einseitig, denn: das»Schäumen, die Phantasie und ihre Träume (. . .) könne nicht ohne weiteres staa-tenbildnerisch werden, wie sie es allerdings wohl gemocht hätten«.37 Interessanter-weise erfährt die vom Wiener Kongreß ausgehende Restauration bei Ruge eineexplizite Legitimation. Gegen die Begeisterung der Freiheitskriege »erhob sich dieGegenwirkung des besonnenen Staatslebens und seiner wirklichen Entwicklungauf den neuen im Kriege bewährten Grundlagen gegen den sich selbst verkennen-den oder noch nicht begreifenden Geist der Freiheitskriege.«38

In Ruges selbstkritischer Argumentation bestand der Fehler derjenigen, die wieer auch Opfer der Demagogenverfolgungen wurden, darin: sie verlegten »törich-terweise die wertvolle Sittlichkeit nicht in die Gestalten des wirklichen Lebens, son-dern in den engen Kreis der vorgeblich gereinigten Jugend.« Aus diesem Freiheits-gefühl als einem »ausschließlichen Gemütsheiligtum« sei auch Sands Attentat ent-sprungen.39 Sinnlos sei eine Opposition aus der Zukunft, die sich an Utopiestaatenorientiere. Auf dieser neuen Stufe der Erkenntnis ist die Subjektivität des Freiheits-gefühls aufgehoben in den objektiven Institutionen. »Die Gewalt des Gedankensund die Macht des Gemütes sind in unwiderstehlichem Bunde.«40 Preußen ist indieser Konstruktion ein moderner Staat, dem die Synthese von philosophischemFreiheitsbegriff und wirklicher Ordnung im Prinzip gelungen ist. Ruge nimmt dieHegelsche Figur von der Versöhnung zwischen Staat und Philosophie auf, wenn erfordert, das gewonnene Freiheitsgefühl in dem existierenden preußischen Staatbereits als realisiert zu betrachten.

Was aber begründet die Fortschrittlichkeit des preußischen Staates 1838? Dereine moderne Faktor in Preußen, auf den Rüge setzt, ist das Militär: weil »jederBürger Soldat ist, so ist die Soldaten- und die Bürgerehre eine allgemeine, nur abge-stuft durch Verdienst um den Staat.«41 Die egalitär-leistungsorientierten Prinzipiendes preußischen Militärs bestimmen für Ruge den Charakter des gesamten Staates.

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»Und wenn nun bei uns ein großer Teil des Beamtenstandes im Zoll-, Polizei- und sonstigenDienst aus der Armee hervorgeht; so ist die notwendige Folge davon die Übertragung dieseshöheren, sittlichen und wahrhaft freien Geistes auf diesen Stand und zwar ist dies eine Über-tragung durchs Leben und durch die bestimmteste Eingewöhnung in die Formen des ehren-haften Dienstes.«42

Und der zweite moderne Faktor in Preußen? Dem Militär zur Seite tritt das preußi-sche Unterrichtssystem. Das Ministerium Altenstein habe es »auf eine solche Höheerhoben, daß es sogar die Franzosen sich zum Vorbild genommen.«43 Mit einergeschickt verdeckenden Argumentation werden die historischen Zeitabschnittebelegt, in denen Preußen versucht, die Oppositionsbestrebungen in seinen Unter-richtsanstalten niederzuhalten. Jahn und das Turnwesen hätten aufgrund ihrerFixierung auf bloß subjektive Gesinnung einen »Geist des Mißvergnügens« berei-tet, und dagegen habe sich auf Seiten der Regierung der »Geist des Mißtrauens«geltend gemacht.

Auch »die ganze Gelehrsamkeit und Literatur trat sodann allmählich unter den Gesichts-punkt des Mißtrauens, und es entstanden vielfältige polizeiliche, vornehmlich die Zensur-maßregeln. Sie stellen den Widerspruch im Geist der Gegenwart dar, daß einerseits die freieWissenschaftlichkeit und die Intelligenz für das Prinzip des Staates selbst, andererseits derwissenschaftliche Geist und die Intelligenz für verdächtig gilt«.44

Aber die Teilung Deutschlands, die verschiedenen Entwicklungsstufen der deut-schen Staaten, die Uneinigkeit der Zensoren hebe »diese Einrichtung (die Zensur,d. V.) in ihrer Einseitigkeit wieder auf. »Die Wissenschaft ist ohnehin über dieGesinnung hinaus«. Es bestünde, so Ruge, gegenwärtig sowieso eine »faktischeFreiheit der Wissenschaft«, die auch wohl bald »in den gesetzlichen Formalismushineingebildet werden wird«.45 Ruge resümiert: Die »Zeit des Mißvergnügens unddes Mißtrauens sei »im Prinzip überwunden«.46

Besonders aber werde das Vertrauen des Staates auf die freie Wissenschaftgestärkt, wo diese sich selbst zur Vorkämpferin eines modernen Staatsverständnis-ses gegenüber romantisch-mittelalterlichen Oppositionsbestrebungen mache.Rüge hat eine »freie Wissenschaft« im Auge, »die nun allerdings nicht bloß imunbefangenen Gewährenlassen, sondern in der ausdrücklichen Berufung des Staatesihre Freiheit erblickt.«47 An dieser Stelle wird deutlich, daß die Junghegelianer alsphilosophische Schule sich nicht allein auf den institutionalisierten Konkurrenz-raum philosophischer Schulbildung verlassen, sondern zugleich sich im politischenBündnis mit dem modernen Staat definieren. Wie bei Riedel wird auch bei Rüge die»liberale Opposition« aus dem Bündnis ausgeschlossen. Es handele sich um eineOpposition, »welche nur auf der einfachen Unkunde der wirklichen Staatszuständeihre Luftschlösser aufführte.«48

Das Bündnis zwischen Schule und modernem Staat ist jedoch nicht als eine kon-fliktfreie Beziehung anzusehen.

Denn - wie B. Bauer ausführt: »Auch die Wissenschaft, das reine Denken geht über denStaat hinaus, das Denken kann und muß sogar mit seinen Gesetzen gegen die beschränktenBestimmungen des Staates in Widerspruch geraten, es kann vermöge seiner reinen Notwen-digkeit mit der vernünftigen Notwendigkeit, die im Staate durch die Verwicklung mit natür-lichen Verhältnissen noch zufällige Bestimmungen an sich hat, in Kollision geraten.«49

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Aber entscheidend sei, daß auf Grund der Bündniskonzeption der Konfliktkeine prinzipielle Staatsgegnerschaft erzeugen könne. »Der Staat streitet in diesenKollisionen mit sich selber, führt darin sein eigenes Interesse aus, denn beide strei-tenden Mächte gehören ihm an, er ist sie beide.« Der moderne Staat hat das philo-sophische Denken »zu seinen innern Angelegenheiten gemacht.«50

Zu diesen »innern Angelegenheiten« zählt insbesondere der Bereich, der in dereingangs skizzierten These als apolitischer Bezugsrahmen bildungsbürgerlicherIntelligenz gesehen wurde. B. Bauer schreibt: »Die Menschlichkeit als solche inihrer reinen Unbestimmtheit ist die Wut, die gegen alle positiven Statute sichempört, das Ich ist der Dämon, der mit seiner listigen Dialektik alle gesetzlichenSchranken zernagt.« Aber: »Der neuere Staat kann alle diese Dämonen und Unge-heuer in sich ertragen und sie bilden, zähmen und erziehen.«51

Diese Idee vom Erziehungsstaat hat bei den Junghegelianern, wenn sie sich alsSchule definieren, eine weite Verbreitung. So faßt z. B. auch Heß den Staat als»Volkserziehungsanstalt« auf, durch dessen Gesetz die »humane Bildung« geför-dert werde.52 Die bildungsbürgerlichen Werte liegen nicht außerhalb der staatlich-politischen Sphäre, sondern in ihr. Der moderne Staat ist, wie B. Bauer schreibt,»die einzige Form, in welcher die Unendlichkeit der Vernunft, der Freiheit, derhöchsten Güter des menschlichen Geistes in Wirklichkeit existiert.«53 Und Marxwird noch zu einem Zeitpunkt (1843), als er bereits die soziale Frage reflektiert,daran festhalten, daß »gerade der politische Staat, auch wo er von den sozialisti-schen Forderungen noch nicht bewußterweise erfüllt ist, in allen seinen modernenFormen die Forderungen der Vernunft (enthält)«.54

Die philosophische Schule sieht sich bereits 1838 im Bündnis mit einem solchenStaat. Ruge schreibt über Preußen:»Das Reich der Sittlichkeit ist in Preußen zu einer bewundernswürdigen Wirklichkeit gedie-hen, nirgends wird man das Pflicht- und Rechtsgefühl schärfer, wirksamer und gebildeterfinden, als bei uns, das Beamtenverhältnis dient nur dazu, den Gemeinsinn zu verwirklichen,man braucht nicht weit nach Süden und Osten zu reisen, um den Unterschied zu erfahren,ferner das Recht des Staates auf den einzelnen hält das Militärwesen gegenwärtig und ist einewichtige Kur der Feigheit und Philisterei, das Familienleben endlich und das Leben des Ver-kehrs, wo ist es in wahrerer Gestalt, als eben jetzt bei uns?«55

Das heißt nicht, daß es keine Bereiche mehr gäbe, in denen der moderne Staatnoch auszubauen wäre, aber die im modernen Staat enthaltene Vernunft kanndavon nicht tangiert werden: auch »wenn ja hin und wieder noch ein drückenderPunkt herausspringt, so liegt in dem ganzen Gang der bisherigen Staatsentwick-lung die sicherste Bürgschaft seiner endlichen Erledigung.«56

Angesicht des Bündnisses von philosophischer Schule und modernem Staat kön-nen die Denunziationen eines Leo die Schule nicht treffen. So muß sich der Denun-ziant von Rüge fragen lassen, »bei wem« er die Junghegelianer denunzieren wolle:»doch wohl nicht bei dem Ministerium des Unterrichts, welches die genauesteKenntnis nicht nur der Terminologie, sondern auch der Begriffe dieser Philosophiehat?«57 Leo könne, außerhalb des Bündnisses stehend, die Denunziation doch nuran sich selbst richten.

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3. Beamtete Intelligenz

Das Bündnis von Schule und modernem Staat, auf das die Junghegelianer setzen,ist für sie ein Modell, das sich bewährt hat. In den 30er Jahren erobern SchülerHegels wichtige Lehrstühle in Preußen.38 Ihre Hauptstütze besitzt die Hegelschuleim preußischen Kultusministerium, das, 1817 als ein selbständiges Ministerium fürgeistliche und Unterrichtsangelegenheiten gebildet, über 20 Jahre von dem Mini-ster Altenstein geleitet wird. Die Verbindung zwischen dem Minister und derHegelschule wird durch Johannes Schulze hergestellt. Schulze, der maßgeblich ander Schaffung des preußischen Gymnasial- und Hochschulsystems beteiligt warund zunehmend zur rechten Hand des Ministers wird, hatte sich ganz in denZusammenhang der Hegelschule begeben.59

Um den Erfolg dieses Zusammenspiels zu verstehen, ist es notwendig, daran zuerinnern, daß seit den Karlsbader Beschlüssen die innere Situation der Universitä-ten prekärer wurde. Das Klima des Verdachts und der Bespitzelung behinderte diewissenschaftliche Arbeit ebenso wie die Prozesse der Verwaltung. In solchen sozia-len Situationen besteht ein vermehrtes Bedürfnis nach direkten persönlich stabilenKontakten, nach Loyalitäten, die eine Versicherung gegenüber wachsenden Kon-tingenzen darstellen. Die Loyalitätsbande der Hegelschule sind festgeknüpft gewe-sen, und ihr Erfolg hat sie noch mehr gefestigt. Darüber hinaus besaß das Ministe-rium über den Hegelianer Schulze einen verläßlichen Zugang zu den inneruniversi-tären Auseinandersetzungen, wie umgekehrt die Schule des Schutzes und der Pro-tektion sicher sein konnte. Es handelt sich um ein Zusammenspiel, mit dem dieParalysierungen des Verdachts vermieden werden konnten.

Über die Gründe, warum gerade die Hegelsche Philosophie und die Hegelschulediese bevorzugte Stellung an den preußischen Universitäten erhalten konnten, istviel nachgedacht und geschrieben worden. Hat der Gründer der Schule seinSystem so angelegt, daß er zum >preußischen Staatsphilosophen< avancierenkonnte? Hat der preußische Staat in Hegels Philosophie seine Legitimationsgrund-lage gesucht?60 Hier ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, was die Privilegie-rung einer Schule soziologisch bedeutet.

Bei dem Konkurrenzraum philsophischer Schulbildung, der universitären Insti-tution, handelt es sich um ein Überraschungen erzeugendes Feld, das unter admini-strativer Perspektive schwer zu beruhigen ist, und selbst wenn dies in Richtung aufeine totale Überwachung gelingen sollte, träte der Effekt ein, daß der Betrieb kaumnoch akzeptable Resultate liefern würde. Wenn die Verwaltung vom Verdachtbeherrscht wird, daß die Überraschungen, die diesem Ereignisfeld der Intelligenzentspringen, sie bedrohen könnten, so bleiben ihr zwei Möglichkeiten: entwederdie Schließung der Universität als eines Konkurrenzraumes oder die Kooptationeiner der konkurrierenden Konfigurationen, auf die sie setzt, wie jemand, der eineWette mit großem Einsatz abschließt.

Im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung kann die Verwaltung nichtselbst als Konkurrenz auftreten, ebensowenig kann dort eine Schule überleben, diesich nur auf Protektion verläßt.61 Wählt die Verwaltung den Weg der Privilegie-rung einer Schule, so >leistet< sie unter funktionalistischem Aspekt zweierlei: sieerhält eine Minimalstruktur von Konkurrenz, und sie steigert zugleich den Kampf

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der Positionen. So ist der Aufstieg der Hegelschule untrennbar verbunden mit derKonjunktur von Hegelkritiken und Hegeldenunziationen. Die Privilegierung hatsie dem Streit nicht entzogen, im Gegenteil, sie hat sie mehr als andere Positionenin den Streit hineingezogen. 2

Die Frage, welche philosophische Schule sich für eine Privilegierung >eignet<,läßt sich nach dem Gesagten einfacher beantworten. Weder taugt dazu eine Schule,die sich als bloßes Vollzugsorgan von Regierungsabsichten darstellt, noch eine, fürdie die Verwaltungssphäre primär als ein formaler Rahmen in den Blick gerät,weder eine Schule, die der Staatsintelligenz konform huldigt, noch eine Schule, dieden Staat aus dem Bereich der Intelligenz entläßt. Was die Hegelschule dagegen zubieten hatte, war die ambivalente Figur einer >beamteten Intelligenz< im >auf Intel-ligenz sich gründenden Staat<.63

Die ambivalente Figur stützt sich auf den Topos der Zeit von der >Macht des Gei-stes< der Preußens Kraft begründe. Der Topos bezieht sich auf eine ganze Reihevon Elementen: die Erinnerung an den Philosophen-König, die existenznotwen-dige Toleranz gegenüber Konfession, die >Künstlichkeit< der Staatskonstruktion,die mangels nationalem oder ethnischem Geist immer eines besonderen staatlichenGeistes bedurfte, die Erinnerung an die Begeisterung der Freiheitskriege. DerTopos zielt Koselleck zufolge auf einen Geist, »der allein die Einheit sicherte,einem Staat, dem die konfessionelle, ethnische, sprachliche, rechtliche, ja sogar diegeographische Einheit abging. Der tätige Träger dieses Geistes war nun die berufs-mäßige Intelligenz, die Beamtenschaft; sie bildete - neben dem Heer - das institu-tionelle Substrat einer Einheit, die eben nur >im Geiste< lag.«64

Auf diesen Topos bezieht sich Karl Rosenkranz in seiner Hegelbiographie von1844.65 Preußen, als ein »noch nicht arrondierter Staat sucht seine Nachbarnzunächst von innen aus, durch ein Übergewicht der Bildung, sich ideell zu unter-werfen. Instinktmäßig fühlt er die ihm noch fehlenden Elemente heraus und suchtsie sich anzueignen, wenn sie in bereits fertiger Gestalt außer ihm existieren.«Daher habe auch die Wissenschaft eine weit wichtigere Bedeutung »als bei Staaten,welche sich durch ihre natürliche Lage, durch die nationale und kirchliche Einheitihrer Bevölkerung, oder durch große materielle Hilfsmittel gesichert sehen.« DieVermittlung der Bildung sei lebensnotwendig für den preußischen Staat, und sohabe ja auch Preußen aus sich die Kantische Philosophie hervorgebracht. Diese seiaber durch Hegel vollendet, und »so ergibt sich hieraus die höhere Notwendigkeit,welche Hegels Berufung nach Preußen und die schnelle Einwurzelung seiner Philo-sophie in demselben bewirkte. Was Manche gern nur als Befriedigung eines Lieb-lingswunsches des Ministers Altenstein ansahen, war im Grunde das Werk der pro-gressiven Tendenz des preußischen Geistes.«

Der Staat kann sich aber nur auf die >Macht des Geistes< stützen, wenn er ihn vonden partikularen Interessen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft und ihrenrepräsentativen Ausdrucksformen emanzipiert.66 Erst der >autonome Geist< kannzu einer Macht werden. Die Autonomie des >Geistes< spiegelt sich gleichsam in derAutonomie des Staates, und diese spiegelt jene zurück. Die Intelligenz ist als eineMacht erst gesichert als beamtete Intelligenz: »denn der Beamtenstaat vertritt dieIntelligenz und die Bildung, während in den ständischen und repräsentativen Staa-ten geistig imponderable Elemente zur Geltung kommen.«67

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Die Figur der >beamteten Intelligenz< im >auf Intelligenz gegründeten Staat<beinhaltet zwei Bewegungen. Einmal schreibt sie dem Staat die Aufgabe zu, dieAutonomie von >Geist< gegen die zerspaltenen Interessen der Gesellschaft an ver-schiedenartigsten Funktionalisierungen der Intelligenz durchzusetzen, anderer-seits schreibt sie der Intelligenz die Aufgabe zu, unter Berufung auf den Staat alsrechtliche Form für deren Ausbau und Sicherung Verantwortung zu übernehmen.

Für die Definition des Verhältnisses der Schule zum Staat bedeutet dies einpri-märes Interesse an der Begründung von Reformpolitik. Hegelianer und Junghege-lianer sehen sich in der Tradition der preußischen Reformpolitik als einer Leistungder beamteten Intelligenz. Ein Konzept philosophischer Schule, die den akademi-schen Raum nur nutzt, ohne auf die staatlichen Bedingungen der Existenz diesesRaumes zu reflektieren, kommt für den Junghegelianer nicht in Frage. Die Figureiner beamteten Intelligenz vor Augen, begründen sie eine Reformpolitik, die sichoffensiv von revolutionärer Programmatik absetzt.

So würdigen die HJ Autoren wie Gervinus, in denen »nicht die geringste Sym-pathie mit den unruhigen hitzköpfigen Wortführern der Staatsumwälzung (ist),welche vom ersten französischen Schusse aufgescheucht, aus dem Verstecke her-vorstürzen, den kahlen Freiheitsbaum aufpflanzen und die rote Mütze schwin-gen.«68 Und Rüge fragt: »Wer wird nun irgendeinem vernünftigen Menschen denGedanken zumuten, der Veitstanz der Revolution sei ebenso befriedigend, als derschöne Rhythmus der Freiheitsbewegung?«69

Auch für Buhl ist ein Anknüpfen an die Revolution kaum sinnvoll vorstellbar,denn sie kann nach dem Prozeß, den sie durchgemacht hat, nicht mehr als gleich-sam jungfräuliches Prinzip begriffen werden. »Eine Idee, die so viele Stadiendurchlaufen hat, langt endlich an einem Ruhepunkt an. Es wäre zuviel gesagt, wennwir ihr die bewegende Kraft absprechen wollten, aber jedenfalls sind ihr die Fang-zähne ausgebrochen.«70 Die Auseinandersetzungen zwischen Revolution und Legi-timität haben im Laufe der Entwicklung zu einer qualitativ neuen Konstellationgeführt.

»Weder die Revolution noch die Legitimität haben sich rein zu erhalten gewußt, wie dasallen großen geschichtlichen Gegensätzen auf die Dauer begegnet. Beide haben aufeinanderzurückgewirkt. (. ..) Es fanden Annäherungen und Friedensschlüsse statt, die auch die Her-bigkeit der Prinzipien mäßigten. Vor allem aber wurde der Ungestüm der Revolution durchihren eigenen Fortschritt gemildert. Sie hatten in dem Schreckens-Systeme einen Punkterreicht, vor dem sie nur herabsteigen konnte. (. . .); damals verrrauchte die furchtbarsteWut der Revolution und es wird ihr nie gelingen, sich zu einer ähnlichen aufzustacheln, weilnie wieder dieselben Bedingungen eintreten können.«71

Die »Revolution« existiere nur noch »in den Traumgesichtern des politischen Wochenblat-tes< als blutbefleckte Hyäne, als furchtbare Lawine, die jeden Augenblick droht, in dieEbene niederzustürzen. In der Wirklichkeit stellt sich die Sache anders. Die Revolution hatihre Stadien durchlaufen; sie hat die Grundlagen des modernen Staates, welche die idealeEinheit aller einseitigen Staatsformen ist, aufgerichtet. Sie hat jetzt die Aufgabe, auf diesenGrundlagen weiterzubauen, die Revolution ist zum konstitutionellen Staate gelangt, unddadurch aus ihrer angreifenden Position herausgeworfen.«72 Wie in Frankreich Revolutionund Legitimität koexistieren, so auch auf dem europäischen Kontinent. »Im Westen hat dieRevolution ihre Herrschaft aufgerichtet, im Osten der Absolutismus in seiner reinstenGestalt. Aber zwischen dem revolutionären Frankreich und dem absoluten Rußland liegt

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Deutschland, welches das Schicksal gehabt hat, wie religiös so auch politisch gespalten zuwerden. Deutschland bildet den Übergang; hier sind alle Gegensätze vertreten. Hier findensich die unbeschränkte Monarchie und der konstitutionelle Staat in ihren verschiedenstenNuancen und Abstufungen. Die politische Reform hat denselben Ausgang genommen wiedie Religiöse: keine von beiden hat sich ganz durchsetzen können.«73

In diesem Übergangsfeld ist eine Revolution unwahrscheinlich. Beide Prinzipienseien in eine »so eigentümliche Stellung getreten, daß der Vorteil nicht auf Seite desangreifenden Teils, sondern des angegriffenen sein würde.«74 Auf die preußischeSituation übersetzt heißt dies implizit: Bei der gegebenen Figur der beamtetenIntelligenz, in der Revolution und Legitimität im Prinzip identisch sind, bleibt nurder Weg der Reformpolitik. Ihr gegenüber geraten klassisch revolutionäre wie klas-sisch reaktionäre Positionen quasi automatisch ins Abseits.

Ausgehend vom Konzept einer Reformpolitik kann Rüge den Begriff »Revolu-tion« auf die Bestrebung der >Rechten<, die er unter dem Begriff »Romantik«zusammenfaßt, anwenden. Sie suche »überall Pflöcke einzuschlagen, an denen sichdie reformatorische Bewegung des freien Geistes brechen soll. (. . .) So fängt dieRomantik die Revolution an«. Mit dieser Strategie verlasse die Romantik den fürDeutschland charakteristischen Weg der Reformen. Was sie betreibe, sei das»kaprizierte Einführen der sprungweisen, gewaltsamen, aufgeregten Entwicklungin deutsche Religions- und Staatsverhältnisse.«75

Entscheidender als die Frage, wer angreift und wer sich verteidigt, ist für Rügejedoch die Definition des Raumes, in dem Gegensätze ausgetragen werden.»Der Vorwurf des Revolutionierens läßt sich immer von der Freiheit auf die Unfreiheit undumgekehrt hinüber und herüber schieben; auch auf das Anfangen kommt es nicht an.Anfangen muß immer das nicht geltende Prinzip. Aber daraufkommt es an, ob der Prinzi-pienkrieg auf dem Boden des Lebens geführt wird, wo er Revolution ist und die ganze Massedes Volks in Anspruch nimmt mit seinem Für oder Wider, oder ob er, wie bisher, trotz denVersuchen der Romantik, das Schlachtfeld zu ändern, auf dem Boden der Wissenschaft undTheorie bleiben soll, wo er die Reformation ist, und nicht eher das Leben des-Sräats und derGesellschaft umgestaltet, als bis beide freiwillig die neue Gestalt für die Wahre erkennen.«76

Reformpolitik durch einen aufgeklärten fortschrittlichen Beamtenstaat, der sichauf Vorschläge der beamteten Intelligenz sützt, die einem institutionell garantiertenautonomen Konkurrenzraum entspringen und aus einem dort geführten wissen-schaftlichen »Prinzipienkrieg« siegreich hervorgehen: diese junghegelianische De-finition des Verhältnisses von philosophischer Schule zu modernen Staat - ist in ihrvielleicht ein Grundriß zu sehen, der nahe bei dem liegt, was Schelsky die »Herr-schaft der Reflexionselite«77 nennt?

Geht die Tendenz der Junghegelianer nicht in diese Richtung, wenn Meyen anRüge schreibt, daß die Regierung in den HJ eine Macht kennenlerne, »die über ihrsteht und vor der sie sich beugen muß, die Macht der nationalen Intelligenz?«78 DieJunghegelianer greifen ja in ihren Argumentationen nicht zuletzt auf Konzepte derklassischen Kulturstaatsidee zurück, so etwa, wenn Rüge an Fichtes »Bestimmungdes Gelehrtenstandes« erinnert, die »die oberste Aufsicht über den wirklichenFortgang des Menschengeschlechts im Allgemeinen und die stete Beförderung die-ses Fortgangs« sei.79 Die Kulturstaatsidee birgt auch den alten Traum einerAbschaffung des Gewaltelements der Herrschaft, wie er in Schellings Forderung

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zum Ausdruck kommt, »den Staat, wo nicht entbehrlich zu machen und aufzuhe-ben, doch zu bewirken, daß er selbst allmählich sich von der blinden Gewalt be-freie, von der er auch regiert wird und sich zur Intelligenz verkläre«.80

Daß es um das Problem der »Herrschaft einer Reflexionselite« gehen könnte,haben philosophische Konkurrenten deutlich ausgesprochen. Der früh aus derHegelschule ausgetretene Philosoph Hermann Christian Weiße, zunächst an einerMitarbeit an den HJ interessiert, schreibt bald an Ruge: »Gesteht es nur, Ihr Her-ren, es ist Euch nicht um Denkfreiheit, sondern um Herrschaft im preußischenStaat zu tun.«81

Was den Vergleich zwischen der junghegelianischen Figur von der >beamtetenIntelligenz< im >auf Intelligenz gegründeten Staat< und der »Herrschaft einer Refle-xionselite« im Sinne Schelskys nagelegt, sind die historischen Bezüge, die dieserselbst anführt. Sie sind jedoch - worauf hingewiesen werden muß - in einer spezifi-schen Weise doppeldeutig und ungeklärt. Auf der einen Seite zählt Schelsky Fichtezu den »geistigen Ahnen« der »Klassenherrschaft der >Sinnproduzenten<«82, aufder anderen Seite rechnet er gerade die Fichte-Humboldtsche Bestimmung derPhilosophie als »Kernfach« der Universität und die philosophische Begründungder Dienstleistungen als »Staatsdiener« zu den produktiven Formen, in denen eine»stabilisierte Spannung zwischen individuell-autonomer Normativität oder Sitt-lichkeit und der Entwicklung und gesellschaftlichen Dienstleistung der funktiona-len Wissens und Erkennens« gelungen sei.83

Was die Schelskysche These von einem Zerbrechen dieser produktiven Formund einer heute für ihn bei den »Sinnproduzenten« sich abzeichnenden »politi-schen Herrschaftsergreifung gegenüber der sachlichen Kontrollfunktion des Staa-tes«84 in ihren historischen Bezügen so schief macht, ist, daß er den Kernpunkt derFigur der beamteten Intelligenz: ihre Bindung an ein reformpolitisches Gesetzge-bungs- und Verwaltungshandeln des Staates aus dem Blick verliert.

Weder für Hegel noch für seine Schüler geht es um die Bindung an den Staat alseine faktische Evidenz, sondern an den Staat als einen Realisator von Vernunft. Daßder Staat und keine andere Institution für dieses Projekt in Frage kommt, rührtnicht allein von der Erinnerung an die preußische Reformära her, vielmehr ist dieRealisation der Vernunftprinzipien Freiheit und Gleichheit weder in der Familienoch in der Wirtschaftsgesellschaft, noch in der Kirche denkbar, es sei denn, manwürde staatliche Formprinzipien auf diese übertragen. Für die Verwirklichung derVernunft gibt es überhaupt keinen anderen Ort als den des Staates, mag man sichihn als neuen, revolutionär zu schaffenden Staat vorstellen oder den gegebenenStaat als Reformstaat anerkennen.85

Für die Junghegelianer steht die Revolution nicht auf der Tagesordnung, wo siesich als philosophische Schule definiert, die sich von anderen dadurch unterschei-det, daß sie sich in der Berufung auf den Staat nicht übertreffen läßt. Sie orientierensich am Bild Preußens als einem Staat, der modern ist, weil er reformfähig ist, under ist reformfähig, weil er die Intelligenz als beamtete Intelligenz zu seinem Struk-turelement gemacht hat. Die Verwirklichung der Vernunft im Medium des Staatesist Reform.

So kohärent das Modell eines Bündnisses von Schule und modernem Staat unddie Figur der beamteten Intelligenz auch ist, die Bindung an die Reform eröffnet

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eine spezifische soziale Dynamik, die sich längs der Frage entfaltet, was denn eine>Reform< und was >Nicht-Reform< ist. Vor allen inhaltlichen Aspekten, die ver-schiedenartigster Natur sein können, verweist >Reform< auf einen Erwartungshori-zont. Mit der Abweisung von Revolution als einem vorgestellten Handeln, in demsich Ziele beschleunigt erfüllen könnten, entsteht mit >Reform< eine Art Zielhem-mung. Der Horizont mag derselbe sein wie bei der Revolution, aber es muß mehrgewartet werden. Die Reformtaten verblassen regelmäßig vor der Reformerwar-tung, so wie umgekehrt die Revolutionstaten die Revolutionserwartungen so oderso, d. h. im >Guten< oder >Schlechten<, in den Schatten stellen.

4. Philosophen unter sich

Das platonische Modell, demzufolge der Philosoph Herrscher sein müsse, so sehres auch bei den junghegelianischen Reformerwartungen Pate gestanden habenmag, es reflektiert allzu wenig das Problem, das entsteht, wenn mehrere Philoso-phen bzw. eine philosophische Schule bildende Philosophen sich auf den promi-nenten Platz königlichen Handelns hinorientieren. Ein einzelner Denker kann fürsich leicht in einer souverän handelnden Rolle imaginieren, was er tun würde, aberschon bei zwei Philosophen beginnt der Streit, denn der Platz des Königs ist nureinmal zu vergeben. Es handelt sich hier um ein soziales Problem, das die Philoso-phen unter sich zu lösen haben, wenn das Modell des Bündnisses von Schule undmodernem Staat funktionieren soll.86

Zu den zentralen Charakteristika des Hegelschen Denkens gehört seineUmgangsweise mit dem historischen und je aktuellen Sachverhalt widerstreitenderphilosophischer Auffassungen. In den >Vorlesungen über die Geschichte der Phi-losophie< wendet sich Hegel gegen zwei geläufige Deutungen der Verschiedenheitder Philosophien. Die einen sehen in der Geschichte der Philosophie lediglicheinen Vorrat von differenten Meinungen, denen man sich gelehrt nacherzählendzuwenden oder die man nach dem Maß der eigenen Ansicht als eine »Galerie derNarrheiten« bewerten müsse.87 Andere zögen aus der Verschiedenheit der Philoso-phien den skeptischen Schluß, »daß das Bestreben der Philosophie nichtig sei«.88

Beide Lösungen sind für Hegel nicht akzeptabel. Der Skeptizismus bedeute gleich-sam eine Kapitulation vor der Aufgabe, die Eine Wahrheit darzustellen, und dasVerharren im »abstrakten Gegensatze von Wahrheit und Irrtum«89 führe nicht zueinem Zustand, in dem die Gültigkeit der Einen Wahrheit mit der Tatsache derVerschiedenheit der Philosophien versöhnt sei. Hegels originelle Lösung bestehtbekanntlich darin, daß die Verschiedenheit philosophischer Systeme als Entwick-lungsprozeß des Geistes selbst aufgefaßt wird. Für Hegel gibt es nicht einfacheinerseits philosophische Wahrheiten und andererseits Irrtümer, vielmehr gehörtdas, was man die Irrtümer nennt, ebenso zum Entwicklungsprozeß des Geistes wiedie Wahrheiten; ja mehr noch: das Denken, das auf der Scheidung von Wahrheitund Irrtum insistiert, gehört selbst einer bestimmten Stufe der Entwicklung desGeistes an und hat dort ein notwendiges, aber relatives Existenzrecht.

Das Resultat der Geschichte der Philosophie ist für Hegel:

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»1. daß zu allerzeit nur Eine Philosophie gewesen ist, deren gleichzeitige Differenzen dienotwendigen Seiten des Einen Prinzips ausmachen; 2. daß die Folge der philosophischenSysteme keine zufällige, sondern die notwendige Stufenfolge der Entwicklung dieser Wis-senschaft darstellt; 3. daß die letzte Philosophie einer Zeit das Resultat dieser Entwicklungund die Wahrheit in der höchsten Gestalt ist, die sich das Selbstbewußtsein des Geistes übersich gibt. Die letzte Philosophie enthält daher die vorhergehenden, faßt alle Stufen in sich,ist Produkt und Resultat aller vorhergehenden.«90

Für unseren Zusammenhang ist nicht entscheidend, dem Hegelschen Stufen-gang im einzelnen zu folgen, vielmehr soll nach den sozialen Effekten gefragt wer-den, die Hegels Konstruktion für die Selbstdefinition der Philosophen unter sichbesitzt. Zunächst handelt es sich um ein Programm der Versöhnung, es geht nichtum Ausstoßung und Abweisung von philosophischen Auffassungen, sondern umeine Totalität, die kein Außen kennt. »Die letzte Philosophie ist das Resultat allerfrüheren; nichts ist verloren, alle Prinzipien sind enthalten.«91 Die Versöhnungkommt jedoch um den Preis zustande, daß den konkurrierenden Philosophiengleichsam immer schon eine bestimmte Stelle im systematischen Stufengang derEntwicklung des Geistes sicher ist. So konnte die Hegeische Philosophie gerühmtwerden, »den Inhalt der philosophischen Erkenntnis aller Zeiten und allerSysteme, selbst den scheinbar entgegengesetzten und widersprechenden, in sich zuvereinigen und den Gang der Entwicklung dieser Erkenntnis für alle Zeit abzu-schließen«.92

So konsequent auch der Versöhnungsgedanke durchgeführt wurde, und so sehrHegel auch forderte: »man muß sich erheben a) über die Kleinigkeiten einzelnerMeinungen, Gedanken, Einwürfe, Schwierigkeiten: b) über seine eigene Eitelkeit,als ob man etwas Besonderes gedacht habe.«93 - allein schon der Anspruch einerVersöhnung führte zu einer feindlichen Polarisierung von Hegelianern und Anti-Hegelianern - einer Polarisierung, die den Philosophenstreit enorm verschärfte. Sourteilten Zeitgenossen über die Hegelschule: »Schwerlich ist nämlich jemals eineSchule mit so gebieterischem Anspruch auf Alleinherrschaft, mit so wegwerfenderVerdammung aller Andersdenkenden aufgetreten, wie die Hegelsche«.94 Der mitder Hegelschule streitende Prager Philosoph Franz Exner trifft das Problemgenauer, wenn er schreibt, zwar böte die Hegelsche Philosophie »allerwärts Frie-den an, und versichert, sie wolle die Gegner wohl gelten lassen: diese aber meinen,der gebotene Friede sei eben der ärgste Krieg, ein halbversteckter nämlich. Mangestehe ihnen zwar Wahrheit zu, aber eine solche, die eigentlich Unwahrheit ist;man lasse sie gelten, jedoch nur, indem man sie für aufgehoben erklärt.«95

Naheliegend ist der Gedanke, das Problem des Hegelschen Umgangs mit kon-kurrierenden Philosophien im Rückgriff auf religionssoziologische Kategorien zulösen und seine Gewißheit der Versöhnung im außerphilosophischen Terrain derHeilsgewißheit anzusiedeln. So entlastend dies Verfahren auch im Moment seinmag - ich werde im letzten Kapitel darauf zurückkommen -, die philosophischeGewißheit gehört zunächst ganz dem Bereich konkurrierender Philosophien an,und auf diesem Felde wäre die Stigmatisierung einer Philosophie als dogmatischreligiös nur das umgekehrte Programm der Hegeischen Versöhnungsfigur: nichtEingliederung der Positionen, sondern Ausstoßung.

In diesem Zusammenhang interessiert vorrangig, wie sich der Hegeische

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Umgang mit konkurrierenden Philosophien sozial für diejenigen darstellt, die alsSchüler dem Schulgründer folgen und nun ihrerseits als eine Gruppe von Denkerndas Problem der Konkurrenz lösen müssen. Es sind drei eng miteinander verfloch-tene Fragen, die die Hegelschule beschäftigen: a. Wie läßt sich der Prozeß derAnerkennung der Hegelschen Philosophie durch die existierenden Philosophendenken? b. Welchen Status innerhalb des abgeschlossenen Hegeischen Systemskann eine philosophische Schule haben? c. Wenn mit Hegel der Endpunkt der phi-losophischen Entwicklung erreicht ist, was sind dann noch die Aufgaben der Hege-lianer?

a) Die Polemik

Für Bayrhoffer bedeutet das Auftreten der Hegelschen Philosophie:nun sei erkannt, »daß der Begriff und seine unendliche Zentralität, der Geist, alle Wahrheitund daß die ganze Welt nur die unendlich scheinende Idee ist. Es ist die Materie und dieWeltgeschichte durchdrungen und zum reinen durchsichtigen Kristalle verklärt worden.Die Hüllen und Substanzen der religiösen und künstlerischen Formen selbst auf ihren abso-luten Höhepunkten sind aufgelöst worden in die Silberklarheit der reinen Idee«.

Erreicht sei ein Zustand »der sich wissenden Wahrheit«, d. h. konkurrierendePhilosophien sind darin in allen ihren Möglichkeiten enthalten. Auf dieser Versöh-nungsbasis muß die Frage kommen: »Warum denn haben nicht sogleich alle diesePhilosophie, welche sich als die Sophia selbst zu wissen behauptet, ja sich als solchemit immanenter Auflösung aller anderen Gestalten beweiset, anerkannt?«96

Der eigentümliche Zugzwang der Versöhnungsfigur erlaubt nur zwei Antwor-ten: entweder stimmt die Versöhnung nicht, sie erweist sich als Schein, als eine feh-lerhafte Konstruktion, oder es handelt sich um ein Problem von der Art der Zeit-verschiebung. Die erste Antwort kommt für die Schule nicht in Frage: der Gründerhat die Versöhnung der konkurrierenden Philosophien vollbracht, sie ist auch keinSchein, sondern eine wesentliche Grundlage. Was bleibt, ist die zweite Antwort:die Versöhnung ist eine Frage der Zeit.

Die Sicherheit, daß die Versöhnung bereits als Grundlage vorliegt, könnte zueiner abwartenden Haltung führen, aber die Gelassenheit, die ein Philosoph der»sich wissenden Wahrheit« an den Tag legen könnte, kommt für eine sozialeGruppe, qua Gruppe, nicht in Frage. Sie bedarf der Legitimation für Aktivitäten.Wie aber kann eine Philosophie, die sich versöhnt hat, dafür herhalten?

Die Philosophie der Versöhnung ist Bayrhoffer zufolge zugleich »eine neueGestalt der Philosopie«, und sie hat »den Kampf gegen die anderen unmittelbarenFormen zu bestehen, gegen das Leben wie die Wissenschaft«.97

Man müsse einsehen, »daß der Weltgeist in den Momenten seiner neuen tiefsten Ausgebur-ten allerdings in dem Kampfe der bestehenden mit den neuen Gestaltungen sich entwickelt,und daß so jede neue geistige weltgeschichdiche Geburt, wie die physische, nur der Phönixist, welcher aus den Weltwehen und Weltschmerzen emporsteigt, insofern er sich als neueGestalt gegen alle früheren vorausgesetzten Formen nicht nur positiv, sondern zugleichauch negativ wendet, so daß er nun, indem jene Formen gleichfalls ihn zu negieren streben,sich in den Kampf mit denselben verwickelt.«98

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Implizit wird damit die Versöhnungsfigur auf den Kopf gestellt, indem sie zeit-lich anders lokalisiert wird. Hervortritt eine Metaphorik des Kampfes, die einerschließlichen Versöhnung dienen soll, aber ebenso >unversöhnend< ist wie dieKriege, die gegen den Krieg geführt werden.

Wo aber bleiben in dieser Konstruktion die anderen Philosophien, deren Rechtdoch immer noch im Rahmen der Versöhnungsfigur zu begründen wäre, auchwenn die Versöhnung zeitlich anders lokalisiert wird? Eine bloße Abweisung oderVerfemung der Konkurrenz würde die Idee desavouieren, daß die >neue< Philoso-phie in der Tendenz doch versöhnen kann. Es gilt, ein Verfahren zu entwickeln, mitdem die Kritik an der >neuen< Philosophie als zu dieser schon mit dazugehörigbetrachtet wird. Diese Verwandlung der Feinde in unfreiwillige Helfer ist die »Iro-nie des Weltgeistes und der absoluten Idee«, sie besteht darin, »daß die Richtun-gen, welche die Philosophie über den Haufen zu werfen vermeinen, doch im letztenResultate ihr den Thron bereiten müssen.«99 Diese seltsame Figur ist nicht leicht zuerklären. Warum »müssen« die der neuen Philosophie der Versöhnung entgegen-stehenden Philosophien dieser einen zum Siege verhelfen, in der sie enthalten sind?

Man könnte diese argumentative Figur durchaus mit der psychoanalytischenDeutung des Widerstands vergleichen, derzufolge die Heftigkeit des Widerstandesnicht etwa die Erkenntnis, der der Widerstand gilt, widerlegt, sondern vielmehrbestätigt. Die Verwandlung der Feinde in unfreiwillige Helfer erfolgt über eineReflexion der unbeabsichtigten Folgen philosophischen Handelns<. Jede Positio-nalität gibt in ihrer Richtung als unbeabsichtigten Effekt zugleich die Gegenrich-tung mit an. Sie steht nicht nur für sich, sondern zugleich für das, wogegen sie sichrichtet. Diesem Zwang entgeht keine Philosophie. Aber eine Philosophie, die diesweiß, kann die unbeabsichtigten Folgen philosophischen Handelns< für sich undgegen andere besser nutzen. Sie tut dies, indem sie sich selbst polemisch macht, sichauf die Ebene ihrer Gegner stellt, sie zum Streit herausfordert, um den Widerstand,den sie hervorruft, als Zeichen ihrer Kraft sich anzueignen. Diese Zauberei kann fürsie funktionieren, weil sie weiß, daß im polemischen Kampf mit den Richtungenzugleich die Gegenrichtungen wachsen.

Der beabsichtigte Effekt dieses Verfahrens ist eine Steigerung der Polemik, diekeineswegs von der Versöhnung wegführt, sondern gleichsam den Königsweg zurVersöhnung darstellt. So eröffnet J. Schaller eine Rezension in den JWK:»Jede wissenschaftliche Zeitschrift hat schon dadurch eine polemische Tendenz, daß sie einbestimmtes Prinzip vertritt, und dies als ein wesentliches und für den geistigen Standpunktder Zeit bedeutsames nach außen hin geltend macht. Und sollte auch die Tendenz einerZeitschrift vorzugsweise die Vermittlung und Versöhnung der Gegensätze sein, so kann siedoch diesen Zweck nur durch den Besitz eines Prinzipes erreichen, welches jene Gegensätzeals solche aufhebt und als einseitig nachweist; denn das bloße Nebeneinanderstellen undGeltenlassen der Gegensätze oder die freundschaftliche Behandlung, welche sich dieselbengegenseitig zukommen lassen, und die Behutsamkeit oder auch Mutlosigkeit, ihre Differenzin aller Schärfe herauszustellen, kann so wenig für eine wirkliche Versöhnung angesehenwerden, daß es vielmehr nur ein Abstumpfen und Verflachen der Gegensätze und somit daskräftigste Mittel gegen die Versöhnung ist.«100

Was Schaller macht, ist ein virtuoses Ausspielen der unbeabsichtigten Folgen>philosophischen Handelns< gegenüber seinem Gegner - ein Ausspielen, dessen

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Pointe auch darin besteht, daß er in den von Hegel gegründeten JWK101 durchEröffung einer Polemik, die auch auf ihn und diese Zeitschrift umkehrbar ist, eineandere hegelianische Konkurrenzzeitschrift, die sich auf die Versöhnungsfigurberuft, auf die unbeabsichtigten Effekte dieser Figur verweist, um so durch diePolemik hindurch gerade diese Figur zu retten.

Für Schaller ist »die Polemik ein notwendiges Moment in der philosophischenEntwicklung und wird mit dieser bestehen und aufhören.«102 Um so wichtiger ist esfür ihn, Kriterien für ihre Form zu erörtern. Seine Überlegungen zu Verhaltensre-geln für Beurteilungen und zur Abfassung von Polemiken können als paradigma-tisch für die Standards der Schule in dieser Frage gelten. Insgesamt zielen sie aufeine Enttabuierung polemischen Verhaltens.

So zählt für ihn die Versicherung, daß es einem Verfasser allein um die Sachegehe, wenig, da »dieses Versichern des sich von selbst Verstehenden unwillkürlichzur Vermutung des Gegenteils auffordert.« Auch in diesem Bereich wirke derunbeabsichtigte Gegensinn. Die Berufung auf »gewisse Gesetze des Anstands«, die»jeder Gebildete des neunzehnten Jahrhunderts für heilig achten müsse«, greifekaum, da doch jeder die Erfahrung mache, »daß entweder diese Gesetze sehr vagesein müssen oder daß man sich eine Übertretung derselben so sehr hoch geradenicht anzurechnen geneigt ist.« Die Forderung, in der Polemik die Person von derSache zu trennen, sei eine »seltsame Prätention«, denn wenn es erlaubt ist, »dieSache platt, dürftig, schal zu nennen, so sind natürlich die Inhaber der Sache,wenigstens in diesem Falle, auch wenn man es nicht sagt, schale, dürftige Köpfe«.103

Auch für B. Bauer ist die Polemik gegen die »wissenschaftliche Persönlichkeit«gerechtfertigt, denn in der Person hat es der Polemiker »zugleich mit einer Formdes allgemeinen Bewußtseins zu tun«. Und weitergehend:»Rein persönlich müßte der Kritiker in dem Falle werden, wenn die wissenschaftliche Per-sönlichkeit, die er charakterisiert, durch eigene Schuld, weil sie nur eine Meinung repräsen-tiert, keine allgemeinere Bedeutung hat und nur Gegenstand der Kritik werden kann, um inihrer Bedeutungslosigkeit dargestellt zu werden.«104

Festzuhalten ist, daß im Bereich des Hegelianismus die Polemik nicht als einebloße Randerscheinung philosophischer Arbeit gilt, vielmehr erfährt sie einebedeutende Aufwertung: Die Polemik stellt als Kritik gleichsam die Seite philoso-phischer Arbeit dar, bei der es um den Kampf um die Anerkennung der Resultateder Philosophie geht. Diese Anerkennung kann die Philosophie fordern, weil sienicht jenseits der Polemik steht, sondern weil, wie Schaller formuliert: »jedes philo-sophische System nicht nur nach außen, sondern in sich selbst polemisch (ist),indem es nicht nur ein abstraktes Resultat, eine einfache Versicherung aufstellt,sondern ein konkretes, sich selbst beweisendes Ganzes ist.«105 Die Polemik ist indieser Zuspitzung eine Bewegung, die das gesamte Feld der konkurrierenden Phi-losophien durchzieht. Sie macht weder halt an der Grenze einer Person, noch ander Grenze einer Lehre.

b) Selbstdefinition der Schule

So sehr auch die Existenz philosophischer Schulen eine geschichtliche und sozialeTatsache ist, nicht selbstverständlich ist, daß Philosophien zur Schulbildung ein

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positiv begründetes Verhältnis entwickeln. Wo die Hegelianer dies tun, haben siesich zunächst damit auseinanderzusetzen, die Schulbildung vom Geruch einer bor-nierten akademischen Cliquenwirtschaft zu befreien. Die landläufige Karikatureiner Schule skizziert Schaller:»Zu einer Schule gehört einmal, daß die Schüler nicht Anhänger des Systems sind, sondernAnhänger des Lehrers, daß sie also seine Worte auf Treu und Glauben annehmen und dar-auf schwören, daß sie lernen nicht etwa das System verstehen, sondern in den Formeln des-selben sich bewegen und diese bestmöglich streng und ohne Abweichung nachschwatzen.Ferner gehört dazu, daß der Lehrer nicht bloß diese Stockblindheit duldet und erträgt, son-dern er muß selbst stockblind sein, und in süßer Eitelkeit von seiner Infallibilität überzeugt,keinen Zweifel und Widerspruch dulden, sondern auf diese Ketzereien ein für alle Mal einenBann legen. Drittens ist aber nötig, daß der Meister öffentlich Lob gegen die Schüler aus-spricht, und die Schüler wieder den Meister mit begeisterter Salbung loben, und unter sichselbst, sich an den Schlagwörtern kennen, sich jubelnd empfangen und die Hände reichenund zur Teilnahme an der geoffenbarten Weisheit Glück wünschen. Endlich aber habenMeister und Schüler zusammenzutreten und allen anders Denkenden einen Kampf aufLeben und Tod anzukündigen. Jeder, der nicht die Schuluniform trägt, ist ein Feind und derKampf ist nicht schwer, denn die Feinde sind - a priori - insgesamt blessiert, hinkend undkrank.«106

In dieser Karikatur sind eine Reihe von Elementen versammelt, die wir schon ausTiryakians moderner idealtypischer Schuldefinition kennen und die auch in Scho-penhauers Kritik der »Philosophieprofessoren« eingegangen sind.107 In SchallersEntkräftung der Karikatur sind für uns zwei Komplexe von besonderer Bedeutung,die einer Aufwertung des Phänomens philosophischer Schulbildung in der Regelim Wege liegen und die reflektiert werden müssen, wenn eine befriedigende Selbst-definition der Schule vorgeschlagen werden soll. Es ist dies das Problem der Uni-formität und das der Hierarchie, die, wo sie auftreten, die Produktion von Wahr-heit behindern oder verknappen könnten.

Schaller verteidigt die Notwendigkeit der Schule, indem er sich zunächst dage-gen wendet, das Streben nach einer »Einheit in der Sache für leere gedankenloseNachbetung« zu halten.108 Die kollektive Orientierung hat einen klaren Vorrangvor dem Streben nach Originalität.»Die Forderung der Originalität macht die Philosophie zur subjektiven Meinung des einzel-nen Individuums. Indem jeder lernt, um nur fortzuwerfen, treibt jeder für sich ein besonde-res Geschäft; die Wahrheit als der allgemeine Inhalt jedes Bewußtseins ist dann ein ganz lee-res Wort, und nicht nur das Fleisch, sondern der Geist selbst ist durch und durch Egoist unddie Zersplitterung in lauter inhaltslose Punkte sein Wesen und seine Bestimmung.«109

Ebenso weist Ruge den Vorwurf zurück, die HJ hätten keine »philosophischeBerühmtheit gemacht, sondern alles nur der Schule, der Innung zu Gute kommenlassen<«, es sei dies gerade »das größte Lob«: keine Berühmtheiten zu machen, son-dern nur »das freie philosophische Prinzip, die Methode und den Begriff der histo-rischen und logischen Dialektik« vorauszusetzen, Dinge, die für Ruge den BegriffSchule ausmachen.110

Die Kollektivität der Schule ist jedoch erst dann adäquat begründet und vomGeruch der Uniformität befreit, wenn sie in eine notwendige Verbindung mit derTätigkeit des Philosophierens selbst gebracht werden kann. So schreibt Schaller:

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»Wäre die Philosophie, wie sie zunächst ein einsames Geschäft des einzelnen Individuumsist, weiter nichts als die Meinung eines einzelnen, so könnte man allerdings fordern, daßjeder Philosoph eine solche Meinung für sich haben solle; daran könnte sich aber zugleichdie andere Forderung anschließen, daß er diese Meinung für sich behalten und die anderen,die auch eine solche hätten, oder sie bald erwerben könnten, nicht weiter damit inkommo-dieren möchte.«111

In der philosophischen Tätigkeit liegt aber eine Orientierung auf eine Kommuni-kationsgemeinschaft, die nicht mit der »Trivialität« zu beruhigen ist, »daß in allenphilosophischen Systemen doch etwas Wahres sei.«112 Philosophischer Fortschrittbedarf der Definition. Dies >tut< in der Hegelschen Philosophie bekanntlich derWeltgeist, und »nicht Jeden kann das Glück treffen, der vom Weltgeist Auser-wählte zu sein, die philosophische Erkenntnis in wesentlichen Punkten weiterzu-führen, und einen neuen höheren Standpunkt des Wissens zu erreichen.«113 Beidem »Glück«, einen wissenschaftlichen Fortschritt zu tun, handelt es sich um einkontingentes Ereignis. Aber es ist notwendig, auf dieses kontingente »Glück« zuvertrauen. Ohne das Bewußtsein, einen wissenschaftlichen Fortschritt errungen zuhaben, entfiele der Grund für die Aufstellung von Thesen, das Schreiben philoso-phischer Bücher usw.

»Wenn nun ein Philosoph mit dem Bewußtsein auftritt, einen Fortschritt errungen zuhaben, so knüpft sich notwendig an dieses Bedürfnis sogleich die Forderung, daß sichandere ihm anschließen, und zwar nicht an ihn als das einzelne Individuum, sondern viel-mehr an die Sache (. . .). Und zwar ist die Sache ein ganz bestimmter Inhalt, und dasAnschließen an dieselbe hat nicht die leere Bedeutung, daß andere nur mitphilosophieren,zur Erkenntnis der Wahrheit auch das Ihrige beitragen; ebensowenig wie einem Philoso-phen einfallen kann, durch sein System weiter nichts als anregen zu wollen, sondern er gibtvielmehr ein positives Resultat - dies behauptet er als die Wahrheit, und nicht bloß, daß esmit der Philosophie im allgemeinen eine schöne Sache ist.«114

Die »schöne Sache« der Philosophie im allgemeinen, das »Anregen« und »Mit-philosophieren« bezieht sich indifferent auf alle im Konkurrenzraum der Philoso-phie Versammelten. Schule dagegen ist ein Medium zur Verstärkung der Konkur-renz, indem von dem vorgetragenen Paradigma eine Aufforderung ausgeht, sichentweder als Konkurrent zu verhalten oder sich das Paradigma anzueignen. Vondaher ist es für Schaller ein unproduktives philosophisches Verhalten, wenn Philo-sophen, wie der Pseudohegelianer Fichte, bei der Ankündigung seines Systemserklären, »daß es ihm nicht einfalle, dadurch auch eine neue Schule stiften zu wol-len, sondern daß er sich diese Art Anhang geradezu verbitte.« Im Widerspruchstünde dazu, daß »jede philosophische Darstellung zugleich den Zweck habe, denLeser zum Verständnis zu zwingen, und ihn für jetzt wenigstens zu seinem Anhän-ger zu machen.«115 Die Schulbildung uniformiert die Positionen nicht, sie formiertdie Positionen, die sonst uniform, d. h. bloß vereinzelt indifferent und streitlosnebeneinander bestünden. Daher sei »die philosophische Schule als ein notwendi-ges Moment in der Entwicklung der Philosophie anzuerkennen.«116

Die Karikatur der Hierarchie zwischen einem Lehrer und nachplapperndenSchülern entkräftet Schaller, indem er zunächst gegenüber einem aschulischen,»geistreichen« Philosophieren darauf insistiert, daß die Philosophie wie die ande-ren Wissenschaften auch gelernt werden müsse.117 Auf schulisches Lernen sei nicht

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zu verzichten. Erst von diesem Ausgangspunkt aus entfaltet sich die Spannung zwi-schen der Forderung selbständigen Denkens und der Notwendigkeit des Lernens.Die Schule ist eine Institutionalisierung dieser Spannung. Die Lehrer-Schüler-Hierarchie soll entsprechend der oben skizzierten Idee des christlichen Lehrerssukzessiv aufgehoben werden. Wie ist aber eine Schuldefinition aufrecht zu erhal-ten, wenn die Emanzipation vom Lehrer mit zum Schulprogramm zählt? FürMichelet ist im Bezug auf die Arbeiten der Schüler selbstverständlich: »OhneAbweichungen von Hegeischen Sätzen wird es dabei nicht abgehen können, ja inmanchen Punkten ist ein Teil der Schule über dergleichen schon einig; und sie wer-den sich immer noch häufen.«118 Die Einheit der Schule sieht Michelet im Festhal-ten an der »absoluten Methode« gesichert.»Solche fortschreitende Entwicklung der Philosophie ist aber keine Aufstellung eines neuenPrinzips; der Hegeische Standpunkt, da er alles preisgibt außer der Methode, enthält viel-mehr in sich die Möglichkeit weiterer Ausbildung nicht bloß als Geduldetes, sondernscheint sogar dazu aufzufordern. Und die Änderungen im einzelnen, weit entfernt, den gan-zen Standpunkt zu gefährden, werden nur dazu dienen, ihn immer mehr zu bestätigen; denndie Quelle, aus der sie hervorgehen, die Methode, ist unversiegbar und in ewiger Jugendfri-sche stets dieselbige.«119

Löst Michelet das Problem des Schülerfortschritts gegenüber dem Lehrer durchdie, nebenbei bemerkt, wenig hegelianische Trennung von Methode und Anwen-dung (Hegel: »die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen in seiner rei-nen Wesenheit aufgestellt«120), so kommt Schaller zu der Auffassung:»Indem aber die Philosophie ihrem ganzen Wesen nach produktiv ist, so treibt die durch dieZucht des Lernens und durch die Besitznahme der Sache errungene Selbständigkeit not-wendig über die Reproduktion des Gegebenen hinaus. Man kann so allerdings sagen, daßjeder wahre Schüler darauf bedacht sei, über das System seines Meisters hinauszugehen;allein dies ist kein äußerlicher Vorsatz, der ohne weiteres mit dem Fortwerfen der Lehre derSchule beginnen könnte, sondern fällt mit dem freien Besitz der Sache zusammen.«121

Dieses »notwendige Hinaustreiben« ist ein konfliktreicher Prozeß, bei dem dieKonfigurationen der Schule im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildunginnerschulisch sich wiederholen. Wenn ein Lehrer die Auffassung seines Schülersmißbilligt, so liegt darin »zunächst weiter nichts, als daß die Systeme beider wirk-lich verschieden voneinander sind; der Prozeß der Scheidung liegt jedem vorAugen«.122 Wollte man »dem Richterspruche des Meisters eine unbedingte Autori-tät zugestehen, sicherlich wäre die Entwicklung der Philosophie mit einem Malegehemmt.«123 Die Voraussetzung für eine Anerkennung der Abweichung der Schü-ler als progressive ist lediglich »die vollständige Besitznahme des schon errungenenResultats«.124 Aber jeder freie Besitz der Sache ist schon ein Darüber-hinausgehen.So, wie die Philosophie der Versöhnung die konkurrierenden Philosophien in sichaufnimmt und >aufhebt<, so hat der Schüler, der sich das System seines Lehrersangeeignet hat, zugleich dieses System für sich >aufgehoben<. Zur Schule selbstgehört daher konstitutiv der Fall, »daß es gerade die eifrigsten Schüler und Anhän-ger der Lehrer und Meister sind, welche die Erkenntnis zu einem höheren Stand-punkt fortführen, und somit als Gegner ihres Lehrers auftreten.«125

Die Konflikttoleranz ist in der Hegelschule enorm ausgeweitet. Die Argumenta-

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tionsfiguren laufen darauf hinaus, in einer äußersten dialektischen Anspannungdas, was als Zerfall der Schule gelten könnte, zum Integrationspunkt umzubiegen.So sehr die Schule gefeiert wird als unverzichtbares Moment philosophischen Fort-schritts, dem Paradigma der »absoluten Philosophie« nach, auf das auch die Schulesich bezieht, ist >Schule<: »eine Beschränktheit, welche sie selbst als zugleich aufge-löst weiß und beständig auflöst.«126

c) Aufgaben der Schule

Das Problem, die Aufgaben der Schule zu definieren, stellt sich für die Hegelianerradikal mit dem Tod des Lehrers. »Dies so plötzliche Ereignis ist allerdings einMoment der Scheidung und der Krise für die Schule gewesen«, schreibt Miche-let.127 Zu Hegels Lebzeiten war die Aufgabenstellung durch die Anwesenheit desLehrers gesichert: »In kompakter Masse um den Meister gedrängt, verfocht sie (dieSchule, d. V.) die Absolutheit des Erkennens«.128 Das Problem der Aufgaben nachHegels Tod ist für die Hegelianer deshalb so gravierend, weil es ja der AnspruchHegels war, das Ende und den versöhnenden Abschluß des philosophischen Streitsdarzustellen.

Der Logik dieses Anspruchs folgend, war die erste Aufgabe der Schule, sich umdie Edition der Schriften des Lehrers zu kümmern, ein Projekt, das 1832 beginntund 1845 abgeschlossen ist. Was aber soll ein Fortschritt über Hegel hinaus sein?Sicher blieb der Schule die Aufgabe, den Prozeß einer Anerkennung Hegels mitden Mitteln der Polemik und der Kritik weiterzufördern, und diese Aufgabe wirdauch immer wieder hervorgehoben. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um eineArt Daueraufgabe, es können nämlich »immer noch, nach Aufstellung desselben(des wahren Systems, d. V.), Philosophien mit einseitigen Prinzipien auftauchen,die aber nur ein Stehenbleiben auf irgend einer untergeordneten Stufe in ihmsind.«129

Dennoch bleibt die Frage, wie ein Fortschritt über Hegel hinaus aussehenkönnte. Es wäre verwunderlich, wenn Dialektiker aus dieser Verlegenheit keinenAusweg fänden. Michelet, einer der ergiebigsten Chronisten der Schule, glaubt,daß ein Hinausgehen über das »absolute System« Hegels nicht möglich sei, aberdaraus folge»doch noch keineswegs, daß darum alles wahrhafte Leben aus der Geschichte der Philoso-phie verschwunden, oder ein Kampf um Prinzipien nicht mehr ausgefochten werden könne.Nicht also aufgehört hat die Geschichte der Philosophie mit Hegel; sie hat nur eine andereGestalt angenommen«.130 Michelet denkt an einen qualitativen Sprung. Die »andereGestalt« setzt gleichsam voraus, daß die »negative Aufgabe« der Schule, die Polemik, denErfolg zeitigt, »daß allmählich der Prinzipienstreit auf dem Boden der Wissenschaft ver-schwinde«, um Raum zu schaffen für »die positive Entwicklung der Wissenschaft (. . .),indem sie nicht mehr in neue Prinzipien auseinanderzufallen braucht.«131 Zur Aufgabe wirdauf dieser Stufe eine die Philosophie überschreitende »Ausbildung des Systems der Wissen-schaft«.132 »Weit entfernt, daß es mit der Philosophie zu Ende geht, fängt sie, können wirsagen, erst jetzt recht an.«133 Und: »Die Aufgabe der Hegelschen Schüler ist daher vorzugs-weise, daß jeder in seiner Wissenschaft die Bahn, die Hegel in allen gebrochen, weiter ver-folge und den spekulativen Gedanken immer tiefer in die Wirklichkeit versenke, oder viel-mehr aus ihrem Schachte zu Tage fördere.«134

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Die Aufgabenformulierung ist doppeldeutig. Sie kann so aufgefaßt werden, daßdie Hegeischen Prinzipien in den verschiedenen universitären Disziplinen zurAnwendung gelangen sollen, es handelte sich dabei um eine Überschreitung derDisziplin der Philosophie in die anderen Wissensbereiche. Und Michelet selbst ten-diert sicherlich in diese Richtung. Aber die Forderung, den spekulativen Gedankenimmer tiefer in die Wirklichkeit zu versenken, kann auch interpretiert werden alseine Überschreitung des gesamten universitären Bereichs hin zu einer AusbreitungHegelscher Prinzipien in andere Sektoren der gesellschaftlichen Wirklichkeit. BeiBayrhoffer wird diese Interpretation der Aufgaben der Hegeischen Schule deutli-cher. Es geht ihm um

»ein konkretes Durcharbeiten der in Hegel gegebenen Grundlage der absoluten Idee durchalle Wirklichkeit der Natur wie des Geistes, ein Sichselbstbestimmen und Konkreszierender Idee bis zu den Einzelmomenten des Begriffs und seiner Verwirklichung. Dadurch wirddie Philosophie, der Gedanke vollends die Macht des Lebens und damit der Drang der Zeitbefriedigt.«135

Der Jungehegelianer Bayrhoffer stellt der spezialwissenschaftlichen Aufgaben-stellung: »Einzelmomente des Begriffs« das Desiderat der Verwirklichung der Phi-losophie zur Seite. Die Doppeldeutigkeit der »Durchführung«: Durchführung derPhilosophie im Ensemble universitärer Disziplinen oder Durchführung der Philo-sophie im gesellschaftlichen Leben, deutet eine Bruchstelle in der Aufgabenstel-lung der Schule an, die Althegelianer und Junghegelianer trennen wird. Aber fürdie Schule im Bündnis mit dem modernen Staat ist diese Doppeldeutigkeit keinProblem, denn sie kann sich in die reformpolitische Aufgabenstellung der beamte-ten Intelligenz ohne Irritationen einschmiegen. Die »gedankenvolle Bearbeitungdes Stoffes«, die E. Gans in seinem Hegel-Nekrolog zur Aufgabe der Schule erklärthatte,136 entspricht den Tätigkeitsmerkmalen der beamteten Intelligenz, die die>Macht des Geistes< im Staatsleben durchführt.

5. Erwartungen

Will man den Erwartungshorizont der philosophischen Schule präziser fassen, soist zunächst an die beruflichen Erwartungen zu denken. Die Junghegelianer erwar-ten für sich Karrieren als Teile der beamteten Intelligenz: Koppen, Rutenberg, Stir-ner, Witt haben Lehrerexamen abgelegt; Bayrhoffer, B. Bauer, Feuerbach, Gott-schall, Marx, Nauwerck, Prutz, Rüge erwarten für sich eine Karriere als Universi-tätsprofessoren. Für eine ganze Reihe von Junghegelianern handelt es sich bei die-ser beruflichen Orientierung zudem um die Erwartung eines sozialen Aufstiegsdurch Bildung.

Rückenwind erhält diese Erwartung durch die Erfahrung des rapiden Ausbausdes preußischen Unterrichtssystems vor allem in den 20er und 30er Jahren. Von1816bis 1846 steigt die Zahl der Volksschüler um 108 %.137 Die Berliner Universi-tät zählt im Sommer 1820 910 Studenten, im Winter 1833/34 sind es 2001. Seit die-ser Zeit geht zwar die Gesamtzahl kontinuierlich zurück, aber die Entwicklungensind in einzelnen Fächern unterschiedlich. Während die Zahl der Theologen bis

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1830/31 dramatisch steigt (641), um dann kontinuierlich abzufallen (1835: 509/1840: 396/1845: 267), ist die Zahl der Philosophen durch ein stetiges Wachstumgekennzeichnet. (1830: 241/1835: 291/1840: 360/1845: 425)138

Mit ihrer beruflichen Orientierung auf die Beamtenkarriere sind die Junghege-lianer Teil einer umfassenden Entwicklung, die auch von den Zeitgenossenbemerkt und zum Teil skeptisch betrachtet wurde. So schreibt Wessenberg 1833:»Nicht ohne Grund hat man, besonders in den neuesten Zeiten, über zu großen Zudrang vonminderfähigen Jünglingen an den Universitäten geklagt. Die Hauptursache dieses Zudrangsliegt nicht in dem Reize der Wissenschaft, sondern in dem Reize des bequemeren, behag-licheren Lebens, in einer mit Staatsbesoldung verbundenen Anstellung. Dieser Reiz wurdedurch die ausnehmende Vervielfältigung der Werkzeuge der Staatsregierung sehr vermehrt.Jeder möchte nun lieber an der reich besetzten Tafel der Bürokratie mitgenießen«.139

In liberalen Kreisen wird diese Entwicklung sorgsam registriert. Der Altonaer>Freihafen< bemerkt 1840, daß die große Zahl der Studenten unmöglich in denStaatsdienst aufgenommen werden könne.»Auf der einen Seite wird der Drang der Jugend nach Bildung immer größer und auf derandern nehmen die Mittel zu einer ehrenvollen Stellung für gebildete Stände im Staateimmer mehr ab. Um diesen künstlichen Zustand so wenig gefährlich als möglich zu machen,bleibt nichts anderes übrig, als nicht nur alle Nahrungsquellen der Gewerbe und der Indu-strie ohne irgendeine Ängstlichkeit freizugeben, sondern auch den Industriellen einenebenso hohen Rang, als den Staatsbeamten und dem Adel einzuräumen.«140

Für die Mehrheit der Junghegelianer liegen diese Überlegungen unterhalb derWahrnehmungsschwelle. Für sie ist entscheidend, daß das Bündnis von Schule undmodernem Staat erhalten bleibt.

Die große Erwartung richtet sich auf das Jahr 1840. Es handelt sich für dieGruppe um ein symbolisches Jahr in mehrfacher Hinsicht. Es hat seine Bedeutungschon im Voraus durch eine zahlenmystische Erwartung, es gewinnt eine zusätzli-che Bedeutung durch die Ereignisse, die in dieses Jahr fallen, und schließlich wer-den die Erwartungen des Jahres 1840 in die Gruppengeschichte so inseriert, daß siedie Qualität eines Mythos erhalten.

Auf das Jahr 1840 wird als ein bedeutendes Jahr gewartet. Die 400-Jahrfeier derErfindung der Buchdruckerkunst, die als Beginn der modernen Zeit gilt, spieltdabei eine geringere Rolle als die wachgehaltene Erinnerung daran, daß mit derJahreszahl 40 entscheidende Wendepunkte der preußischen Geschichte verbun-den sind. 1440 das Todesjahr des ersten Kurfürsten von Brandenburg, 1540 dieReformation in Preußen durch Joachim II., 1640 der Regierungsantritt des großenKurfürsten, und 1740 die Thronbesteigung Friedrich des Großen.141

Drei Jahre später, 1843, wird K. R. Jachmann die zahlenmystische Fixierung aufdas Jahr 1840 in Zweifel ziehen und fragen:»Aber was weiß der Weltgeist, vor dem die Weltgeschichte von Anfang bis zu Ende oderbesser von Ewigkeit zu Ewigkeit wie ein Gemälde aufgerollt daliegt, von den Jahreszahlen,von den Zeichen und Abschnitten, die wir erfunden haben, um unserem Gedächtnis zuHilfe zu kommen?«142

Die Junghegelianer dagegen beginnen schon 1838, sich auf die Wiederkehr derZahl 40 vorzubereiten.143 Im Zentrum steht dabei das Jubiläum der Thronbestei-gung Friedrichs II.

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In einer dem Freunde Karl Marx aus Trier gewidmeten »Jubelschrift«: »Fried-rich der Große und seine Widersacher« feiert K. F. Köppen den Philosophenkönigals den »freiesten Diener des Weltgeistes, der je gelebt und geherrscht hat«.144 EinDiktum Hegels abwandelnd, heißt es von Friedrich II:»Seine Zeit, seine Stellung in derselben, seine weltgeschichtliche Aufgabe, das Wesen undder Zweck seines Staates, des Staates überhaupt, des Gesetzes, der Verwaltung und Verfas-sung, der Religion und Kirche usw. hat er im Gedanken erfaßt und diesem Gedanken nachregiert.«145

Wiederkehrender Bezugspunkt der Schrift ist die Staatsauffassung des Königs:»Was ist der Zweck des Staates? Das öffentliche Wohl. Was ist der Fürst? Der erste Dienerdes Staats; diese beiden Sätze, die an der Spitze von Friedrichs philosophischer Staatstheoriestehen, sind auch die Basis seines königlichen Tuns.«146 Der Absolutismus Friedrichs wirdvon Koppen entschieden verteidigt. Für ihn ist Friedrich kein Despot. »Er hatte sein Ich reinund ganz hingegeben, damit es eben die Ichheit des Staats sei. Und so konnte er denn wieLudwig der XIV, obwohl im entgegengesetzten Sinn sagen: l'etat c'est moi. Sein Ich war derStaat, aber nicht sein empirisches (car tel est notre plaisir), sondern sein transzendentes, inden Staatszweck aufgegangenes und mit diesem identisch gewordenes Ich.«147

Das Ideal des rationalen Verwaltungsstaats hat bei Koppen Vorrang vor derFrage der Repräsentativverfassung. Die Garantien liegen in der Gesetzmäßigkeitder Verwaltung und in der Rechtspflege. Die Offenheit gegenüber Beschwerden,die Friedrich seinen Beamten als Pflichterfüllung abverlangt, wird besonders her-vorgehoben: Friedrich habe geduldet, »daß Winkeladvokaten, Aufhetzer undRabulisten ihn bis zur Ungebühr mit Klagen und anderen Vorstellungen heimsuch-ten. >Die Leute<, sagte er, >haben zwar sehr oft Unrecht, aber ich muß sie dochanhören, denn dazu bin ich da.<«14S

Die Junghegelianer des Jahres 1840 stehen in Preußen an der Spitze der Fried-richverehrung. In diesem König symbolisiert sich für sie der >Geist< als eine souve-räne >Macht<. Die Widersacher Friedrichs II. sind »die Feinde der Vernunft unddes Menschengeschlechts überhaupt«. Es sind Feinde, die »sein Wesen, sein Prin-zip hassen und bekämpfen, die ihm von Anfang an gegenüberstanden, die ihm nochgegenüberstehen und gegenüberstehen werden bis zur Götterdämmerung.«149 DasPathos der Köppenschen Schrift wird noch überboten durch Ruges Rezension inden HJ.

Ruge will »die Begeisterung nicht unterdrücken, zu der uns Köppens herrliche Jubelschriftaufgeregt. Allerdings, hier ist Stoff zu jubeln, hier ist aber auch Kraft niederzuwerfen und indie Hölle zu stürzen, wo sie hingehören, die Schänder seines Ruhms und die Feinde unsererZukunft; und beides ist geschehen mit erschütternder Beredsamkeit, mit freiem Geist undmit tiefster Kenntnis der Aufklärer sowohl, als des feindlichen Lagers der Romantik. DasBuch ist ein frisches Produkt des neuen, des befreiten Geistes der ecclesia militans, wie siediese Blätter mit vollem Bewußtsein und mit unabwendbarer Entschlossenheit auf sichgenommen haben. Wer sich fühlt als freier Mann, als Protestant, als Philosoph, - und daswäre wahrlich das rechte Gefühl eines jeden, der Anteil hat an den Ehren Friedrich II. undseines Staates, -jeder gebildete Preuße sollte diese Jubelschrift, wie einen teuren Schatz, wieein heiliges Buch, welches die Fundamente seiner Freiheit, die Grundlage seiner National-ehre, den Kern seines religiösen und politischen Bewußtseins enthält, nicht lesen, nein stu-dieren und liebgewinnen, aufbewahren, und in ihm ein teures Familiengut auf Kind undKindeskinder vererben.«150

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Überschwengliche Erwartungen haben ihre eigene Dialektik. Wie magischeBeschwörungen versuchen sie, die kontingente Geschichte zu verpflichten: Preu-ßen muß die Grundsätze Friedrich II. weiterentwickeln, und dieses Muß versu-chen die Junghegelianer mit allen Mitteln darzustellen. So endet Köppens Schriftmit dem Verweis auf den alten Volksglauben,»daß nach 100 Jahren die Leute wiedergeboren werden. Die Zeit ist erfüllet. Möge sein(Friedrich II., d. V.) wiedergeborener Geist über uns kommen und alle Widersacher, dieden Eintritt ins Land der Verheißung uns wehren, mit Flammen im Schwerte vertilgen! Wiraber schwören, in diesem, seinem Geiste zu leben und zu sterben!«151

Die Dialektik überschwenglicher Erwartungen erfordert normalerweise ihreEnttäuschung. Aber die Zahlenmystik des Jahres 40 wird nicht enttäuscht, und dieplötzlich eintretende Bestätigung der überschwenglichen Erwartung führt zu einersich steigernden gegenseitigen Konnotation von Erwartung und Ereignis. Im Mai1840 stirbt der Minister Altenstein, und im Juni stirbt Friedrich Wilhelm II. Unddaß der Tod des Königs während des Pfingstfestes eintritt, steigert die zahlenmysti-sche Erwartung noch einmal für alle, die sich in der chiliastischen Tradition ausken-nen. In der häretischen Pfingstdeutung steht dieses Fest für den Beginn des Gottes-reiches auf Erden.

Prutz schreibt rückblickend:»Und jetzt nun endlich mit dem zweiten Pfingsttage des Jahres vierzig war der Momentgekommen, diese Hoffnungen zu erfüllen, diese Erwartungen zu befriedigen. Des Jahresvierzig! Dieses geheimnisvollen, dieses weltgeschichtlichen Jahres, auf welches die Sehn-sucht der Völker schon solange gelauert, das die Stimme der Weissagung schon zum Vorausbezeichnet hatte! Bedurfte es für den jungen Regenten noch eines glänzenderen Zeugnisses,als dieses rätselhaften, dieses überraschenden Zusammentreffens? Jetzt erst war die Verhei-ßung eingetroffen, jetzt erst hatte die dämonische Macht des Jahres vierzig sich bewährt. Mitstolzer Freude zählte man die Reihe der Jahrhunderte zurück und überzeugte sich, daßjedesmal mit dem Jahre vierzig ein großer, glorwürdiger Name in die Reihe der preußischenRegenten eingetreten war; mit Entzücken erinnerte man sich, wie gerade hundert Jahrezuvor, beinahe an demselben Tage, Friedrich der Große den Thron seiner Väter bestiegenhatte. Ja es war kein Zweifel mehr: das tausendjährige Reich war gekommen, alle Hoffnun-gen, alle Träume sollten Wahrheit werden, eine neue, glänzende Zeit begann und ihr Heldhieß Friedrich Wilhelm der Vierte! «132

Erwartung ist ein äußerst komplexes soziales Phänomen. Soziologisches Den-ken, das sich auf Zusammenhänge richtet, tut sich schwer damit, die eigentümlicheÖffnung zu beschreiben, die gar mit einer erfüllt geglaubten Erwartung einhergeht.Angesichts der sich aufdrängenden voreiligen Geste, mit der auf die Enttäuschung,die Desillusionierung, die derart gesteigerten Momenten folgen wird, in der Regelverwiesen wird, ist es notwendig, sich den erfüllten Erwartungsraum genauer anzu-sehen. Die Erwartung des Jahres 1840 ist von Zeitgenossen immer wieder als eineVerwandlung der sozialen Situation beschrieben worden:»Frühling in jeder Brust, längst zu Grabe getragene Wünsche erwachen wieder, erstarrteHoffnungen brechen wieder hervor. Die Menschen schauen sich wieder an, freier, frischer,das gebückte Haupt hebt sich wieder an, man sieht sich ins Auge, man fühlt sich. Alles, allessieht anders aus. Es sind nicht mehr dieselben Menschen, die uns begegnen; man gehtrascher, fröhlicher, der Morgenschein der Hoffnung liegt auf allen Antlitzen, strahlt auf

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allen Blicken; es ist, als wenn jeden Augenblick unendlicher Jubel aus allgemeiner Brust her-vorbrechen wollte.«

Dies ist die Wirkung des Thronwechsels 1840, wie sie Flourencourt beschriebenhat, Formulierungen, die B. Bauer in seine >Geschichte der Parteikämpfe< aufge-nommen hat.153

Der kollektiv >irrationale< Charakter dieser Verwandlung der sozialen Situationsteht außer Frage, aber für die Zeitgenossen ist das Erlebthaben dieser Verwand-lung ein gemeinsamer Bezugspunkt, der nicht so rasch vergessen wird. Die Ver-wandlung der sozialen Situation ist prägend durch die Entzauberung hindurch. Imstrengen Sinne ist die erfüllt geglaubte Erwartung gar nicht zu enttäuschen, sofernihr ein kollektives Erfahrungsbruchstück von auch nur kürzester Dauer zugrundeliegt. Was sich Pfingsten 1840 an Verwandlung der sozialen Situation für einenMoment ergeben hatte: »Alles, alles sieht anders aus«, bleibt ein Muster, das denHorizont bis zum Jahre 1848 bestimmt.

1843, zu einem Zeitpunkt, da beträchtliche desillusionierende Erfahrungen mitdem neuen König vorliegen, die auch ausgiebig reflektiert werden, ist das Musterdennoch präsent, wenn z. B. F. Wehl schreibt:

»Friedrich Wilhelm der Dritte starb und Friedrich Wilhelm der Vierte folgte. Wie ein Wet-terleuchten zuckte dies Leuchten empor. Die alte Zeit ging mit dem alten König zu Grabeund die neue Zeit hob den neuen König auf ihren Schild. Friedrich Wilhelm der Viertemußte ein anderer sein, als sein Vater; es lag dieses weniger an seinem Willen, als an der Not-wendigkeit der zeitlichen Zustände. Wie er ein anderer sein wird, wird uns die Zukunft leh-ren. Hoffen wollen wir das Beste, wir haben Grund dazu.«154

Den Moment der Verwandlung in ein Kontinuum zu transformieren, dieser Stra-tegie folgen die Argumentationen der Junghegelianer, wenn sie, wie K. Riedel, aufden neuen König setzen. Die Erwartung verpflichtet den König, die Kette dererfüllten Weissagungen reißt nicht ab:»Was wir seit Friedrich Wilhelm des Vierten Thronbesteigung unter glückbedeutenden Zei-chen kommen und erstehen sahen, weissagt uns, daß die Zeit, deren geistigen Inhalt wirandeuteten, auch vom Throne herab erstrebt und in Wirklichkeit gerufen werde, durcheinen Willen, der nur im Trefflichsten seine Aufgabe gelöst sieht.155

Natürlich nährt sich das Muster von Anhaltspunkten, die im Verhalten desneuen Königs liegen. Seine Amnestie für politische Untersuchungshäftlinge, dieWiedereinsetzung Arndts, seine schwankende Haltung in der Frage der Einlösungdes >Verfassungsversprechens< von 1815, schließlich seine Pressepolitik schienendie in ihn gesetzten Erwartungen immer auch zu einem Teil zu bestätigen. Selbst inden schärfsten junghegelianischen Kritiken Friedrich Wilhelms IV., wie z. B. in dervon Marx 1843, reproduziert sich das Muster der Thronwechselerwartung:»Der alte König wollte nichts Extravagantes, er war ein Philister und machte keinenAnspruch auf Geist. Er wußte, daß der Dienerstaat und sein Besitz nur der prosaischen,ruhigen Existenz bedurfte. Der junge König war munterer und aufgeweckter, von der All-macht des Monarchen, der nur durch sein Herz und seinen Verstand beschränkt ist, dachteer viel größer. Der alte verknöcherte Diener- und Sklavenstaat widerte ihn an. Er wollte ihnlebendig machen und ganz und gar mit seinen Wünschen, Gefühlen und Gedanken durch-dringen; und er konnte das verlangen, er in seinem Staate, wenn es nur gelingen wollte.

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Daher seine liberalen Reden und Herzensergießungen. Nicht das tote Gesetz, das vollelebendige Herz des Königs sollte alle seine Untertanen regieren. Er wollte alle Herzen undGeister für seine Herzenswünsche und langgenährten Pläne in Bewegung setzen. EineBewegung ist erfolgt; aber die übrigen Herzen schlugen nicht wie das seinige, und dieBeherrschten konnten den Mund nicht auftun, ohne von der Aufhebung der alten Herr-schaft zu reden.«156

Marx projiziert hier das Erwartungsmuster auf den König als von ihm ausge-hende Erwartungen, eine Umstellung, die legitim ist, denn Erwartung ist kein Phä-nomen, das sich getrennt entfaltet, die Verwandlung der sozialen Situation betrifftalle. Erst die Desillusionierung trennt und kann Versagen einer Seite zuschlagen. Soist im schließlichen Resultat der König vom Volk enttäuscht und das Volk von ihm.

Der Wechsel an der Spitze des preußischen Staates tangiert die Junghegelianerin dramatischer Weise, weil ihre Konstruktion: das Bündnis von Schule undmodernem Staat auf dem Spiel steht. B. Bauer schreibt 1840: »die Wissenschaftwird mit unerschöpflicher Pietät das Andenken Friedrich Wilhelms III. feiern, dersie in ihrer ruhigen Entwicklung nicht stören ließ. Der Schutzgeist der Wissen-schaft saß auf dem Thron und verhinderte es, daß das Zeichen zum Kampfe gege-ben würde.«157 Der Kampf, den Bruno Bauer im Auge hat, ist der Kampf um dieStellung der Schule im preußischen Staat unter der Regierung Friedrich WilhelmsIV. Die Prozesse der Destabilisierung des Bündnismodells lassen sich nur ober-flächlich auf einen Konflikt zwischen den progressivem Junghegelianern und demreaktionärem Verhalten der neuen Regierung beziehen. Die DeStabilisierungenfinden auf beiden Seiten statt, und in ihnen wirkt das Erwartungsmuster vielfachgebrochen weiter.

Im Unterschied zu seinem Vorgänger betreibt der neue König eine aktive Uni-versitätspolitik, was schon ganz unabhängig von den Zielen eine Destabilisierungbedeutet, weil die Bürokratie kaum in der Lage ist, die Flut der Initiativen zu verar-beiten. Selbst diejenigen, die dem König seit seiner Kronprinzenzeit nahestehenwie die konservativen Brüder v. Gerlach, sehen in den Initiativen »absolutistischeExzesse«.158 Sie wirken um so destabüisierender, als der König seine Absichten,Ziele, Erwartungen öffentlich proklamiert und sich somit über die Bürokratie hin-weg als Dialogpartner gesellschaftlicher Ansprüche präsentiert.

Vor diesem Hintergrund ist auch der oft zitierte Ausspruch zu sehen, der Königwolle die »Drachensaat des Hegelschen Pantheismus« aus den Geistern der Jugendausrotten.159 In der Art, in der der neue König die Altensteinsche Politik der Pro-tektion der Hegelschule revidiert, destabilisiert er zugleich einen gesellschaftlichenFunktionszusammenhang. Denn Friedrich Wilhelm IV. ersetzt nicht die Hegel-schule durch eine andere, vielmehr betreibt er eine Berufungspolitik, die zwar kon-sequent antihegelianisch, aber in ihren positiven Aspekten nicht mehr vom Kon-zept der Privilegierung einer Schule ausgeht, die sich in besonderer Weise auf die>beamtete Intelligenz< beruft. Die neuen Berufungen, die auf die Initiative desKönigs zurückgehen: z. B. den Theoretiker des christlichen Staates< Julius Stahl,der den Stuhl des verstorbenen Hegelianers E. Gans einnimmt, die Brüder Grimm,deren Protest im hannoverschen Verfassungsstreit sie zu Symbolgestalten liberalenProfessorenmutes hatte werden lassen, den gelehrten Poeten Friedrich Rücken,der neben dem vom König verehrten Malerprofessor Cornelius und Musikprofes-

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sor Mendelssohn den künstlerischen Ruhm der Universität vergrößern sollte -diese Berufungen folgen eher arbiträren Impulsen als einem überlegten Konzept.K. A. Varnhagen von Ense befürchtet angesichts der Vielzahl von Berufungen ver-gangener Berühmtheiten die Entstehung einer »verfluchten Rumpelkammer«.160

Die Erwartungen, die der König mit der spektakulären Berufung Schellings nachBerlin verbindet: mit diesem Philosophen jemanden zu gewinnen, der ein Gegen-gewicht gegen die Hegelschule darstellen könnte, werden ebenso enttäuscht wiedie Erwartungen der Hegelianer, einem Kontrahenten gegenüberzustehen, mitdem gestritten werden kann. Es sind insbesondere die Junghegelianer, die sichintensiv auf die Ankunft Schellings in Berlin vorbereiten. Sie tun dies in dem Erwar-tungshorizont, daß mit dem von König protegierten Schelling gleichsam eine Alter-native zum Bündnis der Hegelschule mit dem Staat aufgebaut werden soll.

Im Juli 1841 eröffnete das >Athenäum< die Vorbereitungen mit einer Stellung-nahme gegen einen Korrespondenten der >Augsburger Zeitung<, der davonschreibt:»Er höre, >die Hegelsche Schule ( . . . ) über Rückschritte der Intelligenz in Preußen<, sowiedarüber sich >ärgern und seufzen, daß sie, die bisher im Staat als die erste herrschende Rich-tung bevorzugt worden sei, jetzt andere nicht nur unter, sondern auch neben sich duldensolle.<«161 Diese Nachricht wird entschieden zurückgewiesen: »Leider hat jedoch dieserseufzende Ärger nirgends Realität als in dem frommen Wunsche des auf den Genuß derSchadenfreude vergeblich sich spitzenden edlen Berichterstatters. Die Hegelsche Schule istniemals im preußischen Staate so bevorzugt worden, daß andere Richtungen neben ihr garkeine Berücksichtigung gefunden hätten. Die von unserem Gegner gehoffte Neuerung istdaher keine Neuerung. Ob anderes Philosophieren in der Republik der Wissenschaft mitder Hegeischen Philosophie zu gleicher Geltung kommen soll, das hängt nirgends vomBelieben der Regierung ab. Die Hegelsche Philosophie hat sich bisher gegen alle ihre Geg-ner durch ihre eigene alleinige Kraft als die herrschende behauptet«.162

Die Hegelianer würden auch unter den veränderten Bedingungen keineswegs»an Wirklichkeit des Vernünftigen zu verzweifeln anfangen«, vor SchellingsAnkunft in Berlin habe »ausschließlich er selber und die Seinigen« sich zu fürch-ten.163 »Der Kampf mit einem so hochstehenden Gegner wird die Hegelschule zunoch lebendigerer Tätigkeit anspornen.«164

Das Kompromißangebot eines Anhängers Schellings, der in der >AugsburgerZeitung< den Vorschlag macht, Schellingianer und Junghegelianer sollten sich ver-einigen und eine »dritte« Philosophie entwerfen, »welche dem preußischen Staat inder patriarchalischen Stellung, die er heute bekleidet, die politisch-kritische undideale Kraft einzuflößen vermögen werde«165 - diese sollte von Ruge, jene vomneuen Schelling stammen -, dieses Kompromißangebot lehnen die Junghegelianerab. Stattdessen publiziert K. Riedel eine Kampfschrift gegen Schelling, die vonE. Meyen begeistert rezensiert wird.166 Als Zeichen der Schwäche werten es dieJunghegelianer, daß Schelling häufig diejenigen, die sich ihm anschließen, desa-vouiere, und besonders kosten sie seine Desavouierung Stahls aus.167

Die junghegelianischen Vorbereitungen für einen Kampf der Schulen gehenjedoch ins Leere. Die mit Spannung erwartete erste Vorlesung Schellings im dichtbesetzten Auditorium Maximum verläuft ebenso enttäuschend wie die folgenden.Schelling vermeidet eine direkte Auseinandersetzung mit Hegel und der Hegel-

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schule, im Gegenteil, er zitiert sogar anerkennend den verstorbenen Gans. Im übri-gen sei er gekommen, um zu versöhnen, Schwächen sollten nicht schadenfroh auf-gedeckt werden, sondern womöglich vergessen gemacht werden.168 Schelling will,wie er anläßlich eines verspäteten mit ministerieller Unterstützung zustandegekommenen dürftigen Fackelzuges kundgab, eine Philosophie, die »nicht bloßinnerhalb der vier Pfähle einer engen Schule oder in einem beschränkten Kreis vonSchülern sich behauptet.«169

Es kommt in Berlin trotz aller Protektion, die Schelling genießt, nicht zumKampf der Schulen. Die antihegelianische Koalition findet nicht nur keinengemeinsamen Nenner, die ganze Figur einer >beamteten Intelligenz< im >auf Intelli-genz sich gründenden Staat< zerfließt. Diejenigen, die an der Figur festhalten wol-len, finden nicht nur keinen Bündnispartner in der Regierung, auch das Gegenbildeiner anderen Schule erweist sich als Illusion. Schelling wird nicht als neuer>Staatsphilosoph<, sondern als >Hofphilosoph< gehandelt.

Das Konzept einer philosophischen Schule, die mit anderen um eine adäquatereWahrnehmung der mit dem Konkurrenzraum philosophischer Schulbildungengegebenen Möglichkeiten konkurriert, indem sie die Progression der Intelligenz imStaate zum Maßstab erhebt, dieses Konzept fällt nicht einfach der Repression desStaates zum Opfer, sondern es implodiert, weil die Mitspieler gleichsam ausfallen.Mit anderen Worten: die Bindekraft des Modells, die darauf beruhte, daß die ver-schiedenen Interessen in eine Struktur eingelassen waren, die auf Herausforderun-gen abzielte und so immer mehr >verlangte<, als vorhanden war, schwand zugleichmit den Herausforderungen. Die arbiträre Selbstgenügsamkeit des Königs, Schel-lings Vermeidungsverhalten und die Irritationen der Verwaltung boten für einephilosophische Schule keine Herausforderungen, an denen sie ihre Kontur bewäh-ren konnte.

6. Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst

»An dieser Täuschung, an der Hoffnung auf eine, vom Thron ausgehende politi-sche Reform haben sie sich verblutet.« So urteilt der schwäbische JunghegelianerA. Schwegler über seine preußischen Mitstreiter.170 Die Metapher verweist aufeinen wichtigen Aspekt: die Enttäuschung greift nur langsam in den Erwartungsho-rizont ein und erzwingt gegen große Widerstände eine Umorientierung.

Ginge es allein nach den Karriereerwartungen, so hätte die Enttäuschung früherPlatz greifen müssen. Ruge erfährt 1837, daß er nicht mit einer Professur rechnenkönne. Sein Eintreten für das Bündnis von Schule und Staat erreicht erst danachseinen Höhepunkt. Feuerbach sucht 1836 zum letzten Mal um eine Professur nach,eine Erwartung, die scheitert, da ihm seine »Gedanken über Tod und Unsterblich-keit« von 1830 noch immer >angerechnet< werden, obwohl er bereit ist, sich vondieser Schrift als »Jugendschrift« zu distanzieren.171 Noch 1842/43 ist ihm der Staat»der Inbegriff aller Realitäten - der Staat die Vorsehung des Menschen«.172 Dasberufliche Schicksal dieser beiden wäre für die anderen Anlaß genug gewesen, dieKarriereorientierung zu überdenken. Aber Marx will noch 1841 Professor werden,Prutz' Gesuch um eine Professur wird in dieser Zeit abgelehnt, Bayrhoffer wartet

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bis 1846 auf eine ordentliche Professur, Nauwerck bleibt Privatdozent, bis ihm1844 die Lehrerlaubnis entzogen wird. Gottschall wiederholt die Rugeschen Erfah-rungen fast 10 Jahre später. Das Karrieremuster der Junghegelianer hält sich trotzder Enttäuschungen relativ konstant durch. Widerstrebend wird es aufgegebenund die freie Schriftstellerexistenz gewählt, die für eine Reihe der Mitstreiter schongegeben ist.173

Will man die kaum von der Hand zu weisende Tendenz, sich am Erwartungsho-rizont, der mit dem Jahre 1840 symbolisiert ist, festzuklammern, genauer untersu-chen, so bietet es sich an, die Entlassung B. Bauers in den Mittelpunkt der Analysezu stellen.174 Der >Fall B. Bauer< kann exemplarisch gemacht werden, weil imUnterschied zum Scheitern der anderen junghegelianischen Karrieren die Gruppeselbst diesen Fall für sich exemplarisch gemacht hat. In der Entlassung B. Bauersspiegelt sich für sie die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst.

Auf Initiative Altensteins war B. Bauer an die Universität Bonn übersiedelt, teilsweil an der Theologischen Fakultät in Berlin kein Platz war, und teils, weil in dieBonner Fakultät der Hegelianismus noch keinen Einzug gehalten hatte. Darüberhinaus hatte sich B. Bauer in Berlin durch seine Streitschrift gegen Hengstenbergdie Gunst der Fakultätsmehrheit verscherzt. Die Finanzierung der BauerschenTätigkeit in Bonn, die er nach langer Zeit ärmlichster Verhältnisse erhält, gingjedoch zu Lasten zweier älterer Bonner Privatdozenten - eine Querele, die BauersStellung in Bonn nicht gerade verstärkte. Über diesen Auseinandersetzungen starbAltenstein. Der neue Minister, der von der Bonner Universität sogleich ersuchtwurde, die Finanzierungslösung für B. Bauer rückgängig zu machen, versuchtezunächst, einen Kompromiß durchzusetzen: Dieser sollte sich mit einer Gehalts-kürzung nach Charlottenburg zurückziehen, um dort auf dem neutralen Gebiet derKirchengeschichte zu forschen. Mit Hilfe der Fürsprache seines Lehrers Marhei-neke gelingt es B. Bauer jedoch, wieder nach Bonn zurückzukehren. Der Bruch mitdem Ministerium erfolgt, als B. Bauer statt wenig brisanter kirchengeschichtlicherForschung dem Minister am 20. Juni 1841 den ersten Band seiner >Kritik der evan-gelischen Geschichte der Synoptiker< mit der Bitte um einen theologischen Lehr-stuhl übersendet.175

Hervorzuheben am Verlauf der Auseinandersetzung um die Entlassung B. Bau-ers sind zunächst Irritationen, die die Verhaltenskohärenz von Verwaltung undMinisterium betreffen. Für Entlassungen von mißliebigen Hochschullehrern hat esin Deutschland insbesondere während der Demagogenverfolgung eine Reihe vonPräzedenzfällen gegeben (z. B. die Verfolgung De Wettes und die Gewaltsprüchegegen die Göttinger Sieben). Aber während damals Entlassungen relativ >problem-los< vollzogen wurden, eröffnet der Minister im Fall B. Bauers ein Verfahren, dasden Liberalisierungserwartungen im Gefolge des Thronwechsels mehr zu entspre-chen schien. Eichhorn legt zunächst den theologischen Fakultäten Preußens dieFragen vor:»1. welchen Standpunkt der Verfasser nach dieser seiner Schrift im Verhältnis zum Chri-stentum einnimmt, und 2. ob ihm nach Bestimmung unserer Universitäten, besonders aberder theologischen Fakultäten auf denselben, die licentia docendi verstattet werdenkann?«176

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B. Bauers Haltungen dem Prozeß, der mit seiner Entlassung endet, ist schwer zurekonstruieren. Zwei Interpretationsmuster, die beide wenig befriedigen, drängensich auf: die Rede vom >pathologischen Bauer<, der extrem überreizbar sich launen-haft und verworren in eine ausweglose Lage hineinmanövriert, und die Rede vom>Opfer staatlicher Repression< in der B. Bauer als Held der freien Wissenschaftgefeiert wird.

Der >pathologische Bauer< findet sich prägnant in dem Ministerialgutachten vonJ. Schulze.181 Er schreibt seinem Minister, nach mündlichen Unterredungen undnach der Lektüre der »Posaune« habe er von B. Bauer die Überzeugung gewonnen,»daß er sich in einer leidenschaftlichen krankhaften Aufregung befindet«, solange diese »fie-berhafte Stimmung« andauere, »kann ich den B. Bauer nur als einen geistig Krankenbetrachten, welcher um so gerechteren Anspruch auf meine Teilnahme hat, je größer dieGefahr ist, worin er mir zu schweben scheint und je bedeutender die Talente sind, welcheihm Gott verliehen hat.«

Man kann dieses starke Urteil relativieren: der alte Protege der Schule willB. Bauer helfen, er rät dazu, B. Bauer »eine rettende Hand zu bieten«, ihn vielleichtan einer größeren Bibliothek anzustellen. Aber auch der Hegelianer Marheineke,der in seinem Separatvotum vorschlägt, B. Bauer aus der theologischen in die phi-losophische Fakultät überzuleiten, geht auf die Pathologie ein. Er spricht von der»schmerzlichen Erfahrung« B. Bauers, »sich stets und ohne Unterlaß zurückge-setzt zu sehen«, und erklärt sich so, »wie die Säure des Unmuts und die Bitterkeit,von der in seiner letzten Schrift (der erste Band der >Synoptiker<, d. V.) deutlicheSpuren sind, sich in seiner Seele ansetzen muß.«182 Der pathologische Verdacht istaber auch verbreitet in den Berliner junghegelianischen Kreisen. So schreibt Edgaran seinen Bruder Bruno Bauer: »Den Ernst deiner Sache einzusehen ist man hiernoch weit entfernt. (. . .) Es sei eine >Verrückheit< von dir, so zu handeln, wie duhandelst: was du denn nachher anzufangen dächtest; freilich das müßtest du ambesten wissen.«183

Der >pathologische B. Bauer< ist zunächst zu dechiffrieren als der B. Bauer, dernicht verstanden wird, der also ein abweichendes Verhalten zeigt, dessen Sinn sichverrätselt. Die Paradoxie des B. Bauerschen Verhaltens läßt sich zugespitzt auf dieFormel bringen: Es insistiert darauf, in der theologischen Fakultät als beamteterLehrer zu wirken, und baut gleichzeitig eine Konfliktstrategie auf, die absehbar mitseiner Remotion enden muß. B. Bauer testet mit einem lebensgeschichtlichen Ein-satz die »politische Frage unserer Zeit«, die Ruge darin sieht: »ob der Staat in einerbestimmten Verfassung die Bewegungen des Geistes, welche über diese Bestimmt-heit hinausgehen, unterdrücken, oder ob er Formen erfinden solle, welche dieunendliche Bewegung ausdrücklich zu seiner eigenen Angelegenheit machen.«184

B. Bauer testet diese Frage, d. h. er läßt der Geschichte nicht ihre Evidenz, son-dern fordert sie heraus. Er weiß spätestens seit dem Tode Altensteins, daß er kaumeine Chance hat, Theologieprofessor zu werden, aber diese Evidenz macht er zueinem historischen Experiment, in dem die Grenzen zwischen >gespieltem< Verhal-ten und >ernsthaftem< Einsatz verschwimmen. Daher ist B. Bauer auch nicht ein-fach >Opfer der Repression< Als >Opfer< müßte er die Evidenz der Repression indem Sinne anerkennen, daß er aufhört mitzuspielen, um den Gegensinn authen-

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tisch zu entfalten. Aber in dieser Art will B. Bauer nicht >unschuldig< sein an dem,was ihm >passiert<, er will in seinem historischen Experiment mitwirken, d. h. ebennicht Opfer sein.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang B. Bauers Brief vom 6. Dezember 1841 anRuge, der in dieser Zeit zu seinen wichtigsten Vertrauten gehört. B. Bauer fordertRuge auf, in nichtpreußischen Zeitungen Denunziationen gegen ihn in Gang zu set-zen, um den Konflikt zu forcieren:»Da die Regierung nichts gegen mich zu wagen scheint, so wäre es sehr gut, wenn Sie Mittelund Wege fänden, mich in der Leipziger Allgemeinen Zeitung und in der Augsburgeröffentlich anzuklagen.« Und B. Bauer signalisiert Ruge auch schon den Tenor, den dieDenunziation haben soll: »Sagen Sie es den hohen Herren, daß man es sehr bedenklichfände, daß einem so bösen Dämon Raum gegeben werde. Freiwillig werde ich mich nicht indie philosophische Fakultät begeben. Mein Lästergeist würde sich nur zufrieden geben,wenn man mich als Professor autorisierte, öffentlich das System des Atheismus zu predigen.Hoffentlich aber wird man für das Heil der Seelen mehr bedacht sein. Werde ich removiert,dann allerdings eventualiter bin ich dabei.«185

Festklammern am akademischen Raum und gleichzeitig Verstärkung der Kon-fliktstrategie, dieser Widersinn löst sich nur, wenn der Experimentcharakter desVerhaltens im Auge behalten wird. B. Bauer inszeniert gleichsam eine Art Ge-richtsprozeß, in dem er seine wissenschaftlichen Kontrahenten ebenso wie dieRegierung aktiv herausfordert. Über eine Unterredung mit Eichhorn, dem er sei-nen ersten Band der >Synoptiker< mit dem Gesuch um einen Lehrstuhl übersandthatte, berichtet er Ruge:»Eichhorn ist außer sich gegen mich. Ich war bei ihm, weil ich seine gegenwärtigen Absich-ten kennenlernen wollte, d.h. bestätigt haben wollte. Es war eine starke Expektoration. Wirsind aber Sieger. Die Ruhe, Selbstgewißheit, alles ist unser, den anderen nur die Unsicher-heit, Unklarheit und dumpfe Leidenschaftlichkeit. Es war köstlich.«186

Angesichts der Erfolgsaussichten seines Prozesses ist das »Wir sind aber Sieger«eine völlige Verkehrung der Kräfteverhältnisse. Aber B. Bauers historisches Expe-riment zielt auf anderes als auf die Evidenz von Gewaltverhältnissen.

Im Monat vor seiner Entlassung schreibt er Ruge:Jetzt habe er die Theologische Fakultät »vor Gericht geladen und die Sachen zwischen ihrund mir, da ich diese Leute nicht anders zu Wort bringen kann, vor das Ministerium in demSinne gebracht, daß dieses entscheiden soll, ob die Fakultät ein haltbares Argument vorbrin-gen kann, welches mich für den Staat totmachen müßte. Ich will sie so gut wie den Staat zurSprache und zur Entscheidung bringen, ob die Kritik vom Staate ausgeschlossen werdensoll. Natürlich hoffe ich von diesem Prozeß nichts, aber er muß auch einmal entschiedenwerden. Indessen wanke und weiche ich nicht, sie mögen machen, was sie wollen, - es ist mirgleich.«187

Getestet werden soll mit B. Bauers Experiment die Fähigkeit von Staat und Uni-versität, wissenschaftliche Kritik in sich aufzunehmen, d. h. es steht die Bündnis-konzeption der Junghegelianer auf dem Prüfstand. In der RhZ macht B. Bauerdeutlich, daß es in seinem Prozeß nicht primär um »Gewissensfreiheit« geht. Sie sei»in der neueren Zeit so stark und sicher geworden, daß sie nicht erst noch garantiertzu werden braucht.«188 Wenn aber »das Gewissen und das Bestehende nicht mehr

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schlechthin harmonieren«, so muß der Staat dafür sorgen, daß beide »nicht endlichzu weit auseinander treten.« Er tue dies durch die Garantie der »Druckfreiheit«.Aber auch um diese geht es B. Bauer nicht primär in seinem Prozeß.»Die Druckfreiheit läßt immer noch den Schein stehen, daß dieser einzelne Mensch, dieserAutor, dieser Schriftsteller, obwohl er eine allgemeine Idee präsentiert, nur als diese einzelnePerson dastehe; dieser Schein kann bei aller Druckfreiheit geltend gemacht und dieseAnsicht am Ende sehr nachteilig werden.«

Die Druckfreiheit ist keineswegs ausreichend, um den Konflikt zwischen dem»Gewissen« und dem »Bestehenden« zu lösen. Denn trotz des Scheins, es handelesich um bloß einzelne Ideen, hätten zwar »alle tüchtigen Überzeugungen sich end-lich Eingang, Anerkennung und Einfluß auf das Bestehende verschafft«, aber siehätten dies in der Vergangenheit auf eine sehr unwürdige, inhumane Weise tunmüssen.

Bauer fragt: »Aber soll und darf der Mensch immer nur wie ein Tier durch dieunorganischen, ungeordneten Massen hindurcharbeiten?« An Anspielung auf pro-minente Hegelsche Tiervergleiche schreibt B. Bauer, dies müsse zwar ein Hund,ein Wurm und ein Maulwurf tun, aber zu fragen sei:»Soll die Geschichte nur ein Gewühl sein? Sollen die Bewegungen der Geschichte nurdadurch herbeigeführt werden, daß die neuen Ideen sich wie ein Maulwurf durchwühlenund endlich die Rinde durchbrechen? Der Mensch ist mehr als ein Wurm. Sein Adel ist dieForm. Und diese Form gibt ihm der Staat.«

Auf dieser Ebene liegt für B. Bauer der Testpunkt seines Prozesses:»An dem Staat ist es, das Formlose, Gewühlartige, Unorganische und scheinbar Zufällige,was in den Bewegungen der Presse liegt, dadurch aufzuheben, daß er zur Druckfreiheit dieLehrfreiheit hinzufügt, d. h. für eine öffentliche, zum Staatsorganismus selbst gehörendeForm, sorgt, in welcher sich die neuen Überzeugungen aussprechen können.«189

In der Schere, die sich zwischen der Öffentlichkeit und der beamteten Intelligenzauftut, steht B. Bauer bis zum Ende theoretisch auf der Seite der beamteten Intelli-genz als einer der Wissenschaft angemessenen Form, die nicht in ein wildes Außenabgedrängt werden will. Zugleich tut er praktisch alles, um den Test für sich zu ver-lieren.

Woher bezieht B. Bauer seine Energie für dieses Experiment? An zwei möglicheQuellen kann gedacht werden: er ist in dieser Zeit ein Symbol für die Junghegelia-ner, die sein Experiment mittragen, und er definiert den Prozeß zugleich als eineSelbstfindung. Für die Gruppe gewinnt B. Bauers Konzept der sich in den Staatverklammernden Kritik zunehmend an Bedeutung und wird zu einem intellektuel-len Instrument, das auch über die Evangelienkritik hinausgehend Verwendung fin-det. Er selbst bleibt dagegen in eigentümlicher Weise sich selbst beschränkend beider Durchführung seines Tests, so wie er es 1840 seinem Bruder annonciert.B. Bauer beglückwünscht ihn, daß er sein Theologiestudium abgebrochen hat, sagtaber über sich:»Ich stecke einmal darin und der Kampf hat sich zu tief in mich eingefressen, als daß ichmich davon abtrennen könnte. (Ich werde erst dann ein Ende machen können, wenn ich alleWendungen durchgemacht habe.) Ich bin so fest mit der Theologie verwachsen, daß ich nur

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mir tue, was ich in der Theologie tue, d. h. ich wasche mich vom Unrat rein, indem ichdieTheologie aufräume. Wenn ich fertig bin, werde ich rein sein.«190

Diese durchhaltende und ausharrende Selbstfindung ist gebunden an das Bünd-nismodell von Schule und modernem Staat, und zwar auch über den Moment hin-aus, wo dieses Bündnis zweifelhaft wird. Im Februar 1840, noch vor dem TodeAltensteins, schreibt B. Bauer:»Der Staat muß an sich selber ein religiöses Interesse nehmen und die Fortentwicklung derPhilosophie beschränken. Sie war bisher durch ihre Verbindung mit dem Staate consolida-risch verpflichtet, also auch eingeengt; sie hatte sich, da sie scheinbar freigelassen und ohne-hin begünstigt war, d. h. an den Vorteilen der Regierung teilnahm, selbst ihre Grenzegesetzt. Indem sie aber gefesselt wird, wird sie über alle Fesseln und Grenzen hinausgetrie-ben. Der gefesselte Prometheus war als solcher freier als damals, da er noch frei umhergingund die Menschen opfern lehrte. Der freie Pometheus war bekanntlich in seiner Opferlehreein Sophist, aber im Schmerz seiner Fesseln war er über alle Mächte erhaben.«191

Das Bewußtsein der heraufziehenden Fesselung kann aber nur zu einer intellek-tuellen Kraft werden, wenn die Philosophie es ablehnt, sich als >Opfer< zu definie-ren. Das ist der Sinn der Anspielung auf den Prometheus-Mythos. So antizipiertB. Bauer 1840 seine Entlassung auch nicht als einseitig repressiven Akt, dessenOpfer er sein würde. Im Gegenteil:»Indem die Wissenschaft verstoßen wird, ist sie sich selbst überlassen. Man will sie nichtmehr, gut! so ist sie emanzipiert und ich bin auch frei, soweit ich der Verstoßenen diene. Ichhabe mich noch nie so glücklich, so frei gefühlt.«192

Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst ist ein mehrschichtigerVorgang: Die Karrieremuster, die sich auf die beamtete Intelligenz beziehen, wer-den brüchig. »Sich als Hegelianer bekennen, ist so gut, als sich für ewige Zeiten dasFortkommen versperren«, konstatiert ein Anonymus in den DJ.193 Aber auch diebeamtete Intelligenz hat ihr Intelligenzmonopol verloren, für Intellektuelle verliertdiese Figur an Anziehungskraft. Und mit ihr gerät die Selbstdefinition als eine phi-losophische Schule ins Wanken. Jetzt kann Rüge schreiben: »Diese eigentlich unge-schulte und andere schulende Schule kann nicht produktiv sein, das liegt in ihremBegriff.« Ihr »Vorteil, mit dem fertigen Reiche Gottes, zu dem die Staatsregierung,eben weil es fertig vorlag und sein Urheber (Hegel, d. V.) dafür Bürgschaft leistete,das beste Zutrauen hatte, sehr schnell zum Guten dieser Welt und in den Staats-dienst zu gelangen« - dieser Vorteil zählt nicht mehr.194

B. Bauers historisches Experiment bringt für die Junghegelianer an den Tag, daßdie Universitäten

»sich nicht mehr für die Herde der Wissenschaft hielten, auf welchen das reine Feuer derfreien Kritik brennen, auf denen jede Richtung ein Asyl finden könne; da konnte auch BrunoBauer gar nicht mehr daran denken, auf einer Universität lehren und seinen Platz ausfüllenzu wollen. Da war die freie weite Welt sein würdigster Platz, sein großartigster Katheder.«195

Der moderne Staat, der seine Intelligenz entlassen hat, regrediert E. Bauerzufolge zum »Polizeistaat«, und die »Wissenschaft, die er lehren läßt, wird keineechte sein, weil sie stets unter Aufsicht und gezwungen ist, eine offizielle zu sein«.196

Die »offizielle« Wissenschaft ist hier zum negativen Bezugspunkt geworden. Die

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Gruppe muß sich umorientieren. Die entlassenen Philosophen bewegen sichgleichsam in einem definitorischen Vakuum, und sie feiern dies als eine Befreiung.Feuerbach, der zu denen gehört, dessen Karriere früh scheiterte, schreibt:

»Es ist allerdings eine Tatsache, daß es bereits so weit gekommen ist bei uns, daß Philoso-phie und Professur der Philosophie absolute Widersprüche sind, daß es ein spezifischesKennzeichen eines Philosophen ist, kein Professor der Philosophie zu sein, umgekehrt einspezifisches Kennzeichen eines Professors der Philosophie, kein Philosoph zu sein. Aber derPhilosophie gereicht diese humoristische Tatsache nur zum Vorteil.«197

Der philosophische Schulzusammenhang setzt sich nicht in der Aufhebung derLehrer-Schüler-Hierarchie fort, vielmehr wird die Differenz bei Feuerbach amKonkurrenzraum philosophischer Schulbildung selbst festgemacht.

»Ein wesendicher Unterschied endlich zwischen Hegel und meiner Wenigkeit bestehtdarin, daß Hegel Professor der Philosophie war, ich aber kein Professor, kein Doktor bin,Hegel also in einer akademischen Schranke und Qualität, ich aber als Mensch, als purer blan-ker Mensch lebe, denke und schreibe.« Die Philosophie ist so »nicht mehr zu einer bloßenProfessoralangelegenheit, sondern zur Sache des Menschen, des ganzen, freien Menschengemacht. Mit dem Austritt der Philosophie aus der Fakultät beginnt daher eine neue Periodeder Philosophie.«198

Die Philosophie hat in den akademischen Schranken ihre Heimat verloren, unddie entlassenen Philosophen definieren sich als pur-blanke Menschen, die weiteWelt ist ihr Katheder. Die Rhetorik des Austritts und der Entlassung, sie beziehtsich nicht nur auf einen philosophiegeschichtlichen Sachverhalt, der auf das Pro-blem von akademischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis verweist, sie reflek-tiert zugleich eine der zentralen lebensgeschichtlichen Erfahrungen der Junghege-lianer. Es sind dies nicht nur Momente der je einzelnen Biographie, sondern diePhilosophen sehen in der Entlassung eine Emanzipation im wörtlichen Sinne, einGeschehen, das sie als Gruppe betrifft. Und sie bleiben eine Gruppe. Aber eineGruppe pur-blanker Menschen in der weiten Welt ist dem Soziologen nur schwervorstellbar. Die »neue Periode der Philosophie« bedarf neuer sozialer Definitionenfür die, die die Philosophie aus der »offiziellen« Wissenschaft ihrem Verständnisnach herausgerettet haben. Diese neuen Definitionen sind zu einem gewissen Teilnoch an die alte Sei Dstdefinition als philosophische Schule gebunden, und zwar inden Bereichen, die die erlernten Umgangsweisen mit Phänomenen der Fraktionie-rung und der Spaltung betreffen.

7. Positionenstreit und Schulspaltung

Das Hegelsche Paradigma eint die Schule. Aber wer in der Schule interpretiert dasParadigma angemessen? Wer macht philosophische Fortschritte, wer nicht? Wes-sen Gedanken offenbaren so große Abweichungen, daß sein Bezug zum Paradigmabezweifelt werden darf? Was kann als Lösung eines Streits angesehen werden, undwas ist ein Grund für die Aufkündigung des Konsenses, für die Spaltung?

Es gehört zu den Charakteristika der Hegelschule, daß sie für den innerschuli-schen Positionstreit und noch für ihre Zerfallsprozesse positive Interpretationen

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bereithält. So schreibt Michelet: Der »Kampf in der Schule selbst ist nichts Schlim-mes, sondern das Zeichen ihres vollendeten Sieges, indem nun alles Interesse inner-halb ihrer fällt.«199 Weit entfernt davon, ein Indiz der Schwäche zu sein, bedeutendie Schulkämpfe, daß sich auf der mit der Hegelschule erreichten höheren Stufeder Entwicklung ein Lebensprozeß auf erweiterter Stufenleiter entfaltet. DieHegelschule, als sich entwickelnde Totalität einer neuen Gestalt der Philosophievorgestellt, kennt auch wieder Trennungen und Auseinandersetzungen, aber eshandelt sich der Selbstdeutung zufolge nicht mehr um den alten Kampf der Philo-sophien untereinander, sondern um die >Eine Philosophie< die es auf der Höheihrer Zeit zwar immer gegeben hat, die aber nun - und das ist der qualitative Sprung- als >Eine Philosophie< erkannt, sich selbstbewußt entfalten, und d. h. eben auchin Momente auseinander treten kann.

Es ist eine zentrale Figur der Hegelschen Dialektik, daß jede Einheit sichdadurch entfaltet, daß sie das Anderswerden aus sich heraus bewirkt. In der Einheitliegt ein latenter Widerspruch, der mit der Entwicklung manifest wird. Auf diesenanti-identischen Zug der Hegelschen Dialektik hat besonders Adorno hingewie-sen: »Dialektik ist das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität«.200 Das Insi-stieren auf dem Widerspruch, auf der Negativität ist zugleich das Eingedenkeneiner stets drohenden und anfallenden Ohnmacht des Begriffs gegenüber demAnderswerden der Sachen. Der Dialektiker sucht nicht schlicht andere Begriffe,wenn Sachen sich ändern, er möchte den Widerspruch im Begriff selbst darstellen.

Im Rahmen philosophischer Reflexion, den ein einzelner Philosoph entwirft,mag diese Dialektik auszuhalten sein - aber die sich dem Paradigma Hegels ver-pflichtende Schule, wie kann sie als soziale Figuration mit dieser Dialektik leben?Es entsteht ein gravierendes Gruppenproblem, wenn sich Philosophen unter derVorstellung versammeln: »Die Dialektik, die sie am Begriffe aufweist, hat demnachdiese Philosophie an sich selbst zu vollziehen, und dieser Prozeß, diese Bewegungzur eigenen Gegenständlichkeit und Aktualität ist ihre Geschichte.«201 Das Schul-problem lautet: Wie kann Einheit der Schule als ein Streit von Positionen definiertwerden?

Das Problem wird deutlicher, wenn man sich einen der verschiedenen Versucheansieht, den Kampf der Positionen als dialektische Einheit geschichtlich zu konkre-tisieren. Für Bayrhoffer ist die Schule - für ihn das »Geisterreich der Idee« - imJahre 1838 »im allgemeinen schon zahlreich«, und er versucht, die wesentlichenSchulmitglieder in ihren Streitpunkten dialektisch zu plazieren.202 Die »Idee« stelltsich in der Schule für ihn in »weltgeschichtlichen Momenten« dar, die als »beson-dere Totalitäten« anzutreffen sind. Es gibt zusammen mit »der gediegenen Fortbil-dung« auch »extreme Richtungen«, und durch die Entfaltung der Extreme kommtes überhaupt erst zu vermittelnden Bewegungen. Ohne Zerfall in extreme Positio-nen ist die Arbeit der Vermittlung nicht möglich. »So zeigt sich das, was man aufden ersten Blick für eine Entartung und Entstellung halten möchte, doch in derVernunft und Notwendigkeit des Ganzen gegründet«.203 Es ist nur der >erste Blick<,der ein chaotisches Bild des Positionstreites entdeckt, der >zweite Blick< übersiehtdie Topographie der Positionen, für die das Ordnungsraster vorgegeben ist: dieVermittlung der Extreme der Negation und der Bewahrung.

Das eine Extrem, »die negative Freiheit der Idee«, eine Richtung, die sich »kri-

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tisch gegen alle Unmittelbarkeit« verhält, sieht Bayrhoffer repräsentiert in Richter,Strauß und Vatke.204 Gerechtfertigt wird dies für Strauß und Vatke wegen ihrerreligionskritischen Arbeit und für Richter wegen seiner positiven Religionsstif-tungsversuche (das ist konsequent dialektisch: auch auf der negativen Seite gibt eswieder ein Zerfallen in kritisch und positiv). Der negativen Seite wird auch dasjunge Deutschland locker assoziiert, »welches Saft, Fleisch und Leben in die Ideebringen will«.205

Das andere Extrem ist die »Bewahrung der positiven konkreten Wirklichkeit«,die in »das Befangensein in der positiven Unmittelbarkeit« umgeschlagen ist.206

Zwar sei hier der »denkende Geist« in der »Tiefe des Gemüts offenbart«, aber erist »gefesselt«, weil diese Richtung die positive Wirklichkeit ebenso wie die Formder Idee nur bewahren will und sich gegen das negative Moment der Freiheit stellt.In dieser Reihe finden sich Göschel, B. Bauer, Erdmann, Leo, Billroth und anderezusammen. B. Bauer wird dem positiven Extrem offensichtlich aufgrund seinerPolemik gegen Strauß zugeschlagen und gerät in eine Reihe mit Leo, der im glei-chen Jahr seinen Angriff auf die »Hegelingen« startet. Gleichsam kontrapunktischzum >jungen Deutschland< auf der negativen Seite erscheinen am Rande des positi-ven Extrems die Pseudohegelianer Fichte und Weiße.207

Schließlich definiert Bayrhoffer die Reihe derer, »welche die Idee wahrhaft, inder spekulativen Vermittlung von Form und Inhalt, denkender und seiender Ver-nunft fortzubilden strebten und streben, und so das wahre freie Reich der Idee bil-den.«208 Die Liste der auf Vermittlung Zielenden, zu der sich auch Bayrhoffer selbstrechnen möchte, umfaßt 20 Personen. Neben den Herausgebern der WerkeHegels sind unter anderen Gabler, Hinrichs, Rosenkranz ebenso genannt wie Rugeund Feuerbach. Bayrhoffer konzediert, daß unter den Genannten »manche speziel-lere Gegensätze« herrschen, aber entscheidend sei, »daß die in die besonderenGebiete eindringende Idee wie eine in denselben aufgehende Sonne die einseitigenGegensätze, Extreme und Voraussetzungen in diesen Sphären auflöst, sie in denBegriff erhebt und in seinem konkreten Elemente entfaltet«.209

Die Bayrhoffersche Topographie der Positionen versucht zu balancieren. Nega-tion und Bewahrung sind die Flügelmächte, die sich wieder in sich in Gegensätzeaufspalten, um sich durch ihre Bewegung mit der vermittelnden Arbeit der drittenReihe auszutauschen. Es handelt sich um ein dialogisches Modell, in dem die kon-troversen Positionen im Hinblick auf ihren möglichen Dialog geordnet werden.Der >erste Blick< sieht das Trennende des Streits, der >zweite Blick< sieht eine Ord-nung möglichen Fortschreitens, eine Ordnung, die dialogischen Austausch antizi-piert. Negation ist eine Frage an die Bewahrung und umgekehrt.

Die dritte vermittelnde Reihe ist die umfangreichste. Es ist heikel, diesen Ort per-sonell allzu sehr auszudünnen. Zunächst ist es vom Modell her heikel, denn zwarließe sich gedanklich auch diese Reihe noch positionalistisch in Dialoge aufspalten,in die unendlichen Verfeinerungen des Positiv/Kritisch zerteilen, aber da auf derEbene geschichtlicher Konkretion Namen genannt werden müssen, wer bliebedann in dieser Reihe übrig? Zum zweiten ist es heikel, hier nur wenige zu nennen,weil die Gefahr bestünde, daß die ganze Positionstopographie für die Genanntennicht akzeptabel wird.

»Ob wohl alle hier von Herrn Dr. Bayrhoffer aufgezählten sich die Rubrizierung

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gefallen lassen werden, oder doch ihrer geistigen Stellung nach gefallen zu lassenbrauchen?« fragt Leo und hält Bayrhoffer jene Reihungen vor, die Michelet im sel-ben Jahr den Zeitgenossen darbietet.210 Und in der Tat besteht soziologisch dasProblem darin, daß es zur personalen Bestimmung der Momente der sich entfalten-den Totalität Hegelschule einer innerschulischen Autorität bedürfte, die in derLage wäre, die Definitionen durchzusetzen. Da eine solche Definitionsmacht in derSelbstdefinition der Schule nicht vorhanden ist, kommt es zu den differentestenspekulativen Deutungen der Spaltungssystematik, nicht nur in der Weise, daß zueinem gegebenen Zeitpunkt Uneinigkeit herrscht, wer wo anzusiedeln wäre, son-dern auch dergestalt, daß die neuen hegelianischen Publikationen, die Fortschrittein der »Durchführung der absoluten Idee«, die personale Bestimmung derMomente der sich entfaltenden Totalität Hegelschule durcheinander bringen.

So vorsichtig auch die Topographie der Positionen angelegt wird, auf derschwankenden Basis der Hegeischen Dialektik gerät die Topographie selbst zurPosition. Wer der wahren vermittelnd aufhebenden Spur folgt, die dem Denkendes Schulgründers gerecht wird, und wer im >abstrakt Negativem oder im >abstraktPositivem sich verfängt - die Geschichte der Hegelschule und die Geschichte derHegelinterpretation bis heute zeigt, daß diese Frage nicht einigungsfähig ist.Könnte diese Frage deshalb nicht einigungsfähig sein, weil die Topographie derPositionen immer nur auf den zweiten Blick erfolgt, weil sie Vermittlungen antizi-pieren muß, die die Unversöhnlichkeiten des ersten Blicks auf den Streit transzen-dieren? Wird die Topographie der Positionen selbst positionell, weil kein Intellek-tueller sich gern das Ereignis des Denkens vorsehen lassen will? Gadamer bemerkt:»Hegels Dialektik ist ein Monolog des Denkens, der vorgängig leisten möchte, wasin jedem echten Gespräch nach und nach reift.«211 Für die Positionstafeln derHegelschüler trifft dies zu, sie sind Vorgriff, auch wenn sie sich auf Positionenbeziehen, die vorliegen.

Am konsequentesten hat vielleicht Rosenkranz das Problem begriffen, indem erdem biederen Ernst, mit dem etwa Michelet eine komplizierte dialektische Schulsy-stematik entfaltet, den Charakter der Spiels entgegen hält. Rosenkranz publiziert1840 die Komödie »Das Centrum der Speculation.«21"1

In der ersten Szene trauert der Chor der Eulen auf dem Berliner Kirchhof vor dem Oranien-burger Tor an den Gräbern Fichtes, Solgers und Hegels: »Ringsum schauen wir aus, dochnirgends sehen wir Hilfe, / In das Zentrum (der Spekulation, d. V.) trifft keiner der Leben-den mehr.«21' Ein Herold überbringt den Hegelianern einen Vorschlag der um das Schick-sal der Philosophie ebenso besorgten Göttin Athene, auf der Berliner Hasenheide ein Wett-schießen zu veranstalten, um zu ermitteln, wer in der Lage sei, »den Punkt, / Zu treffen inder Scheibe, welchen Hegel traf, / Das Punctum saliens. Drauf kommt es jetzo an. / Es tret'ein jeder kampfgerüstet vor, /Je nach der Reihe schieße jeder los, / Denn also hat Minervaes befohlen mir«.214 Auf dem Schießplatz kommt es zum lärmenden Streit der Schüler, beidem Rosenkranz die einzelnen Positionsbestimmungen des Zentrums in Szene setzt.Schließlich treten, durch den Streit aufmerksam geworden, zwei Polizisten auf, denen esgelingt, die Philosophenversammlung ohne Schwierigkeiten aufzulösen. Die anwesendeGeorge Sand, die beim Erscheinen der Polizei gleich an Aufstand und Barrikadenbau denkt,wird von Franz von Baader beruhigt: »Madame, restez transquille. Nous sommes en Prusse.Le gouvernement y est trop eclaire et se rejouit d'une trop grande Sympathie avec toutes lesclasses de la societe, pour craindre une revolte. (. . .) Vous verrez bientot, que ce n'est,

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qu'une comedie.«215 Sie reist nach Paris ab, »où l'on possède l'art, de composer des erneuteset des barricades, d'une manière si admirable.«216

Für den Soziologen ist Rosenkranz' Komödie sehr hilfreich, weil er den kontin-genten Charakter des Positionenstreits deutlich macht. Seine Pointe - die Philoso-phen streiten sich, bis die Polizei kommt, und keiner ist zu einem Schuß gekommen- verweist darauf, daß im Zentrum des Paradigmas, das zur Debatte steht, sich eineLeerstelle befindet. Daher ist der Positionenstreit kaum zu beruhigen, im Gegen-teil, er wird durch diese Leerstelle immer wieder genährt. Will die soziologischeAnalyse von Intellektuellengruppen nicht bei der Betrachtung >äußerer< Bedingt-heiten geistiger Tätigkeiten stehenbleiben, sondern einen Schritt in Richtung aufein soziologisches Verständnis des Phänomens >Positionenstreit< tun, so darf sienicht das >Warum< des Streits als ein schon Gegebenes voraussetzen. Sie muß aufder Offenheit des Positionenstreites, die sich in einer philosophischen Schule alsLeerstelle des Paradigmas zu erkennen gibt, insistieren.

Wenn die Hegelschüler versuchen, ihren Streit als dialektische Einheit zu defi-nieren und ihre Position in einer dialogischen Struktur vorgreifend zu plazieren, sodient dieses Verfahren einmal dazu, die Bedrohlichkeit des Streits zu bannen, denneinige werden sich vielleicht ihre Einordnung und die anderer gefallen lassen,zugleich aber entfesselt dieses Verfahren den Streit erneut, wenn die Positionalitätdes Verfahrens thematisch wird.

Das Moment einer dialektischen Einheit der streitenden Positionen birgt aberüber das Gesagte hinaus noch weitere Probleme. Auf der Ebene des Modells lassensich bei jeder gegebenen Anzahl von Schulmitgliedern dialogische Ordnungen desPositiv/Kritisch antizipieren - zu fragen ist jedoch, wie gesichert werden kann, daßauch alle wesentlichen Positionen berücksichtigt werden. Für Bayrhoffer gibt eszwar in der Schule so etwas wie »Abfälle von der Idee«, aber diese Erscheinungenbeträfen immer nur eine »Beschränktheit im Individium«. Dies seien »daher abernicht eigentlich Abfälle von der Idee, sondern von ihrem Formalismus in einemIndividuum«. Das bedeutet: »von der Idee selbst ist Abfall ohnmöglich«, weil sie»die Auflösung aller Standpunkte und aller Widersprüche ist«.217

Ins Soziologische übersetzt lautet Bayrhoffers Schulregel: wenn eine Position alsein Abfall vom Paradigma verdächtigt wird, so ist davon auszugehen, daß es sichnur um Störungen handelt, deren Grund in äußerlich-schematischen Dimensionenliegt, z. B. in einer ungewohnten Art zu formulieren, einer irritierenden Art derSystematik u.a.m. Von diesen Eindrücken her darf nicht darauf geschlossen wer-den, daß ein Abfall stattgefunden habe, sondern es ist ein Gebot der Gruppe, dieseverdächtige Position als ein Moment der Entwicklung der Idee anzuerkennen.Überspitzt formuliert: der Schulregel zufolge kann kein Hegelianer der Schule ver-lorengehen.

Natürlich ist dies eine prekäre Regel, denn sie ist kaum durchzuhalten. Dies zei-gen besonders deutlich die Konstellationen, die zur Gründung der HJ geführthaben. Der Idee der Schule nach wäre diese Zeitschrift nicht nötig gewesen, denndie Schule besaß in den von Hegel begründeten Jahrbüchern JWK) ein Organ, dasdie Momente der Totalität Schule zur Darstellung bringen sollte. Aber in demAugenblick, wo die Berliner Redaktion nicht mehr alle Positionen in die Zeitschriftaufnimmt, entsteht für die Abgewiesenen ein gravierendes Problem. Anlaß für

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Ruge, an die Gründung einer eigenen Zeitschrift zu denken, ist konkret gewesen,daß seine kritische Rezension von Erdmanns »Leib und Seele« (Halle 1837) von derBerliner Redaktion der JWK abgelehnt wird.218 Der Positionenstreit zwischen demhegelianischen Ordinarius Erdmann und dem hegelianischen PrivatdozentenRuge, beide in Halle, drohte innerschulisch unentfaltet zu bleiben.

Wichtig an diesem Vorgang ist in unserem Zusammenhang, daß das dialogischePositionenmodell durchkreuzt wird von einer anders gelagerten Ordnung, die die-jenigen, die ganz dazugehören, von denen trennt, die noch nicht ganz dazu gehö-ren. Das heißt, das dialogische Positionenmodell bedarf gleichsam adialogischerBegrenzungen, die hier nach Maßgabe des Universitätsranges erfolgen. F. W. Grafhat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Spaltung der Hegelschule über-wiegend zwischen denen verläuft, die keine akademische Laufbahn einschlagenkönnen, und denen, die sich an der Universität durchsetzen.219 Die Entlassung derPhilosophie aus dem Staatsdienst und die Spaltung der Schule greifen ineinander.

Für die Selbstdefinition der Junghegelianer entscheidend ist, daß sie ihre Zei-tung, die HJ, nicht positioneil bestimmen, sondern gleichsam das Modell der JWKwiederholen wollen. Ruge anerkennt, daß ohne die JWK und ohne den durch sie»gelegten Grund wir selbst nach keiner Seite hin mit diesen Jahrbüchern (den HJ, d. V.) denErfolg und die Wirksamkeit gewonnen hätten«, deren sie sich rühmen könnten.220 Aller-dings hätten die JWK »in der letzten Zeit nicht völlig dem Geiste entsprochen, aus dem siehervorgegangen,« sie seien zu ängstlich bestrebt gewesen, »die Philosophie in dem vonHegel gegebenen Bestand zu erhalten und in verknöcherten Phrasen fortzupflanzen, anstattdas unsterbliche Prinzip, das er der Zeit zum Bewußtsein gebracht, sich frei entwickeln undzu neuen Konsequenzen und zu immer reineren Formen sich fortbilden zu lassen.«221

Mit der Wiederholung des dialogischen Positionsmodells wiederholen sich inder junghegelianischen Schule die Probleme, ihren Streit in einer binären Strukturvon positiv/kritisch zu ordnen. Wenn der Althegelianer Hinrichs auf die Zerstrit-tenheit der Junghegelianer verweist, so wird ihm der Junghegelianer G. Julius das-selbe hegelianische Argument vorhalten, das Michelet zur Interpretation der Schul-kämpfe gebrauchte:der junghegelianische »Streit der Stimmführer« könne nicht als ein »Zeichen der Zerrüttungund des Untergangs« angesehen wreden. »Als ob es nicht gerade ein Zeichen des regstenLebens wäre! Im Denken stehen bleiben wäre ja Tod! Denken, Prüfen ist eine Parteisache,keine Sache, die sich durch die kompakte Masse ihrer Anhänger anempfehlen und durchset-zen müßte. Der Gedanke des einen setzt sich durch, indem er vom anderen erwogen, aufge-nommen, weiter verarbeitet, umgebildet wird; nichts natürlicher, als daß unter strebenden,denkenden Menschen der eine immer wieder über den anderen hinausgeht oder hinauszu-gehen glaubt: es ist ein Wettlauf, der nie endet, und dessen Ende Tod und Fäulnis wäre.«222

Der Dialog der Positionen ist unendlich. Dies macht das Ungeheure intellektuel-ler Tätigkeit aus, vor dem man wie Paul Valery erschrecken kann: »Intellektuell. . .Jedermann an meiner Stelle hätte begriffen. Aber ich! . . .Ä223 Für den Junghegelia-ner G. Julius wird die unendliche dialogische Binarität von positiv/kritisch »zueinem Spiele des Verstandes mit sich selbst«.224 Es ist dies ein Spiel, an dem teilzu-nehmen die kulturelle Gruppe sich zur Pflicht machen muß, wenn sie Kulturbegründen will. Gegen den Vorwurf von Zeitgenossen: »Vielrednerei istGeschwätz!« setzt Rüge:

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»Die Rede ist die Tat des Menschen, nur die Rede ist rein menschliche Tat, die Tat eines gei-stigen Wesens. Nicht reden dürfen heißt, nicht Mensch sein dürfen, nicht reden wollen,heißt, das Bedürfnis, Mensch zu sein, noch nicht empfinden.«225

Der Wissenssoziologe kann sich zwar angesichts dieses Phänomens auf den Wegmachen und hinter den Gründen, die in der Rede vorgebracht werden, andereGründe ausmachen, Gründe, die nicht gesagt worden sind, weil sie einer >stum-men< Basis entstammen, Gründe, die er nun sagt. Aber woher nimmt er sein Recht,dies zu tun? Nimmt er so nicht auch teil am »Spiele des Verstandes mit sich selbst«?Der Begriff der Ideologie führt hier nicht weiter, weil er das Ungeheure intellektu-eller Tätigkeit nur zu beruhigen, aber den leeren Grund der Beunruhigung nichtauszuhalten vermag.

Wo der Positionenstreit entbrennt, passiert allerorts ähnliches. Nicht nur denpreußischen Junghegelianern geht es so, sondern auch der Moskauer Intellektuel-lengruppe, an die sich Alexander Herzen erinnert:»Man sprach fortwährend über die Hegelsche Philosophie. Die drei Teile der Logik und diezwei der Ästhetik und Enzyklopädie enthalten keinen einzigen Paragraphen, der von unsnicht im Sturme und im verzweifelten Kampfe schwerer Nächte genommen wurde. Men-schen, die sich schätzten und lieb hatten, sahen sich wochenlang nicht an, weil sie sich überdie Definition des übergreifenden Bewußtseins< nicht einigen konnten, und faßten eine ent-gegengesetzte Ansicht über die >absolute Person und ihr An-sich-Sein< als persönliche Belei-digung auf.«226

Anerkennt man die Existenz eines leeren Grundes, der im Dialog der Positionen,wo er dem Strickmuster des Positiv/Kritisch bis zur Erschöpfung folgt, sich auftut,so kann das dringliche Bestreben der Individuen verständlich werden, nach Defini-tionsmerkmalen für den Positionenstreit zu greifen, mit denen der leere Grundgefüllt werden kann. Das »Spiel des Verstandes mit sich selbst« ist sozial nichtakzeptabel. Die sophistische Gefahr des Selbstzweckhaften der Rede, von der ichin der Einleitung gesprochen habe, fordert soziale Vorkehrungen heraus.227

Der dialektischen Selbstdefinition der Schule als einer produktiv in bewahrendePositivität, kritische Negation und Vermittlungsarbeit zerfallenden Totalität kamein beiläufiger Einfall von D. F. Strauß zu Hilfe: die Definition der HegeischenRechten, Linken und des Zentrums. Man kann den Einfall getrost das Ei des Kolum-bus für die Definition des Positionenstreites nennen. Der Einfall konnotierte diespekulative Ebene mit einer Ebene, die auf anderes verwies, auf ein weites Terrainunerschöpflicher Gründe, die bereit standen, dem autophagischen Dialog in denRachen geworfen zu werden. Zugleich war es eine Ebene, die als >Notbremse< inBetracht kommen konnte, wenn das verräterische Überlaufen der Gedanken vonder einen Seite zur anderen allzu große Turbulenzen zu erzeugen drohte. Mit derRechten, Mitte oder Linken waren Orte bezeichnet, in denen für kürzere oder län-gere Momente Ruhe gefunden werden konnte.

In dieser Arbeit wird nicht von Rechts- oder Linkshegelianern gesprochen. Daspolitische Richtungsschema war und ist dort, wo versucht wurde, es für die Defini-tion der Schulspaltungen durchzuführen, auf der Ebene philosophischer Diskus-sion nicht einigungsfähig.228 Die Beschränkung auf die von W. R. Beyer vorge-

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schlagenen alten Oberbegriffe »Alt-« und »Junghegelianismus«229 bringt nicht nurpragmatisch gesehen erheblich weniger Einordnungsprobleme, sie reflektierendarüber hinaus als zunächst denunziatorisch von außen an die Schule herangetra-gene Begriffe, die dann z. T. als Selbstdefinition übernommen wurden,230 die Tat-sache, daß das, was diese »Junghegelianer« sind, in ihren Diskussionen gerade zurKlärung ansteht.

Der Straußsche Einfall bezieht sich zunächst nur auf ein spezielles Problem derspekulativen Deutung der Evangelien. Ob nun die Evangelien mit dem philosophi-schen Begriff des Gottmenschentums entweder ganz oder nur teilweise, schließlichweder ganz noch teilweise als historisch wahre Berichte zu erhärten seien, diese dreiAntworten könne man »nach der herkömmlichen Vergleichung« als rechte Seite,Zentrum oder linke Seite bezeichnen.231 Zur Rechten zählt Strauß die überwie-gende Zahl der Mitglieder der Hegelschule, für das Zentrum weiß Strauß eigentlichnur einen (Rosenkranz) zu nennen. Während er die Rechte ausgiebig über 24 Seitencharakterisiert, dem Zentrum 6 Seiten widmet, so ist die Linke mit einem vierzeili-gen Halbsatz repräsentiert:Strauß würde »auf die linke Seite der Hegelschen Schule treten, wenn es diese Schule nichtvorzöge, mich aus ihrem Bereiche ganz auszuschließen, und anderen Geistesrichtungenzuzuwerfen; - freilich nur, um mich von diesen, wie einen Ball, wieder zurück geworfen zubekommen«.232

Strauß steht vor demselben Problem wie Ruge, auch seine Positionen der Evan-gelienkritik werden in den JWK nicht publiziert.

Für die Hegelschule ergeben sich zwei Probleme: 1. Ist die »herkömmliche Ver-gleichung«, die Strauß einbringt, d. h. die politische Richtungsebene, philoso-phisch überhaupt akzeptabel? 2. Wie soll sie sich auswirken? Michelet, der daspolitische Richtungsschema rasch aufgreift, muß sich von einem Rezensenten sagenlassen, die Analogie zur »französischen Kammer« sei kaum akzeptabel, denn in denpolitischen Begebenheiten träten die »Individuen mit ihren aufs Endliche gerich-teten Leidenschaften auf den Schauplatz«. Philosophisch korrekt müsse man sichauf die »Weltgeschichte im Ganzen« und die »Philosophie der Geschichte« bezie-hen, es dürfe »nicht einem einseitigen politischen Treiben dieser hohe Wert beige-legt werden (. ..). Was sollen auch Kategorien, wie Rechts, Links und Zentrum,einer Schule dienen, die sich im Besitze der absoluten Wahrheit weiß?«233

Auch Michelet müßte sich eingestehen, wie ungenügend die politischen Katego-rien seien, »da immer nur in Rücksicht auf einige Sätze des einen oder anderen dieKlassifikation vorgenommen werden kann, die durch andere Behauptungen wie-derum umgestoßen wird.«234 Der Einwand trifft ein Kernproblem der Versuche,eine politische Bezeichnungsebene für philosophische Positionen einzuführen.Denn die Attribute >rechts< und >links< können auf der spekulativen Ebene sichjeweils nur in einer Sache auf verschiedene Momente der Sache selbst beziehen,d. h. es geht hier allenfalls um eine dialektische Systematik von >rechten< bzw. >lin-ken< Argumenten. Auf der politischen Ebene jedoch bezeichnen die Attributejeweils die letztlich auf die ganze Person zielende Kohärenz eines in sich stimmigenEnsembles von Argumenten.

Die möglichen Auswirkungen des politischen Richtungsschemas werden raschdeutlich, wenn Michelet 1838 schreibt:

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»So schlage ich die Koalition des Zentrums mit der linken Seite vor: was eine kompakteMajorität bilden würde, deren Leiter der Abgeschiedene (d. i. Hegel, d. V.) selber bleibenwürde. Wenn dann Strauß in Berlin sich zu meinen Vorträgen hielt, so will auch ich michjetzt meinerseits unter obiger Klausel zu ihm halten. Als diejenigen, die unbedenklich mitauf diese Seite treten, nenne ich, ihrer Zustimmung gewiß, Gans, Vatke, Benary: und drängeeine Menge sich mir darbietender Namen nur darum zurück, weil ich ihrer Erklärung nichtvorgreifen will.«235

Da Michelet den Tod des Lehrers nicht rückgängig machen kann, bedeutet seinVorschlag nichts weniger, als eine Art demokratisches Abstimmungsverfahren inFragen der Christologie. Entscheidend für die Zuordnung einzelner Hegelschülerbzw. einzelner Argumentationen im Rahmen einer spekulativen Totalität ist hiernicht mehr die systematische Interpretationsleistung eines Philosophen - so nochbei Strauß und Bayrhoffer -, sondern vielmehr das vereinsmäßige Abstimmungs-verhalten selbst. Michelet will den Selbsterklärungen durch Interpretation nicht»vorgreifen«. Daß dieser Vorschlag jedoch dem Hegelschen Begriff der »EinenPhilosophie«, die produktiv in ihre Momente zerfällt, zutiefst entgegenläuft, machtHinrichs in den HJ deutlich.236 Ihm ist schon die Definition der Hegelschule beiMichelet nichts als eine »lächerliche Cliquenmacherei«.»Die Philosophie kann aber von niemand einer so komischen Frage bloßgestellt werden, alsvon einem Philosophen, der die Schule über sie zur Abstimmung aufruft.« Für Hinrichs sindgegen dies Verfahren selbst alle unphilosophischen Äußerungen, in denen sich die »Besorg-nis um den Glauben, mit seiner Frage nach der Unsterblichkeit, der Persönlichkeit Gottes«ausspricht, vorzuziehen, weil sie »doch immer ein Anstoß zum Philosophieren, während dieParteimacherei irgend einer Koalition mit dem Philosophieren ein für allemal fertig ist.«

Michelets Vorschlag ist aus Not geboren. Wenn die Positionstafeln, die einSchulmitglied aufstellt, aus den oben genannten Gründen nicht einigungsfähigsind, wenn Gefahr besteht, daß der stille Ausschluß von Positionen nicht mehrfunktioniert, weil sie wie ein »Ball wieder zurück geworfen« werden, was bleibt daübrig, als abzustimmen? >Schluß der Debatte - Abstimmung<: für eine philosophi-sche Schule ist dies Verfahren inakzeptabel, sofern es um den positiv-kritischenDialog geht. Aber die »Parteimacherei«, dieser Zwischenraum, in dem die dialogi-schen Überraschungen der Dialektik ein bißchen »nach herkömmlicher Verglei-chung« kontrolliert werden können, ohne daß sie ganz getilgt werden - er eignetsich hervorragend für die Selbstdefinition des Positionenstreits. Hinrichs' grund-sätzlicher Widerstand gegen die politische Bezeichnungsebene in philosophischenFragen hat nicht lange gehalten. 1842, in seiner Rezension von B. Bauers >Posaune<,unternimmt er selbst den Versuch, sich im politischen Richtungsschema zu veror-ten.237

Die Rechte - die Mitte - die Linke: es handelt sich um ein großartiges sozialesSortierschema. Welche Klarheit der Beschränkung und welche Unendlichkeit derMöglichkeiten! Keine Stillegung des Dialogs, vielmehr eine permanente Anreizungdes Dialogs, aber auch keine Überreizung des Dialogs, sondern seine fortwährendeZähmung. Der wilde Tausch der Argumente kann zum geordneten Spiel werden,und das ängstliche Schweigen, das die Situation der Abstimmung mit sich bringt,ist aus dem Positionenstreit vertrieben. Die Rechte - die Mitte - die Linke: sie ist

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geschichtlich konkret und das »Spiel des Verstandes mit sich selbst«, in ihr hat dieSchule »die Dialektik, die sie am Begriffe aufweist«, »an sich selbst« vollzogen.238

Den Siegeszug dieses Sortierschemas, das die Hegelforschung bis heute nicht inRuhe läßt, kann eine Soziologie der Intelligenz aufhellen helfen, wenn sie auf diesozial wohltätigen Folgen verweist, die eine Selbstdefinitionsformel bietet, die soklug der Not des Denkens gehorcht und zugleich der Gefahr begegnet, im Dialogsein Gesicht zu verlieren.

Anmerkungen

1 Soziologische Überlegungen, die für eine Erörterung des Phänomens >Schule< relevantgemacht werden können, finden sich oft verstreut in wissenschaftssoziologischen Arbei-ten. Hervorgehoben seien: H. P. Bahrdt (1971); P. Weingart (1973/74). BeiTh. S. Kuhn (1967) finden sich nur wenige Hinweise auf >Schulen<. Erst im >Postskrzpt—1969< (in: P. Weingart (1973) Bd. 1, S. 287-319) geht Kuhn auf Gemeinschaftsstruktu-ren und Gruppenbildungen von Wissenschaftlern ein und versucht, sie mit seinen The-sen zum Paradigmenwechsel in Verbindung zu bringen. Verstreute Hinweise zum Schul-problem finden sich in den Beiträgen des Bandes v. N. Stehr, R. König (1975). - Anre-gend ist immer noch das Kapitel über Schulen in: F. Znaniecki (1940) S. 91—163. Wichti-ges Material bietet S. R. Mikulinsky (1977). Gegenüber dem oftmals anzutreffendenabwertenden Unterton, mit dem über >Schulen< gesprochen wird, heben sich die Bei-träge in: W. Lepenies (1981) Bd. 2, Teil 3, Theoriegruppen, Schulen und Institutionali-sierungsprozesse, deutlich ab. Überlegungen zur Definition von >Schule< finden sichinbesondere in den Beiträgen: J. Szacki und E. A. Tiryakian.

2 E. A. Tiryakian, in: W. Lepenies (1981) S. 43-45, Zitat 43.3 Ebd. S. 40-42.4 M. Weber (1964) S. 350 f. Zitat 351.5 Siehe hierzu meine Ausführungen im Kapitel IV dieser Arbeit.6 Vgl. W. Krohn (1976) S. 28.7 Vgl. Ebd. S. 19.8 Ebd. S. 20.9 Ebd. S. 21. Weitergehende Folgerungen in Richtung auf eine »Finalisierung« der Wis-

senschaften sind jedoch m. E. hieraus nicht abzuleiten.10 Zum Problem der Trennung des >Wissenschaftlers< vom >Philosophen< im Hinblick auf

die neutrale Sphäre Wissenschaft vgl. W. van den Daele (1977) S. 129-182, hier S. 164 ff.11 M. Weber (1964) S. 350.12 Ebd. S. 837.13 Vgl. A. Schindler (1978) S. 70 ff.14 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Arbeiten von J. Lacan, der die Position des

Vaters in seiner psychoanalytischen Kulturtheorie besonders prägnant akzentuiert hat.Eine auf gesellschaftstheoretische Probleme bezogene Interpretation Lacans hat A. Lipo-watz (1982) vorgelegt. Vgl. auch J. Storck (1974).

15 Wie dies geschehen soll, macht die >Ratschlagliteratur< für Studenten in der ersten Hälftedes 19. Jahrhunderts so deutlich: Über den »Umgang mit Professoren und öffentlichenLehrern« heißt es: »Sie stehen hoch, er ist nur Anfänger; jene sind fortgeschritten inWeisheit und Lehre; und sind, auch wenn z.T. noch jung an Jahren, doch alt in gesam-melter Erfahrung. Von selbst also tritt eine Art Scheidewand zwischen den Studierendenund den Lehrer, welche durch die Achtung noch höher gezogen wird, und welche nur die

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Liebe durchschauen und gleichsam durchbrechen läßt.« (anonym, Brief über das ökono-mische und wissenschaftliche Leben eines Studierenden, 1828, S. 98 f.)

16 L. Schlickert (1978) S. 126.17 Siehe Anm. 2.18 M. Weber (1964) S. 458.19 Zur>Empfindsamkeit< vgl. insbesondereG. Sauder (1974); W. Doktor (1975); R. Meyer-

Kalkus (1977).20 Diese These ist subtil entwickelt von M. Schneider (1980) S. 11 ff., u. a.21 Vgl. H. Gerth (1935) S. 62 ff.; C. Brinkmann (1932).22 Der spätere Turnvater Jahn kritisiert die alten Verbindungen: »Da die Kränzchen bloß

aus Leuten einer Gegend sich rekrutieren, so kann ein Hauptzweck des akademischenLebens, die Abschleifung durch den Umgang mit Fremden, nicht erreicht werden. DerKränzchen-Geist macht ungesellig gegen jeden, der nicht aus einer Gegend ist: weil ihrenGese tzen zufo lge e in Kränzianer mit ke inem f remden Landsmann a ls Stubenburschzusammen wohnen, viel weniger vertraute Freundschaft mit ihm schließen darf . KeinFreundschafts-Band knüpft die Mitglieder aneinander, sondern das Schwert. Wer dasKränzchen verlassen will , muß mit dem Senior und den Vier Conseniores sich duellie-ren.« (Zit. nach C. Brinkmann (1932) S. 10)Zur soz ia l en Be deu tun g von F reu nds cha f t sbez ie hun gen vg l . A . Sa lomo n (1 921 ) ;W. Rasch (1936); F. H. Tenbruck (1964). Hilfreich ist auch K. Lankheit (1952). Anre-gungen sind zu finden bei H. Kern (1932); S. Kracauer (1972).

23 H. Gerth (1935) S. 63.24 Vieles an den neuen Verbrüderungen der Amicisten, Konstantis ten und Unitis ten ver-

weist auf einen Zusammenhang mit den geheimen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts,den norddeutschen Freimaurer logen und den süddeutschen I l luminaten. Die egal i tärdemokratische Tendenz und das humanist ische Menschheitsideal s ind hier zu nennen.Auf den kompliz ier ten Verselbs tändigungsprozeß der s tudentischen Verbrüderungensoll hier nicht ausführlich eingegangen werden. Wichtig ist, daß im Zuge der Revolutions-zeit die Hochschulregierungen gegenüber der neuen Bewegung »in eine eigentümlichdoppelseitige Stellung« gerieten: »Als aufklärerische Gegner der althergebrachten Uni-versitäts-Sonderrechte mußten sie dem aufgeklärten Absolutismus willkommen, als Trä-ger liberal-demokratischer und (was im damaligen zerrissenen Deutschland den Regie-rungen gleich gefährlich war) je nach dem nationalen oder internationalen Ideale abermußten sie diesem Absolutismus wieder ebenso bedenklich sein.« (C. Brinkmann (1932)S. 12).

25 J. W. v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 51964, S. 558.26 Zit. nach M. Lenz (1910-1918) Bd. 4 S. 357 f.27 W. v. Humboldt, Der königsberger und der litauische Schulplan, 1920, Bd. 13, S. 278.

Vgl. H. Schelsky (1963) S. 91 ff.Humboldts Begründung des sozialen Aspekts wissenschaftlicher Arbeit lautet: »Da aberauch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, und zwarnicht bloß, damit einer ersetze, was dem anderen mangelt, sondern damit die gelingendeTätigkeit des einen den anderen begeistere und allen die allgemeine, ursprüngliche, inden einzelnen nur einzeln oder abgeleitet hervorstrahlende Kraft sichtbar werde, so mußdie innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer selbst wiederbelebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringenund unterhalten.« (W. v. Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höhe-ren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin (1810), zit. nach H. Schelsky (1963) S. 93).

28 (B. Bauer?), Die Mythe von Hegel, RhZ 167 16. 6. 1842.29 Ebd.30 K. Mannheim (1952) S. 136 f.; vgl. auch H. Weil (1967) S. 9.

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das Prinzip der Revolution nach Preußen übertragen, ihre Resultate zum Segen des Staa-tes dorthin verpflanzt.« (S. 322) Stein habe sich hier eben im »Widerspruch mit sichselbst« befunden. Ebenso wird mit Steins nicht in die junghegelianische Argumentationpassender liberalistisch gefärbter Kritik an der Bürokratie umgegangen. Gerade dieSteinschen Passagen, in denen auf den parasitären Charakter der Bürokratie und ihre inder Eigentumslosigkeit begründete Verantwortungslosigkeit verwiesen wird, - Passagenalso, die am ehesten geeignet wären, ein bürgerlich revolutionäres Bewußtsein zu signali-sieren, werden von Meyen als »abstrakte Vorstellung« abgetan. Für ihn gehört die Büro-kratie zum unverzichtbaren Inventar des fortschrittlichen preußischen Staates. Der»Übelstand der Bürokratie«, den Meyen sieht, »beruht in der Abgeschlossenheit von derNation, in dem Mangel an korrespondierender Öffentlichkeit, welche die Beamten instets lebendigem Verkehr mit dem Publikum erhält, und ein freieres, humaneres Verhält-nis beider zueinander begründet. Das Verdienst der ausgezeichneten Männer würdedadurch bei weitem mehr hervorgehoben, ihr Einfluß erhöht, und die Rohheit der übri-gen paralysiert werden.« (S. 338) Daß Steins Parteinahme für die Pietisten Meyen nichtins Konzept paßt, sei nur am Rande erwähnt.E. Bauer verteidigt 1842 den Patriotismus der Jungehegelianer: »Wir wissen aus derGeschichte, daß der preußische Staat eine Idee vertritt - die des Fortschritts. ( . . . ) Sindwir keine Patrioten, wenn wir die Interessen der Idee verfechten, da wir wissen, daß sieallein es sind, welche einem Staate seine Macht, sein Ansehen geben? Sind wir es wirklichnicht? Ja, wir sind echte Preußen.« (E. Bauer, Wer ist Preuße? RhZ 66, 7. 3. 1842) ZurKonstanz der Argumentation vgl. E. Meyen, Blick auf den Anstoß und die Richtung derdeutschen Bewegung, BM 1844, S. 215 f., 234.

58 So z. B. in Berlin: P. K. Marheineke (1780-1846), G. A. Gabler (1786-1853). L. v. Hen-ning (1791-1866), E. Gans (1798-1839), C. L. Michelet (1801-1893), W. Vatke (1806-1882), H. G. Hotho (1802-1873). In Haue: F. W. Hinrichs (1794-1861), J. Schaller(1810-1*868), J. E. Erdmann (1805-1892). In Königsberg: K. Rosenkranz (1805-1879).Vgl. J. E. Erdmann (1896) Bd. 2, S. 630 ff.

39 vgl. K. Varrentrapp, Johannes Schulze und das höhere preußische Unterrichtswesen inseiner Zeit, Leipzig 1889, bes. S. 431 ff; M. Jacobson (1905).

60 Das Verhältnis Hegels zu Preußen und die Interpretation seiner Rechtsphilosophiegehört bis heute zu den umstrittensten Fragen der Hegeldeutung. Auf der einen Seite ste-hen diejenigen, die die Hegelsche Philosophie der >Staatsvergottung< bezichtigen und sieals Vorläufer des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts ansehen; auf der anderen Seite giltHegels Philosophie als ein Denken, das durchgehend der Emanzipation und der Freiheitverpflichtet ist. Die Thesen vom >Staatsphilosophen< und vom verkappten >Revolutions-philosophen< sind seit dem Erscheinen der Rechtsphilosophie im Herbst 1820 in zahlrei-chen Versionen und Schattierungen über 150 Jahre lang hin- und herdiskutiert worden.Seit der Entdeckung der Wannenmannschen Mitschrift der Rechtsphilosophie (Heidel-berg 1817/18) im Jahre 1982 hat sich eine neue Quellenlage ergeben, (vgl. G. W. F. He-ge], Die Philosophie des Rechts (1983). Nach der neuen Quellenlage muß anerkannt wer-den, daß die junghegelianische Version der sog. >Akkomodationsthese<, derzufolgeHegel die relativen »geschichtlichen Existenzen« des preußischen Staates zu »metaphysi-schen« Bestimmungen erhoben habe (A. Rüge, Die Hegelsche Rechtsphilosophie, DJ1842, S. 763), um so mehr für die Berliner Zeit zutrifft, als er bereits in Heidelberg einengeschichtlich zukunftsoriemierten Konstitutionalismus begründet vertreten hatte.Ebenso darf mit größerer Sicherheit vermutet werden, daß in Berlin dieser Sachverhaltbekannt war und vielleicht auch noch alte Heidelberger Mitschriften in der Schule kur-sierten oder in den Händen von E. Gans sich befunden haben. Das »Schulgeheimnis« derHegelschule, daß Hegels Philosophie zwar exoterisch sich dem Bestehenden anpasse,aber esoterisch revolutionär sei, ist nun überprüfbar geworden.

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Zur Diskussion um die Hegelinterpretation vgl. H. Ottmann (1979 a); ders. (1977) unddie dort aufgeführten Interpretationsrichtungen. Vgl. auch D. Henrich, R. P. Horst-mann (1982).

61 So bemerkt J. E. Erdmann, daß im damaligen Deutschland »die gouvermentale Protek-tion dem System (Hegels, d. V.) gewiß nicht in weiteren Kreisen zur Empfehlung gedienthätte.« feit, nach K. Varrentrapp (1889) S. 435)

62 Ihren eindrucksvollen Niederschlag hat diese Situation der staatlichen Protektion einerphilosophischen Schule in Texten von Arthur Schopenhauer gefunden. Seine an Haßtira-den grenzenden Ausführungen über die »Philosophieprofessoren« sind insofern für einesoziologische Betrachtungsweise von Bedeutung, als hier Interpretationsfiguren vorlie-gen, in denen eine Philosophie nicht allein auf dem Wege immanenter Kritik widerlegtwird, sondern durch Verweis auf ihre institutionellen Voraussetzungen.In seinen Manuskript-Büchern definiert Schopenhauer: »Ich bin der Kaspas Hauser derPhilosophieprofessoren: sie haben mich von Luft und Licht abgesperrt; - damit meineangeborenen Ansprüche nicht zur Geltung kämen.« (A. Schopenhauer, Der hand-schriftliche Nachlaß (1974) Bd. 4/1, S. 292) Aus diesem Gefühl des Ausgeschlossenseinsund der Mißachtung entwickelt Schopenhauer eine Sensibilität für die institutionellenRestriktionen, denen die Idee der Wahrheitssuche unterworfen ist. Das »öffentlicheGeheimnis« der Universitätsphilosophie bestehe darin, daß im Unterschied zu allenanderen Wissenschaften diese vor dem Problem stehe, mit der »Landesreligion« zu har-monieren.« Den unter diesen Beschränkungen Lehrenden bleibt sonach nichts anderesübrig, als nach neuen Wendungen und Formen zu suchen, unter welchen sie den inabstrakten Ausdrücke verkleideten und dadurch fade gemachten Inhalt der Landesreli-gion aufstellen, der als dann Philosophie heißt.«(A. Schopenhauer, SW (1946) Bd. 5,S. 151)Die Aufgabe der Philosophie besteht hier darin, »daß die künftigen Referendarien, Advo-katen, Ärzte, Kandidaten und Schulmänner auch im Innersten ihrer Überzeugungen die-jenige Richtung erhalten, welche den Absichten, die der Staat und seine Regierung mitihnen haben, angemessen ist.« (Ebd. S. 157) In dieser Ausbildungsfunktion sieht Scho-penhauer die Ursache für das Bündnis zwischen Hegelianismus und Unterrichtsverwal-tung. »Konnte es eine bessere Zurichtung für künftige Referendarien und demnächstStaatsbeamte geben, als diese, in Folge welcher ihr ganzes Wesen und Sein, mit Leib undSeele, völlig dem Staat verfiel, wie das der Biene dem Bienenstock und sie auf nichts ande-res, weder in dieser, noch in einer anderen Welt hinzuarbeiten hatten, als daß sie taugli-che Räder würden, mitzuwirken, um die große Staatsmaschine, diesen ultimus finisbonorum, im Gange zu erhalten? Der Referendar und der Mensch war danach Eins unddas Selbe.« (Ebd. S. 157 f.)Schopenhauer verweist auf eine typische berufliche Sozialisation der »Philosophieprofes-soren«. Die »nachteilige Vorschule« seien die Hauslehrerstellen gewesen, in denen diekünftigen Professoren zur Fügsamkeit erzogen wurden. »Diese, früh angenommeneGewohnheit wurzelt ein und wird zur zweiten Natur; so daß man nachher, als Philoso-phieprofessor, nichts natürlicher findet, als auch die Philosophie ebenso den Wünschendes die Professuren besetzenden Ministeriums gemäß zuzuschneiden und zu modeln;woraus denn am Ende philosophische Ansichten, oder gar Systeme, wie auf Bestellunggemacht, hervorgehen.« (Ebd. S.206)Sicherlich sind die Ausführungen Schopenhauers durchtränkt von einem tiefen Ressenti-ment, und in ihnen spricht sich der Haß auf den gesellschaftlich erfolgreichen Philoso-phen aus. In unserem Zusammenhang ist jedoch entscheidender, daß sich hier ein Typusvon zwar nicht deklassierter, aber doch randständiger Intelligenz zeigt, ein Typ, der einmodernes Phänomen bezeichnet. Schopenhauers Kritik an den institutionellen Zwängender wissenschaftlichen Wahrheitssuche, die sich gegen die Hegelschule richtet, werden

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Interessen wird deutlich in J. Frauenstädts Rezension der Biedermannschen Broschüre »Wissenschaft und Universität« in HJ 1839, Sp. 2273 ff.

67 R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur, 1872, Bd. 2, S. 212.68 Anonym, G. G. Gervinus. Eine Charakteristik, HJ 1838, Sp. 1343.69 A. Ruge, Ein nachträgliches Wort über bonner Kritik und Apologetik, HJ 1841, S. 423.70 L. Buhl, Die Weltstellung der Revolution, Ath 1841, S. 464. Vgl. hierzu: (L. Buhl),

Hegels Lehre vom Staat und seine Philosophie der Geschichte in ihren Hauptresultaten,1837, bes. S. 99. Diese Schrift kann als die erste junghegelianische Interpretation vonHegels Rechtsphilosophie gelten.

71 Ebd. S. 466.72 Ebd. S. 481.73 Ebd.74 Ebd. S. 481.75 A. Ruge, Konsequenz der Reaktion, HJ 1840 Sp. 279 u. 280.76 Ebd. Sp. 280. - Die dargestellte reformpolitische Orientierung der Junghegelianer ist

keine taktische Verlegenheit, sie darf auch nicht angesichts späterer revolutionärer Posi-tionen als bloßes Vorspiel abgetan werden. Vielmehr folgt diese Orientierung einergeschichtsphilosophischen Perspektive, wie sie Hegel in den »Vorlesungen über die Phi-losophie der Geschichte< (Hegel, Werke Bd. 9, Berlin 21840) entwickelt hat.Hier stellt Hegel die Reformation als die »Alles verklärende Sonne« (S. 497) dar, mit derdie dritte Periode des germanischen Reiches - Hegel konstruiert nach der Zeitalterlehredes Joachim v. Fiore - beginnt. Hegel faßt Luthers Lehre dahingehend zusammen, »daßdas Dieses, die unendliche Subjektivität d. i. die wahrhafte Geistigkeit, Christus, auf keineArt in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist, sondern als Geistiges überhauptnur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird - im Glauben und im Genüsse.«(S. 500) DerMensch hat zu Gott »ein unmittelbares Verhältnis im Geiste.« (S. 501) Mit der Reforma-tion fällt die »Sklaverei der Autorität« (S. 498) ebenso wie der Wunderglaube, »es ist dasHerz, die empfindende Geistigkeit des Menschen, die in den Besitz der Wahrheit kom-men kann und kommen soll, und diese Subjektivität ist die aller Menschen. Jeder hat ansich selbst das Werk der Versöhnung zu vollbringen.« (S. 501)Bei Hegel erhält - und dies ist im Zusammenhang dieses Kapitels von Bedeutung - dieReformation den Charakter eines politischen Wendepunkts: Mit der Reformation »istdas neue, das letzte (!) Panier aufgetan, um welches die Völker sich sammeln, die Fahnedes freien Geistes, der bei sich selbst, und zwar in der Wahrheit ist, und nur in ihr bei sichselbst ist. Dies ist die Fahne, unter der wir dienen, und die wir tragen. Die Zeit von da biszu uns hat kein anderes Werk zu tun gehabt und zu tun, als dieses Prinzip in die Welt hin-ein zu bilden, indem die Versöhnung an sich und die Wahrheit auch objektiv wird, derForm nach. (. . .) Recht, Eigentum, Sittlichkeit, Regierung, Verfassung usw. müssen nunauf allgemeine Weise bestimmt werden, damit sie dem Begriffe des freien Willens gemäßund vernünftig seien.« (S. 502) Geht man den einzelnen Bestimmungen der Reformationin Hegels Argumentation weiter nach, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Reforma-tion als bürgerliche Revolution konstruiert wird. Alle entscheidenden Charakteristika derbürgerlichen Revolution werden von Hegel in die Reformation projiziert. Wenn Luther seinen Mönchsstatus aufgibt und heiratet, so begründet er die Familie alsbürgerliche Institution. »Der Mensch tritt durch die Familie in die Gemeinsamkeit, in dieWechselbeziehung der Abhängigkeit in der Gesellschaft, und dieser Verband ist ein sitt-licher; wogegen die Mönche, getrennt aus der sittlichen Gesellschaft, gleichsam das ste-hende Heer des Papstes ausmachten« (S. 508 f.).Indem die Reformation gegen den Bettel Front macht, etabliert sie das System vonBedürfnis und Arbeit: Die bürgerliche Gesellschaft, in der gilt, »daß der Mensch in derAbhängigkeit durch Tätigkeit und Verstand und Fleiß sich selber unabhängig macht. Es

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ist rechtschaffener, daß wer Geld hat, kauft, wenn auch für überflüssige Bedürfnisse, stattes an Faulenzer und Bettler zu verschenken; denn er gibt es an eine gleiche Anzahl vonMenschen, und die Bedingung ist wenigstens, daß sie tätig gearbeitet haben. Die Indu-strie, die Gewerbe sind nunmehr sittlich geworden, und die Hindernisse verschwunden,die ihnen von Seiten der Kirchen entgegengesetzt wurden. Die Kirche nämlich hatte esfür eine Sünde erklärt, Geld gegen Interessen auszuleihen: die Notwendigkeit der Sacheaber führte gerade zum Gegenteil.« (S. 509)Schließlich überwindet die Reformation den »blinden Gehorsam« gegenüber der Kircheund führt zu einer Anerkennung des Staates. »Es wurde jetzt der Gehorsam gegen dieStaatsgesetze als die Vernunft des Wollens und Tuns zum Prinzipe gemacht. In diesemGehorsam ist der Mensch frei, denn die Besonderheit gehorcht dem Allgemeinen.«(S. 509)Diese drei Elemente, die mit der Reformation gegeben sind, entsprechen genau der Syste-matik des dritten Teils der Rechtsphilosophie, der die Strukturen der modernen bürgerli-chen Welt darstellt. Selbst bis ins Detail hinein parallelisiert Hegel Reformation und bür-gerliche Revolution. So besitzt z. B. die protestantische Hexenverfolgung, in der dasPrinzip des »Verdachts« regierte, für die Reformation die gleiche Funktion wie Robes-spierres Schreckensherrschaft für die Französische Revolution. Und wie aus dieser einmoderner Verfassungsstaat entstand, so entstand aus der Reformation Preußen als eine»protestantische Macht« (S. 526).Wird die Reformation als bürgerliche Revolution gedeutet, so folgt daraus eine Argumen-tation, wonach eine Revolution in Deutschland, die nach dem Bilde der FranzösischenRevolution erfolgen soll, unnötig erscheint. Auf die sich seinen Zeitgenossen stellendeFrage: »Warum sind nur die Franzosen und nicht auch die Deutschen auf das Realisieren(des formellen Freiheitsprinzips, d. V.) losgegangen?« antwortet Hegel, der Grund liegetiefer als darin, daß die Franzosen »Hitzköpfe« seien.»Dem formellen Prinzipe der Philosophie in Deutschland nämlich steht die konkreteWelt und Wirklichkeit mit innerlich befriedigtem Bedürfnis des Geistes und mit beruhig-tem Gewissen gegenüber.« (S. 532) Und dies sei eine Leistung der Reformation. »InDeutschland war in Ansehung der Weltlichkeit schon Alles durch die Reformation gebes-sert worden, jene verderblichen Institute der Ehelosigkeit, der Armut und Faulheit warenschon abgeschafft, es war kein toter Reichtum der Kirche und kein Zwang gegen das Sitt-liche, welche die Quelle und Veranlassung von Lastern ist, nicht jenes unsäglicheUnrecht, daß aus der Einmischung der geistlichen Gewalt in das weltliche Recht entsteht,noch jenes andere der gesalbten Legitimität der Könige«. (S. 533) Weil Deutschland quaReformation in einer gleichsam postrevolutionären Stufe der Geschichte lebt, steht dieRevolution nicht mehr auf der Tagesordnung, sondern nur die Vertiefung und Ausbil-dung der Reformation, d. h. Reformpolitik.

77 H. Schelsky(1977)S. 97 ff .78 Brief E. Meyens an A. Rüge vom 20. 11. 1839 (Sachs. Landesbibliothek Dresden, h 46,

Bd. II, Nr. 52) zit. nach I. Pepperle (1978) S. 237.79 A. Ruge, Bruno Bauer und die Lehrfreihei t , An Bd. 1 1843, S. 122.80 Schelling, Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, 1926, S. 720.81 Br ief H. C. Weißes an A. Rüge vom 25. 12 . 1838 (Sachs . Landesb ib l io thek Dresden ,

h. 46, Bd. II , Nr. 110) zit . nach I. Pepperle (1978) S. 235. Vgl. auch Anm. 100.82 H. Schelsky (1977) S. 297.83 Ebd. S. 153 f.84 Ebd. S. 257.85 Hegel zufolge hat die Philosophie in der Moderne »eine öffentliche, das Publikum berüh-

rende Existenz, vornehmlich oder allein im Staatsdienste« (Hegel, Grundlinien der Phi-losophie des Rechts, (1972) S. 8). Dies ist eine qualitative Differenz gegenüber den Exi-

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stenzweisen der Philosophie in der Geschichte (Hegel, Vorlesungen über die Geschichteder Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 196 ff.).Die griechischen Philosophen waren »Privatleute«, ihr Zusammenhang mit der Weltvollzog sich nach Maßgabe ihrer Individualität. »Sie ließen sich nicht in Dinge ein, dienicht das Interesse ihres Denkes waren.« (S. 197) Im Mittelalter treiben vornehmlichGeistliche, Doktoren der Theologie das philosophische Geschäft, und in der Übergangs-periode »haben die Philosophen im Kampf, im inneren Kampf mit sich und im äußerli-chen Kampf mit den Verhältnissen sich gezeigt, haben sich auf wilde, unstete Weise imLeben herumgetrieben.« (S. 197) Dies haben die modernen Philosophen nicht mehrnötig, weil sich die »äußerliche Welt beruhigt, in Ordnung gebracht« hat (S. 198). Philo-sophische Tätigkeit ist zu einem Beruf geworden, und dieser hat seinen Ort in einem »ver-ständigen Zusammenhang«. Damit ist schon ein Stück Philosophie verwirklicht, um dasnicht mehr gekämpft zu werden braucht. »Dieser allgemeine, verständige Zusammen-hang ist von solcher Macht, daß jedes Individuum ihm angehört und doch zugleich eineinnere Welt sich erbauen kann.« (S. 198)Auch die kühnsten Kritiken können nun nicht mehr von dem »verständigen Zusammen-hang« absehen, sie können ihn als sich reformierenden Zusammenhang begreifen, odervon einem zu schaffenden revolutionären Zusammenhang her sich definieren: die Machtdes Zusammenhangs selbst steht nicht mehr zur Disposition.

86 H. Schelsky übersieht das Problem bei seiner Kritik der »Priesterherrschaft der Intellek-tuellen«. Er faßt die »Reflexionselite« als eine im wesentlichen homogene Klasse. Zueinem soziologischen Zugang zum Streit innerhalb der Intelligenz kommt er in sehr ver-kürzter Form, indem er die »Wissenschaftler« gegen die »neuen Heilslehrer« ausspielt.(H. Schelsky (1977) S. 212) Einmal abgesehen von der politischen Stoßrichtung seinerThesen - was es soziologisch zu erklären gilt: das Phänomen differenter Positionen inner-halb beider Gruppen, die sich ja beide auf den Staat berufen, bleibt bei Schelsky ausge-spart.

87 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 1, 1971, S. 98.88 Ebd. S. 105.89 Ebd. S. 107.90 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 628.91 Ebd. S. 622.92 Ch. H. Weiße, Die philosophische Literatur der Gegenwart. 2. Artikel, ZPsP 7/NF 3

(1841) H. 1, S. 104.93 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 628.94 Anonym, Der Strei t des Diessei ts und Jensei ts in der deutschen Phi losophie, in: DVjs

1843, H. 2, S. 7.95 F. Exner, Psychologie der Hegeischen Schule, 1842, H. 1, S. 1.96 K. T. Bayrhoffer, Die Idee und Geschichte der Philosophie, 1838, Zitate S. 425 und 430.97 Ebd. S. 430.98 Ebd.S. 431.99 Ebd. S. 433.100 J . Schal ler , Zei tschri f t für Phi losophie und spekula t ive Theologie — hg. v.

Dr. J. H. Fichte etc. (= ZPsT), in: JWK Nr. 115 Dezember 1837, Sp. 913. ImmanuelHermann Fichte (1796-1879) und Christian Hermann Weiße (1801-1866), diese« 1837die ZPsT herausgeben, gelten in der Hegelschule als »Pseudohegelianer«, weil sie diedialektische Methode von ihren religionsphilosophischen Implikationen trennen und siequasi formalisiert als Hilfsmittel zum Begreifen der Wirklichkeit gebrauchen. Vgl.J. Gebhardt(1963)S. 66 ff.

101 Zu den Selbstverständlichkeiten der Hegelianer gehört in diesem Zusammenhang,immer wieder an die von Hegel mitbegründeten >Jahrbücher für wissenschaftliche Kri-

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II. Politische Partei

Übersicht

Die junghegelianische Selbstdefinition als politische Partei wird zunächst ausge-hend von Ambivalenzen des Hegeischen Parteibegriffs (1 a) im Hinblick auf dieTranformation des philosophischen Dialogs in eine politische Theatralik (1 b) ent-faltet, bei der Prinzipienparteien auf der öffentlichen >Bühne< auftreten. Im Über-gang von der Theorie zur Praxis kann >Partei< mehr positiv auf Zukunft gerichtetoder mehr eliminatorisch-negativ auf die Gegenwart bezogen werden, in jedem Fallerfordert die politisch-pragmatische Dimension neue Grenzziehungen für die Dis-kussion (2). Anhand der Beiträge von Feuerbach (3 a) und B. Bauer (3 b) werdenzwei Weisen vorgestellt, das Übergangsfeld zu definieren. Erörtert wird, wann derBegriff politische Partei< (4) auf historische Gruppen angewandt werden kann.Erst wenn ein Bezug zur Parteienkonkurrenz und zum Problem der Organisationder >Vielen< gegeben ist, ist die Rede von >Partei< gerechtfertigt. In ihrer großenDebatte um die Verfassungsfrage gehen die Junghegelianer von einer Absolutis-musdefinition aus (5 a) und gelangen über die Erörterung der konstitutionellenMonarchie (5 b) und die Differenzierung von liberal/radikal (5 c) zu Entwürfeneiner freien anarchistischen Gemeinschaft (6 d). Im praktischen Verhältnis derjunghegelianischen Partei zur liberalen Opposition in Süddeutschland (6 a), Ost-preußen (6 b) und Rheinpreußen (6 c) werden differente lokale Erfahrungshori-zonte der Teilgruppen in Berlin, Königsberg und Köln deutlich, die die Parteikohä-renz belasten. Die Spaltung der junghegelianischen Partei entzündet sich an derDebatte um die Nachricht über den Verein der »Freien« (7 a) und wird manifest inden Konflikten um die Reise Herweghs (7 b), dessen von der Kölner Teilgruppeund Rüge geförderte Parteiagitation in Berlin auf einen Kontext von Intellektuellenstößt, der >unter aller Partei< ist. Kommentare von Zeitgenossen zum Scheitern derjunghegelianischen Partei (8), in denen auf die Politikunfähigkeit von Intellektuel-len verwiesen wird, schließen das Kapitel ab.

1. Politik als Schauspiel

a) Das Hegeische Erbe

Von der >linken Seite< der Hegeischen Schule zur politischen Partei überzugehen,dies scheint nur ein kleiner Schritt zu sein, zumal zu Beginn der 40er Jahre das Wort>Partei< unaufhaltsam in den Diskussionen zu wuchern beginnt. 1843 schreibt KarlRosenkranz:»Die Sprache, als die treueste Darstellerin des Geistes, läßt uns in ihren Wandlungen dieGeschichte desselben wie in einem unbestechlichen Spiegel erblicken. Wir haben nur auf siezu merken, um der Veränderungen, zu welchen der Geist mit sich fortgeschritten, recht inne

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zu werden. Wenn uns nun epochenweise aus dem Wortvorrat, der im täglichen Verkehrumgesetzt wird, ein Wort häufiger als sonst begegnet; wenn es in allen grammatischen For-men, als Substantiv, Adjektiv und Verbum, bald hier, bald da erscheint; wenn es sich unge-sucht einstellt; wenn es im Hin und Her der gewöhnlichen Debatte ein unentbehrlichesSchlagwort, ein notwendiger Gedankenhebel wird: dann dürfen wir uns auch darauf verlas-sen, daß dies stereotypierte Wort einen Begriff bezeichnet, der für die Bewegung des Geistescharakteristisch ist. Ein solches Wort ist jetzt das Wort Partei.«1

Der kleine Schritt zur politischen Partei, zu dem »die Bewegung des Geistes«einlädt, stellt jedoch die Gruppe der Junghegelianer vor äußerst schwierige Pro-bleme der Umdefinition ihres Gruppen-Wir. Sie müssen mit dem Erbe der Schul-definition fertig werden, an das sie Marheineke anläßlich einer Serenade erinnert,die zu seinen Ehren von Studenten organisiert wird. Er ruft ihnen zu:»die Wissenschaft, der wir angehören, und die nicht ausschließend, sondern einschließendzu Werke geht, und auch dem Irrtum Gerechtigkeit widerfahren lassen kann, - sie ist keinePartei, sie hat nur alles, was Partei heißt, außer sich, und freilich eben darum auch gegensich.«2

Zwischen der Totalität der Schule, die im Progreß der Reflexion die streitendenPositionen versöhnt, und der Doktrin der Partei - wo sollte dort eine Transforma-tionschance bestehen, zumal wenn die Lehre der Schule sich den Vorwurf einer»Geheimlehre« gefallen lassen muß? Es wird behauptet, daß »ein System, das demmenschlichen Denken so hartes und widerstrebendes zumutet, wie nach seinemeigenen Geständnis das Hegeische, nie die herrschende Lehre und der allgemeineGlaube der Menschheit werden« kann.3

In der Tat ist das Hegeische Erbe in Sachen >Partei< sehr zwiespältig. Grobgesprochen kennt Hegel zwei Parteibegriffe: einen abgewerteten und einen aufge-werteten. Der abgewertete Parteibegriff hat seinen Ort in der Rechtsphilosophievon 1820, der aufgewertete ist dort zu finden, wo vom geschichtlichen Werden derwahren Philosophie die Rede ist.

Die »Parteisucht um bloß subjektives Interesse, etwa um die höheren Staatsstel-len«4, ist Hegel ebenso suspekt gewesen wie die allgemeine Wahl von Repräsentan-ten. Sie führe bei Massenwahlen notwendig zur Gleichgültigkeit des einzelnenWählers, der nicht mehr zur Stimmabgabe erscheint, »so daß aus solcher Institu-tion vielmehr das Gegenteil ihrer Bestimmung erfolgt und die Wahl in die Gewaltweniger, einer Partei, somit des besonderen zufälligen Interesses fällt, das geradeneutralisiert werden sollte.«5 Innerhalb der Rechtsphilosophie ist >Partei< imgleichsam vorpolitischen Raum des bloßen Meinens und der Willkür angesiedelt,und wo von diesem Raum ausgehend sich Parteikräfte unvermittelt in politischenEbenen durchsetzen, wirken sie destruierend gegenüber der Verfassung, die fürHegel »wesentlich ein System der Vermittlung« ist.6

Die politische Partei wird der öffentlichen Meinung vergleichbar gewertet.Öffentliche Meinung ist »die Befriedigung jenes prickelnden Triebes, seine Mei-nung zu sagen und gesagt zu haben«.7 Dieser Trieb wird ernst genommen, denn:»Das Prinzip der modernen Welt fordert, daß, was jeder anerkennen soll, sich ihm als einBerechtigtes zeige. Außerdem aber will jeder noch mitgesprochen und beraten haben. Hater seine Schuldigkeit, d.h. sein Wort dazu getan, so läßt er sich nach dieser Befriedigung sei-ner Subjektivität gar vieles gefallen.«8

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Öffentliche Meinung ist nicht der Gipfelpunkt politischen Lebens, sondern -wie Parteien auch - das Rohmaterial der Politik. »Die öffentliche Meinung ist dieunorganische Weise, wie sich das, was ein Volk will und meint, zu erkennen gibt.Was sich wirklich im Staate geltend macht, muß sich freilich auf organische Weisebetätigen, und dies ist in der Verfassung der Fall.«9 Kommt dagegen die »unorgani-sche Weise« zur Herrschaft, so ergibt sich für Hegel die absurde Bewegung: »DerWille der Vielen stürzt das Ministerium, und die bisherige Opposition tritt nun-mehr ein; aber diese, insofern sie jetzt Regierung ist, hat wieder die Vielen gegensich.«10"

Die Junghegelianer sind als philosophische Schule in weiten Strecken der Hegel-schen Abwertung des politischen Parteibegriffs gefolgt. Für Ruge ist es ein »beson-deres Glück«, daß die Redaktion der HJ den Rücksichten »gar einer praktischenPartei nicht unterworfen war«.11 Und noch 1842 ist es nicht zu akzeptieren: »Wennz. B. die Regierungspartei diejenigen bedeutet, welche die Ämter haben, und dieOpposition die, welche danach haschen«.12 Das Interesse, das in Parteien zum Aus-druck kommen könnte, ist für die philosophische Schule allenfalls ein Interesse, dasdem Hegeischen System der Bedürfnisse entspringt. Es hat seinen systematischenOrt gleichsam unterhalb der politisch-staatlichen Sphäre.

Als es 1839 über Streckfuß' »Garantien der preußischen Zustände« zu einerbreiteren Diskussion der Verfassungsfrage kommt, drucken die HJ den Beitrag desliberalen K. Biedermann nur mit einer distanzierenden Redaktionsbemerkung ab:

»Die Redaktion und die ganze Richtung dieser Zeitschrift ist nun zwar so wenig mit demPrinzip der praktischen und industriellen Interessen als der vollen und genügenden Grund-lage der Staatsfreiheit einverstanden, daß die nächsten Blätter mit einer ausführlichen Kritikdagegen aufgetreten werden«.1'

Die hegelianische Abrechnung mit den »industriellen Interessen« übernimmt imNovember 1839 Frauenstädt, der Biedermanns liberales Prinzip »eines unendli-chen Strebens und steten Fortschritts« ad absurdum führt.14 Aus dem »praktischenStandpunkt« sei überhaupt nichts abzuleiten.»Warum hat er nicht lieber gleich ein Dampfwerk angelegt oder eine neue Maschine erfun-den u. dgl. ? Ist es nicht ein Widerspruch, die Theorie theoretisch vernichten, den praktischenStandpunkt theoretisch geltend machen zu wollen? Der praktische Standpunkt, wo er sichfeindlich gegen den theoretischen verhält, läßt sich nur praktisch behaupten; denn sonstnimmt er ja den Feind in seinen eigenen Busen auf. Taugt die Theorie überhaupt nichts, sotaugt ja auch des Verf. Theorie nichts; und so ist es wirklich.«15 Völlig widersinnig erscheintdem Hegelianer die Fixierung aufs industrielle Interesse. »Warum legt er immer wieder denAkzent auf die materielle Betriebsamkeit, die industriellen Bestrebungen, und will so demganzen Geschlechte die praktischen Tendenzen aufdringen?«16

1842 hat sich die Haltung der Junghegelianer ein Stück verschoben. Für Heßzählt Biedermann jetzt zu den »sogenannten >Praktischen<«.17 Umakzentuierungenwerden zwar deutlich, aber die »materiellen Interessen ihrer selbst wegen« zumAusgangspunkt für eine Partei zu nehmen, ist weiterhin undenkbar. Diese Interes-senpartei begreife nicht, »daß die Fortschritte in den Werkstätten der Industrieund jene in den Werkstätten des Geistes Kinder ein und desselben Vaters sind, desfreien Selbstbewußtseins, der männlichen Selbständigkeit, die sich nur in ihren

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eigenen Schöpfungen genießen will.«18 Es bleibt bei der Abwertung eines liberalenInteressenbegriffs, aber zugleich zeichnet sich eine Kontur ab, die an die Stelle desBündnisses von philosophischer Schule und modernem Staat treten könnte: einepolitische Partei unter der Regie der »Werkstätten des Geistes«.

Aber die »Werkstätten des Geistes«, sie kennen auch >Parteien<, und auf dieserEbene liegt der aufgewertete Hegelsche Parteibegriff, mit dessen Erbe umzugehenfür die Gruppe nicht minder schwierig ist. »Wenn die Kritik selbst einen einseiti-gen Gesichtspunkt gegen andere ebenso einseitige geltend machen will, so ist siePolemik und Parteisache«,19 hatte Hegel geschrieben, und an diesem philosophi-schen Parteibegriff haben sich die Argumentationsfiguren orientiert, mit denen derinnerschulische Positionenstreit begriffen werden konnte.20 Lagen hier nicht gün-stigere Voraussetzungen vor, ein Konzept politischer Partei zu begründen?

Man muß schon Hegel zuhören, um zu ermessen, in welche Dilemmata die Jung-hegelianer geraten, wenn sie sich auf Hegels philosophischen Parteibegriff stützenwollen. So heißt es beim Schulgründer:

»Weil aber, wenn eine Menge eine andere Menge sich gegenüberstehen hat, jede von beideneine Partei heißt, aber wie die eine aufhört, etwas zu scheinen, auch die andere aufhört, Par-tei zu sein, so muß einesteils jede Seite es unerträglich finden, nur als eine Partei zu erschei-nen und den augenblicklichen, von selbst verschwindenden Schein, den sie sich im Streitgibt, nicht vermeiden, sondern sich in Kampf (...) einlassen. Andernteils, wenn eine Mengesich gegen die Gefahr des Kampfes und der Manifestation ihres inneren Nichts damit rettenwollte, daß sie die andere nur für eine Partei erklärte, so hätte sie diese eben damit für etwasanerkannt und sich selbst diejenige Allgemeingültigkeit abgesprochen, für welche das, waswirkliche Partei ist, nicht Partei, sondern vielmehr gar nichts sein muß, und damit zugleichsich selbst als Partei, d. h. als Nichts für die wahre Philosophie, bekannt.«21

Diese Parteilogik heißt nichts weniger, als daß im Kampf der Parteien zwei sichgemeinhin paralysierende Bewegungen vollziehen: eine Bewegung der Erzwingungdes Parteicharakters, und eine Bewegung, die eben diesen Charakter inakzeptabelmacht. Wer seinen Parteicharakter aufheben will, muß erst recht ganz Partei wer-den, und wer den anderen für Partei erklärt, hat sich selbst der Chance begeben,seinen Parteicharakter aufzuheben. In seinen Aphorismen definierte Hegel lako-nisch: »Eine Partei ist dann, wenn sie in sich zerfällt.«22 Kann mit diesem Diktumauch eine politische Partei begründet werden? Und wie steht es mit den berühmtenSätzen aus der »Phänomenologie«, die praktikabel zu machen sich die Gruppeabmüht? Es heißt dort:»Eine Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, daß sie in zwei Parteien zerfällt;denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen, und hiermit dieEinseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. Das Interesse, das sich zwischenihr und der anderen teilte, fällt nun ganz in sie und vergißt der anderen, weil es in ihr selbstden Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Elementerhoben worden, worin er geläutert sich darstellt. So daß also die in einer Partei entstehendeZwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist.«23

Die Rede von der »rechten« und der »linken« Seite der Hegelschule schließtzwar an die Aufwertung der Polemik und des dialektischen Positionenstreits an, siescheint sanft auf das Feld der Parteidefinition hinüberzugleiten, auch dient 1838

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das Hegel-Zitat der »Phänomenologie« Michelet zur Explikation der innerschuli-schen Differenzen,24 und 1843 dient es Rosenkranz zur Explikation des Begriffs derpolitischen Partei,25 - aber jener Anschluß und diese Umfunktionierung bringenerhebliche Folgeprobleme mit sich, gerade dann, wenn auf der anderen Seite desHegelschen Erbes in Sachen >Partei< die »Werkstätten der Industrie« und die»Werkstätten des Geistes« nach denselben Regeln arbeiten sollen.

Die Lösung, in die dieser Übergang schließlich münden wird, ist bekannt: es istder für Deutschland charakteristische Typ der Weltanschauungspartei.26 Es istweithin anerkannt, daß die Junghegelianer an der Profilierung der Definition von»Weltanschauungspartei« maßgeblich mitgewirkt haben.27 Für sie ist »das Freige-ben und Konstituieren der Parteibewegung in der Politik ganz das, was das Freige-ben der geistigen Gegensätze in der Wissenschaft« ist.28 Parteien sind berechtigtnur, »wenn ihre Träger eben Träger eines Prinzips sind; bloße Personen sind alle-mal ekelhaft, wenn sie als Partei hypostasiert werden.«29

b) Philosophischer Dialog als theatralische Politik

Die politische Ideengeschichte hat den Typ der Weltanschauungspartei ausgiebigthematisiert und den Zusammenhang mit Religionsparteien, die inhaltliche Profi-lierung der Prinzipien und politischen Ideale in ihren Mutationen, ihren Anpas-sungsschwierigkeiten an die geschichtliche Wirklichkeit und ihren Bezug zu ver-borgenen Interessenlagen gründlich untersucht. In unserem Zusammenhang sollein anderer Aspekt hervorgehoben werden, der oft vergessen wird, weil er die feier-liche Aura, die politische Ideale mit sich führen, tangiert, nämlich die Darstellungdes philosophischen Dialogs als theatralische Politik.

D. Blackbourn und G. Ely weisen im Anschluß an R. Sennett darauf hin, daßbürgerliche Politik insbesondere in der Mitte des 19. Jahrhunderts stark von derAuffassung der »Politik als Bühne, politisches Handeln als Schauspiel«30 beeinflußtwurde. Für die junghegelianische Selbstdefinition als politische Partei ist dieserZusammenhang nicht von der Hand zu weisen. Der dialogische Positionenstreitder philosophischen Schule wird bei ihnen zum Kampf der politischen Parteiprin-zipien auf der Ebene politischer Theatralik.

Nicht nur maskiert sich z. B. Bauer als reaktionärer Pietist in der »Posaune«,M. Stirner und L. Buhl folgen ihm in ihren Maskeraden zur »Sonntagsfeier«,31 -das große Schauspiel des Prinzipienkampfes, das die Junghegelianer aufführen, istdas Drama der Parteien der französischen Revolution.32 Für Cieszkowski istD. F. Strauß Girondist und B. Bauer Montagnard.33 Ruge rechnet sich ebenfallszur »Bergpartei« und die Tübinger Junghegelianer zur »Gironde«. »Bruno Bauer(und Marx und Christiansen) und Feuerbach haben schon die montagne prokla-miert«, schreibt Ruge an Stahr.34 In der politischen Theatralik spielt B. Bauer denRobesspierre, A. Ruge den Danton, Feuerbach gilt als Marat und E. Bauer als Des-moulins.35 Diese Maskerade ist nicht einfach seltsames Beiwerk theoretischer Refle-xion, vielmehr eignet sich die theatralische Ebene in besonderem Maße dazu, diezwiespältige Problematik des Hegelschen Parteibegriffs aufzulösen.

Für E. Bauer sind Parteien »die Pole, welche das vorher gleichgültige, regelloseTreiben einer chaotischen Masse in einen geregelten Gang, in eine gesetzmäßige

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Bewegung zwingen.«36 E. Bauer kombiniert die beiden Seiten des Hegelschen Par-teibegriffs. Auch er setzt hier nicht auf die »Vielen« mit ihren zersplitterten, je sub-jektiven Interessen. Sie gilt es vielmehr in »geregelten Gang« zu zwingen. Aber die-ser Zwang erfolgt nicht über ein beruhigendes System der Verfassung wie beiHegel, sondern über eine aufreizende polarisierende Parteidramaturgie. Die polareStruktur leistet die Organisation der »Vielen«, aber sie kann dies nur, wenn die Par-teien sich in ihren Prinzipien selbst entdecken. »Nur dann werden sie (die Parteien,d. V.) sich mit vollständigem Bewußtsein einander gegenüberstehen können, nurdann wird ihr Kampf, werden ihre Reibungen zu einem ergiebigen Ende führenkönnen.«37 Es handelt sich hier um eine theatralische Ebene, die Prinzipien tretenals Parteien verkleidet auf der politischen Bühne auf.

Darum trifft auch der Begriff »Fanatismus« die Prinzipienpartei nur ungenau.Die Junghegelianer wollen »keine wilde, polternde, drauflosstürmende Gesellenwerden«.38 Sie konzedieren, daß zwar »alles Große und Herrliche und oft freilichfurchtbar Erhabene (!), was die Geschichte aufzuweisen hat, ( . . . ) mit feindlicherNebenbezeichnung Fanatismus« genannt werden mag, aber sie fordern: »Haltenwir den Fanatismus von seiner poetischen Seite genommen also dreist fest.«39

Poetisch genommen, gehört die Kollision der Prinzipien in die Äthetik des Dra-mas, das für Hegel wie für die Junghegelianer zur höchsten Stufe der Kunst zähltund »das Produkt eines schon in sich ausgebildeten nationalen Lebens« ist.40 DasDrama zeigt »die zu lebendigen Charakteren und konfliktreichen Situationen indi-vidualisierten Zwecke, in ihrem Sichzeigen und -behaupten, Einwirken undBestimmen gegeneinander.«41 Im Drama treten die »geistigen Mächte« als »Pathosvon Individuen gegeneinander auf«.42

Was die Junghegelianer auf der politischen Bühne darstellen, ist das »Pathos fürdie Freiheit«, zu dem die Theorie umgebildet werden muß.43 Ruge definiert:»Wer ist aber Partei? Wer sich klarmacht, wo die Sache hinaus will und die allgemeine Sachezu der seinigen macht, d. h. wer denkt und als denkender Mensch sich für oder widerbestimmt. Also heißt Partei sein nichts anderes, als einen vernünftigen entschiedenen Willenhaben.«44

Dieser individualisierte Zweck< bedarf, wenn er sich politisch darstellt, der dra-matischen Form, der leidenschaftlichen Sprache. Die Forderung der Zensur, Erör-terungen sollen »anständig und wohlmeinend« sein, ist für E. Bauer inakzeptabel.»Man glaube also nicht, daß man, indem man sich gegen die Form wendet, sich nicht auchgegen den Gedanken wende. Anders ausgesprochen wird auch der Gedanke ein andererund verliert seine Wirkung. (. . .) Jede neue Wahrheit spricht sich leidenschaftlich aus.«45

Zum politischen Leben gehört eine »leidenschaftliche, radikale Schreibweise«.46

Radikalismus ist in diesem dramatischen Sinne ein Merkmal der politischen Par-tei. Der Radikalismus »sollte von Rechts wegen bei allen Parteien in Gunst stehen(. . .). Radikale Tätigkeit von jeder Art bringt uns lediglich weiter«, heißt es beiNauwerck.47 Radikal ist jemand, »dessen Worte und Handlungen die getreuenAbdrücke seiner Gedanken sind.« Als solche Gestalten müßten sich alle Indivi-duen »über dem Altar des Radikalismus die Hände reichen, und sollten sie sichauch gleich nachher auf Leben und Tod bekämpfen.«48 Persönlichkeit wird zuröffentlichen Persönlichkeit dramatisiert.

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Natürlich kann man mit H. Stuke davon sprechen, daß die Junghegelianer, wieer am Beispiel B. Bauer zeigt, die Hegelsche Dialektik in eine »revolutionäre Anti-thetik« verwandelt hätten.49 Berechtigt ist diese These dort, wo man die Junghege-lianer nur als eine philosophische Schule begreift. Als politische Partei beziehen siesich aber darüber hinaus auf ein Szenario dramatischer Kollisionen, dessen Span-nung sich erst entfaltet, wenn der intime Versöhnungsaspekt der Dialektik zugun-sten öffentlicher Polaritäten außer Kraft gesetzt wird.

Deutlich werden diese Effekte der Selbstdefinition als politische Partei bei Baku-nin. Die politischen Gegner, die als Parteien von Prinzipien erscheinen, werden alsfür einander unverzichtbare Mitspieler auf der politischen Bühne behandelt.

»Ihrem Wesen, ihrem Prinzipe nach ist die demokratische Partei das Allgemeine, das Allum-fassende, ihrer Existenz nach aber, als Partei, ist sie nur ein besonderes, das Negative, demein anderes Besonderes, das Positive gegenübersteht.«30

Diese Einseitigkeit ist nicht einfach aufzuheben, wie die Partei der »vermitteln-den Reaktionäre« meint, weil dies zur »praktischen Gesinnungslosigkeit« führe."Dieser Vorwurf sei kein persönlicher:»das Innere eines Individuums ist mir ein unantastbares Heiligtum, ein Inkommensurables,über welches ich mir niemals ein Urteil erlauben werde; - dieses Innere kann für das Indivi-duum selbst einen unendlichen Wert haben; — für die Welt, in der Wirklichkeit ist es abernur insofern, als es sich äußert, und nur ein solches, als welches es sich äußert«.52

Die entscheidende Wirklichkeitsebene ist die des öffentlich auftretenden Indivi-duums. Auf dieser Bühne der Öffentlichkeit wollen Bakunin zufolge die auf dialek-tischer Vermittlung Beharrenden nicht auftreten, da sie »in ihrer Leblosigkeit keinanderes Geschäft so gern übernehmen als das Bemeistern der Geschichte« und sichnicht von »ihrem theoretischen Hochmut« befreien könnten.53 Der »theoretischeHochmut« läßt keine politische Dramatik entstehen.

Für E. Bauer zählt die Partei der Mitte, das »Juste-Milieu«, kaum. »Freilich, esgibt eigentlich nur zwei wahre Parteien; die eine steht ganz links, die andere ganzrechts. Wenn wir nämlich Partei nur die nennen dürfen, welche ein konsequentdurchgeführtes Prinzip hat.«54 Auf der Ebene politischer Theatralik gilt:»Jedes Prinzip ist extra. Das Juste milieu hat kein Prinzip, sondern droht mit zwei Prinzi-pien, die ihm rechts und links stehen. Es sagt: bei mir allein findet ihr Frieden und süßeRuhe; wenn ihr aber nicht artig seid - da seht zu meinen beiden Seiten zwei Ausartungen,zwei Fatalitäten, denen ihr unrettbar anheim fallt, wenn es euch in meinem Schöße nichtmehr gefällt.«55

Aber wenn nun diese vermittelnden Gestalten in die politische Theatralik hinein-gezogen werden - die junghegelianische Rhetorik verfolgt dieses Ziel unablässig -,werden es tragische oder komische Figuren sein? Und die, die den ernsten Willender Extreme darstellen, werden sie in einer politischen Tragödie oder einer politi-schen Komödie auftreten? Politik als Schauspiel und die Dramaturgie des Parteien-kampfes als einer Kollision von Prinzipien - beide Bestimmungen reichen nochnicht aus.

Für die Junghegelianer gilt die Komödie als die dramatische Gattung, die dempolitischen Leben entspricht. Sie schließen an Hegels Ästhetik an, in der die Komö-

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die einer Welt zugerechnet wird, »in welcher sich der Mensch zum vollständigenMeister alles dessen gemacht hat, was ihm sonst als der wesentliche Gehalt seinesWissens und Vollbringens gilt«.56 Der Mensch hat die schicksalhaften Mächte, diein der Tragödie ihren Ort haben, durchschaut, er ist über seinen eigenen Wider-spruch erhaben. Zum Komischen gehört »die Seligkeit und Wohligkeit der Subjek-tivität, die; ihrer selbst gewiß, die Auflösung ihrer Zwecke und Realisationen ertra-gen kann.«37

E. Bauer zufolge müßten es schon die politischen und staatlichen Fragen sein,die den Gegenstand eines deutschen Lustspiels abgeben.58 Aber er antizipiert dieReaktion seiner Zeitgenossen, die es frevelhaft finden, »den Staat mit seinen gewal-tigen Interessen zum Gegenstand einer Komödie« zu machen, und er antwortetihnen:»Nun ja, ich gebe Euch vollkommen Recht. Eben weil wir in unserem ehrlichen theoreti-schen Wesen stets einen Schauer der Pietät fühlen, wenn wir nur das Wort Staat nennenhören, eben weil wir bei jenen gefährlichen Schwankungen, die Deutschland in Bezug aufstaatliche Fragen schon seit Dezennien erschüttern, oft genug den gottlosen Zweifel erhobensehen, ob auch Recht und Wahrheit endlich siegen werden, eben weil wir unsere Kräftemehr zu tragischem Streit als zu komischen Satyrtänzen zu sammeln haben - weil das allesist, sage ich - ist für jetzt ein deutsches Lustspiel unmöglich.«59

Im Bereich des Staates sei die Art Kampf noch nicht möglich, »der in seinerWürde und Bedeutung von beiden Seiten anerkannt ist und in dem jede Partei alsgleichberechtigt auftritt«. Wo dies - wie im politischen Leben Frankreichs - derFall ist, dort »gedeiht das Lustspiel«. Für Deutschland gilt: »unser ganzes Leben istkein komisches. Wir sind geborne Tragiker.«60

Die junghegelianische Prinzipienpartei hat so auf der Bühne der Politik eine pre-käre Stellung. Sie folgt einer Theatralisierung des philosophischen Dialogs, aberder parteiliche Mensch verfällt in eine tragische Rolle, die dem Stück, das er spielensoll, nicht angemessen ist. Rüge löst dieses Dilemma in einer historischen Perspek-tive. »Der komische Sieg ist ein theoretischer und kann dem praktischen um vieleJahre in der Entwicklung vorgreifen.«61 Die Komödie antizipiert eine Form politi-schen Lebens, in dem der »Geist in vollkommenster Heiterkeit und Macht sich freibewegen könnte«.62

In diesem Sinne feiert Ruge die Maskeraden B. Bauers und die Schellingpolemi-ken von Engels als die sich abzeichnende »Wiedergeburt der historischen Komö-die«.63 Im Unterschied zu Aristophanes, dessen Komödien »unmittelbar aus dempolitisch-ästhetischen Leben des Volkes« hervorgegangen seien, entspringe dieneue Komödie aus dem philosophischen Bereich.64 Sie ist politische Theatralikgewordener philosophischer Positionenstreit. Trotz aller geschichtsphilosophi-scher Vergewisserung, auf die in der Forschung häufig der Hauptakzent gelegtwird, ist das Drama, in dem die junghegelianische Partei ihren Part spielt, offen.65

Es kann als Tragödie enden, wenn die Seite der Schicksalhaftigkeit des Geschehensund die Fatalität der Motive Oberhand erhält, oder es kann Komödie werden,wenn es gelingt, zu den eigenen Prinzipien eine Distanz zu wahren, bei der dasHandeln auf der Bühne des politischen Lebens von den versöhnten Eindimensio-nalitäten aller Art verschont bleibt.

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2. Das Übergangsproblem

Die Hegelsche »Rechte«, die »Linke«, die zwei »wahren« Prinzipienparteien: dieseRede, die philosophische Positionen politisiert und politische Termini philoso-phisch auflädt, verweist auf das komplizierte Problem des Übergangs. Die junghe-gelianische Rhetorik selbst ist randvoll mit Formeln des Übergangs: Von der Schulezur Partei, von der Philosophie zur Politik, von der Wissenschaft zum Leben, vonder Theorie zur Praxis.66

Die Rhetorik des Übergangs spricht sich leicht aus. Aber was ist ein >Übergang<?Sehr gut läßt sich in der Regel der Zustand erfassen, von dem aus ein Übergangstattfindet, und ebenso klar mag der Zustand erscheinen, der als Resultat der Ent-wicklung greifbar ist. Auf unseren Fall bezogen: Die Junghegelianer als philosophi-sche Schule sind typologisch ebenso gut darstellbar wie die Intellektuellengruppe,die sich als Partei definiert. Die wissenschaftliche Arbeitsteilung reflektiert dies,wenn die Junghegelianer philosophiegeschichtlich als philosophische Schule unter-sucht, sozialgeschichtlich oder politikwissenschaftlich dagegen in den Kontext derGenese der politischen Parteien gestellt werden.

Das Problem, vor dem wir stehen, liegt darin, den Zustand des Übergangs selbstzu fassen. Wir stehen hier schon vor sprachlichen Nöten, die sich im Vorherrschennegativer Benennungen kenntlich machen. Die Junghegelianer sind nicht mehr einephilosophische Schule, aber noch nicht eine politische Organisation oder Partei.Dennoch ist zu vermuten, daß in diesem >nicht mehr< und >noch nicht< gerade derauch soziologisch relevante Eigenwert des Phänomens liegt. Um es mit einemWortspiel zu verdeutlichen: Einen Übergang zu analysieren, heißt nicht nur, sichdessen bewußt zu werden, daß übergegangen wird, sondern auch zu verhindernwissen, daß der Zustand des Übergangs übergangen wird. Diese Bemerkungen blei-ben der Sache selbst nicht äußerlich, wenn man daran erinnert, daß jener geheim-nisvolle Begriff des >Aufhebens< in der Hegelschen Dialektik mit dem Problem desÜbergangs zusammenfällt. Die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz, die sich im Raum,den der Übergang darstellt, auftut, ist ebenso entscheidend wie Anfang und Endedes Übergangsprozesses.

»Die Philosophie macht Partei«, schreiben Ruge und Echtermeyer 1840, und siedenken dabei an einen Übergang von der »theoretischen Faulheit der Althegelia-ner« zur »Praxis der Arbeit«.67 Die Durchführung der Idee ist nicht als eine Durch-führung zu verstehen, die sich auf universitäre Spezialdisziplinen bezieht, wie diesin der Aufgabenstellung als philosophische Schule gegeben war,68 sondern als eine»unbedingte Praxis«, die sich »polemisch auch gegen ihren eigenen Vater«, d. h.gegen Hegel, wendet. Diese Praxis ist »die absolute Tatenlust des befreiten Gei-stes«, sie »begnügt sich nicht mit der Hegelschen Beschaulichkeit, welche in theo-retischer Selbstzufriedenheit dem Prozesse bloß zusieht, und jede Absurdität kon-struiert, sondern handelt, fordert, gestaltet«.69

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Rhetorik des Übergangs, in der Kon-templation gegen Aktion, Denken gegen Handeln ausgespielt wird, eine Rhetorik,die das Fichtesche Sollen gegen die Hegelsche post festum Betrachtung der vollzo-genen Selbstbewegung des Seins rehabilitiert,70 eine Rhetorik, die in der endloszitierten Marxschen 11. These über Feuerbach sich wiederholt. Diese Rhetorik

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kann als junghegelianische >Allzweckwaffe< bezeichnet werden. Sie ist jedoch,obwohl sie nur einen Punkt des Übergangs zu signalisieren scheint, enorm ausdeh-nungsfähig, sie kann weite Räume besetzen und ausfüllen, denn es geht nicht umbloße »Tatenlust«, sondern um »absolute Tatenlust«; »diese Praxis ist ein neuesSystem«, schreiben Ruge und Echtermeyer.71

Die Formel von der Philosophie, die Partei macht, bezieht sich nicht auf eineneinfachen Wechsel, so sehr sie auch emphatisch auf den Augenblick des Übergangssich zuzuspitzen scheint, vielmehr umreißt die Formel gleichsam topographisch einneues diskursives Feld, in dem die Philosophie nach ihrer Parteifähigkeit und par-teiliches Handeln nach seinem philosophischen Systemwert befragt werden. DieÜbergangsformeln sind an ihren Rändern in einer aufdringlichen Weise monoton:die Forderung, überzugehen, wird unablässig wiederholt. Im Innern des neuen dis-kursiven Feldes dagegen entwerfen die Junghegelianer verschiedene Versionen derVermittlung von Theorie und Praxis, die bis heute die Forschung nicht in Ruhe las-sen.72

Im Zusammenhang dieses Kapitels ist zu fragen: worin liegt aus der Perspektiveder Gruppengeschichte das Neue des diskursiven Feldes einer Philosophie, diePartei macht? Das Desiderat einer Verwirklichung der Philosophie ist ja nicht andie Forderung, Partei zu machen, gebunden. Denn als philosophische Schule, diesich der Figur der beamteten Intelligenz verpflichtete, hatten die Junghegelianerbereits ihre Philosophie auf die Reformpiaxis des Staates bezogen. Aber für die ent-lassenen Philosophen kommt diese Praxis nun nicht mehr in Frage. Das Neue einerPhilosophie, die Partei macht, liegt daher jetzt auf einem Gelände, das es erst zusichern bzw. erst zu bereinigen gilt: es liegt in der Zukunft und in der Destruktiondes Bestehenden. Zwischen diesen beiden Definitionen entfaltet sich die junghege-lianische Debatte über den Übergang zur Partei.

Den Gedanken, daß der Hegelschen Philosophie die Reflexion auf die Zukunftfehle, hat der polnische Graf und Hegelschüler Cieszkowski 1838 entwickelt. Die»Erkennbarkeit der Zukunft« aus der philosophischen Reflexion auszusparen, seieine »Anomalie« des Hegelschen Systems, zur Totalität der Weltgeschichte gehöredie Zukunft.73 Diese Hegel überschreitende »Teleologie der Weltgeschichte«kennt drei einander ablösende Stadien: 1. die Kunst, in der es »auf die Darstellungdes Inneren, d. h. auf die Objektivierung der Bedeutung« ankommt, 2. die Philoso-phie, die sich umgekehrt auf die » Bedeutung der Objektivität« richtet, und 3. das»absolut Praktische«, das den Widerspruch und die Einseitigkeit der beiden vor-hergehenden teleologischen Ansichten auflöst auf der Ebene »des höchsten, prakti-schen sozialen Lebens, welches die untergegangene Kunst einerseits und die inbesonderer Hinsicht erstarrte Philosophie andererseits selbst neu beleben wird.«74

Die besondere Eignung der Kunst für das Parteimachen der Philosophie wurdeim vorhergehenden Abschnitt dargestellt. Das »absolute Tun« Cieszkowskis, dassich der Zukunft bemächtigt, wird nicht nur in Ruges Formulierung von der »abso-luten Tatenlust« aufgegriffen, auch M. Heß bezieht sich auf den polnischen Gra-fen, und er nutzt dessen Thesen als Erklärungsraster für die Spaltung der Hegel-schule. Weil die Hegeische Philosophie nicht so absolut gewesen ist, sich »auch dieZukunft zu vindizieren«, mußten sich trotz aller Vermittlungsversuche die Hegel-schüler »in zwei Feldlager« teilen. »Die sogenannte >linke Seite< der Hegelschen

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Schule bildet schon den Übergang aus der Philosophie der Vergangenheit zur Phi-losophie der Tat«.75

Wichtig ist, daß Heß sich in diesem Übergang in spezifischer Weise verortet.Heß will nämlich kein >Junghegelianer< sein, er nimmt Cieszkowski und sich selbstaus dem Hegelianismus heraus, weil im Übergang der von ihm gruppierten >linken<Hegelianer noch »eine dunkle Seite« liegt.76 Ihr Übergang sei ein negativer, zur Tatführe jedoch nur ein »positiver Übergang«. Nicht nur herrsche bei ihnen eine»polemische Befangenheit (. ..), welche verhindert, positiv weiterzukommen«,vielmehr: »Anstatt die ganze Weltgeschichte zu heiligen, gibt sich jene Tendenzwieder viele Mühe, auch der Vergangenheit ihre Heiligkeit zu rauben.«77

Es ist das negative, auf das Geschehene bezogene Verhalten, das für Heß nichtpraxisfähig ist. Die kritische Negation ist, weil an die Auflösung der Philosophiegebunden, nicht für die Tat zu gebrauchen.»Das Positive muß jetzt in einem anderen Gebiete, als der theoria gesucht werden. Das freieDenken verträgt sich mit keinem Dogmatismus. — Kann aber die Philosophie nicht mehrzum Dogmatismus zurückkehren, so muß sie, um Positives zu erringen, über sich selbst hin-aus zur Tat fortschreiten.«78

Was passiert, wenn die Philosophie Partei macht? Wird sie »positiv«, indem siezur Tat schreitet, weil sie sich teleologisch auf Zukunft hin definiert? Oder machtdie Philosophie praktisch negativ Front gegen die aus der Vergangenheit in dieGegenwart hineinragenden unvernünftigen Formen des Lebens? Vollzieht die Par-tei eine eliminatorische Geste, die eine freiere Zukunft ermöglicht, weil sie sichpraktisch negativ auf ihre Hemmnisse bezieht, oder ist diese Eliminationslogiknicht notwendigerweise der Verzicht auf Praxis als gestaltender Tätigkeit? Diejunghegelianische Partei ist in dieser Frage zerstritten.

Gegen den Vorwurf »destruktiver Tendenzen« macht Echtermeyer geltend,»daß alle wahre Philosophie als solche kritisch, und insofern negativ, oder, wennman will, destruktiv ist.« Wer an »dem Geiste und der Freiheit Teil haben will, muß( . . . ) für die Negativität und Dialektik der Idee gegen die sogenannten Realitätenund Wirklichkeiten, gegen die Objektwelt als solche entschlossen Partei ergrei-fen.«79 Für E. Bauer ist gewiß, »daß jedes Prinzip, welches neu auftritt in der Welt-geschichte, vandalisch ist.«80 Die »Partei der Menschheit« vertritt ein Prinzip, das»sansculottisch« ist. Ihre Praxis ist eine eliminatorische, revolutionäre Praxis, sie»bringt Nichts, und das ist ihr Vorzug, welcher ihren Vandalismus wieder gut, odervielmehr welcher ihn vollkommen macht. Was sollen Eure Fragen nach dem, waswir Euch Neues bringen? Wir bringen Euch keine neue Fessel, keinen neuenKoran, wir bringen Euch nur Euch selber.«81

Aber ist diese negative Praxis überhaupt denkbar? Ein Korrespondent der RhZbemerkt: »Der Zertrümmerer hat einen Boden nötig, auf dem er steht; er hat einenArm nötig, um seine Waffen zu führen«, er brauche Waffen, Mut und Willen, alles»Dinge, die er somit in seinem eigenen Interesse nicht wird zertrümmern wollen.«82

Außerdem habe er ein Herz, Sympathien und Freundschaften, »auch diese wirdder Destruktive nicht zertrümmert wissen wollen, ja er wird sie sogar aufs Äußerstezu verteidigen und zu erhalten suchen.« Die Begriffe »revolutionär«, »destruktiv«,»negativ« seien nur »luftige Schlagworte«.83

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Die positive Partei der Zukunft und die negative Partei der Kritik des Bestehen-den, wo liegt hier ein möglicher Verbindungspunkt? Auf einer theoretischen Ebeneist er schwer kollektiv vorstellbar, und dieser Streit durchzieht die junghegeliani-sche Parteidiskussion bis zu ihrem Ende. Aber auf der Ebene kollektiver Praxis,d. h. im zu schaffenden Selbstverständnis einer politischen Handlungsgemein-schaft, gibt es noch die pragmatische Dimension, den internen Streit zu beenden.Wie dies geschehen kann, zeigt Buhl in seiner Rezension der Heßschen »Triar-chie«.84

Buhl apostrophiert Heß seiner Erstlingsschrift entsprechend als »Spinozist«.85

Aber dessen Kritik der Junghegelianer spielt er geschickt herunter. Heß stehe»auch im Grunde auf keinem anderen Standpunkt als die jüngeren Hegelianer,welche die linke Seite der Schule bilden.«86 Buhl akzeptiert das Heßsche Programmder Philosophie der Tat, er kritisiert kurz einige philosophische Aussagen von Heß:seine Gleichsetzung von poetischen, philosophischen, prophetischen und mysti-schen Ausdrucksformen des spekulativen Geistes und seine Rehabilitation derNatur als »ebenbürtiges Weib« des Geistes, um rasch abzubrechen: »Doch lassenwir diese Polemik gegen die falschen Konsequenzen des Spinozismus fallen, umuns mit dem Verfasser (d. h. Heß, d. V.) über seine politischen Ideen zu unterhal-ten, die uns mehr interessieren.«87

Für die philosophische Schule wären die »falschen Konsequenzen des Spinozis-mus« ein Thema ersten Ranges gewesen, jetzt muß der Philosophienstreit gebremstwerden. Es geht um eine Begrenzung des Diskurses für einen neuen Sinn derGruppe. Wichtiger sind die politischen Aussagen, insbesondere Heß' Definitiondes Parteienspektrums.

Für Heß existieren drei Fraktionen, die der Reaktion gegenüberstehen.88 Ent-sprechend seiner triarchischen Konstruktion (Deutschland: Geistfreiheit, Frank-reich: Revolution der Sitte, England: politisch-soziale Revolution)89 gruppiert erdie rechte Fraktion als >deutsche Deutsche< mit D. F. Strauß und den HJ, das Zen-trum als französische Deutsche< mit Heine, Laube, Bettina v. Arnim u. a., dieLinke als >englische Deutsche< mit Börne, Gutzkow, Wienbarg. Auf den Streitinnerhalb des Jungen Deutschland anspielend fordert Heß, »man sollte endlichaufhören, mit vergifteten Waffen zu kämpfen.«90 Buhl stimmt dem Aufruf zurEinigkeit zu, auch für ihn ist es an der Zeit, daß »die Kraft der Einzelnen für dasgemeinsame National-Interesse konzentriert würde.«91 Einigkeit herrscht in demWunsch nach der Begrenzung des Diskurses.

Was Buhl nicht akzeptieren kann, ist die Heßsche »Stellung der Parteien«. DieJunghegelianer lassen sich nicht ins Abseits der Theorie stellen, schon gar nicht aufdie >rechte Seite< des Fortschritts. Buhl antwortet Heß:

»Die Hegelianer der linken Seite sind nicht bloß theoretisch, sondern wesentlich praktisch,und sie bilden für die gesamte Nation die Linke, sowohl den Orthodoxen und den Absoluti-sten als auch den Althegelianern gegenüber. Die englischen Deutschen, zu denen der Spino-zist sich rechnet, sowie Börnes schon erloschenes Wirken, dem er dann noch Gutzkow undWienbarg beigezählt, können wir nicht als besondere Parteibildung anerkennen. Wienbargund Gutzkow bewegen sich da, wo sie wahrhaft tüchtig sind, in demselben Anschauungs-kreis, wie die Hegelianer der linken Seite, und auch der Spinozist wird von dieser Richtungvollkommen absorbiert.«92

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Und der »Spinozist« hat sich absorbieren lassen. Ein halbes Jahr später verteidigter im >Athenäum<, das Buhls Rezension publiziert hatte, zusammen mit dem Über-gang der Philosophie zur Tat auch die negative Praxis.93 Die politische Handlungs-gemeinschaft muß die Grenzziehung für den Streit neu bestimmen. Den Streit, densie als philosophische Schule sich erlaubt hat, muß sie sich ein Stück weit versagen,wenn sie zur politischen Partei übergehen will. Heß' Abgrenzung gegen die vonihm gruppierten Junghegelianer ist dafür noch viel zu spekulativ. Gegen die Buhl-sche Definition der Junghegelianer als Repräsentanten der Linken für die gesamteNation hat sie keine Chance.

Aber welche Einigungsformel wäre in der Lage, eine neue Begrenzung des Dis-kurses zu signalisieren, in dem die beiden strittigen Seiten des Parteibegriffs beru-higt werden könnten? Die Formel, auf die der absorbierte »Spinozist« Heß setzt,heißt: »Konsequenz«. Die positive Philosophie der Tat ist ebenso »konsequent«wie die negative Kritik des Bestehenden. Unter der Parteifahne der »Konsequenz«kann sich der »Vandalismus des neuen Prinzips« mit der positiven Gestaltung derZukunft vereinen.

Wenn »Vermittlung« und »Aufhebung« die Zauberworte der Hegelschen Philo-sophie sind, so ist das junghegelianische Zauberwort »Konsequenz«. In ihm bün-deln sich die wichtigsten Elemente, die den Parteibegriff ausmachen. >Konsequenz<führt zum Parteiergreifen, der Inhalt der Partei ist ein >konsequentes< Prinzip, esgilt praktische >Konsequenzen< aus der Philosophie zu ziehen, die praktischeAnwendung der Kritik ist >konsequent<. Der politische Radikalismus ist für Nau-werck schlicht das »System der Konsequenz«.94 Die Formel bündelt die Problemedes Übergangs, liegt sie doch ganz nahe am Begriff des Übergangs selbst. Siebegrenzt den Schulstreit und eröffnet einen neuen Rahmen, in dem die Stellung derphilosophischen Politiker auf der Bühne des öffentlichen Lebens definiert werdenkann.

3. Die praktische Konsequenz bei Feuerbach und B. Bauer

Die Philosophie, die ins Leben übergeht und dort Partei macht, steht vor zwei Pro-blemen: sie muß im Innern ihrer Sätze erhebliche Umbauten vornehmen, und siemuß in irgendeiner Weise mit den pragmatisch-taktischen Dimensionen umgehen,die politisches Handeln mit sich bringt. In diesem Abschnitt sollen die Lösungenvorgestellt werden, die Feuerbach und B. Bauer entwickelt haben. Sie stellen fürdie Gruppe wichtige Orientierungen für ihren Versuch dar, als politische Partei diePhilosophie praktisch werden zu lassen.95

a) Philosophie und Leben beiVeuerbach

Eine Programmatik des Übergangs der Philosophie zum Leben findet sich bei Feu-erbach schon früh in einem Brief an Hegel, dem er 1828 seine Dissertation schickt.Er stellt sich als Hegelschüler vor, bringt die besonderen Pietätspflichten gegen-über dem Lehrer zur Sprache, die durch »Werke, die im Geiste seines Lehrers gear-beitet sind«, erfüllt werden.96

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Feuerbach geht jedoch über die traditionelle Schülerformel von >Studium undfreier Aneignung< hinaus und unterlegt seine Weise der Aneignung der HegelschenPhilosophie mit einem ungewöhnlichen existentiellen Sinn. Die Ideen, die der Leh-rer geweckt habe, hielten sich »nicht oben im Allgemeinen über dem Sinnlichenund der Erscheinung«, sondern sie wirkten »schaffend in mir« fort, und diesesquasi Persönlichwerden der Ideen korrespondiere mit einer Art des Philosophie-rens, »welche man die Verwirklichung und Verweltlichung der Idee, die Ensarkosisoder Inkarnation des reinen Logos nennen könnte.«97

Die Unsicherheit des neuen Gedankens wird spürbar, wenn Feuerbach amRande zu »Verwirklichung« bemerkt: »keineswegs aber Popularisierung oder Ver-wandlung des Denkens in ein anstierendes Anschauen oder etwa der Gedanken inBildchen und Zeichen«98. Diese abweisende Geste enthält im Kern schon das Pro-blem, das entsteht, wenn die politisch-pragmatische Dimension der »Popularisie-rung« sich ankündigt. Das Problem bleibt an dieser Stelle ungelöst, denn es gibteine Koinzidenz, die darin besteht, daß die umrissene neue »Art des Philosophie-rens ( . . . ) an der Zeit ist oder (was eins ist) im Geiste selbst der neuern oder neue-sten Philosophie begründet ist, aus ihm selbst hervorgeht.«99 Bei Hegels Philoso-phie handele es sich »nicht um eine Sache der Schule, sondern der Menschheit«, essei der Geist der neuesten Philosophie, der »dahin drängt, die Schranken einerSchule zu durchbrechen und allgemeine, weltgeschichtliche, offenbare Anschau-ung zu werden«; es liege hier »nicht bloß der Same zu einem bessern literarischenTreiben und Schreiben, sondern zu einem in der Wirklichkeit sich aussprechen-den, allgemeinen Geiste, gleichsam zu einer neuern Weltperiode«. Es gelte ein»Reich zu stiften, (. . .) auf daß die Idee wirklich sei und herrsche«.100

Will man die Entwicklung des Topos von der Verwirklichung der Philosophiebei Feuerbach weiterverfolgen, so bietet sich an, seinen Brief an Riedel von 1839 zuuntersuchen, in dem Feuerbach etwa ein Jahrzehnt später, bereits in den Streit umLeos >Hegelingen< verwickelt, über seine Bestimmung des Übergangs von der Phi-losophie zum Leben Auskunft gibt.101

Der existentielle Sinn des Topos hat zu dieser Zeit eine lebensgeschichtlicheDimension hinzugewonnen, die es zu verarbeiten gilt: Feuerbachs Karriere istgescheitert, er lebt als philosophischer Schriftsteller auf dem Lande. Der Junghege-lianer Riedel fordert Feuerbach öffentlich auf, seine Einsiedelei aufzugeben: »Eswäre gar sehr zu wünschen, daß F. recht bald in eine bestimmte Wirksamkeit ein-träte. In Sphären, welche dem Leben und der Kunst näher stehen, würde seinTalent glänzen«.102

Feuerbach antwortet mit einer Verteidigung seiner Lebensumstände in Bruck-berg. »Nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick, mein eigenerGenius hat mich daher auf diesen Boden versetzt.«103 Er definiert seine Existenz-weise in Differenz zu der universitärer Wissenschaftler, indem er seine Nähe zurNatur und die Naturfeme der akademischen Welt doppeldeutig zum Kriterium fürdie »geistige Qualität des Orts« macht.»Reine, gesunde Luft weht hier, aber wie wichtig ist für das wichtigste Organ des Menschen,das Denkorgan, die reine, frische Luft! Die spekulative Philosophie Deutschlands, wie siesich bisher entwickelt hat, ist ein Beispiel von den schädlichen Einflüssen der verpestetenStadtluft. Wer kann leugnen, daß ihr Denkorgan, namentlich in Hegel, vortrefflich organi-

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siert war, aber wer auch übersehen, daß die Funktion des Zentralorgans von den Sinnen-funktionen zu sehr abgesondert, daß namentlich der Kanal bei ihr verstopft war, durch wel-chen die Natur ihren heilbringenden Odem uns zuströmt?«104

Einer Philosophie, die das »Denkorgan« von der Erkenntnisfunktion der Sinneabgesondert entwickelt, ist die Einsicht verstellt: »Nicht nur die wesentliche Eigen-schaft des Geistes, Denken, sondern auch die wesentliche Eigenschaft der Materie,die Ausdehnung gehört zur Wesenheit des absoluten Wesens.«105 Feuerbach paral-lelisiert seinen Übergang vom »Dozentenstand« zum »Stand eines bloßen Privat-manns«106 mit einer Bewegung, die die Zerrissenheit von Philosophie und Lebenüberwindet. Es ist dieser erreichte, neue Standpunkt, der ihm nun die Möglichkeitgibt, in die Debatte um die Verwirklichung der Philosophie kritisch einzugreifen.

Feuerbach macht für sich geltend, daß er »nie - auch nicht auf den steilstenHöhen der Philosophie, auch nicht in den entlegensten Tälern der Historie - dieBeziehung auf das Leben, die praktische Tendenz, aus dem Auge verloren« habe. Erwendet sich jedoch entschieden gegen eine aktivistische Position, bei der »die Wis-senschaften und Künste nur nach ihrer Beziehung auf das Leben geschätzt wer-den.« Die Aktivisten des Übergangs zum Leben übersehen nämlich: »Das Wesendessen, was man eigentlich Leben nennt, ist genau besehen, immer nur der Egois-mus«. 107 Darüber hinaus überließe man »die Gelehrsamkeit - eine gewaltige Waffe,wenn sie der Geist führt - dem Pedantismus und religiösen Fanatismus oder politi-schen Absolutismus.«108 Entscheidend aber ist:»Die wissenschaftlichen Ideen können überhaupt da erst in das Leben übergehen — einÜbergang, der immer durch die Ästhetik vermittelt ist -, wo sie durch und durch wissen-schaftlich ausgebildet sind — daher es viel zu voreilig ist, wenn bereits jüngere Talente dieIdeen der neuern Philosophie ins Leben übertragen wollen, da diese selbst noch mannigfa-cher Modifikationen und selbst kritischer Berichtigungen bedürfen.«109

Der Verwirklichungstopos wird hier an mehrere Voraussetzungen gebunden:1. Es bedarf gleichsam einer existenziell vorgängigen Veränderung der Lebens-

weise, um die praktische Tendenz der Philosophie zur Wirkung zu bringen. Der»Philosoph« darf sich selbst nicht als »übergehend« definieren, er muß schon»übergegangen sein«. 1842 heißt es kategorisch: »Wolle nicht Philosoph sein imUnterschied vom Menschen, sei nichts weiter als ein denkender Mensch; (. . .) denkein der Existenz, in der Welt als ein Mitglied derselben«.110 Ohne diese vorgängigeexistentielle Veränderung bleiben der »Egoismus« und »Utilitismus«111 des Lebensungebrochen bestehen, und die Gelehrsamkeit geht mit diesen Elementen eineArt >unheiliger Allianz< ein.

2. Ein Übergang der Ideen ins Leben setzt ihre Vollendung voraus, denn ohneeine vollkommene Ausbildung der Philosophie würde wohl alles Mögliche verwirk-licht, nur keine Philosophie, die diesen Namen verdient. Was sind aber dieKrite-rien einer vollkommenen Ausbildung? Die Philosophie muß anerkennen, daß Kopfund Herz die »wesentlichen Werkzeuge, Organe der Philosophie sind«,112 d. h.ihre Ausbildung besteht in der Aufnahme nichtintellektuellerWahrnehmungsfor-men. »Dem Denken geht das Leiden voran.«113 Die ausgebildete Philosophie setztauf ein »passives Prinzip«, das mit der Denkaktivität zusammengenommen werdenmuß.

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»Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Phi-losophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkungherabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen. Nur so wird die Philosophie zueiner universalen, gegensatzlosen, unwiderleglichen, unwiderstehlichen Macht.«114

In den Text der Philosophie aufgenommen werden sollen aber nicht nur die Lei-denschaften des Herzens, die Gemütskräfte, sondern auch die äußeren räumlichenund zeitlichen Existenzbedingungen:»Negation von Raum und Zeit in der Metaphysik, im Wesen der Dinge hat die verderblich-sten praktischen Folgen. Nur wer überall auf dem Standpunkt der Zeit und des Raums steht,hat auch im Leben Takt und praktischen Verstand. Raum und Zeit sind die ersten Kriteriender Praxis. Ein Volk, welches aus seiner Metaphysik die Zeit ausschließt, die ewige, d. h.abstrakte, von der Zeit abgesonderte Existenz vergöttert, das schließt konsequent auch ausseiner Politik die Zeit aus, vergöttert das rechts- und vernunftwidrige, antigeschichtlicheStabilitätsprinzip.« 115

3. Der Übergang ist für Feuerbach ästhetisch vermittelt. Hier schließen seineÜberlegungen an die junghegelianischen Thesen zur Komödie an. Es ist derHumor, der die Wissenschaft mit dem Leben verknüpft.116 Er ist »der Privatdozentder Philosophie«.117 An Riedel schreibt er über die Methode seiner »(im höherenSinne) praktischen Tendenz«: »Die humoristische Bildertätigkeit ist bei mirMethode des seiner selbst vollkommen mächtigen und bewußten Gedankens«.118

Der Humor als Medium des Übergangs verhindert den »politischen Absolutis-mus«, der bei einem direkten Bezug der Philosophie auf das Leben entstehenkönnte, und er verhindert ebenso, daß der Philosoph sich als ein »absoluterMonarch« denkt.119

Die genannten drei Voraussetzungen des Verwirklichungstopos sind so angelegt,daß, von ihnen ausgehend, sich die pragmatisch-taktische Ebene politischen Han-delns ohne große Brüche einfügen kann. Feuerbach hält daran fest: »Rein undwahrhaft menschlich zu denken, zu reden und zu handeln ist aber erst den kom-menden Geschlechtern vergönnt.«120 Die Ausbildung der praktischen Philosophie,mit der der Philosoph, der sich als existierender Mensch denkt, angefangen hat, istnoch nicht abgeschlossen. »Wir sind noch nicht auf dem Übergange von der Theo-rie zur Praxis, denn es fehlt uns noch die Theorie, wenigstens in ausgebildeter undallseitig durchgeführter Gestalt. Die Doktrin ist noch immer die Hauptsache.«121

Daher fordert er Ruge auf, »bis zu einem gewissen Grade politisch im gemeinenSinne des Wortes« zu sein. 122

Über den revolutionären Charakter des Übergangs der Philosophie zum Lebenist sich Feuerbach im klaren: »Diejenigen Schriften, die Wahrheit enthalten, sindkeine wissenschaftlichen, sondern aufrührerische Schriften«, aber gerade darummahnt Feuerbach: »Wir hätten vorsichtiger, klüger sein sollen - nicht um unserer,sondern um der Sache willen. List, Klugheit gehören auch zur Strategie. Aber nurmuß man sie sich nicht aufnötigen lassen. Man muß dem Feind zuvorkommen.«123

Diesen taktischen Vorsprung besitzt die Feuerbachsche Philosophie, weil sie ihrenStandpunkt schon vorgängig verschoben hat. Der Philosophie, der es gelingt, dieempirischen Sinne als mit dem theoretischen Sinn zusammenfallend zu antizipie-ren, hat schon in sich einen taktischen Vorsprung, weil sie nicht erst ein Gefälle zwi-

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sehen getrennter Theorie und getrennter Praxis aufbaut. Feuerbachs Strategie zieltdarauf: »Dazu müssen wir es noch bringen, nicht daß wir dozieren, sondern daßnach uns doziert wird, allen Prohibitivmaßregeln zum Trotze, und dazu bringenwir es. Einen anderen Weg von der Lehre zum Leben weiß ich nicht.«124

Hier wird ein hohes Maß an politischer Reflexion deutlich, das geeignet ist, dasverbreitete Bild vom bloß Anschauenden, in Naturbewunderungen sich ergehen-den kontemplativen Philosophen Feuerbach zu korrigieren. Daß die politischeReflexion mehr ist als ein abgespaltenes tagespolitisches Räsonnement, zeigt eineÄußerung an Ruge aus dem Jahre 1844: »Ich werde meine Lebensaufgabe treu undbeharrlich bis zum letzten Atemzug durchführen und einst wird man vielleichterkennen, daß der Bruckberger Philosoph und Anachoret ein guter Praktiker, abervielleicht ein tiefgründiger war.«125

Diese >tiefgründige Praxis< beruht darauf, daß Feuerbach den Versuch unter-nimmt, den Zwiespalt zwischen einer vorlaufenden Praxis und der Theorie aufzu-heben.126 Das Handeln, die empirisch sinnliche Ebene, geht dem Denken immervoran, aber eine Philosophie, die dies in sich aufnimmt, zieht virtuell mit der Praxisgleich. Dieser Ansatz Feuerbachs, den »praktischen Trieb«, der für ihn nichtzuletzt ein politischer Trieb »nach aktiver Teilnahme an den Staatsangelegenhei-ten«127 ist, theoretisch einzuholen, ist von ihm nicht schriftlich ausgeführt worden,und es ist zu fragen, ob er, sich selbst treu bleibend, überhaupt als ein theoretischesWerk auszuführen ist. Eher ist zu vermuten, daß dieser Ansatz eine Art Wegweiserdarstellt, der von jemandem aufgestellt wird, der für sich geltend macht, den Über-gang von der Lehre zum Leben im Kern verwirklicht zu haben. Dies ist allerdingsdie Herausforderung, die Feuerbach für die Gruppe der Junghegelianer darstellt.Der Ansatz fordert dazu auf, Existenzweisen zu entwerfen, die als individuelle oderkollektive praktisch möglich sind.

b) Philosophie ohne Fessel (Bruno Bauer)

Während bei Feuerbach die Formeln der Übergangs aus dem Geltendmacheneiner außerphilosophischen Standpunktes gewonnen werden, ein Geltendmachen,das den Charakter des Spiels nicht verleugnet, finden wir bei B. Bauer die Ideeeiner Entfesselung der Philosophie, die ihr schließliches Zusammenfallen mit demgeschichtlichen Prozeß vorbereiten soll. Feuerbach hat seine Differenz zu B. Bauerselbst deutlich gemacht, indem er darauf hinweist, daß B. Bauer methodisch anHegel gebunden gleichsam eine immanente »Explikation« gebe, während seineAuffassung nur »aus der Opposition« gegen Hegel zu begreifen sei.128 In der Tatgeht es einmal um ein Denken des Übergangs, das mit beiden Positionen, der derPhilosophie und der des Lebens, spielt; das andere Mal um ein Denken, das dieRuhe der Philosophie von innen her stört, um sie so umzubauen, daß sie ihrengeschichtlichen Aufgaben gerecht wird.

Im Zusammenhang des ersten Kapitels habe ich darauf hingewiesen, wie sehrB. Bauer in seinem historischen Experiment sich am akademischen Raum festklam-mert und zugleich eine ausgreifende Konfliktstrategie praktiziert.129 Auf den erstenBlick geht es ihm darum, das Recht der Wissenschaftsfreiheit zur Geltung zu brin-gen. Das ist sicher richtig, aber genau genommen geht es B. Bauer nicht lediglich

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um die Erkämpfung eines bestimmten Ortes, an dem Wissenschaftsfreiheit gesi-chert ist, sondern umgekehrt um die Auflösung der bestimmten Orte der institutio-nalisierten Wissenschaft, eine Auflösung, die Theorie erst praxisfähig macht.»Warum bin ich nicht freiwillig aus einer Fakultät getreten, mit deren illusorischem undsophistischem Benehmen ich gebrochen habe?«130 fragt B. Bauer und antwortet: »Nur danntrete ich freiwillig aus dem Verbande und der Fakultät, wenn sie sich freiwillig aufgibt; nurwenn sie sich auflöst, gehe ich nach Hause, für jetzt bin ich nur beiseite gegangen, um nichtdie Gewalt gegen mich aufgeboten zu sehen«.131

Für Feuerbach ist das freiwillige Verlassen der Universitätsphilosophie, die vor-gängige Anerkennung des >denkenden Menschen< vor dem akademischen Schulbe-trieb zentraler Bezugspunkt der Aufnahme praktischer Elemente in die Theorie.B. Bauer dagegen entfaltet die praktische Dimension gerade im Konflikt mit denbestehenden Institutionalisierungen der Theorie. Wie für Feuerbach eine Existenzim Draußen dessen, was kritisiert wird, notwendig ist, so ist umgekehrt für Bauerdie Existenz im Innern dessen, was kritisiert wird, unabdingbar.

In diesem Sinne sind auch Bauers Ratschläge von 1841 an Marx zu verstehen,seine Dissertation zu entschärfen. Marx solle »jetzt auf keinen Fall« etwas in dieDissertation aufnehmen, »was die philosophische Entwicklung überschreitet. (. . .)Nachher, bist Du einmal auf dem Katheder und mit einer philosophischen Ent-wicklung aufgetreten, kannst Du ja sagen, was Du willst und in welcher Form Duwillst.«132 Wie aber muß die Theorie umgebaut werden, damit sie praxisfähig imSinne einer Auflösung der je bestehenden Institutionalisierungen wird? Für Bauerist diese Frage nicht generell zu beantworten. Bei ihm geht es nicht um den Enwurfeiner »Philosophie der Zukunft« wie bei Feuerbach, sondern um je geschichtlicheAnwendungen der Kritik auf ein sich veränderndes historisches Feld. Drei Etap-pen, in denen die B. Bauersche Theorie von innen heraus sich auf die Verände-rung der Institutionalisierungen, in denen sie existiert, bezieht, die Etappen derJahre 1840,1842,1844, seien hier kurz skizziert.

Rückblickend auf den Zustand der Hegelschule in den 30er Jahren schreibtBauer 1840:»Mit ihrem jetzigen Standpunkt verglichen war damals ihr (der Hegelschen Schule, d. V.)Gesichtskreis in jene Unbefangenheit eingeengt, welche gewöhnlich eintritt, wenn der ersteJüngerkreis um einen Meister sich gesammelt hat und in dessen System sich einhaust. Wiedie seligen Götter wohnten die Jünger mit patriarchalischer Ruhe in dem Reiche der Idee,das ihnen der Meister zum Vermächtnis hinterlassen hatte, und die Träume der Chiliastenvon der Zeit der Vollendung schienen bereits in Erfüllung getreten zu sein, als der Blitz derReflexion in das Reich der Seligkeit einschlug und den Traum beunruhigte.«133 Mit diesem»Blitz der Reflexion« ist Strauß' >Leben Jesu< gemeint; und Bauer fährt fort: »So wenig warman auf den Schlag gefaßt, daß die Berliner wissenschaftliche Kritik dem StraußischenBuche einen Rezensenten entgegenstellte, der noch im seligsten Traume von Einheit derIdee und der unmittelbaren Wirklichkeit oder vielmehr der Welt des empirischen Bewußt-seins redete und seinen Traum sogar in einer besonderen Zeitschrift durchaus noch fortset-zen wollte.«134 Dieser Rezensent, von dem B. Bauer 1840 so distanzierend schreibt, ist erselbst.

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Was hier zum Ausdruck kommt, sind zwei Elemente der B. Bauerschen Theorie:die Selbstkritik und die Bindung der Selbstkritik an die Formation, der der Kritikerselbst angehört. Die Philosophie ist gebunden an ihre Existenzweisen, aber sie hatmit dem »Blitz der Reflexion« zu rechnen, ein »Blitz«, der in den je geschichtlichen»Boden« einschlägt und den Philosophen zu einer Selbstkritik zwingt, die seinenTraum vom Einklang der Reflexion mit der Wirklichkeit, d. h. von einer adäquatenExistenz der Theorie, aufstört und ihn zu praktischen Überschreitung auffordert.

Zwei Jahre später, 1842 - die Junghegelianer sind auf dem Höhepunkt ihrer Ver-suche, sich als politische Partei zu konstituieren -, schlägt der »Blitz der Reflexion«erneut ein. B. Bauer schreibt:»Allen Leidenden und Unglücklichen überhaupt, sagt man, ist der Schlaf und der Traumzum Troste gesandt. In ähnlicher Weise könnte man sagen, daß den Schwärmern und denParteien, die sich für mit Unrecht Unterdrückte halten, von einem gütigen Geschick einevöllige Bewußtlosigkeit über öffentliche Verhältnisse und eine unbegrenzte Einbildung aufihre eigene Wichtigkeit geschenkt sei. Die Opposition hält sich immer für den Mittelpunktdes Kreises, in dem sie sich irgendein Plätzchen anzueignen gewußt hat, ja in den sie viel-leicht noch nicht einmal eingedrungen ist; alles bezieht sie auf sich, alles, meint sie, beziehtund richtet sich auf sie«.135

Es ist dieselbe Metaphorik wie die von 1840. Damals galt es, den Schlaf derSchule, die sich in Hegels System häuslich eingerichtet hatte, zu stören; jetzt geht esdarum, die Selbstgenügsamkeit der Parteidiskussion aufzubrechen. Auch dies istfür B. Bauer Selbstkritik. Er attackiert nicht von außen, vielmehr ist es selbstkriti-sche Ironie, wenn er schreibt, die »deutsche Opposition« sei»so weit fortgeschritten, daß sie aus einer deutschen Opposition eine französische, aus einergermanischen eine romanische, aus einer wissenschaftlichen eine politische, aus einer>Denk-Revolution< eine kritische Tat zu werden drohte. Es war die höchste Zeit, daß eineeingebildete Macht zum Gefühl ihrer Ohnmacht und eine Richtung, die das Wesen desBestehenden für eine Illusion erklärte, dahingebracht würde, daß sie sich selbst als die nich-tigste Illusion erkannte. Wer von Siegen und gelungenen Gewalttaten träumt, mag vielleichtnicht gern erwachen. (. . .) Unser Erwachen war schrecklich, aber es ist gut, daß wir nichtmehr träumen.«136

Es sind die überzogenen Hoffnungen, die sich an das Projekt der Partei knüpfen,die zu diesem Zeitpunkt kritisiert werden müssen. Die »kritische Tat« als politischePartei ist die Illusion, die es zu destruieren gilt. Die Verwirklichung der Philosophieist für B. Bauer nicht zu entkoppeln vom Prozeß der Selbstkritik. Wo sich dieOpposition als ein lokalisierbares Lager, als eine positive Größe einrichtet, dortträumt sie von der Praxis, so wie die philosophische Schule davon geträumt hatte,Idee und unmittelbare Wirklichkeit seien versöhnt. Praxisfähig im B. BauerschenSinne wird die Theorie jedoch erst dort, wo sie sich selbstkritisch auf ihre Existenz-formen bezieht, mögen sie Schule oder Partei heißen.

Im Jahre 1844 ist wiederum eine Illusion aufzugeben. Es schien»hinreichend, daß die Literatur mit einem neuen Werke bereichert wurde, daß eine Zeit-schrift mit einem gediegenem und originellen Aufsatz auftrat, um alle Enthusiasten mit derHoffnung zu erfüllen, daß das Alte vor der Macht des Neuen sich unmöglich mehr lange hal-ten könne. Lest, lest, rief man, gebt es allen zu lesen, und ihr werdet sehen, daß wir gewon-

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nen haben.«137 Aber: »Die literarische Teilnahme gab einer Menge von Leuten nur einenAnflug von neuen Ideen, deren wahrer Inhalt nicht ins Innere drang, draußen stehen bliebund in der Form von Stichworten und Phrasen der Gegenstand einer gutgemeinten Vereh-rung wurde.«138

War zwei Jahre zuvor die Illusion zu bekämpfen, in der Existenzform der Parteials eines selbstgenügsamen Mittelpunktes sei die adäquate Form der Verwirkli-chung der Philosophie gefunden, so geht es jetzt darum, die revolutionäre Intelli-genz aus dem Traum zu wecken, daß die Masse der natürliche Partner der Philoso-phie sei.139

Im Zusammenhang dieses Kapitels soll es nicht um eine inhaltliche Diskussionder einzelnen Bauerschen Wendungen gehen, sondern vielmehr darum, Bauersspezifische Fassung des überschreitenden Denkens zu charakterisieren. Die Wis-senschaft führt gleichsam ein nomadisches Dasein; sie ist: »Die ewige, unermüdeteWanderin.«140 Das ist keine Bewegung der Flucht, wie die marxistische Bauerkritikglauben machen will: So wenig die Wissenschaft»sterben kann, so wenig ist es ihr möglich zu fliehen: wo sie einmal Hausrecht gewonnen hat,da bricht sie nicht eher auf, als bis sie den letzten Kampf mit ihrem Gegensatz bestanden hat.Denn so ist es ihre Gewohnheit, daß sie Nichts unentschieden läßt, - fliehen hieße aber denStreit nicht entscheiden wollen. Müßte sie wirklich wieder zum Wanderstab greifen, so kannund tut sie es nicht anders, als wenn sie ihre Kraft durch die Entscheidung des Kampfesgestärkt hat und ihren Gegensatz als ein entkräftetes, geistloses Phlegma zurücklassenkann.«141

Die Verwirklichung der Philosophie ist für B. Bauer kein einmaliger Akt des Par-teiergreifens, sondern ein ausgedehnter Prozeß, in dem Kritik und Selbstkritik dieExistenzweisen der Philosophie dort unterminieren, wo sie diese begrenzen. Kritikist gleichsam der Moment des Praktischwerdens der Philosophie, den es immerwieder zu gewinnen gilt, weil eine realisierte Idee, die positiv geworden ist, keinekritische Potenz mehr besitzt. Die Kritik liegt gleichsam zwischen den Polen Den-ken und Handeln, es ist die Philosophie im Sprung und zugleich der nicht gedachteRest eines jeden Handelns.

Der Einwand, die B. Bauersche Kritik sei praxisunfähig, weil sie ihre positiven>Taten< immer gleich wieder selbstkritisch in das Selbstbewußtsein zurücknehme,trifft nur bedingt. Ebenso vehement, wie Bauer sich dagegen wehrt, sich in der posi-tiven Tat zu beruhigen, so entschieden lehnt er es ab, das kritische Selbstbewußts-ein als eine »absolute Instanz« zu begreifen. Man kann zwar im Sinne einer Analo-gie davon sprechen, daß das menschliche Selbstbewußtsein bei B. Bauer demHegeischen Weltgeist nachgebildet ist, und mit Carl Schmitt Bauer einen »Partisa-nen des Weltgeistes«142 nennen, entscheidend bleibt aber, daß B. Bauer für dasSelbstbewußtsein den Titel »absolut« zurückweist. Das Selbstbewußtsein

»will nicht das Absolute sein, weil die Annahme dieses Titels nichts anderes als die Unter-schrift zu dem Dekret seiner Pensionierung wäre; es ist nicht das Absolute, kann und darfsich nicht in Ruhestand versetzen lassen, da es nur als unendliche Bewegung durch alle For-men und Gegensäße seiner Schöpfung, nur als Entwicklung seiner selbst ist.«143

B. Bauers Selbstbewußtsein ist insofern nicht mit Hegels Weltgeist vergleichbar,als mit ihm sich die Offenheit der Geschichte wieder auftut. Der Weltgeist ist eine

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Konstruktion, die in der komtemplativen Haltung des Philosophen ihr Gegenstückfindet. Für B. Bauer ist der Eingriff der Kritik in die Geschichte selbstverständlich.»Reine und wahre Theorie ist nur möglich zwischen Gleichen und Freien. In einem Zustandz. B., wo die Stände, die Geburtsunterschiede und Privilegien herrschen oder mit Gewaltrestauriert werden sollen, ist die Theorie ein Verbrechen, weil sie sich zunächst als Kritikgegen diese natürlichen Unterschiede richten und die Gleichheit, die noch nicht vorhandenist und im Gegenteil als ein Übel abgewehrt werden soll, wiederherstellen würde.«144

Feuerbach und B. Bauer markieren die Spannbreite junghegelianischer Ent-würfe zur Praxis der Philosophie: auf der einen Seite ein Heraustreten der Philoso-phie aus ihren akademischen Schranken durch die Aufhebung der Trennung zwi-schen sinnlichen und theoretischen Erkenntnisformen, die Andeutung eines neuenTerrains, auf dem die alte hochmütige Spekulation nun depotenziert ihr Daseins-recht mit anderen menschlichen Lebensäußerungen teilen muß - auf der anderenSeite eine Philosophie, die sich gebunden sieht an die Fesseln, die ihre immer ver-schiedenen Existenzweisen ihr aufzwingen, Fesseln, derer sie nicht eher ledig wird,als bis sie die Kritik des sie umgebenden Zusammenhanges durchgeführt hat.

Beide Entwürfe eröffnen einen Raum des Übergangs ebenso wie ein neues dis-kursives Feld. Die Gestalt, die diese Entwürfe zunächst befriedigen soll, ist die poli-tische Partei. Aber schon in den Entwürfen ist angelegt, daß es sich bei den Über-gängen um keine einmaligen, sondern um sich wiederholende Prozesse handelt.Trotz der unermüdlich wiederkehrenden Forderungen, doch endlich die Philoso-phie aufzuheben, zur Praxis überzugehen, das wirkliche Leben anzuerkennen, dieSchranken zu durchbrechen - und wie die Formeln auch sonst heißen mögen -, hatman bisweilen den Eindruck, daß es weniger um eine Erfüllung der Forderungengeht, als vielmehr um ihre Formulierung. Auch Marx und Engels machen hier keineAusnahme. Schon wenige Monate nach der Niederschrift der 11. These über Feu-erbach, in der das Verändern der Welt dem Interpretieren der Welt gegenüberge-stellt wird, bezeichnen sie sich angesichts der beginnenden Arbeiterbewegungexplizit als »theoretische Kommunisten«.145 Vielleicht liegt aber auch gerade derReiz der junghegelianischen Rhetorik des Übergangs darin, im Medium der Spra-che Übergänge und Durchbrüche zu vollziehen, die als geschichtliche Fakteneinem die Sprache verschlagen würden.

4. Zum Begriff »politische Partei«

»Um 1840, so kann man überpointiert, aber griffig sagen, bilden sich die modernendeutschen Parteien aus«, schreibt Th. Nipperdey, und er bezieht sich auf das deut-sche Fünf-Parteien-System, das über fast 100 Jahre für die deutsche Geschichteprägend gewesen sei.146 In diesem Parteisystem von Konservativen, Katholiken,Liberalen, Demokraten und Sozialisten sind die Junghegelianer gleich zweimal zulokalisieren: im Kontext der Ausdifferenzierung von Liberalen und Demokratenund von Demokraten und Sozialisten. Dies ist die griffige Seite, aber warum ist dieNipperdeysche Formulierung »überpointiert«? Das analytische Problem bestehtdarin, Kriterien zu entwickeln, ab wann die Rede von Parteien gerechtfertigt ist.

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Nipperdey schreibt über die 40er Jahre: »Überall gibt es Kryptopolitik und derenUmschlag in wirkliche Politik.«147 Was aber entscheidet den Umschlag? Wie sinddie beiden Seiten »Kryptopolitik« und »wirkliche Politik« zu definieren?

Das analytische Problem trifft den gesamten Bereich der Entstehung der Par-teien, ihrer genetischen Vorläufer oder strukturellen Vorformen.148 Je nach dem,welches Element für die Parteidefinition als zentral definiert wird, lassen sich Vor-läufer und Vorformen ausfindig machen. Greift man das Element der Prinzipienoder >Weltanschauung< heraus, so lassen sich ideengeschichtlich die vielfältigenÄußerungen politischer Denker zu einem beeindruckenden Traditionsstrangzusammenknüpfen, wobei z. B. die Frage, in welchen sozialen und organisatori-schen Zusammenhängen die Prinzipien diskutiert wurden, weniger Gewicht erhält.Versucht man dagegen, bestimmte historische Gruppen als Frühformen politischerParteien zu identifizieren, so ergeben sich erhebliche Definitionsprobleme.

So hat z. B. A. Kuhn den Versuch unternommen, die deutschen Jakobiner-Gesellschaften am Ausgang des 18. Jahrhunderts als Frühformen politischer Par-teibildung zu interpretieren. Die Verfasser ihrer Satzungen und Entwürfe hättendanach gestrebt, »eine öffentliche und demokratisch aufgebaute Massenpartei zubegründen.«149 Diese These ist in der Diskussion umstritten: Handelt es sich umeine falsche Aktualisierung? Handelt es sich nicht um Vorformen, sondern eher umVoraussetzungen des späteren Parteiwesens? Ist Opposition mit Partei zu identifi-zieren? Kann man ein Modell der Entwicklungsstufen entwerfen? Ähnliche Pro-bleme ergeben sich bei dem Versuch, die geheimen Gesellschaften des 18. und frü-hen 19. Jahrhunderts als Vorläufer politischer Parteien zu interpretieren.130 Kannman z. B. den Illuminatenorden »tendenziell - modisch gesagt - als eine system-überwindende Weltanschauungspartei«151 ansprechen? Auch hier sind dieselbenFragen zu stellen wie bei den deutschen Jakobinern.

Der Schlüssel für die Frage, wann »Kryptopolitik« in »wirkliche Politik«umschlägt, wann von Vorläufern oder Vorformen, wann von »richtigen« Parteiengesprochen werden kann, liegt zunächst auf der Ebene sinnvoller Definitionen.Diese Definitionen müssen sich der Tatsache bewußt sein, daß es zwar einegeschichtliche Kontinuität der Selbstdeutungen politischer Bestrebungen gibt, daßaber diese Tatsache noch nicht ausreichend für die Rede von Vorformen bzw. vonVorläufern von politischen Parteien ist.

So hat z. B. W. Grab anhand der politischen Biographie von Wilhelm Schulz dieKontinuität demokratischer Bestrebungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-derts exemplarisch nachgewiesen.152 Der 22jährige Schulz nimmt 1819 die jakobi-nischen Forderungen der 90er Jahre wieder auf, und er nimmt teil an den entschei-denden revolutionären Bewegungen bis zum Jahre 1848/49. Auch die Junghegelia-ner sind in dieser Kontunität zu verorten, nicht nur, weil sie über ihre Kontakte zumSchweizer Exilzentrum in Zürich mit den Kreisen kommunizieren, in denen sichu. a. auch Schulz bewegt,153 sondern auch, weil sie in ihren Diskussionen diegesamte Tradition demokratischer Bewegungen reflektieren. Zu nennen sind hierz. B. B. Bauers und E. Bauers Schriften zu Adam Weishaupt und den Ilumina-ten154 und E. Bauers »Geschichte der konstitutionellen und revolutionären Bewe-gungen im südlichen Deutschland in den Jahren 1831-34«.155

Gegenüber dieser historischen Kontinuität politischer Bestrebungen muß die

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Rede von der politischen Partei< sorgfältiger bestimmt werden. Das bürgerlicheVereinswesen tendenziell in Richtung auf politische Parteien zu interpretieren, istwenig sinnvoll, da es sich um einen allgemeineren sozialen Typ handelt, dessen ent-scheidende Leistungen gerade in der virtuellen Unendlichkeit der Vereinszweckebesteht. Zwar kann man sagen, daß das Vereinswesen »indirekt politisch«156 sei,aber in diesem Sinne ist sehr vieles »indirekt politisch«: technische Erfindungenebenso wie die Entstehung neuer Familienideale.

Die Differenzierung zwischen einem Vereinstypus, »der keine direkten, über sei-nen Binnenraum hinausweisenden gesellschaftlichen Zielsetzungen hat«, undeinem Vereinstypus, »der eindeutig als ein mit aufklärerisch-pädagogischen undstaatspolitischen Zielsetzungen verbundener Willens- und Zweckverband anzu-sprechen ist und der sich wie jede politische Partei definitionsgemäß als Kampfver-band versteht und demzufolge straff organisiert ist«157 - diese Differenzierung v.Biebersteins bringt nur einen kurzreichenden analytischen Vorteil. Zwar wird hierein politisches Kriterium eingeführt, aber es gilt zu bedenken, daß politische Grup-pen nicht notwendigerweise Parteien sein müssen. Die von O. Dann exemplarischskizzierten politischen Vereine der Zeit von 1765-1819 kennen zwar vielfältigepolitische Zwecke - sie tendenziell als politische Parteien anzusprechen, wäre aberebenso verfehlt, wie heutige politische Gruppenbildungen von Bürgerinitiativenbis zu konspirativen Zirkeln als Parteien zu titulieren.138

Politische Vereine und politische Gruppenbildungen entstehen historisch dort,wo die politische Ordnung als eine Sphäre sichtbar wird, die als Reflexionsgegen-stand und virtuelles Handlungsfeld in die Verfügung von sich assoziierenden Men-schen geraten könnte.159 Die Figur des politischen Engagements kann zwar als Vor-aussetzung für politische Parteibildung betrachtet werden, aber sie muß wederunter absolutistisch-monarchistischen, noch unter konstitutionell-demokratischenFormen der Staatsgewalt notwendig zur politischen Parteibildung führen. Soll derParteibegriff historisch und systematisch aussagekräftig gemacht werden, so ist anzwei Komplexe zu denken, in denen er sich zu bewähren hat: 1. den Komplex derParteikonkurrenz, 2, den Komplex der Organisationsleistung der>Vielen<.

Wo eine politische Gruppe sich in Richtung auf eine Partei definiert, definiert sienicht nur ihre politischen Ziele, sondern auch die Ziele anderer politischer Parteien.Indem sie dies tut, definiert sie darüber hinaus ein Terrain, das sie mit ihren Kon-kurrenten teilen muß oder teilen will. Parteipolitische Formierung setzt dort ein,wo nicht bloß die politische Eigenbewegung auf die staatliche Sphäre in den Blickgerät, sondern wesentlich dort, wo die politische Konkurrenz und der Konkurrenz-boden thematisch werden.160 Nicht, daß Bürger auf staatliches Handeln Einflußnehmen wollen, sondern daß konkurrierende Bürger dies wollen, ist der Anfangder Parteibildung. Revolutionäre Bewegungen müssen dies Problem nicht notwen-dig reflektieren. In der Menschenrechtserklärung von 1789 fehlt z. B. die Freiheit,sich zu Parteien zusammenzuschließen. Für Marx dagegen ist es selbstverständlich,daß die revolutionäre politische Partei der Arbeiterklasse auf der Basis des allge-meinen Wahlrechts mit anderen Parteien konkurriert und nicht nur sich selbst,sondern auch die Konkurrenz definiert. Nach Rosa Luxemburg sind politische Par-teien auch auf rätesozialistischer Basis unverzichtbar.161

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Ein soziologisch brauchbarer Begriff der politischen Partei muß nicht anbestimmte Staats- oder Wirtschaftsverfassungen gekettet werden; er ist auch nichtauf die Fragen zu reduzieren, die sich mit revolutionären Bewegungen stellen. Poli-tische Partei ist eine Form, in der Gesellschaftsmitglieder ein Mittel finden, die Ver-schiedenheit ihrer Ideale, Ziele, Interessen, soweit sie die politische Sphäre betref-fen, als konkurrierende darzustellen. Politische Parteien können existieren, obihnen nun kein, ein begrenzter oder ein großer Einfluß auf das Handeln des politi-schen Gesamtverbandes eingeräumt wird, ob in den Bereich des politisch Verfüg-baren nur im engeren Sinne >politische< Handlungsfelder fallen, oder ob sie im wei-teren Sinne sozialpolitische Bereiche betreffen, oder ob sie auch den Bereich derProduktionsentscheidungen und des Konsumrahmens umfassen.

Politische Parteien können existieren, auch wenn sie verboten sind. Dies istgerade im Vormärz der Fall. Nur darf nicht umgekehrt geschlossen werden, daßalle Gruppen, die verboten werden, auch politische Parteien sind. Was verbotenwird, welches Handeln mit staatlichen Sanktionen belegt wird, folgt einer >Logik<,die für die Definition der politischen Partei nur am Rande von Bedeutung ist. Daßetwas für den Staat >politisch gefährlich< ist, verleiht der Gefahrenquelle noch nichtden Titel der politischen Partei. Im Vormärz können nur die verbotenen politi-schen Bestrebungen als politische Partei begriffen werden, die den Versuchmachen, sich und andere als Konkurrenten auf einem antizipierten Konkurrenzfeldpolitischer Handlungsmöglichkeiten zu definieren.

Wenn politische Partei< hier nicht an bestimmte Staats- oder Wirtschaftsverfas-sungen gekettet definiert wird, so bedeutet dies nicht, daß sie hierzu keinen Bezughat. Im Gegenteil: als konkurrierende soziale Figuration muß jede Partei die allge-meinen Grundlagen der Konkurrenz und ihre Grenzen mit definieren. In der Par-teienkonkurrenz reproduziert sich zugleich der Konkurrenzrahmen. Dieser kannvon einzelnen Parteien in den verschiedensten Hinsichten als unzureichendbetrachtet werden. Parteien können versuchen, den verfassungsmäßigen Konkur-renzrahmen zu vergrößern oder zu verringern. Erst dort, wo sie aufhören, sich aufdie staatliche Sphäre als einen Konkurrenzraum von Parteien zu beziehen, verlierenParteien ihren Parteicharakter, sei es, daß sie sich auflösen, sei es, daß sie mit denstaatlichen Institutionen verschmelzen, sei es, daß sie die Form der Partei nichtmehr als relevantes Organisationsmedium für Bürgerkonkurrenzen anerkennenkönnen und sich auf andere Medien verlegen.

Dem Komplex der Parteikonkurrenz ist der Komplex der Organisation der>Vie-len< zur Seite stellen.162 Erst beide Komplexe zusammengenommen führen zu eineraussagekräftigen Definition der politischen Partei. Das Problem der Organisationder >Vielen< entsteht mit der Auflösung der ständischen Bindungen. Das bürgerli-che Vereinswesen kann als ein Lösungsversuch für die aus ihren ständischen Bin-dungen freigesetzten Individuen betrachtet werden, sich auf einer anderen Ebenewieder zusammenzuschließen. Der Vereinstypus läßt sich jedoch in seiner faszinie-renden Elastizität die Fragen offen: Wieviele bilden den Verein? In wieviel Verei-nen kann der einzelne Mitglied werden?

Das bürgerlische Vereinswesen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kenntsowohl den lokalen Verein als auch den überregionalen Zusammenschluß lokaler

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Vereine. Die Frage der Menge ist auf der Basis der Vereinsstruktur nicht entscheid-bar. Von politischer Partei ist dagegen erst zu sprechen, wenn Festlegungen erfol-gen, die auf die Organisation möglichst Vieler zielen. Politische Partei hat denAnspruch, jeweils >alle< in ihren Kreis zu ziehen: alle, die einem definierten Prinzipfolgen, alle, die diese Interessen haben, alle, die sich im Programm wiedererkennen,alle, die dem Parteiführer ihr Vertrauen schenken usw. Die winzige Differenz istleicht zu übersehen: politische Parteien erzeugen strukturell einen Erwartungs-druck, ihre Organisationsansprüche zu erfüllen, der weitaus dringlicher gemachtwerden kann als die Einladung, sich einem Verein anzuschließen. Für einen Verein,der sich überlokal orientiert, ist es >schön<, wenn ihm dies organisatorisch gelingt.Gelingt es ihm nicht, so hält das Vereinsmodell immer noch die lokale Alternativebereit, auf die umgeschwenkt werden kann. Gelingt es einer politischen Parteinicht, sich überlokal zu organisieren, so ist dies ein dramatisches Problem, das andie Wurzeln der Existenz geht.

Worauf beruht diese Angewiesenheit der politischen Partei, daß ihrer Definitioneines >Alle, die . . .< Folge geleistet wird? Zunächst ist an die Konkurrenzsituationzu denken, die zur Partei gehört. Ebenso wichtig ist aber auch, daß der Modus derOrganisation der >Vielen< an das Modell der Repräsentation dessen gebunden ist,was als je relevante und >wahre< Einheit der >Vielen< propagiert wird. Zu erinnernist hier an die Überlegungen zur Politik als Schauspiel. Politische Parteien stehenunter dem Druck, ihre Darstellungsfunktion sichern zu müssen. Vereine mögensich Zwecke und Ziele setzen, politische Parteien müssen darüber hinaus ihreZwecke und Ziele darstellungsfähig machen, sei es mehr programmatisch odermehr personell. Sie organisieren die >Vielen< in den Formen von Mitgliedern undAnhängern. Sie benötigen dafür eine zusätzliche mediale Ebene, auf die Vereine imPrinzip verzichten können. Die mediale Ebene kann eine Doktrin sein oder einpolitischer Führer.

Während Vereine besonders in den Zusammenhang mit der Lockerung und Ver-unsicherung ständischer Bindungen zu stellen sind, so können politische Parteienbesonders in den Zusammenhang mit dem In-Erscheinung-Treten von >Volksmas-sen< gestellt werden. Die Organisation der >Vielen< als einer Masse - dies Problemwird in Deutschland gerade in den 40er Jahren virulent.163 Der oppositionelle poli-tische Verein, so revolutionär seine Zielsetzung sein mag, kann die >Volksmassen<doch immer nur für einen Moment in Szene setzen, ihnen einen dauerhaften sozia-len Sinn zu verleihen, wird ihm erst möglich sein, wenn er sich als politische Parteidefiniert. Das Auftreten der Massen in einen »geregelten Gang«164 zu bringen,bedeutet, sie zu interpretieren und zu versuchen, den Interpretationen eine konti-nuierliche Form zu geben.

Politische Parteien können in dieser Hinsicht als Versuche angesprochen wer-den, dem Erscheinen der Masse eine Präsenz zu geben, die ihre Riskanz mildertund ihr zugleich Dauer verleiht. Riskant ist die gefürchtete Wankelmütigkeit derMenge, ihr kurzsichtiger Opportunismus, ihre schwer zugänglichen Erregungen,ihr Murren und ihre Panik, ihre notorische Undankbarkeit, über die politische Par-teien so beredt zu klagen wissen. Der »geregelte Gang« erfordert auch, daß daraufverzichtet werden muß, mehr als einer politischen Partei anzugehören, eine Not-wendigkeit, die im Vereinswesen, selbst im politischen Vereinswesen, nichtbesteht.

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Die Frage nach dem Umschlag von »Kryptopolitik« in »wirkliche Politik« läßtsich mit Hilfe der genannten Kriterien präziser beantworten. Der Übergang derJunghegelianer von der Philosophie zur Partei kann durchaus als Versuch gewertetwerden, sich als politische Partei im hier definierten Sinne zu konstituieren.163 DieJunghegelianer definieren nicht nur sich selbst als Repräsentanten der »nationalenLinken«, sie definieren andere politische Bestrebungen als Parteien, mit denen siekonkurrieren, und sie definieren die öffentliche Sphäre im Hinblick auf einenRaum, in dem alternative Politiken möglich sind. Sie streben danach, Anhänger zugewinnen, indem sie versuchen, die Bewegungen der Menge interpretatorisch zugliedern. Daß die politische Partei der Junghegelianer scheitert, kann nicht verges-sen machen, daß sie den Versuch unternommen haben.

Für Buhl ist Partei »eine inkorporierte, gesetzlich repräsentierte politischeAnsicht. Parteien finden wir in allen vollkommeneren politischen Organismen, undin den vollkommensten gerade am entschiedensten ausgeprägt; sie scheinen alsoeinen notwendigen Bestandteil jedes ausgebildeten Staatswesens zu bilden.«166 Fra-gen der inneren Staatsverwaltung seien nicht »an sich für interessant« zu halten, daspolitische Interesse entstehe nur dort, wo »eine Frage nicht bloß an sich, wie derbürokratische Standpunkt es tut, sondern im Zusammenhang mit dem Gesamtin-teresse betrachtet wird.«167 Dieses Zusammensehen ist notwendig politisch per-spektivisch, weil das »Gesamtinteresse« nicht von der Zeitdimension abzukoppelnist. So verwandelt sich Buhl zufolge eine sachliche Frage in eine politische »Tages-frage«. In diese Tagesfragen teilen sich die politischen Parteien.»Die eine Partei vertritt das Recht der Vergangenheit, die andere das Recht der Zukunft,und der parlamentarische Kampf gestaltet sich zu einem Abschleifungs- und Vermittlungs-prozeß. Wo die Parteien nicht vertreten sind, wo sie sich nicht gegeneinander abreiben kön-nen, da ist immer eine gewaltsame Explosion des unterdrückten Gegensatzes zu fürch-

Die Reflexion auf die »Explosion« signalisiert die Funktion, die Parteien gegen-über der Riskanz der Masse haben.Aber wo sind Parteien in Preußen? Buhl gibt die Frage zurück:

»Und ist es denn so ganz ausgemacht, daß wir keine Parteien haben? Gesetzlich vertretensind sie allerdings nicht; darum sind sie aber doch vorhanden. Auch bei uns existiert eineVergangenheit, die sich festzuhalten sucht, und eine Zukunft, die zur Gegenwart zu werdenstrebt. Hat doch China seine Parteien, arbeitet doch in der Türkei der Gegensatz des Altenund Neuen; wie sollten wir keine Parteien haben?« Auch hätten sich die Partei der Vergan-genheit und die der Zukunft »bei verschiedenen Gelegenheiten manifestiert, obwohl nichtin der Art wie in Frankreich und England, weil ihnen das Terrain fehlt. Wo die Gegensätzeeinmal da sind, da lassen sie sich - das liegt in der Natur der Sache - nicht so leicht abferti-gen; wird ihnen ein Gebiet verschlossen, so werfen sie sich auf ein anderes. Das sehen wirauch bei uns.«169

Nur weil die existierenden Parteien in Preußen noch nicht gesetzlich vertretensind, bewege sich der Parteienstreit auf dem Felde der Philosophie und der Theolo-gie.

Die Philosophie macht Partei? Bei Buhl hat sich die Definition schon verscho-ben: die Partei existiert und tarnt sich durch die Philosophie, weil sie gesetzlichnoch keine Politik machen darf. Es handelt sich bei diesen Tarnungen um

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»keine abstrusen, scholastischen Wortgefechte, sondern um Kämpfe, die in der unmittel-barsten Beziehung zum Leben stehen. Und aus diesem Kampfgewühle sollten keine Tages-fragen hervorgehen? Alles ist jetzt Tagesfrage. Schelling oder Hegel, Alt- und Neu-Hegel-tum sind Tages-, sind Lebensfragen geworden.«170

5. Die Verfassungsfrage

Wie muß die staatliche Sphäre organisiert sein, damit Parteien in ihr konkurrierenkönnen? In den Jahren 1839 bis 1843 diskutieren die Junghegelianer den Staat.Genauer gesagt, handelt es sich um ein Durchdiskutieren des Staates. Die Verteidi-gung der absolutistischen Monarchie Preußens und der Entwurf einer anarchisti-schen freien Gemeinschaft bilden die Eckpunkte der Debatte, die, langsam begin-nend und sich dann enorm beschleunigend, eine Staatsdefinition nach der anderenentwirft, kritisiert und verwirft und im selben Prozeß das Spektrum der Parteienfortlaufend definitorisch differenziert und präzisiert.

a) Vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie

Eine philosophische Schule kann sich im Bündnis mit dem Absolutismus definie-ren, aber eine politische Partei muß auf einen innerstaatlichen Konkurrenzraumreflektieren. Die Verfassungsdebatte wird von Ruge 1839 in den HJ, und zwar inder Form der Politik als Schauspiel, eröffnet. Anlaß bot der Aufsatz »Garantien derpreußischen Zustände«, den der preußische Oberregierungsrat Streckfuß 1839veröffentlichte.171 Aufsehen erregte, daß hier ein höherer Beamter, das alte königli-che Verfassungsversprechen von 1815 einfach übergehend, behauptete, in der exi-stierenden preußischen Verwaltung seien genügend >Garantien< gegeben. Rugeantwortet nicht als Repräsentant der HJ, die Preußen als modernen Staat feiern, ermaskiert sich als »Württemberger«, der offen eine konstitutionelle Monarchie for-dert.172

Der Text wurde gezielt in Szene gesetzt, Ruge erinnert sich später an die sorgfäl-tigen Vorbereitungen:

»Ich hab' ihn in verschiedenen Tonarten, erst so, dann so begonnen, ich habe die Wirkungdieser Anfänge auf Echtermeyer und andere Freunde versucht und nicht eher die wirklicheDurchführung des kleinen Musikstückes begonnen, als bis ich fand, daß der richtige Tongetroffen war.«173

Die Rollen sind genau verteilt: Ruge begründet in einer Anmerkung das Auftre-tens des »Württembergers« in den HJ damit, daß Streckfuß mit seiner Schrift dieDiskussion über »die politische Theorie tatsächlich freigibt«, nun erhebe sichWiderspruch »von einem geist- und kenntnisreichen Süddeutschen«, und Rugebemerkt, dessen mögliche Irrtümer könnten »in Preußen, dem Lande der Intelli-genz, leicht die genügende Widerlegung finden.« Auf der anderen Seite läßt Rugeden »Württemberger« die HJ selbst angreifen, sie hätten »bis zum Überdrußborussiert«.174Es handelte sich um ein gelungenes politisches Schauspiel, denn füreinige Jahre hielt man D. F. Strauß für den Verfasser.

Der maskierte Ruge würdigt die Errungenschaften der preußischen Reformzeit,

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die Städteordnung, das Militär- und Schulwesen, die Förderung der Wissenschaftetc., aber mit Blick auf die HJ schreibt der »Württemberger«:»Während der Preuße an alle diese Dinge, wie an dogmatische Heiligtümer, mit blinderHingebung glaubt, während der Preuße nichts dagegen hat, daß der Absolutismus dasAbsolute, welches sich im Staat darstellt, ( . . . ) für sich behält, wie weiland der Papst und dieKirche den Gott und die Wahrheit: so sind wir nicht-preußischen Deutschen auch im StaateProtestanten, ( . . . ) wir kennen keinen Staat, der nicht vollkommen unser wäre, bei dem wirnicht durch und durch mit dabei wären; ( . . . ) Darum können wir den absoluten Staat nichtvertragen, denn wir können es nicht aushalten, daß uns der Staat das Absolute, welches erselber in sich begreift, vorenthält. An ihm müssen wir theoretisch mit vollem öffentlichemSelbstbewußtsein und praktisch mit freiester Vertretung teilhaben.«175

Die konstitutionelle Monarchie wird von Ruge mit einer Argumentation gefor-dert, die weit von den traditionellen liberalen Mustern entfernt ist. Es geht nicht umeine Begrenzung der Macht des Königs durch Vertretungsorgane, nicht um eineZähmung des Absolutismus. Sondern umgekehrt:

»Man könnte also sagen, der absolute Staat hätte nur den Fehler, daß er nicht absolut sei.Denn wie sollte der Staat absolut sein, der nur in einem Teile, nämlich in der Regierung,lebendig ist. Ebensowenig als Gott absolut wäre, wenn er die Welt nicht durchdränge, istder Staat absolut, wenn er nicht das ganze Leben der Menschen mit seinem Selbstbewußt-sein erfüllt und durchdringt.«176

Es handelt sich um mehr als nur ein Wortspiel, wenn Rüge den »Absolutismus«im politischen Sinne mit dem »Absoluten« im religionsphilosophischen Sinneparallelisiert. Rüge führt die Verfassung im Rahmen einer politischen Theologieein. Die wahre Fassung des »Absoluten« sei im preußischen Staat erst erreicht,wenn es im protestantischen Sinne »den ganzen Staat durchdrungen und im konsti-tutionellen Leben seine weltliche Realität gewonnen« habe.177

Ruges politische Theologie ist zentriert um die spekulative Ausdeutung der Sou-veränität des Monarchen. 1840 ist sie für Rüge erst gegeben, wenn das »Absolute«sich als Einheit von Staats- und Volkssouveränität darstelle. Ohne Konstitution seidiese Einheit nicht zu erreichen. Denn im

»sogenannten absoluten oder Beamtenstaat ( . . . ) kommt es vor, daß das empirische Subjektdes Herrschers sich selbst für den Zweck des Staates nimmt; die ganze Beamtenwelt hat nurdie Richtung nach dieser Spitze der Majestät des Staates; und je länger diese Staatsform inihrer Abstraktion von den rein geistigen Zwecken und der selbstbewußten Beteiligung desGanzen bei den öffentlichen Angelegenheiten beharrt, desto unwahrer, ohnmächtiger undgeistloser wird ihre begriffswidrige Existenz.« Nur der Monarch, der alle Momente der »Idea-lität des Staats«, also auch den Inhalt »der öffentlichen Vertretung der gesetzgebendenGewalt, in sich vereinigt, erst der konstitutionelle König ist die vollkommene Staatsper-

Ein Gesichtspunkt muß hervorgehoben werden, wenn der spezifische Modusder Junghegelianer, den Staat durchzudiskutieren, in den Blick geraten soll. Alspolitische Partei können sie sich nur definieren, wenn sie den Staat als Konkurrenz-raum bestimmen. Die Forderung nach der konstitutionellen Monarchie entsprichtdiesem Zwang. Aber im Kontext der Parteien rücken sie damit zugleich an die Seitederer, die gleichfalls und schon viel länger als sie eine Verfassung fordern. Die Mas-

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kerade des »Württembergers« hatte dies Problem noch verdeckt. In dem Maße, indem die Junghegelianer eine konstitutionelle Monarchie offen fordern, sehen siesich gezwungen, den Liberalismus, den sie als philosophische Schule entschiedenablehnten, ein Stück weit zu rehabilitieren.179

Der Begriff »Liberalismus«, den Ruge im Unterschied zur früheren Abwertungerstmals 1841 positiv einführt, ist der Sache nach immer noch streng im Sinne vonHegels Rechtsphilosophie von 1820 gegen die liberale Tradition selbst gerichtet.Ruges »Liberalismus« will weder verwechselt werden mit dem »Begriff formellerGarantien, welcher sich nur auf den Polizeistaat bezieht und die Voraussetzung derUnsittlichkeit nur herumdreht, indem er sie der obersten Gewalt zurückgibt«, nochmit den »Abstraktionen des Republikaners«180. Es finden sich zwar vorsichtigeAnknüpfungen an das liberale Erbe, wenn davon die Rede ist,»daß die Formen der Vertretung, der Öffentlichkeit, der Pressefreiheit, der Geschworenen-Gerichte, der Nationalverteidigung etc., welche der Liberalismus einführt oder aufgenom-men hat, keine zufälligen, sondern Begriffsformen entsprechende Bildungen der Freiheitoder des freien Geistes sind«,181

- entscheidend ist aber auch hier, daß die Rehabilitation des Liberalismus an diepolitische Theologie argumentativ gebunden bleibt.

Diese erfährt 1841, dem Stand der junghegelianischen Diskussion entsprechend,eine erneute Umdeutung. An die Stelle des »Absoluten« tritt das B. Bauersche»Selbstbewußtsein«. Der Staat ist nun für Ruge »dieprozessierende Existenz unseresSelbstbewußtseins oder, wenn das deutlicher wäre, das geordnete und in allgemei-nen oder vernünftigen Formen steh selbst bestimmende Volk. «182 >Deutlicher< wirdin dieser Formulierung das Problem, vor dem die junghegelianische Partei steht:eine Verbindung ihrer politischen Theologie (»prozessierende Existenz des Selbst-bewußtseins«) mit liberalen Begründungsformen (Selbstbestimmung des Volkes)herzustellen. Die Formulierung zielt auf eine Koalition zwischen der Partei derLiberalen und der junghegelianischen Partei, auf eine Annäherung liberaler undjunghegelianischer Positionen.

Man sieht es den Rugeschen Formulierungen an, wie er beide Seiten in immerneuen Anläufen zu koalieren sucht:»Der Staat ist keine res privata, sondern res publica; er ist aber nach unseren Begriffen,genau genommen, gar kein res, kein Ding, höchstens eine Angelegenheit, aber auch nichteine oder irgendeine Angelegenheit, sondern der Geist, die Freiheit, der Alles an sich selbst,an ihrem Wissen und ihrem Tun gelegen ist. Der Staat ist sich selbst Zweck.«183

Der Satz führt von der »res publica«, die einen Liberalen erfreuen könnte, zumStaat als Selbstzweck im Sinne der politischen Theologie, ein Schreckbild für denLiberalismus. Offensichtlich hat Ruge dies beim Niederschreiben bemerkt, denn erfährt, die andere Seite erinnernd, besänftigend fort:»Staat ist ein schlechtes, totes Wort, besser ist öffentliches Leben<, Geschichte, Reich desGeistes, Freiheit. Aus diesen Namen sieht man sogleich, das Subjektive ist hier das Wesenund der Zweck. Unsere Zeit verlangt nun dieses Reich der Freiheit in seiner selbstbewußtenund sich selbst bestimmenden Bewegung, oder die öffentlich und objektiv realisierte Ver-nunft des Volkes.«184

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Die Not des Philosophen, der Partei macht, ist nicht zu überhören. Formulierun-gen in Richtung auf den Liberalismus (öffentliches Leben, Selbstbestimmung desVolkes) werden kettenhaft mit Formulierungen der politischen Theologie desAbsoluten (Reich des Geistes, objektiv realisierte Vernunft) in eine zwanghaftebegriffliche Reihe gebracht.

Dieselben Probleme ergeben sich, wenn Ruge versucht, seine sich dem Liberalis-mus zuwendende politische Theologie historisch abzuleiten. Dieser Versuch wirdbreit ausgeführt in »Der protestantische Absolutismus und seine Entwicklung«,der ebenfalls 1841 erscheint.185

Ruge gliedert die preußische Geschichte in drei Phasen: »1) die Entstehung derprotestantischen Macht, 2) die protestantische Weltmacht als absolutes Königtum,3) dieselbe als absoluten Staat oder als republikanische Monarchie seit 1808.« ImMittelpunkt der ersten Phase steht der große Kurfürst, »der pulsierende Punkt, umden die neue Bildung des modernen zentralen Staates sich ansetzt, dessen eigentli-che Seele aber der protestantische Geist ist.« Die zweite Phase gipfelt in dem Philo-sophen-König, Friedrich II., der ganz in Köppenscher Manier gefeiert wird. Wich-tig in unserem Zusammenhang ist die dritte Phase, die Ruge mit den Worten ein-führt: »Die neue Monarchie, in deren Entwicklung wir noch heute begriffen sind,und welche man füglich die republikanische nennen kann, entsteht in der Folge derNiederlage von 1806.«186 Eine eigentümlich zweideutige Bestimmung, deren Stra-tegie sich jedoch rasch deutlich macht.

Wie Ruge 1838 im Streit mit Leo den modernen Staat Preußen unter Abweisungdes Liberalismus ab 1806 datiert, so datiert er nun für Preußen ab 1806: »Der Staatdes Liberalismus oder die republikanische Monarchie, war jetzt nicht erst zu grün-den, sondern nur zu vollenden und zu bekennen.«187 Ruge spielt hier mit RousseausDefinition eines monarchischen Staates, der >Republik< genannt werden kann,wenn er im Unterschied zur Tyrannis sittlichen Mindestanforderungen genügt.Diese Definition identifiziert Ruge umstandslos mit dem »Staat des Liberalismus«.

Das ist, korrekt betrachtet, eine horrende Verdrehung geschichtlicher Tatsa-chen. Preußen mag ein noch so »fortschrittlicher« Verwaltungsstaat gewesen sein,aber von einem »Staat des Liberalismus« kann wohl kaum die Rede sein. Das Pro-blem, das hier gelöst werden soll, liegt auf einer anderen Ebene. Ruge möchte umjeden Preis zur Einführung des Liberalismus kommen, aber diese Einführung sollnicht revolutionär erfolgen. Er braucht eine liberale Definition der konstitutionel-len Monarchie für die Philosophie, die Partei macht, aber die politische Theologiedes »Absoluten« kann nicht davon ablassen, von der Seite des Souveräns her zudenken.

So muß Ruge immer wieder Vorgriffe machen. Der Widerspruch des »Württem-bergers«, daß der preußische König der »politische Papst« im »protestantischenStaat« sei, dieser Widerspruch ist »mit dem Pfingsten 1840« in der Auflösung inbe-griffen.188 Was fehlt, ist die Anerkennung des Souveräns, daß dem auch tatsächlichso sei: Der republikanische Inhalt müsse »anerkannt und gesetzt, das Prinzip mitBewußtsein ausgesprochen und zum System ausgeführt werden.« Ruge adaptiertdie liberale Position: »Man drückt dies ganz richtig aus, wenn man sagt, es ist keineVerfassung vorhanden« - und er übersetzt dies sogleich politisch theologisch: »weilder Staat als ganzes noch kein Forum der freien Vermittlung seiner Elemente in sich

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hat.« Es sei zwar anzuerkennen, daß »die Elemente der staatsbürgerlichen undpublizistischen Freiheit vorhanden sind«, aber sie sind nicht »lebendig und wirk-sam« und sie können »es nicht eher werden (. . .), als bis der letzte rückhaltlos libe-rale Schritt der Konstituierung geschieht, der Staat also in seiner Spitze selbst mitder Freiheit ernst macht«.189 In die monarchische Perspektive soll schließlich auchder Liberalismus Eingang finden.»Für die zentrale Monarchie und den Beamtenstaat ist nichts zu fürchten, diese, sowie dieMacht, welche in den vorhandenen liberalen Institutionen liegt, sind jedem System unent-behrlich, bei jeder ernstlichen europäischen Bewegung wird aber ebenso unentbehrlichsein: die wirkliche lebendige Nationalmacht des absolut freien Staates, die Weltmacht desLiberalismus.^0

Um 1841 sind die Junghegelianer auf die Position des Liberalismus, der eine kon-stitutionelle Monarchie fordert, eingeschwenkt. Ihr praktisches Verhalten gegen-über den Liberalen wird weiter unten zur Sprache kommen.m In diesem Abschnittgeht es um den Prozeß des Durchdiskutieren des Staates, und dieser Prozeß hatmit dem Einschwenken auf die konstitutionelle Linie gerade erst begonnen. Für diepolitischen Parteien bedeutet die Verfassungsfrage in dieser Zeit zweierlei: Verfas-sung soll zum einen den Rahmen für Parteienkonkurrenz bieten, zum anderen sindDifferenzen in der Verfassungsfrage zugleich Differenzen zwischen den politischenParteien. Der junghegelianische Konstitutionalismus ist der erste Schritt, sich alsPartei zu definieren.

Als Gruppe von Intellektuellen können sie sich damit nicht beruhigen. Sie blei-ben nicht auf dieser Position, so lange, bis sie in Preußen praktisch realisiert ist, umdann weiter zu sehen. Sie gehen über den Konstitutionalismus hinaus, auch ohnedaß er in Preußen anerkannt ist. Sie treiben die Verfassungsdebatte, ebenso wie dieParteidefinition voran, indem sie in einem zweiten Schritt den Konstitutionalismusals Konkurrenzraum für politische Parteien intellektuell durchspielen.

b) Die Widersprüche des Konstitutionalismus

In der ersten Hälfte des Jahres 1842 stehen im Zentrum der Gruppendiskussion dieWidersprüche des Konstitutionalismus. Theoretisch führend in dieser Frage istB. Bauer, der in einer Reihe von Artikeln in der RhZ insbesondere an der Entwick-lung der konstitutionellen Monarchie in Frankreich den Funktionsmechanismusdieser Staatsform reflektiert und zur Diskussion stellt.

Warum Frankreich? Was begründet die »deutschen Sympathien für Frank-reich«? England scheidet für B. Bauer aus, diese Nation sei »viel zu egoistisch aufihre Parteikämpfe gerichtet, und wenn sie etwas an uns wie an andern Völkerninteressiert, so ist es unser Gold«.192 Solch »besondere Parteiinteressen«, die sich»in dieser beschränkten Form hin und her bekämpfen«, sind für B. Bauer uninter-essant, »uns kann es fast gleichgültig sein, ob die Whigs oder Tory's das Staatsruderführen«.193 Allenfalls die Kämpfe unter Karl und Cromwell verdienten Beachtung,»allein die dumpfe, religiöse Schwärmerei, der kirchliche Fanatismus und die Heu-chelei, welche hier die politischen Kämpfe beherrscht, geleitet und bestimmt hat,stößt uns zurück«.194

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Daß politische Parteien historisch mit den englischen Konfessionskämpfenzusammenhängen, ist den Junghegelianern bekannt. Rutenberg läßt im Rotteck -Welckerschen >Staatslexikon< den »eigentlichen Radikalismus« zuerst in England,»in der kirchlichen Opposition der Sekten gegen die Staatskirche« beginnen, under verbindet diesen Radikalismus mit den englischen Chartisten, mit dem Themader sozialen Frage. Rutenberg kann sich hierbei auf Heß berufen, der in seiner»europäischen Triarchie« ebenfalls auf den englischen Radikalismus setzt.195 Wosich die Gruppe als journalistische Boheme oder als atheistische Sekte definiert,werden diese Bezüge wieder auftauchen, aber als politische Partei den Konstitutio-nalismus durchzudiskutieren, für dieses Projekt gilt Frankreich als zentraler Be-zugspunkt.

Warum Frankreich? Weil - so B. Bauer - hier die »politischen Fragen rein alssolche im Sonnenlicht der Vernunft, der Menschlichkeit und der Sache selbst ver-handelt« werden. Hier muß die Philosophie, die Partei macht, in die Schule gehen.»Wenn die Träumereien unserer Philosophen, zumal unserer philosophischen Politiker fürEuropa wirklich Bedeutung bekommen sollen, so müssen sie doch erst in eine mensch-lichere Sprache übersetzt werden. Und wo haben wir diese zu lernen? Bei den Franzosen, beieinem Montesquieu! Bei einem Mirabeau! Also bei einem Volke, welches auch noch in derletztern Zeit in Tocqueville's Schrift über Nordamerika ein Werk hervorgebracht hat, demwir kein gleiches an die Seite zu setzen haben.«196 In Frankreich »sind die Ideen immersogleich, wenn sie zur Sprache und zur Verhandlung kommen, auf ihren reinen, allgemeinenAusdruck gebracht, also auf einen Ausdruck, in welchem sie (. . .) durch ihre Dialektik, seies auch durch ihre inneren Widersprüche, hindurchgeführt werden.«197

Ideen in menschlicher Sprache zur Verhandlung gebracht, als politisch sichtbargemachte Dialektik - das ist es, was die politische Partei der Junghegelianer interes-siert. Und es ist zugleich das, was ihnen in Deutschland noch viel zu ungenügendausgebildet ist.

Daher B. Bauers Angriffe auf die deutschen Zeitungskorrespondenten, die »ver-ächtlich auf die Menge der parlamentarischen Parteien hierselbst (in Frankreich,d. V.) und ihrer Unter- und Unterabteilungen hinweisen.« Sie verstehen den Sinnder Zersplitterung der Parteien in Frankreich nicht, sie beschreiben den Konstitu-tionalismus nur im Hinblick auf seine Dysfunktionalitäten.»Aber seht doch, sagen die deutschen Korrespondenten, welch ein Getreibe ist das, dieserKampf der konstitutionellen Gewalten, wie beargwöhnt eine die andere; hört doch, wie dieStaatsmaschine knarrt, wie die Räder krachen, wenn diese Gewalten ineinander greifen.«198

Für B. Bauer jedoch reicht es nicht aus, Räsonnements »über das Zwecklose, Resultatloseund Unfruchtbare der politischen Reibungen und Verhandlungen, welche nun schon längerals zehn Jahre Frankreich in Spannung versetzt, seine besten Kräfte aufgerieben und ihm dieKraft der inneren Einheit geraubt haben, ohne daß es trotz aller Anstrengungen zu einemerklecklichen Ergebnis gekommen wäre«, anzustellen.199

Auch sei größte Vorsicht geboten, wenn berichtet würde, »den meisten Führernder jetzigen Parteien in Frankreich fehle der Charakter oder alles dasjenige, was wirzur Sittlichkeit der Überzeugung, zur Basis alles Wollens und Handelns rechnen«.Sicher würde in den französischen Zeitungen auch der Charakter der Parteiführerin den Streit hineingezogen, aber dieser Kampf um - modern gesprochen - die

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Glaubwürdigkeit der Parteien in Frankreich hätte eine ganz andere Qualität als diemoralischen Entrüstungen deutscher Korrespondenten über die Parteiführer inFrankreich.»In der französischen Oppositions-Sprache hat (. . .) jene Anklage (gegen den Charakter derParteiführer, d. V.) allein den würdigen, männlichen und politischen Sinn, daß die Gegen-wart und Zukunft größerer und tieferer Anschauungen, umfassenderer Pläne und einerbegeisterten Resignation auf die jetzigen beschränkten Interessen bedürfe. In der Spracheder deutschen Korrespondenten ist dieselbe Anklage nur der Ausdruck einer leeren undzwecklosen Klugheit, die sich über jene Kämpfe zu erheben dünkt, ohne zu wissen warum,ohne einen höheren Zweck dagegen zu setzen.«200

Die Konkurrenz der politischen Grundsätze und Ziele - sie ist der Bezugspunkt,von dem aus die gegenseitigen Angriffe, die Zersplitterung der Parteien und Mei-nungen zu betrachten sind. Nebenbei bemerkt: B. Bauers Artikel könnten nochheute einen sinnvollen Platz in deutschen Schulbüchern erhalten, wenn es darumgehen soll, die emotionale Abwehr gegen das >Parteiengezänk<, das gegenseitigeHerabsetzen der konkurrierenden Parteipositionen, die Parteienvielfalt samt ihrerFlügelkämpfe, aufzuklären.

Die »jetzigen parlamentarischen Arbeiten Frankreichs« sind für B. Bauer keines-wegs als »lächerliche Zersplitterung der Meinungen« abzutun: »Die spätereGeschichte wird aber gerade die Menge der Parteien als einen Beweis der Gründ-lichkeit betrachten, mit welcher das Prinzip, mit dem sich Frankreich gegenwärtigbeschäftigt, behandelt und nach allen Seiten bearbeitet hat.«201 Was für B. Bauer inFrankreich geschieht, ist die Durchführung der konstitutionellen Verfassung alshistorisches Experiment: »Die Franzosen haben in den konstitutionellen Kämpfender letzten Zeit experimentiert, aber sie haben für uns alle, für die ganze Geschichteexperimentiert.«202

Bei Ruge wurde die konstitutionelle Monarchie als erster Schritt eindeutig gefor-dert, sie war eine Konsequenz des politischen Absolutismus. Bei B. Bauer kommtein neues Moment herein: die Verfassungsfrage wird historisch weit geöffnet. Diekonstitutionelle Monarchie ist eine Möglichkeit, nicht eine bloß zukünftige, son-dern mit Blick auf Frankreich eine schon gegenwärtige, deren Funktionieren unter-sucht werden kann wie in einem Experiment.

Hier begegnet uns eine theoretische Figur, die Schule machen wird. Es gibt nichtnur die Konsequenz der Evolution der Staatsformen, es gibt auch das historischeExperiment, das man beobachten und abwarten kann, weil andere es vorexerzie-ren, und das frei macht für die Frage, ob man es wiederholen, modifizieren oder ausdem Horizont politischer Ziele ausscheiden will. So wird später Lenin die deutscheSozialdemokratie und Mao Tsetung den Stalinismus als ein historisches Experi-ment definieren. Und heute definieren z. B. Länder der Dritten Welt das, wasandere im Bereich der Politik tun oder getan haben, als historische Experimente,die für die Wahlmöglichkeiten verschiedener Politiken Bedeutung gewinnen.

Die Rede vom historischen Experiment nimmt Geschichte nicht einfach als Ver-lauf von Konsequenzen, in dem Ereignisketten zu Wirkungsketten werden, son-dern sie privilegiert den Entwurf charakter geschichtlichen Handelns, dessen Reali-sierung einem historischen Kalkül unterworfen werden kann.203 Historische Expe-rimente sind aufwendig, und der historische Kalkül rechnet kaum damit, daß iden-

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tische Wiederholungen den Aufwand lohnen. Als Reihe historischer Experimentewird Geschichte so zum kollektiven Lernprozeß. Für Bauer gilt:»wir wollen nicht dasselbe Experiment wiederholen, zur Experimental-Politik ist immer nurEin Volk bestimmt, jedes hat andere Experimente zu machen, — wir wollen sehen, welchesExperiment uns vorbehalten ist, wenn dasjenige in Frankreich vollendet ist.«204 B. Bauervertritt nicht die Auffassung, daß das konstitutionelle System »über alle Völker und Staatenausgedehnt werden müsse; es ist nicht die notwendige Form jedes Staates, sondern nur einebestimmte Form der Staats-Idee überhaupt«. Es ist eine Form, die in Frankreich »in allenKonsequenzen durchgearbeitet wird, die aber nicht verspottet, als kläglich verhöhnt, son-dern verstanden werden will.«205

Und was ist der »Widerspruch im französischen Experiment«?206 Die Antwort:»Der Widerspruch dieser Verfassung und ihre für sie selbst tödliche Schwierigkeitliegt darin, daß die gesetzgebende und exekutive Gewalt immerfort, in jedemAugenblick ihrer Ausübung und notwendig miteinander in Kollision kommenmüssen.« Wenn die Legislative den »Willen« und die Exekutive die »Aktion« dar-stelle, so sei die Kollision unvermeidlich, »da der Wille und die Aktion nie mecha-nisch, äußerlich auseinander gehalten werden können«.207 Jeder Wille richte sichauf Aktion, und jede Aktion fuße auf einem Willen. Dies sei nicht nur eine auftre-tende praktische Kollision, weil jede Seite auf dem Felde des Handelns die anderezu annektieren trachten müsse; die Theorie des Konstitutionalismus, namentlichdie Hegeische Rechtsphilosophie, irre, wenn sie annehme, in der konstitutionellenMonarchie sei »der Konflikt der konstitutionellen Gewalten zu vermeiden«.208

B. Bauer zufolge verfehlt Hegels Theorie der konstitutionellen Monarchie schontheoretisch ihren Versöhnungsanspruch, den Anspruch, organisches System derVermittlung zu sein.

Die französischen Parteikämpfe zwischen Guizot und Thiers stehen für dieseKollision. Guizot wolle die agierende Exekutive gegen die »Übergriffe der Gesetz-gebenden sicher stellen.« Guizots Polemik sei vergleichbar mit der absoluten Prä-destinationslehre Calvins: »der Unterschied der Gewalten soll absolut prädesti-niert und ein solcher sein, der fest, bestimmt und unveränderlich ist.« Thiers dage-gen verteidige die »Rechte des Willens«, der Legislative, die sich nicht mit der Prä-destination abfinden will, sondern eine ihrem Willen entsprechende Aktion, d. h.»eine parlamentarische Regierung« wolle.209 Die Kollision der Gewalten in derkonstitutionellen Monarchie zeige auch, daß Hegel sich geirrt habe in derAnnahme, daß »die Verfassung durch ihren vollendeten Mechanismus sich selbsttragen soll«.210 Die Ausbildung der »Gesinnung« in der »Form«, auf der die Kon-struktion beruhe, sei keineswegs gesichert, vielmehr breche der Widerspruch vonForm und Gesinnung wieder hervor.

Exemplarisch zeige sich dieser Widerspruch in der Frage: »muß der Fürst unbe-dingt und ohne Rücksicht auf seine eigene Überzeugung alle Akte des gesetzgeben-den Korps bestätigen?« Der konstitutionellen Theorie zufolge erhalten die Akteder Legislative erst Gesetzeskraft durch die Unterschrift des Fürsten, für Hegel einrein formeller Akt, bei dem nur einer da sein müsse, der den berühmten Punkt aufdas >i< setzt. B. Bauer greift dagegen auf Mirabeau zurück, der den Konflikt vonForm und Gesinnung weitaus realistischer entfaltet und an dessen Darstellungen

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abzulesen sei: »Eine Bestätigung durch ein willenloses Organ ist ein Unding, isteine Absurdität.« Die französische Entwicklung zeige gerade, wie sehr »der Fürst«allen Scharfsinn seines Geistes, alle mögliche List anwenden muß, um seine persön-liche Gesinnung durchzusetzen.«211

Im Zentrum der Analyse steht dabei Louis Philippe, dessen Politik für B. Bauerdeutlich macht, wie unhaltbar Hegels konstitutionelle Theorie ist. Seit 1830 streiteman sich darüber, »ob Louis Philippe aufrichtig an der Chatte festgehalten oderseinen Verstand (...) nur dazu angewandt habe, um die Verfassung zu einemSchein zu machen«. Diese Frage ist für B. Bauer gleichbedeutend mit der, »ob dieDurchführung der konstitutionellen Verfassung selbst eine solche sein müsse, wel-che das Prinzip zum Teil zu einem Scheine macht.«212

B. Bauer bejaht diese Frage. In den letzten zwölf Jahren habe sich die Ansichtdurchgesetzt, daß die Politik Louis Philippes »der vollendetste Ausdruck desMachiavellismus sei, nämlich der Kunst, die Parteien auf den Punkt zu bringen, wosie sich selbst und jedermann anwidern, wo sie den Glauben an sich selbst verlieren,sich selbst aufgeben und in der allgemeinen Gleichgültigkeit untergehen.« LouisPhilippe, »Meister in der Kunst, die Partei-Häupter abzunutzen«, habe sich »zumabsoluten Herrn über sie gemacht«. Für B. Bauer ist dies eine Konsequenz desKonstitutionalismus, der daher keine adäquate staatliche Form für die Konkurrenzpolitischer Parteien ist. Für die Junghegelianer steht nun zur Debatte, »ob die kon-stitutionelle Verfassung selbst diese Luftpumpe ist, welche den Partei-Häupterndie Lebensluft nimmt.«213

Dem konstitutionell nicht zu verhindernden Machiavellismus des Fürsten ent-spricht auf der anderen Seite die »Gährung der Massen«. Sie betrachten die konsti-tutionellen Kämpfe »als ein lächerliches Spiel«.214 Noch habe das >Prinzip< derMassen »nicht die Klarheit, Reinheit und Bestimmtheit gewonnen, in der es schongeschichtlich werden könnte«, auch seien noch keine »plastischen« Führer derMassen in Sicht, aber B. Bauer ist sicher, daß es sich um eine »Gährung« handelt,die die Auflösung der Widersprüche des Konstitutionalismus ankündigt. Wenn»das Volk gegen die bisherigen Parteien gleichgültig zu werden anfängt, so liegt derGrund nur darin, weil es eine neue Macht ahndet, eine einfachere und faßlichereParole erwartet und der nahen Zukunft im Voraus sich zuwendet.«213

Wo finden sich in Deutschland Entsprechungen für das französische historischeExperiment des Konstitutionalismus? B. Bauer nennt zum einen den Streit in derHegelschule. Hier hätten die älteren Schüler Hegels »die zwei Gewalten des Glau-bens und Wissens, der Offenbarung und der Vernunft, der göttlichen Macht undder menschlichen Freiheit ( . . . ) in konstitutioneller Weise zu lösen, zu vermittelnund in Einheit zu setzen gesucht«, und wie in Frankreich hätten sie sich in derDurchführung dieses Projekts »in eine fast unendliche Menge von Sekten, Parteienund Fraktionen zersplittert.«216 Zum anderen könne man die Widersprüche desKonstitutionalismus anhand der Konflikte studieren, die in Baden und in Hanno-ver stattgefunden hätten. Und B. Bauer mahnt auch hier: »Redet nicht so verächt-lich von den Verwicklungen, die sich in den deutschen konstitutionellen Staatengebildet haben«.217 Vom neuen Standpunkt der politischen Partei aus werden dieProbleme der konstitutionellen Monarchie und die Probleme der konstitutionel-len Philosophie< zusammengedeutet.

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Geschichtlich maßgeblich aber bleibt für B. Bauer das historische ExperimentFrankreich, dessen Ausgang 1842 »noch im Schoß der Geschichte verborgen«liegt. Dennoch geht B. Bauer einen Schritt weiter; aus den Widersprüchen desKonstitutionalismus sei»die Existenz derjenigen Partei in Frankreich zu erklären (. . .), die daran verzweifelt, daßaus dem Iconstitutioneüen Prinzip ihr Heil hervorgehen könne und die deshalb ihr Augenach Nordamerika gerichtet hat. Dort, meint sie, sei der konstitutionelle Widerspruch zwi-schen Form und Gesinnung aufgehoben, weil der Chef der exekutiven Gewalt je nach demherrschenden System wechselt, also nicht beständig mit dem allgemeinen Willen in Kollisionzu kommen braucht.«218

Wäre das eine Lösung? Wenn in der konstitutionellen Monarchie die politischenParteien zwischen dem Machiavellismus der Exekutive und der Gleichgültigkeitder Massen aufgerieben werden, ist ihre Wirksamkeit und Lebensfähigkeit, dieKonkurrenz der Prinzipien, dann nicht besser garantiert, wenn die parlamentari-sche Mehrheit ihren Willen, ihr »System« als Aktion ihrer Regierung realisiert?Können so die Massen an »Prinzipien« gebunden werden? Vor die Alternativegestellt, ob die Exekutive die Legislative »zur Illusion« herabwürdigt, oder ob die»exekutive Gewalt (. . .) der parlamentarischen als Beute«219 anheimfällt, entschei-den sich die Junghegelianer für die letztere. Sie gehen im Laufe des Jahres 1842 zurDiskussion der parlamentarischen Demokratie über.

c) Liberale Partei, radikale Partei

Ruges »Selbtskritik des Liberalismus«, mit der er 1843 die DJ eröffnet, kann alsAbschluß der Phase gewertet werden, in der die Junghegelianer aus den Wider-sprüchen des Konstitutionalismus die Konsequenz ziehen, sich als radikale Parteider Demokratie zu definieren. Die konstitutionelle Monarchie ist Rüge zufolge »einhölzernes Eisen«, denn: »Der liberale Souverän wünscht, daß seine Untertanen freisind, ihm aber natürlich die Souveränität lassen; die liberalen Untertanen wün-schen, daß der König sie frei macht, aber die Souveränität natürlich für sichbehält.« Rüge fordert jetzt die »Auflösung des Liberalismus in Demokratismus«.220

Was aber bedeutet »Demokratismus«, was »Liberalismus«, den Rüge zwei Jahrezuvor als »Weltmacht« gefeiert hatte?

Die Verfassungsdiskussion der Junghegelianer ist - daran muß erinnert werden- eine Diskussion, in der sie ihr Selbstverständnis als politische Partei klären.»Liberalismus« und »Demokratismus« bezeichnen nicht lediglich Verfassungssy-steme, es sind zugleich Parteinamen, die die Gruppe programmatisch einen sollenund mit denen sie sich von anderen Parteien unterscheiden will. Der Begriff »Libe-ralismus«, auf den die Junghegelianer zunächst eingeschwenkt waren, erweist sichjedoch im Zusammenhang der Verfassungsdebatte als zu ungenau, er muß kritisiertwerden.

Ruges »Selbstkritik« nennt zunächst historische Bezüge. Als Konstitutionalisten,die sich auf das Verfassungsversprechen des Königs von 1815 bezogen, haben dieJunghegelianer sich in den Rahmen einer Kontinuität liberaler Bestrebungengestellt; jetzt bricht Rüge diese Kontinuität auf. Er bezieht sich auf die »radikalenDemokraten« der Freiheitskriege und geht davon aus, daß mit der Reaktionspe-

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riode »der Keim der demokratischen Partei in Deutschland erstickt« worden sei.Besiegt worden seien hier die »Demokratie und die Menschenrechte der Revolu-tion. Noch mehr, die demokratische Partei ist vernichtet.« Das neue historischeSchema geht davon aus: »Die Entwicklung Deutschlands in politischer Hinsichtbricht da ab, wo die Demokratie der Regenerationsperiode vernichtet wird.«221

Der »Liberalismus« wird historisch zu einem sekundären Phänomen, er ist her-abgesetzt zu einem »theoretischen Sohn der früh verstorbenen demokratischenPartei«. »Liberalismus« ist »die Freiheit eines Volkes, welches in der Theorie stek-kengeblieben.«222 Der Begriff signalisiere verschwommene Haltungen, bei denenmangels praktischer Bestimmtheit nur der »gute Wille« zur Freiheit zu erkennensei. Ob eine liberale Partei überhaupt existiere, sei zweifelhaft.

Die RhZ ergänzt die Rugesche »Selbstkritik«. Historisch sei der Liberalismus»eine sehr komplizierte Erscheinung« gewesen, »er war keineswegs eine Phase desDemokratismus«, er »war nichts als das Gegenteil, der contre-coup einer systemati-schen Reaktion«. Der Integrationsnenner des Liberalismus sei die Reaktion gewe-sen, sie »sammelte oder zwang alles, was sie gegen sich in den Kampf rief, in einekünstliche Partei, sie schuf ein künstliches Produkt, in dem die verschiedenstenElemente und Richtungen sich zusammenfanden und das etwa den Anblick einerMasse darbot, die sich unter einem dauernden, schweren Drucke kristallisiert hat«.So sei das Gemeinsame des Liberalismus nur negativ gegen die Reaktion zu bestim-men gewesen, aber dieser »alte Liberalismus«, »diese Partei mußte natürlich jedeAntwort auf die Frage: was nach dem Siege geschehen solle, ablehnen, sie mußteund konnte dies lediglich >der Zukunft anheimstellen^«223 Jetzt stehe zur Diskus-sion, wie die positiven Zielvorstellungen einzelner Tendenzen aussehen und obesgemeinsame Grundlagen gibt.

Der positive Differenzierungsprozeß setzt 1842 ein, zunächst noch als Differen-zierung verschiedener Liberalismen. Die Sprachregelungen setzen sich erst lang-sam durch. »Was bezeichnet man heutzutage nicht alles mit dem Worte liberal!«,ruft E. Bauer aus, und er muß feststellen: »Es ist wirklich beinahe so, daß, wennman die verschiedenen Arten von Liberalität durchnehmen wollte, die es in Berlingibt, man die Meinung jedes einzelnen, welcher sich liberal nennt, anführenmüßte.«224 Es fehlten Zeitungen für die »Aufklärung und Läuterung« der Positio-nen, daher sei die Gefahr gegeben, daß bloß »eine große Menge kleiner Geister«durch die »glänzende Außenseite« des Wortes >liberal< angezogen würden. Nimmtman diese Gruppe hinzu, so kommt E. Bauer auf drei Typen von Liberalen: die»Ziffern-Liberalen«, die »sich mit flachen Räsonnements aufblähen«, die »vermit-telnden oder juste-milieu-Liberalen«, und die, »welche allein mit Recht Liberalegenannt werden können.« Letztere sind die »wahren Liberalen«, »welche die hoheMacht der Wissenschaft und die Würde der menschlichen Vernunft als die einzi-gen Potenzen ansehen, welche dem Staatsorganismus wahres Leben mitzuteilen«vermögen.225 Die definitorische Offensive für das, was wahrhaft >liberal< genanntwerden kann, liegt seit 1842 bei der junghegelianischen Partei, d. h. bei denen, dieauch die Verfassungsdiskussion vorantreiben.

Wie die definitorische Offensive vorangetrieben wird, zeigt die anonyme junghe-gelianische Schrift »Staat, Religion, Partei« (1843), die vielleicht von E. Bauerstammen könnte. Hier heißt es:

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»Es gibt einen Liberalismus der ungründlichen Bequemlichkeit, und es gibt einen Liberalis-mus der unbequemen Gründlichkeit. ( . . . ) Der erstere ist der Liberalismus par excellence,für den anderen gibt es keinen hervorstechenden Namen, weil er eben nichts Besonderes,sondern etwas Allgemeines, Wissenschaftliches ist: die einen nennen ihn Demokratismus,die einen Schwärmerei, die einen Radikalismus, die einen gar Nihilismus.«226

Präziser sind die Verfassungstheorien zu differenzieren. Insgesamt sind es drei,auf die sich die Debatte zu konzentrieren hat: auf »den Staat des gesunden Men-schenverstandes (die Liberalen), den Staat der Individualität (die Legitimisten),den Staat der Prinzipien und der Theorie (die Radikalen).« Mit den Legitimisten seikeine Diskussion zu führen, »denn nicht der Vemunftsatz, sondern das rohe Fak-tum ist ihnen das Höchste.« Kernpunkt der Kritik an der liberalen Auffassung ist,»daß dieser Staat des gesunden Menschenverstandes eine ganz abstrakte Macht ist,die, weil sie nicht in den Gemütern, nicht im Geiste der Menschen existiert, son-dern ihnen äußerlich und tyrannisch gegenübersteht, die Persönlichkeiten nicht zuihrem Recht, nicht zur freien Entwicklung ihres Willens und ihrer Einsicht gelan-gen läßt.« Im Unterschied dazu betont der Radikale: Die »Staatsformen hängenganz genau mit dem politischen Bewußtsein der Staatsangehörigen zusammen; siesind Ausdrucksweisen desselben«. Präzisiert wird diese Bestimmung: »Freilich,jede Regierung basiert auf dem Bewußtsein des Volkes, aber nicht jede Regierungist eine bewußte Schöpfung desselben.« Dies sei nur möglich, wenn die Scheidungdes Liberalismus »zwischen privater und politischer Überzeugung« aufgehobenwerde. Das »philosophisch-politische Bewußtsein« der Radikalen will »in seinerRegierung den Ausdruck seiner selbst sehen; es verlangt eine Selbstregierung.227

Bei seinem Versuch, eine kohärente politische Theorie des vormärzlichen Radi-kalismus, die vom Liberalismus der Zeit klar unterschieden ist, zu rekonstruieren,macht P. Wende deutlich, daß die Differenz von liberal und radikal wohl in derFrage der konstitutionellen Monarchie ihren Ausgangspunkt nimmt, daß sichjedoch mit dieser Frage zugleich eine tiefergehende Differenz abzeichnet. Entschei-dend für den Liberalismus ist, daß er der Erfahrung des Auseinandertretens vonStaat und Gesellschaft im Vormärz in spezifischer Weise begegnet. Es geht um Ver-suche, einen innerstaatlichen Ausgleich zu erzielen, sei es als Versuch der »orga-nisch-konstitutionellen Liberalen«, an die historisch gegebene Bipolarität vonFürst und Ständen anzuknüpfen, oder als Versuch des »naturrechtlich-parlamenta-rischen Liberalismus«, zwischen Regierung und Volk, Staat und Gesellschaft: For-men der Kräftebalance anzustreben. In beiden Versuchen gehe es nicht um eineAufhebung dieser Dualismen, die Liberalen streben stattdessen »ganz bewußtlediglich den Ausgleich der widerstreitenden Kräfte durch die kunstvolle Etablie-rung eines innerstaatlichen Gleichgewichts an, das im harmonischen Miteinandervon Regierungsgewalt und Volksvertretung gewährleistet sein soll.«228

Im Unterschied zu diesen Auffassungen, die etwa bei Dahlmann wie auch beiRotteck anzutreffen sind, ist Wende zufolge die Tendenz zu einer monistischen Fas-sung von Staat und Gesellschaft für den vormärzlichen Radikalismus bestimmend.Monistisch ist z. B. die These: »Jede Gesellschaft, die sich vollkommen auf sichstützt und nach eigenem Willen bewegt, jede souveräne Gesellschaft, ist Staat«.229

Für die These, Strukturmerkmal des vormärzlichen Radikalismus sei eine monisti-

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sehe Fassung von Staat und Gesellschaft, sprechen nicht nur die Auffassungen vonRüge und Nauwerck, die Wende untersucht hat, vielmehr tendieren alle Junghege-lianer, wo sie sich als politische Partei des Radikalismus definieren, zu monistischenLösungen.

Allerdings geraten die monistischen Ansätze im Prozeß des Durchdiskutierensdes Staates noch einmal in Bedrängnis. Die Junghegelianer beruhigen sich nicht mitder Differenzierung von liberal-radikal; in dem Maße, in dem sie die Abgrenzunggegen den liberalen Dualismus vertiefen und monistische Lösungen imaginieren,wird die politische Sphäre insgesamt zur Diskussion gestellt. Drei Streitpunkte derDebatte seien hervorgehoben: 1. die Frage der Selbstregierung und der Repräsen-tation, 2. die Frage nach den Grundlagen des Staates (das Verhältnis privat/öffent-lich) und 3. die Frage nach der politischen Qualität des Radikalismus.

Für den Übergang von der Verteidigung des Absolutismus zur konstitutionellenMonarchie ist Rüge theoretisch führend gewesen, die Widersprüche des Konstitu-tionalismus wurden in der Gruppe zunächst von B. Bauer prägnant entfaltet, in derDiskussion des politischen Radikalismus ergreift E. Bauer die Initiative. Seine The-sen sind in der Forschung kaum gewürdigt worden, teils wurde er kurzerhand mitseinem Bruder Bruno in theoretische Sippenhaft< genommen, teils gilt er als epigo-naler Schriftsteller.230 Auch die Anarchismusforschung hat E. Bauer weitgehendvergessen, obwohl er noch vor Stirner und mit mehr Recht in die Ahnenreihe desAnarchismus aufzunehmen wäre.231

Im Sommer 1842 eröffnet E. Bauer in der RhZ die Debatte um den politischenRadikalismus, indem er zunächst die monistische Kritik am liberalen Dualismusentfaltet.232 Er trifft dabei nicht nur die >organisch-konstitutionellen Liberalem<,sondern seine Thesen sind schon entschieden auf die >naturrechtlich-parlamentari-sehen Liberalen< zugespitzt.

Er kritisiert wiederholt die durchgängige Tendenz der Liberalen: »man teilt denStaat in zwei Heerlager. Man macht aus der Deputierten-Kammer eine Versamm-lung, die dazu da isi, die Regierung argwöhnisch zu belauern, zu bekämpfen, ihrKonzessionen zu machen oder sich solche machen zu lassen.« Aus dem Dualismusfolge notwendigerweise »der Kreistanz der Garantien«.233 Der Liberalismusgelange überhaupt nicht zur Ausbildung freier Institutionen. Der Liberale erblicke»in der Einherrschaft kein Prinzip, sonst würde er wissen, daß man mit einem Prinzip nichtunterhandeln kann, er erblickt in ihr nur eine Gefahr. Und ebenso sieht er die Volksherr-schaft an. Nun ist schon das unbegreiflich, wie sich zwei Gefahren aufheben sollen, dadurch,daß man sie zusammenbringt, und, das ist vor allem hervorzuheben, das ganze Wesen desStaates wird durch diese Anschauung verdreht und korrumpiert. Nämlich so: Alle Staatsin-stitutionen werden angesehen als Einrichtungen, die nur der Sicherheit wegen da sind.Nicht aus dem Volksgeiste sind sie hervorgegangen, sie sind nur, um zwei feindseligeMächte, die ewig im Kriege liegen, zu beschränken.«234

In dieser Perspektive verwandle sich alles in ein Kontrollsystem:»Die Volksrepräsentation wird eine Kontrolle, die Pressefreiheit wird eine Kontrolle, dieÖffentlichkeit wird eine Kontrolle. Dies alles müsse eingeführt werden, meint das Juste-Milieu. Aber es leitet die Notwendigkeit hiervon nicht aus dem Prinzip ab, nicht daraus, weil

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das Volk zum Bewußtsein seiner Rechte und der Vernünftigkeit jener Institutionen gelangtsei, sondern weil es die Einherrschaft kontrollieren müsse.«

Der Dualismus im liberalen Denken zeigt sich E. Bauer zufolge auch in der kon-stitutionellen Fassung der Vertragstheorie. »Das konstitutionelle Staatsrecht grün-det sich auf den Vertrag zwischen Fürst und Bürger. Dieser Vertrag wird geschlos-sen, um die natürlichen Rechte des Menschen durch den Rechtsstaat zu sichern;und diese Sicherheit erhält man durch Garantien.« Dieses Vertragsmodell ist fürE. Bauer nicht akzeptabel. Wie ein Vergleich von Hobbes und Rousseau zeige,könnten auf Vertragstheorien die »verschiedensten und widersprechendstenSysteme gebaut werden.« Außerdem sei die naturrechtliche Argumentation an sichzweifelhaft.»Eben so wenig, wie wir sagen können, daß die Menschen sich die Sprache durch Überein-kunft, Vertrag gegeben haben, eben so wenig dürfen wir behaupten, daß sie durch Vertragin Gesellschaft getreten sind. So wie sie dachten, sprachen sie, und so wie sie dachten undsprachen, sahen sie sich in Gesellschaft.«

Der Rekurs auf Naturzustand und Naturrecht habe nur einen Sinn, wenn mannicht von den >ersten< Menschen, sondern von der entwickelten Gesellschaft aus-geht.»Im wahrhaften Naturzustande, d. h. in dem, welcher seinem Wesen angemessen ist, befin-det sich der Mensch nur dann, wenn er sich in der möglichst komplizierten und zivilisiertenGesellschaft befindet. Und somit hat er nicht seine Rechte als Zugabe, als etwas unmittelbaran ihm Haftendes, er entwickelt sie sich erst und macht sie sich in der Gesellschaft.«

Was die >Naturrechte< meinen, ist das Resultat eines historischen Prozesses.»Die Bildung der Gesellschaft bringt erst die Rechte hervor, und je höher diese Bildung ist,je mehr sich diese Gesellschaft dem Staate nähert, desto größer, desto erhabener werden dieRechte des Menschen. Recht und Staat hängen also ihrem Wesen nach unmittelbar zusam-men; kein Staat ohne Rechte, keine Rechte ohne Staat, und daher gibt es keine Naturrechte.Schon hieraus sehen wir, daß eine Gesellschaft, welche zusammentretend ihre Rechte schonfertig mitbringt, und sich dieselben vertragsmäßig garantiert, ein Unsinn ist.«

Wenn von >Naturrechten< sinnvoll geredet werden soll, so können sie allenfallsauf einer späteren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung erscheinen. Gesell-schaft sei auf allen Stufen, dem archaischen Eroberungsdespotismus, dem König-tum von Gottes Gnaden, dem aufgeklärten Despotismus und dem »freien Staat«,gegeben, aber sie»entwickelt sich, sie bringt sich hierdurch alle Stufen, die sie zu durchlaufen hat, zu Bewußt-sein; sie lernt. Und indem sie lernt, so wird sie berechtigt, bildet sie ihre Rechte immer mehraus, was nichts anderes sagen will, als daß sie immer vernünftiger wird. So macht sie die Ver-nunft immer mehr zur Grundlage ihrer Institutionen, lernt sich in ihrer Kraft und Macht-quelle kennen; sie wird - souverän. Und nur dann, wenn sie das vernünftige Bewußtsein zuihrem heiligsten Eigentum gemacht hat, in welchem Alle gleich sind, weil sie Alle gleichenTeil daran haben, nur dann hat sie auch das Bewußtsein des Vertrages, nur dann bildet sieeinen auf Vertrag gegründeten Staat.«

Es handelt sich bei E. Bauer nicht einfach um eine historische Begründung desNaturrechts und der Vertragstheorie, vielmehr führt er die historische Perspektive

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weiter. Man dürfe den Vertrag der entwickelten Gesellschaft »nicht falsch auffas-sen. Eine Gesellschaft, die so vernünftig ist, ihre Rechte zu erkennen, wird auch sovernünftig sein, sie zu behalten und sie nicht in demselben Augenblick, wo sie sieerkannt hat, wieder verschenken.« Im Innern der Vertragstheorie ist das Problemder Repräsentation verborgen, auf das E. Bauers Argumentation zielt.

Die Frage, ob das demokratische System der Selbstregierung mit dem Institutder Repräsentation vereinbar ist, wird von E. Bauer verneint. Seine These, die anRousseau anschließt, lautet: »Der Wille kann nicht repräsentiert werden.«235 Selbstunter den Bedingungen eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts, sei eine Wil-lensrepräsentation sachlich unmöglich.»Auf welche Weise soll eine Gemeinde ihrem Vertreter ihren Willen kund geben? Sie mußihm denselben schriftlich in einem Hefte oder mündlich mitteilen. Will er nun der wirklicheVertreter des Willens seiner Gemeinde sein, so darf er selbst keinen Willen, keine Macht,selbständig sich zu entscheiden, haben, er darf keine Gegengründe anhören, sich nicht über-zeugen lassen, er muß selbst willenlos sein.«

Der Vertreter brauchte an seinen Abgeordnetenplatz lediglich »sein Heft zulegen, weil er in der Tat nichts sein dürfte, als ein lebendiges, atmendes Heft.« DieRepräsentation des Volkswillens schlösse so die Diskussion der Abgeordneten aus.Da aber niemand sich so herabwürdigen lassen dürfe, als bloßes Instrument zu gel-ten, entsteht eine Diskussionsnotwendigkeit. Die Konsequenz ist: »dadurch, daßman in einer Deputiertenversammlung spricht, erklärt man sogleich, daß man selbstetwas sein will, d. h. daß man nicht mehr Vertreter ist, nicht >Repräsentant<.«Sobald der Abgeordnete zu diskutieren beginnt, Argumente und Gegenargumenteentfaltet, vertritt er »nicht mehr den Willen, man vertritt nur noch die Intelligenz.«Das heißt, der Sache nach haben die Abgeordneten die Funktion von Beratern.»Und so sollten sie auch bloße Berater bleiben und dem Volke das Recht lassen, inseinen Gemeindeversammlungen seine Gesetze anzunehmen oder zu verwerfen.Denn nur dann wären diese - dem Prinzipe nach - wahrhafte Volksgesetze.« WasE. Bauer ins Spiel bringt, ist eine Form direkter Basisdemokratie.

Repräsentation und Selbstregierung schließen einander aus, denn: »sowie dieRepräsentanten gewählt sind, sind diejenigen, welche stets Staatsbürger sein soll-ten, nichts als Privatpersonen.« Die Form der Repräsentation hat daher auch Kon-sequenzen für die Entwicklung der Parteien, die nur noch als Dualismus von Regie-rungspartei und Oppositionspartei auftreten, ein Dualismus, in dem sich die Bipo-larität von Volk und Fürst wiederholt. »Parteien soll es zwar immer in einem Staategeben, aber eben in einem Staate. Nicht soll eine Partei dem Staate gegenüberste-hen, oder was dasselbe ist, sich allein für den Staat betrachten.« Daß Parteien imStaate existieren, ist im strengen Sinne nur möglich, wenn der mit der Repräsenta-tion einhergehende >Rückfall< der Staatsbürger in den Privatpersonenstatus aufge-löst wird.

d) Demokratischer Monismus und Abschaffung des Staates

Um die Jahreswende 1842/43 konzentriert sich die Staatsdiskussion der Junghege-lianer auf die Spaltung von privat und öffentlich, die den monistischen Lösungsver-suchen widerstreitet. Der Artikel »Betrachtungen über Liberalismus und Zensur«,

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der im Januar 1843 in der RhZ erscheint, greift die E. Bauersche Argumentationauf. Der Artikel ist mit S. unterzeichnet; inhaltliche und stilistische Eigenheitenrechtfertigen es, Stirner als möglichen Verfasser ins Auge zu fassen.236

Stirner greift Ruges Diktum von der Auflösung des Liberalismus in Demokratis-mus auf und versucht, die Parteidifferenz zu präzisieren. »Wir Liberalen, sprichtMichel Liberalis, sind wackere, vortreffliche Leute, wenn wir nur könnten wie wirwollten, was würden wir nicht alles wollen.« Der Liberale brächte es immer nur zuder Versicherung, »daß er überhaupt wolle, diesen Willen aber nie auf einbestimmtes fixiert.« Er setze »sich auf einen Isolierstuhl, die Regierung (. . .) aufden anderen, den anderen nicht liberalen Rest auf den dritten.« Es handelt sich um»die vollkommenste Atomistik, der pure politische Tod«, weil zwischen demGemeinwesen und der privaten Existenz, zwischen dem allgemeinen Wollen unddem bestimmten Wollen eine Spaltung vorhanden sei. Stirner fragt:»Wofür mühen wir uns ab, was ist unser Dichten und Trachten, was ist das summumbonum, der Götze, dem wir opfern? Antwort: Die Behaglichkeit des Privatlebens und seineGenüsse. In dem großen Strome der bürgerlichen Gesellschaft, in diesem Systeme derBedürfnisse kommt es vor allem darauf an, daß Nahrung und Kleidung, Wohnung und Kin-dererzeugung bestehen.«

Diese Orientierung bestimme das Verhältnis zum Staat. Er sei dann »eben nichtsweiter, als der große Rahmen der Möglichkeiten und Chancen, um zu dem Vollge-nuß dieser isolierten Existenz zu kommen«. Die Regierung, die dieser Liberalismusaus sich entlasse, entspreche dem, »was er selbst ist. Sie ist nicht aus dem Mondeher, sie ist seine eigene Regierung«.

Auch die Regierung folge dem atomistischen Prinzip, hier lägen die Wurzelneiner isolierten Bürokratie, die zentralisieren und zensieren müsse, um parallel dazuzu versichern, daß sie das Allgemeine wolle.»Das Verhältnis dieser egoistischen Isolierung, wonach jeder nur an sich denkt und an seinprivates, profitables Bestehen und danebenher versichert, die Freiheit zu wollen, ist unseresErachtens das charakteristische Merkmal des Liberalismus, den die Jahrbücher nicht woll-ten, und der fortan nicht sein soll.«

Stirner interpretiert Ruges Forderung in Frageform dahingehend, »daß man die-sen so beschaffenenen Liberalismus geradezu umzukehren habe, und diese seineUmkehrung, der Demokratismus sei, wonach der Liberale zum Demokraten, d. h.aus einem unpolitischen in ein politisches Tier< umzuwandeln sei?« Stirner über-setzt zu diesem Zeitpunkt die ökonomischen Schriften von Smith und Say; die Spal-tung von isolierender wirtschaftlicher Orientierung und einer allgemeinen politi-schen Sphäre der bürgerlichen Freiheit ist ihm vertraut, und er bringt dies in dieDebatte ein. Die liberale Partei wäre also diejenige, die diese Spaltung affirmiert,die vom isoliert wirtschaftenden »unpolitischen Tier« ausgeht, die demokratischePartei politisiert dagegen die Sphäre der isolierten Bedürfnisse.

Marx greift in seinem unveröffentlichten Manuskript zur Kritik des HegeischenStaatsrechts, geschrieben März bis August 1843, die in der Debatte entwickeltenPositionen auf. Wie B. Bauer kritisiert er am Konstitutionalismus die »Transaktio-nen zweier gegensätzlicher Willen«:,237 und er reflektiert die von E. Bauer aufgewor-fene Frage der Repräsentation ebenso wie die von Stirner akzentuierten Thesen zurSpaltung von privat und öffentlich.

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Der bürgerliche Staat habe »die sonderbare Erfindung gemacht, die »allgemeineAngelegenheit als eine bloße Form sich anzueignen«. Dagegen sei die »Demokratiedas aufgelöste Rätsel aller Verfassungen.« Demokratie ist nicht bloß Form.»In der Demokratie ist das formelle Prinzip zugleich das materielle Prinzip. Sie ist daher erstdie wahre Einheit des Allgemeinen und Besonderen. In der Monarchie z. B., in der Republikals einer nur besonderen Staatsform, hat der politische Mensch sein besonderes Daseinneben dem unpolitischen, dem Privatmenschen.«

Die Aufhebung der Trennung von bürgerlicher Gesellschaft und politischemStaat sei erst in der Demokratie gegeben, weil erst hier der »abstrakte Staat aufge-hört (hat), das herrschende Moment zu sein«. Die bloß »politische Republik«, wieMarx den Konstitutionalismus und Liberalismus nennt, ist bloß eine unvollendeteDemokratie, sie ist »die Demokratie innerhalb der abstrakten Staatsform«.238

Die Aufhebung der Spaltung von privat und öffentlich hat Konsequenzen für dieFrage der Repräsentation. Findet eine »Trennung des politischen Staats und derbürgerlichen Gesellschaft statt, dann können nicht Alle einzeln an der gesetzgeben-den Gewalt teilnehmen; der politische Staat ist eine von der bürgerlichen Gesell-schaft getrennte Existenz.« Dieser könne die Bürger als Gesetzgeber »nur in einerForm ertragen, die seinem Maßstab angemessen ist.« Das Institut der Abgeordne-ten folge dieser Notwendigkeit. Wäre die bürgerliche Gesellschaft eine »wirklichepolitische Gesellschaft«, dann

»verschwindet die Bedeutung der gesetzgebenden Gewalt als einer repräsentativen Gewaltgänzlich. Die gesetzgebende Gewalt ist hier Repräsentation in dem Sinne, wie jede Funktionrepräsentativ ist, wie z. B. der Schuster, insofern er ein soziales Bedürfnis verrichtet, meinRepräsentant ist, wie jede bestimmte soziale Tätigkeit als Gattungstätigkeit nur die Gattung,d. h. eine Bestimmung meines eigenen Wesens repräsentiert, wie jeder Mensch der Reprä-sentant des andern ist. Er ist hier Repräsentant nicht durch ein anderes, was er vorstellt, son-dern durch das, was er ist und tut.239

Marx bricht das Manuskript im August 1843 ab. Marxsche Abbrüche sind her-ausfordernd. Dies gilt nicht nur für das Kapitel über die Klassen am Ende des drit-ten Bandes des >Kapital<,240 sondern auch hier. Mit dem § 313, bei dem Marxabbricht, ist das innere Staatsrecht bei Hegel noch nicht zu Ende. Es werden vonMarx nicht kritisiert die Ausführungen zur Öffentlichkeit als bildendem Schau-spiel, das Verhältnis von Wissenschaft und öffentlicher Meinung, also genau dieFragen, die für die Parteidiskussion von Bedeutung sind.241 Stieß die Fortsetzungdes Manuskripts auf unüberwindliche theoretische Schwierigkeiten? Ich möchtedies Problem der Marx-Forschung überlassen.

Sicher ist, daß in dem August, als Marx abbricht, E. Bauers Hauptwerk »DerStreit der Kritik mit Kirche und Staat« erscheint.242 Hier wird der Prozeß desDurchdiskutierens des Staates einen solch beachtlichen Schritt weitergebracht, daßsich für Marx sein eigener Ansatz als diskussionsmäßig überholt hätte darstellenkönnen.243 E. Bauer bringt die Frage ins Spiel: »Ist es möglich, einen freien Staat zuerlangen, wenn noch die Unterschiede des Besitzes, des Standes, des Ranges demEinen ein Vorrecht vor dem Anderen geben sollen?« Und er antwortet: »JederStaat wird durch die sogenannten Oberen die sogenannten Unteren beaufsichtigen,bevormunden, beherrschen wollen: auch eine sogenannte republikanische Regie-

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rung wird sich, da sie nun einmal Regierung ist, nicht von Unterdrückungssuchtfernhalten können!«244

E. Bauer treibt nicht nur die Verfassungsfrage voran, er kritisiert die ganze bishe-rige Haltung der Gruppe in ihren politischen Debatten. Seine Diagnose:»Die Politik, wie wir sie trieben, war noch zu abstrakt: darum war sie bald erschöpft. Dennum was handelte es sich in ihr? Um den Staat, die Regierung, das Recht, das Gesetz! DerPolitiker fragt nur: welches ist der wahre Staat? Welches die richtige Regierung? Welchesdas höchste Recht? Diese Mächte selbst aber: Staat, Regierung, Recht und Gesetz stehenihm als ewig wahre Abstraktionen, als eine Aristokratie unantastbarer Heiligkeiten da! DiePolitik, wenn sie klar werden soll, muß über sich selbst hinausgehen, muß sich selber kritisie-ren.«245

E. Bauer thematisiert das Durchdiskutieren des Staates, das die Gruppe, indemsie sich als politische Partei konstituierte, in den letzten Jahren betrieben hatte, ineiner grundsätzlichen Weise. Er bezweifelt den Sinn der Debatte.

E. Bauer greift implizit den Orientierungspunkt der politischen Partei an, wenner zur Diskussion stellt, »ob nicht der Ausdruck >freier Staat< überhaupt einenWiderspruch enthalte, ob nicht die Redensarten von >gesetzlicher Freiheit< usw. insich falsch sind.« E. Bauer fragt weiter, »ob Selbstregierung nicht ein Widerspruchist«. Der Staat der Radikalen fordere, »daß der ganze Mensch, mit all seinen Kräf-ten und Leidenschaften, mit all seinem Denken und Tun in ihm aufgehe.« Aber die-ser Staat sei »um so tyrannischer, als er ein >freier Staat< zu sein behauptet.« Auchdie Regierung des Volkes würde»sich mit dem Ansehen und der Würde des Staates bekleiden müssen. Könnt Ihr also dieFreiheit des Menschen gegen sie wahren? Auf keinen Fall! Wollt Ihr aber eine ewig wech-selnde Regierung, so hebt Ihr das Wesen derselben auf, Ihr fordert eine Inkonsequenz, eineUnmöglichkeit, und wißt dabei nicht, daß Ihr über das Charakteristische des Staates schonhinausgeht.«246

Das Marxsche Zusammenfallen des Allgemeinen und Besonderen, des formellenund materiellen Prinzips, das in der Demokratie gewährleistet sein soll, ist ausE. Bauers Perspektive immer noch viel zu etatistisch. Er schreibt: »das gesellschaft-liche Leben, wo wirklich Alles gemeinsam ist, (. ..) ist kein staatliches mehr.«247

Diese Konsequenz zeichnet sich zwar bei Marx ab, wenn er die »neueren Franzo-sen« erwähnt, die die Auffassung vertreten, »daß in der wahren Demokratie derpolitische Staat untergehe«, aber wieder stark zurücknehmend ist die interpretie-rende Auskunft, daß er »qua politischer Staat, als Verfassung, nicht mehr für dasGanze gilt«248, d. h. harmlos als eine Gattungsäußerung neben andere Gattungsäu-ßerungen tritt. War für Marx die allgemeine Wahl quasi automatisch »innerhalbdes abstrakten politischen Staats die Forderung seiner Auflösung«™, so ist fürE, Bauer die allgemeine Wahl nur ein »Scheinmittel«, denn »kein Staat ist ohneZentralisation«, die allgemeine Wahl taste diese Zentralisation nicht im geringstenan.250

Mit dem allgemeinen Wahlrecht, das der politische Radikalismus fordere, wageer sich zwar »schon über das Gebiet des Staates hinaus, denn heißt seine Forderungetwas anderes, als es solle bei Staatshandlungen der Unterschied des Besitzes ver-schwinden?« Aber der politische Radikalismus übersehe, daß er hier schon auf

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einer Ebene argumentiere, die jenseits der politischen Sphäre liegt: »bei einemStaatsleben ist jene Forderung nie zu erfüllen oder, erfüllt, ohne Nutzen.« FürE. Bauer gilt: »Der Staat gründet seine Institutionen auf den Privatbesitz«, daherhätte ein allgemeines Wahlrecht ohne Aufhebung des Privatbesitzes zur Folge, daßmit ihm auch »die Bildungslosigkeit der Besitzlosen bleiben« würde, »Der Radikalewürde also nur eine Herrschaft der Dummheit einrichten«.251

Es ist unbestritten, daß in den junghegelianischen Diskussionskontext die sozia-listische Thematik in ihren frühesten prägnanten Formulierungen von M. Heß ein-gebracht wird. Aber was die Rezeption und Verarbeitung dieser Thematik in derGruppe angeht, so arbeiten Marx und E. Bauer zumindest zeitlich parallel. Aner-kannt werden muß auch, daß, Monate bevor Marx die berühmte Einleitung zurKritik der Hegelschen Rechtsphilosophie schreibt, in der das Hauptproblem dermodernen Zeit als Verhältnis der »Welt des Reichtums« und »politischen Welt«herausgearbeitet wird und dem Proletariat die historische Mission der »Auflösungder bisherigen Weltordnung« zugewiesen wird, sein Konkurrent E. Bauer bereitsoffen Sozialrevolutionäre Thesen publiziert hatte.253

So heißt es im August 1843 bei E. Bauer:»Kurz und gut: bei bestehendem Privatbesitz ist an keine Freiheit zu denken, weil der Besitzin direktem Widerspruch gegen sie steht. Er widerspricht der Freiheit des Einzelnen: dennich bin nicht frei, wenn ich durch das, was ich habe, die Freiheit des Anderen beeinträchtige:er widerspricht der Freiheit der Gesellschaft, weil diese nur auf Gemeinsamkeit gegründetsein darf. Ich bin noch kein echter Gesellschaftsmensch, ich fühle die Gattung noch nichtvollständig in mir, wenn ich noch etwas für mich haben, und durch das, was ich für michhabe, eines Vorteils genießen will. Wo alles gemeinsam sein soll, wo die Güter des Geistessich gleich verteilen sollen, da muß auch der Besitz gemeinsam sein.«253

Eingehend kritisiert wird die nur politische Revolution: »Soll die Revolution sicherfüllen, so muß die Freiheit weiter gefaßt werden, sie muß ihren ausschließlichpolitischen Charakter ablegen.« Denn: »Erst mit der Revolution, welche die Zer-störung staatlicher Formen beginnt, fängt die wahre Geschichte an, weil sie hierbewußt wird.« Galt die Geschichte zuvor als »Walten eines göttlichen Geistes«, so»wissen wir jetzt, daß die Menschen allein es sind, welche die Geschichte machen.«Zu diesem Bewußtsein gehört die Reflexion auf die sozialen Formen. »Freilich, füreuch sind die Formen nur etwas Äußerliches, weil ihr sie oberflächlich betrachtet.«Dagegen hält E. Bauer:»Formen, die aus dem Egoismus hervorgegangen, werden, solange sie bestehen, wiederumegoistische Menschen schaffen. (. ..) Der verbrecherische Hang der Menschen! Ihr müßtwissen, daß Verbrechen stets eine Folge, ein Erzeugnis dieser bestimmten Zustände sind:die Verbrechen sind die Ergänzungen der Institutionen, sind ihr umgekehrtes Bild.«254

Diese These wird ausgeführt an den Beispielen Privatbesitz/Diebstahl, christli-che Sittlichkeit/Immoralität, Ehe/Prostitution. Zwei Fragen schließen sich an: Wiesehen die freien gesellschaftlichen Formen aus? Wie sind sie herbeizuführen?

Die heikle Frage nach der Utopie wird von E. Bauer im Abschnitt »Die freieGemeinschaft« gestellt, eine Formulierung, die den nur politischen Begriff »Volk«ablösen soll.255 »Kannst Du uns eine Lebensform sagen, welche nach dem Unter-gange staatlicher Institutionen der Freiheit angemessener sein wird? Kannst Du

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uns eine Gesellschaft konstruieren, in welcher der Privatbesitz aufgehoben? (. . .)Zeige uns eine freie gesicherte Lebensform auf, und wir wollen dir gern beistim- men ! «256 Die Antwort, die Marx257 auf diese heikle Frage finden wird: das Utopie-verbot, sie findet sich bei E. Bauer prägnant vorformuliert: »Da antworte ich ganzeinfach, daß es nicht unser Amt ist, zu konstruieren. Kann doch keine neue Saatemporschießen, solange das alte Unkraut üppig wuchert!« Vorrang hat die Kritikdes Bestehenden in eine kontingente Zukunft hinein. Aber, so lautet die Gegen-frage: »Was ist das für ein Leben, an dessen Ende ihr euch gestehen müßt, ihr habtin ihm doch nichts Rechtes vor euch gebracht? (...) Was ist das für eine Freiheit,die nie auf Erden einkehren soll?« Ist das Utopieverbot überhaupt auszuhalten?E. Bauer: »Ich antworte dir, daß die Freiheit keine Zustände schafft, sondern nur aufhebt, daß sie den Menschen nicht zufrieden, sondern unzufrieden macht (...) Die Freiheit wird also so langein der Geschichte wirken, als es eben Geschichte gibt, (. . .). Wer übrigens eine sichereWahrheit haben will, der gehe doch zur Religion: sie predigt ewige Wahrheiten.«258

Auch diese Antwort hat ihre Gegenthese: »eure Negation läuft doch am Endeauf Träumereien hinaus, die aller reellen Basis entbehren.«239 Es dürfte kaum abzu-schätzen sein, wie oft in der Geschichte von Intellektuellengruppen, deren Theo-rien Praxis werden sollten, diese Gegenthese auf den Plan der Debatte gerufenwurde.

Das Durchdiskutieren des Staates nähert sich seinem Ende. Die neuen Formender »freien Gemeinschaft« sind nicht dogmatisch zu antizipieren, hier gibt es kei-nen Verfassungsentwurf mehr, in dem die politische Partei einen Platz hätte.E. Bauers Thesen gehen schon über die Form der politischen Partei hinaus. »Miteiner politischen Opposition lassen sich Unterhandlungen anknüpfen, Transaktio-nen anstellen, zumal da man nur selten selber klar und über das Mehr oder Mindermit sich im Reinen ist.« Die politische Partei bringt immer auch »Abfall von einerPartei zu anderen«, das Problem der »schwankenden Partei« mit sich.260

Und die >reelle Basis< für die Träumereien der >freien Gemeinschaft? E. Bauer nennt zwei Kräfte, die uns im dritten Kapitel dieser Arbeit noch weiter beschäftigenwerden: die theoretische Kritik und das Proletariat. Die Kritik zieht ihre Kraft dar-aus, »daß wir uns nicht auf das Bestehende gründen«, und »den praktischenAnknüpfungspunkt, die praktischen Streiter für das Neue haben wir an denen, wel-che durch das Alte am meisten litten: an den Besitzlosen.«261

E. Bauers Schrift von 1843, die ihm eine vierjährige Festungshaft einbrachte,mündet in eine leidenschaftliche Apotheose des Proletariats: »Keine Vandalen, keine barbarischen Haufen gleich denen, welche der alten Welt ein Ende machten, sind nötig, um den jetzigen Weltzustand zu zerstören. Unbekannte Waldungenbrauchen nicht halbnackte Eroberer auszusenden, um auf den Trümmern einer abgelebtenund desto stolzeren Bildung eine neue Lebensform zu begründen. Wir haben unsere nack-ten Wilden unter uns selbst, wir brauchen nicht weit zu suchen nach den Barbaren, an denenunsere aristokratische Bildung spurlos vorübergegangen. Im Innern der Staaten wird sichein Schlund auftun, der bisher verachtete Flammen ausspeit; mit einer Erschütterung, vorder unsere aristokratischen Bauwerke erzittern und in sich zusammensinken, wird er dieScharen der Unterdrückten gegen den rechtlich und gesetzlich geschützten Egoismus aus-

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senden. Es sind die Besitzlosen, welche dem hochmütigen Vorrechte ein Ende zu machenberufen sind.«262

Die historische Mission des Proletariats, das als reeller Träger der emanzipatori-schen Disiderate der Philosophie entdeckt wird, - dieser Ansatz kann, wenn mandie Position E. Bauers von 1843 zur Kenntnis nimmt, ebensowenig als ein exklusivMarxscher Ansatz bezeichnet werden wie das Utopieverbot, das bekanntlich denutopischen Frühsozialismus vom Marxismus, der sich auf die je stattfindende Klas-senbewegung bezieht, trennt. Systematisch betrachtet vertritt E. Bauer einen antiu-topischen Sozialrevolutionären Anarchismus, der auf das Proletariat setzt und seinerelevante Bewegung jenseits der Form der politischen Partei zu definieren sucht.Programmatisch heißt es: »Wir gehören zur Partei der Menschheit, darum stehenwir auf Seiten der Ausgeschlossenen.«263 Die Partei, die die Philosophie hier macht,darf gerade nicht politisch sein, weil in der Sphäre des Politischen Ausschließungs-formen zum Zuge kommen, die den philosophischen Emanzipationsansprüchennotwendigerweise Abbruch tun.

Die Unterschiede zwischen verschiedenen Verfassungstheorien und Parteipro-grammen mag die traditionelle Wissenssoziologie oder Ideologiekritik in Korres-pondenz zu sozialen Lagen oder als Ausdruck von Klasseninteressen deuten, fürdie Gruppe der Junghegelianer vermag dieser Ansatz nicht zu erklären, warumdiese Gruppe von der Affirmation des politischen Absolutismus zum Entwurf einerkonstitutionellen Monarchie, vom Konstitutionalismus zur parlamentarischenDemokratie und schließlich zu einem antipolitischen Typ anarchistischer Gemein-schaft kommt. Zwar kann man sagen, daß die Entlassung der Philosophen aus demStaatsdienst den Prozeß des Durchdiskutierens des Staates in Gang setzt, aber die-ser Prozeß folgt im Kern dann mehr seiner eigenen >Logik< als der möglicher>dahinterliegender< sozialer Kräfte.

Diese >Diskussionslogik< ist eine soziale Kraft, weil im Ereignisraum der Debattecreatio continua stattfindet. Es handelt sich um einen von der Gruppe selbst defi-nierten Raum, dessen Definition hier nach zwei Seiten begrenzt ist: alles, was nochPhüosophie ist, und alles, was noch in den Bereich des Politischen fällt, darf sich indiesem Raum ereignen. Nicht jeder Rede ist gestattet aufzutauchen, aber zu all denReden, die in den Bereich der Philosophie, die Partei macht, fallen könnten, for-dern sich die Diskutanten gegenseitig heraus. Sie bringen sich, d. h. virtuell jederden anderen, dazu, den Grund der Debatte, der zunächst mit wenigen Worten insSpiel gebracht wird, mit immer mehr Worten zu belegen, d. h. ihn dem sozialenTausch von Frage und Antwort auszuliefern. Dieser soziale Tausch bezieht sichwesentlich nicht auf >Güter<, die die Diskutanten schon sicher haben, etwa in demSinne, daß sie sich mit Säcken von Argumenten beladen in der Debatte treffen.Zwar werden auch Argumente >mitgebracht<, aber eine Soziologie von Intellektuel-lengruppen träfe ihren Gegenstand nur unzureichend, wenn sie nur das Rezeptivedes Tauschs ohne seine konzeptiven Effekte betrachten würde.

Im sozialen Tausch von Argumenten ereignet sich Theorie nicht bloß als Beein-flussung, sondern auch als Konzept, als erste Versprachlichung einer Idee. Daherist die Debatte nicht nur ein Tausch von Hergebrachtem, sondern ebenso eine>Brutstätte< neuer Ideen. Das schließt nicht aus, daß es auch andere >Brutstätten<

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gibt -, aber indem hier vom sozialen Tausch von Argumenten, wie er sich imDurchdiskutieren des Staates darstellt, ausgegangen wird, kann erklärt werden, wiees der sich als politische Partei definierenden Intellektuellengruppe möglich ist,über Rezeptionen hinaus verschiedene Konzepte zu erfinden, ohne daß sich ihre>Klassenlage< von Diskussion zu Diskussion nennenswert verändert hätte.

6. Die junghegelianische Partei und die liberale Opposition

Geht man nur vom Prozeß des Durchdiskutierens des Staates aus, den die politi-sche Partei der Junghegelianer vollzieht, so läßt sich die Kohärenz ihres Radikalis-mus, trotz der fortlaufenden selbstkritischen Überwindungen, relativ gut beschrei-ben als das Verfolgen einer monistischen Strategie, die sich deutlich vom liberalenDualismus abhebt. Betrachtet man dagegen die junghegelianische Partei in ihrempraktisch-politischen Verhalten im Rahmen der liberalen Oppositionsbewegung,so ergibt sich ein komplizierteres Bild.

Sucht man im vormärzlichen Preußen nach Kristallisationen liberaler Opposi-tion, so wird man in der Hauptstadt Berlin nur wenig finden. Preußen kennt in die-ser Zeit zwei wichtige Zentren des Liberalismus: Ostpreußen und das Rheinland.Für F. Wehl ist Berlin »weder das Haupt noch das Herz des preußischen Staates,sondern nur der Magen.« Das »Haupt« Preußens sei Königsberg, und sein »Herz«schlage am Rhein, so die politische Anatomie des preußischen Staates, die nicht nurfür F. Wehl selbstverständlich ist.264

Der ostpreußische Liberalismus263 fußt auf zwei Traditionssträngen. Da ist einmalder überragende Einfluß Kants, dessen Ideal vom mündigen Bürger das Selbstbe-wußtsein weiter Kreise der städtischen Ober- und Mittelschichten prägt; zumanderen leben bei einer Reihe von Grundbesitzern noch altständisch-libertäre Hal-tungen weiter, wie sie in den Auseinandersetzungen zwischen dem Großen Kurfür-sten und den ostpreußischen Ständen zum Ausdruck gekommen waren. In Königs-berg hat denn auch die preußische Verfassungsdiskussion ihren Startpunkt.Wenige Monate nach seiner Thronbesteigung wollte Friedrich Wilhelm IV. inKönigsberg die traditionelle Huldigung des Landtages entgegennehmen (Sept.1840). Aus dem repräsentativen Fest machten die Königsberger ein politischesEreignis, indem sie den neuen König selbstbewußt baten, das Verfassungsverspre-chen der Krone von 1815 einzulösen. Die unsichere Antwort des Königs auf demLandtag war derart vieldeutig, daß die Königsberger und mit ihnen alles, was inPreußen sich nach politischem Fortschritt sehnte, zunächst einmal den König miß-verstanden und den Durchbruch in der Verfassungsfrage bejubelten, bis Wochenspäter mit der Kabinettsorder vom 4. Oktober der König den Verfassungsforde-rungen eine rohe Absage erteilte.266 Der Erfolg der Königsberger bestand fürK. R. Jachmann jedoch vor allem darin, daß ihr Antrag »das in lethargische Ruheversunkene Volk aus seinem totenähnlichen Schlafe weckte.«267

Der Petition von 1840 folgten ein Jahr später zwei Veröffentlichungen, die denostpreußischen Liberalismus in ganz Deutschland bekannt machten: einmal dieDenkschrift des Oberpräsidenten Th. von Schön: »Woher und wohin«, in der der

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Reformer von 1807 vehement für Verwaltung und Regierung kontrollierendeGeneralstände eintritt,268 und J. Jacobys »Vier Fragen«, in der die »Teilnahme derBürger am Staat« im konstitutionellen Sinne gefordert wird.269 Galt der in Ostpreu-ßen tiefverehrte Beamte v. Schön der preußischen Regierung gleichsam als unan-tastbar, so setzte sie gegen den Arzt J. Jacoby einen Hochverratsprozeß und einMajestätsbeleidigungsverfahren in Gang. Jacoby, der standhaft bei seinen Über-zeugungen bleibt, und schließlich nach dem Durchgang durch alle Instanzen frei-gesprochen werden muß, wird in diesem Prozeß »der Repräsentant der konstitutio-nellen Partei«,270 und wie die Königsberger 1840 bereit waren, die vieldeutigeKönigsantwort sogleich zu ihren Gunsten auszulegen, ergreift die >KönigsbergerZeitung< nach Bekanntwerden der Zensurlockerung vom Dezember 1841 dieInitiative und eröffnet eine innenpolitische Berichterstattung, deren Gründlichkeitund Wagemut in Preußen bis dahin unbekannt waren.271

Im Unterschied zum stark intellektuell und bildungsbürgerlich geprägten ost-preußischen Liberalismus hat der rheinische Liberalismus212 seine Basis in denInteressen von Kaufleuten und Unternehmern. Die ökonomische Spitzenstellungdes Rheinlands verdankt sich nicht unwesentlich der längeren französischen Besat-zungszeit von 1794 bis 1815, deren bürgerliche Reformen die Entfaltung kapitali-stischen Wirtschaftslebens begünstigte. Die Westorientierung der rheinländischenLiberalen wurde verstärkt durch die hohen steuerlichen Belastungen, die ihnen derAnschluß an Preußen einbrachte. Erst die Einrichtung des Zollvereins schafft derrheinländischen Wirtschaft einen genügend großen Markt, der die französischenAbsatzgebiete zu kompensieren in der Lage ist. Im Zentrum der Forderungen derrheinischen Liberalen steht denn auch immer wieder der Ausbau des Zollvereins,der Bau von Eisenbahnen, niedrigere steuerliche Belastungen und die Beseitigungvon traditionellen Formen, die dem >Fortschritt< entgegenstehen. Rheinische Libe-rale sind es auch gewesen, die die RhZ in Form einer Kommandit-Gesellschaftgründeten, um ihre Forderungen publizistisch zu verbreiten. Auf die berühmteRolle der Junghegelianer bei der inhaltlichen Gestaltung dieser Zeitschrift kommeich zurück.

Zunächst soll jedoch an den süddeutschen Liberalismus273 erinnert werden, deraußerhalb Preußens zu einem wichtigen Bezugspunkt der Junghegelianer wird. InSüddeutschland, insbesondere in Baden, hatte sich im Rahmen der Verfassung von1818 ein bescheidenes konstitutionelles politisches Leben entwickelt, dessenBedeutung vor allem darin lag, daß es für die deutschen Oppositionellen gleichsamein Anschauungsunterricht in Sachen konstitutioneller Monarchie bedeutete. Sei-nen theoretischen Ausdruck hat der süddeutsche Liberalismus im von Rotteck undWelcker herausgegebenen >Staatslexikon<, das für jeden, der sich in dieser Zeit mitliberalen Verfassungsideen auseinandersetzt, ein notwendiges Bildungsmittelgeworden ist.274

Baden, Ostpreußen und das Rheinland haben in dieser Zeit Verdichtungen libe-raler Opposition aufzuweisen, die für das praktische Verhalten der junghegeliani-schen Partei bedeutsam sind. Im Überblick wird man sagen können, daß die jung-hegelianische Partei zunächst eine Anlehnung an die liberale Opposition versucht,mit ihr Bündnisse eingeht, um dann im Zuge des Durchdiskutierens des Staates inein konfliktreiches Spannungsverhältnis zum Liberalismus zu geraten, in dem die

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Fragen nach prinzipieller Abgrenzung bzw.. taktischen Kompromissen dringlichwerden. Wie die Entscheidungen im einzelnen fallen, hängt aber wesentlich vonden lokalen Bedingungen ab, d. h. die örtlichen Teilgruppen der Junghegelianersind in unterschiedlicher Weise kompromißfähig gegenüber dem Liberalismus undschätzen auch das politische Verhalten ihrer Brudergruppen unterschiedlich ein.Die Spannungen, die sich aus den praktischen Verhaltensnotwendigkeiten erge-ben, führen am Ende zur Spaltung der Junghegelianer.

a) Die Serenade für Theodor Welcher und das Verhältniszum süddeutschen Liberalismus

Vielleicht hat der verbreitete Topos von dem lediglich literarischen Heldentum derBerliner Junghegelianer die Forschung dazu verleitet, einem Ereignis, wie der Sere-nade für Welcker, nicht weiter nachzugehen. Obwohl H. Hirsch bereits 1961 ineinem Aufsatz die Bedeutung dieser frühen Volksdemonstrationen herausgearbei-tet hat, findet sich in der Literatur über den Junghegelianismus kaum eine angemes-sene Berücksichtigung dieses Ereignisses.275

Über die Berliner Ereignisse vom 28. Sept. 1841 berichtet die Augsburger >A11-gemeine Zeitung< am 5. Okt.:»Der Empfang, den der Abgeordnete der Badischen Ständeversammlung, Welcker, in Leip-zig und Dresden gefunden, ist ihm nun auch hier (d. h. in Berlin, d. V.) geworden. Kaumwurde seine Ankunft hier bekannt, als ein Verein wissenschaftlich gebildeter Männer, vor-züglich Literaten, zusammentrat, um dem berühmten Deputierten ihre Verehrung durcheine Nachtmusik auszudrücken. Gegen Abend um 10 Uhr, beim schönsten Mondschein,sammelte sich ein dichter Kreis von Menschen vor dem Hotel zum Kronprinzen, wo Welk-ker wohnt. Es ertönte eine Ouvertüre zur Stummen von Portici, von dem Musikkorps derGardeartillerie ausgeführt. Sogleich wuchs der Knäuel der Volksmenge immer dichter unddichter an, bis sich die beiden Straßen, welche das Eckhaus umgeben, Kopf an Kopf gefüllthatten. Als die Musik schwieg und Welcker sich oben am Fenster zeigte, erhob ein hiesigergeachteter Literat, Dr. Rutenberg, die Stimme kräftig und rief: >dem kühnen, unermüdli-chen Vorfechter für deutsche Volksrechte, dem Abgeordneten der badischen Kammer,Welcker, bringen wir ein donnerndes Lebehoch! < Er konnte kaum das Wort vollenden, alsschon der tausendstimmige Ruf der ganzen versammelten Volksmenge in dem Toast ein-stimmte, und ihm unter schmetternden Fanfahren vielfach wiederholte. Als der Jubel end-lich schwieg, nahm Welcker das Wort.«276

Welckers Rede gipfelte in dem Aufruf, Preußen möge »in dem Kampf um bür-gerliche Freiheit« vorangehen. Andere Quellen berichten, daß die Demonstrantendie Lieder »Was ist des Deutschen Vaterland?« und »Freiheit, die ich meine«anstimmten, und während Welcker zusammen mit den Organisatoren in einer Ber-liner Weinhandlung speiste und diskutierte, demonstrierte die Menge zwei volleStunden weiter. Am folgenden Abend wiederholten sich die Kundgebungen, dannschritt die Regierung ein: sie verfügte Welckers Ausweisung und begann, die Orga-nisatoren zur Rechenschaft zu ziehen. - Nach vormärzlichen Maßstäben handelt essich um eine herausragende Massendemonstration. »Daß dies alles geschehenkonnte, ist ein Wunder«,277 schreibt K. A. Varnhagen von Ense in sein Tagebuch.

Welcker besucht nicht nur Berlin, er bereist mehrere Städte in Norddeutsch-land. Seine Route führt von Freiburg nach Leipzig, Dresden, Berlin, Hamburg-

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Altona, einige kleinere Orte im Herzogtum Braunschweig und Bonn. Es handeltsich um eine politische Reise, die durch die mehrmonatige Vertagung der für einenProtest bestraften badischen Kammer möglich wurde und mit der die politischeProminenz des süddeutschen Liberalismus überregional sich ihrer Anhänger ver-gewissern will. Diese Form wird ein Jahr später G. Herwegh nachahmen.278 DieBerliner Welcker-Serenade bildet zweifellos den Höhepunkt der Reise. Zwarkommt es auch in anderen Orten zu Kundgebungen, aber etwa gegenüber derLeipziger Serenade, bei der Metternichsche Geheimagenten »höchstens 25 bis 28Stundenten und 6 andere Leute« mit »höchstens 10 Fackeln« zählten,279 handeltees sich in Berlin um eine äußerst erfolgreich durchgeführte Massenkundgebung.

Bei dem »Verein wissenschaftlich gebildeter Männer«, der als Initiator derDemonstration auftritt, handelt es sich zweifellos um die Berliner Gruppe der Jung-hegelianer. Überliefert sind die Namen B. Bauer, der Buchändler Cornelius,L. Eichler, E. Flottwell, F. Koeppen, E. Meyen, Th. Mügge, A. Rutenberg, K. Rie-del, R. Wenzel, F. W. Zabel.280 Der ganzen Anlage nach handelt es sich nicht umeine spontane, sondern um eine sorgfältig organisierte Kundgebung. Vielleicht wares Rutenberg - er ist im Rotteck-Welckerschen Staatslexikon mit dem Artikel über>Radikalismus< vertreten281 -, der den Kontakt zu Welcker knüpfte. Die Genehmi-gung für ein Ständchen hatten die Organisatoren bei der Polizei eingeholt, nur hat-ten sie - wie sich später herausstellte - dem Polizeikommissar nichts von dem badi-schen Abgeordneten Welcker gesagt. Für ein genehmigtes Ständchen konnte dennauch eine Kapelle des Garde-Fuß-Artillerie-Regiments gewonnen werden. Unterden Bedingungen der Pressezensur sollte die Musik dazu dienen, rasch einenVolksauflauf zu provozieren. Das Musikstück >Die Stumme von Portick war gezieltausgesucht: in dieser Oper symbolisiert ein einfaches stummes Mädchen das unter-drückte Volk, und es ist bekannt, daß es bei Aufführungen dieses Revolutions-stücks wiederholt zu Bekundungen des Freiheitswillens gekommen ist.

Wichtig ist die Welcker-Serenade nicht nur als Zeugnis für den Organisations-grad der Berliner Gruppe der Junghegelianer. Sie gibt uns darüber hinaus einigewichtige Anhaltspunkte für ihr praktisches Verhalten gegenüber dem Liberalis-mus. Festzuhalten ist zunächst, daß die Junghegelianer gemeinsam mit den Libera-len auftreten, und weiter, daß sie mit originellen Aktionsformen Steigerungseffekteder Opposition zu erzielen versuchen. Aber schon bei der Welcker-Serenadescheuen sie nicht davon zurück, ihre Differenz zum Liberalismus öffentlich kund-zutun. B. Bauer, Mitveranstalter der Kundgebung, überrascht Welcker bei demanschließenden Treffen im Walburgischen Weinhaus mit einem Toast auf Hegel,»namentlich auf seine Auffassung des Staats, über die in Süddeutschland nochmanche irrige Vorstellungen verbreitet« seien. Hegel überrage weit »die dortigenAnsichten vom Staatswesen durch Kühnheit, Liberalität und Entschiedenheit.«Das war eine gezielte Provokation Welckers, wie Bauer später Ruge mitteilt.282 Siezeigt auch schon die Richtung an, in der die Frontstellung der Junghegelianer zumSüddeutschen Liberalismus sich entfaltet.

Im April 1842 veröffentlicht Friedrich Engels in der RhZ seinen Beitrag >Nord-und süddeutscher Liberalismus^283 Seine Hauptthese lautet: Die politische Bewe-gung des Liberalismus habe sich von Süden nach Norden verschoben. Noch vorkurzem hätten die süddeutschen konstitutionellen Monarchien als die »einzigen

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Altäre« gelten können, »auf denen das Feuer des allein würdigen, unabhängigenPatriotismus aufflammen könnte.« Jetzt sei die »Bewegung des Südens« einge-schlummert, »ein Mund verstummt nach dem anderen und die jüngere Generationhat nicht Lust, auf dem Pfade ihrer Vorgänger zu gehen.« Dagegen habe der Nor-den»seit mehreren Jahren einen Fonds von gediegener, politischer Gesinnung, von charakterfe-ster, lebendiger Energie, von Talent und publizistischer Tätigkeit aufzuweisen, wie ihn derSüden in seiner schönsten Blütezeit nicht zusammenbrachte. Dazu kommt, daß der nord-deutsche Liberalismus unbestreitbar einen höheren Grad von Durchbildung und Allseitig-keit, eine festere historische wie nationale Basis besitzt, als der Freisinn des Südens jemalssich erringen konnte. Der Standpunkt des ersteren ist weit über den des letzteren hinaus.«

Wo liegen für Engels die Ursachen dieser Entwicklung? Kennzeichen des süd-deutschen Liberalismus sei es gewesen, aus der unmittelbaren Praxis heraus Politikzu machen, ohne tiefere theoretische Orientierung.»Die Praxis aber, aus der er sich die Theorie konstruierte, war bekanntlich eine sehr weit-schichtige, französische, deutsche, englische, spanische usw. Daher kam es, daß auch dieTheorie, der eigentliche Inhalt dieser Richtung, sehr ins Allgemeine, Vage, Blaue hinauslief,daß sie weder deutsch, noch französisch, weder national, noch entschieden kosmopolitisch,sondern eben eine Abstraktion und Halbheit war.«

Die überlegene norddeutsche Richtung besitzt demgegenüber für Engels ganzandere Qualitäten: »Sie knüpfte von vornherein ihr Dasein nicht an ein einzelnesFaktum, sondern an die ganze Weltgeschichte und namentlich an die deutsche; dieQuelle, aus der sie floß, war nicht in Paris, sie war im Herzen Deutschlands ent-sprungen; es war die neuere deutsche Philosophie.«

Ähnlich wie Engels argumentiert auch ein Beiträger in den EB von 1843; ernimmt seine Rezension eines Buches des ehemaligen württembergischen Abgeord-neten Pfizer zum Anlaß, den Fragen nachzugehen: »Ist der Liberalismus von 1840wirklich ein anderer, als der von 1830? Sind wir in unseren Freiheitsansprüchenbescheidener oder kecker geworden? Hat sich vielleicht nur die Form verändert?Oder ist unser ganzes Bewußtsein ein anderes geworden?« Der Forderungskatalogder alten Liberalen habe auch jetzt noch Gültigkeit:»Was man damals wollte, war entweder ein konsequent durchgeführtes Repräsentativsy-stem in den einzelnen deutschen Bundesstaaten oder, wo man exzentrischer dachte, eine all-gemeine deutsche oder wenigstens süddeutsche Republik. Verwandlung des Fürstenbundesin einen Völkerbund, Teilnahme aller Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten, allge-meine Volksbewaffnung, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, freiePresse usw. sind Dinge, die, wenn im 19. Jahrhundert überhaupt von Freiheit die Rede ist,sich von selbst verstehen, die also auch der jüngsten Epoche mit der frühern gemeinsam seinmüssen.«

Es geht dem Autor nicht um eine Differenz zu den liberalen Selbstverständlich-keiten^ vielmehr läge der Unterschied im Verhältnis von Form und Inhalt.

Der alte Liberalismus »wollte nur eine andere Form, ohne sich um den Inhalt,der diese Form füllen sollte, näher zu bekümmern. Diesen hatte man größtenteilsvon außen her, teils von England, hauptsächlich aber von Frankreich entlehnt, des-sen Erschütterungen in Deutschland nachzitterten.« Der neue Liberalismus, den

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der junghegelianische Autor im Auge hat, wolle zwar auch andere Formen - denalten Forderungskatalog -, aber das inhaltliche Prinzip sei doch von den »Nachah-mungen« des alten Liberalismus verschieden, weil es als Resultat eigenen philoso-phischen Denkens betrachtet werden müsse.»Man ergründete im Stillen das Prinzip der Freiheit tiefer, man fand, daß man die Fragen,die gelöst werden sollten, zu äußerlich, zu oberflächlich gefaßt hatte. Man ging wieder an sei-nen Hegel, der sich ja auch der Bewegungspartei abgewandt hatte und seine Gründe gehabthaben mußte, warum -. Und in ihm, den die Liberalen den preußischen Hofphilosophengescholten hatten, in ihm fand man den wahren, den wissenschaftlichen Liberalismus, dieFreiheit des Geistes.«

Im Prozeß des Durchdiskutierens des Staates grenzen sich die Junghegelianerimmer deutlicher vom süddeutschen Liberalismus ab. Schon im Februar 1842 hatteE. Bauer eine umfangreiche Schrift über das Rotteck-Welckersche Staatslexikongeplant und seinem Bruder geschrieben: »Gegen diese Konstitutionellen müßtemal ein furchtbares und kräftiges Bombardement eröffnet werden.«285 Diegeplante Arbeit kommt nicht zustande. Als ein Jahr später E. Bauer eine Kritik dessüddeutschen Liberalismus vorlegt, hat sich der politische Bezugsrahmen schonverschoben. »Die Badische Opposition« erscheint 1843 als zweites Heft der Serie»Die liberalen Bestrebungen Deutschlands«, deren erstes Heft der ostpreußischenOpposition gewidmet ist.286 Im Zentrum der Kritik des süddeutschen Liberalismussteht auch nicht mehr das Staatslexikon, sondern E. Bauer legt hier eine »Kritik derVerhandlungen der badischen Abgeordnetenkammer« vor, in der er längs einerAnalyse der praktischen Parlamentsarbeit zeigen will, »daß die konstitutionelleVerfassung weit entfernt ist, die vernünftigste zu sein, daß eine Opposition, derenGesichtskreis nicht über den Konstitutionalismus hinaus ist, zu nichts kommenkann, und daß Deutschland auf dem Wege einer konstitutionellen Oppositionnicht das wird, was es werden soll.«287

Zusammenfassend kann gesagt werden: Wie Ruge die verfassungspolitische Dis-kussion 1839 unter der Maske eines >Württembergers< in den HJ beginnt, nutzendie Berliner Junghegelianer den Besuch des badischen Abgeordneten Welcker1841 zur Organisation einer Massendemonstration, um aber zugleich auf die spezi-fische Differenz von nord- und süddeutschem Liberalismus hinzuweisen. Geht esdabei zunächst nur um die Herausstellung der entschiedenen >Wissenschaftlich-keit< und theoretischen Reife des neuen Liberalismus, so wird der süddeutscheLiberalismus zunehmend in der junghegelianischen Argumentation zur Projek-tionsfläche für die Kritik des Konstitutionalismus schlechthin. Wichtig ist, daßdieAblehnung des süddeutschen Liberalismus unter den Junghegelianern relativ ein-hellig vollzogen wird. Die staatlichen Grenzen spielen hier eine große Rolle. Alsmögliche Bündnispartner der junghegelianischen Partei sind die süddeutschenLiberalen kaum je ernsthaft im Blick gewesen. Abgesehen von der Welcker-Sere-nade sind sie für die Junghegelianer ein ferner Orientierungspunkt, dessen Glanzzunehmend verblaßt. Hier besteht kein Grund zu tieferen Differenzen in derGruppe. Anders ist die Situation beim preußischen Liberalismus in Ostpreußenund im Rheinland.

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b) Berlin und Königsberg

Für das Verhältnis der Junghegelianer zum ostpreußischen Liberalismus sind zweiMomente entscheidend: Einmal die latente Konkurrenz um die Position eines gei-stigen und politischen Zentrums und zum anderen die engen wechselseitigen Ver-flechtungen und Bindungen der Berliner Gruppe mit dem ostpreußischen Zirkel.Der Aspekt der Konkurrenz wird deutlich in einem Beitrag des BerlinerE. Meyen von 1841. Königsberg wird charakterisiert »als eine Stadt ersten Ranges«.»Seine Stellung ist eine isolierte, aber diese Isoliertheit ist eine solche, welche die Energie insich trägt; die Gegensätze des Nationallebens so entschieden und stark in sich zu erzeugen,wie es die individuelle Kraft des Menschen bedingt. In Königsberg zeigen sich die Extremeder deutschen Nationalität straffer als irgendwo. ( . . . ) Berlin erscheint dagegen weit univer-saler, mannigfaltiger, reicher, aber weniger entschieden und charakteristisch. Das Allge-meine drängt die Energie des Individuellen zurück.« Zwar kenne auch Berlin Gegensätze,aber, »wer nicht die Kraft und den Mut hat, eben dieser Allgemeinheit anzugehören undsein subjektives Interesse, namentlich jede Eitelkeit des Individuellen zum Opfer zu brin-gen, dem kann es nicht wohl in Berlin sein. Das Prinzip des Staates ist hier bereits wie inFrankreichs und Englands Hauptstadt das Herrschende, allein Entscheidende geworden.Berlin trägt wesentlich den Charakter der Zentralisation.«

Nachdem Meyen so das >Allgemeine< in Berlin mit dem >Individuellen< inKönigsberg in Konkurrenz gesetzt hat, sieht er die Aufgabe der Königsbergerdarin, »ergänzend aufzutreten, und Berlin selbst die Spitze zu bieten, wenn es sichin zu abstrakter Allgemeinheit verliert.«288

Solche Versuche einer Balancierung des intellektuellen und politischen Prestigesder beiden Universitätsstädte sind für den Berliner Junghegelianer Meyen nötig,weil seine Königsberger Kampfgefährten, wie z. B. der Redakteur der >Königsber-ger Zeitung< K. R. Jachmann, den Vorsprung seiner Landsleute an politischemBewußtsein selbstbewußt zur Geltung bringen. Rückblickend schreibt Jachmann:Im Jahre 1840 habe man im übrigen Preußen - und hier spielt er auf das hegeliani-sche Zentrum in Berlin an - nicht viel mehr von Verfassungen gewußt, »als daß siehäufig die Minister wechseln.« Forderungen nach einer Legislative, freier Presse,Öffentlichkeit der Verhandlungen und Verantwortlichkeit der Minister und dieForderung, »daß es endlich eine Macht im Staate geben müsse, der jeder, auch derHöchstgestellte, unbedingten Gehorsam schuldig sei, und diese Macht das Gesetzsei, der Ausdruck der Idee des Rechts und der Freiheit - diese Ansichten wurdennur in Ostpreußen laut geäußert.«289

Deutlich spürbar in Jachmanns Charakterisierung des ostpreußischen Liberalis-mus ist der Einfluß Kants. Im Kern bedeutet Liberalismus für ihn »die Vernunfter-kenntnis angewandt auf unsere bestehenden Verhältnisse«. Dies bedeutet zugleich,»in gänzlicher Abstraktion von allem Historischen nach dem alleinigen Maßstabedes Vernünftigen das Gewordene, das Daseiende zu beurteilen«.290 Solche Formu-lierungen haben Berliner Junghegelianer, wie E. Bauer, herausgefordert, denHegeischen Vernunftbegriff gegen Einflüsse aus der Tradition Kants zu verteidi-gen.

»Alles in der Welt ist nur dadurch, daß es wird, und es hat die einzige Garantie seines Beste-hens in seiner Entwicklung. Es gibt nichts absolutes, was von Anfang an war, was immer das-

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selbe bleiben könnte und ewig wäre. So ist auch die Vernunft nichts Feststehendes, nichtsAusgemachtes; auch sie, da sie in einer ewigen Entwicklung begriffen ist, ist fortwährendeine andere. Darum kann man wohl sagen: die Vernunft ist und herrscht immer, und mitdemselben Rechte: die Vernunft ist und herrscht nie. (. . .) Als etwas Absolutes, als eineKategorie, die einen bestimmten, für ewige Zeiten unantastbaren Inhalt haben will, ist sieeine bloße Schwärmerei.«291

Die Konkurrenz um die intellektuelle Führung der Opposition darf nicht dar-über hinwegtäuschen, daß zwischen den Berliner und den Königsberger Intellektu-ellen enge, z. T. persönliche Beziehungen bestehen. So ist z. B. E. Flottwell mitJacoby in Königsberg befreundet und mit Berlinern wie Engels, Meyen undL. Eichler gut bekannt. Die Briefe, die Flottwell und auch J. Waldeck mit Jacobywechseln, zeugen von der engen Verzahnung beider Gruppen.292 Hinzuzunehmenist, daß die >Königsberger Zeitung< den Berlinern die Chance gibt, sich zu Wort zumelden. Allerdings gelingt es den Berliner Junghegelianern nicht, wie kurze Zeitspäter bei der RhZ, die Hegemonie in der Redaktion zu erreichen, dazu waren dieKönigsberger Liberalen im Unterschied zu den rheinischen Kaufleuten und Indu-striellen viel zu sehr intellektuell interessiert.

Zu den Berliner Junghegelianern, die regelmäßig über Königsberger Vorgängeberichten, gehört M. Stirner, der als Student einige Zeit in Kulm und Königsbergverbracht hatte.293 Seine Korrespondenzen enthalten überwiegend Zustimmunggegenüber »Freimut und Hochherzigkeit« der Königsberger. Die >KönigsbergerSkizzen< von Karl Rosenkranz werden gleich zweimal den Lesern der RhZ annon-ciert. Die Kritik an dem ostpreußischen Hegelianer ist vorsichtig formuliert. Stirnerweist lediglich Rosenkranz' positive Bewertung des »Eklektizismus« zurück:»Solange das Wesen unserer Zeit eklektisch war, galt Rosenkranz unbestritten als einer ihrerVordermänner; seitdem aber nur ihr trügerischer Schein eklektisch geblieben ist, müßte erkühner ausschreiten, als er es tut, um nicht zu einem Nachzügler zu werden.«294

Ungeteilte Zustimmung dagegen finden bei Stirner die öffentlichen Vorlesungendes Liberalen L. Walesrode. Sie sind für Stirner vor allem deshalb von Bedeutung,»weil mehr als 400 Personen in der zweiten Residenz des Landes an dem Ausdruckeder darin niedergelegten Gesinnung gleichsam mitgearbeitet haben«. StirnersAnnonce gilt dem Zweck, »dem übrigen Deutschland zu zeigen, wo es seine Sym-pathien zu suchen hat.«295

Von Stirner wie auch von dem Berliner K. Nauwerck wird die Denkschrift desostpreußischen Oberpräsidenten Th. v. Schön »Woher und Wohin« als Schritt indie richtige Richtung gewürdigt. Während Nauwerck jedoch v. Schöns Diktum»ein jeder nicht konstitutionelle Staat ist ein interimistischer« hervorhebt,296 kannStirner seine Ironie nicht zurückhalten, wenn er von Schöns Denkschrift sagt: »undda die Weltgeschichte schrittweise wandelt, so ist sie einstweilen auch genü-gend.«297 Im Oktober 1841 planen die Berliner Junghegelianer, den Erfolg derSerenade für Welcker zu wiederholen, indem sie v. Schön ebenfalls ein »Ständ-chen« bringen wollen. Allerdings erhalten sie keine polizeiliche Erlaubnis, dav. Schön selbst die >Ehrenbezeugung< eindeutig ablehnt.298

Entschiedener verteidigen Nauwerck und Stirner J. Jacoby. Nauwerck wider-spricht den Kritikern des ostpreußischen Liberalismus, daß es sich hier um ein »iso-

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liertes Phänomen« handele. »Vier Wochen freier Presse - und die, welche esangeht, würden erstaunen, wie allgemein verbreitet gewisse Überzeugungen nichtbloß in Ostpreußen, sondern im ganzen Reiche sind.«299 Stirner schreibt für die>Leipziger Allgemeine Zeitung< zwei umfangreiche Korrespondenzen, in denen erausführlich über den Prozeß gegen Jacoby berichtet. Jacoby wird uneingeschränktals Vorbild hingestellt:»Was den seit anderthalb Jahren schwebenden Prozeß des Doktor Jacoby betrifft, so lernenwir an ihm, wie der einzelne Mensch ein allgemeiner ist. Wer kennt den Doktor im fernenOsten, diese Ziffer unter Millionen? Und doch bekümmert ihr euch um dieses unscheinbareWesen, fragt nach seinem Schicksale, nach seinem Tun und Denken. Es ist nicht der Doktor,der so und so viele Menschen gesund gemacht und andere an das Grab geleitet hat; es ist der>Mensch<, der eine — Idee in sich >persönlich< werden ließ und nun die zeitlichen Leiden derIdee an seinem Leibe zu tragen hat: es ist der >Mensch<, der ihr auch seid oder werdenwollt.«300 Daß hier schon begrifflich Anklänge an Stirners Hauptwerk zu hören sind, sei amRande vermerkt.

Überblickt man die Stellungnahmen der Junghegelianer zum ostpreußischenLiberalismus, so ist bis zum Sommer 1842 eine einhellige Sympathie und Zustim-mung festzustellen. Auch mit spektakulären Aktionen halten sich die Junghegelia-ner nicht zurück. So organisieren sie z. B. einen Spendenaufruf, dem verfolgtenJ. Jacoby eine Bürgerkrone zu stiften.301 Die Krise, die sich zwischen Teilen derJunghegelianer und dem ostpreußischen Liberalismus im Herbst 1842 abzeichnet,kann deutlicher werden, wenn wir uns zunächst dem andern liberalen ZentrumPreußens, dem Rheinland, zuwenden.

c) Die Junghegelianer und die >Rheinische Zeitung<

Ist die Königsberger Situation davon bestimmt, daß die Junghegelianer mit einempolitisch interessierten liberalen Bürgertum, das sich selbst zu Wort meldet, koope-rieren und konkurrieren müssen, so gewinnen die Junghegelianer im Rheinlandrasch eine intellektuelle Hegemonie. Denn die liberalen Geldgeber der RhZ, diedieses Blatt zunächst mit Unterstützung der Regierung in Berlin - diese erhofftesich ein Gegengewicht gegen die Monopolstellung der katholischen >Kölner Zei-tung< - gründeten, sind an der journalistischen Tendenz des neuen Blattes nur inso-weit interessiert, als ihre ökonomischen Interessen nicht tangiert werden. Da dieneue Zeitung mit den Redakteuren Jung und Oppenheim, die beide den Kreisender Geldgeber entstammten, rasch auf dem Lesermarkt Abonnenten gewinnt, las-sen sie die Redaktion gewähren, obwohl es sich bei Jung und Oppenheim um radi-kale Junghegelianer handelt. Die liberalen Geldgeber lassen auch zu, daß der Jung-hegelianer Rutenberg, der als Mitorganisator der Welcker-Serenade unter beson-derer Polizei-Aufsicht steht, Chefredakteur wird.302

Diese differente Situation zwischen Ostpreußen und Rheinpreußen wird in derRhZ kaum verhüllt dargestellt. So schreibt der Korrespondent >vom Rhein<:»Immer ( . . . ) wird sich unser Liberalismus in den Kreisen des praktischen Lebens bewegenund erhalten; wir sind liberal, so weit es unser gesunder Sinn und so weit es die Beziehungenund Verhältnisse unseres Lebens, unserer kommerziellen, industriellen und gewerblichenTätigkeit mit sich bringen.«

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Dies sei eine »Gabe der Natur und eine Gabe der Geschichte«, wobei auf denlandsmännischen Charakter und auf die Napoleonische Herrschaft verwiesen wird.Daher lasse der Rheinische Liberalismus im Unterschied zum ostpreußischen»sich's auch nicht gern sauer werden und scheut jene tiefere und gründlichere Selbstbefrei-ung durch die Wissenschaft, wo der Mensch verzichtend auf die goldenen Früchte materiel-ler Tätigkeit tief in die Schächte seines Geistes hinabsteigt, um sich Selbsterkenntnis zuerobern, in welcher jeder Liberalismus erst seinen wahren Halt und seine Läuterunggewinnt.«303

Unter diesen Bedingungen konnte sich die RhZ zu einer überwiegend junghege-lianischen Plattform entwickeln. Während man in Königsberg eher von einemwenn auch komplizierten Bündnis von Junghegelianern und Liberalismus sprechenkann, so trifft der Begriff Bündnis für die rheinische Situation nur ungenau. Hiermuß mehr betont werden, daß die rheinischen Liberalen den Junghegelianerneinen weitgehenden Freiraum überlassen, einen Freiraum, der die Gefahr in sichbirgt, daß über die zugrundeliegenden Machtverhältnisse und Interessenkonstella-tionen Illusionen entstehen.

Die Initiativen des Königsberger Landtages sind in den Augen der Junghegelia-ner würdige Anknüpfungspunkte für ein Bündnis, die Debatten des RheinischenLandtags über die Pressefreiheit, die der Redakteur der RhZ Karl Marx einer bei-ßenden Kritik unterzieht, dagegen nicht. Ausgehend von der These: »Die liberaleOpposition zeigt uns den Höhestand einer politischen Versammlung«, kommtMarx zu dem Ergebnis: »daß die landständischen Verteidiger der Pressefreiheitsich keineswegs auf der Höhe ihres Gegenstandes bewegen«.304

Ein Vertreter des Bürgertums hatte in den Debatten die Pressefreiheit im Namender Gewerbefreiheit verlangt. Marx' Kritik ist aufschlußreich für das Verhältnis derJunghegelianer zum rheinischen Liberalismus. Marx geht zunächst auf den Ver-gleich ein:»So originell die Betrachtungsweise des Redners auf den ersten Anblick erscheinen mag, somüssen wir ihr doch einen unbedingten Vorzug vor den haltungslosen, nebelnden undschwebelnden Räsonnements jener deutschen Liberalen zuschreiben, welche die Freiheit zuehren meinen, wenn sie dieselbe in den Sternenhimmel der Einbildung, statt auf den solidenBoden der Wirklichkeit versetzen.«

Im Verlauf der Argumentation wandelt sich jedoch die Zustimmung in eine Kri-tik der Ableitung der Pressefreiheit aus der Gewerbefreiheit. Letztere sei als eineSphäre für sich zu begreifen: »Jede bestimmte Sphäre der Freiheit ist die Freiheiteiner bestimmten Sphäre«, und: »Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft diePresse dem Gewerbe zu.«305 Sicher kann man Marx' Argumente als rein theoreti-sche Ausführungen lesen, lohnend ist aber auch, sie in den Zusammenhang desVerhältnisses von rheinischem Liberalismus und junghegelianischer Partei zu rük-ken.

So gelesen, erweist Marx zunächst den liberalen Rheinländern seine Anerken-nung für deren Wirklichkeitssinn, indem Marx die bildungsbürgerliche, materielleVoraussetzungen gering schätzende Haltung >Ideen< gegenüber zurückweist. DieseAnerkennung weicht jedoch sogleich dem Versuch einer strikten Abgrenzung derEinflußbereiche gegeneinander. »Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich

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den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen.« Dies markiert exakt die Haltung derjunghegelianischen Redaktion zu den Kreisen ihrer Geldgeber. Es geht um denAufbau von Argumenten, die den Freiraum der Redaktion als Kristallisationspunktfür parteiliche Eigenständigkeit begründen: »Um die Freiheit einer Sphäre zu ver-teidigen und selbst zu begreifen, muß ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nichtin äußerlichen Beziehungen fassen.« Das ist deutlich gegen den Einfluß der Geld-geber gerichtet. Und trotz der anfänglichen Abwehr einer von materiellen Voraus-setzungen abgehobenen Behandlung der Pressefrage mündet die Argumentation inTopoi, die auf die >Prinzipienpartei< zugeschnitten sind.»Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gemäß, ist diePresse frei, die sich zum Gewerbe herabwürdigt?« Der Schriftsteller betrachte seine Arbei-ten nicht »als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und fürandere, daß er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's not tut, (...). Dagegen solltemir ein Schneider kommen, bei dem ich einen Pariser Frack bestellt, und er brächte mir einerömische Toga, weil sie angemessener sei dem ewigen Gesetz des Schönen! Die erste Freiheitder Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.«'01'

Man kann die Situation im Rheinland paradox nennen. Obwohl die rheinischenLiberalen die Junghegelianer weit mehr begünstigen als die ostpreußischen Libera-len, finden sie bei den Junghegelianern weit weniger Anerkennung.»Werfen wir nun einen Blick auf die Preßdebatten im ganzen zurück, können wir nicht Herrwerden über den öden und unbehaglichen Eindruck, den eine Versammlung von Vertreternder Rheinprovinz hervorbringt, die nur zwischen der absichtlichen Verstocktheit des Privile-giums und der natürlichen Ohnmacht eines halben Liberalismus hin- und herschwanken,«faßt Marx sein Urteil zusammen.307

Die Unterschiede der lokalen Situationen in Köln, Königsberg und Berlin führenfür die junghegelianische Partei zu unterschiedlich pragmatisch-taktischen Hand-lungserfordernissen. So kohärent sich ihr politischer Radikalismus im Durchdisku-tieren des Staates erweist, in ihrer politischen Praxis werden Unterschiede deutlich,die zur Spaltung der Partei führen.

7. Die Spaltung der Partei

Die Spaltung der Junghegelianer, die seit 1842 die Gruppenbeziehungen verän-dert, hat nicht mehr viel gemein mit den philosophischen Fraktionen des Schulzu-sammenhangs. Vielmehr spielt sich die Spaltung hier auf einer anderen Ebene ab.Gingen die philosophischen Fraktionen des Schulzusammenhangs vom akademi-schen Raum aus und operierten nach Maßgabe einer Dialektik der Extreme, sobeziehen sich die neuen Spaltungen auf differierende pragmatisch-politischeErfahrungshorizonte. Sicher hat die staatliche Repressionspolitik, die im Verbotder Zeitungen gipfelte, die den Junghegelianern als Plattform dienten, die Spaltungder Gruppe beschleunigt. Tiefergehend war jedoch die Frage, inwieweit sich diePartei der Junghegelianer im praktischen Bündnis mit der liberalen Oppositionkompromißbereit zeigen konnte und ein taktisch-politisches Verhalten hinzuzuge-winnen vermochte.

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Rückblickend schreibt Bruno Bauer über das Bündnisproblem:»Das Volk war in seiner Indolenz undankbar: es vergaß, daß gerade die großen Tagesblätterdes Jahres 1842 durch ihr Räsonnement und durch die Unruhe ihrer Forderungen (. . .)seine Auflösung und Ablösung von den alten Lebensformen befördert und gleichsam zueiner Art von unklarem Bewußtsein gebracht haben, was es selbst nur noch zum Faktum zumachen hatte.« Aber der in Gang gekommene Aufklärungsprozeß entwickelte seine eigeneDynamik. Das Volk »wollte in seiner eigenen Weise etwas sein; also mußte es auch die vor-nehmen Wendungen der gelehrten Herren, ihre weitausgesponnenen Belehrungen, ihrerückhaltigen Prinzipien, die vielleicht zu weit führten, (. . .) zurückweisen (. . .). Fort alsomit den Radikalen, den Weltverbesserern: wir werden schon durch unsere eigene Machtdurchkommen, dachte der Bürger: wir sind, was sie nur besprachen; wir besitzen den festenKern, auf den sie nur hinzeigten; wir werden die Teilnahme am Staat besitzen, die sie nurforderten: wir werden herrschen, während sie nur bitten konnten.«308

Die junghegelianische Partei steht vor der Frage, wie sie mit ihrem politischenErfolg umgehen soll. Soll sie sich dem nicht zuletzt durch ihre Initiativen gewachse-nen Selbstbewußtsein der liberalen Opposition anpassen, sich angesichts des selb-ständigeren Auftretens der Liberalen zurückhalten, oder soll sie das, was sich imProzeß des Durchdiskutierens des Staates als Vorsprung abzeichnet, auch gegendie möglichen Bündnispartner offensiv vertreten? Hinzu kommt die oben dargestellte regionale Situation. Von den drei junghege-lianischen Kristallisationspunkten: Berlin, Königsberg und dem Rheinland, stelltsich die Anpassungsfrage am wenigsten in Berlin, weil es hier keine nennenswerteliberale Opposition gibt. So ist es wohl kein Zufall, daß in Berlin sowohl der ersteVersuch einer eigenständigen, sich auch formell abgrenzenden junghegelianischenOpposition abzuzeichnen scheint, als auch, daß in der Berliner Gruppe eine Frak-tion auftritt, die eine kompromißlose Taktik einschlägt.

a) Vorspiel zur Spaltung: die »Freien«

Unabhängig davon, ob die Nachricht von der Gründung eines »Vereins derFreien« in Berlin im Sommer 1842 einen realen Hintergrund hatte, ob es sich umeinen >Versuchsballon<, um eine Denunziation oder um eine Zeitungsente gehan-delt hat,309 die Bedeutungen, die der Nachricht zugemessen werden, konzentrierensich um das Problem einer autonomen junghegelianischen Organisation, ein Pro-blem, das die Bündnisfrage vorrangig tangiert. Die Nachricht vom Versuch einerselbständigen, radikalen Organisation der »Freien« in Berlin stößt in Königsbergund im Rheinland auf eine Situation, in der die Frage der Kooperation von Junghe-gelianern und Liberalen eine andere Dringlichkeit besitzt als in Berlin selbst.

Über die Königsberger Reaktionen auf die annoncierte Gründung der »Freien«können Stirners Korrespondenzen einige Aufklärung geben. Mag sein, daß diegeplante Vereinsgründung in Ostpreußen teilweise auf Sympathie gestoßen ist.Dafür spräche nicht nur, daß die >Königsberger Zeitung< als erste die Nachrichtverbreitet hat, Stirner berichtet auch, daß auf diese Nachricht hin eine Reihe vonostpreußischen Grundbesitzern »nach den genaueren Umständen sich eifrigsterkundigte und ihre Bereitwilligkeit erklärte, dem Vereine beizutreten.«310 Es han-

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delt sich um Grundbesitzer, von denen Rosenkranz rühmend zu berichten wußte,daß sie »einen ganzen Winter konsequent Seite für Seite von Strauß durchgelesen,durchgesprochen haben, ja nachher für ihre abweichenden Ansichten miteinanderin Briefwechsel getreten sind.«311 Offensichtlich reichte diese Sympathie für Stirnernicht aus, um das Vereinsprojekt mit in die Kooperation zwischen Junghegelianernund Liberalen einzubringen. Seine Korrepondenzen sprechen bei aller Sympathiefür die Sache der Berliner »Freien« mehr von Vorbehalten, die sich aus derBefürchtung nähren, das Berliner Unternehmen könnte das Bündnis mit den Libe-ralen negativ tangieren.

Stirner kritisiert »die abgerissene und eilfertige Darstellung, welche die Königs-berger Zeitung« von den »Freien« gegeben habe. Gegen das Programm selbst, »dieGrundüberzeugung der modernen Philosophie aus der begrenzten Sphäre derWissenschaft auch in die weiteren Kreise des Lebens einzuführen und daselbst gel-tend zu machen«, sei nichts einzuwenden.»Ob den Freien oder ein > Verein< zu diesem Zwecke förderlich oder wenigstens nötig ist, daswäre eine andere Frage. Mit welchem Schrecken man sie jetzt aufgenommen hat, davonhaben sie sich sattsam überzeugen können; wer also unter diesem Namen auftrete, derwürde sich, wenigstens für den Augenblick, die Zugänge verstellen und aus Gespenster-furcht abgewiesen werden. Von dieser Seite betrachtet, was soll da ein Verein? Ungesetzlichwäre er nicht, wohl aber unklug.« Stirner begrüßt es denn auch, daß »die Freien wohl jenenPlan aufgegeben haben, um vor der Hand ihre Wirksamkeit nicht durch förmliche Konsti-tuierung zu hemmen und eine geistige Macht vor der Gefahr zu bewahren, durch Voreilig-keit zu einer materiellen Ohnmacht herabzusinken.«312

Insbesondere kritisiert Stirner, daß die »Freien« den öffentlichen Austritt ausder Kirche als zentrierenden Programmpunkt ansehen. Gerade dies war dazugeeignet, das liberale, gläubige Lager zu verschrecken. Stirners auf Kompromiß zie-lender Organisationshinweis zielt dagegen in eine andere Richtung:»Was nun schließlich die Freien betrifft, so haben sie ihre reelle Bedeutung nicht der Kirche,sondern dem Staate gegenüber, und ihre Opposition gegen eine seiner Institutionen ist eineloyale, so loyal als z. B. die Opposition derer, welche gegen die Zensur sprechen und dieseÜberzeugung geltend zu machen suchen: es ist eine »gesetzliche Opposition^«313

Daß es ihm um eine Verhinderung der Spaltung der Oppositionsbewegung geht,macht eine Anspielung deutlich, die er im Rahmen einer anderen Korrespondenzmacht. Er wehrt sich dagegen, daß »die Professoren und Akademiker, gewisseBeamte und die Graduierten zusammen, den > Verein der Freiem bilden; das übrigeVolk die >große Masse<, bevormundet durch die >Freien<.«314

Selbst wenn Stirner zunächst an der Idee oder dem Gerücht um die Vereinsgrün-dung der Freien beteiligt gewesen sein sollte, seine Korrespondenzen zu diesemThema sind eher geprägt von dem Bemühen, eine Spaltung der Opposition zu ver-hindern. Insbesondere nehmen seine Beiträge Rücksicht auf die Empfindungenund Vorstellungen der ostpreußischen Liberalen um J. Jacoby, auf die wohl dieFormulierung von der »gesetzlichen Opposition« gemünzt ist.315

Nicht minder kritisch gegenüber der Nachricht von der Vereinsgründung der»Freien« ist die Reaktion aus dem Rheinland. So schreibt Marx besorgt an Ruge:

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»Wissen Sie was Näheres von den sogenannten >Freien<? Der Artikel in der Königsbergerwar mindestens nicht diplomatisch. Ein anderes ist, seine Emanzipation erklären, wasGewissenhaftigkeit ist, ein anderes sich im voraus als Propaganda ausschreien, was nachRenommisterei klingt und Philister aufbringt. Und dann, bedenken Sie diese >Freien<, einMeyen etc. Doch allerdings wenn eine Stadt, ist Berlin zu dergleichen Unternehmungengeeignet.« Marx befürchtet, »daß die Berliner Fadheit irgendwie ihre gute Sache lächerlichmacht und diverse >Dummheiten< bei dem Ernst nicht entbehren kann. Wer so lang unterdiesen Leuten war wie ich, wird diese Besorgnis nicht unbegründet finden.«

Für Marx gilt es, Rücksicht zu nehmen auf die religiösen Empfindungen der libe-ralen Opposition im Rheinland, die leicht mobilisiert werden könnten, wenn sichetwa die konservative >Kölnische Zeitung< des Themas der »Freien« annähme:»Hermes (Redakteur der >Kölmschen Zeitung<, d. V.) wird mir auch mit den>Freien< auf den Hals rücken, von denen ich leider auch nicht das geringste Sichereweiß.«316

Die Schwierigkeiten, die die rheinischen Junghegelianer mit der Nachricht überdie »Freien« haben, werden in Heß' Artikel vom 30. Juni 42 deutlich.317 Heß ver-weist zunächst auf die Stellungnahme der liberalen >Aachener Zeitung< und nimmtden gesamten Aachener Text in seine Korrespondenz auf. In der Stellungnahmeaus Aachen heißt es, bei den »Freien« handele es sich um »etwas höchst Unkluges,Unpolitisches, Unrechtes«. Für den liberalen Korrespondenten ist jede Religion»abgesehen von ihrer inneren Heiligkeit, etwas Unantastbares, weil wir noch nichtskennen, was ihre Stelle vertreten kann«, und er fragt mit Blick auf die »Freien«:»Aber was will man dem Volke geben, wenn man ihm die Stützen des Positivendurchschlägt?« Man wünsche zwar nicht, daß die Regierung die »Freien« verbietensolle,»aber ebenso müssen wir dagegen protestieren, wenn man mit den Tendenzen jenes Vereinsdie liberalen Richtungen zusammenwerfen wollte. Wenn liberale Blätter jenen freien Vereinankündigen, so würde doch die große Majorität der politisch-liberal Denkenden die Rich-tung jener Assoziation von sich weisen. ( . . . ) Jener Verein hat nichts mit dem Liberalismusin Preußen gemein, er ist eine isolierte Erscheinung«.

Heß' umfangreiche Aufnahme dieser Aachener Korrespondenz macht dasDilemma der Kölner Junghegelianer deutlich: sie wollen den Bruch mit dem Libe-ralismus vermeiden, stehen jedoch auch in Loyalitäten gegenüber den BerlinerKampfgefährten. Daher lassen sie andere sagen, was sie denken. Heß' eigene For-mulierungen sind entsprechend akrobatisch. Er hofiert die Aachener Korrespon-denz als einen »in ernster, würdiger Weise geschriebenen Artikel«, er halte sich»rein an den Gegenstand, ohne dabei versteckte oder offenbare Insinuationen miteinfließen zu lassen«. Die aktuelle parteipolitische Brisanz wird von Heß herunter-gespielt. Seine Differenz zu dem Aachener Liberalen entwickelt Heß auf einer sehrallgemeinen Ebene der Diskussion des Verhältnisses von Kirche und Staat. Hierinsistiert er auf der Trennung von Kirche und Staat und gibt den »Freien« indirektRecht, wenn er sich gegen den »materiellen Schutz« einer Glaubensgemeinschaftdurch den Staat wendet.318

Mit dem Heßschen Manöver ist die entstandene Situation nicht lange zu beruhi-gen gewesen. Die Junghegelianer der RhZ geraten unter publizistischen Druck,

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sich gegenüber den »Freien« eindeutig zu erklären. Knapp zwei Wochen späterunternimmt die RhZ einen neuen Anlauf. Die Reduktion der »Freien« auf ein reli-giöses Phänomen, die Heß versucht hatte, wird von dem Autor aufgegeben. DasProjekt der »Freien« berührt die Organisationsfrage, bei der generell gilt: »es gibtkeine sittliche Macht im Staate, wenn ihr die äußerlich, d. h. durch bestimmteGesetze festgestellte Existenz fehlt«. Allerdings sei »in unseren Tagen der NameOpposition auf jede mögliche Weise entstellt und gefälscht worden; sie (die Oppo-sition, d. V.) wurde gleichsam von der Reaktion zu dem bequemen Gefäß gestem-pelt, in das diese ihren gesamten Unrat hineingoß.« So habe sich die Meinung ver-breitet, »Opposition in Deutschland ( . . . ) sei eine im Finstern schleichendegeheime Gesellschaft.« Die Nachricht über die »Freien« werde nun in einer Weisebenutzt, die geeignet sei, die Bestrebungen der RhZ und der >Königsberger Zei-tung< zu disqualifizieren, weil diese Zeitungen »als Hintergrund und Tummelplatzder jener Erklärung (Nachricht über den »Verein der Freien«, d. V.) unterlegtenBestrebungen« erscheinen.319 Die RhZ weist nur noch die Gerüchte über die»Freien« zurück, an ihrer Distanzierung läßt sie keinen Zweifel.

Schon Wochen später ist die »Freien«-Problematik ausgestanden, die Nachrichtüber die geplante Gründung erfüllt sich nicht. Nicht ausgestanden sind die Span-nungen zwischen den rheinischen Junghegelianern und der kompromißlosen Berli-ner Fraktion. Im Gegenteil, E. Bauers Artikel über das Juste-Milieu320 vom August1842 provoziert Marx zu einer Kritik, die er in einem Brief an D. Oppenheim, Bru-der des kölnischen Bankiers Oppenheim, mitverantwortlicher Gerant der RhZ, for-muliert. Die Kritik ist von Bedeutung, weil hier deutlich wird, wie die theoretischeKohärenz des junghegelianischen Radikalismus und das praktische Problem derKooperation mit dem Liberalismus gegeneinander stehen.

Marx schreibt Oppenheim zu E. Bauers Artikel:»Eine so deutliche Demonstration gegen die Grundpfeiler der jetzigen Staatszustände kannSchärfung der Zensur, selbst Unterdrückung des Blatts zur Folge haben.« Wichtiger istjedoch für Marx das Bündnis mit den Liberalen: »Jedenfalls aber verstimmen wir eine große,und zwar die größte Menge freigesinnter praktischer Männer, welche die mühsame Rolleübernommen haben, Stufe vor Stufe, innerhalb der konstitutionellen Schranken, die Frei-heit zu erkämpfen, während wir von dem bequemen Sessel der Abstraktion ihre Widersprü-che ihnen vordemonstrieren.« Die RhZ sei für einen solchen Artikel kaum das »gehörigeTerrain (. . .). Zeitungen fangen erst dann an, das passende Terrain für solche Fragen zu sein,wenn diese Fragen Fragen des wirklichen Staates, praktische Fragen geworden sind.« Über-haupt seien »ganz allgemeine theoretische Erörterungen über Staatsverfassung eher passendfür rein wissenschaftliche Organe als für Zeitungen. Die wahre Theorie muß innerhalb kon-kreter Zustände und an bestehenden Verhältnissen klar gemacht und entwickelt werden.«321

Was hier als Verhältnis von Theorie und praktischen Fragen bestimmt wird, istein Modus, mit dem Bündnisproblem umzugehen. Marx will den praktischenZusammenhang mit der liberalen Opposition erhalten wissen und eine theoretischeRadikalität, die keine Rücksicht auf Bündnisse nimmt, zurückdrängen. Diese Frageder Zurücknahme theoretischer Radikalität zugunsten der Bündnisfähigkeit derJunghegelianer muß zur Spaltung einer Partei führen, die von der politischenTheatralisierung des philosophischen Dialogs ausgeht. Dabei ist daran zu erinnern,

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daß die Aufforderung zur Mäßigung hier nicht einmal von den rheinischen Libera-len ausgeht. Nicht der verantwortliche Gerant der RhZ aus der BankiersfamilieOppenheim fordert Rücksichtnahme, sondern der radikale Junghegelianer Marxergreift die Initiative und fordert Oppenheim auf, von der bisherigen Handhabungbei der Aufnahme von Artikeln abzugehen:

»Ich halte es für unumgänglich, daß die Rh. Zeitung nicht sowohl von ihren Mitarbeiterngeleitet wird, als daß sie vielmehr umgekehrt ihre Mitarbeiter leitet. Aufsätze wie derberührte geben die beste Gelegenheit, einen bestimmten Operationsplan den Mitarbeiternanzudeuten. Der einzelne Schriftsteller kann nicht in der Weise das Ganze vor Augen habenals die Zeitung.«322

Während in Königsberg die Balance von junghegelianischem Radikalismus undliberaler Opposition durch das politische Engagement der Liberalen geprägt ist,wird im Rheinland angesichts der laissez-faire-Haltung der Liberalen gegenüberihrer Zeitung aus dem Kreis der Junghegelianer selbst eine Gegenposition formu-liert. Dieses Verhalten tangiert jedoch im hohen Maße die innerparteiliche junghe-gelianische Loyalität. Denn hier ist das Spannungsverhältnis zwischen radikalenund liberalen Positionen nicht mehr ein Außenverhältnis, sondern hat sich zumInnenverhältnis gewendet. Das erklärt, warum die Spaltung der Junghegelianernicht im Verhältnis der Berliner zu den Königsbergern, sondern im Verhältnis derRheinländer zu den Berlinern ihren Ursprung hat.323

b) Herweghs Reise

Will man eine Momentaufnahme der Beziehungen von Junghegelianern und Libe-ralen im Herbst 1842 geben, so bietet es sich an, der Reise des Dichters Georg Her-wegh zu folgen, deren Höhepunkte in Köln, Berlin und Königsberg stattfanden.

Herwegh, in Württemberg geboren, von dort wegen eines Disziplinarvergehenswährend seiner Militärzeit in die Schweiz geflüchtet, wurde berühmt durch seine»Gedichte eines Lebendigen« vom Sommer 1841, über deren Wirkung R. Prutzschreibt: »Es war wie ein Rausch, der das ganze Publikum ergriffen hatte; selbstMänner, bejahrte Männer, die ihrer politischen Überzeugung nach einer ganzanderen Richtung angehörten, vermochten sich dem Wohllaut dieser Verse, derPracht dieser Rhythmen, der Glut dieser Begeisterung nicht zu entziehen.«324 Fürdie Oppositionellen war Herwegh aufgrund seines jugendlichen Pathos eine nochwirksamere Integrationsfigur als der Professor Welcker, dessen Demonstrations-reise vermutlich bei Herweghs Plänen Pate gestanden hatte.325

Herweghs Reise darf nicht als kulturelle Veranstaltungstournee mißverstandenwerden, der Lyriker reist in Sachen Partei. Die Kunst bildet auch hier den ästhe-tisch vermittelten Übergang von der Philosophie zur politischen Praxis. Herweghhat dies in seiner Dichterfehde mit Freiligrath, die große Popularität erlangt, deut-lich gemacht, indem er gegen die Verse Freiligraths: »Der Dichter steht auf höhererWarte / Als auf den Zinnen der Partei« zurückdichtete: »Partei, Partei! Wer solltesie nicht nehmen, / Die doch die Mutter aller Siege war?«326 Dieser Aufruf zur Par-tei wird in der radikalen Publizistik unablässig wiederholt; ab 1843 erscheint er biszur Revolution als Motto auf jeder Ausgabe des Blum-Stegerschen »Vorwärts«.327

Wer ist die Partei, zu der Herwegh aufruft und für die er seine Reise unternimmt?

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Aufschluß gibt ein Artikel in der RhZ vom 30. Sept. 1842.328 Herwegh hat dieRedaktion des >deutschen Boten aus der Schweiz<, eines radikalen Blattes von Emi-granten in der Schweiz, übernommen und will mit seiner Reise Mitarbeiter inDeutschland gewinnen. Die Zeitung soll ein »Parteiblatt« werden:»wer am Leben Teil nimmt, wird notwendigerweise zum Anschluß an Gleichgesinnte hinge-trieben "und nur dadurch kann die Tätigkeit des einzelnen Gewicht und Einfluß erhalten. Jegrößer die Partei, desto größer müssen natürlich auch die Resultate ihrer Tätigkeit sein.«

Es geht also um die Integration der verschiedenen oppositionellen Gruppierun-gen, um einen breiten Zusammenschluß von radikalen Emigranten, liberalerOpposition und der junghegelianischen Partei, der Herwegh als Mitarbeiter derRhZ besonders verpflichtet ist. Die Unbestimmtheit der Programmatik ist ange-sichts des entwickelten Standes der Verfassungsdiskussion kaum noch zu überbie-ten, wenn Herwegh als »Vertreter der jetzigen Jugend« annonciert wird, »in ihmfinden wir alle Sympathien, welche dieselbe empfindet, alle Bestrebungen, in wel-chen sie tätig ist, allen jenen Enthusiasmus, in welchem sie erglüht.«

Wichtig ist darüber hinaus eine neuartige Abgrenzung. Partei ergreifen heißtnicht nur, die Position aufzugeben, die glaubt, »über allen Parteien« zu stehen, son-dern es wird versichert, es bestünde keine Gefahr, daß sich Herwegh »unter diePartei stellen, daß er für irgend eine literarische Clique oder Coterie sein Blatt her-geben werde.« Diese neuartige Abgrenzung verweist auf Gruppendefinitionenoppositioneller Intelligenz, die uns im dritten Kapitel weiter beschäftigen werden,Gruppendefinitionen, die sich im Kontext der Spaltung der Junghegelianer anläß-lich der Reise Herweghs abzeichnen.

Am 1, Okt. 1842 meldet die RhZ die Ankunft des Dichters in Köln mit denBegrüßungsversen: »Im Gewand lebendger Blitze / Flammten deine Blitze nieder,/ Von der Alpen Höhenpracht / Nieder in die deutsche Nacht\« Der Berichterstat-ter versichert dazu, daß der Dichter »hier, in Köln, wie im ganzen Vaterlande dieBestätigung finden wird, daß seine Lieder im Herzen des Volkes wurzeln.«329 DieMitarbeiter der RhZ veranstalten zu Ehren Herweghs ein »glänzendes Festmahl«,und in den nächsten Wochen berichtet die Zeitung regelmäßig über die Huldigun-gen, die der Dichter in Jena und Leipzig erfährt.330

Im November kommt Herwegh nach Berlin, um die Berliner Gruppe für eineMitarbeit an seinem Zeitungsprojekt zu gewinnen. Hier kommt es jedoch zu schwe-ren Zerwürfnissen zwischen einerseits Herwegh und Rüge, der den Dichter nachBerlin begleitet hatte, und andererseits den Berliner Junghegelianern. Ehe ich hier-auf im einzelnen eingehe, sei der weitere Verlauf der Reise skizziert. Herwegh mei-det ein Zusammentreffen mit den Berliner Radikalen, stattdessen wird Herweghdurch die aufsehenerregende Einladung zum Vortrag vor dem preußischen Königentschädigt (19. Nov. 1842). Spekulationen darüber, was ein radikaler Dichter undParteiführer einem König sagen sollte, und was ein König dem entgegnen könnte,füllten die Zeitungen. Der König soll schließlich Herwegh mit den Worten »inzwi-schen wollen wir ehrliche Feinde bleiben« verabschiedet haben.331

Einige Tage darauf trifft Herwegh in Königsberg ein. Wie in Köln wird er miteinem »glänzenden Festmahl bewillkommnet«.332 Der ostpreußische liberaleOberlandesgerichtsrat Crelinger feiert Herwegh als unerschrockenen Freiheits-kämpfer:

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»Es seien manche aufgetreten, sagte er, die gesprochen, was sie gedacht, die ohne Furcht dasfreie Wort verkündet hätten, indes sei ihnen statt des Lohnes Kerker und Kette zuteil gewor-den: die Jugend aber, die die Freiheit ehren und erhalten soll, darf sich hierum nicht küm-mern, sie muß der Gefahr trotzen.«

Herwegh bringt einen Toast auf Jacoby aus, und dieser erklärt unter Beifall:»Während wir den Dichter feiern, der mit den kräftigen Worten die Jugend zu küh-nen Taten ermutigt, wollen wir auch derer nicht vergessen, die mit der Kraft desWortes für das Wohl des Vaterlandes sorgen - der Badischen Landstände.«333

Zusammengefaßt kann zu den Höhepunkten der Herwegh-Reise festgestelltwerden: in Königsberg ist das breite Spektrum der Opposition versammelt, in Kölnbestimmen die Radikalen der RhZ das Bild, und in Berlin kommt es zur Spaltungder Junghegelianer. - Zum Abschluß der Reise muß noch nachgetragen werden:Mitten in die Königsberger Feierlichkeiten trifft die Nachricht vom Verbot desnoch gar nicht erschienenen Herweghschen »deutschen Boten aus der Schweiz«ein. Herwegh schreibt aus Königsberg direkt an den König und beruft sich auf die»ehrliche Feindschaft«. Der ungeschickt abgefaßte Brief gelangt durch eine Indis-kretion in die >Leipziger Allgemeine Zeitung<. Folge dieser Veröffentlichung istnicht nur, daß die oppositionelle Presse an der Integrität Herweghs zu zweifelnbeginnt. Er selbst wird aus Preußen ausgewiesen, und die >Leipziger AllgemeineZeitung< wird in Preußen verboten. Dies ist der erste Schlag gegen die gerade erstvor kurzer Zeit möglich gewordene freiere Berichterstattung. Wenige Monate spä-ter folgt das Verbot der RhZ.334

Soweit der Rahmen, innerhalb dessen sich die Spaltung der junghegelianischenPartei vollzieht. Das Zerwürfnis Herweghs und Ruges mit Teilen der Berliner Jung-hegelianer ist von den Zeitgenossen unterschiedlich charakterisiert worden. Prutzschreibt über den Empfang Herweghs in Berlin:»Der Empfang war hier nicht so glänzend wie bisher; schon die Größe der Stadt, die Man-nigfaltigkeit der Richtungen und Coterien verhinderte solche einstimmige (!) Kundgebun-gen der öffentlichen Teilnahme, wie sie anderwärts stattgefunden hatten und auch an inne-ren Widersprüchen fehlte es nicht. Jene Berliner >Freien<, (. . .), die seit ihrem verunglücktenVersuch, sich als radikale Gemeinschaft zu konstituieren, so ziemlich in Vergessenheit gera-ten waren, trotz der zahlreichen Zeitungsartikel, durch die sie selbst täglich an sich und ihrwunderliches Treiben erinnerten - diese Berliner Freien, ein unerquickliches Gemisch vonphilosophischem Radikalismus, sittlicher Zerfahrenheit und politischem Indifferentismus,wollten Herweghs Anwesenheit in Berlin benutzen, ihre oft bezweifelte Existenz durch einegeräuschvolle Manifestation zu dokumentieren. Schlechte Kritiker wie sie waren, obwohl siesich selbst als der wahre Gipfel der Kritik, die eigentliche kritische Kritik verkündeten, hiel-ten sie den Dichter völlig für einen der ihren und rüsteten sich, diese innerliche Gemein-schaft auf lärmende Weise an den Tag zu legen. Allein sie täuschten sich; (. . .). Herwegh,der in Arnold Ruge's Gesellschaft nach Berlin gekommen war, lehnte die angeboteneGemeinschaft mit den Freien ab.«335

Anders lautet das Urteil eines Briefschreibers, der mit B. Bauer korrespondierte.Er schreibt rückblickend über seine Berliner Erlebnisse:

»Ich erinnere mich immer noch mit Freude des Sommers von anno 42; was war das unteruns >Radikalen< für ein einträchtig (!) Leben, trotz aller Debatten über Atheismus und Popu-

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larität und Jacoby und Königsberg; wir waren durch die Rheinische Zeitung verbunden -kurz wir fühlten uns fast als Partei. Dann brachte uns im Herbst die Anhaltsche Eisenbahnjene beiden >Freiheitsmänner<, die eigens gekommen schienen, um nach Berlin, das ihnen zufrei und frivol war, ein gediegenes sittliches Prinzip und den Anker der Religion der Freiheitzu bringen. Aber dieser Anker wollte gar nicht in dem bodenlosen >Sumpfe< der Frivolitäthaften und die >Straßenjungen< verspottejten sie, als sie das neue Evangelium auf den Gassenpredigten. Sie wollten sich nicht weiter beschmutzen, der eine wendete sich ganz malcontentnach Hause, der andere reiste in den Norden, um begeisterte Reden zu hören und zu halten.Einige Zeit daraufmachte auch ich nach Hause zurück, wo ich mit der Nachricht der unter-deß eingetretenen Verbote eintraf.«336

Unterschiedlich ist schon die Situationsbeschreibung der Gruppen in Berlin. FürPrutz bietet Berlin ein Bild widersprüchlicher Gruppenbildungen, der Briefpart-ner B. Bauers erinnert sich an eine homogene Szene, die dem, was Partei in dieserZeit heißen konnte, schon sehr nahe kam. Für ihn sind Herwegh und Rüge phili-ströse Gestalten, die mit der Berliner Radikalität nichts anfangen können. Umge-kehrt hat für Prutz das Treiben der Berliner jeden ernsthaften politischen Sinn ver-loren. »Frivolität« versus »politische Ernsthaftigkeit«, diese beiden Bezeichnungentauchen häufig in den Beurteilungen von seiten der Kritiker der Berliner Gruppeauf, während die Berliner das politische Pathos anderer Junghegelianer als quasireligiös und somit als den Ideen der Aufklärung und der Freiheit zuwiderlaufenddarstellen.

Was sich in der Spaltung abzeichnet, ist die Kontur eines anderen Typus junghe-gelianischer Gruppenzusammenhänge, als die, die bisher dargestellt wurden. Die-ser Typ ist verschieden vom Schulzusammenhang im Rahmen akademischer Teil-kulturen. Er ist auch nicht mehr zu verstehen im Rahmen der Formeln des Über-gangs von der Philosophie zum Leben. Und so sehr hier noch der Begriff >Partei<im Spiele ist, das >Treiben< der Berliner gilt denen, die auf eine breite Oppositions-partei hinarbeiten als unpolitisch oder, als modern gesprochen, »parteischädi-gend«.

Zum Prozeß der Spaltung im einzelnen: Wahrscheinlich hat Herwegh sich aufRuges Rat hin gar nicht erst mit den Berlinern getroffen.337 Rüge hatte die Absicht,die Berliner für das Projekt einer freien Universität zu gewinnen,338 über seine nega-tiven Erfahrungen beim Treffen vom 10. November 42 hat er vermutlich mit Her-wegh gesprochen, zunächst aber nichts unternommen. Aktiv wurden Herwegh undvon seiten der Berliner E. Meyen. Sie wandten sich an Marx in Köln, wohl nicht,»damit er ihren Streit schlichte«, wie Cornu die Rolle Marxens überhöht dar-stellt,339 sondern, um das Verhalten der RhZ zu erkunden und zu beeinflussen.

Marx stellt sich auf die Seite von Herwegh und schreibt am 29. Nov. 1842 unterVerwendung Herweghscher Formulierungen in der RhZ:»Die >Elberfelder Zeitung< und aus ihr die >Didaskalia< enthalten die Nachricht, daß Her-wegh die Gesellschaft der >Freien< besucht, dieselbe aber unter aller Kritik befunden habe.Herwegh hat diese Gesellschaft nicht besucht, sie also weder unter noch über der Kritik fin-den können. Herwegh und Rüge fanden, daß die >Freien< durch ihre politische Romantik,Geniesucht und Renommage die Sache und die Partei der Freiheit kompromittieren, wasauch offen erklärt wurde und vielleicht Anstoß gegeben haben mag. Wenn Herwegh also dieGesellschaft der >Freien<, die einzeln meist treffliche Leute sind, nicht besucht hat, so

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geschah es nicht, weil er etwa eine andere Sache verficht, sondern es geschah lediglichdarum, weil er die Frivolität, die Berlinerei in der Art des Auftretens, die platte Nachäffereider franz. Klubs, als ein Mann, der auch von franz. Autoritäten« sein will, haßt und lächer-lich findet. Der Skandal, die Polissonnerie müssen laut und entschlossen in einer Zeit desa-vouiert werden, die ernste, männliche und gehaltene Charaktere für die Erkämpfung ihrererhabenen Zwecke verlangt.«340

Einige Formulierungen dieser Korrespondenz, mit der die Spaltung der Junghe-gelianer öffentlich dokumentiert wird, verdienen es, hervorgehoben zu werden.Die Berliner werden als »Freie« tituliert, obwohl die Nachricht der Vereinsgrün-dung schon seit Monaten als erledigt gelten muß. Die »Freien« existieren nichtmehr, trotzdem hält sich der Titel, und er wird zusätzlich konnotiert in Richtungeiner Gruppierung, die >unter aller Partei< steht. Es ist keine Gruppierung, dieandere Ziele verfolgt als die Herweghsche Partei, es handelt sich auch nicht um eineandere Partei; im Zentrum steht die »Art des Auftretens«, ein Kriterium, das inner-halb der philosophischen Schulstreitigkeiten allenfalls als eine Differenz der Prinzi-pien zur Geltung hätte kommen können. Jetzt, als politische Partei, wird >Glaub-würdigkeit< gefordert, die auf Anhänger zielt. Als einzelne sind die Berliner »meisttreffliche Leute«, d. h. sie wären jeder schon parteifähig, aber es gibt einen Typ vonVerbindung unter ihnen, ein spezifisches Gruppenphänomen, das verhindert, daßihre einzelnen parteifähigen Kräfte adäquat zur Geltung kommen können.

Einen Tag nach Erscheinen der Korrespondenz informiert Marx Ruge über sei-nen Briefwechsel mit Meyen, in dem er seine Haltung erläutert.341 Neben der Kritikan der Form, in der die Berliner auftreten, spielt eine entscheidende Rolle dieFrage, welchen Einfjuß die Berliner Gruppe auf die RhZ haben sollte. Marxbemängelt die lasche Redaktionsführung Rutenbergs, bei der sich die Berlinerdaran »gewöhnt hatten, die RhZ als ihr willenloses Organ zu betrachten, ich abernicht weiter dies Wasserabschlagen in alter Weise gestatten zu dürfen glaubte.« DieBerliner interpretierten die von der preußischen Regierung verlangte EntfernungRutenbergs aus der Redaktionsleitung und die Nachfolge von Marx als grundlegen-den Gesinnungswandel der Zeitung und verlangten nun von Marx Auskunft »überdas neue Redaktionsprinzip und die Stellung zur Regierung«. Marx wird der Vor-wurf des »Konservatismus« gemacht, »die Zeitung dürfe nicht temperieren, son-dern müsse das Äußerste tun«. Marx übersetzt diese Forderung: »d. h. ruhig derPolizei und der Zensur weichen, statt in einem dem Publico unsichtbaren, abernichts desto weniger hartnäckigen und pflichtmäßigen Kampf ihren Postenbehaupten.«

Ruge zeigt sich in seiner Antwort überrascht, daß Marx es durch die Veröffentli-chung in der RhZ und seinem Briefwechsel mit Meyen auf die Spaltung habeankommen lassen. Er hatte daraufgebaut, daß »die Geschichte sich ( . . . ) der Publi-zität entziehen würde.«342 Gegenüber Fleischer erklärt er: »Ich hatte dabei anfangsdie sehr unbefangene Absicht, sie (die »Freien«, d. V.) zur Auflösung ihrer Sozietätzu bewegen, damit sie die gute Sache nicht kompromittieren und sich selbst nachGelegenheit blamierten.«343 Dies ist ihm nicht gelungen. »Nun also ist der Würfelgefallen«, schreibt er Marx. Allerdings macht er noch den Versuch, B. Bauer in derSpaltungsfrage umzustimmen. Er schließt sich der Marxschen Kritik der BerlinerGruppe an, besteht aber darauf: »Die Hauptsache wäre aber, Bauer selbst von dem

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Plane abzubringen, die Freien und ihre hohle Renommage zu beschützen und alsetwas Vernünftiges hinzustellen.« Ruge mahnt Marx:

»Aber noch einmal: ich hoffe, daß Sie Bauer aus dieser Atmosphäre retten - vielleicht schondurch ihre Briefe an Meyen, die der natürlich mitteilt, und wenn sie noch so stark wären -besser aber noch, wenn Sie sich bei ihm selbst über das Unwesen der Freien ernstlichbeschwerten. Bauer darf nicht publice in diese Suppe mit verwickelt werden, und er trautsich viel zu viel zu, wenn er meint, daß er das vertragen könnte. Ohne sittlichen Ernst ist inDeutschland auch die beste Sache verloren, (. . .). Ich mag es mir nicht gestehen, daß Baueruns den Streich spielen und sich mit den Freien isolieren könnte, und ich wünschte um sei-netwillen — um der guten Sache willen — diesen Tollhausstreich zu vermeiden. - Tun Siedazu, was Sie können. Ist er aber nicht zu vermeiden, und zerren die Freien sich und ihrabgeschmacktes Prinzip (!) ins Publikum - so bin ich der erste, der alles daran setzt, siegründlich totzuschlagen und die Sache der Freiheit von dieser wüsten Willkür, die es dahingebracht hat, daß der herrscht, der am lautesten schreit, am stärksten dreinschlägt, zubefreien.«544

B. Bauer jedoch distanziert sich nicht von der Berliner Gruppe. Sein letzter Briefan Marx vom 13. 12. 1842, der mit einem »Lebe wohl« endet, geht von der vollzo-genen Spaltung aus. Bauer weigert sich angesichts des Briefwechsels zwischen Kölnund Berlin, »eine Berichtigungsbude« aufzuschlagen. In zurückhaltender Formweist er Marx auf dessen Anteil an der Spaltung hin:

»Alle und jegliche Briefe, die von hier aus nach Köln kamen, hättest Du doch nach DeinerKenntnis der Person und Verhältnisse kritisieren sollen. Und Deine Briefe, die Du hierhergeschickt hast, hättest Du, ehe Du sie abschicktest, einen Tag in Deinem Pulte liegen lassensollen.«

Marx' Artikel vom 29. Nov., der die Spaltung öffentlich dokumentiert hatte,schreibt Bauer allein Herwegh selbst zu und bemerkt dazu:

»Endlich habt Ihr durch die Aufnahme von Herweghs Korrespondenz offenbar Parteigenommen, und Ihr müßt umso triftigere Gründe dazu gehabt haben, da Ihr den Wider-spruch in jener Korrespondenz übersaht, daß derselbe, der die hiesigen schildert, selbst sagt,daß er sie nicht in corpore gesehen habe, und da Ihr nicht in Betracht zöget, daß das gereizteWesen dieser Korrespondenz das Zeichen einer kleinen Seele ist.«

Für Bauer haben sich die Berliner nichts vorzuwerfen:

»Das Recht der Hiesigen ist unbestreitbar. Darum haben sie trotz aller Reizungen geschwie-gen. Lieber Marx, das Recht Berlins ist so groß, die Berliner haben so wenig durch falscheSchritte die Übereilungen anderer hervorgerufen, daß ich über diese Sache gar nicht weitersprechen mag, da ich zuviel Unangenehmes, woran hier niemand schuldig ist, berührenmüßte.«345

Gruppenspaltungen sind nicht nur ein organisatorisches Problem. Sie spielensich auch auf der Ebene persönlicher Bindungen ab. Davon zeugt der erregte Brief-wechsel, den die Beteiligten miteinander führen. Aber es wäre unzureichend, dieSpaltung der Junghegelianer lediglich auf der Ebene persönlicher Streitereien imBereich des allzu Menschlichen anzusiedeln. Soziologisch bedeutender ist, daß sichfür die Gruppen in Köln, Berlin und Königsberg unterschiedliche Erfahrungs-räume darboten, die ihre vermeintlichen Handlungszwänge und Handlungsfreihei-

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ten beeinflußten. Ein wesentlicher Faktor dieser Erfahrungsräume war extrem dif-ferent: die Präsenz einer liberalen Opposition, mit der sich die Radikalen je nachden Orten mehr oder weniger praktisch alltäglich auseinandersetzen mußten, vorallem dann, wenn sie ihrem Postulat, politische Partei zu sein, gerecht werden woll-ten.346

Verwundert es, daß die Junghegelianer als politische Partei von Hegels Diktum:»Eine Partei ist dann, wenn sie in sich zerfällt«347 eingeholt wurden? In der Tat:Dort, wo sie daran gehen, sich in der Oppositionsbewegung des Vormärz zu veror-ten, spalten sie sich in der Frage der Kompromißbereitschaft gegenüber den Libe-ralen. Natürlich spielt die staatliche Repressionspolitik eine wichtige Rolle bei derSpaltung, aber der Druck von oben reicht als Erklärung des Geschehens nicht aus.Faßt man allein ihn ins Auge, so wäre auch ein Zusammenrücken der Oppositionel-len denkbar gewesen.

Lassen sich über den Gedanken an die unterschiedlichen lokalen Erfahrungs-räume hinaus noch andere Momente benennen, die für die Kompromißunfähigkeitder Junghegelianer verantwortlich zu machen sind? Diese Frage muß gestellt wer-den, denn auch die rheinische Gruppe, die um eines Kompromisses mit den Libe-ralen willen die Spaltung in Kauf genommen hatte, wird nicht in den Liberalismuseingehen. Im Gegenteil: einige Monate später nehmen diese Junghegelianer denKampf gegen den Liberalismus im Namen des Sozialismus auf.

U. Köster hat die These aufgestellt, daß das »Strukturideal des radikalen Libera-lismus« der Junghegelianer »dem Liberalismus selbst im Grunde feindlich« war.Der Grund hierfür läge in dem Widerspruch zwischen dem Festhalten an denromantischen Mustern einer politisierten Theologie und der darauf aufgesetztenForderung nach liberalen Institutionen. »Das romantische Strukturideal des radi-kalen Liberalismus steht so im Widerspruch zu den konkreten Forderungen, die erverwirklichen wollte, und es scheint, als liege ihm gar keine durchdachte politischeKonzeption zugrunde.«348 Bezogen auf die Differenz eines monistischen Lösungs-versuchs des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft und einer dualistischen Kon-zeption der Balance beider Sektoren mag die These zutreffen. Und in der Tat ist jaauch die Mangelhaftigkeit des »Absoluten« der theoretische Ausgangspunkt derVerfassungsdiskussion gewesen.

Aber hat die junghegelianische Partei »keine durchdachte politische Konzep-tion« ihrem Handeln zugrunde gelegt? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: ImProzeß des Durchdiskutierens des Staates hat sie eher zu viele durchdachte politi-sche Konzeptionen hervorgebracht. Dieser Überschuß an politischer Konzeption,der Überschuß am Durchdenken des Politischen hat sich in seltsamer Weise alsdysfunktional erwiesen. Es wäre auch voreilig anzunehmen, diese Überschüsse hät-ten sie daran gehindert, >praktisch< zu werden. Eher das Gegenteil ist der Fall: esgibt kein politisches Geschehen der fraglichen Zeit, in das sich die Gruppe nichteingemischt hätte, ja, sie hat den Bereich des Politischen, den Horizont möglicherPraxen erweitert und Fragen zu politischen Tagesfragen erhoben, die diesen Sinnim Bewußtsein der Zeitgenossen bisher nicht gehabt hatten. Auch hier könnte maneher sagen, daß die Gruppe ein Zuviel an >Praxis< aufzuweisen hat.

Die Frage nach den inneren Ursachen der hervorbrechenden Kompromißunfä-higkeit der Gruppe gegenüber den Liberalen läßt sich am prägnantesten damit

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beantworten, daß die Junghegelianer zwar eine politische Partei konstituiert haben,die im Kontext der vormärzlichen Verhältnisse alle Elemente enthielt, die dieseDefinition rechtfertigen, daß sie aber neben dieser veritablen politischen Parteiauch noch mit anderen Gruppendefinitionen experimentiert haben. Hier liegt derQuellpunkt des Überschüssigen, das dysfunktional wird. Im Übergangsfeld derPhilosophie, die Partei macht, erhält sich noch vieles, was dem Typ der philosophi-schen Schule angehört, und zugleich taucht das Bild einer Gruppe auf, die >unterallen Parteien< steht. - Bevor wir uns den weiteren Gruppendefinitionen der Jung-hegelianer zuwenden, sollen, dies Kapitel abschließend, Zeitgenossen zu Wortkommen, die das Scheitern der junghegelianischen Partei von außen kommentie-

8. Stimmen von Zeitgenossen zum Scheiternder junghegelianischen Partei

1841, zu einem Zeitpunkt, als die Parolen der Junghegelianer von der Philosophie,die Partei macht, schon ein konturiertes Profil erhalten haben, setzt sich Karl Bie-dermann, ein Liberaler, der über bildungsbürgerliche Orientierungen hinausge-hend einen offenen Blick für die Probleme der sich abzeichnenden bürgerlich-industriellen Gesellschaft hat, in der Altonaer Zeitschrift >Der Freihafen< mit derStellung der deutschen Philosophie »zum öffentlichen Leben und zur modernenGesellschaft« auseinander.349 In seinen Ausführungen kommt der skeptischeGrundtenor vieler Zeitgenossen zum Ausdruck, die das junghegelianische Partei-projekt verfolgen. Seine Zweifel richten sich darauf, ob denn die deutsche Philoso-phie in ihren avantgardistischen junghegelianischen Vertretern überhaupt in derLage sei, eine Partei zu machen, die den Bedingungen der modernen Gesellschaftgerecht wird.

Biedermann rühmt zwar die Leistungen der deutschen Philosophie von Kant bisHegel, indem er besonders auf die Elemente verweist, die ihm gesellschaftlich-praktisch relevant erscheinen - so heißt es von Kant: »Das letzte Wort der Kant-'schen Kritik war: Erfahrung, die letzte Tendenz seines Systems war eine rein prak-tische.« Und wichtig an der Hegelschen Philosophie ist für ihn: »nicht die in sichselbst verschlossene, ruhende Allgemeinheit oder Idee, sondern die einzelne, reelle,tatsächliche Erscheinung ist der höchste Ausdruck und Zweck des Lebens.«350

Aber dies ist für Biedermann noch nicht ausreichend. Die deutsche Philosophiehabe sich zwar von ihren spirituellen, religiösen Voraussetzungen ein Stück weitgelöst, aber es sei ihr nicht gelungen, sich ganz auf die >Objektivität< der prakti-schen Beziehungen der Menschen einzulassen.»Während sie (die philosophischen Systeme, d. V.) nämlich nicht umhin können, für dierechtlichen und politischen Beziehungen der Menschen untereinander eine materielle Basisaufzusuchen, gehen sie, in Bestimmung des allgemeinen und letzten Zwecks des menschli-chen Lebens, wieder ganz ihren ideologischen Neigungen nach und verweisen das Indivi-duum in eine Sphäre, welche weit über dem gemeinen, irdischen Treiben der Gesellschaft,weit über den Bedürfnissen und Interessen des natürlichen Lebens, in den luftigen Regionendes Ideals, des reinen Gedankens oder des sublimsten Gefühls gelegen ist.«351

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Auffällig an Biedermanns Begrifflichkeit ist schon, mit welcher Sicherheit erBegriffe wie »materielle Basis«, »rechtliche und politische Beziehungen« und»ideologische Neigungen« verwendet, Begriffe, die heute, aus postmarxistischerPerspektive, selbstverständlich klingen, die aber 1841 in Deutschland selten zu fin-den sind.

Biedermanns These lautet: Die Stellung der Philosophie ist eine zwiespältige, siemuß die gesellschaftlichen Tatsachen anerkennen, kann jedoch andererseits aufihre spekulativ spirituellen Traditionen nicht verzichten. Angesichts der Alterna-tive, zu der die moderne Gesellschaft die Philosophie herausfordert: entweder alsZiel »eine innere, ideale Vollendung« des Menschen anzustreben, oder den Akzentauf »die Erwerbung und Benutzung« von »äußeren Gütern, die Entwicklung seiner(des Menschen, d. V.) natürlichen Kräfte und Talente, die Beherrschung undBehandlung der Körperwelt« zu legen, sei die deutsche Philosophie unentschie-den.352 Diese Unentschiedenheit habe sich - so die Pointe der Argumentation -zunächst sehr vorteilhaft für die Philosophie ausgewirkt, der Vorteil schwinde aberzunehmend. Die strategisch vorteilhafte Situation habe darin bestanden, daß diePhilosophen einerseits im Rückgriff auf Elemente der modernen Welt einen über-zogenen Spiritualismus religiöser Herkunft abwehren und zugleich umgekehrt imNamen des Idealen die freie Entfaltung der praktischen Interessen begrenzenkonnten.353

Aus dieser Stellung der Philosophie resultiert denn auch für Biedermann diebesondere Rolle, die der Hegelianismus in Preußen spielte.»Konnte es für sie (die Philosophen, d. V.) irgendwo eine günstigere Stellung geben, als ineinem Staate, wo zwar die Notwendigkeit gewisser sozialer Verbesserungen und eines gewis-sen Fortschritts im liberalen Sinne anerkannt, aber die Initiative dieser Bewegung aus-schließlich der Regierung vorbehalten war? Wo man sich mit den Bedürfnissen der Zeit, denAnforderungen der öffentlichen Meinung auszugleichen wünschte, ohne doch dieser öffent-lichen Meinung eine entscheidende Stimme in den Angelegenheiten des Staats zuzugeste-hen ? Mit einem Worte, wo man Reformen wollte, aber nur begrenzte, eine Freiheit, aber nureii.e bedingte? Hier war die Philosophie mit ihren Konzessionen und Reservationen, mitihrem dialektischen Aussichherausgehen und Insichzurückschlagen, recht am Platze. Hierkonnte der Philosoph durch die Universitäten und die Beamteten entscheidend auf denGang der Regierung einwirken und die praktische Probe auf seine theoretischen Ideenmachen. Daher ist auch stets zwischen der modernen deutschen Philosophie und dem preu-ßischen Staate eine auffallende Sympathie bemerkbar gewesen.«354

Diese »günstige Stellung« ist weniger durch den Regierungswechsel des Jahres1840 verloren gegangen, sondern durch einen fundamentaleren geschichtlichenProzeß:

»Die Initiative des Kulturfortschritts ist an die große Masse der praktischen Leute, derGeschäftsmänner, der Industriellen übergegangen; die Kenntnisse und die Ideen sinddemokratisiert; die Presse, mit ihren raschen, für das praktische Bedürfnis des Tages berech-neten, Mitteilungen, hat die schwerfälligen Theorien der Gelehrten überflügelt. Der Natio-nalgeist gehorcht instinktartig den Interessen des Verkehrs, und tritt durch seine industriel-len und kommerziellen Verbesserungen gegen die mächtigsten Rivalen furchtlos in dieSchranken. (...) Die Sache der Spekulation ist verloren; die Prärogative des Systems ist ver-nichtet.«355

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Angesichts dieser neuen Situation kommen für Biedermann die »Philosophen«als politische Bündnispartner kaum in Frage. Auch wo sie Partei ergreifen wollen,bilden sie »eine undisziplinierte Masse, welche weder ihre Führer, noch ihre Fah-nen kennt.« Dieselbe »Fraktion, ja derselbe einzelne Philosoph dieser Partei verei-nigt in sich die divergierendsten Ansichten; jeder ist ein verkörperter Widerspruch.Das ist das Einzige, worin sie alle das Grundprinzip ihres Meisters repräsentie-ren.«356

Biedermann beschließt seine Ausführungen mit einer eindrucksvollen Charakte-risierung der Lage jener Philosophen, die das Terrain des Übergangs von der Philo-sophie zur Partei, von der Wissenschaft zum Leben, von der Theorie zur Praxisbevölkern. Sie sind für ihn die »Märtyrer« der »sozialen Wiedergeburt«. Erschreibt:

»In der Verehrung von Idealen und in der Verachtung des Materiellen erzogen, müssen sie(die Philosophen, d. V.) die faktische Übermacht des Letzteren und die Ohnmacht desErsteren erfahren. Gewöhnt, von ihrem erhabenen Standpunkte der Wissenschaft und desGeistes mit Stolz auf die gemeinen Beschäftigungen und die beschränkten Ansichten derPraktiker herabzublicken, sehen sie eben diese verachteten Praktiker in allen Lebensverhält-nissen vorgezogen, geehrt, im Genüsse aller reellen Macht und alles reellen Glücks, sichselbst aber überall zurückgestoßen, durch das Mißtrauen der anderen, wie durch die eige-nen nicht zu überwindenden Idiosynkrasien von aller wirksamen Teilnahme an den Angele-genheiten der Gesellschaft ausgeschlossen, und auf die mißlichen Tröstungen poetischerErregung und logischer Begeisterung verwiesen. Sie wollen an das praktische Leben heran,und es zieht sich vor ihrer ausgestreckten Hand, vor ihrem aufgehobenen Fuße zurück, wieTrank und Speise vor den Lippen des Tantalus. (. . .) Die freie, rasch entschlossene undwirksam treffende Tat, welche bei den Männern des praktischen Lebens sich aus dem siche-ren Instinkt des Bedürfnisses erzeugt, diese wollen sie durch einen dialektischen Gedanken-prozeß vermitteln, wenn sie aber, durch tausend Verschlingungen und Lösungen ihrerBegriffe, an dem Punkt angelangt sind, auf den sie hinzielten, so haben sie nur die Möglich-keit dessen bewiesen, was schon ist, und die Erfahrung weiß ihnen für diese verspätete Weis-heit wenig Dank. Sie haben das traurige und undankbare Geschäft, angewohnte und liebge-wordene Illusionen zu zerstören, ohne doch einen positiven Einsatz dafür aus ihren Mittelngewähren zu können; sie wehren die Geister der alten Zeit von dem neu erbauten Boden ab;aber die Urbarmachung und den Genuß dieses Bodens müssen sie andern überlassen; siesehen das gelobte Land vor sich ausgebreitet und deuten die rechten Pfade an, aber ihnenist nicht vergönnt, in dasselbe einzuziehen und sich darin anzusiedeln. Durch solche Wirrenund Leiden büßen die Philosophen die Schuld der Gesellschaft und ihre eigene Schuld.Widerstrebend oder freiwillig, sie müssen ihr Geschick erfüllen.«357

Passagen wie diese machen die Differenz der sozialen Erfahrung zwischen demwachsenden Selbstbewußtsein der bürgerlichen »Praktiker« und den angestreng-ten Gesten der junghegelianischen Intellektuellen deutlich, in den heraufziehendenmodernen Verhältnissen als Partei Fuß zu fassen. Anerkannt wird allenfalls dieArbeit der Kritik und das Aufgeben der »günstigen Stellung«, aber die junghegelia-nische Partei ist für Biedermann bereits 1841 eine Ansammlung tragischer Gestal-ten.358

Mit Gelassenheit beobachtet auch ein Jahr später Ch. Feldman im Altonaer>Freihafen< die Aktivitäten der Junghegelianer.359

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»Diese Schule tritt so ganz unbedingt und rücksichtslos allem entgegen, was bisher dieschönste Eigentümlichkeit des Deutschen nicht nur, sondern auch des menschlichen Gemütsüberhaupt ausmachte, daß, würden die Grundsätze allgemein, allerdings ein neues Volk, dieHegelianer, an die Stelle unserer Vaterlandsgenossen treten müßte. Da hätten wir dennbuchstäblich den Himmel auf Erden, aber auch nicht minder gewiß die Hölle daneben.«

Ein vernünftiger Fortschritt sei in den junghegelianischen Parteibestrebungennicht zu entdecken, und der Autor dreht den Spieß geradezu um: ein Sieg der Jung-hegelianer bedeute: »Das monarchische Prinzip hätte nun wirklich dem republika-nischen Platz gemacht, und die Machtvollkommenheit des höchsten Gottes wäreunter so viele Millionen irdischer Götter verteilt.«

Ohnehin könne es sich bei der junghegelianischen Bewegung nur um eineScheinblüte handeln.

»Wie ist es doch gekommen, daß die mit Impotenz und Tatenlosigkeit geschlagene Hegel-sche Schule, für den Augenblick, sich so bemerklich zu machen imstande war? Es ist ebennur erklärlich durch allzu freies Walten der Bücherverbote und der Zensur, durch unbe-fugte staatliche Einmischung in die unabhängige Glaubenssphäre, und durch die fixe Idee,vermittels theologischer Formen den Fortbestand des politischen Status quo zu sichern!«

Die liberale Lösung des Problems lautet für Feldmann:

»Tut nichts, und ihr werdet eben alles getan haben. Gebt der Forschung und Untersuchungin religiösen Dingen eine allgemeine und unbeschränkte Freiheit; gestattet den Rationalisten,eben wie den Hegelianern, die volle, unumwundene Rede; den Hirten der Herde mag dieHerde selber wählen, und unabhängig und friedlich mögen die Herden mit und neben ein-ander wandeln!«

Außerdem habe die moderne Zeit den »großen Vorteil« der »Druckerpresse;sollen wir denselben nicht, seinem ganzen Umfang nach, benutzen?« Kurz gesagt:Mit liberaler Pressepolitik würde das Phänomen der Junghegelianer von selbstunattraktiv werden und auf den Status einer Sekte reduziert sein. Eine große Hilfefür den Fortschritt, auf den Feldmann setzt, sind die Junghegelianer nicht.

Daß sich gerade aus der HegeLschen Philosophie heraus eine praktische Bewe-gung bilden sollte, ist für viele Zeitgenossen schwer verständlich gewesen. 1843 ver-öffentlicht ein Anonymus in der >Deutschen Vierteljahrsschrifu einen umfangrei-chen Beitrag, in dem Hegels Philosophie gleichsam auf ihre Praxisfähigkeit hingeprüft wird.360

Die denkerische Leistung Hegels wird vom Autor gern anerkannt, jedoch mitdem Nachsatz, diese Philosophie sei »ganz im Geist und Sinne einer Zeit, die ohneTat und Anstrengung, wie ohne Selbstverleugnung den höchsten Preis gewinnenwill, und mußte so Glück bei einem Volke machen, dessen fast einzige Macht derGedanke ist und das sich über seine Tatenarmut und Unmacht im Handeln damittrösten will, die Welt durch den Gedanken zu erobern oder zu vollenden.« DieDimension der Praxis sei bei Hegel verschwunden. »Hegels Grundfehler, wie wirglauben, nach anderen freilich ein unsterbliches Verdienst, ist die starre Einseitig-keit, mit welcher er bloß die Interessen und Ansprüche des Denkenden, wissen-schaftlichen Menschen zu Rate zieht.«

Darüber hinaus ist der Hegelianismus schon seiner Form wegen nicht verallge-meinerungsfähig.

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»Nun wird zwar ein System, das dem menschlichen Denken so hartes und widerstrebendeszumutet, wie nach seinem eigenen Geständnis das Hegeische, nie die herrschende Lehreund der allgemeine Glaube der Menschheit werden, und Hegel selbst hat über die Kluft,welche den natürlichen Menschen von dem spekulativen (d. h. von dem im hegelschenSinne spekulativen) trennt, sich nie getäuscht. ( . . . ) Hegel erkannte, daß die Männer, derenReligion das Wissen ist, immer nur eine kleine Minderheit bilden werden, und besonnenerals diejenigen seiner Schüler, welche das Hegeltum zum Volksglauben machen möchten,schonte er sorgsam die nach seiner Ansicht freilich auf einer weit niedrigeren Stufe stehen-den Vorstellungen der geoffenbarten Religion.«

Der »Charakter der Geheimlehre« sei dem Hegelschen System »wesentlich«.Überhaupt sei die HegeLsche Intention in der Grundfigur ihres Denkens den prag-matischen, nicht systematischen Bereichen geradezu gegenläufig. »Je strenger, kon-sequenter überhaupt das System des absoluten Wissens durchgeführt wird, destotrostloser sind die praktischen Resultate, desto deutlicher zeigt es sich, daß derAbsolutismus des Wissens ein ebenso zerstörender, verneinender, unduldsamer istals der politische.«

Bei diesen Voraussetzungen ist es für den Autor schlechterdings unmöglich, miteinem Hegelianischen Instrumentarium in der Praxis zurechtzukommen. Und sostellt der Autor mit Befriedigung fest, daß die HegeLsche Philosophie bei denErben,»dem praktischen Zuge unserer Tage folgend, sich entschließen mußte, den beschaulichenGleichmut ihres Meisters, der an den Dingen dieser Welt bloß einen kontemplativen Anteilnahm und der Philosophie die Fähigkeit für praktische Schöpfungen ausdrücklichabsprach, aufzugeben, um praktisch zu werden. Hat aber die Schule in ihren energischstenund frischesten Vertretern den Haß gegen alle philosophische Weltverbesserungen abgetan,und sicher nur zu ihrem Vorteil abgetan, so ist dies jedenfalls schon eine radikale Ände-rung.«

Die Bestrebungen eines A. RUge sind für den Autor schon solche, die jenseits desHegelianismus liegen, »als dessen immanente eigene Negation«. Praktisches Enga-gement und Hegelei - so könnte man den Autor resümieren, schließen einanderaus. Und die Lehre, die hier den Junghegelianern von außen gegeben wird, lautet:Folgt nur dem Zug der Zeit, werdet praktisch, auch als Partei, aber dann werdet ihrnichts besonderes und schon gar keine Hegelianer mehr sein.361

Rückblickend auf die deutsche Journalistik im Jahr 1843 beschreibt W. H. Riehlden »Abklärungsprozeß des deutschen Liberalismus.«362 Herweghs Audienz beimKönig ist für ihn der »Wendepunkt«, mit dem »die vernichtende Katastrophe«über den gesamten deutschen Liberalismus hereinbricht. Wichtig ist seine Ein-schätzung der staatlichen Repressionspolitik und der Position der Radikalen.»Wir möchten es übrigens eben für kein Zeichen politischen Scharfblickes halten, daß esunsere Staatsmänner für nötig erachteten, jenen exzentrischen Liberalismus mit Gewalt aus-zurotten, was doch noch zu feindseliger Erbitterung reizte, während die gefährlich erfun-dene Richtung, sich bereits zu überleben begonnen und einen großen Teil ihrer wärmstenAnhänger verloren hatte.« Die Ministerien hätten den Liberalismus nicht ausgerottet,»nein!, sie haben ihn gekräftigt, geläutert, sie haben wesentlich dazu beigetragen, das frü-here, in der Luft schwebende Gebäude niederzureißen, so daß wir nachgehends die Funda-

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mente eines neuen Hauses auf festen Grund zu legen vermochten. (. ..) Die Richtung (derRadikalen, d. V.) hatte sich überlebt, darum vermochte sie den Angriffen von außen keinengenügenden Widerstand entgegenzusetzen«.363

Riehl beruft sich dabei auf Ruges »Selbstkritik des Liberalismus«; dieser hatte1843 geschrieben, »daß alles Philosophieren und alle Systeme ohne praktischeAnwendung gar keinen Wert hätten, mithin auch eigentlich keine wahre Philoso-phie seien«, und Riehl betont, »daß man vielmehr auf das Vorhandene in scharferBestimmtheit eingehen müsse, damit die materielle Basis des Volks erst starkwerde«. Riehl geht es nicht um weite politisch-theoretische Konzeptionen, er stelltfest, daß »der Deutsche Zoll- und Handelsverein, nicht von Philosophen erfundenund verwirklicht, das finanzielle Gleichgewicht unter den Nationen einigermaßenwiederhergestellt habe und mehr als alle literarischen Diskussionen beigetragen zurErhebung des Gemeingeistes und Nationalgefühls.« Im Mittelpunkt stünden nunFragen von Industrie, Landwirtschaft und Handel. Das Projekt einer deutschenFlotte wird diskutiert, die Frage nach deutschen Kolonien aufgeworfen. »Die Teil-nahme des Publikums, durch die vorhergehende Periode des pikanten kosmopoli-tischen Liberalismus einmal gereizt, aber auch endlich übersättigt, fand hier neueThemen, der höchsten Aufmerksamkeit wert.«364

Auch die Tübinger Junghegelianer, die beharrlich am Konstitutionalismusfesthielten, unterscheiden sich in ihren Beurteilungen des Scheiterns der preußi-schen Radikalen nur geringfügig von den bisher dargestellten Kommentaren. 1844schreibt A. Schwegler:»Die Partei der Deutschen Jahrbücher hat, es ist unleugbar, große Fehler gemacht. Zuerstin der Weise ihres politischen Theoretisierens. Sie haben die heilsame Wirkung, die sieanfangs ausgeübt, zum Teil dadurch wieder verscherzt, daß sie die Brücke zwischen sich undder einmal vorliegenden Wirklichkeit abbrachen, daß sie, statt ihre politischen Ideen imBestehenden Wurzel fassen zu lassen, statt an die überlieferten Zustände, die gegebenenInteressen, die öffentlichen Vorurteile, sich pädagogisch zu akkomodieren, und damit aufallgemeine Verständigung, auf die Bildung einer wirklichen politischen Partei von prakti-scher Bedeutung hinzuwirken, - so manches noch Bildungs- und Entwicklungsfähige inEine Verdammnis warfen mit dem Unfruchtbaren und Abgelebten, daß sie am Fadenabstrakter Kategorien fortrechnend die konkreten Verhältnisse des gegebenen Staatslebensaus dem Auge verloren.«365

Eine Ursache für diese Entwicklung liegt für Schwegler darin, daß die junghege-lianische Partei nach den enttäuschten Hoffnungen auf den Thronwechsel sich nurschwer von einer etatistischen Orientierung und vom Primat der Theorie gelösthabe. Die theoretische und etatistische Orientierung übersieht jedoch die langsa-mere Zeitstruktur demokratischer Lernprozesse. »Bis eine politische Idee zumVorurteil der Masse wird - und dies ist die erste Voraussetzung einer von unten aus-gehenden staatlichen Reform - dauert es lang. Dies haben die Männer der Jahrbü-cher so wenig begriffen, daß sie dem Deutschen Volke zu seiner radikalen Besse-rung nur einige Jahre Frist gaben.«366

Woran ist die junghegelianische Partei gescheitert? An der Mißachtung dersozialen und politischen Realitäten und am überstürzten Intellektualismus ihrer

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Debatten - so könnte man die Antworten der Zeitgenossen zusammenfassen. Es istdies eine Antwort, die sich bis heute auf allen Seiten wiederholt. Für Th. Nipperdeyhandelt es sich um »ein höchst eigentümliches Phänomen, wie sich hier eine revolu-tionäre Intelligenz - ganz jenseits der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Zeit - mitdem ungeheuren Anspruch etabliere, gesellschaftlich-politische Macht zu sein.«367

Und für. die DDR-Forscherin I. Pepperle war es die »Loslösung von einer tragen-den gesellschaftlichen und politischen Schicht«, die den Junghegelianern »zumVerhängnis« werden sollte, die nicht »auf neue Klassenpositionen« vorstießen.368

Solch breitem Konsens ist schwerlich etwas entgegenzusetzen. Allenfalls dies,daß er auffällig in seiner rhetorischen Dringlichkeit ist, mit der auf ein politischesRealitätsprinzip verwiesen wird. Die dramatische Ungeheuerlichkeit der Ansprü-che und das schließliche Verhängnis, von dem die Urteile sprechen, sie gehörenaber auch zur Gattung der Tragödie, in der das politische Realitätsprinzip alsSchicksalsmacht auftritt. Haben wir es hier mit Eigentümlichkeiten politischer Kul-tur in Deutschland zu tun, in der das Scheitern der Zwecke und Realisationen nichtwie in der Komödie mit schallendem Gelächter ertragen werden kann? Die junghe-gelianische Partei wäre dann auch an der »Unmöglichkeit eines deutschen Lust-spiels« gescheitert, über das E. Bauer reflektiert hat: »Du bist ein Schwärmer,meint Ihr, du, der du ein politisches Lustspiel auf die deutsche Bühne bringenwillst.«369

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III. Journalistische Boheme

Die Gruppendefinitionen der philosophischen Schule und der politischen Parteisind für die Junghegelianer überwiegend positiv besetzte Selbstdefinitionen gewe-sen. Ihre Gruppenexistenz als journalistische Boheme und ebenso ihre Gruppen-existenz als atheistische Sekte dagegen sind intern zu einem Teil umstritten. Es gehtnicht mehr um einen Streit, der die Profilierungsweise der Definition betrifft, son-dern i m einen Streit, ob die Definition überhaupt zutrifft. Diesem Umstand trageich Rechnung, indem ich diese beiden Typen so bezeichne, daß der mehr strittigeund der mehr unstrittige Aspekt zusammengezogen sind. So sehr die Junghegelia-ner - wie ich im Kapitel IV zeigen werde - einen gemeinsamen Atheismus propagie-ren wollen, so unsicher sind sie, ob sie den Begriff Sekte für sich gelten lassen sollen.Und so sehr die Gruppe versucht, ihre Existenz als Journalisten mit positiven Attri-buten auszustatten, über die Bohemeartigkeit ihrer Lebens- und Denkweise werdensie sich zerstreiten. Mehr als bei den Gruppendefinitionen der philosophischenSchule und der politischen Partei geht es bei der journalistischen Boheme und deratheistischen Sekte um definitorische Bündelungen, deren Elemente widersprüch-lich erfahren werden.

Übersicht

Die Widersprüchlichkeit der Gruppendefinition einer journalistischen Bohemeführe ich aus, indem ich mit der journalistischen Seite beginne und mit den bohe-mehaften Zügen das Kapitel abschließe. - Die Bedeutung, die die Junghegelianerder Presse zuweisen, wird zunächst von der Kritik der Bürokratie her entfaltet, dieden junghegelianischen Journalisten als ein defizienter Modus der >Distributionder Vernunft< erscheint (1). Überlegungen zu allgemeineren Aspekten des Verhält-nisses von Pressefreiheit und Zensur führen zu Grundproblemen des Projekts bür-gerlicher Öffentlichkeit: Imperative der Kommunikation und Strategien zu ihrerBegrenzung. Im Überblick über die preußische Zensurgeschichte wird der Hinter-grund der junghegelianischen Debatten zur Pressefrage skizziert (2). Anhand der>Kämpfe< der Gruppe mit dem Zensor wird deutlich, wie politisch-dezisionistischeElemente von der Idee einer universellen Kommunikationsgemeinschaft verdrängtwerden. Wo Presse nicht im parlamentarischen Bereich verankert wird, erfolgt diesichernde Selbstdefinition der Korrespondenten-Existenzen mit Hilfe geschichts-philosophischer Spekulation (3). Sie kann zweifach eingesetzt werden. Am Beispielvon M. Heß wird der Zusammenhang geschichtsphilosophischer Selbstvergewisse-rung und der schwierigen Definition eines in den proletarischen Massen aufgelö-sten Intellektuellen entwickelt (4). Spiegelbildlich dazu steht B. Bauers Entwurfeines Intellektuellen, der seiner vernünftigen Selbstvergewisserung in derGeschichte nur in Frontstellung gegen die Masse und gegen soziale Zusammen-hänge sicher sein kann (5). Sozial auftretend wird der einsame Kritiker nicht mehr248

verstanden, und auf der Ebene der Gruppe liegt der Handlungstypus des >Skandal-machens< nahe (6 a). Literarische Darstellungen des Auftretens der >Genies< ent-halten typisierende Elemente, die zur Konturierung des Bildes einer Boheme bei-tragen (6 b). In Überlegungen zum Begriff >Boheme< wird über die Erörterungsozialgeschichtlicher Zusammenhänge hinausgehend auf das Spannungsverhältniszwischen soziologischer Denkweise und dem Phänomen Boheme eingegangen(6 c). Ihr Selbstverständnis als Avantgarde bringt die Gruppe nicht nur in eine>schiefe Stellung< gegenüber den Zeitgenossen, auch untereinander grassiert derVerdacht, ob das jeweilige Auftreten >frivol< oder >authentisch< ist (7). In der gro-ßen Stadt wird eine kohärente geschichtsphilosophische Selbstvergewisserung derIntellektuellen extrem problematisch. Das Projekt der >Distribution der Vernunft<verläuft sich mit den umherschweifenden Flaneuren, die ihre Langeweile vertrei-ben müssen (8).

1. Beamtenkritik und Distribution der Vernunft

Schon für die aus dem Staatsdienst entlassenen Philosophen, aber mehr noch fürdie gescheiterten Parteipolitiker stellt sich das Problem, nach Formen zu suchen,die ihrer Existenz als »purer blanker Mensch«1 einen sozialen Sinn verleihen könn-ten. Der neue soziale Sinn, den sie entdecken, läßt sich gut ausgehend von der The-matik der Kritik der Bürokratie entfalten, weil sich hier die Brüche und die Konti-nuitäten im Selbstverständnis der Gruppe prägnant darstellen.

Im Zusammenhang mit dem Versuch, sich als politische Partei zu konstituieren,kommen die Junghegelianer auch zunehmend in Kontakt mit radikal-demokrati-schen Emigrantenkreisen. Hier, etwa im »Bund der Geächteten«, ist eine radikaleBürokratiekritik weit verbreitet gewesen. Auch der Anteil der Hegelianer an derpreußischen Politik wurde von den Radikaldemokraten klar gesehen. So schreibtz. BJ.Venedeyl839:»Die Politik Preußens besteht darin, dem redenden Teile des Volkes einen Anteil an derAusbeutung der großen Masse zu gestatten, und ihm so Schweigen als Pflicht der Selbst-liebe, oder Lobeserhebungen als Mittel der Gewinnsucht aufzubürden. Eine Unmasse vonBeamtenstellen knüpft den ganzen Gelehrtenstand in Preußen an das Interesse der Regie-rung.« Für Venedey ist die preußische Verwaltung reine >Willkürherrschaft<. Die Beamtensind besessen vom »Geist der Kriecherei«. »Wie geschmeidig, wie willenlos ergeben undkriechend dieselben gegen ihre Vorgesetzten sind, desto stolzer und hochtrabender sind siegegen das Volk.« Die Beamten gelten als »zweites stehendes Heer«. »Viele Tausende vonBeamten zehren in Preußen von dem Marke des Volkes.«2

Im Vergleich zu den älteren radikaldemokratischen Positionen, wie sie vonVenedey artikuliert werden, beginnt die junghegelianische Bürokratiekritik sehrbescheiden. 1839 nennt Rüge im Zusammenhang der Diskussion um den Konstitu-tionalismus den Beamten Streckfuß einen»Zahn in dem großen Kammrade der Beamtenhierarchie, welches, auch nur leidlich geölt,nicht knarrt, und in dieser sanften Rundbewegung die Weltbewegung, in seinem geregeltenRundlauf das einzige Geistesbedürfnis der Zeit erblickt, in die Garantie dieser Zustände alsodie vollste Befriedigung des Geistes, d. h. eine genügende Freiheit setzt.«3

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Und 1841 schreibt Rüge über die Zeit vor dem Thronwechsel:»so lag doch die Macht des Königs nicht im Nationalem/ und dessen konstituierter freierEntfaltung, sondern in der geheimen Beamtenhierarchie, die den Staatskörper verwaltet undbewegt. (Die Beamtenhierarchie ist allerdings erst der geist- und willenlose Staatskörper.)«4

So sehr es richtig ist zu sagen, daß die ältere radikaldemokratische Bürokratiekri-tik, die den despotischen Charakter der Verwaltung hervorhebt, zunehmend in derjunghegelianischen Argumentation an Raum gewinnt - es muß auf eine besondereFärbung der junghegelianischen Beamtenkritik hingewiesen werden: Die Bürokra-tie ist nämlich nicht in erster Linie repressiv, sie ist wesentlich »geistlos«, und dieGeistlosigkeit der Bürokratie ist die Wurzel aller ihrer sonstigen negativen Seiten.

Der Topos von der Geistlosigkeit der Bürokratie meint: Die Bürokratie ist dys-funktional, weil sie nicht in der Lage ist, das Bedürfnis nach Rationalität bei denGesellschaftsmitgliedern zu befriedigen. »Die Laien da draußen sind viel zu neu-gierig und nach Gründen durstig, als daß sie nicht die geheimnisreichen Priesterder Staatsverwaltung, welche im Lapidarstil Geld und Leistung verlangen, häufigbelagern sollten«, schreibt Nauwerck.5 Es geht um ein Defizit an Vernunft.

Die RhZ präzisiert das Problem: Warum nimmt die Arbeit der höheren Staatsbe-amten »auf eine erschreckende Weise Überhand«? Es ist nicht nur die »Raschheiteines jungendlich rüstigen Königs« und die neue »errungene Bildung« des Volkes,»es ist nicht ein Kampf zwischen Volk und Regierung, sondern zwischen Systemund System«, zwischen einem System der »bürokratischen Zentralisation« undeinem System »der selbständigen Mündigkeit, des freien Staatsbürgertums«.6 DieBürokratie muß sich beschränken, weil ihre Rationalität nicht mehr glaubhaft ist.Die »Macht des Geistes« hat einen Platzwechsel vollzogen. Jetzt muß der BeamteE. Bauer zufolge »die Unmacht seiner Geheimnisse« anerkennen.7 Auch für Nau-werck ist das Rationalitätsdefizit der Bürokratie kaum noch aufzuhalten:»Eine Menge Spezialfragen, welche der Antwort dringend bedürfen, haben schon dasäußerlich glänzende Kartenhaus, welches sich die Büromenschen konstruiert hatten, umge-stürzt. Die Fragezeichen sind zwar nicht jedermann bequem; sie drücken Zweifel, Unruhe,Verlangen, Ungestüm aus. Aber desto heilsamer sind sie der Gesamtheit; ja sie sind schlech-terdings notwendig. Ein Staat muß ebensogut, wie der einzelne Mensch; tagtäglich sich fra-gen und antworten; sonst wird aus beiden nichts.«

Und Nauwerck setzt vorsichtig der defizienten Rationalität der Bürokratie eineandere leistungsfähigere Rationalität entgegen: »Wie würde erst gar das naturge-treue Bild von Preußen ausfallen, wenn die Pressefreiheit es malte?«8

Wie kommt es zu dieser Profilierung der Beamtenkritik, bei der die radikalde-mokratischen Topoi von einer Perspektive überlagert werden, derzufolge die Kri-tik der Herrschaft hinter der Kritik des Rationalitätsdefizits zurücktritt? Warumerscheint gerade die Forderung nach Pressefreiheit als der privilegierte Gegenpolzur preußischen Beamtenverwaltung?

In der Formel von der Geistlosigkeit der Bürokratie schwingt noch die Erinne-rung an eine andere Idee der Bürokratie mit: die >geistvolle Bürokratien Das heißtdie Formel ist bezogen auf das Modell der >beamteten Intelligenz<, bei dem die Ver-waltung der zentrale Mechanismus ist, durch den >Geist< in die sozialen Beziehun-gen gebracht wird. Es ist die Distribution der Vernunft per Bürokratie, die für dieJunghegelianer defizient geworden ist.

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Für Koselleck liegt hier ein zentraler Aspekt der Entwicklung Preußens in derRestaurationszeit im Vormärz. Auf den Topos von der >Macht des Geistes< bezogenhandelt es sich um

»eine schleppende Geschichte des schwindenden Geistes. Genauer gesagt: Der Geist alsintegrierendes Moment des preußischen Staates ließ sich nicht administrativ austeilen. ( . . . )Je mehr sich die Ständegesellschaft entgliederte, entzündeten sich mit den neuen Vereini-gungsformen auch eine Fülle geistig divergierender Kräfte, deren Rückbindung an den Staatkeineswegs über den Stand der Beamten erfolgte. Die Verwaltung wurde stattdessen aufeine Funktion verwiesen, die ihr von Anfang an auch innewohnte, auf die Technizität ihrerTätigkeit.9

Die Junghegelianer steigen relativ spät und in spezifischer Weise in diesen Pro-zeß ein. Spät, weil sie im Vergleich zu den älteren liberalen Gruppen lange an dasModell einer Geistdistribution per Bürokratie fixiert sind, und in spezifischerWeise, weil sie den liberalen Dualismus von Gesellschaft und Staat nicht akzeptie-ren und dem Monismus der Verwaltungsrationalität einen anders gelagertenMonismus des Geistes entgegensetzen wollen. Der Geist der Verwaltung hatte seinmaterielles Substrat in der Beamtenmaschine. Das Problem der Junghegelianerist,ein materielles Substrat für >Geist< ausfindig zu machen, das gleich weit entfernt istvon der Hierarchie der Verwaltung und pragmatischen Zwängen der politischenPartei.

Was ist die >Macht des Geistes< in den Händen der >pur-blanken< Junghegelia-ner? Zunächst ist es eine demonstrativ erklärte Siegesgewißheit. 1840 erklärt Rüge:

»Unterdessen steigt die Flut des unsichtbaren Geistes über alle Dämme, Deiche und Nacht-wächterposten, fließt über das Land und quer durch die eigenen Köpfe der Schreier ohnedaß sie es gewahr werden bis zu dem Augenblick, wo dieses Fluidum die ganze Welt neubaut und nach sich gestaltet.«10

Die Figur eines »unsichtbaren Geistes«, der stärker sei als der in der Administra-tion sichtbar gewordene >Geist<, gehört zu den Standardargumenten der Junghege-lianer in dieser Frage. So heißt es 1842 in den DJ:

»Es bedarf aber keines scharfen Blickes, um zu gewahren, daß in dem Staatskörper nochandere Tätigkeiten und Kräfte wirksam sind, die den rohen Mechanismus des Kriegswesensund der Administration« bei weitem überwiegen, »unsichtbare Kräfte, aber von der gewal-tigsten Energie, die in der Stille, aber in immer gesteigerter Potenz fortwirken«, und diese»geistigen Mächte« lassen sich »ebensowenig durch Regierungsdekret abschaffen, als ein-führen, sie bemächtigen sich des Staates auch gegen seinen Willen«.11

Aber wo kommen die »geistigen Mächte« zum Vorschein? Das Modell einesBündnisses von Schule und Staat ist zerfallen, und angesichts der Begrenzungendes parteipolitischen Diskurses ist es zweifelhaft, ob diese »Dämme« die »Flut«halten werden. Die Formen der Distribution der Vernunft müssen weiter gefaßtwerden. So heißt es programmatisch bei B. Bauer:

»wenn die Geschichte mit allen bisherigen philosophischen Arbeiten und mit aller Aufre-gung, welche die Philosophie in den letzten beiden Jahrhunderten verursacht hat, keinhöheres Ziel im Auge hat, als die Stiftung einer >Kirche der Vernunftgläubigen< oder einer>Gemeinde der Wissenden^ so kann das Volk ruhig zusehen, daß einige Auserwählte sich251

daran ergötzen, die Vermittlung, welche >das göttliche Lebern durchläuft, in Gedanken zurekapitulieren. ( . . . ) Dann dürften wir die Frage, ob die Resultate der Philosophie Gemein-gut werden können, nicht nur nicht unbeantwortet lassen, dann ist es sogar gewiß, daß dasVolk und die gesamte Geschichte in die philosophische Bewegung hineingezogen, überihren Sinn aufgeklärt werden und an ihrer Dialektik einen außerordentlichen Anteil nehmenwerden.«12

Die Vernunft bedarf einer sozialen und geschichtlichen Existenzform, die ihremCharakter gemäß ist. Ihre Existenz in einem »exklusiven, aristokratischen Selbstbe-wußtsein« ist auch für Rüge inadäquat, sie muß »gemeines Bewußtsein der Welt«werden. Aber wie kann es geschehen, wo doch gilt: »die geistigen Mächte sindabsolut«, d. h. jede technisch-administrative Institutionalisierung wäre ihneninadäquat? »Es ist hier ein Reich freier und souveräner Mächte, in dem keine ande-ren Aufseher und Kampfrichter entscheiden können als die freie Gewalt des Gei-stes selbst.« Für diesen Vorgang gibt es daher nur eine einzige Möglichkeit der>Institutionalisierung<: »Dies der wahre Grund, auf dem die Vernünftigkeit undschließlich Notwendigkeit der unbedingtesten Preßfreiheit beruht.«

Die freie Presse ist der alternative Modus der Distribution des Geistes, der an dieStelle der geistlos gewordenen Bürokratie treten soll. In der Presse entdecken dieJunghegelianer die soziale Form, die sowohl an ihre alte Definition als >beamteteIntelligenz< anschließt, die aber zugleich im dramatischen Bruch mit der Bürokratieein unendliches neues Terrain von Aktivitäten bietet. Deutlich ist dieser Zusam-menhang von Kontinuität und Bruch von Buhl formuliert worden:

»Die Presse unterzieht sich der Aufgabe, welche das Beamtentum zwar vorschützt, der esaber nicht gewachsen ist; sie ist wirklich, was das Beamtentum nur scheint, die Lehrerin undBildnerin der Völker, die Verkünderin der Freiheit, die Missionarin der Vernunft, welchemit der Fackel der Wahrheit und der Kritik in die dumpfen Schlupfwinkel des Vorurteils( . . . ) eindringt ( . . . ) ; sie ist zugleich die demokratische Macht, die jedem zugänglich ist,jeden in ihren Reihen willkommen heißt, aber auch über jeden ihr Scherbengericht übt, diekeine Autorität, keine Macht des Bestehenden, keine höhere Instanz anerkennt - also inallen Stücken das Gegenteil des Beamtentums.«14

Es bleibt in diesem virtuosen Übergang zwischen beiden Systemen der Distribu-tion der Vernunft offen, wie mit jenem Widerspruch umgegangen werden kann,daß die Presse einmal das ist, was die Bürokratie zu sein scheint, und die Pressedoch zugleich das »Gegenteil« der Bürokratie sein soll.

Für die Gruppe der Junghegelianer gibt es nicht nur einen Übergang von derphilosophischen Schule zur polititschen Partei, sondern ebenso einen Übergangvon der philosophischen Schule zum Journalismus. Und die >Absolutheit< der Ver-nunft, kommt sie in der freien Presse nicht noch mehr zur Geltung als in der politi-schen Partei, wo - sei es als dramaturgische Stilisierung, sei es als >gemeine< Taktik- Diskursbegrenzungen unumgänglich sind? Aber auch Zweifel müssen ausge-räumt werden: Gehört die Philosophie überhaupt in die Zeitung? Diese Frage kannman Marx zufolge »nur beantworten, indem man sie kritisiert.« Er besteht darauf:»Die Philosophie hat, ihrem Charakter gemäß, nie den ersten Schritt dazu getan,das asketische Priestergewand mit der leichten Konventionstracht der Zeitungenzu vertauschen.« Die Philosophie sei gezwungen worden, »ihr Schweigen zu bre-chen, sie wurde Zeitungskorrespondent«. Es gibt eine geheime Verwandtschaft252

zwischen der Philosophie, den »Fragen der Zeit« und den »Zeitungsfragen«, eineVerwandtschaft, die Verpflichtungsverhältnisse birgt: »Weil jede wahre Philoso-phie die geistige Quintessenz ihrer Zeit ist, muß die Zeit kommen, wo die Philoso-phie nicht nur innerlich durch ihren Gehalt, sondern äußerlich durch ihre Erschei-nung mit der wirklichen Welt ihrer Zeit in Berührung und Wechselwirkung tritt.«15

Diese äußerliche Seite ist nun nicht mehr die Verwaltung, sondern die Presse. Imersten System >war< die Zeit gekommen, von der Marx spricht, im zweiten System>muß< die Zeit kommen. Diese Zeitdifferenz markiert ein geschichtsphilosophi-sches Problem, das in den Komplex der Distribution der Vernunft eingelassen ist.

Was die Junghegelianer, wo sie sich als eine Gruppe von Journalisten definieren,betreiben, ist zunächst eine heute kaum nachvollziehbare Befrachtung der Presse-frage mit dem gesamten Erbe des philosophischen Diskurses. »Was ist die Presse?«fragt Rüge. Sie ist nichts weniger als das »Reden des allgemeinen Geistes mit sichselbst.«

»Wir haben in der Presse nicht die Rede des Einzelnen an den Einzelnen, nicht die Bespre-chung von Privaten und solchen, die im Verborgenen ihren zu verbergenden Gedankengangverfolgen; wir haben in ihr den öffentlichen Ausdruck des Gesamtdenkens, und was daswahre Denken sein soll, das wirklich Allgemeine, die explizierte und sich selbst durchsich-tige menschliche Gattung, das ist die Presse reell.« - »Sie ist also das Element des Allgemei-nen, der Ort, wo die Gattung sich selbst objektiviert.«16

Es ist dies eine kühne Umdeutung des Hegeischen Begriffs der »Einen Philoso-phie«, die immer geherrscht habe und die Ausdruck des wahren Denkens sei. Fürdie Hegeische Philosophie selbst mag dies vorstellbar sein, aber Presse ist nur denk-bar als ein Ensemble der vielen Stimmen. Wie kann sich in diesem Chaos der öffent-lichen Meinung - Hegels verächtliche Worte darüber seien in Erinnerung gerufen-, wie kann sich hier das wahre Denken überhaupt darstellen? Noch schwierigerwird die Situation, wenn man sich Hegels Staatsbegriff, den »objektiven Geist« alsPresse denken will.

Rüge löst dieses Problem, indem er zunächst eine Gerichtsinstanz einführt.

»Allerdings machen erst die vielen Stimmen diese Eine Stimmung; aber indem sie dies tun,bleiben sie nicht die einzelnen, zufälligen Schreier, vielmehr entscheidet das Gericht derÖffentlichkeit und das sich erklärende Zeitbewußtsein über die Achtbarkeit oder Veräcnt-lichkeit der einzelnen. Wer den Prozeß der Geschichte wesentlich zu bestimmen die Krafthat, ist nicht zu verachten; für was er aber zu achten sei, das lehrt die Zeit.«17

Man stelle sich diese Konstruktion als Selbstbild einer Gruppe von Journalistenvor! Die wichtigen Standards, die ihrem Verhalten Sicherheit geben könnten, sindkonzentriert im »Gericht der Öffentlichkeit«, das, obwohl sie als Journalisten andiesem Gericht partizipieren, ebenso kontingent ist wie die >Lehren der Zeit< essind. Und man darf bei dem »Gericht«, das Rüge im Auge hat, getrost an das Jüng-ste Gericht denken, dem das Bild sich verdankt.18 Um wieviel greifbarer sind imVergleich dazu die Standards der Schule oder der Partei gewesen! Die Gefahr, ein»zufälliger Schreier« zu bleiben oder zu werden, wie könnte sie zu bannen sein?

Rüge kennt seine junghegelianischen Journalistenkollegen und ihre Not, diewahre Philosophie im vielstimmigen Chor der Presse zur Geltung zu bringen.253

»Die Eitelkeit, ein besseres Wort, als das geltende, sagen zu können, sobald man es nur derMühe Wert hielte, - eine sehr gewöhnliche Erscheinung - beruht daher auf dem Irrtume,die bloße Möglichkeit ebenso hoch und sogar höher anzuschlagen, als die Wirklichkeit, oderdas zufällige Subjekt, wie es unmittelbar sich findet, über das historische Subjekt zu setzen.«19

In der Figur des »historischen Subjekts« könnte eine Gestalt gedacht werden, dieverhindert, daß der philosophische Zeitungskorrespondent mit seinem wahrenDenken am Gericht der öffentlichen Presse scheitert.

Aber widerspricht nicht das »historische Subjekt« mit seinen Privilegien derDemokratie der Vielen, die doch gerade den Kern der freien Presse ausmacht? Somuß denn das »historische Subjekt« wiederum gezügelt werden:»Freilich ist die Vernunft republikanisch; sie macht das historische Subjekt, aber das histori-sche Subjekt ist nicht der Zweck. Alle Subjekte und ihr Zusammenwirken zu der Vernunft derGattung sind der Zweck; das historische Subjekt hat nur die Ehre, hervorstechendes Mittelzu diesem Zweck zu sein; ein hervorstechendes Mittel der Vernunftrealisierung können abernicht die Vielen und nicht Jeder, der sich gescheit dünkt, sein. Die eitlen Subjekte verken-nen, daß es auch darum sich gar nicht handelt. Der Zweck ist ja der republikanische, daß dasOrgan der Gattung die Funktion ihrer Selbstverwirklichung ausübe, nicht der persönliche,daß einzelne Subjekte hervorstechen und historische Ehren empfangen, weshalb denn auchder wahre Stolz der freien Menschen darin besteht, daß er fortdauernd sich als Tribunenjenes republikanischen Gemeinsinns betrachtet und das historische Subjekt in seiner allge-meinen Bedeutung (aber auch nur in dieser) neidlos anerkennt.20

Eine prekäre Argumentation, die deutlich macht, wie schwer es für die Junghe-gelianer ist, das am Beamtenstaat gebildete Modell einer Distribution der Vernunftauf die Presse umzumünzen.

Intentional »historisches Subjekt« sein zu wollen, diese Rolle anzustreben, unter-sagt Rüge seinen Korrespondenten ebenso wie Calvin in seiner Prädestinations-lehre die Gläubigen im Ungewissen ließ, ob sie von Gott angenommen oder ver-worfen sind. Der Zweck ist nur republikanisch, das »historische Subjekt« bleibtebenso denknotwendig wie verborgen. Wie anders sollte die Alternative entschie-den werden, die im System der Distribution der Vernunft durch die Presse enthal-ten ist: »Geht nun Wahrheit von allen Köpfen aus? Oder haben einige Köpfe dasVorrecht, untrügliche Wahrheitsspender zu sein?« Ohne Geschichtsphilosophie,die über einen möglichen Ausgang des »öffentlichen Gerichts« spekuliert, werdendiese Nauwerckschen Fragen nicht zu beantworten sein.21

Eine erste Annäherung an diesen Komplex stellt Ruges spekulative Konstruktioneiner stufenweisen Entwicklung der Formen, »worin die Vernunft der Gattungausgesprochen und vernommen wird«, dar. Die gesprochene Sprache ist die ersteStufe, und die Freiheit der Sprache bildet quasi die »erste Pressefreiheit«, diejedoch durch Ortsgebundenheit und Dialekt beschränkt wird. Auf der Stufe derSchrift beginnt Geschichte, Gesetz und Geistesbildung, man »weiß, daß Spracheund Schrift unmittelbar freie Elemente der Selbstverständigung der menschlichenGattung sind«, man kennt den »Mißbrauch der Schrift« und das Problem der»Schreibfreiheit«. Entscheidend ist:»die Schrift führt schon eine Entwicklung des Geistes in seinem eignen Elemente, eine Über-wältigung seiner selbstgesetzten Schranken herbei. Sie schafft in ihm ein Material, worin ersich selbst sicher vor Augen hat und das erreicht, daß er durch die Bildung desselben nur254

sich selbst bildet: die Künste, die Wissenschaften, die Staatsverfassungen in den gesetzlichfixierten Bestimmungen sind dies Material und dieser Gegenstand, der selbst Geist ist.22

Von der letzten Stufe schließlich heißt es:»Aber erst die Form der Presse gibt dies Material in die Gewalt Aller und dehnt den Ort, dasElement des Gesamtbewußtseins, oder der Selbstverständigung der Gattung, aus — für denStaat über Ortschaft und Stadt, für Kunst und Wissenschaft über den Kreis weniger Bevor-zugter und Begüterter hinaus. Die Quantität ändert hier wesentlich die Qualität. Zur Her-vorbringung des wahrhaft Menschlichen ist der ganze Kreis der wahrhaft zu humanisieren-den Menschheit nötig.«

Gerade durch die Fixierung und Reproduktion von Gedanken und Informatio-nen in der Presse ist die Selbstverständigung des Geistes im Maßstab der empiri-schen Gattung selbst möglich geworden. »Durch das Herbeiziehen der größtenVersammlung mittätiger Menschen ist nun aber in der Tat ein höheres Element undein vergeistigter Ort für die allgemeinen Angelegenheiten errungen; weshalb dennauch die Literaturbewegung den republikanischen Zweck und den Ostracismussogar in sich selbst gesichert hat.« Diese Stufe der Entwicklung verändert auch dasVerhältnis von Büchern und Zeitungen. »Zeitungen schreiben die Völker, undlebendige Menschen mit ihrem besten Herzblut sind ihre Lettern; Bücher schreibendie einzelnen. Sklaven haben sie geschrieben, Sklaven können sie auch heut nochschreiben«. Nur sehr wenige Bücher können »Keime der Zukunft« enthalten, »Zei-tungen sind die Zeit selbst«.23

Die Auseinandersetzungen um die Presse und Pressefreiheit machen einenHauptteil der junghegelianischen Publizistik aus. Allein die >Rheinische Zeitung<hat in den fünfzehn Monaten ihres Bestehens in über dreihundert Beiträgen Presse-fragen erörtert. Die Pressefreiheit gilt schlechthin als »die eigentliche Lebensfrageder Epoche«.24 Das Phänomen Presse bedeutet in dieser Zeit eine neue sozialeErfahrung. Es ist eine nicht alltägliche Erfahrung, der Einbruch schwindelerregen-der Möglichkeiten der Kommunikation. Wie dem begegnen? Nauwerck schreibt:»Die Stunde, in der man Zeitungen liest oder für sie schreibt, ist (. . . ) eine von denen, in wel-chen wir uns in das Objektive tauchen und der privaten Beengtheit entrückt mit dem ganzenMenschengeschlechte der Gegenwart in magnetische Berührung, in die vertrautesteGemeinschaft treten. Man könnte sich, wollte man ein Übriges tun, zu dieser Stundeschmücken, wie der Spartaner vor der Schlacht, oder die Hände waschen, wie der Muhame-daner zum Gebet.«25

2. Pressefreiheit und Zensur

Der Kampf der Junghegelianer für die Pressefreiheit findet in einem Zeitraum statt,der am Ende des grundlegenden Auseinandersetzungsprozesses zwischen staatli-cher Zensur und bürgerlicher Öffentlichkeit steht. 1848 geht in Deutschland eineZensurtradition zuende, die 350 Jahre lang bestimmend gewesen ist.26

Historisch gesehen entstammt die Praxis der Zensur dem kirchlichen Bereich.Mit ihr sollte die Orthodoxie der Lehre gegen häretische Abweichungen gesichertwerden. Um 1500 wird die Frage von Zensur und Pressefreiheit zu einem akuten255

Problem, als mit der Entwicklung der Drucktechnik die Zahl der gedrucktenSchriften und Flugblätter sprunghaft ansteigt und zugleich den kirchlichen undweltlichen Autoritäten im Gefolge von Reformation und Religionskriegen die Kon-trolle über das publizierte Wort zu entgleiten droht. 1515 wird durch die päpstlicheBulle Leo's X. die Präventivzensur systematisch eingeführt, und 1529 beschließtder Reichstagsabschied von Speyer die erste staatliche Zensurverordnung, mit derdas kirchliche Verfahren in die weltliche Gesetzgebung eingeht. Präventivzensurmeint, daß alle zum Druck bestimmten Schriften zuvor der Obrigkeit bzw. legiti-mierten Personen vorgelegt werden müssen, um das >Imprimatur< zu erhalten. Imwesentlichen hatte dieses System in Deutschland bis 1848 Geltung.

Über den Gegenpol der Zensur, die Pressefreiheit, ist naturgemäß viel geschrie-ben worden. Sie gehört zusammen mit der Meinungsfreiheit zu den ehrwürdigstenGütern der demokratischen Traditionen Europas. Für den Staatsrechtslehrer Rid-der legen sich Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, Pressefreiheit inihrem Verhältnis zur Gedankenfreiheit als konzentrische Ringe um die als Mittel-punkt zu denkende subjektive Geistesfreiheit.27 Und man kann die Geschichte desKampfes gegen Zensur gut in die Geschichte des bürgerlichen Freiheitsstrebenseinbetten.

Darüber darf jedoch nicht die soziologische Erkenntnis vergessen werden, daßkeine Gesellschaftsform - auch diejenige nicht, die sich in ihren Normen dem bür-gerlichen Freiheitsbegriff verschrieben hat — eine nicht reglementierte, >freie<Weise des publizierten Ausdrucks erlaubt. Und so sehr man auch von einerAnthropologie der Neugier ausgehend in der Befriedigung des »sozialen Bedürf-nisses nach Information« für den modernen Menschen eine »Lebensnotwendig-keit« sehen kann, wie dies R. Clausse tut, es bleiben Restbereiche von Einschrän-kungen bestehen: »Aber wenn es auch wahr sein sollte, daß alles allen gesagt wer-den muß, so dürfen dabei doch nicht gewisse legitime Grenzen außer acht gelassenwerden«. Die Grenzen, die Clausse aufführt, beziehen sich auf die Rechte der Per-son, auf die Sicherheit des Staates und auf die relative »Empfindlichkeit« des Publi-kums.28

Was Clausse aufführt, sind moderne Fortentwicklungen der klassischen Indizie-rungsgründe der absolutistischen Zensur. Im Kern geht es um drei Bereiche: 1. dieStaatsrücksichten (und mit ihnen hängt auch der Ehrenschutz historisch engzusammen), 2. die >guten Sitten< und 3. der staatliche Glaubensschutz. Sicher kannman mit U. Otto sagen, daß im »Prozeß der Lösung der Zensurmaßnahmen vonkonfessionellen Motiven und Hintergründen« der Problembereich »Staatsraison«in den Vordergrund rückt und daß »das glaubensmäßige Moment dagegen oft zumreinen Requisit« erstarrt. Unter allgemeinerer Perspektive kann man jedochSchneider darin zustimmen, daß die Bereiche »Glaube und religiöses Gefühl,Moral und Sittlichkeit, Ehre, Staatsrücksichten bzw. Staatsgeheimnisse ( . . . ) auchheute noch die Themen für die Diskussion um die Kommunikationsfreiheit (dar-stellen). Sie sind keine Tagesfragen, sondern Grundsatzfragen, die sich anbestimmten Fällen stets neu aktualisieren und variieren.«30

Die erstaunlich hohe Konstanz der Indizierungsgründe über einen langen Zeit-raum hinweg verweist auf übergreifende kulturelle Deutungsmuster. Zu den »gro-ßen Mythen der europäischen Kultur« gehört Foucault zufolge:256

»Dem monopolisierten und geheimen Wissen der orientalischen Tyrannei setzt Europa dieuniversale Kommunikation der Erkenntnis, den unbegrenzten und freien Austausch derDiskurse entgegen. Doch hält dieser Gedanke einer Prüfung nicht stand. Der Austauschund die Kommunikation sind positive Figuren innerhalb komplexer Systeme der Einschrän-kung; und sie können nicht unabhängig von diesen funktionieren.«31

Auszugehen ist von Verschränkungen, die den kulturellen Imperativ der Kom-munikation in Begrenzungen einlassen, aus denen er seine Kraft beziehen kann.Neben der universalen Kommunikation stehen immer auch die Schatten wuchern-der Mißverständnisse. Wo Botschaften frei ausgetauscht werden, gibt es keineGarantie für gelingendes Verstehen. Zensur, wo sie sich legitimiert, zielt auf eineBegrenzung von Kommunikationsunfällen, die unerträgliche >Verletzungen< verur-sachen könnten.

Für die Gruppe der Junghegelianer stellt die preußische Zensurgeschichte denkleinlichen Rahmen dar, in dem sie ihre Definition der großen Mission der Pressevollziehen. Einige Grundzüge dieser Zensurgeschichte seien hier aufgeführt, umdas Feld abzustecken, in dem sich die Debatten der Gruppe bewegen.32

Der berühmte Ausspruch des aufgeklärten Friedrich II. von den »nicht zu genie-renden Gazetten« kann bekanntlich nicht für die Zensurpolitik unter dem >Philo-sophenkönig< stehen, bezog sich dieser Ausspruch ohnehin nur auf die Lokalbe-richterstattung des Berliner Buchhändlers Haude. 1743 wurde dies Privileg wiederzurückgenommen, weil gedruckte Falschmeldungen »auswärtigen Puissancen soempfindlich als anstößig sein können«. Zu solchen »Staatsrücksichten« kommenim Zensuredikt von 1749 Religionsschutz und »gute Sitten« als Zensurgründe fürdie wieder hergestellte Präventivzensur. Dafür, daß die Aufklärung selbst keinenSchaden nimmt, wurde durch Bestimmungen Sorge getragen, denen zufolge dieSchriften der königlichen Akademie der Wissenschaften generell von der Zensurausgenommen wurden und Universitätsschriften nur einer selbstverantwortetenFakultätszensur unterlagen. 1788 wurde die Zensur unter dem Eindruck der Revo-lutions-Prognosen durch das berümte Wöllnersche Zensuredikt erheblich ver-schärft (die Untersuchung der Wahrheit mußte eine »anständige, ernsthafte undbescheidene« sein); während der Revolutionszeit mußte der Zeitungszensor Renf-ner so viele Überstunden machen, daß die Berliner Zeitungsverleger ihrem Zensorein jährliches 100-Taler-Honorar extra bewilligten; unter napoleonischer Herr-schaft und in den Befreiungskriegen brach das preußische Zensursystem schließ-lich zusammen.

Die Entstehung eines selbständigen politischen Journalismus in Deutschland isteng mit der Revolutionszeit und den Befreiungskriegen verbunden. Für die deut-schen Jacobiner wie für den >Rheinischen Merkur< von Josef Görres gehört Presse-freiheit zu den zentralen politischen Forderungen. Im Kern sind hier bereits alleArgumentationsfiguren ausgebildet, die bis 1848 immer wieder vorgebracht wer-den. Aber die Reformversuche Hardenbergs, die Zensur zugunsten eines Pressege-setzes aufzuheben, kommen zu spät. Die von ihm initiierte Reformkommissionbeschloß zwar einstimmig die Präventivzensur als Ausnahme von der als Regel gel-tenden Pressefreiheit, aber einen Monat zuvor war schon das preußische Zensurge-setz vom 19. Okt. 1819 erlassen, mit dem die Karlsbader Beschlüsse des Bundes aufPreußen übertragen wurden.

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Hatten die Karlsbader Beschlüsse immerhin noch für Schriften über 20 BogenUmfang eine Zensurfreiheit als möglich statuiert, unterlagen jetzt in Preußen unter-schiedslos alle Publikationen der Zensur. Selbst die von Wöllner nicht angetasteteZensurfreiheit der Königlichen Akademie und die universitäre Selbstzensur wur-den aufgehoben. Der Karlsbader >20 Bogenfreiheit< lag die Kalkulation zugrunde,daß das einfache Publikum weniger zu umfänglichen Schriften greifen würde. Diezensurtechnische Unterscheidung von Volksschrift und gelehrter Literatur ist Aus-druck der dilematischen Situation, >Lesenutzen< und >Leseschaden< überhauptkontrollierbar zu machen. Sie findet sich schon im Edikt von Friedrich dem Gro-ßen, und sie wird auch in der Reformzeit nicht aufgegeben, wie die Denkschrift vonRaumer 1817 zeigt.33

Die generelle preußische Zensur von 1819 ruft zunächst den Widerstand derKöniglichen Akademie hervor. Der Philologe F. A. Wolff fordert seine Kollegenauf, öffentlich zu erklären: »Binnen fünf Jahren, solange das Zensurgesetz bestehe,nichts drucken zu lassen!«34 Dieser >Wissenschaftlerstreik< kommt nicht zustande,die Akademie erreicht 1820 durch ein Gesuch, daß wenigstens die Akademieschrif-ten zensurfrei seien; was sie dagegen als einzelne publizierten, fiel ebenso unter dasneue Gesetz wie die übrigen Universitätsschriften. Das preußische Zensurgesetzbestimmte, daß praktisch jedes gedruckte Stück Papier vom Aktienformular biszum Buch der Vorzensur unterworfen werden mußte. Das eingerichtete Oberzen-surkollegium war hier kaum in der Lage, für die vage gefaßten gesetzlichen Indizie-rungsgründe präzise Ausführungsbestimmungen zu geben. So lag die Zensur prak-tisch in den Händen der unteren Stellen, wobei es nicht ausbleiben konnte, daß gra-vierende regionale Differenzen auftraten. Was ein Zensor verbot, erlaubte einanderer. Dieses Zensursystem wurde in Preußen über zwanzig Jahre praktiziertund durch Verschärfungen den politischen Bewegungen angepaßt. 1824, mit denauslaufenden, aber sogleich auf unbestimmte Zeit verlängerten KarlsbaderBeschlüssen, wurde in Preußen nicht nur wie 1788 eine »bescheidene« Erörterungreligiöser Fragen gefordert, sondern jede »lieblose« Untersuchung verboten. DieBundesversammlung tat ein übriges, sie mahnte 1830,1831 und 1832 mehrfach zurstrengen Anwendung der Zensur. Die Mahnungen finden nach dem FrankfurterRevolutionsversuch von 1834 im geheimen Schlußprotokoll der Wiener Minister-konferenzen ihren Höhepunkt in der Forderung, nicht nur keine »Zensurlücken«zu dulden, sondern überhaupt die »übermäßige Anzahl politischer Tagesblätter«zu vermindern.33

Gerüchte über eine Lockerung der Zensur tauchen seit 1838 auf. So berichtet dieLeipziger Buchhändlerzeitung über die Vorbereitung eines preußischen Pressege-setzes.

»Wenn man Gerüchten glauben soll, so würden durch dasselbe die bekannten KarlsbaderBeschlüsse annuliert werden, und die Pressefreiheit bei allen wissenschaftlichen Werken,deren Durchsicht dem Senate der Universitäten anheim gestellt würde, ausgesprochen sein.Ebenso sollen Werke jeder Art über 20 Bogen der Zensur nicht bedürfen, und nur dieTagesliteratur eine eigentliche, aber gemilderte Beaufsichtigung erfahren.«36

Ein knappes Jahr später weiß ein Berliner Korrespondent dieser Zeitung zuberichten: »Unsere Zensur ist seit einiger Zeit merklich nachsichtiger geworden;sowohl über politische, als über rein literarische Gegenstände gibt sich in hiesigen

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und in Provinzblättern eine Freiheit der Besprechung kund, wie sie seit dem Jahre1829 nicht vorgekommen.«37

Der neue König Friedrich Wilhelm IV., vom Ideal eines romantischen Volkskö-nigs geleitet, hoffte, durch eine Zensurlockerung die Sympathie seiner Untertanenzu gewinnen. Mit seiner Zensurinstruktion vom 24. 12. 1841 verfügte er eine »mil-dere Ausübung der Zensur«, und er ermunterte geradezu die »freimütige Bespre-chung vaterländischer Angelegenheiten, insofern sie wohlmeinend und anständigsei.«38 Dies »Weihnachtsgeschenk« löste bei den Zeitgenossen große Verblüffungaus. Neben der begeisterten Zustimmung liefen sogleich Gerüchte um, »daß dieZensoren im geheimen mit Instruktionen entgegengesetzten Inhalts versehen wor-den seien«39. In den nächsten Monaten kam es jedoch in der Tat zu einer für Preu-ßen ungewohnt milden Zensurpraxis. Am 28. 5. 1842 wurde die Zensurfreiheit fürBilder eingeführt, was eine Flut von Karikaturen zur Folge hatte, die um so aggres-siver sich gestalteten, als die Bildunterschrift weiterhin der Zensur unterlag. Am4. 10. 1842 schließlich wurde in Preußen die Zensurfreiheit über 20 Bogen einge-führt. Die Rheinische Zeitung kommentiert dies mit dem Distichon:

»Willst Du frei sein, so schwitz' über zwanzig Bogen zu schreiben,Neunzehn, da wirst Du zensiert wie ein unmündiges Kind.«40

Und R. Prutz veröffentlicht dazu in der Schweiz das Gedicht »Preußens freiePresse«:

»Zwanzig Bogen, zwanzig Bogen!Nun gereckt und nun gezogen,An den Federn nun gesogen,Bis die zwanzig Bogen voll!Ja zumal in diesen Tagen,Wo die dampfbeschwingten WagenSausend durch die Länder jagen,Und es doch an Zeit gebricht:Zwanzig Bogen — welche Menge!Zwanzig Bogen - welche Länge!Zwanzig Bogen liest man nicht.«41

Dennoch reichten die wenigen Monate gemilderter Zensur aus, um einen Vorge-schmack zu geben, was öffentliche Meinung sein könnte. Der König gab dieserTendenz noch Nahrung, wenn er dazu überging, unter offenem Himmel Reden antausendköpfige Massen zu richten.

Aber seine Vorstellungen gingen in eine ganz andere Richtung als die derer, diePressefreiheit forderten. Koselleck weist darauf hin, daß die Zensurlockerung»weniger liberal (war), als sie schien und zunächst verstanden wurde; sie suchte derPresse, statt sie wie bisher zu verbieten oder kurz zu halten, eine Richtung zu wei-sen, die sie - in ihrer parteilichen Streuung - gar nicht einschlagen konnte.«42 Derversuchte Übergang von der absolutistischen Zensur zur aktiven Gesinnungssteue-rung durch die Regierung scheiterte. Eine Distribution des >rechten Geistes< war-modern gesprochen - nicht mehr glaubwürdig, weil der >Staatsapparat< zuneh-mend bloß technisch-administrativ wahrgenommen wurde. Gesinnungen warenauch nicht durch die angestrengteste Verwaltungstätigkeit zu erzeugen. Die freige-

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lassene Öffentlichkeit diskutierte in eine andere Richtung, und die Kabinettsordervom 12. 10. 1842 leitete bereits die Kehrtwendung ein.

Den Oberpräsidenten wurde es zur Pflicht gemacht, »den schlechten Teil derPresse zu zügeln und deren Ausartung vorzubeugen«.43 Die Zensurinstruktion desKönigs vom 31.1. 1843 bündelt exemplarisch die Dilemmata der preußischen Zen-surpolitik. Der König erklärte: die meisten Zensoren hätten seine früheren Befehle»gänzlich mißverstanden und durch ungeschickte Behandlung die Sache völlig verfehlt(. . .). Was Ich durch die genannten Verordnungen (vom Januar 1843, d. V.) gewollt, daswill Ich unveränderlich noch: die Wissenschaft und die Literatur von jeder sie hemmendenFessel befreien und ihr dadurch den vollen Einfluß auf das geistige Leben sichern, der ihrerNatur und ihrer Würde entspricht; der Tagespresse aber innerhalb des Gebietes, in wel-chem sie auch Heilsames in reichem Maße wirken kann, wenn sie ihren wahren Beruf nichtverkennt, alle zulässige Freiheit dazu gestatten. Was Ich nicht will, ist: die Auflösung derWissenschaft und Literatur in Zeitungsschreiberei, die Gleichstellung beider in Würde undAnsprüchen, das Übel schrankenloser Verbreitung verführerischer Irrtümer und verderbterTheorien über die heiligsten und ehrwürdigsten Angelegenheiten der Gesellschaft auf demleichtesten Wege und in der flüchtigsten Form unter einer Klasse der Bevölkerung, welcherdiese Form lockender und Zeitungsblätter zugänglicher sind, als die Produkte ernstlicherPrüfung und gründlicher Wissenschaft.«44

Am 3. 2. 1843 wird die Bilderfreiheit zurückgenommen; am 24. 2. 1843 werdendie Zensurbehörden im Sinne der Januarinstruktionen reorganisiert.

Auffällig an der königlichen Argumentation ist, wie stark schon bürgerlicheTopoi wie der von der »hemmenden Fessel« Selbstverständlichkeit geworden sind.Die Abwehr der »Auflösung der Wissenschaft und Literatur in Zeitungsschreibe-rei« bezieht sich zweifellos auf die Junghegelianer, die mit ihren Übergangsformelnvon der Philosophie zum Leben zum entscheidenden »Katalysator des deutschenPressewesens geworden« waren.45 Friedrich Wilhelms IV. Versuch, zu einer stän-disch abgestuften Gesinnungsaktivierung zu gelangen, die nicht nur die Zensur -technische Teilung in gelehrte Schriften und Volkslesestoff wiederholte, sondernsie für die Steuerung der Meinungen zur aktiven Loyalität zu benutzen trachtete,scheiterte.

Die weitgehend regierungstreue >Vossische Zeitung< hat denn auch Schwierig-keiten, die Reaktionen einiger Zeitungen auf die Zensurinstruktionen zu deuten.Manche Schriftsteller hätten»sich jeder Äußerung der Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten entzogen, sei es,daß ihre Meinung mit den gesetzlichen Vorschriften in zu grellem Widerspruche stand, umsich mit der Zensur verständigen zu können; oder sei es, daß sie der Ansicht waren, unterden gegenwärtigen Umständen Nützliches nicht mehr wirken zu können.« Hier könne die>Vossische Zeitung< nicht mitmachen: »Wir werden uns also weder durch die Vorwürfe,noch durch das übermütige Stillschweigen einzelner Journale irre machen lassen«.46

Die Formulierung vom »übermütigen«, d. h. hochmütigen Stillschweigen kenn-zeichnet die Situation treffend. Unter absolutistischen Bedingungen ist Schweigenkein gravierender Sachverhalt, erst wenn man von einer autoritativ hergestelltenGesinnungsaktivierung, die sich beweisen muß, her denkt, bekommt die Formulie-rung einen Sinn. F. Wehl läßt sich die Paradoxien der Situation nicht entgehen,wenn er schreibt:

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»Arme Vossische, ich bin neugierig, ob du das übermütige Stillschweigen demütig machenwirst. Schwerer ist's, das ist sicher, als bei dem Reden. Schweigen hat auch eine Stimme undes gibt manchmal sehr schlagende Antworten. Und das Schlimmste ist, es kann nicht zensiertwerden, es läuft ohne Zensur durch die Welt. Es kann auch nicht verboten werden und diePost kann seine Versendung nicht verhindern. Oh, das Schweigen ist oft die beredteste undgefährlichste Sprache der Welt!«47

Die Paradoxien dieser Formulierung verweisen auf jene Verschränkungen zwi-schen dem Imperativ der Kommunikation und der Begrenzung der Kommunika-tionsunfälle zurück, von denen ich oben gesprochen habe, und sie erinnern daran,daß der Prozeß der Durchsetzung der Pressefreiheit und »des Prinzips, öffentlichWiderspruch geltend zu machen«,48 weitaus komplexer ist, als es die Formel vomKampf bürgerlichen Freiheitsstrebens gegen staatliche Repression suggeriert.

Koselleck hat in »Kritik und Krise« herausgearbeitet, wie die Konstitution bür-gerlicher Öffentlichkeit mit der spezifischen Situation des Absolutismus verbun-den ist. Aufklärung hat ihren Einsatzpunkt»in jener Lücke (...), die der absolutistische Staat ausgespart hat, um den Bürgerkrieg über-haupt zu beenden. Die Notwendigkeit, einen dauerhaften Frieden herbeizuführen, veran-laßt den Staat, dem Individuum einen Binnenraum zu konzedieren, der die souveräne Ent-scheidung so wenig beeinträchtigt, daß er vielmehr unabdingbar wird für sie. Daß der Bin-nenraum politisch indifferent sein muß, ist konstitutiv für den Staat, wenn er seine politischeForm wahren will.«49

Diese Konstruktion ist der Preis für die Beendigung des religiösen Bürgerkriegs.In den politisch unschuldigen privaten Innenräumen der Untertanen beginnt die>freie< Kommunikation zu wuchern und zwar, gerade weil sie absichtlich aus demStaat ausgespart war, in geheimer Form. »Der Mensch im geheimen ist frei; nur imgeheimen ist der Mensch Mensch. Der Mensch als Bürger ist dem Souverän unter-worfen; nur als Untertan ist der Mensch Bürger.«50 So entspricht dem Arkanum dermoralisch neutralen Politik des Fürsten das Arkanum der politisch neutralen Moraldes privaten >Gewissens< der Untertanen, die sich nicht-öffentlich als Gesellschaftkonstituieren.

>Öffentlichkeit< und >Geheimnis< schließen zunächst einander nicht aus, wieman auf den ersten Blick meinen könnte, sie schließen einander eher ein, indemÖffentlichkeit auf Räume verweist, in denen die Grenzziehungen zwischen dem,was gesagt wird, und dem, was verschwiegen wird, sich überhaupt erst ausbildenkönnen.51 Ruges Formulierung vom »unsichtbaren Geist«-eine Formulierung, dienahe bei der Figur der »unsichtbaren Kirche« liegt, die uns in Kapitel IV beschäfti-gen wird - zielt auf diesen Zusammenhang, denn der »unsichtbare Geist« ist ebendas, was sich in der als Gattungsgeist interpretierten Presse ausdrückt. Und noch1847 finden sich die Formeln der Konstitutionsphase bürgerlicher Öffentlichkeitmit ihrer Verschränkung von geheim/öffentlich in den Diskursen präsent. In demBestreben, einen Staat der Freiheit und Gleichheit zu errichten, heben sichJ. Schmidt zufolge zwar die Differenzen der Religion und Nationalität auf: »Ver-brüdert dehnt sich die Partei der Freiheit über alle Nationen aus.« Aber was ist derGrund dieser kommunikativen Transparenz? »Ein jeder hat einen geheimen Ort

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seines Herzens, in dem er sein Göttliches einschließt.« Diese geheimen Orte wer-den bleiben, »solange es freie Menschen gibt.«52

Die Junghegelianer partizipieren in spezifischer Weise an den Verschränkungendes geheim/öffentlich, wo sie sich als Gruppe von Journalisten definieren. Einmalsetzten sie auf die »unsichtbaren Kräfte«, die sich in den Räumen kommunikativenAustausche offenbaren und die keine staatliche Institution zu kontrollieren vermag,andererseits kommt für sie das klassische Projekt einer Geheimgesellschaft nichtmehr in Frage. Die Kritiken der Brüder Bauer an Adam Weishaupt und den Illumi-naten lassen in dieser Frage keine Zweifel aufkommen.53 Aber der Bruch mit derGeheimgesellschaft bringt eine Reihe von Folgeproblemen mit sich. Sie betreffeneinmal das Verhältnis des Binnenraums der Gesinnungen zu staatlichen Formen,ein Folgeproblem, das sich im Vormärz um das Verhalten gegenüber dem Zensorkristallisiert, und sie betreffen zum anderen das geschichtsphilosophische Pro-blem, das sich verschärft, wenn nicht mehr die strengen Gesetze freimaurerischerKooptation gelten sollen, sondern die Distribution der Vernunft sich unterschieds-los an alle Gesellschaftsmitglieder richtet.

3. Der Zensor als Partner - Kommunikationsgemeinschaftund Politik

Sie hat sich nicht durchgesetzt, die 1842 auftauchende Idee, den Bedrohlichkeitenungeregelter Distribution der Vernunft dadurch zu begegnen, daß man die Zei-tungsredakteure einem Staatsexamen unterwirft. Für E. Bauer ist dieser Vorschlag»doch zu arg«. Bei staatlichen Bildungsanstalten »mag sich der Staat durch einePrüfung der Tüchtigkeit seiner Angestellten versichern. Aber ein Zeitungsredak-teur ist kein Staatsbeamter, er steht an der Spitze einer Privatunternehmung«. Undüberhaupt, was sollte der Inhalt der Staatsprüfung sein? Historische, sprachlicheKenntnisse? Ob der Redakteur »solche hat, wird sich bald genug in seiner Zeitungbeurkunden. Und ist er unwissend, ist er unfähig, nun so wird sich sein Unterneh-men nicht lange halten. Denn das Publikum ist in solchen Sachen der einzig legitimeRichter.« Und außerdem läge die wichtigste Befähigung des Redakteurs in seiner»Gesinnung«, d. h. in jenem staatlich kaum erreichbaren Arkanum, das sich zwaroffenbaren soll, aber gemäß einem >Soll< nicht-staatlicher Natur.54 Im Vormärz istes bei der Dualität von staatlicher Zensur und privatem Zeitungsredakteur geblie-ben.

Der Zensor im Vormärz ist eine prominente Figur, die von den Zeitgenossenunablässig diskutiert, kommentiert und karikiert wird. Dieser Sachverhalt bedeutetnicht, daß die Zensur einem Gipfelpunkt der Repression entgegengeschritten wäre,vielmehr rückt der Zensor in dem Maße ins Zentrum, wie seine Macht sich als brü-chig erweist und Lockerungen der Zensur spürbar werden." Wichtiges Indiz fürdiese Situation sind die zahllosen Zensuranekdoten, die mehr als alle frontale Kritikgeeignet gewesen sind, die Schwäche der Zensurpraxis zu offenbaren. Es handeltsich dabei um Anekdoten wie diese: »Die Kölner Zeitung brachte eine einfacheAnnonce der göttlichen Komödie, übersetzt vom Prinzen Johann von Sachsen;

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diese wurde mit dem Bemerken gestrichen, daß man mit göttlichen Dingen keineKomödie spielen dürfe.«56

Die Pointe zielt auf die Dummheit des Zensors. Aber warum funktioniert diePointe? Warum darf ein Zensor bei Strafe des Gelächters nicht der Dummheitüberführt werden? Offensichtlich geht es um Fragen der Legitimation von Herr-schaftsausübung. Wo es sich um Machtsprüche auf dem Gebiete des Wissens han-delt, macht sich die Herrschaft lächerlich, die die Standards des Wissens verletzt.Die Legitimitätskrise entsteht, weil der Zensor von der entscheidenden >Kraft-quelle< der Herrschaftslegitimation abgekoppelt ist. Auch Zensur als Teil der Ver-waltung bedeutet »Herrschaft kraft Wissen«. (M. Weber). Daher ist Zensur para-doxerweise gerade für jede >rationale< Herrschaft ein heikles Unternehmen.

Aber nicht nur von Seiten der Zensierten wird die Kompetenz des Zensors inFrage gestellt, auch die Regierenden sind sich in diesem Punkt nicht ganz sicher. Soenthielt das preußische Zensurgesetz im § 13 die Regelung, daß der Schriftstellerhaftbar blieb, auch wenn es ihm gelungen war »des Zensors Aufmerksamkeit zuhintergehen (z. B. durch eingestreute strafwürdige Anspielungen oder Zweideutig-keiten, deren beabsichtigter Sinn dem Zensor verborgen bleiben konnte)«.57 Diepräsumptive Dummheit der Zensoren war damit gesetzlich festgeschrieben. DerZensor konnte sich aufgrund dieses Paragraphen immer noch auf seine mangelndeKenntnis oder auf stilistische Fallgruben berufen, denen er zum Opfer gefallen sei.

Die Schriftsteller reagierten auf diese Lage, indem sie einen ausgeklügelten Zen-surstil entwickelten, der darauf abzielte, die Aufmerksamkeit des Zensors nachhal-tig zu überlisten. Heine und Börne sind auf diesem Felde die unbestrittenen Siegergeworden.58 Für die Junghegelianer ist nun das jungdeutsche Spiel mit dem Zensornicht mehr akzeptabel. Eine der vielen »demoralisierenden Wirkungen« der Zen-sur ist für Heß, daß die Autoren aus der Not der Repression eine Tugend gemachthätten, sie »hielten am Ende die Konzessionen, die sie notgedrungen machen muß-ten, für eine freiwillige Tat«. Jetzt gilt: »wir halten es für besser, nützlicher undehrenhafter, zu schweigen - als mehr oder weniger gegen unsere Überzeugung zuschreiben.«59

Auffällig an der junghegelianischen Kritik der Zensur ist, wie sehr Zensor undPublizist auf eine gleiche Ebene gezogen werden. Die Junghegelianer verstehensich latent als Konkurrenz zur Zensur. Konkurrenz in einem doppelten Sinne: siekonkurrieren um die Aufgabe der Distribution des Geistes, und sie konkurrierenum die Maßstäbe, nach denen der distributionsweite Geist bestimmt werden soll.Die Konkurrenz macht sie in gewisser Weise zu Partnern einer Kommunikations-gemeinschaft. Diese gleiche Ebene kann aber nur konstruiert werden, wenn diepolitisch-dezisionistischen Elemente des Komplexes Zensur ausgeklammert wer-den.

Angesichts des Verbots der DJ entwickelt Stirner eine Argumentation, in der erVerbot und Zensur so geschickt gegeneinander ausspielt, daß im Zeitungsverbotsich gerade die Ohnmacht der Zensur erweisen muß. Zeitungsverbote zeigten,»daß die Aufgabe der Zensur eine Unmöglichkeit ist.« Denn wenn eine Zeitungwegen eines Textes verboten wird, warum hat die Zensur den Text dann überhauptpassieren lassen?

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»Warum hat dann die Zensur dem Scharfsinn nicht den Scharfsinn, der Arbeit nicht dieArbeit, der Pfiffigkeit nicht die Pfiffigkeit entgegengesetzt?« Stirner gibt zu: »jene Zeit-schrift (die DJ, d. V.) entfernte sich immer weiter von dem Wege >der reinen Wissenschaft̂war leider immer praktischer, destruktiver, revolutionärer, unchristlicher. Gut! Wir sagenimmer wieder: Zensur, wir geben dich zu, wir räumen einmal ein, daß du für alle Interessendes Lebens, für alle Güter diesseits und jenseits, oben und unten, die höchste und absolutnotwendigste Macht bist. Macht? Nun, wer Macht hat, der ist mächtig. Warum hat die Zen-sur jene Zeitschrift immer destruktiver, revolutionärer, praktischer, unchristlicher werdenlassen? Warum?«60

Das Verbot beweist, daß die politisch-dezisionistischen Elemente erst im Verbotselbst, aber nicht in der Zensur wirksam sein können. Wenn aber der Zensor so not-wendigerweise >machtlos< ist, so bleibt für ihn nur noch der Status eines Kommuni-kationspartners.

Diese Kommunikationspartner werden herausgefordert, so z. B. von Marx,wenn er fragt:»Lebt in Preußen eine solche Schar der Regierung bekannter Universalgenies - jede Stadthat wenigstens einen Zensor -, warum treten diese enzyklopädischen Köpfe nicht alsSchriftsteller auf? Besser als durch die Zensur könnte den Verwirrungen der Presse ein Endegemacht werden, wenn diese Beamten, übermächtig durch ihre Anzahl, mächtiger durchihre Wissenschaft und ihr Genie, auf einmal sich erhöben und mit ihrem Gewicht jene elen-den Schriftsteller erdrückten, (...). Warum schweigen diese gewiegten Männer, die wie dierömischen Gänse durch ihr Geschnatter das Kapitol retten könnten?«61

Der Zensor soll Teil der Kommunikationsgemeinschaft werden, weil seineHandlungen sich strukturell nicht von denen der Schriftsteller unterscheiden. Zen-sor und Publizist haben beide die Aufgabe der Distribution der Vernunft. Die Zen-sur insgesamt wird de facto entpolitisiert und zu einem defizienten Kommunika-tionsverhalten umgedeutet. »Die Zensur ist die offizielle Kritik, ihre Normen sindkritische Normen, die also am wenigsten der Kritik, mit der sie sich in ein Feld (!)stellen, entzogen werden dürfen.« Der Zensor als Kommunikationspartner, dersich verweigert, hat im Kern nicht mehr aufzubieten als seine Subjektivität. »Wirsind auf die Temperamente des Zensors angewiesen. Es wäre ebenso unrecht, demZensor das Temperament, als dem Schriftsteller den Stil vorzuschreiben.«

Auch für Ludwig Buhl ist an »eine Gleichartigkeit der Entscheidung, an einefeste Norm derselben ( . . . ) auch unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht zu den-ken. Was hier dem einen Zensor ganz unschuldig erscheint, kann von dem anderenverboten werden oder sagen wir lieber, wird verboten, ist verboten worden.« DieserSachverhalt kann aber gar nicht dem politischen Zensor angelastet werden, »dennseine Einwilligung oder Verweigerung ist Gewissenssache.« Die Inhomogenitätender Herrschaftsausübung bedeuten in dieser Perspektive: »Also ein Zensor kanneinen anderen zensieren, und was der eine für unverfänglich gehalten hat, fürgefährlich und übelwollend erklären.«62 Zensoren untereinander und Zensorengemeinsam mit den Redakteuren stellen eine große Kommunikationsgemeinschaftdar, in der die privaten Gesinnungen sich austauschen.

Es ist nur konsequent, wenn Buhl in diese Kommunikationsgemeinschaft auchnoch den Monarchen selbst hineinzieht. Nicht die administrativen Verfügungenzur Zensurlockerung seien die Hauptsache, »weniger aus den positiven Bestim-

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mungen« der Zensurverfügung, »als aus der darin ausgesprochenen KöniglichenGesinnung« ergäbe sich Anerkennenswertes. In der Kommunikationsgemein-schaft sind alle Elemente, die auf Fragen nach der Institutionalisierung oder Dezi-sion verweisen könnten, getilgt. Nach dem Verbot der RhZ bemerkt Karl Mager,dessen Redaktionsmitarbeit 1841 am Widerstand der Junghegelianer gescheitertwar, treffehcl: »Die Herren Hegelianer haben die Administration mit einer mißlie-bigen literarischen Koterie, gegen die man in einem Journal Krieg führt, verwech-selt«.63

Systematisch gesehen gibt es im Vormärz zwei mögliche Positionen, aus der Kri-tik der Zensur das Verhältnis von Presse und Politik zu bestimmen. Entweder wirddie freie Presse politisch fundiert in antizipierten repräsentativen parlamentari-schen Institutionen, oder man überantwortet die politische Fundierung einer wei-teren Zukunft, um am Ende vielleicht ganz auf sie zu verzichten. Bevor wir derzweiten Alternative und ihren Verzweigungen nachgehen, sei die erste Lösungs-form dargestellt.

Das Modell einer Fundierung der Presse in repräsentativen Vertretungsorganenwird 1843 von einem Korrespondenten der RhZ in Umrissen entwickelt.64 Warumdroht eine Kollision zwischen Regierung und Presse? Warum ist die Regierung derGegenpol der Presse? Die Antwort: weil das Volk »mit seinem politischen Denkenüber die vorhandenen Staatsformen schon weit hinaus« sei; daher habe sich diePresse hauptsächlich an die Regierung wenden müssen. Die Presse »ging wohldavon aus, daß die öffentliche Meinung hinlänglich bestimmt, bewußt und ent-schieden sei; daß es auch nicht lohne, sich mit unermüdlichen, fortgesetzten Erör-terungen an das Volk zu wenden«. Aber die Mündigkeit des Volkes habe ihr nichtgeholfen, »weil es keine Staatsformen vorfand, in denen es sich unverfälscht undsicher, mit der inneren Gewalt, die ihm etwa gebühren mochte, geltend machenkonnte«. Es ist das Defizit demokratischer Volksvertretung, das dazu führte, daßdie Presse in Opposition zum Staat geriet; »die Presse und die Regierung findensich daher wie zwei Leute gegenüber, die gern miteinander reden möchten, die abernichts weiter tun als - monologisieren«. Dies aber sei nicht die wahre Bedeutungder Presse, denn: »ohne eine wahre Volksvertretung, ohne eine volle, gesicherte,mitwollende und mithandelnde Teilnahme am gesamten Staatswesen hat eine mehroder weniger freie Presse keinen Sinn und daher auch immer nur eine sehr prekäreExistenz.«

Von Seiten der Bürokratie sei für die Presse wenig zu erwarten, jene »muß die-selbe vielmehr notwendig verachten. «65 Der Grund liege darin, daß die Bürokratiesich auf ein routinisiertes Wissen - »in aufgehäuften Akten, angesammelten Tradi-tionen, in sehr ausgebildeten Systemen der Wissenschaft und des Geschäfts« -stütze, die Presse dagegen operiere »mit ihrem fragmentarischen Wissen, mit ihremraschen und daher oft unvollkommenen Ausdruck dessen, was sie sagen will, mitihrem anscheinend launenhaften, oft wunderlichen Wollen.« Die Presse ist nichtnur »wesentlich anderer Natur« als die Bürokratie, entscheidend ist, daß die Presseeinen Bezug zum Souverän braucht, um zur Geltung zu kommen. »Bei einer sol-chen Natur der Presse kann man nun sicher behaupten, daß dieselbe wohl demStaatsmann mit tief dringendem und weitherrschendem Blicke, nicht aber den

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Geschäftsmännern einer eigentlichen, isolierten Bürokratie von irgendeinem erheb-lichen Nutzen sein werde.«

Angesichts der Wesensverschiedenheit von Bürokratie und Presse bleibe derletzteren nur der Schutz des Königs als Existenzgarantie, und Friedrich WilhelmIV. wird auch zensurtaktisch gefeiert als ein König, dessen Absicht »bei allen seinenpolitischen Plänen eben die eigene Befreiung von der zähen, aufdringlichen undsich selbst nicht überwindenden Gewalt der Bürokratie ist.« Im Kern geht es demVerfasser jedoch schon um einen Austausch der Souveräne. »Sprechen wir kurzaus, was immer mehr allgemeine Meinung wird: die Presse kann nicht zur Achtung,Anerkennung und zu unverkümmertem Bestände kommen, ohne eine freie, kräf-tige Volksvertretung, d.h. denn, ohne daß die Bürokratie wenigstens in ihrer Spitzegebrochen wird.«

Diese Argumentation wird am 9. 2. 1843 noch einmal ausführlich wiederholt.66

Presse und öffentliche Meinung werden gleichgesetzt, die Presse ist »das laute Den-ken des Volkes«. - »Die Presse, die öffentliche Meinung ist notwendig in sichungleichartig und ebenso notwendig drängt sie fort und fort zum Abschluß, ohne jein sich zu einem wahrhaften Abschluß zu gelangen, ohne in sich und aus sich herausje fixiert werden zu können.« Aber gerade diese unabgeschlossene Kommunika-tionsgemeinschaft bedarf der Formen, in denen sich souveränes Handeln realisiert:»die Presse, die öffentliche Meinung bedarf eines verfassungsgemäßen Organes, das sie fürden wirklichen Staat abschließt, für einen gegebenen Vall fixiert, und je mehr positive Fälle diePresse, die öffentliche Meinung in sich trägt und in sich tragen soll, um so mannigfaltigerund zahlreicher müssen diese Organe in einem Staatswesen sein, und nicht etwa z. B. aufeine Volksvertretung in dem höchsten Kreise des Staates sich beschränken, sondern die man-nigfaltigste Teilnahme des Volkes am ganzen Staatsleben möglich machen.«

Presse und Vertretungsorgane sind in diesem Modell eng miteinander verkop-pelt. Die Presse ist gleichsam der weitgefächerte Vorlauf des Parlaments, sie initi-iert geradezu weitere Vertretungskörperschaften, indem sie Fälle des zu Bereden-den und damit im Zugzwang zu Entscheidenden vervielfältigt. Die politischenOrgane dagegen schließen den Diskurs ab, sie »fixieren« ihn, und es ist auch vorge-sehen, daß »die konstituierten Organe bestimmend und läuternd auf die öffentlicheMeinung und somit auf die Presse zurückwirken«. Publizistisches Verhalten stehthier eindeutig unter dem Primat der Politik, Presse ist der Vorhof der parlamentari-sierten Gesellschaft.67

Dieses Modell liegt jedoch in der Zukunft, und E. Bauer fragt: »Wer kann abse-hen, welchen Lauf die Kritik noch nehmen wird? ( . . . ) Wehe dem, der sie aufhaltenwill!«68 Ist der Prozeß, der sich in der Kommunikationsgemeinschaft entfaltet,überhaupt politisch abschließbar? Läßt sich die Unendlichkeit der dem Arkanumdes Gewissens entspringenden Reden gewaltfrei in politisches Handeln überfüh-ren? »Jeder Staat hat (. . .) das Bedürfnis, wirklicher Begriffsstaat zu werden«,schreibt ein Junghegelianer. Wenn dies einen Sinn haben soll, so muß gelten: »Erkann seine Institutionen nie abschließen.« Eine permanente Revolution ist vorpro-grammiert. Denn »jedes Mal hingegen, wenn der Staat seine Einrichtungen als voll-kommen hinstellt und sie der Diskussion entzieht, tritt ( . . . ) Verknöcherung ein.«69

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Die Presse bewegt sich auf einem »Geistesgebiet, welches über den Staat hinaus-liegt und stets (!) erhabener als er ist«.70 Also kein Primat der Politik, sondernumgekehrt ein Primat der unabschließbaren Kommunikationsgemeinschaft, dieden Staat schließlich aufhebt, weil er die Diskussion stört?

Muß in dieser Konstellation die Presse nicht unter den Verdacht geraten, daß sie,indem sie^sich auf die Ebene bloßer Diskussion zurückzieht, gerade sich selbst zurmächtigsten politischen Kraft aufschwingt? Ist die Trennung der Sphären der Poli-tik und der Presse durchzuhalten? Schafft sich politisches Verhalten in der Presseseinen Ausdruck oder induziert Presse überhaupt erst Politik? Die Journalistensind über die Beziehungen beider Sphären zueinander zerstritten. So kannG. F. König das Verbot der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< kommentieren:»Die Vorwürfe, die in letzten Tagen in einem Atem der jungen >Presse< gemacht wurden,hoben sich wechselseitig auf. Seht, sagte man, welche feste, gehaltene, bestimmte Politikhaben englische und französische Blätter. Sie basieren auf dem wirklichen Leben, ihreAnsicht ist die Ansicht einer vorhandenen fertigen Macht, sie doktrinieren das Volk nicht, siesind die wirklichen Doktrinen des Volkes und seiner Parteien. Ihr aber sprecht nicht dieGedanken, die Interessen des Volkes aus, ihr macht sie erst oder schiebt sie ihm vielmehrunter. Ihr schafft den Parteigeist. Ihr seid nicht seine Schöpfungen. So wird es der Pressezum Vorwurf gemacht, bald daß keine politischen Parteien bestehen, bald daß sie diesemMangel abhelfen und politische Parteien schaffen will.«71

Die Rettung aus dieser verworrenen Lage erfolgt schließlich durch den Einsatzeiner geschichtsphilosophischen Perspektive. Sie ist der zentrale Reflexionsmodus,in dem sich die Dilemmata einer Distribution der Vernunft durch die Presse auflö-sen. Nicht nur entlehnt sich die Figur des öffentlichen Gerichts< der des >JüngstenGerichts<, nicht nur kann sich mit ihrer Hilfe der >zufälligen Schreier< in der Näheeines historischen Subjekts< wissen, auch die Frage nach dem Verhältnis zwischenPolitik und Presse erhält eine geschichtsphilosophische Antwort.

König schreibt zu den gegen die Presse gerichteten Vorwürfen:

»Aber es versteht sich von selbst. Wo die Presse jung ist, ist der Volksgeist jung und das täg-liche laute politische Denken eines eben erst erwachenden Volksgeistes wird unfertiger,formloser, übereilter sein, als das eines Volksgeistes, der in politischen Kämpfen groß undstark und selbstgewiß geworden ist. Vor allem das Volk, dessen politischer Sinn ersterwacht, fragt weniger nach der faktischen Richtigkeit dieser oder jener Begebenheit, alsnach ihrer sittlichen Seele, mit welcher sie wirkt; Tatsache oder Fabel, sie bleibt eine Verkör-perung der Gedanken, Befürchtungen, Hoffnungen des Volks, ein wahres Märchen. DasVolk sieht dies sein Wesen in dem Wesen seiner Presse abgespiegelt und wo es dies nichtsähe, würde es sie als ein Unwesentliches keiner Teilnahme würdigen, denn ein Volk läßt sichnicht betrügen. Mag sich daher die junge Presse täglich kompromittieren, mögen schlechteLeidenschaften in sie eindringen, das Volk erblickt in ihr seinen eigenen Zustand, und weiß,daß trotz allem Gift, was die Bosheit oder der Unverstand herbeischleppt, ihr Wesen immerwahr und rein bleibt und das Gift in ihrem immer bewegten, immer vollen Strome zur Wahr-heit und zur heilsamen Arznei wird. Es weiß, daß seine Presse seine Sünden trägt, sich für eserniedrigt und zu seinem Ruhme, auf Vornehmheit, Süffisance und Unwiderleglichkeit ver-zichtend, die Rose des sittlichen Geistes innerhalb der Dornen der Gegenwart darstellt.«72

Die Passage ist ein Exempel angewandter Geschichtsphilosophie. Die Frage derVerantwortung der Presse, die Frage nach ihrem politischen Sinn wird virtuos

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umgangen. Die »junge« Presse ist wie selbstverständlich unschuldig, daher kann sienur entschuldigt werden. Sie ist der reine Beginn einer Lerngeschichte des histori-schen Subjekts »Volk«, das sie untrüglich spiegelt. Und wer wollte einen Spiegelschelten? Das »wahre Märchen«, das die Presse bietet, wie sollte es zu widerlegensein? Ihre Entlastungsfunktion gewinnt die angewandte Geschichtsphilosophie,weil sie die Aporien der Gegenwart in die Zukunft verlagert, wo sie sie lösen kann,um dann die Lösungen in die Gegenwart zu reinserieren. Das geschichtsphiloso-phische Wissen hat seinen Ort im historischen Subjekt< selbst, es ist das »Volk«,das »weiß«. Daß die Presse abschließend mit quasi christologischen Funktioneneingeführt wird, verdient an dieser Passage ebenso hervorgehoben zu werden wiedie Anspielung auf die theologisch-philosophische Rosensymbolik.73

Warum wird die geschichtsphilosophische Thematik gerade dort virulent, wosich die Junghegelianer als Gruppe von Korrespondenten definieren? So sehr mandavon ausgehen kann, daß geschichtsphilosophische Reflexionen alle Debatten derGruppe durchziehen, im Bereich der Presse, die als Distributionsmedium von Ver-nunft gelten soll, stellt sich in besonderem Maße die Frage, wie die Existenz vonVernunft in der Zeit zu sichern ist. Als philosophische Schule haben die Junghege-lianer zwar auch dem preußischen Staat eine geschichtsphilosophische Rolle zuge-schrieben, ebenso haben sie als politische Partei die Prinzipienkämpfe geschichts-philosophisch gedeutet, aber die soziale Wahrnehmung des Staates, mit dem siesich verbündeten, und auch die soziale Wahrnehmung der Verschiedenheit partei-politischer Positionen hat bei diesen Gruppendefinitionen weitaus mehr sichernde>Nahrung< erhalten als im unüberschaubaren Feld der Presse und ihrer Leser.

Nicht ohne Ironie sieht ein Korrespondent der RhZ selbstkritisch die Zeitungs-korrespondenten »unter den hin und her gehetzten Wesen auf unserem hügeligenErdglobus«, als »die Wächter der Zeit, die eilenden Berichterstatter der hochwich-tigsten sowie der geringfügigsten Einfälle des Weltgeistes ( . . . ) überall im Vorder-treffen«. Sie sind gleichsam Spezialisten in Sachen Zukunft:»so träumen (!) sie gewiß den ganzen Tag von den wichtigen Veränderungen, die sie durchihre Berichte in der Weltgeschichte hervorbringen, und haben keine Ruhe bei Nacht, weilder Morgen die Anzeige von evenements bringen könnte, von deren Ursachen sie ihrenAnteil abwägen müßten, um denn doch einmal mit Hochgefühl die Brust, still in der Eckeeiner Konditorei oder Restauration schlagen zu können, mit dem leise verhaltenen Ausruf:zur Hälfte oder zum Drittel oder Zehntel mein Werk! Solche würdige Männer also habenihre liebe Not.«74

Diese Not lindert Geschichtsphilosophie, weil sie die Zukunft ein Stück weitberuhigen kann, indem sie aufs >historische Subjekt< den Blick richtet, ein Subjekt,dem sich der Korrespondent nahe weiß, das er aber der Gruppennorm entspre-chend nicht voll und nicht offen für sich reklamieren darf, sondern nur in Bruchtei-len »still in der Ecke« als sein Werk genießen darf. Denn was Marx gegen den Zen-sor geltend macht, kann auch gegen den Korrespondenten gewendet werden: die»eigentliche Unbescheidenheit besteht darin, die Vollendung der Gattung beson-deren Individuen zuzuschreiben. Der Zensor ist ein besonderes Individuum, aberdie Presse ergänzt sich zur Gattung.«75

Auf der antizipierten Basis der vollendeten universellen Kommunikationsge-meinschaft, in der »die göttliche Selbstkritik der öffentlichen Vernunft« herrscht,

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ist mit dem Zensor zugleich die Verantwortlichkeit der Korrespondenten ent-schwunden. Denn Zensur kann in diesem Denken nur den Zweck haben: »dieBerechtigung und Selbstgewißheit der Vernunft nicht nur nicht anzuerkennen,sondern ihren Prozeß sogar mit frevelnder Hand zu stören und an die Stelle seinesnotwendigen Verlaufs die Willkür der zufälligen Subjekte zu setzen.«76 Die Selbstge-wißheit der Vernunft ist subjektlos, sie darf nicht »gestört« werden, weder durcheine Zensur noch durch einen Korrespondenten, der allenfalls »still in der Ecke«seinen tätigen Anteil reflektieren darf. Geschichtsphilosophie sichert der Presseihre politische Unschuld.

4. Theorie und Masse

Im Juni 1842 vergleicht M. Heß die Tagespresse in Deutschland und Frankreich.77

Ein solcher Vergleich sei erst möglich nach der »freisinnigen Zensurinstruktion«vom Dezember 1841, denn zuvor hätte man gar nicht von einem »Charakter derdeutschen Journalistik« reden können. Heß' These lautet:»Das Eigentümliche, wodurch sich die deutsche Presse von der französischen unterscheidet,besteht darin, daß jene die Wahrheit, ganz abgesehen von der unmittelbaren Ausführbarkeitoder Anwendbarkeit derselben, theoretisch fordert, während diese umgekehrt, mehr dieAusfuhrung, die Verwirklichung dessen, was sie für zweckmäßig erachtet, denn die Wahr-heit, erstrebt.«

Die französische Presse stünde im Einklang mit der politischen Praxis, dort wür-den die theoretischen Aussagen der Praxis folgen, bzw. aus ihr »abstrahiert« wer-den. »Von jener Presse, die mit Recht eine Macht genannt wird, kann eine neueTheorie nur dann gepredigt werden, wenn ihr eine neue Praxis vorher gegangen ist.( . . . ) Weil die bestehenden Institutionen der Ausdruck der öffentlichen Meinungsind, kann die öffentliche Meinung keinem anderen Prinzip, als dem der bestehen-den Institution huldigen«. Was Heß in Frankreich sieht, liegt nahe bei dem Modelleiner Presse, deren Diskurse, eingebettet in vielfältige politische Institutionen, vondiesen begrenzt und gezügelt werden.

Für die deutsche Presse ist dies Modell Heß zufolge untauglich. Die deutscheTagespresse kann »nicht von der Praxis, sondern nur von der Theorie ausgehen«.In Deutschland fehlt nicht nur ein differenziertes parlamentarisches Leben, um dassich die Presse gruppieren könnte, vielmehr hat positiv die Theorie in Deutschlandeinen besonderen Status. »Nur die ausgewirkte Idee, nicht die verwirklichte Tat, isthier der von den Geistern erkannten Wahrheit entsprechend. Niemand, der diedeutschen Verhältnisse kennt, wird bestreiten, daß die Deutschen in der Theoriekonsequent, wahr und klar, konsequenter als irgendeine andere Nation, daß siedagegen in der Praxis sehr inkonsequent, irr und wirr sind.« Heß greift hier einenweitverbreiteten Topos auf und versucht, Argumentationsstrategien zu entfalten,um die Dichotomie aufzulösen.

Das Problem ist, einen Modus der Distribution der Vernunft zu finden, der demdeutschen Praxisdefizit gerecht wird. Pragmatische Parteipolitik kann immer nuran vorgegebene Praxisräume anknüpfen, aber was ist zu tun, wenn die ausgebildete

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Theorie sich nicht über politisch institutionelle Medien verbreiten läßt? Zunächstverkehrt sich das Theorie-Praxis-Verhältnis in dem Sinne, »daß das sogenanntePraktische in Deutschland gerade das Unpraktischste von der Welt, das Theoreti-sche dagegen hier das wahrhaft Praktische ist.« Marx greift diesen Gedanken auf.Gegen diejenigen, die auf einer politischen Praxis insistieren, von der Theorie aus-zugehen habe, ist die Formulierung gerichtet: »Ihr verlangt, daß man an wirklicheLebenskeime anknüpfen soll, aber ihr vergeßt, daß der wirkliche Lebenskeim desdeutschen Volkes bisher nur unter seinem Hirnschädel gewuchert hat.«78

Die These von der Existenz einer ausgebildeten Theorie in Deutschland - diephilosophische Schule konnte sich in dieser These uneingeschränkt selbst bespie-geln, die politische Partei mußte schon um der Handlungsfähigkeit willen aufeinige allzu ausladende Verzierungen der Theorie verzichten - den junghegeliani-schen Zeitungskorrespondenten wird sie zur Last. Denn wo ist der ebenbürtigeLeserkreis für das, was sie schreiben? Eine schrittweise Reform der staatlichenInstitutionen, eine Demokratisierung und Parlamentarisierung der Ständever-sammlung hätte ihnen publizistische Möglichkeiten eröffnet, aber mit dem Verbotder Zeitungen sind sie Publizisten ohne Publikum, Distributeure der Vernunftohne Adressaten.

Der Vergleich zwischen der Tagespresse in Deutschland und Frankreich, denM. Heß vornimmt, ist keine bloß kontrastierende Illustration, vielmehr ist er Teileiner umfassenden geschichtsphilosophischen Konstruktion, die an die Thesen sei-ner Schrift >Die europäische Triarchie< (1841) anschließt. Deutschland und Frank-reich treten hier als weltgeschichtliche Repräsentanten zweier revolutionärer Prin-zipien auf: der Revolution des Geistes und der Revolution des politisch-sittlichenBereichs. »Deutschland ist der eine Arm der Vorsehung, welcher das innersteWesen, den Geist erfaßt und fördert, Frankreich der andere, der in die äußereGestaltung des Lebens eingreift, um diese zeitgemäß zu reformieren.«79

Die Ursprünge dieses Dualismus werden weit zurück verlegt. Die ursprünglicheEinheit der Menschheit im Orient zerbricht, weil sie sich vermehrt, und es setzt eingeschichtsbegründender Wanderungsprozeß von Osten nach Westen ein, bei demdie >negativ unruhigem Charaktere nach Westen wandern, sich von den kontem-plativen östlichem Charakteren trennen. So habe nur die westliche Welt einebewegte Geschichte, im Gegensatz zur in sich gekehrten Ruhe des Ostens. Mit derEntdeckung Amerikas sei nun Europa gleichsam in die Mitte gerückt, eine Mitte,in der sich der Ost-West-Dualismus am stärksten reibe. Die deutsche Reformationgilt dabei als mehr dem Osten verpflichtete Innerlichkeit, die Französische Revolu-tion repräsentiert den westlichen Bewegungstypus.80

Für einen geschichtsphilosophischen Dialektiker liegt es auf der Hand, daß hiereine Vermittlung stattfinden muß. Deutschland und Frankreich müssen sich ergän-zen. Und das dritte Prinzip, das entsteht, hat auch schon einen nationalen Reprä-sentanten. Für Heß ist England der Träger der Vermittlung. Hier soll nach derdeutschen Emanzipation des Geistes und der französischen Emanzipation der Sit-ten die dritte künftige Emanzipation, die der sozialen Freiheit, stattfinden, die den»Gegensatz von Pauperismus und Geldaristokratie« aufhebt.81 In England stehtdie letzte, abschließende, die soziale Revolution auf der geschichtsphilosophischenTagesordnung, die die »europäische Triarchie« vervollständigt.

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Spekulative Ost-West-Symboliken und ihre zentristischen Auflösungen habeneine lange Tradition.82 Aber nicht sie interessiert uns hier, sondern die Funktion,die sie bei Heß für die Lösung der Distributionsprobleme der Vernunft hat.Geschichtsphilosophie vergewissert sich der Zukunft. Sie bietet sozialem Handeln,das sich in der Zeit vergewissern will, einen Erwartungshorizont. Aber sie zielt nichtnur auf Zukunft, sondern definiert auch die geographischen Orte, an denen rele-vantes Geschehen stattgefunden hat, stattfindet und stattfinden wird. Sie gibt Ant-wort auf die Frage, wohin die Distributeure der Vernunft ihre Aktivitäten richtensollen.

Sosehr die Heßsche Konstruktion buchstäblich richtungsweisend ist: in Englandwäre das ideale Publikum für die Presse zu finden - man kann die Konstruktionauch mißverstehen. Denn die drei nationalen Emanzipationen sollen sich zwarweltgeschichtlich vereinen, auch kann man sich vorstellen, daß ein einzelner Intel-lektueller zur kulminierenden Emanzipation nach England geht, aber einenExodus der deutschen Intelligenz nach England als Gruppenregel aufzustellen,eine solche Konsequenz wäre wohl kaum akzeptabel. Es muß also dabei bleiben,daß das reelle Handeln »jedes an seinem Orte«83 stattfindet, also auch an Orteneines vielleicht minderen geschichtsphilosophischen Ranges.

Für Heß in Köln heißt das:»Allein wir dürfen, um die Früchte der englischen oder französischen Revolution zu ernten,nicht indifferent zusehen, wie sich unsere Nachbarn in blinder Wut zerfleischen; wir dürfendas Licht, womit uns die Vorsehung begnadigt hat, nicht untern Scheffel halten, — sonstmöchte sich unser Egoismus gar bald an uns selbst rächen! Es ist, wie gesagt, noch immerunser Beruf, an der Grundlage der Neuzeit, an der Geistesfreiheit weiter zu bauen. Die Ideeder einigen, freien Menschheit, die Idee der Humanität müssen wir immer weiter, immerkonkreter ausbilden.«84

Im Europa der >Triarchie< bleibt Theorie eine deutsche Aufgabe, aber es ist eineAufgabe, die partiell ist. Falsch wäre der Schluß, sich fatalistisch nur auf die Spitzeder Emanzipationsgeschichte zu fixieren, falsch der Schluß, die Theorie aufzuge-ben, sie ist »noch immer unser Beruf«, aber es ist ein Beruf, dessen Sinn an dieGesamtkonstruktion gebunden ist.

Heß' Zentrierung auf England als die Synthese dauert bis Mitte 1842. Im Beitragüber die Tagespresse wird noch entsprechend der triarchischen Konstruktion diedeutsche Presse der englischen nahegerückt. Was das Verhältnis zur Theorieangeht, gilt ihm »der Engländer (.. .) theoretischer, deutscher« als der Franzose.85

In einer Korrespondenz vom Juni 42 erwartet Heß in England eine soziale Revolu-tion.86 Heß' Naherwartungen werden enttäuscht. Die Bewegung der Chartisten,die politische Petitionen ins Parlament einbringen, kann er nicht theoretisch alssoziale Revolutionen identifizieren, zumal der politische Sektor seiner Konstruk-tion für Frankreich reserviert ist. So wird die Triarchie »geräuschlos auf die Diarchiereduziert«87, wie Na'aman schreibt. Der Dualismus von deutscher Theorie undfranzösischer Praxis wird nunmehr zur entscheidenden Denkfigur.

Bedeutete »französische Praxis« in der triarchischen Konstruktion nur die politi-sche Revolution der Sitten, so ordnet Heß in der Rest-Diarchie den Inhalt der sozia-len Revolution auch der französischen Seite zu. »Französische Praxis« meint nundie sozialistische und kommunistische Bewegung in Frankreich. Über sie berichtet

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Heß als Redakteur der >Rheinischen Zeitung<, und nach deren Verbot geht er selbstnach Paris.

Die Existenz einer blühenden Pressekultur in Paris, die sich ganz der sozialenFrage widmet, muß auf den Junghegelianer Heß, der nach dem Scheitern seinerOrientierung auf den preußischen Reformstaat, die in der >Triarchie< noch unge-brochen zum Ausdruck kommt, ohne Handlungsperspektive ist, einen nachhaltigfaszinierenden Eindruck gemacht haben. Hatte der Geschichtsphilosoph Heß dieLösung des sozialen Widerspruchs von »Geldaristokratie und Pauperismus« alskrönenden Abschluß der modernen Emanzipation gefordert, so führte ihm diekommunistische Presse Frankreichs ein intellektuelles Tätigkeitsfeld vor, das dieChance bot, sich im Zentrum der geschichtlichen Entwicklung zu wissen.

Der geschichtsphilosophische Dualismus der nunmehr neugefaßten französi-schen Praxis< und der >deutschen Theorie< läßt sich jedoch nicht umstandslos aufdie Realitäten anwenden, denn die Handwerker- und frühe Arbeiterbewegung inFrankreich besteht nicht nur aus >Praxis<, sondern hat eigene Theoretiker, und siehat eine eigene Literatur, eine eigene Tagespresse. Wie kann Heß dieses Problemlösen? An der kommunistischen Presse Frankreichs interessiert zunächst dasModell: die Distribution der Vernunft durch kommunistische Publizisten. Heßspricht zwar noch von »Parteien«, aber es geht schon nicht mehr um die dramati-sche Darstellung von Prizipien, sondern um das Problem von Masse und Theorie.

Jedoch konfrontiert mit dem, was in der kommunistischen Presse Frankreichs zulesen steht, muß Heß feststellen, daß es sich dort nicht um den >Geist< handelt, deres wert ist, verbreitet zu werden. So wolle zum Beispiel eine fourieristische ZeitungDinge vereinigen, »die entweder ihrer inneren Natur nach nicht zu vereinigen sind,oder deren Natur ihm (dem Blatt der Fourieristen, d. V.) ganz unbekannt ist. (. . .)Z. B. den Absolutismus mit der Freiheit, das Bourgeoisieregiment mit der Gleich-heit«. Zwar sähen die Fourieristen ein, »daß ihnen eine Beschäftigung mit Deutsch-land nottut«, aber ihre intellektuelle Potenz reiche dazu nicht aus, sie würden»alles ohne Kritik loben, was Deutschland angehört, namentlich die deutschen Professorenund Potentaten - als ob solche wohlmeinenden Urteile allein hinreichten, Deutschlands undFrankreichs Geschichte dauerhaft zu verschmelzen! Ist es nicht zum Lachen, in einem unddemselben Blatte einen deutschen Fürsten und Arnold Rüge, den >Begründer der neuhegel-schen Schule< (!) auf die freundlichste Weise, die man sich nur denken kann, behandelt zusehen?«88

Theorie und Praxis, ausgehend von ihren geschichtsphilosophischen OrtenDeutschland und Frankreich, zu verbinden, heißt für Heß, daß nur das deutsche,philosophisch geschulte, kritisch gewordene Denken in der Lage ist, die französi-sche Praxis vor Fehlern zu bewahren. Darum muß die deutsche Theorie Einfluß aufdie kommunistische Presse Frankreichs gewinnen. Der Konkurrenzkampf mit denfranzösischen Theoretikern ist so unausweichlich.

Es sind zwei widersprüchliche Ebenen der Argumentation, die Heß zusammen-bringen muß. Einmal gilt es, die französische Praxis< der >deutschen Theorie<unterzuordnen, zum anderen müssen die französischen Theoretiker irgendwiedepotenziert werden, ein Unternehmen, das viel Takt erfordert, das getarnt werdenmuß, weil anders ein reeller Einfluß auf die Presse Frankreichs nicht zustandekäme. Die Offenheit, mit der über die geschichtsphilosophisch definierte nationale

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>Arbeitsteilung< gesprochen wurde, weicht sukzessiv einer auf EmpfindlichkeitenRücksicht nehmenden Balanceargumentation.

In Sozialismus und Kommunismus< (1843) wird die Arbeitsteilung baldgeschickt zu einem Problem des 18. Jahrhunderts antiquiert. Damals ging es um»eine >vernünftige< Religion und >rechtliche< Politik«.»Wie die Aufgabe des vorigen Jahrhunderts eine doppelte war, sich einem doppelten Zweckzuwandte, einem religiösen und einem politischen, so teilen sich auch zwei Nationen in dieseArbeit: die deutsche warf sich hauptsächlich auf das religiöse, die französische vorzüglich aufdas politische Gebiet. Dort bildete Kant, hier die Revolution das Ziel und Ende des vorigenJahrhunderts.«

Seitdem beginnt die »Neuzeit, eine neue Periode«, die für das aktuelle Handelnbestimmend ist. Hier müssen für beide Nationen vorsichtigere Formulierungengefunden werden, denn Heß will ja Einfluß auf die kommunistische Presse gewin-nen. So avancieren die praktischen Franzosen< zunächst zu >Theoretikern<. Standder Denker Kant noch der tätigen Revolution gegenüber, so wird Fichte Babeufzugeordnet.»In Deutschland sprach Fichte zuerst, freilich noch etwas roh und wild, die Autonomie desGeistes aus; in Frankreich sehen wir in Babeuf die erste und daher ebenfalls noch roheGestalt eines einheitlichen Soziallebens auftauchen. Oder populär ausgedrückt: Von Fichtedatiert in Deutschland der Atheismus - von Babeuf in Frankreich der Kommunismus,«89

Atheismus und Kommunismus sind für Heß zwei Bewegungen, die sich auf dieneuen Grundprinzipien beziehen, die das 19. Jahrhundert verwirklichen soll: dieFreiheit und die Gleichheit als eine Einheit. Bei Fichte und Babeuf werden dieseGrundprinzipien in »roher« Form entwickelt. Das nächste Paar, Schelling undSaint-Simon »gelangen als Gefühlsmenschen durch unmittelbare Anschauung zuihren Resultaten und geben sie als solche, ohne sie zuerst durch die Dialektik derSpekulation zu vergeistigen, der erstaunten Welt preis, welche mehr durch Überre-dung, als durch Überzeugung für dieselben gewonnen wird.« Den Abschluß derTrias von Paaren bilden Hegel und Fourier, die Freiheit und Gleichheit auf einewissenschaftliche Höhe bringen.»Durch Fourier und Hegel wurde der französische und deutsche Geist zu dem absolutenStandpunkte erhoben, auf welchem die unendliche Berechtigung des Subjekts, die persönli-che Freiheit oder die absolut freie Persönlichkeit, und das Gesetz der nicht minder berech-tigten objektiven Welt, die absolute Gleichheit aller Personen in der Gesellschaft, keineGegensätze mehr, sondern die beiden sich gegenseitig ergänzenden Momente eines und des-selben Prinzips sind, des Prinzips der absoluten Einheit alles Lebens.«90

Die Konstruktion verspricht die Gleichrangigkeit von deutscher und französi-scher Theorie. Die alte >Arbeitsteilung< scheint darin aufgelöst zu sein. Es handeltsich auch, bezogen auf die inhaltlichen Aspekte, nicht um eine willkürliche Grup-pierung. Fichte/Babeuf, Schelling/Saint-Simon, Hegel/Fourier - diese Paarekönnte man noch heute theoriegeschichtlich in dieser Zusammenstellung diskutie-ren. Im Kontext der sozialen Auseinandersetzungen von Intellektuellen liegt derneuralgische Punkt in diesem Heßschen Verfahren nahe bei dem Problem, das unsim ersten Kapitel dieser Arbeit bei der Analyse der innerschulischen Positionstafeln

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beschäftigt hat. Heß definiert die Gleichrangigkeiten im Rahmen eines hegeliani-schen Stufenmodells, und hier ist entscheidend, wer »das Prinzip der absolutenEinheit alles Lebens« formuliert. Die Formulierung selbst ist schon der Ansprucheiner intellektuellen Hegemonie.

Heß' Unsicherheit darüber, ob er eine Konstruktion gefunden hat, die seinenintellektuellen Konkurrenten und Mitstreitern akzeptabel ist, wird dem Leser nichtentgehen, wenn er liest:»Es ist eine wesentlich gleiche Arbeit, die der deutsche und französische Geist über sichgenommen, und wem noch ein Zweifel über das einige Grundprinzip übrig bleibt, aus demin Deutschland die Lehre von der absoluten Geistesfreiheit, in Frankreich jene der absolu-ten sozialen Gleichheit mit allen ihren Konsequenzen entstanden, der gehe einen Schrittweiter, als diese Theorien, der verfolge noch die praktischen Wirkungen derselben, wie siesich eben jetzt und gerade hier auf der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich mani-festieren - und auch der letzte Zweifel über die gleichen Bestrebungen Deutschlands undFrankreichs, muß, wie Nebel vor der Sonne dahinschwinden.«91

Bleiben wir einen Moment beim »Nebel« dieser Sätze. Auf der Ebene des >Gei-stes< ist eine >gleiche Arbeit< zu verrichten, d.h. französische theoretische Kommu-nisten stehen deutschen Philosophen nicht nach. Aber diese theoretischeGleichrangigkeit, die im »einigen Grundprinzip« begründet ist, wird »einenSchritt weiter« herabgesetzt zugunsten einer Praxis, die ihren Ort »gerade hier aufder Grenze«, d. h. bei den Kölner Junghegelianern hat.

Heß' Argumentationen bewegen sich in der Tat »auf der Grenze«. Die Ergän-zung von Deutschland und Frankreich bedeutet für Heß zweierlei: einmal ist diekommunistische Presse Frankreichs ein publizistisches Modell, das sich für dieDistribution der Vernunft deshalb so hervorragend eignet, weil es sich auf dengeschichtsphilosophisch relevanten Kern, die soziale Frage, bezieht; diese Formder Publizistik führt den Philosophen ins Zentrum der Geschichte. Zum anderenist die kommunistische Bewegung Frankreichs das ideale Objekt der Aufklärungdurch die deutsche Theorie. Störend sind nur die konkurrierenden Theoretiker.

Wie sie entkräften, ohne daß der in der Konkurrenz liegende Machtanspruchsich verrät? Denn die Forderung eines bloßen Austauschs der intellektuellen Füh-rungsgruppen wäre allzu durchsichtig. Die Lösung lautet: in einer argumentativenFigur die französische Theorie der deutschen zu assimilieren und gleichzeitig dasDistributionsverhältnis von Theorie und Masse umzubauen. Wenn es gelänge,einen Typ von theoretischer Führung zu erfinden, dessen Führung nicht sichtbarwäre, eine gleichsam antiautoritäre Führung, könnte das den Erfolg bringen.

In >Die Eine und die ganze Freiheit< (1843) werden in der Auseinandersetzungmit den bisherigen Distributionsvorstellungen die ersten Umrisse der Zauberfor-mel einer antiautoritären Führung sichtbar. Zwei gegenläufige Bewegungen müs-sen vollzogen werden: Die Depotenzierung der Theorie allgemein und die Poten-zierung besonders der Theorie, die die Depotenzierung betreibt. Das liest sich so:»Das philosophische Deutschland hat in den letzten Jahren eine jener großen Umwandlun-gen erfahren, welche nicht nur in der Geschichte der Philosophie, sondern auch in der Welt-geschichte Epoche machen. Die Philosophie als solche ist sogar an dieser Umwandlungweniger beteiligt, als die Geschichte der Menschheit überhaupt, und wie der Fortschritt,von dem wir sprechen, weniger ein philosophischer als ein weltgeschichtlicher, so ist er auch

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weniger von der Philosophie oder deren Repräsentanten, also nicht so, wie die bisherigenFortschritte in der Philosophie, von bestimmten Personen oder gar von einem einzigen phi-losophischen Genie, als vielmehr von Völkern und zwar näher vom Genius des deutschenund französischen Volkes ausgegangen.«92

Damit ist auf einer allgemeinen Ebene der Theorie ihre geschichtsmächtige Kraftabgesprochen. Heß redet schon nicht mehr als >Philosoph<, sondern aus der Per-spektive der Massen, der >Völker<, die zwar einen >Genius< haben, aber dies ist einPlatz, der nicht besetzt werden soll. Er stimmt seinen junghegelianischen Kampfge-fährten zu, daß die Freiheit kein »Monopol der Philosophen« sei, »daß sie allgemei-nes Gut werden muß.« Aber das reiche nicht aus. »Ihr ganzer Fortschritt, den siebisher gemacht haben, beschränkt sich auf das Bestreben, der Philosophie beimVolke Eingang zu verschaffen. Wollen sie aber wirklich das Volk gewinnen, so müs-sen sie vor allen Dingen auch den Volkswünschen bei sich selber Eingang verschaf-fen.« Die alte Distributionsvorstellung, die Theorie in der Masse zu verbreiten,genügt nicht, es muß sich auch aus der Masse heraus etwas in der Theorie verbrei-tern. Das heißt, die junghegelianischen Korrespondenten werden auf die sozialisti-sche Thematik verwiesen, die genuin von den Massen ausgehe. »Es ist ein nutz- undfruchtloses Unternehmen, das Volk geistig freimachen zu wollen, ohne ihmzugleich die wirkliche, soziale Freiheit zu geben«.

Diese Kritik läßt sich aber auch wie ein Handschuh umkrempeln, und dann wirddaraus eine Kritik der französischen Kommunisten.»Die dem Volke die soziale Freiheit ohne die geistige geben wollen, unternehmen ein ebensounmögliches Werk, wie die Philosophen, die die Geistesfreiheit allein vorbereiten möchten.Indem sie neben der sozialen Freiheit die geistige Knechtschaft, die Religion, bestehen las-sen, heben sie mit dieser Knechtschaft jene Freiheit in dem Augenblicke selbst wieder auf,wo sie dieselbe als wirklich setzen.«93

Den französischen Sozialisten wird vorgeworfen, sie propagierten religiös-dog-matische Systeme, sie machten den Versuch, »die Lücken im Dictionnaire philoso-phique und Contract social durch Bibelstellen zu ergänzen, (. . .) die Besten fürch-ten sich vor einer >Anarchie der Meinungen<, die sie nur durch den Autoritätsglau-ben besiegen zu können sich einbilden.«94

In der Kritik nach zwei Seiten zeichnet sich der Typ einer antiautoritären Füh-rung ab. Die allgemeine Philosophie wird depotenziert, das ist gegen die deutschenKampfgefährten gerichtet, die nicht sozialistische Praxis in ihr Denken hinein las-sen, aber diese Depotenzierung führt zu Potenzierung der Theorie, die auf demBoden sozialistischer Praxis für die Geistesfreiheit eintritt.

Marx greift diese Formel auf.95 Auch ihm geht es um die beiden Seiten: der »Exi-stenz der leidenden Menschheit, die denkt, und der denkenden Menschheit, dieunterdrückt wird«. Eine Theorie, die sich nicht auf die Existenz des Leidensbezieht, kommt nicht in Frage. Aufgabe der Theorie ist, »an wirkliche Kämpfeanzuknüpfen und (uns) mit ihnen zu identifizieren«. Diese Identifikation wirddann abgesetzt gegen jeden Versuch, »dogmatisch die Welt (zu) antizipieren«. Dasist in erster Linie gegen die französischen Kommunisten gerichtet. »Ich bin (. . .)nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müs-sen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klarmachen.«

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Diese Wendung kann generalisiert werden: gegen jeden Theoretiker, der sich zumLehrer der Massen aufwirft.

Ihre klassische Formulierung hat die Zauberformel über das neue Verhältnis vonTheorie und Masse in den Worten gefunden:

»Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: hier ist dieWahrheit, hier knie nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prin-zipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollendir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlichkämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nichtwill.«

Es ist nicht einfach, die Paradoxie dieser Position zu beschreiben. Theorie undMasse stehen sich nicht schlicht gegenüber, sondern die Theorie als selbständigerBereich wird depotenziert. Sie taucht in den praktischen Kämpfen gleichsam unter.Sie hat sich in einem gewissen Sinne aufgegeben. Und diese Selbstaufgabe wird zueiner Kampfformel gemünzt gegen alle, die auf der Theorie für sich insistieren.Aber die Theorie, die so untergegangen ist, feiert ihre Auferstehung in potenzierterForm, nämlich als konkurrenzlose Theorie. Sie ist konkurrenzlos, weil sie sichschon aufgelöst hatte in einem Opfergang.

Bleiben wir zunächst beim ersten Schritt. Der in der Masse aufgelöste Intellektu-elle definiert sich als organischer Bestandteil des historischen Subjekts. »Kopf« und»Herz« der Emanzipation sind »Philosophie« und »Proletariat« als eine Einheit.96

Weder eine unintelligente Masse, noch eine herzlose Spekulation kommen alsBezugspunkt in Frage. Die Formel vom Bündnis der Intellektuellen mit dem Prole-tariat, die bekanntlich aus diesen Debatten erwachsen wird, ist viel zu grob, weil sieden Kernpunkt: die Auflösung des Intellektuellen, übersieht.

Es ist ein Aspekt des Feuerbachschen Übergangs von der Philosophie zumLeben, der hier besonders akzentuiert für die Begründung der Auflösungsbewe-gung, die der Intellektuelle vollziehen soll, eingebracht wird. Auch in einem theore-tischen Sinne >wahres< Denken entspringt nur einer Existenz, die in sich die Zerris-senheiten, Entfremdungen und Abspaltungen als tendenziell überwundene voraus-setzt. Nur dort, wo der Intellektuelle nicht mehr als Intellektueller, möge er nunnoch so sinnvolle Ideen verbreiten wollen, sondern als »Gattungswesen« sichbegreift, ereignet sich »Wahrheit«. Der Wille zur Wahrheit wird hier paradoxer-weise in eine Richtung gelenkt, die am anderen Ende dessen liegt, was dem Strebender Intelligenz vor Augen ist. Die Maxime lautet: je mehr der Intellektuelle einIntellektueller sein will, um so mehr gerät er mit seinem Streben ins Abseits; undumgekehrt: je weniger der Intellektuelle sich als Intellektueller definiert, um somehr wächst zusammen mit den Qualitäten des »Gattungswesens« auch seinePotenz, »Wahrheit« zu sagen.97

Distribution der Vernunft ist in dieser Selbstdeutung schon nicht mehr bloßeAufgabe, ein Sollen, sondern bereits eine geschichtsphilosophisch angenommeneSelbstläufigkeit, ein Sein. Daher sind auch besondere Darstellungsebenen vonPrinzipien wie Parteien im Kern entbehrlich, weil sie in das >totale Gattungswesen<Spaltungen einführen, die es gerade zu vermeiden gilt. Ebensowenig, wie in dieservorausgesetzten Identität von Masse und Theorie der Intellektuellenstatus etwas

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besonderes darstellt, so wenig ist Platz für eine besondere politische Führerfunk-tion. Parteien haben Doktrinen, sie verbreiten die »wahre Parole des Kampfes«,der in der Masse aufgelöste Intellektuelle zeigt »nur« Gründe auf, die ihrer Bewe-gung nie äußerlich sein können, weil der Intellektuelle selbst Teil der Masse ist.

In der Geschichte der Arbeiterbewegung ließen sich viele Beispiele dafür finden,welch große Faszinationskraft von der Figur des in der Bewegung der Masse aufge-lösten Intellektuellen ausgegangen ist.98 Die hier untersuchten Zusammenhängekönnen diese Faszinationskraft ein Stück weit aufhellen. Indem der Intellektuelleauf eine aparte Existenz verzichtet, entgeht er seiner Selbstdeutung nach demGeschick der Ohnmacht seiner Ideen. Als Teil der Massenbewegung haben seineIdeen schon virtuell eine gesicherte Existenz im Leben außer ihm. Sie sind in denMassen >verankert<, erhalten >Gewicht< und >Substanz<. Die Massen bieten derLust des Denkens ein >Realitätsprinzip<, mit dem der gefährliche Überschwang derSpekulation begrenzt werden kann. Die Träume von der Wirklichkeit der Vernunftsind so keine Träume mehr. Das Gericht der Öffentlichkeit, dem sich der kommu-nistische Publizist aussetzt, ist ein wohlwollendes Gericht, weil gemäß der identi-tätslogischen Verschmelzung des Intellektuellen mit der Masse die Kontingenz desmöglichen Urteils ein Stück weit gebannt ist.

Aber es gibt auch Schattenseiten bei diesem Modell. Was den in der Masse aufge-lösten Intellektuellen gravierend irritieren muß, ist die Erinnerung an seine Her-kunft, an das, was davon noch nicht >aufgelöst< ist. Sei es, daß die Massen selbst ihmdies in Erinnerung rufen, ihn nicht voll als einen der Ihren akzeptieren, oder sei es,daß andere Intellektuelle, die nicht diesen Weg gehen, ihn dazu zwingen, dieSelbstverleugnung des eigenen Status noch weiter zu treiben und sich in immererneuerten Anläufen von der aparten Intelligenz abzusetzen. Auflösung der Intelli-genz in der Masse oder aparte ohnmächtige Existenz, diese beiden Bilder gehörenzusammen, sei tauschen einander aus in dem Schrecken, den sie füreinander dar-stellen. Der Begriff der journalistischen Boheme verweist auf diese Intimität. Wodie Junghegelianer ihre Korrespondentenexistenz geschichtsphilosophisch absi-chern, beziehen sie sich auf das »historische Subjekt«, sei es als allgemeines Gat-tungswesen oder sei es als konkretes Gattungswesen in der Gestalt der Massen, desProletariats. Der Preis dieser Sicherung ist die Auflösung der aparten Intellektuel-lenexistenz, die jedoch als bedrohlicher Schatten der Auflösung folgt, eine aparteExistenz, die als randständige, subkulturelle Boheme zum Gegenbild sich verdich-tet.

Was den Erfolg der Bemühungen von Heß angeht, in der kommunistischenBewegung Frankreichs Fuß zu fassen, so sei das Urteil von Na'aman zitiert:

»Heß mußte es erfahren - und andere Radikale deutscher Herkunft mußten die gleicheErfahrung machen: die Franzosen waren nicht bereit, ihre hausbackenen menschenrechtli-chen Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch spekulative Begriffe, beidenen der moralische Gehalt oft sehr schwankend war, abzulösen; sie wollten sich auch niezum Atheismus bekehren. Heß hat zeitlebens wenig Kontakt mit Franzosen gehabt, abersoweit er ihn hatte, haben die Franzosen sich ihm nie genähert; sie haben ihm nur gestattet,sich ihre Ziele zurecht zu legen, wie es ihm paßte. Aber Marx ist es nicht anders gegangen;es ist deshalb verständlich, wenn er vom Krieg 1870 die Ablösung der französischen Hege-monie durch die deutsche innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung erwartete.«99

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Aber die am deutsch-französischen Projekt gewonnenen Formeln von Theorieund Masse konnten auch unabhängig von ihren geschichtsphilosophischen Ortenwirksam werden. Wenn auch die Verbindung mit der kommunistischen PresseFrankreichs scheiterte, das Modell ist überall anwendbar, wo Massen entstehen.Heß und den Junghegelianern, die ihm folgen, gelingt es ein Stück weit, als kommu-nistische Publizisten in Verschmelzung mit den Handwerkerkommunisten Räumeeiner proletarischen Öffentlichkeit in Deutschland zu etablieren. Zeitschriften,wie das >Westfälische Dampfboot<, der >Gesellschaftsspiegel<, das >Deutsche Bür-gerbuch<, die >Rheinischen Jahrbücher für gesellschaftliche Reform< stehen für die-sen Typus proletarischer Öffentlichkeit. Für einen Moment, und vielleicht ist dasJahr 1845 dieser Moment, sieht es so aus, als ob sich Heß und Marx mit einer prole-tarischen Öffentlichkeit zufrieden geben könnten. Es sieht so aus, als ob die Theo-rie untergetaucht sei in einem großen Konzert proletarischer Stimmen, und als seidie Hoffnung in Erfüllung gegangen, daß es dieser proletarischen Öffentlichkeitgelänge, die politischen Begrenzungen bürgerlicher Öffentlichkeit und ihres Par-teiwesens zugunsten einer noch umfassenderen Kommunikationsgemeinschaft auf-zuheben. Umfassender der Sache nach, weil das Thema der sozialen Frage an dieerste Stelle rückt, und umfassender der Zahl nach, weil hier das immense Gattungs-wesen sein Gespräch mit sich selbst führt. »Selbstverständigung ( . . . ) der Zeit überihre Kämpfe und Wünsche«, schreibt Marx, und er faßt dies ganz bescheiden: »Eshandelt sich um eine Beichte, um weiter nichts. Um sich ihre Sünden vergeben zulassen, braucht die Menschheit sie nur für das zu erklären, was sie sind.«100

Aber im Moment des Untertauchens geschieht schon die Wiederauferstehungder Theorie als einer besonderen Einrichtung. Auch bei einer Kollektivbeichte gibtes größere und kleinere Sünder, und wer sollte sie unterscheiden? Seit 1845 bildetsich in Brüssel ein Exilzentrum heraus, zu dem sich Marx, Heß und Engels zusam-menschließen. Das kommunistische >Korrespondenz-Komitee<, das die dreiAnfang 1846 in Brüssel gründen, es bedeutet nichts weniger als die Keimform einerpolitischen Partei neuen Typus. Die Form ist in dieser Zeit noch ganz geheimbünd-lerisch. Das >Korrespondenz-Komitee< arbeitet Anweisungen aus, die jeder Kom-munist zu befolgen hat, und er selbst hat die Aufgabe, Lageberichte zu erstattenund an die Zentrale zu senden.101 Ziel des Komitees ist die Gesinnungssteuerung inder internationalen kommunistischen Bewegung. Es geht jetzt nicht mehr nur umdie Distribution des Geistes über die bloße Teilnahme an der proletarischenÖffentlichkeit, sondern um die Distribution des Geistes über eine Machtstrukturhinter der Öffentlichkeit.

Das politisch-dezisionistische Arkanum, das der bürgerlichen Öffentlichkeit ihrepolitische Unschuld sichern sollte, taucht hier noch einmal wieder auf. Ein Beispielfür die Kommunikation innerhalb der Führungsspitze des Korrespondenz-Komi-tees mag genügen. Anfang 1845, anläßlich der Entstehung der >Rheinischen Jahr-bücher<, schreibt Heß an Marx: »Püttmann, der als Herausgeber >unter Mitwir-kung< von uns auf dem Titel figurieren wird, ist eigentlich eine stumme Person indiesem neuen Drama und wird uns diejenigen Sachen, die nicht von uns ihm zuge-schickt werden, zur Durchsicht resp. Zensur vorlegen.«102

In der proletarischen Öffentlichkeit ist die Schere des Zensors wieder auferstan-den. Das von dem Brüsseler »Trio der autoritären Sichter«, wie Na'aman Marx,

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Engels und Heß in dieser Zeit nennt,103 entwickelte Modell des Verhältnisses vonTheorie und Masse wird bekanntlich in der Geschichte der Arbeiterbewegungeinen prominenten Platz einnehmen. Es handelt sich um ein zweideutiges Modell.Theoretisch wird der in der Masse aufgelöste Intellektuelle vorausgesetzt, unddiese Figur kann gegen jeden gewendet werden, der auf der Selbständigkeit derTheorie, d. h. einer speziellen Aufgabe der Intelligenz insistiert. Der auferstandeneIntellektuelle dagegen steht schon auf einem anderen Boden, konkurrenzlos. DieZauberformel einer antiautoritären Führung, die »Eine und die ganze Freiheit«,erweist sich jedoch als Illusion. Der Atheismus des Kopfes und die soziale Frage desHerzens, sie gehen im 19. Jahrhundert nicht zusammen ohne eine politischeMachtstruktur, die der Distribution der Vernunft diskret nachhilft.

5. Theorie statt Masse

Im Dezember 1843, ein Jahr nach der Spaltung der Redaktion der RhZ, erscheintdas erste Heft der von B. Bauer herausgegebenen Allgemeinen Literatur-Zeitung<(ALZ). Das Heft beginnt:»In einer Zeit, in welcher unter allen Völkern eine Menge gescheiterter Existenzen von derSchwäche menschlicher Vorsätze und Absichten Zeugnis ablegen und die Armut der bishe-rigen Weltbildung sich in aufgespreizten Worten und in Vorschlägen verrät, die überallanders nur nicht in dieser Welt ihre Ausführung finden können, muß man sich fast schämen,mit dem Bewußtsein eines soliden Willens aufzutreten, oder gar ein ausgeführtes Werk indie Öffentlichkeit hinzustellen. Eine der ausgebreitetsten jener gescheiterten Existenzen istdie Masse - die Masse in jenem Sinne, in welchem das Wort auch die sogenannte gebildeteWelt umfaßt.«104

Die »Masse«, unter diesen Terminus fallen: 1. die politischen Parteibestrebun-gen, sowohl die der Liberalen wie die der Junghegelianer, und 2. die Intellektuel-len, die dem Heßschen Modell von Theorie und Masse folgen, wie auch die Masse,in die sie sich aufgelöst haben. Sie alle sind »gescheiterte Existenzen«. »Noch vorwenigen Monaten glaubte sich die Masse riesenstark und zu einer Weltherrschaftbestimmt, deren Nähe sie an den Fingern abzählen zu können meinte. War sie dochim Besitz so vieler Wahrheiten, die sich ihr so sehr von selbst verstanden, daß siekeines Beweises, keiner Prüfung, keines Studiums zu bedürfen schienen.« Wo lie-gen die Ursachen des Scheiterns? War die Distribution der Vernunft noch nichtweit genug fortgeschritten? Handelte es sich um eine >falsche< Wahrheit?

B. Bauer dreht die Argumente derer, die dem Heßschen Modell von Theorie undMasse folgen, geradezu um. Nicht eine defizitäre Distribution des Geistes, einenicht weit genug reichende Verbreitung der Theorie in den Massen habe zumScheitern geführt, sondern das ganze Konzept der Vermassung der Theorie sei imAnsatz falsch.

»Wahrheiten aber, die der Masse so sonnenklar zu sein scheinen, daß sie sich von vornhereinvon selber verstehen, Wahrheiten, die der Masse in dem Grade einleuchten, daß sie denBeweis für überflüssig hält, sind nicht wert, daß die Geschichte noch ausdrücklich ihrenBeweis liefert; sie bilden überhaupt keinen Teil der Aufgabe, mit deren Lösung sich die

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Geschichte beschäftigt.« Und: »Das schlimmste Zeugnis gegen ein Werk ist der Enthusias-mus, den ihm diese Masse schenkt«.

Modern gesprochen, ist das Maß der Akzeptanz einer Theorie durch die Massenein Beweis für die Falschheit der Theorie. Wahre Theorie kann nicht »vermasst«werden. Theorie und Masse schließen einander aus. Diese Antinomie ist nichtdurch einen Austausch der Theorien zu lösen. Auch mit einer >besseren< Theoriewäre das Distributionsmodell nicht zu realisieren, weil in der Form der Masse jedeVernunft nur zu einer unvernünftigen Existenzweise gelangen kann.

Für die Gruppe sind B. Bauers Thesen ungeheuerlich. Lag es nicht offen zuTage, daß zwischen Ideen und Bewegungen ein unzertrennliches Band besteht?Sind nicht Ideen daraufhin angelegt, daß sich die Vielen ihnen anschließen, sie zuihrer Sache machen und so einen wirklichen Fortschritt erzielen können? Undwenn die parteipolitischen Formen nicht ausreichen, um die Ideen allgemein zumachen, ist nicht in der aufgelösten Intelligenz eine substantielle Garantie gegeben,daß Vernunft eine allgemeine Existenz gewinnt? Von >rechts< bis >links< ist die Ver-massung von Ideen im Vormärz eine gefürchtete oder erhoffte, aber in jedem Falleine reelle Möglichkeit. Diese Selbstverständlichkeit des Vormärz, vielleicht aucheine Selbstverständlichkeit des 19. Jahrhunderts, stellt B. Bauer in Frage, wenn erschreibt:»In der Masse - nicht anderwärts, wie ihre früheren liberalen Wortführer meinen — ist derwahre Feind des Geistes zu suchen. Alle großen Aktionen der bisherigen Geschichte warendeshalb von vornherein verfehlt und ohne eingreifenden Erfolg, weil die Masse sich für sieinteressiert und enthusiasmiert hatte — oder sie mußten ein klägliches Ende nehmen, weil dieIdee, um die es sich in ihnen handelte, von der Art war,daß sie sich mit einer oberflächlichenAuffassung begnügen, also auch auf den Beifall der Masse rechnen mußte. Sie scheiterten,weil ihr Prinzip oberflächlich, also auch nicht gegen die Oberflächlichkeit der Masse gerich-tet war. Der Geist weiß jetzt, wo er seinen einzigen Widersacher zu suchen hat - in den Phra-sen, in den Selbsttäuschungen und in der Kernlosigkeit der Masse.«105

Die Junghegelianer haben sich zu entscheiden: entweder tauchen sie mit MosesHeß und dem deutsch-französischen Projekt in der Masse unter, wissend, daß hiereine Grundlage gegeben ist, ein gleichsam fruchtbar leidender Boden, der emp-fänglich ist für Theorie, weil der Theoretiker aus dem gleichen Boden gewachsenist, oder sie verteidigen mit B. Bauer die Theorie selbst, dann müssen sie wissen,daß jede Verbindung mit der Masse die Theorie in ihrer Härte aufweicht, sie demBeifall ausliefert und die Kapitulation einleitet. Denn woher sollten sie ein Rechtableiten, zur Masse eine legitime Differenz geltend zu machen? Wichtig für die Dis-kussionssituation in der Gruppe ist, daß die Heßsche Position größere Kontinuitätmit der Gruppenvergangenheit besitzt als die B. Bauersche Position. Parallel zumProjekt der politischen Partei und verstärkt nach ihrem Scheitern lag es nahe, dasDistributionsmodell nun weiter zu fassen. Der in der Masse aufgelöste Intellektu-elle steht am Ende dieser >Konsequenz<. B. Bauers Positionen in der ALZ markie-ren dagegen einen Bruch.106

In einigen Aspekten deckt sich die Spaltung der Junghegelianer, die im Herbst1842 anläßlich der Reise Herweghs aufbricht, mit der Alternative, die sich zwischenB. Bauer und Heß für die Junghegelianer auftut. Aber nicht alle Berliner Junghege-

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lianer schließen sich der Massen-Kritik von B. Bauer an. E. Meyen z. B., der 1842im Streit um die politisch-taktischen Rücksichten der politischen Partei gegenMarx Stellung nimmt, ist bei der Alternative in der Massenfrage auf der Seite vonHeß und Marx. Der Streit, ob dem deutsch-französischen Projekt von Heß, Marxund Ruge u. a. zu folgen ist oder der »neuen Wendung« B. Bauers, die nach demVerlagsort der ALZ als »Charlottenburger Kritik« debattiert wird, zieht sich durchalle regionalen Teilgruppen.107

In diesem Streit liegt die Rechtfertigungsschuld bei B. Bauer. Seine Kritik derMasse bedeutet gegenüber den Positionen des Jahres 1842 eine völlige Kehrtwen-dung. Er und die sich ihm Anschließenden geraten unter den Verdacht des Verratsan der gemeinsamen Sache. Bei der Spaltung des Jahres 1842 ging es um die Frage,ob auf parteipolitische Taktik verzichtet werden kann oder nicht. Die gemeinsamen>Grundsätze< waren davon nicht tangiert. Jetzt, mit dem Streit um das Verhältnisvon Theorie und Masse, ist die vitale Frage der Existenzmöglichkeit von >Geist< inder Gesellschaft in einer schroffen Alternative formuliert.

In »Was ist jetzt Gegenstand der Kritik?« vom Juni 1844 rechtfertigt B. Bauerseine »Wendung«. Seine junghegelianischen Kampfgefährten, die der HeßschenPosition folgen, nimmt er so, wie sie sich definieren: als in der Masse aufgelösteIntellektuelle, die seit Ende 1842 die Theorieentwicklung als besondere Tätigkeitnicht mehr verfolgen.»Wie die Menge, deren Organ zu sein ihre tägliche Bemühung ist, mit der Entwicklung derletzten Jahre unbekannt, fühlen sie sich durch die neue Wendung der Dinge einfach nurbefremdet: - sie sind also auch nur imstande, diese für sie befremdende Überraschung mehroder weniger naiv oder indolent oder mit einigem Poltern auszusprechen. >WunderlicheRichtung !< >Ein Standpunkt, bei dessen Gedanken es einem schon fröstelt !< >Hochmut, vordessen Anblick die ganze Nation sich mit Widerwillen abwenden muß!< - das ist die ganzeSkala von Redensarten, aufweicher diese Redner der Menge auf- und niedersteigen.«

Woher stammt diese »tiefe Kluft, die ein >paar hochmütige Egoisten< von derMenge scheidet«? Der Grund liegt darin, daß die, die die Verbreitung von Ideensich um Ziel gesetzt hätten, »in einzelnen literarischen Produkten, also auch ineinem einzelnen Werke, in einer Zeitung, in einer Zeitschrift - also auch wohl ineinem einzelnen Aufsatze eine Entscheidung sehen, die unumstößlich, für alle Zeitausreichend, also unfehlbar von einem nahen Siege begleitet sein müsse.« Der Irr-tum war, die Entwicklung der Kritik für beendet zu erklären und das Defizit ledig-lich in der Verbreitung zu sehen. »Lest, lest, rief man, gebt es allen zu lesen, und ihrwerdet sehen, daß wir gewonnen haben.« Man hoffte, »durch das praktische Ver-hältnis der Freude, des Enthusiasmus und der Approbation der Resultate vom Stu-dium und der eingehenden theoretischen Beschäftigung sich loskaufen zu kön-nen«.

Aber hatte B. Bauer selbst nicht auch an diesen Bestrebungen teilgenommen?Handelt es sich nicht um einen Verrat an den gemeinsamen Prinzipien? Die Kritikder Masse tritt ja nicht im Außen der Gruppe auf, es ist einer der Ihren, der sie for-muliert. Wie kann B. Bauer die neue Wendung der Kritik gegen die Masse in dieKontinuität der Gruppenentwicklung einbetten? Er erklärt:

»Diese Wendung war aber nicht einmal eigentlich neu. Die Theorie hatte beständig an derKritik ihrer selbst gearbeitet und sich immer bemüht, keine Stichworte aufkommen zu las-

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sen — sie hatte der Masse nie geschmeichelt und über ihren Beifall sich keine Illusionengemacht - sie hatte sich immer davor gehütet, sich in die Voraussetzungen ihres Gegners zuverstricken. Man hatte ihr Bemühen nur nicht bemerkt, und es gab außerdem ein Stadiumihrer Entwicklung, wo sie gezwungen war, sich auf die Voraussetzungen ihres Gegners auf-richtig einzulassen und sie für einen Augenblick ernstzunehmen, kurz, wo sie noch nichtvollständig die Fähigkeit hatte, der Masse die Überzeugung zu nehmen, daß sie mit ihr eineSache und ein Interesse habe. Trotzdem, daß sie den Liberalismus selbst einer auflösendenKritik unterwarf, durfte man sie noch für eine besondere Art desselben, vielleicht für seineextreme Durchführung halten: trotzdem, daß ihre wahren entscheidenden Entwicklungenüber die Politik hinausgingen, mußte sie doch noch dem Schein verfallen, daß sie politisiere,und dieser unvollkommene Schein hatte ihr die meisten der oben bezeichneten Freundegewonnen.«108

Es handelt sich um eine komplexe Reinterpretation der Gruppengeschichte, dieB. Bauer vornimmt. Der Übergang der Theorie zur Praxis, d. h. von der philoso-phischen Schule zur politischen Partei, und die Auflösung des Theoretikers in denMassen werden gerechtfertigt, aber nicht in dem Sinne, daß hier ein dauerhaftabgeschlossenes Konzept der Selbstdefinition der Gruppe vorgelegen hätte. Viel-mehr war der Gegensatz von Theorie und Masse latent in der Weise vorhanden,daß eine Schwäche der Theorie gegeben war. B. Bauer reinterpretiert das, was 1842gerade als die Stärke der Theorie gegolten hatte, als Mangel. Wo sich die Theorieauf dem Sprung zur Verwirklichung befindet, läuft sie Gefahr, das Moment derSelbstkritik zu vergessen. Es kann immer nur zu einem momentanen Einklang vonTheorie und Masse kommen, einem Einklang, der »Schein« ist. Daher bleibt demIntellektuellen nichts anders übrig, als sich als einzelner immer wieder auf seineselbstkritische Reflexion zurückzuziehen, wenn er die Existenz kritischen und ver-nünftigen Denkens sicherstellen will. Es gibt niemanden, der ihm diese Aufgabeabnehmen kann.

Für Heß liegt die Sicherheit der Existenz der Theorie in der geschichtsphiloso-phischen Garantie der Ergänzung von französischer Praxis und deutscher Theorie.Das Aufgehen der Intelligenz in der Masse verbürgt die Verbreitung und letztlichVerwirklichung der Philosophie. Für die Junghegelianer der B. Bauerschen Rich-tung ist dies ein Modell von Tarnungen. Das deutsch-französische Projekt wird inden >Norddeutschen Blättern< (NB) hart kritisiert, wobei auch Gegenstimmen zuWort kommen.109 Bezugspunkt der Kritik ist Rüge, der in dieser Zeit in den Grup-penkontexten mehr Prominenz besitzt als Heß und Marx.

Ruge hatte formuliert, die Erfahrung der Zeitungsverbote habe »gezeigt, wieweit in Deutschland die Philosophie noch davon entfernt ist, Nationalsache zu sein.Sie muß es werden.« Ein Autor der NB fragt dagegen:»Was ist denn in Deutschland Nationalsache? Es ist Nationalsache, d. h. Sache der Regie-rung, der Volksvertreter und des Volks, die Kategorien des Bestehenden, des Staats, desGesetzes, der Religion als absolut und von vornherein feststehend zu betrachten«. Mit dieserAuffassung harmoniere aber auch Ruge, denn er wie die bestehenden Mächte »stimmenvollkommen darin überein, daß dem konkreten Bestehenden erst dann eine wirkliche undbegriffsmäßige Existenz zu vindizieren sei, wenn solche auf dem Fundament der Vernunft,Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit basiert werde.«110

Aber Ruge meine ja wohl nicht diese Philosophie, die mit dem Bestehenden imEinklang sei. Wenn er aber die Kritik meine, so sei zu fragen: »Aber muß die Kritik,

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kann die Kritik eine Nationalsache werden?« Auch hier gibt der Autor einen nega-tiven Bescheid, denn die Kritik an den bestehenden Mächten und ihrer Philosophieüberwand»die nationalen Unterschiede, indem sie es nicht zur Nationalsache der Deutschen machte,als einen Nationalruhm bezeichnete, daß sie die Freiheit - die ja die allgemein menschlicheist - als Deutsche durch die Kritik eroberten. Das wäre auch eine schöne Kritik, die von dennationalen Interessen der Deutschen ausginge, die bornierte Bildung eines einzelnen Volkeszum Modell nähme, eine Angelegenheit des nationalen Egoismus, der nationalen Absonde-rung und Verschlossenheit wäre. Die Kritik ist die gemeinsame Sache der Menschheit, abernicht eine besondere Nationalangelegenheit.«

Das Konzept der Deutsch-französischen Jahrbücher komme über den Stand-punkt der Nationen nicht hinaus, und die Vorstellung sei zu simpel: »dadurch, daßHerr Ruge nach Paris geht und dort die Deutsch-französischen Jahrbücher heraus-gibt, geht eine >Fraternisierung der Prinzipien< vor sich«.111

Der »Standpunkt der Nationen«, der hier kritisiert wird, hat - wie oben darge-stellt - einen geschichtsphilosophischen Hintergrund: er diente zur Absicherungder Existenz der Vernunft im geographisch-historischen Raum. Diese Sehnsuchtnach einer Absicherung erweist sich für den Autor der NB als ein illusionäresUnternehmen. Ruge suche zwar eine »neue Grundlage«, aber der Autor fragt:»Worin besteht nun diese >neue Grundlage^ Das Überschreiten der deutsch-französischenGrenze, der »plötzliche Eintritt in die wahre Pressefreiheit̂ die Gelangung zur vollkomme-nen Freiheit^ die wirkliche Vereinigung des deutschen und französischen Geistes im Prin-zipe des Humanismus<, die Fortentwicklung des >Nationalismus< zum deutsch-französi-schen Kosmopolitismus -: dies alles zusammen begreift er unter dem Ausdruck >neueGrundlagen Aber ist das auch >wirklich< eine >neue Grundlage<?«

Die Pressefreiheit als »NichtVorhandensein der Zensur« könne doch höchstensein »äußerliches Mittel« sein, aber keine Grundlage, und die französische »Frei-heit« sei doch »eine monarchisch-konstitutionelle Freiheit mit Chatte, Kammern,Wahlzensus, Septembergesetzen, Jurys, Öffentlichkeit und Mündlichkeit derGerichtsverfassung, Theaterzensur usw.: ist das keine >neue Grundlage< ? Vielleichtfür die bürgerliche Existenz des Herrn Ruge, aber nicht für seine unterbrocheneArbeit.«112 Die Anspielung auf die »bürgerliche Existenz« trifft den vitalen Kernder Kontroverse. Der Autor der NB enttarnt die Parole von der wirklichen Existenzder Vernunft als eine Camouflage der »bürgerlichen Existenz«, die weit hinter denStand des Durchdiskutierens des Staates zurückgefallen ist. Darüber hinaus sprichtder Autor aus der Perspektive einer Radikalität, für die »bürgerliche Existenz«schlechthin zum Makel geworden ist.

Der Angriff auf das deutsch-französische Projekt führt zu einer Leserdiskussionin den NB, in deren Zentrum die Frage steht, welchen Stellenwert die Zensur fürdie selbstkritische Entwicklung bzw. Distribution der Theorie hat, d.h. implizit fürdie Existenz der Publizisten und ihr Verhältnis zur Masse. Anstoß hatte die Passageerregt:

»Herr Ruge kennt eben nur jenen äußerlichen Kampf gegen Zensur und Regierung, jeneäußerlichen Fesseln, die des Zensors Rotstift durch seine Manuskripte gemalt hat: diesen

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Kampf nennt er eine >Verhöhnung des Gefesselten<, während es ihm doch freistand, dieinnerlich Gefesselten zu verhöhnen, vorausgesetzt, daß er vorher mit sich selber einenKampf bestanden, seine Selbstfesselung verhöhnt hätte und daß es ihm gelungen wäre, auchohne äußerliche Pressfreiheit den kritischen Gedanken so ruhig und klar zu entwickeln, daßer durch die majestätische Ruhe, Klarheit und Einfachheit seines Stils den Zensor zwingenkonnte, ihn reden zu lassen.«11'

Solch eine Position ist für einen Kölner Radikalen unzumutbar. Ruge

»mußte nach Frankreich emigrieren, wollte er nicht für immer schweigen, er mußte zur Ver-öffentlichung von Gedanken, an deren Aussprache ihn die deutsche Zensur hinderte, sichder französischen Presse bedienen, und mit der letztern folglich die deutsche Presse ergän-zen. Durch diese Verschmelzung allein konnte es ihm gelingen, auch die letzten Resultate,welche aus den jüngsten Literaturbewegungen dies- und jenseits des Rheins hervorgegangensind, zu amalgieren, und hiermit eine neue auf den kombinierten Kräften zweier Literaturenbegründete organische Schöpfung vorzubereiten.« Die Position des Autors der NB sei eine»Apologie der Zensur, die mir noch widerlicher geworden ist, seitdem ich erfahren habe,welche Kämpfe Ihre Blätter (die NB, d. V.) mit der Zensur zu bestehen haben. Ich mußdaher dem Berliner Korrespondenten der Weser- und der Trierschen Zeitung beistimmen,die es für nötig erachten, den zitierten Passus des Aufsatzes über die Deutsch-französischenJahrbücher den liberalen und radikalen Zeitungslesern zu denunziern und ich halte es auchmeinerseits für Pflicht und Schuldigkeit, der gleichen unfruchtbaren Abstraktionen, wo ichihnen begegne, kräftig entgegenzutreten.«114

Köppen verteidigt die Position der NB. Deutlich wird, daß es in der Kontroverseum die Autonomie der Intellektuellen gegenüber der politischen und sozialen Mas-senbewegung geht. Koppen wirft dem Kölner vor:

»Jedes neue Buch soll ein Gliedermann sein, den der Radikale nach seiner Pfeife hüpfen,tanzen, stampfen, springen, Männerchen machen und Gesichter schneiden lassen kann:dann ist es gut, gediegen, gründlich. Jeder kritische Aufsatz soll ein Echo sein, das die prak-tischen, weltbewegenden« Worte, die >gesinnungsreichen< Phrasen des Radikalen getreunachspricht: dann >trifft er den Geist der Zeit und der wahren kritischen Bildung und istdem Radikalen willkommene«

Dagegen müsse die Arbeit der Kritik Vorrang haben vor einem diffusen >Stre-ben< nach Pressfreiheit. Politische Forderungen ersetzen nicht die Notwendigkeiteiner Selbstkritik des Radikalismus.

»Über sein >Streben< hat er (der Radikale, d. V.) gänzlich vergessen, über sich und seinGeschwätz nachzudenken und das anstrengende Streben nach Pressfreiheit, Lehrfreiheit,Öffentlichkeit und Mündlichkeit usw. erfüllt und erschöpft ihn so sehr, daß er Leute, dienicht bloß streben wie er, sondern arbeiten und etwas Neues leisten, gar nicht begreifenkann und mit dem Zorn des strebenden Biedermanns anschnauzt.« Und: »Der Radikale ver-steht es, den schweren Klumpen unklarer Vorstellungen, welcher die Masse überall drückt,belästigt, behinderlich ist und im Wege steht, durch einige kurz abgebrochene Phrasen zuerleichtern, als da sind: Pressfreiheit! Öffentlichkeit und Mündlichkeit! Geschworenenge-richte! Justizreform! Assoziation! Organisation der Arbeit! Wahre Bildung! Harmonie!soziale Ideen! - Dabei braucht niemand etwas zu denken: und doch kann sich jeder, derdiese Phrasen in den Mund nimmt, mit leichter Mühe überreden, er wisse nun ganz gründ-lich, was er wolle: er strebe nach Pressfreiheit usw. Aber z. B. nur über die Voraussetzungenund Bedingungen nachzudenken, unter denen Pressfreiheit möglich ist und vernünftiger-weise gedacht werden kann: das fällt ihm ebensowenig ein, wie der Masse. Dagegen ist er so

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kindisch anmaßend, der Kritik, die an den literarischen Erscheinungen nachgewiesen hat,welche Art von Pressfreiheit bei den bestehenden Verhältnissen möglich ist und wie diePressfreiheit beschaffen ist, welche die unfreiesten Vorstellungen zu ihren Voraussetzungenhat, den Vorwurf zu machen, sie verteidige das Schreiben unter der Zensur.«113

Ahnlich argumentiert E. Bauer. Für ihn gilt die These Nauwercks »Die Zeitungmacht frei und gleich« nicht mehr. In Auseinandersetzung mit der Tätigkeit desBerliner Korrespondenten der >Mannheimer Abendzeitung< zeigt E. Bauer diePhrasenhaftigkeit der Intellektuellen, die Zeitungsschreiber geworden sind.E. Bauer will »in den Zeitungsproduktionen nur die Gedankenlosigkeit der öffent-lichen Meinung und das traurige Schicksal desjenigen darstellen, den seine eigeneSchwäche, sein eigener Anteil an der öffentlichen Meinung dazu treibt, sich ihr zuopfern (!), indem er sich zu ihrem Ausdruck macht.«116

Die Fixierung auf den Zensor verleite den Zeitungsschreiber, anzunehmen, inder Zensur läge das Haupthindernis für eine Emanzipation.»Diese öffentliche Meinung, die sich nur auf eine Weise ausdrücken kann und aufs Maulgeschlagen ist, so wie sie ihre Schlagwörter nicht gebrauchen darf, fühlt sich natürlich fort-während durch die Zensur geniert: ewig steht der Zensor hinter ihr und sieht ihr auf die Fin-ger, unfähig, einen schlußfesten Gedanken zu produzieren, ist sie aufgebracht gegen denje-nigen, der dem rauschenden Quell ihrer Redensarten das Fließen verbieten will.«

Die polemische Zusammenstellung von Zeitungszitaten des Berliner radikalenKorrespondenten mündet bei E. Bauer in den Ausruf: »Himmel, was könnten wir>radikalen< Korrespondenten alles mit Preßfreiheit machen! Wir haben so vieleGedanken in petto!« Demgegenüber sei es nötig, kritische intellektuelle Arbeit zutun, ohne positive oder negative Rücksicht auf Pressefreiheit oder Zensur. Die>Masse< sei nicht per se das kritische Moment, dem nur Pressefreiheit gegeben wer-den müsse. Es ist auch Kritik unter den Bedingungen der Zensur möglich: »DerKorrespondent sollte lieber seinem Schöpfer danken, daß es Zensur gibt: hat er anihr doch ein kritisches Maß gewonnen, überhebt sie ihn doch der Mühe, einen Auf-satz zu studieren, weil sie ihn mit der fixen Idee beschenkt hat, daß unter ihr dochnichts Rechtes zustande komme.« Zwei Monate später muß sich E. Bauer gegenden Vorwurf verteidigen, es handele sich um eine persönliche Querele mit demangegriffenen Korrespondenten. E. Bauer wiederholt daraufhin seine Kritik,indem er sie ausschließlich an den Texten expliziert, die er selbst 1842 in der RhZpubliziert hatte.117

Autonomie der Kritik, auf diesen Zielpunkt laufen alle Thesen und Auseinander-setzungen der Berliner Teilgruppe um B. Bauer zu. Die Frage der Distribution vonIdeen ist dabei seltsam unbeantwortet. Die intellektuelle Tätigkeit ist zwar bezogenauf die Vorstellungen, die die Kritik zerstört, aber dieser Bezug ist nicht das Ent-scheidende. Denn der Kritiker will sich nicht abhängig machen von seinem kriti-sierten Gegenstand. Die Autonomie der Kritik ist sowohl ohne bestimmten gesell-schaftlichen Ort, wie sie zugleich in alle möglichen gesellschaftlichen Orte sich ein-nistet, um sie dann zu verlassen, wenn sie sie kritisiert hat. Selten ist in derGeschichte der Intelligenz der Versuch unternommen worden, Kritik als Selbst-zweck auch dort zu denken, wo die Existenz der Zensur das unübersteigbare Sze-nario intellektueller Tätigkeit zu sein scheint.

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In den NB heißt es:»Die Kritik erklärt sich weder für, noch gegen die Zensur. Sie dialogisiert nicht freund-schaftlich mit der Zensur: aber ebenso wenig schimpft und schmäht sie diese. Kritik ist überAffekt und Empfindung erhaben. Sie kennt weder Vorliebe für, noch Haß gegen eine Sache.Daher stellt sie sich nicht der Zensur gegenüber, um mit dieser zu ringen, daher kämpft sienicht persönlich mit rohen Fäusten oder blanken Schwertern, wie der Faustkämpfer, derGladiator, der bald jählings mit der Waffe niederfährt, um den Gegner zu erschrecken, balddiplomatisch schlau unbedeutende Seitenhiebe führt, um ihn einzuschläfern, bald aberplötzlich wieder einhaut, um ihm den Garaus zu machen. Die Kritik steht nicht auf demsel-ben Boden mit der Zensur; daher kann sie gegen diese nicht kämpfen, aber auch von diesernicht bekämpft werden. Dadurch, daß sie alle jene Voraussetzungen, denen die Zensur ihrBestehen verdankt, auf den Grund untersucht und das Wesen derselben rein und unver-mischt dargestellt hat, ist sie mit der Zensur für immer fertig geworden: sie hat sie theore-tisch überwunden und wird von ihr bei ihrem Schaffen und Arbeiten nicht mehr gestört. DieKritik verfährt nicht praktisch und kann ihrer Natur nach nicht praktisch verfahren; daherist es widersinnig von ihr zu verlangen, sie solle die Zensur praktisch vernichten und derPresse die ihr gebührende Freiheit verschaffen. Pressfreiheitsbestrebungen bewegen sichinnerhalb einer Schranke; denn sie sind eine bloße nationale Angelegenheit und sind nur aufErweiterung dieser Schranke gerichtet. Darum hat die Kritik, welche von vornherein überden beschränkt nationalen Standpunkt hinaus ist, nichts mit ihnen gemein.«118

Der Gleichgültigkeit der Kritik gegenüber der Zensur entspricht ihrer Gleich-gültigkeit gegenüber der >Masse<. Die Zensur lenkt ebenso wie die Masse den Intel-lektuellen von seiner selbstgesetzten Aufgabe ab. Einmal wird er zu einer konfron-tativen Haltung gezwungen, weil die Zensur den Schriftsteller mit einschränkendenDrohungen umgibt, das andere Mal sieht er sich Zustimmungen ausgesetzt, die dieKraft zur Differenz schwächen. Die negative Fixierung auf die Zensur ist ebensowie die positive Fixierung auf die Massen dazu geeignet, den Fortschritt der sichkritisierenden Kritik zu bremsen.

Was die Junghegelianer um B. Bauer mit ihrem Konzept eines Gegensatzes zwi-schen Theorie und Masse entwickeln, ist auf den ersten Blick gesehen das genaueGegenteil des Konzepts von Heß, Marx und Engels. Während bei diesen die Auflö-sung des Intellektuellen in die soziale Bewegung gefordert wird, insistiert B. Bauerauf einer prinzipiellen Asozialität der Kritik. Aber trotz dieser zentralen Differenzder Begründung der Intellektuellenexistenz darf nicht übersehen werden, daß inbeiden Fällen die Intellektuellenexistenz äußerst prekär geworden ist. Denn mitbeiden Definitionen ist schwer eine kollektive Perspektive zu entwickeln. BeidePositionen sind in hohem Maße dazu geeignet, Gruppenzusammenhalt überhauptzu zerstören. Ein in den Massen aufgelöster Intellektueller kann ebenso wenig For-men einer Intellektuellengruppe begründen, wie ein Intellektueller, dem dieMenge der Intellektuellen schon ein Massenproblem ist.

Die Lösungsformen, die der sich in der Masse auflösende Intellektuelle für dasGruppenproblem der Intelligenz, die Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen,gefunden hat, wurden im letzten Abschnitt im Zusammenhang mit Heß' Argumen-tation dargestellt. Aber auch für den Intellektuellen, der B. Bauer folgt, ergebensich erhebliche Schwierigkeiten. Wie sehr die B. Bauersche >neue Wendung< dasGruppen-Wir belastet, zeigt die Korrespondenz B. Bauers mit einem TübingerJunghegelianer, die in der ALZ abgedruckt ist.119

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Der Tübinger berichtet B. Bauer von einem Berliner Junghegelianer, der sichüber das Berliner Gruppenklima beklagt, das ihn so demoralisiert habe, daß ernach Amerika auswandern wolle.»Sind Euch die Gedanken ausgegangen, daß ihr vor eurer Deutschen Gedankenlosigkeitnach Amerika fliehen müßt, so fahre ich ihn an, nun fängt er an zu erzählen. An die Stelle desalten Zusammenhaltens sei eine gegenseitige Unzufriedenheit, an die Stelle der Partei, inwelcher man sich gegenseitig zu tragen und zu ertragen habe, die Ausschließlichkeit getre-ten. Gar keine Gesellschaft mehr, gar kein Gespräch mehr, gar keine Diskussion mehr! Erkönne gar nicht begreifen, wie Leute, wie ihr beide (die Brüder Bauer, d. V.), die doch demHumanitätsprinzip huldigten, sich so abschließend, so abstoßend, ja hochmütig benehmenkönnten. Er habe fast alle Lust verloren, etwas zu schreiben, denn er wisse gar nicht mehr,für wen er schreibe, nirgends finde er Anklang: man werde gar noch von seinesgleichen ver-höhnt; übrigens habe er selber das drückende Bewußtsein, lange nichts Rechtes zustandegebracht zu haben. Ich weiß gar nicht, fuhr er fort, warum es einige unter uns gibt, die, wiees scheint, absichtlich eine Spaltung hervorrufen. Wir stehen doch alle auf demselben Stand-punkt, wir huldigen alle dem Extrem, der Kritik, sind alle fähig, einen extremen Gedanken,wenn auch nicht zu erzeugen, so doch aufzufassen und anzuwenden. Wie gesagt, ich findebei dieser Spaltung kein anderes leitendes Prinzip als Egoismus und Hochmut.«120

Der Tübinger will sich nun bei B. Bauer vergewissern, was an diesen Eindrückenstimmt. Er fragt:

»Ich will nichts von der Notwendigkeit des Zusammenhaltens sagen - das ist ein hinlänglichabgedroschenes Thema. Aber sage mir, behauptest du denn nicht auch, daß der Menschzum gesellschaftlichen Leben geschaffen sei und du willst die Gesellschaft derer, mit denendu früher zusammenarbeitetest, meiden? - daß er zum Gedankenaustausch geschaffen sei,und du willst in anderen keinen Gedanken anerkennen? - daß er sich nicht aristokratischabschließen dürfe, und du willst nicht einmal durch die Gedanken, welche du schärfer zuhaben glaubst, gesprächsweise belehren? Ich begreife das nicht.«121

Eine heikle Frage. Was sollen Ideen, wenn sie sich nicht austauschen? Eine ganzeAnthropologie der Rede und der Kommunikation gerät ins Wanken. Intelligenz istauf Austausch angewiesen, wenigstens auf ein soziales Minimum, auf den EinenDialogpartner. Wenn dieser Dialog abreißt, kann dann überhaupt noch von Intelli-genz gesprochen werden? Was unterscheidet den Monolog, der keine Hörer habenwill, von sinnlosen Geräuschen? Der absolute Kommunikationsabbruch, nicht derzeitweise Rückzug in die Einsamkeit, steht zur Debatte.

B.Bauer weicht in seiner Antwort nicht aus. Er wolle von zwei

»Standpunkten der Kritik sprechen, oder vielmehr von Denen, welche die Kritik in derTasche zu haben glauben, und von Denen, welche wirklich die Macht der Kritik kennen undsie anwenden.« Wer die Kritik »in der Tasche« zu haben glaubt, beziehe sich nur auf dieForm der Kritik. Er hantiere mit Begriffen wie >unfrei, beschränkt, unmenschlich, er for-dere zum >Extrem<, zum >Weitergehen< auf, aber all diese Formulierungen seien für ihn>Redensarten<, ein formalisierter Habitus, der auf alles Mögliche anwendbar ist. Die »Machtder Kritik« lerne dagegen nur der kennen, der sich nur auf den Inhalt konzentriere, der »denInhalt, den Grund, das Wesen der Dinge studiert, kennenlernt, im Menschen und in derGeschichte auffindet und ihn so erst wahrhaftig besiegt. Die erstere (Weise der Kritik, d. V.)ist unwissend, >klug<, die zweite ist lernend.« Die Schuld der Spaltung läge bei denen, dienicht bereit waren, die »Stichworte, wie Freiheit, Volk, Volkssouveränität, Öffentlichkeit,Pressfreiheit« kritisch zu untersuchen. In »diesen Stichworten war es leicht sich zu einigen;jene Begriffe waren absolut, waren verehrt, man untersuchte sie nicht.«

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Diese Untersuchung der lernenden Kritik gerät notorisch in Kollision mit demformalisierten Gestus des Kritischen, weil dieser ein Effekt der Gruppensituationist. Die kritische Gruppe kann nur auf der Basis eines formalisierten kritischenGruppen-Wir existieren. B. Bauer kommt zu dem Resultat, daß zwischen beidenWeisen der Kritik

»keine Beziehung, kein Gedankenaustausch, keine Diskussion, keine Geselligkeit möglichist und daß die wahre Kritik höchstens das Geschäft des >olympischen Gelächters< auf sichnehmen kann. Denn wer ist der Egoistische? Derjenige, der zurückgeblieben und alle Weis-heit zu haben glaubt, oder derjenige, welcher der Lernbegierde der Kritik nachgegeben?Übrigens sage ich dir, daß der Terrorismus des kritischen Auslachens und Auf-das-Maul-schlagens wirklich notwendig ist, wo man sieht, daß die boshaft-gemütliche Unfähigkeit sichin sich selbst verstockt hat. Dieses Auslachen ist kein Hochmut, es ist nur der Prozeß, dender Kritiker mit Behagen und Seelenruhe gegen einen untergeordneten Standpunkt, der sichihm gleich dünkt, anwenden muß«.122

Bei diesem »kritischen Auslachen« geht es nicht mehr um Polemik, wie sie für diephilosophische Schule bestimmend war. Bei der Polemik wurde ein Gegner her-ausgefordert, in einen Streit verwickelt, gezwungen, seine Argumente mit gegneri-schen zu messen. Das >Auslachen< ist dagegen mehr ein Kommunikationsabbruch,der mit »Behagen und Seelenruhe« einhergeht.

Ebensowenig wie die Kommunikationsregeln der philosophischen Schule nochGültigkeit haben, so wenig kann die B. Bauersche lernende Kritik für politischeParteibildung herhalten.

»Die Kritik macht keine Partei, will keine Partei für sich haben, sie ist einsam - einsam,indem sie sich in ihren Gegenstand vertieft, einsam, indem sie sich ihm gegenüberstellt. Sielöst sich von allem ab. Jede gemeinsame Voraussetzung, die zur Bildung einer Partei immernotwendig ist, würde sie als feindseliges Dogma betrachten, wenn sie, wie es innerhalb derParteien nötig ist, sich gehindert sehen sollte, dieselbe zu kritisieren und aufzulösen. JedesBand ist ihr eine Fessel, jede verbindende Voraussetzung gilt ihr als die Sirene, die sie aufihrer Fahrt aufhalten wollte, als die schmeichlerische Täuschung: >nun sind wir fertig, wirhaben das Verständnis gewonnen, wir wissen nun, woran wir sind.<«123

Aber die heikle Frage des Tübingers ist noch nicht ganz beantwortet. Gibt esnicht unterhalb der politischen Partei mit ihren doktrinären und pragmatischenZwängen eine soziale Form für die Kritik? Wäre es nicht möglich, die Diskriminie-rung beider Weisen von Kritik dergestalt sozial wirksam werden zu lassen, daß sichder Kritiker nur mit denen bespricht, die auch lernende Kritik betreiben? Es gehtum das alltägliche soziale Minimum. Das Wort gesellschaftliches Leben< aufgrei-fend, antwortet B. Bauer:

»Ja, der Mensch ist dafür geschaffen; aber kann der Kritiker in derjenigen Gesellschaftleben, die er kritisiert? Müßte er dann nicht auch ihre Vorstellungen, ihre Kategorien, ihreGesetze zu den seinigen machen? Ebensowenig kann er mit einer Clique leben, denn sowürde er, sich selbst zu einem Mitglied einer Gesellschaft machend, der Gesellschaft einRecht des Krieges über sich geben, während er selbst sein Recht der unbefangenen Kritiküber sie aufgeben würde. ( . . . ) So entbehrt der Kritiker aller Freuden der Gesellschaft; aberauch ihre Leiden bleiben ihm fern. Er kennt weder Freundschaft noch Liebe; dafür aberprallt die Verleumdung machtlos an ihm ab: nichts kann ihn beleidigen; ihn berührt keinHaß, kein Neid; Mißgunst, Ärger und Grimm sind ihm unbekannte Affekte.«124

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Ist diese Position auszuhalten? Ein Ideal, das noch die stoische Ataraxie zu über-bieten sucht! L'esprit abhorre les groupements? Ich möchte nicht diskutieren,inwieweit es dem Einsiedler von Rixdorf gelungen ist, diesen Entwurf einer Intel-lektuellenexistenz lebensgeschichtlich zu realisieren, ich möchte darauf hinweisen,wie sehr an beiden Enden der Theorie-Masse-Debatte hybride Entwürfe stehen.125

Denn der in der Masse aufgelöste Intellektuelle ist ebenso hybrid wie die absoluteAblösung der Intelligenz vom Sozialen. Im Heßschen Entwurf kann sich der mitder Masse verschmolzene Intellektuelle auch nur einen Moment halten, einenMoment der Aufopferung, um dann mit Hilfe einer arkanen, politischen Machtor-ganisation als überlegener Theoretiker wieder aufzuerstehen. Auflösung im Sozia-len und Ablösung von ihm, die Intimität der Bewegungen verweist bei aller Drama-tik der Kontroverse auf ein gemeinsames Problem: die Existenz von Intelligenz zusichern, im Angriff auf oder in der Flucht vor jenen Geistlosigkeiten, die gesell-schaftliches Leben mit sich führt.

6. Das Treiben der Bohèmea) Skandalpraxis

Weit mehr als der Heßsche in der Masse aufgelöste Intellektuelle ist die Einsamkeitder B. Bauerschen Kritik Zielscheibe des Spotts geworden. Vielleicht liegt einGrund dafür darin, daß die Einsamkeit der Kritik, so sehr sie sich auf die Würdedes Eremiten berufen kann, schnell tragisch und, gemessen am Anspruch des einsa-men Kritikers, noch schneller tragikomisch interpretiert werden kann. B. Bauer hatdies überdeutlich gesehen: »Ja, der Kritiker darf es nicht einmal wagen, sich per-sönlich in die Gesellschaft einzulassen; denn, sie auslachend, sich an ihre Gesetzenicht kehrend, und von ihr nicht verstanden, würde sein Betragen nur zu demjeni-gen ausarten, was gewöhnlich >Unsinn machen< heißt.«126

Dies ist eine Passage, die viel aufschlüsselt. Die Entfernung fortgeschrittener Kri-tik vom allgemeinen Bewußtsein der Gesellschaft ist so groß, daß schon der Kon-takt mit, aber mehr noch das Handeln in der Gesellschaft äußerst problematischwird. Die Treue zur rücksichtslosen Kritik hat den Preis, daß ihr Handeln »Unsinn-machen« wird. 1842 schreibt E. Bauer an seinen Bruder über die Reaktionen derKollegen und Bekannten auf B. Bauers Verhalten:»Es ist ihnen unbequem und ein Mirakel, wenn jemand einen höheren Standpunkt einneh-men will als sie, wenn jemand sich über ihre Lebensfragen erheben will. Das nennen sie dennSkandal. Was du willst, ist nichts als Skandal machen, du willst zeigen, daß jemand auchselbständig existieren kann, und solche Umwälzer muß eine hohe Policey sehr in Obachtnehmen.«127

Für einen einzelnen Intellektuellen mag es noch durchzuhalten sein, zumSchütze der fortgeschrittenen Theorie nicht allzu viel sozial aufzutreten und dasunausweichliche »Unsinn machen« zu verhindern. Aber für eine Gruppe ist dasPraxisverbot der Kritik kaum durchzuhalten. Gruppensituationen erzeugen einenspezifischen Handlungsdruck. In einer Gruppe muß gehandelt werden, sei es imMedium des Sprachhandelns, in der Gruppendiskussion, oder im Auftreten der

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Gruppe gegenüber Außenstehenden. Wenn die avantgardistische Position derEntfernung von Gesellschaftlichkeit schlechthin trotzdem als Gruppenhandelnsichtbar werden soll, kann nur »Unsinnmachen« daraus werden. Handeln wirdzum Skandalmachen,

Die Praxis des Skandals hat der Berliner Gruppe eine zweifelhafte Berühmtheiteingebracht. Die Informationen über diese Skandale sind spärlich, aber was über-liefert ist, gibt schon einen exemplarischen Eindruck. Ihre Differenz zu Außenste-henden lassen die Junghegelianer um B. Bauer hemmungslos all jene spüren, die siebesuchsweise aufsuchen. An dies >Foppen< von Besuchern erinnert sich G. Weiß:

»Hatte sich zufällig ein Fremdling aus der Provinz dort eingefunden, der in seinem Heimat-städtchen als ein Erzradikaler galt und der auf diesen Titel hin glaubte, den Herren in höchstlehrhaftem Tone seine neuen Ideen und Vorschläge vortragen zu müssen, so erwachte derBerliner in all seiner drolligen Bösartigkeit und stürzte sich über den Unglücklichen her. Dereine bewies ihm im vornehmsten Professorenstil aus echten, gefälschten oder erfundenenZitaten in den verschiedensten alten Sprachen, daß die Griechen und Römer schon diesesogenannten neuen Vorschläge gekannt, erprobt und für Unsinn erklärt hätten. Der anderespielte den begeisterten Anhänger des Fremdlings und entwickelte die weltbewegenden Fol-gen, die die neue Entwicklung haben müsse, in so abenteuerlicher Weise, daß der entsetzteUrheber sich jede solche Ausdeutung seiner Idee feierlich verbat. Ein Dritter sprach ihmvertraulich zu, er möge doch seine Idee sofort schriftlich aufsetzen und an die >Staatszeitung<schicken, da kämen sie vor das Auge des Ministers, und der sei gar nicht so schlimm, als manihn male. Zwar sei das, was dabei herauskomme, bisweilen etwas anderes, als was mangemeint habe, aber die neue Idee sei und bleibe doch immer die immanente Urheberin.Wenn der so gefoppte Mann dann über diesen Abend nach Hause schrieb, so war es wohlkein Wunder, wenn er geneigt war, die ganze Gesellschaft für Gassenjungen zu erklären.«128

Ähnliche Erfahrungen machte Hoffmann von Fallersleben, der mit einigenFreunden und Bekannten die Gruppe besuchte: »Als wir eintreten, finden wir diebeiden Bauer, Bruno und Edgar, in einem unzurechnungsfähigen Zustande. Beiihren rohen, gemeinen Äußerungen wird uns so unbehaglich, daß wir bald auswan-dem.«129

Die Aktivitäten der Gruppe nach außen standen dem Verhalten Besucherngegenüber nicht nach. Mit von der Partie war die Gruppe bei dem Skandal um denFackelzug für den konservativen Theologen Neander, »als die Berliner Studentenzur Feier seines Geburtstages die Wissenschaft ins Leben führten und ihren Fackel-zug durch eine Schlacht mit der Berliner Straßenjugend belebten.«130 Opfer wur-den auch die Berliner >Lichtfreunde<, eine protestantische Reformbewegung, dieweiter unten zur Sprache kommen wird. Unter einer öffentlichen Erklärung zugun-sten der >Lichtfreunde< konnte man die Namen der prominenten junghegeliani-schen Berliner Atheisten finden, die unterschrieben hatten, um die Erklärunglächerlich zu machen.131

Skandalös für das protestantische Berlin war die unverfrorene Praxis, in Grup-pen auszuschwärmen und Passanten direkt um Geld für alkoholische Getränkeanzubetteln.132 Nicht verschont wurden die Berliner Bordelle der alten Königs-mauer, wohin die Gruppe spätabendlich ging, »um dann so lange den größten Ulkzu treiben, bis man hinaus geworfen wurde.«133 Besonders entsetzt muß es die Zeit-genossen haben, daß an diesen Ausflügen auch Junghegelianerinnen wie Marie

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Dähnhardt teilnahmen, die sich zu diesem Zweck Männerkleider angezogen hat-ten. Vielleicht stand bei dieser Idee der von der Gruppe intensiv diskutierte RomanSues >Die Geheimnisse von Paris< Pate, in dem der Held Rudolf, von Szeliga ineiner Rezension als Protagonist der Kritik behandelt, die Pariser Unterwelt auf-sucht, um das »Geheimnis der Verwilderung inmitten der Zivilisation« zu enthül-len.134

Die Junghegelianerinnen galten als »gefeit und gepanzert gegen die schlimmstenWaffen des Zynismus«.135 Der Wahrsozialist O. Lüning charakterisiert sie alsFrauen, »welche man in diesen Kreisen >emanzipierte< nennt, welche ihr Vergnü-gen daran haben, mit ihren Freunden, Liebhabern und Männern die Wirtshäuserzu besuchen, Bier zu trinken, Zigarren zu rauchen, und die sich gern in männlicherKleidung mit Sporen und Reitpeitschte bewegen.« Louise Aston, Tochter einesmagdeburgischen Geistlichen, geschieden von einem Engländer, von Freunden diedeutsche >George Sand< genannt, wurde 1846 polizeilich aus Berlin ausgewiesen,»weil ihre Ansichten über die Ehe die bürgerliche Ordnung der Residenz gefährde-ten«. Für den Wahrsozialisten Lüning handelt es sich bei dem Treiben von Frauenwie Louise Aston um »Geschmacksachen, um die sich die Polizei keinesfalls zukümmern hat (. . .). Wenn die Männer und Liebhaber Bedenken dabei hätten, sowürden wir das eher in Ordnung finden.«136

Als Gipfelpunkt des >Treibens< der Gruppe gilt die blasphemische Inszenierungder Trauung zwischen Marie Dähnhardt und Max Stirner. Um dies Geschehen, dasder Stirnerbiograph Mackay herunterspielt und andere - wie Dronke - dramatisie-ren, ranken sich zahllose Gerüchte und Legenden.137 Nicht in der Kirche, sondernin Stirners Privatwohnung wurde die Trauung vollzogen. Inmitten der demonstra-tiven Teilnahmslosigkeit der Anwesenden, teils kartenspielenden, teils zum Fensterheraussehenden Gruppe, vollzog der herbeigeholte Geistliche die Trauung. AlsTrauringe dienten zwei Messingringe, die Bruno Bauer in der Situation von seinergehäkelten Geldbörse abzog. Als »abgeschmacktes Hänseln eines wehrlosen Geist-lichen«138 ist diese Episode zur Kennmarke der Praxis des Skandals der BerlinerGruppe geworden.

Eine wichtige Quelle für die Freude am Skandalmachen und an tumultarischerSelbstparodie sind K. Schmidts unter dem Pseudonym Karl Bürger erschienene»Liebesbriefe ohne Liebe«.139 Von den Texten, die vermutlich aus der Zeit bis l845stammen und verschiedene Autoren haben können, sei eine Passage wiedergege-ben. Der Text könnte im Kreise der Berliner Gruppe, vielleicht auch der KöthenerKellergesellschaft, entstanden sein. Die Überschrift »Wigands Kuhstall« beziehtsich auf den Leipziger Verleger Otto Wigand, in dessen Verlag eine Vielzahl derjungehegelianischen Schriften erschienen sind und der selbst in engstem Kontaktzu den Junghegelianern stand.»Wigands Kuhstall. (Mel. Ich hab ihn gesehn, ich ihn gesehn, ich habe den göttlichen Kuh-stall gesehn.)

Ich David Strauß, ich habs heraus,Das Genie ist unser Gott, mit dem Glauben ists aus.

Chor (der Rütligesellschaft).Ohi ohu! Ohi ohu! Ohi ohu! hu! hu! (durch die Nase)

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A. Genius? Nein B. Gattung ist Leben nachder Religion derZukunft des Feuerbach.

Chor (der Nachtwächter).Tuttu - Tuttutu - Tutututuuuu. -

Und Bauer heißt, der Dir beweist,Die Gattung sei Masse ohne den Geist.

Chor (der Emanzipierten).Bier her! Bier her!Oder ich fall' um -Juchhe!

Geist? Gattung? Gespenst! Als Einziger trittMit Füßen alles der Stirner-Schmidt.

Chor (brennender Damen-Cigarren).Wir nehmen, was wir brauchenUnd sollts vom Blute rauchen.

Weicht, nicht-Vieh-Dumme, Pfui da bumm, bumm,Dem Letzten, dem Dümmsten, dem Individuum!

(Es öffnen sich die Salons eines >begüterten Literaten<. Alle Kuhstallbewohner bilden einenHalbkreis. Fräulein von H. singt mit Gefühl Solo:)

Und wers weiter treibt und sich drunter schreibt,Der jedenfalls dann der Dümmste bleibt.

Chor (der Ochsen im Hintergrunde).Reißt aus, Kameraden, reißt aus, reißt aus!Dort kommt ein preußisches Irrenhaus.

(Alle reißen aus. Bengalische Flammen, welche die Hinterteile der Ausreißenden magischbeleuchten. -)«140

Geselligkeiten, aus denen heraus Texte wie dieser entstehen, sind schon sehrweit entfernt von anderen Manifestationen, die in dieser Arbeit zur Sprache gekom-men sind. Die Feier auf dem Picheisberg war getragen vom burschenschaftlichenFreiheitspathos, Lehrer und Schüler vereinten sich unter der Parole »Alles Bruder,alles Mensch«. Der festliche Rausch diente der Überwindung der Statusgrenzen,die ein verbrüdertes Freiheitsstreben behinderten. Die Serenade für Welcker, diedie politische Partei organisiert, findet nicht außerhalb der Stadt, sondern in ihremZentrum statt. Auch hier, wie auf dem Picheisberg, Gesang und Festgelage, abernicht auf den akademischen Kreis beschränkt, sondern als öffentliche Massende-monstration, auf Verbreitung von Doktrinen berechnet. Was in »Wigands Kuh-stall« passiert, ist außerhalb nicht mehr kommunizierbar. Wird es bekannt, ist esSkandal, »Unsinn-machen«.

Die ersten Reaktionen innerhalb der Junghegelianer auf die Skandalpraxis zeich-nen sich bei dem Berlin-Besuch Ruges anläßlich der Reise Herweghs ab. Hierwurde deutlich, daß sich in Berlin Verhaltensweisen ausgebildet haben, die >unteraller Partei< sind. Über die Reaktion Ruges berichtet sein Bruder, daß die Diskus-sion in der Gruppe zunächst ganz »stille« begonnen hätte. Mit der Zeit sei es jedochden Jüngeren zu langweilig geworden, sie opponierten

»und verfielen in ihren alten gewohnten Ton. Die freie Stimmung steigerte sich bis insUnglaubliche. Ich sah wie Arnold (Rüge, d. V.) stumm und wie versteinert dasaß. Ein Sturmmußte ausbrechen, denn es kochte und siedete in ihm. Mit einem Male sprang er auf und rief

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mit lauter Stimme: >Ihr wollt frei sein und merkt nicht, daß ihr bis über die Ohren in einemstinkenden Schlamm steckt! Mit Schweinereien befreit man keine Menschen und Völker! -Reinigt Euch zuerst selbst, bevor Ihr an eine so große Aufgabe geht!<«141

Ruge faßt sein Urteil in einem Brief an Marx zusammen:

»Trinken, Schreien, ja, ich sage es, selbst PRugeleien könnte man Leuten hingehen lassen, diedas alles trieben, abgesehen von einem ernsten Inhalt, und ohne ihn zu besudeln.« Was er inBerlin erlebt hat, ist für ihn »das ganze tobende, mit Atheismus, Kommunismus, Ausschwei-fung, Köpfen und Guillotinieren um sich werfende, gesellige und schriftstellerische Unwe-sen.«142

Ähnliche Urteile lassen sich noch vermehren. Der Tübinger JunghegelianerA. Schwegler schreibt über»das abschreckende Treiben namentlich der beiden Bauer (. . .): aus dem Parteimachenwird ein Rottenmachen, aus einem besonnenen, stetigen, die Möglichkeit einer praktischenVerwirklichung nie aus den Augen verlierenden Wirken für wissenschaftlichen politischenFortschritt wird ein nutzloses, die Freiheitsbestrebungen überhaupt verdächtigendes undselbst die Bessergesinnten anwiderndes Spektakel.«14' Und für den Königsberger L. Wales-rode haben sich die Berliner um B. Bauer »selbst zu einer literarischen Pariakaste konstitu-iert und scheinen nicht wenig eitel darauf zu sein. So wollen die Leute auf die Gegenwartwirken!«144

»Schriftstellerisches Unwesen«, »anwiderndes Spektakel«, »literarische Pariaka-ste« - Umrisse einer Boheme zeichnen sich ab. Es handelt sich aber nicht nur umein auf die Berliner Gruppe beschränktes Phänomen. Heß' >wilde Ehe< entsprachin dieser Zeit durchaus den Maßstäben der Berliner.145 Und im April 1842 mietetensich Marx und Bauer in Godesberg »ein paar Esel und galoppierten auf ihnen wierasend um den Berg herum und durch das Dorf. Die Bonner Gesellschaft sah unsverwunderter wie je an. Wir jubelten, die Esel schrien.«146 Auch kann man denAngaben von F. Saß vertrauen, daß Rutenberg nach »dem Tode der RheinischenZeitung von Köln wieder nach Berlin zurückgekommen ist und vom Rheine einegroße Lust am dortigen Narrentume und Faschingstreiben herübergeholt hat.«147

Und wie wurde die >Beerdigung< der RhZ in Köln begangen? Die Redaktion ludden Zensor Saint-Paul zu einem »Totenmal« ein. Die Feier geriet zu einem skanda-lösen Happening: ein mit Trauerflor umwundener Band der Zeitung wurde mitKetten an den Stuhl des Zensors gefesselt, und unter Pereat-Rufen auf die Zensurschnitt man dem Zensor eine Locke ab. Die Presseberichterstattungen ebenso wiedie öffentlichen Richtigstellungen Saint-Pauls zu diesem Ereignis zeugen von derKölner Skandalpraxis.148 Den Zensor Saint-Paul schließlich, wir finden ihn - welcheine Wendung! - wieder als prominentes Mitglied der »literarischen Pariakaste« inBerlin.149 In diesem Fall hat sich die politikfreie Kommunikationsgemeinschaft mitdem Zensor zumindest in der Hippeischen Weinstube in Berlin realisiert.

Versucht man, die Skandalpraxis, das »Unsinnmachen«, aus dem Bannkreis desAnekdotenhaften herauszulösen, so kann der inszenierte Skandal als eine Hand-lungsweise verstanden werden, die sich in spezifischer Weise auf die öffentlicheKommunikation richtet. Der Skandalpraktiker rechnet mit der Reaktion derÖffentlichkeit, aber er tut dies nicht wie jemand, der an der öffentlichen Kommuni-kation problemlos teilnimmt. Vielmehr agiert er von einer Position aus, die gleich-

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sam schon außerhalb der Kommunikationsgemeinschaft liegt. Er stellt sich bloß,um Bloßstellungen zu provozieren. Im Skandal wird etwas schockartig zur Schaugestellt, was im >normalen< Kommunikationsreglement tabu ist.

Das Laborieren an den Tabugrenzen kann nun funktional reinterpretiert werdenals ein Mittel, auf Probleme aufmerksam zu machen, die öffentlich zu diskutierennötig wäre. Die Skandalpraxis wäre dann ein unschön lärmendes Präludium füreine vernünftige öffentliche Debatte. Aber die funktionale Reinterpretation, kannsie der Skandalpraktiker selbst noch leisten? Er müßte sich, wollte er dies tun, inirgendeiner Form für den Skandal entschuldigen: >Glaubt mir, ich habe dieseTabuverletzung nur begangen um dieser vernünftigen Sache willen.< Was aber,wenn der Skandalpraktiker sich nicht entschuldigt? Wenn er die Frage, ob es einefunktionale Reinterpretation des Skandals gibt, selbst offen läßt? Wenn er darüberhinaus sogar bestrebt ist, den Skandal zu perpetuieren, gleichgültig, ob es einensozialen Sinn dafür geben könnte oder nicht? Wenn sich die Skandalpraxis verste-tigt zu einer kontinuierlich skandalösen Art des Auftretens? Es sind dies Fragen,die auf die Schwierigkeiten verweisen, dem Pänomen der Bohème gerecht zu wer-den.

b) Literarische Darstellungen

Das Treiben der Bohème ist ein prominentes Thema zahlreicher literarischer Dar-stellungen, die ihr Auftreten nicht nur begleiten, sondern verstärkend dazu beige-tragen haben, ihr Bild auszustatten. Man kann von einer spezifischen Affinität lite-rarischer Produktion und Boheme sprechen, nicht nur, weil Boheme selbst zueinem großen Teil aus Literaten besteht, sondern auch, weil die Distanz derBoheme zu unsicher gewordenen Lebensformen ebenso wie der überhöhte avant-gardistische Anspruch ihrer Gestalten, ihr luxurierendes Herausfallen aus der Ord-nung des Sozialen auf Probleme künstlerischer Existenz verweisen, die sich amThema Boheme besonders gut darstellen lassen. Mehr noch als wissenschaftlicheUntersuchungen sind es Romane und Erzählungen gewesen, die das, was Bohemesein kann, konturiert haben.

Dies gilt nicht nur für Frankreich, wo die Werke Murgers und Valles' den TypusBohème definiert haben, sondern gerade auch für Deutschland, wo seit den 40erJahren nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Treibens der junghegelianischenBohème zahlreiche Werke erscheinen, die sich dieses Motivs zentral oder inNebenepisoden annehmen. Die wichtigsten literarischen Darstellungen seien kurzskizziert.150

In W. Elias' Novelle »Söhne der Zeit« (1840) gerät der Student Leopold unterden Einfluß der Hegelschen Philosophie und entwirrt grandiose Programme füreine welterschütternde literarische Bewegung. Die Existenzbedingungen der>Lohnliteraten< sind Thema des Romans »Alfred« von A. v. Sternberg (1841). Kon-trastierend werden zwei Verlegertypen dargestellt: Nehrmann, ein >solider<Geschäftsmann, der im alten Stil mit seinen Autoren umgeht, und Potter, der dieSchriftsteller skrupellos in seine Abhängigkeit bringt und sie zwingt, entgegenihren Überzeugungen zu schreiben, was finanzkräftige Interessenten lesen wollenund was sich auf dem Markt verkaufen läßt. In S. Brunners »Des Genies Malheurund Glück« (1843) treten junghegelianische Intellektuelle auf, die zunächst mit

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einem blasphemischen Atheismus Skandal machen, um dann zum Katholizismuszu konvertieren. Die späteren biographischen Entwicklungen E. Bauers und MarieDähnhardts sind hier literarisch antizipiert. Das Spektrum der intellektuellen Posi-tionen zwischen dem Radikalismus und Frühsozialismus der 40er Jahre wird inKlenckes Roman »Das deutsche Gespenst« (1846) dargestellt. In besonderer Weisestilbildend für die literarische Verarbeitung des Bohememotivs wurde Marcards»Ein Literatenleben« (1847). In dieser Erzählung verdirbt sich der Held Wilhelmdurch das Studium von Hegel und Feuerbach seine gesicherte bürgerliche Existenzund wird Journalist. Er gerät in notorische Geldnot und wird als lumpenproletari-sche, moralisch unzuverlässige Existenz dargestellt. Wilhelms Literatenleben endetmit Krankheit und Hungertod. Diese Motive finden sich auch in H. Raus Roman»Genial« (1844).

Nach der Revolution setzt zu Beginn der 50er Jahre eine zweite Konjunktur vonliterarischen Produktionen ein, in denen Motive der junghegelianischen Bohemethematisiert werden. In seinem Roman »Der Tannhäuser« (1850) stellt der preußi-sche Ministerialbeamte A. Widmann, der sich nach 1849 ganz der Romanschreibe-rei widmete, in seinen Helden Friedrich und Muhr zwei gegensätzliche Bohemety-pen dar. Friedrich, der sich selbst den Titel »Ich, als der Vollzieher des Weltgei-stes« zulegt, tritt als prophetischer Sektengründer auf, der kraft seines Geistes zurWeltherrschaft strebt, aber schließlich scheitert, weil die Bürger an der Verwirkli-chung seiner Theorien über die freie Liebe Anstoß nehmen. Dagegen setzt der Lite-rat Muhr ganz auf das Negative: »An der Auflösung der Welt arbeiten, heißt From-mes tun« und: »Vernichtung aller herrschenden Begriffe von Staat und Gesell-schaft, so heißt die Parole«.151 Friedrich ist der genialische Weltverbesserer, der wieein König Hofhält und sich von seinen Jüngern kritiklos verehren läßt. Muhr dage-gen repräsentiert einen rückhaltlosen Nihilismus, dessen Skandalpraxis allein derErzeugung chaotischer Unruhe dient. In positionellen Abschattierungen gruppie-ren sich noch weitere Intellektuellenfiguren um die beiden Protagonisten, die ihreKonturen verstärken helfen.

Als gezielte Polemik gegen die Tübinger Junghegelianer hat Wilhelmine Canzihren dreibändigen Roman »Eritis sicut deus« (1854) geschrieben. Hinter derRomanfigur Robert Schärtel steht der Junghegelianer F. Th. Vischer. Die Endek-kung, »daß der menschliche Geist der Göttliche ist: daß es außer dem Menschenkeinen weiteren göttlichen Geist gibt«, führt bei Schärtel zu einem übersteigertenGeniekult, in dessen Zentrum er sich selbst setzt. An Schärtels Ehe zeigt die Auto-rin die destruktiven Folgen der hegelianischen Spekulation auf. Schärtels Ehefrauwird schließlich wahnsinnig angesichts einer Philosophie, die »die zum tollenTanze des Widerspruchs verkehrte Welt« reflektiert.152 Schärtel geht von der Phi-losophie zur Politik über und beteiligt sich mit Gleichgesinnten an konspirativenAktivitäten. Die politische Phraseologie dieser Gruppe wird von Canz dem herab-lassenden Verhalten gegenübergestellt, das diese >Anwälte des Volkes< den unterenGesellschaftsschichten alltäglich entgegenbringen.

Aus dem Kreise der Junghegelianer hat W. Jordan 1851-53 in seinem dreibändi-gen Versepos »Demiurgos« zahlreiche Motive der junghegelianischen Szene der40er Jahre verarbeitet. In einer heute schwer lesbaren philosophischen Lyrik entfal-tet Jordan weniger das pittoreske Bild der Boheme als vielmehr das Spektrum der

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spekulativen und kritischen Positionen der Gruppendebatten. Den Rahmen derspärlichen Handlung bildet das Theodizeeproblem, dargestellt in allegorischenGestalten: Luzifer schließt als Demiurgos mit seinem Gegenpart, dem absolutguten Prinzip Agathodämon, eine Wette über die Möglichkeit der Verwirklichungdes Guten ab. Agathodämon nimmt Menschengestalt an und beginnt, als idealisti-scher Jüngling Heinrich der Reihe nach alle möglichen Entwürfe eines vollkomme-nen Lebenslaufs durchzuexperimentieren. Vom Entwurf hellenistischer Liebeüber soziale Philanthropie, die verschiedensten frühsozialistischen und junghege-lianischen Positionen, den Versuch eines politischen Pragmatismus im Kampf fürein Parlament bis hin zur Vertiefung in die Naturwissenschaften reichen die Expe-rimente Heinrichs, der in jedem Entwurf nach anfänglichem Aufschwung raschwieder weit- und lebensmüde wird. Auch in der vollkommenen Utopie »Nirgend-heim« verliert er seine Wette gegen den luziferischen Demiurgos, den Jordan dergnostischen Tradition entnommen hat.153

Die skizzierten literarischen Darstellungen von Motiven der junghegelianischenBoheme sind sowohl, was ihre literarische Qualität, wie auch, was ihre mehr oderweniger bohemekritische Intention angeht, sehr heterogen. Aber mag es sich umeine moralisierende Warnliteratur wie bei Marcard, um eine neupietistische Pole-mik wie bei Canz oder um ein spekulativ allegorisches Gemälde wie bei Jordan han-deln - was zur literarischen Darstellung reizt, ist das Don Quichottehafte derGenies, ihr Behaupten von Möglichkeiten, ihre Exzentrik. Die literarische Darstel-lung kann es sich auf der fiktionalen Ebene leisten, diesen Dimensionen weit mehrRaum zu geben als dies auf anderen Aussageebenen möglich ist.

Soziologisch relevant gemacht werden können dabei in besonderer Weise litera-rische Darstellungen, die mit den Mitteln der Satire arbeiten. Die satirische Zeich-nung von Charakteren selbst liegt nahe bei dem Verfahren soziologischer Typenbil-dung. Hier wie in der Satire werden Verkürzungen und Stilisierungen vorgenom-men, quasi idealtypische Bündelungen von Phänomenen, die nicht als abgebildeteWirklichkeit behauptet werden, sondern von denen gewußt wird, daß sie so >rein<nicht in der Wirklichkeit vorkommen. Wie die Satire übertreibt soziologischeTypenbildung bestimmte Phänomene, um sie begrifflich abgrenzbar zu machen. Eshandelt sich in beiden Fällen um ein konstruktivistisches Verfahren.154 Geht manden soziologischen Typendefinitionen gerade der Boheme nach, so wird man zahl-reiche Affinitäten zu satirischen Bohemedarstellungen finden. Ein Grund hierfürkönnte auch darin liegen, daß beide Verfahren, auf den Gegenstand Boheme ange-wandt, dem Auftreten dieses Phänomens insoweit entgegenkommen, als der Bohe-mien im Versuch, seinen Entwurf auch gegen die >Realität< zu leben, selbst einenGroßteil der Stilisierungsarbeit leistet. Wo Satire wie Soziologie andere Lebensfor-men wie z.B. die bestimmter Proletariergruppen oder bürgerlicher Schichten typi-sieren, beziehen sie sich auf Gestalten, die in der Regel kein derart bewußt entwurf-haftes Verhältnis zu ihrer Existenzweise haben wie die Boheme.

Die literarischen Darstellungen der junghegelianischen Boheme abschließendmöchte ich auf zwei Romane ausführlicher eingehen, in denen satirische Elementebesonders präsent sind.

Klara Mundt, an die sich R. Gottschall später als »eine etwas verwilderte George

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Sand« erinnert,1'5 veröffentlicht 1844 unter dem Pseudonym Luise Mühlbach»Eva. Ein Roman aus Berlins Gegenwart«. Verflochten mit der vormärzlichen>Emanzipations-Story< der Hauptfigur Eva wird das Schicksal ihres Bruders, desBuchdruckergesellen Fritz Wendt, dargestellt, der sich entscheidet, Literat zu wer-den:»Nein, statt Bücher zu drucken, lasse ich jetzt die Eingebungen meines Genius drucken(. . .). Die goldene Zeit der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Macht des Volkes mit heraufzu-beschwören, dazu hat mich das Schicksal berufen, das Volk hat mich zu einem seiner Vertre-ter aufgerufen und ich bin seinem Ruf nicht taub gewesen!»

Nach dem Vorbild G. Herweghs schickt er sich an »zu einer jener Triumphrei-sen, wie sie die glorreichen Dichter unserer Tage durch ganz Deutschland machen,nachdem ihre Lieder mit Enthusiasmus überall aufgenommen werden.«156

In Berlin trifft er, der das wohlklingende Pseudonym Bonaventura von Otters-heim angenommen hat, auf die Junghegelianer Weinherr und Rautenweg (letztererspielt wohl auf Rutenberg an). In zahlreichen satirisch gestalteten Szenen machtKlara Mundt die Phrasenhaftigkeit der politischen Bekenntnisse deutlich, hinterdenen nur das selbstzweckhafte Karussel einer sich gegenseitig bespiegelnden intel-lektuellen Gruppe steht. So stellt sich Weinherr mit den Worten vor:»Ich widme mein Leben, meine Zeit, dem einzigen hohen Ziel, der Befreiung Deutschlands,und wenn ich morgens mindestens drei Stunden Zeitungsartikel geschrieben, finde ich nochKraft und Mut in mir, nachmittags mehrere Stunden hintereinander in den Kaffeehäusernund Lesekabinetten zu sein, um durch lebendiges Wort und eifernde Rede den Mut meinerFreunde zu beleben und ihre Kraft anzufachen.«157

Die Kommunikation der Gruppe handelt entweder von einem einträchtigengegenseitigen Rezensieren, oder es geht um ein Überbieten der Schreibleistung desanderen.»Je extravaganter und ausschweifender seine (d. h. Bonaventuras, d. V.) Gedichte waren,desto mehr wurden sie erhoben und gepriesen, und desto mehr beeiferte sich Herr Wein-herr, dieselben in lobenden Zeitungsartikeln zu preisen, und solches Lob pflegte dannBonaventura wieder mit einem Lobgedicht auf Herrn Weinherr zu erwidern. Dann sorgteRautenweg, daß dies in einem andern Journal abgedruckt ward, wofür Herr Weinherr dannwieder zum Lobe Rautenwegs anderswo einen >Artikel< verfaßte. Es war ein stetes Hin- undWieder-Loben, bei dem jeder gewann, und sich den anderen verpflichtete, und wobei jederdoch wohl nur zum Wohl des Landes, zur endlichen Befreiung Deutschlands zu wirken vor-

Die Satire akzentuiert die Bewegungsformen einer Intellektuellengruppe, dereneinzige Praxismöglichkeit die politische Schriftstellerei ist. Im Verlauf der Erzäh-lung treten politische Sinngebung und kollektive Abhängigkeit von der Schriftstel-lerei zunehmend auseinander.Zum Gruppenkonflikt kommt es, als der Literat Sylvius den Literaten Weinherrin einem Artikel angreift, er sei »nichts als ein aufgeblasener Schreier, ein kleinerunbedeutender Hegeling, der sich nur der heiligen Sache der Freiheit hingegebenmit hohlem Wortgeklingel und müßigen Redensarten, und um eine Art Bedeutungdadurch zu erlangen.«159 Sylvius verteidigt seine Auffassung in der Gruppe undfragt:

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»Was sind eure Artikel, mit denen ihr euch brüstet, denn weiter anders als grelle Aushänge-schilder eures Gewerbes? und weil euch denn das Erhabenste, weil euch die Freiheit nur einGewerbe ist, darum werdet ihr mit Recht verspottet und verschmäht, und darum wendetsich jeder Mann ab von eurem hohlen Wortgeklingel und euren hochtönenden Phrasen,jeder Mann, dessen Wahlspruch ist: nicht sprechen, sondern handeln! Hier schwieg Sylviusund noch einen glühenden stolzen Blick auf die Versammlung werfend, verließ er hochauf-gerichtet das Gemach. - Man hatte geschwiegen, wie erstarrt vor Schreck über solch uner-hörte Frechheit. Jetzt aber brach der Sturm los, und man hörte ihre Flüche und Verwün-schungen, Rachegeschrei und Verachtung gegen Sylvius. Er ist ein Legitimer! Ein Überläu-fer! Wer nicht für uns ist, ist wider uns! Schande über diesen Abtrünnigen, der die heiligeSache der Freiheit verlassen und ein Knecht der Tyrannei geworden ist!«160

Vorlage für diese Szene ist vermutlich Ruges Besuch bei den Berliner Junghege-lianern im November 1842 gewesen. Die Sympathien der Autorin liegen deutlichbei der Figur des Sylvius, den sie - eine politische Ortsbestimmung - nach Königs-berg abreisen läßt. Was der Satire entgeht, ist der Umstand, daß die Reden des Syl-vius mit ihrem glühenden politischen Pathos sich nur wenig von den Reden deranderen unterscheiden, allein die Thematisierung des Gewerbecharakters der poli-tischen Schriftstellerei der Gruppe gibt ihm die Sonderstellung dessen, der dasGeheimnis der Gruppe lüftet.

In der Gruppe kommt es zu einem makaberen Ausstoßungsritual: an der Tafelsteht mit Kreide >Sylvius, Ausgestoßener !< geschrieben, und Weinherr fordert dieGruppenmitglieder auf, einzeln diesen Spruch mit einem Kreidekreuz an der Tafelzu besiegeln. Mit dem Ausschluß von Sylvius geht die Gruppe zu einem gesteiger-ten Radikalismus über. »Die Freiheit darf nichts gemein haben mit dem Gesetz, dieFreiheit muß gesetzlos sein, eine gesetzliche Freiheit ist schon wieder eine bedingte,beschränkte, eine in sich gefesselte, die Freiheit muß aber eine absolute, über dasGesetz erhabene sein!«162

Die Geschichte der radikalen Protagonisten endet damit, daß Polizei und Regie-rung Weinherrs journalistisches Talent entdecken und ihm einen einträglichenPosten bei einer regierungstreuen Zeitung verschaffen. Rautenberg dagegen wirdaus Berlin ausgewiesen. Gegen Weinherr fühlt er sich jedoch ungerecht behandelt:»Mich, der ich bedeutend mehr Talent habe, mich verbannt man und ihm (Wein-herr, d. V.) gibt man so bedeutendes Gehalt! Ich würde diese Artikel viel bessergeschrieben haben! Aber so sind die Regierungen, sie machen beständig Miß-griffe!«163 Bonaventura schließlich gerät an eine polnische Gräfin, die von seinenFreiheitsliedern begeistert ist, vor allem aber seinem aristokratischen Pseudonymvertraut. Als der Namensschwindel auffliegt, will sich die Fürstin mit der Knuterächen. Dem entgeht der Freiheitsdichter nur dadurch, daß er sich darauf einläßt,eine Hymne an die Knute zu dichten. Nach dieser Demütigung schlägt er die ange-botene Pistole aus und flieht aus Berlin, um sich in Hamburg als Inhaber einer Leih-bibliothek unter seinem bürgerlichen Namen niederzulassen.

Ihre Spannung bezieht die Satire aus der Gegenläufigkeit zweier Profilierungs-weisen der Intellektuellenexistenz: einmal sind die politisierenden Literaten oppor-tunistische Gestalten, die ihre Schreibtätigkeit >gesinnungslos< ausüben, verfügbarfür alle möglichen sich widersprechenden Ziele, zum anderen sind es >authenti-sche< Charaktere wie Sylvius, die glaubwürdig profiliert werden. Indem beide in

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eine dramatische Kollision gebracht werden, entfaltet die Satirikerin eine Binaritätvon bedeutungloser, selbstzweckhafter Phraseologie und bedeutungsvoller>authentischer< Rede. Es handelt sich um eine heikle Binarität, die herzustellennicht einfach ist. So gilt z. B. in einem Fall das Broschürenverbot durch die Regie-rung als ein künstlich provoziertes Geschehen, das dem Ziel, bloßes Aufsehen zuerregen,- dient, im Falle des Verbots der Broschüre des Sylvius handelt es sich dage-gen um ein Geschehen, das auf eine >echte< Oppositionshaltung verweist. Zur Dis-kriminierung beider Intellektuellentypen ist eine sorgfältig kalkulierte Zufuhr vonMotivation nötig. Diese Psychologisierung der Charaktere behindert jedoch, wennsie zu stark erfolgt, die satirische Intention der Darstellung. Denn um typisieren zukönnen, muß die Satire Psychologisierungen zurückdrängen.

Weitaus gelungener als K. Mundts Satire ist der dreibändige Roman »ModerneTitanen. Kleine Leute aus großer Zeit«, den der 23jährige Robert Giseke 1850 ver-öffentlicht.164 Giseke verzichtet auf die Hereinnahme zur Identifikation einladen-der Gegengestalten, alle Figuren, die er auftreten läßt, erscheinen im Lichte derSatire. Held des Romans ist Ernst Wagner, der, als Theologiestudent von den reli-gionskritischen Debatten angesteckt, sich nicht in die provinzielle Enge einerLandpfarrei eingliedern läßt. Er gerät in Konflikt mit seinen Amtsbrüdern, nach-dem er ein religionskritisches Buch publiziert hat. Aus der Provinz flieht er nachBerlin, wo er sich der junghegelianischen Boheme anschließt.

Die »Berliner Genies«, die Giseke im zweiten Band seines Romans auftreten läßt,treffen sich in der Hippelschen Weinstube.»Die Philosophen der absoluten Kritik bildeten den Kern, Zeitungskorrespondenten,Künstler, emanzipierte Frauen, ältere Studenten und eine Anzahl bummelnder und verbum-melter Individuen - das Gros dieser Gesellschaft. (. . .) Es war das der freie Berliner Geist,in seiner reinsten Abklärung, ungetrübt vom Bodensatze des Besitzes oder Amtes, ungetrübtvon Glauben oder Grundsatz, ohne von sich selbst abgezogen zu sein durch die Teilnahmeam öffentlichen Leben, nur sich selbst angehörend und der fortschreitenden Dialektik sei-ner Entwicklung. Es war derselbe >Geist<, der in der christlichen Religion vor noch nichtzehn Jahren die Offenbarung der absoluten Vernunft sich rühmte begriffen zu haben; danndieselbe als einen poetischen Mythos des Menschengeistes belächelte, dann als eine Ver-rücktheit verhöhnte und durch die kritische Tätigkeit alle Verrücktheiten, Religion, Staat,Recht, Wissenschaft, Sittlichkeit, in ihr Nichts aufzulösen vermocht hatte, bis er diese Kritikselbst als eine Verrücktheit entdeckte, das menschliche Denken für beendet erklärte, undnichts mehr behielt als den Grundsatz: leben und leben lassen!«165

Die Passage verweist auf zentrale Probleme, Boheme literarisch darzustellen. Diepittoreske Vielfalt der versammelten Gestalten kann aufgezählt werden, aber han-delt es sich bei dem Abriß der intellektuellen Odyssee der Gruppe um »denselbenGeist«? Dies kann nur gelten, wenn Boheme gleichsam als eine >Endstation< stili-siert wird, als ein Zustand, von dem aus keine Entwicklungen möglich sind. Auchdie einzelnen Gestalten der junghegelianischen Boheme, die Giseke auftreten läßt,sind in je verschiedener Weise als Figuren profiliert, in deren Verhältnis zur ZeitGeschichte problematisch geworden ist.

In der Weinstube tritt an jedem Samstag der »große Kritiker« auf, eine Figur,deren Züge auf B. Bauer hinweisen.

Der »Prophet dieser gottlosen Sekte (!) pflegte an diesem Abend die Zusammenkunft seiner

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ungläubigen Gläubigen durch seine Gegenwart zu verherrlichen. Die ganze Woche hin-durch lebte er, fast ohne auszugehen, der Kritik; erst des Sonnabends machte er Feierabend,begab sich unter seine Jünger und erfüllte seine geselligen Bedürfnisse; des Sonntags ver-schwand er und verweilte im Kreise seiner Familie, um in heimlicher Sünde gegen den Geistauch seinem Gemüte Rechnung zu tragen.«

Nach der Rede B. Bauers, in der er zwischen zwei Zügen auf dem Schachbretteine abschließende weltgeschichtliche Einschätzung der deutsch-katholischenBewegung gibt, kommt E. Bauer kurz zu Wort. »>Pereat Gott! < bramarbasierte derburschikose Bruder des Großen, indem er auf den Tisch schlug, tiefsinnig in seinSeidel starrte und es dann zur Hälfte leerte.«166

Zu den »Berliner Genies« gehört auch der reiche französische Maler Caesar, der»in kurzem Sammetrocke, einen roten Schal malerisch um den Hals geschlungen«,auftritt. Caesar bemüht sich ebenso wie Ernst um die Schauspielerin Delphine, dieunter »Weltschmerz-Langeweile« leidet. Für Doktor Horn, eine Romangestalt,hinter der sich Max Stirner verbirgt, ist Langeweile und Weltschmerz »das Leidendes Zeitalters. Die Ehe und die Polizei sind daran schuld. Kuriert die Welt von die-sen beiden Epidemien, und wir werden glücklich sein, wie die Götter.« Caesar hin-gegen will nicht so lange warten, »bis die Welt aus lauter Junghegelianern besteht(. . .). Ich dächte, Delphinchen, wir kümmern uns um das Prinzip und um die Weltnicht, sondern wir lieben das Leben, und - leben, wie wirs lieben.« Und Caesarfragt gelangweilt zurück: »>Sagen Sie, Doktor (Horn, d. V.), wie weit ist dieMenschheit heute? Wieviele Standpunkte sind seit vorgestern überwunden?<«167

Ob es sich um B. Bauers redundanten Wochenrhythmus, um E. Bauers letztes>Pereat<, um die Langeweile Delphines oder den Hedonismus Caesars handelt, dieFiguren stehen gleichsam am Ende der Zeit, eine Position, die Giseke auch dadurchsymbolisiert, daß er seinen Dr. Horn (Stirner) mit dem Selbstmord enden läßt.

Diese >Endstation< erscheint als Konsequenz der Philosophie. In HornsAbschiedsbrief heißt es: »Ich erklärte im Leben die Selbstbestimmung, die Selb-ständigkeit, die Selbstliebe für mein Prinzip; ich bin konsequent im Tode, wie ich'sim Leben war: ich sterbe durch Selbstmord.« Sein ganzes Leben stellt sich ihm darals »ein einziger schlechter Witz, der niemandem Spaß gemacht hat, am wenigstenmir selbst. Ein schlechter Witz und doch die Wahrheit selbst.«168 Was er durchlebthat, ist die »Tragödie der Narrheit«, wie er sie in einer gerafften Hamletinterpreta-tion in der Hippeischen Weinstube vorgetragen hatte. Die »Narrheit« ist der allge-meine Weltzustand.

»Nur Hamlet, der Denker, der Philosoph, erkennt diese allgemeine Narrheit und will keinNarr sein. Er denkt und denkt, will besser und gescheiter sein als alle die Andern, will nurhandeln aus Gründen der Vernunft, und - was wird er anders als wieder ein Narr? Von demGedanken, kein Narr sein zu wollen, läßt er sich zum Narren haben. Der Narr seines Den-kens ! weiß er doch nicht, daß der Mensch kein Gott sein kann, und, wenn er kein Narr seinwill, entweder ein Teufel, oder - ein Toller sein muß.« Zum Teufel fehle ihm der Mut, gereiztvon den anderen »Narren« wird er »Narr seiner Wut und Rachsucht. Und so ist er der ärgsteNarr von Allen. Die Andern sind simple Narren und wissen nicht anders zu sein, er wirdNarr in der zweiten Potenz. (. . .) Und die Moral von der Geschichte ist: die menschlicheWeisheit besteht darin, Tor zu sein mit Bewußtsein, und die größte Torheit der Welt ist dasBewußtsein, kein Tor sein zu wollen.«169

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Für die Narren der »zweiten Potenz« gibt es keine Steigerungsmöglichkeit mehr.Ihr >Unsinnmachen< ist die Einholung der geschichtsphilosophisch entworfenenEndzeit im Jetzt der Gegenwart. Was zur Satire reizt, ist, daß hier eine letzte Posi-tion behauptet wird, die dem Prinzip satirischer Übertreibung selbst entgegen-kommt. »Seiner Natur nach ist das Genie geduldig, je unsterblicher es ist, destobesser versteht es zu warten«, schreibt Rosenkranz im Zusammenhang seiner Theo-rie der Karikatur.170 Für die in der Satire erscheinenden Genies gibt es allenfalls einleeres Warten, die Langeweile.

c) Zum Begriff >Bohème<

Die erste Arbeit zur Bohème in Deutschland stammt von Julius Bab. Er kündigt sie1904 als eine »Vorstudie zu einer großen historischen Arbeit«, an, »in der das Kul-tur-Zigeunertum, d. i. die zentrifugalen Elemente der Menschheit eine Betrachtungfinden sollen, die sich zum Grundriß einer neuen Wissenschaft auswachsen dürfte:der Asoziologie.«171 Die annoncierte Arbeit ist nie erschienen, und auch die neueWissenschaft hat ihre Stimme im Konzert der Disziplinen noch nicht erhoben.Dennoch, die Bezeichnung »Asoziologie« verweist auf eine eigenartige Spannungzwischen dem Phänomen Bohème und soziologischer Denkweise.

Zu nennen sind hier zunächst die klassentheoretischen Probleme. Sie finden sichschon in der Marxschen Auskunft von 1852:»Neben zerrütteten Roues mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Her-kunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden,entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner,Gaukler, Lazaronis, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus, Bordellhalter,Lastträger, Tagelöhner, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker,Bettler, kurz die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Fran-zosen la Bohème nennen.«172

Berufsbezeichnungen, lebensgeschichtliche Krisensituationen, die Situation derArmut, die fahrende Künstlerexistenz, kriminelles und halbkriminelles Verhaltenaller Arten - keine Bestimmung reicht allein aus, lediglich die Summation: »Aus-wurf(e), Abfall, Abhub aller Klassen« führt zu einer Kategorie: das »Lumpenprole-tariat«. Als >Abfall aller Klassen< genau besehen eine >Unklasse<, die im Kontext derMarxschen Argumentation dann aber wieder »die einzige Klasse« ausmacht, aufdie sich der bonapartistische Staatsstreich von 1851 stützt.173

Uns interessiert in diesem Zusammenhang nicht das aufschlußreiche Zusam-mentreffen zweier Schwachstellen der Marxschen Theorie (der Staatstheorie einer-seits und der zweifelhaften Differenz eines geschichtsmächtigen »Proletariats« undgeschichtsohnmächtigen »Lumpenproletariats« andererseits), festzuhalten ist:unter klassentheoretischen Gesichtspuntken ist Bohème eine zweifelhafte Residu-alkategorie, die auch schichtungstheoretisch kaum zu vereindeutigen ist. Immerbleibt ein >Bodensatz<, eine Restkategorie, in der sich seltsame Vermischungen,Symbiosen, bizarre Kombinationen von alter Armut und Kriminalität mit extre-mem sozialem Abstieg und >Aussteigern< aller Art finden.

Bohème als ein konturiertes Phänomen gibt es erst seit den 30er Jahren des19. Jahrhunderts in Paris. Die französischen Romantiker Petrus Borel, Theophile

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Gautier und Gerard de Nerval definierten sich als Bohemiens. Mit Henry Murgers>Scenes de la Vie de Bohème (1851) wird der Name Bohème popularisiert. Aber>Bohème< ist nicht auf die literarisch-ästhetische Komponente hin zu vereindeuti-gen. Mit Jules Valles >Les Refractaires< (1865) verbindet sich eine Bohème, die sichaus widerspenstigen Arbeitsverweigerern aller Schichten zusammensetzt, vorran-gig aus einem intellektuellen Proletariat^ das keine Chance und keinen Willen hat,sich den Standards der >Normalgesellschaft< anzupassen.

Für Deutschland mag man sich streiten, inwieweit romantische Künstlerverbin-dungen wie die zwischen E. T. A. Hoffmann und dem Schauspieler Devrient oderdas provokative Auftreten Grabbes in Berlin zur Bohème zu rechnen sind, unstrit-tig in der Forschung ist die Feststellung Babs, daß es sich bei den junghegeliani-schen »>Freien< bei Hippel« um eine Gruppe gehandelt hat, »die einen echten undrechten Bohèmecharakter trug«.174 Die naturalistische Berliner Bohème des ausge-henden 19. Jahrhunderts um die Brüder Hart, Bruno Wille und J. H. Mackay ent-deckt in den Junghegelianern ihre legitimen Vorgänger. Die Stirner-Renaissanceder 90er Jahre steht nicht zuletzt im Zeichen der Bohème; Stirners Formulierungenvon den »extravaganten Vagabonden«, deren »vagabundierende Lebensart« demBürger mißfalle, werden enthusiastisch aufgenommen.173

Sofern man nicht ahistorisch den soziologischen Begriff des abweichenden Ver-haltens< als einer sehr groben Ordnungskategorie überstrapazieren will, bietet essich an, Bohème näheren abgrenzbaren historischen Phänomenen festzumachen.H. Kreuzer hat in seiner gründlichen Untersuchung zur Bohème übereinstimmendmit anderen Autoren darauf aufmerksam gemacht, daß die >Geburt< der Bohèmeim Zusammenhang mit den Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschaftsformauf die literarische Produktion zu sehen ist.176 Bei der Herausbildung eines Marktesfür Literatur handelt es sich zwar um einen Prozeß, der schon im 16. Jahrhunderteinsetzt, aber die dem Markt korrespondierende Figur eines Schriftstellers, der sei-nen Lebensunterhalt ausschließlich durch den Verkauf von literarischen Produk-tionen bestreitet, ist in Deutschland erst mit der Generation der Schriftsteller desJungen Deutschland greifbar.177 Zwar haben z. B. Gottsched, Klopstock, Goethe,Novalis und Eichendorff auch für einen Markt produziert, aber sie sind nicht inihrer wirtschaftlichen Existenz vom Markt abhängig gewesen.

Die Entstehung der Idee eines »freien Schriftstellers«, die im 18. Jahrhundertanzusiedeln ist, reicht für die Konstituierung der Bohème nicht aus. Entscheidendist die Entstehung eines »Lohnliteratur«.178 Sie steht im Zusammenhang mit derAusbreitung der Massenpresse, die einen kontinuierlichen Zufluß von Textenbenötigt und entsprechend der stückweise abgelieferten Artikel auch einen konti-nuierlichen Rückfluß von Geld an die Autoren ermöglicht. Auch größere Roman-werke erscheinen in der Erstveröffentlichung nicht geschlossen als Buch, was beiden Produktionszeiten eines Romans zu gravierenden Kreditproblemen bei denmarktabhängigen Autoren führt, sondern als Fortsetzungsroman in Zeitungen.

Die in den 30er und 40er Jahren entstehende »Lohnliteratur« verschärft das Pro-blem der Diskriminierung von >anspruchsvoller< und >einfacher< Literatur. Zwarhat es von den Zeitgenossen entsprechend klassifizerte >Trivialliteratur< schonzuvor mit der Entstehung des Literaturmarktes gegeben, aber mit der Abhängig-keit der schriftstellerischen Existenz vom Markt tritt auch für Autoren, die zu

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anspruchsvollen Leistungen von ihren schriftstellerischen Fähigkeiten her in derLage sind, mitunter die ökonomische Notwendigkeit ein, Texte schneller zu produ-zieren, was zu Qualitätsminderungen führen kann. Die Form der Zeilenentlohnunghat darüber hinaus einen wichtigen Einfluß auf die ästhetischen Formprinzipiengehabt. Sainte-Beuve berichtet: »Es gibt Schriftsteller, die ihre Romane in Feuille-tons nurin Dialogform schreiben, weil auf diese Weise bei jedem Gedanken, oftschon bei einem Worte, eine neue Zeile angefangen werden muß.«179

Die »Lohnliteratur« ist in dieser Zeit ein neu auftauchendes Massenproblem. Soschätzt die Leipziger Buchhändlerzeitung die Zahl derer, die in London nur vom»literarischen Erwerbe« leben, auf 4.000 Personen. »Daß von diesen viele die halbeWoche Hunger leiden müssen, brauchen wir nicht hinzuzusetzen.« Wollte man»die noch dazu rechnen, welche davon (vom literarischen Erwerb, d. V.) zu lebenden Versuch gemacht haben, ihn aber wieder aufgeben mußten, weil sie dabei nichtsoviel verdienten, um Leib und Seele zusammenzuhalten, so könnten wir dieSumme verdoppeln.« Angesichts des Elends der Literaten - auch denen weiblichenGeschlechts, wie der Autor betont - und angesichts der Unberechenbarkeit desMarktes mahnt der Autor: »Es ist gut, wenn junge Leute sich zum Vergnügen mitliterarischen Arbeiten beschäftigen; allein wer einem jungen Freunde den Rat gibt,sich ganz darauf zu legen, übernimmt wahrlich keine geringe Verantwortlichkeit.Die Wahrscheinlichkeit ist wie tausend gegen eins, daß, wer diesen Rat befolgt, sichein Leben voller Elend bereiten wird.«180 Aber woher kommen die vielen Litera-ten?

Daß es allein die größere Nachfrage nach Literatur gewesen sein sollte, die zurVermehrung schriftstellernder Existenzen geführt hat, ist schon Zeitgenossen zwei-felhaft gewesen. Auf den Vorschlag, die Schrifsteller »sollen künftig im Lebeneinen besonderen unabhängigen Stand« einnehmen, die »freie Kunst« solle »zu derWürde eines Berufs erhoben« werden, antwortet die Redaktion der LeipzigerBuchhändlerzeitung mit einem charakteristischen Hinweis auf die Ursachen desMassenproblems:»Vor dreißig Jahren wurden die meisten Studenten, die auf Universitäten nichts gelernt hat-ten und im Examen verunglückten, Soldaten; zehn Jahre später Komödianten, dann Dem-agogen und jetzt Schriftsteller, vorzüglich Journalisten. -Vor dreißig Jahren fiel von zwanzigEiner durch im Examen, jetzt von zwanzig wenigstens fünf, und fünf Andere machen es lie-ber gar nicht, sondern werden gleich Autoren. - Daher die furchtbare Masse in unserer Jour-nalistik, die jeden redlichen Mann zum Erröten zwingt.«181

Diesem durchaus glaubwürdigen Hinweis zufolge ist die Schriftstellerexistenzmassenhaft geworden, weil sie zu einer Art modischem Ausweichberuf für diejeni-gen geraten ist, die innerhalb der Ausbildungsinstitutionen scheitern oder keineAnstellung erhalten haben, d. h. die Masse der Schriftsteller verweist auf das Pro-blem des intellektuellen Proletariats.

Es wäre jedoch unzulässig, >Bohème< mit dem intellektuellen Proletariat einachzu identifizieren. R. Michels hat bereits Anfang der 30er Jahre beide Begriffe gegen-einander abgesetzt.182 Bei der Bohème< mag es sich zwar zum Teil um Angehörigedes intellektuellen Proletariats handeln, aber auch wirtschaftlich relativ erfolgrei-che Literaten oder Künstler können Bohèmiens sein. Was den armen Bohèmien

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und den reicheren >Edel-Bohèmien< zusammenschließt, ist nicht mit rein ökonomi-schen Kriterien zu bestimmen. Es handelt sich vielmehr um einen kulturellen Habi-tus, einen selbstgewählten Lebensstil, der für die Bohème charakteristisch ist.

Die Beziehungen zwischen intellektuellem Proletariat und Bohème sind nichtleicht zu klären. So sehr man darauf insistieren muß, daß zur Bohème gehört, ihreExistenz nicht nur als eine unbürgerliche, sondern auch als eine von alter oderneuer >Normalarmut< differente zu entwerfen, der selbstgewählte Lebensstil, auchder exzentrischste, ist immer bedroht, ein Massenphänomen im Bereich des intel-lektuellen Proletariats zu werden. Der Zusammenhang zwischen einem betontBohèmehaften Auftreten und den skizzierten sozialstrukturellen Entwicklungenhin zu einer marktabhängigen schriftstellerischen Existenz und ihrem massenhaf-ten Auftreten besteht gerade darin, daß die sozial wahrgenommene Vielzahl>gescheiterter< oder randständiger Intellektueller das Bedürfnis nach gruppenmä-ßiger und kultureller Differenzierung bei den Betroffenen herausfordert. WerBohème und wer intellektuelles Proletariat ist, ist daher sowohl unter denen, diejeweils dazu gerechnet werden könnten, wie bei denen, die von außen die Szenebetrachten, in hohem Maße umstritten. Gerade in diesem Bereich ist der Abgrundzwischen Selbstdefinition und Fremddefinition kaum zu überbrücken.

So weist z.B. Ruge den Vorwurf, die Junghegelianer seien »nur wenige prolatäreIndividuen, besitzlose übelwollende Unruhestifter«, ebenso entschieden zurückwie die Meinung, »als seien die freien Schriftsteller darum so frei, weil sie nur bür-gerliche Proletarier wären«, oder »als seien die zensurwidrigen Schriftsteller wis-senschaftliche Proletarier«. Nur der Intellektuelle sei »solide«, der seine »geistigeZahlungsfähigkeit (!), das Liquidmachen des Gewußten« beweisen könne, und dasseien »nur die prinzipiellen und fundamentalen Neuerer, eben jene Verachte-ten.«183 - Dennoch, so sehr sich Ruge auch bemüht, seinen Entwurf für eine freieSchriftstellerexistenz gegenüber stigmatisierenden Zuschreibungen zu immunisie-ren, und versucht, dem verachteten Neuerer geschichtsphilosophisch eine promi-nente Rolle zuzuschreiben, allein die Menge der Intellektuellen, die Ähnliches ver-suchen, gibt der Bohèmekritik immer neue Nahrung. Für die Tübinger Jahrbüchersteht fest: »Das Heer der Literaten, das seine Leerheit und Unbedeutendheit hinterdem Interesse und dem Feldgeschrei für eine große Sache verbergen wollte, zogjene Philosophie (die Hegelsche, d. V.) auf die Stufe seiner Bildung herab.«184 Zwi-schen Ruges Selbstdefinition und den Angriffen des Tübinger Junghegelianers istkeine Vermittlung denkbar.

Der Positionenstreit der philosophischen Schule war trotz aller Labilitätengegenseitig noch kohärent >verstehbar<, ebenso ist im Übergangsfeld zur politi-schen Partei immer noch eine Kommunizierbarkeit zwischen radikaleren, wenigerradikalen, nicht ganz gemäßigten und gemäßigten Positionen denkbar gewesenund hat sich auch den lokalen Diskussionsspektren entsprechend z. T. hergestellt.Der Streit um den Wert der Bohème dagegen verweist auf eine Kommunikations-grenze und markiert in der Tat ein Phänomen, das mit J. Bab »asoziologisch«genannt werden könnte. Zwei Versuche über die Bohème mögen das Phänomenverdeutlichen.

1846 gibt E. Dronke in seinem Berlin-Buch eine Charakteristik der Bohème, die

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sich aus verschiedenen Gruppen zusammensetzt. Von der Gruppe der »Freien«oder »Emanzipierten« schreibt er: »Sie begnügen sich nicht damit, die Unsittlich-keit der heutigen Moralitätsbegriffe erkannt zu haben, und die veranlassenden Ver-hältnisse derselben in der ihnen zustehenden Weise zu bekämpfen: sie wollen viel-mehr im öffentlichen Leben beweisen, daß sie darüber >hinaus< sind.« Über dieadäquate Erkenntnis mag man streiten wie in einer philosophischen Schule, für dieVeränderung der Verhältnisse im Rahmen einer Partei sich praktisch engagieren,aber die Bohème tut etwas anderes, sie »beweist«, daß sie in spezifischer Weisenicht dazu gehört.»Das, was sie in sich, in der Kritik durchgemacht und erkannt haben, gilt ihnen für überwun-den; es >existiert< nicht mehr für sie. Dies Negieren einer Existenz, welche, wenn auch ver-werflich, doch noch in der Gesellschaft vorhanden ist, muß in dem tatsächlichen Ausdruckdes Lebens kindisch und lächerlich erscheinen. Allein die Emanzipierten kehren sich nichtdaran, wenn sie mit Philister- und Polizeiwelt in Konflikt kommen, ja es ist ihnen vielmehrein erhebender Beweis ihres eigenen »fertigem Bewußtseins.«185

Es ist, als ob man es mit Wahnsinnigen zu tun hätte, die jeden Realitätsbezug ver-loren haben. Sie erklären Normen für nicht existierend und beweisen dies durch ihrAuftreten.

Dies mag vielleicht angehen, wenn ein Philosoph auf dem Katheder die mensch-liche Willensfreiheit damit »beweist«, daß er nach ausführlichen Erörterungen, erwerde jetzt aus freiem Willen seinen Bleistift fallen lassen, dies auch wirklich tutund erklärt, es stehe ihm frei, dies jetzt gleich zu wiederholen. Aber das »Beweisen«der Bohème spielt sich nicht an einem Orte ab, der für »Beweise« eingerichtet ist,sondern an einem Ort, wo zweifelhaft ist, ob hier überhaupt ein Terrain für Beweisedieser Art gegeben ist.

So rätselt Dronke, was denn jene Zigarren rauchenden, Bier trinkenden »emanzi-pierten Frauen«, die wie Marie Dähnhardt und Louise Aston auftreten, wollen:»Sie wollen damit keineswegs gegen eine Sitte, welche sie als borniert und philisterhafterkannt, mit der allgemeinen Waffe des heutigen, friedlichen Bewußtseins der >Demonstra-tion< zu Felde ziehen; es fällt ihnen nicht ein etwas zu bekämpfen, was für sie nicht existiert.Sie wollen nur ihre innere überlegene >Fertigkeit< zur Schau tragen.«186

Der soziale Sinn, dem Dronke nachrätselt, ist kaum kommunizierbar. Für ihn istder Sinn ein »Zur-Schau-tragen«, ein Sinn, der eben keinen Sinn machen kann,wenn die Demonstration, wie er auch weiß, gerade nicht beabsichtigt ist. DerBegriff Skandalpraxis, den wir im letzten Abschnitt benutzt haben, wäre, so gese-hen, ein AntiBohèmebegriff, der nicht mit der Intention derer, die so auftreten, zurDeckung zu bringen ist, oder bei dem zumindest nicht sicher ist, ob er der Intentionentspricht oder nicht. Diesen Bohèmetyp nennt Dronke die »philosophischen Pos-senreißer« und die »philosophischen Übermenschen«, zu denen er namentlichM. Stirner und B. Bauer rechnet.187

Die zweite Gruppe, die Dronke anführt, ist der »literarische Troß«, der sichüberall »als Anhängsel zu den politischen Parteien findet«. Dieser wisse»nicht, um was es sich handelt, sondern greift nur vom Hörensagen die Stichwörter desTages auf und rasselt hiermit über das geistige Schlachtfeld. (. .. ) In allen Parteien, in allenBlättern, den kleinsten und den größten, und in den letzteren noch am meisten treibt der

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literarische Troß sein Wesen. (. . .) In der Sicherheit der Borniertheit urteilt die Ignoranz desliterarischen Trosses mit der größten Keckheit die Hauptfragen des Lebens ab, indem siesich die philosophische Possenreißerei zum Vorbild nimmt, welche alles >überwunden< und>aufgelöst< hat.«188

Zum »literarischen Troß« rechnet Dronke Mitarbeiter der ALZ, wie Faucherund Reichhard, und er würdigt Marx' und Engels' »Heilige Familie« als eine ange-messene Verspottung dieses Literatentyps.

Hinzuweisen ist auf eine Nuance der Differenzierung: die »philosophischen Pos-senreißer« werden als singuläre Gestalten eingeführt, die etwas »beweisen« oder»zur Schau tragen«, der »literarische Troß« ist ein Massenphänomen. Dronke istgezwungen, die Bohème doppelt darzustellen: als singuläre Absurditäten und alskollektive Ignoranz. Die Doppelung des verachteten »fundamentalen Neuerers«bei Rüge und des »Heeres der Literaten« in der Tübinger Kritik wiederholt sichhier.

Schließlich führt Dronke eine dritte Gruppe an: die »Literaten des Müßig-gangs«.»Die abstrakten Literaten, welche nichts gelernt haben und nichts lernen wollen, bezeich-nen zum Zweck ihrer sog. Literatur den Stil und die Unterhaltung. Da sie mit ernsten Din-gen sich zu beschäftigen keine Kraft und keine Erkenntnis haben, so suchen sie den Ernstund das höhere Bestreben in Mißkredit zu bringen, indem sie offen aussprechen, daß dieLiteratur des Müßiggangs, die sog. Belletristik, keinen höheren Zweck und keinen tieferenGrund haben dürfe.«

Dronke macht deutlich, daß es bei dieser Gruppe um Autoren geht, die vom lite-rarischen Markt abhängig sind. »Ihr ganzes Dasein ist eine literarische Spekulation:sie sehen nur dahin, wo sie Geschäfte machen können, und streben nach dem aller-dings >höheren< Ziel, sich einen Namen zu verschaffen. Sie betrachten die Pressenicht als ein Mittel zum Ziel, sondern als das Ziel selbst. Sie wollen >Literaten<,Schriftsteller sein.« Hierzu rechnet Dronke wiederum in der charakteristischenDoppelung »alle berühmten >Schriftsteller<, deren Werke man von vorn bis hintendurchlesen kann, ohne daß man sich zu sagen vermöchte, weshalb der Mann über-haupt schreibt, ohne ein bestimmtes Streben daran zu finden, ohne Interesse dafürzu fühlen«; und ebenso »die ganze Horde der Schleppenträger dieser Gesinnungs-losigkeit, jene dummen Jungen, welche in belletristischen Blättern und Feuilletonsihr Wesen treiben und gleich der Gaminsliteratur des literarischen Trosses überalles urteilen, von dem sie ihrem Bildungsstand nach nichts verstehen können.«189

Das Dronkesche Bohèmebild ist aus Gruppen und Figuren komponiert, diesoziale Dysfunktionalitäten bezeichnen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegenund zu einem Bild zusammengefügt werden: die singuläre Dysfunktionalität einesübersteigerten Intellektualismus, die kollektive Dysfunktionalität einer viel zuwenig durchdachten modischen Akklamation politischer Parolen, die singulärerfolgreiche wirtschaftliche Spekulation auf dem Literaturmarkt und die Lohnlite-ratur, die beide dysfunktional sind, weil sie Literatur als Selbstzweck, ohne andereReferenz als die der Konjunktur, produzieren. Es handelt sich um Dysfunktionali-täten, die bei aller Verschiedenheit im Bereich der öffentlichen Kommunikationanzusiedeln sind.

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Nicht abweichendes Verhalten schlechthin liegt dem Bohèmebild Dronkeszugrunde, sondern Störungen der Kommunikation, die entweder durch ein Zuvieloder durch ein Zuwenig an >Intelligenz< hervorgerufen werden, die entweder durcheine zu starke Bindung des kommunikativen Ausdrucks an die Überzeugungenoder durch ein viel zu schwaches Band zwischen »Gesinnung« und kommunikati-ver Tätigkeit gekennzeichnet sind. Wenn öffentliche Kommunikation auf der Ideeder Wirksamkeit von Aussagen beruht, so strapaziert der »philosophische Possen-reißer« den Wirkungszusammenhang, weil er Selbstverständlichkeiten voraussetzt,die erst noch zu erklären wären. Der »literarische Troß« dagegen strapaziert denWirkungszusammenhang von öffentlicher Kommunikation, weil er ihn mit seinenmassenhaften und redundanten Akklamationen und Aburteilungen über-schwemmt. Die wenigen erfolgreichen und die vielen sich an diese anhängendenSchriftsteller der »Literatur des Müßiggangs« strapazieren die öffentliche Kommu-nikation, weil sie diese nicht mehr als Mittel für kommunikative Zwecke, sondernals Erwerbsquelle >mißbrauchen<.

Angesichts dieser Strapazierungen der öffentlichen Kommunikation als eines>Hauptnervs< der Gesellschaft wird die Spannung zwischen soziologischem Verste-hen und asoziologischem Phänomen deutlich. In der Bohème kristallisieren sichunter diesem Blickwinkel all jene extremen Dysfunktionalitäten, die dem Projektder Distribution der Vernunft inhärent sind. Sowohl die geschichtsphilosophischeThematik des avantgardistischen »Darüber-hinaus-Seins«, die rasch in ein Nach-hinken (»Troß«) umschlagen kann, wie auch die sich verschränkenden Thematikender >Existenz von Vernunft< in der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Exi-stenzprobleme der >Vernunftträger< finden sich in den Stücken wieder, aus denendas Bohèmebild zusammengesetzt ist.

Der Beitrag zur Bohème, den der Soziologe P. Honigsheim 1923 veröffentlichthat, unterscheidet sich nicht nur in Bezug auf die Professionalität von den Ausfüh-rungen Dronkes.190 Dieser hatte in den 40er Jahren die Berliner junghegelianischejournalistische Bohème vor Augen, Honigsheim kann sich schon auf die entfalteteVorkriegs-Bohème beziehen. Honigsheim hat seine Primärbeobachtungen imberühmten Heidelberger >Cafe Häberlein< in dem Aufsatz mitverarbeitet. Wäh-rend Dronke die Bohème gleichsam als Summation verschiedener Dysfunktionali-täten zusammensetzt, versucht Honigsheim, Bohème als reinen Typus im SinneWebers zu beschreiben, in dem sorgfältig Mischformen und Sonderfälle aussortiertwerden.

Zur Bohème reinen Typs gehören Honigsheim zufolge keine Angehörigen vonPariaklassen, auch nicht wandernde Unterhaltungskünstler. Die Form der Bohèmewird abgesetzt vom »weinseligen Philologen- und Historikerkreis« ebenso wie vonStammtischen, Klubs, Salons, Künstlerzeitschriften, Fünfuhrtees etc. Auch die»esoterische Gemeinde« von Dichtern und Gemeinschaften der Jugendbewegungsind von der Bohème zu sondern. Für Honigsheim stellt Bohème»einen Gegenschlag gegen Formen dar, die als typischer Ausdruck des Gemeinschaftsda-seins angesehen werden, z. B. gegen die Familie, privilegierte Stände usw. Andererseitserscheinen uns diese als Gebilde, die in den Zeiten, in denen wir es mit Bohème zu tunhaben, zwar tatsächlich weitgehend zweckrational und vergesellschaftet worden sind, die

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aber noch mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit und auf verpflichtende Bindung desIndividuums auftreten. Gegen diesen Rest von Gemeinschaft oder gegen diese Pseudoge-meinschaft wendet sich die Bohème.«191

Die bei Honigsheim dahinterstehende Tönniessche Unterscheidung von>Gemeinschaft< und Gesellschaft< wird man heute nicht unbesehen übernehmenkönnen; wichtig an seinen Ausführungen ist die Beobachtung, daß sich Bohèmekritisch gegen soziale Formen richtet, die als »Pseudogemeinschaft« erlebt werden.Das >asoziale< Moment von Bohème, die Abwehr von gesellschaftlichen Bindun-gen, richtet sich in erster Linie gegen >hochgehaltene< Formen des Sozialen. Wo esim Prozeß der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme und der >Rationa-lisierung< gesellschaftlicher Beziehungen zu Reaktionsbildungen kommt, die Rück-besinnungen auf bedrohte, stark werthaft erlebte soziale Formen fordern, Reak-tionsbildungen, die einen sozialen Zusammenhalt >einklagen<, ergreift die BohèmePartei gegen derartige Rettungsversuche.

Für Honigsheim besteht unter religionssoziologischer Perspektive eine »Kausal-relation« zwischen Katholizismus und Bohème. Bohème habe sich zunächst außer-halb des protestantischen Kulturkreises entwickelt und sei mit zunehmender Inter-nationalisierung und Interkonfessionalisierung auch in protestantischen Städtenaufgetreten. Diese These kann hier nicht ausführlich erörtert werden. Aber die vonHonigsheim bemerkte Bindung des Auftretens der Bohème an gegenreformatori-sche Bestrebungen trifft für die junghegelianische Bohème in Berlin durchaus zu,wenn man bedenkt, daß es gerade die katholisierenden Tendenzen im preußischenProtestantismus gewesen sind, auf die die junghegelianische Bohème mit ihrerblasphemischen Verspottung reagiert. Die Debatte um den »christlichen Staat«,die Einführung einer strengeren »Sonntagsfeier«, wird von den Junghegelianernnicht nur theoretisch als Gegenreformation eingestuft, sondern auch als Etablie-rung von >Pseudogemeinschaft<, deren Unglaubwürdigkeit bloßgestellt wird.

Mit Hilfe der Honigsheimschen Überlegungen läßt sich auch das Spannungsver-hältnis zwischen einer Bohèmekritischen >Soziologie< und Bohèmeaffirmativen>Asoziologie< erhellen. Wo die Bohème sich von existierenden sozialen Formenabsetzt, sie nicht aus der Not eines intellektuellen Proletarierdaseins, sondern mitBewußtsein >negiert<, korrespondiert sie mit Tendenzen, die sich der sozialen For-men, die als bedrohte unverzichtbare Sinnreservoire erscheinen, besonders verge-wissern wollen. Bohème reagiert auf eine besondere Betonung des Sozialen, auf dis-kursive Zudringlichkeiten, die entstehen, wenn im Prozeß der Modernisierung dassoziale Feld sich umstrukturiert.

Die Bohème >beweist<, daß man auch anders leben kann. Sie negiert den Zwangs-aspekt sozialen Lebens. Insofern erscheint sie als Gegenstand einer >Asoziologie<.Wo der Soziologe auf der prinzipiellen Unübersteigbarkeit der Tatsache >Gesell-schaft< insistiert, gerät ihm die Bohème zu einem schwer greifbaren asozialen Rest.Um dem zu entgehen, müßte der Soziologe einsehen, daß es nicht zuletzt vielleichtauch sein eigener Diskurs ist, der, weil er das Soziale besonders dringlich heraus-stellt, weil er auf die Absolutheit von Gesellschaft und ihrer unentrinnbaren Imma-nenz pocht, gerade den asoziologischen Schatten mitbewirkt. Eine Soziologie derBohème gelingt nur, wenn sich der Soziologe zumindest einmal gedankenspiele-

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risch darauf einlassen könnte, daß er mit seinem professionellen Gegenstand aucheinem Phantasma folgt, das Konterphantasmen auf den Plan ruft.

Der Vorwurf der »Pseudogemeinschaft« läßt sich vom Soziologen auf dieBohème und von dieser auf soziologisch hervorgehobene soziale Formen hin- undherschieben. Honigsheim, der von der Bohème ebenso angezogen wie abgestoßenist, kommt zum Schluß seines Aufsatzes zu einer charakteristischen Formulierung.Wo es für ihn um die Entwicklung neuer sozialer Formen geht, die er sich als »Syn-these aus Gesellschaft und Gemeinschaft« vorstellt, muß die Bohème, d. h. bei ihm»jedes Sichheraussondern aus der Kampffront (!), jedes Esoteriertum, ja sogar infolge derDringlichkeit und Unaufschiebbarkeit der Aufgabe, zu der es sonst rettungslos zu spät seinkönnte, eine Hervorhebung des Privatlebens als eines Eigenwertes und Selbstzwecks abge-lehnt werden. Mag also für vergangene Kulturperioden, mag ferner, von einem anderenBlickpunkte aus betrachtet, Bohème und so manche angrenzende (...) esoterische Lebens-form, die vielleicht etwas eminent Geistiges an sich hat, als besonders sinnvoll erscheinen, -von dem oben skizzierten Standorte (der Notwendigkeit einer »Synthese aus Gesellschaftund Gemeinschaft«, d. V.) aus geschaut, muß sie als Kraftentziehung bedauert werden.«192

Trotz aller sozialen Einfühlung, die Honigsheims Text kennzeichnet, sein Urteilist eindeutig: die Bohème ist dort nicht zu gebrauchen, wo noch gesellschaftlicheProbleme gelöst werden müssen. Bohème entzieht sich nicht bloß Bestimmungeneines gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs, sie widersetzt sich auch derRede von historischen Aufgaben.

Was sich in der Analyse der literarischen Darstellungen abzeichnete, wird auchhier deutlich. Die Bohème reinen Typs bricht mit der geschichtsphilosophischenThematik, in deren Auffaltungen sich die Korrespondenten des >Weltgeistes< zuverorten suchten. Für die Bohème steht die Zeit still, und die Existenz der Vernunftin der Gesellschaft ist mit ihrem Auftreten je schon gesichert. Diese luxurierendeSelbstgenügsamkeit fällt ihrem Selbstverständnis nach aus der Geschichte und derGesellschaft heraus, weil sie als Pseudogeschichte und Pseudogesellschaft erlebt,was anderen - und gerade auch Soziologen - unverzichtbare Referenzen eigenerintellektueller Selbstvergewisserung sind.

7. Die »schiefe Stellung« der Intelligenz

Das Treiben der Berliner Teilgruppe um B. Bauer ist in den Augen der Zeitgenos-sen wie auch der Junghegelianer, die Heß oder Ruge folgen, »frivol«. Was heißt»frivol«? In der junghegelianischen Polemik hat das Wort bis 1842 eine klar umris-sene Bedeutung. Frivolität meint zunächst die aristokratische Geselligkeit des18. Jahrhunderts. Für Heß ist das 18. Jahrhundert gekennzeichnet durch die»Nüchternheit« der Aufklärung und die »Frivolität« der Aristokratie. »Die >Nüch-ternheit< war es gerade, die der >Frivolität< Ende des 18. Jahrhunderts heilbringendentgegentrat. Die verständige, menschliche Besonnenheit setzte der alles Maßüberschreitenden Frivolität Schranken.« Eine Wiederauferstehung der Frivolitätsieht Heß in der romantischen »mittelalterlich-reaktionären Partei«, die sich »wie-der rücklings in jene maßlose Frivolität, in jene tierische Willkür stürzen«möchte.193

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Heß greift hier die Analyse der Romantik auf, die Ruge 1839/1840 zusammen mitEchtermeyer in einem umfangreichen Artikel in den HJ dargelegt hatte. Die»romantische Praxis des raffinierten Kitzels (der für nichts erglühenden und nie beider wahren Sache beteiligten ironischen Subjekte)« ist für Ruge »das frivoleBewußtsein, welches nur >Spaßes halber< und des Egoismus halber stilisierte undBulletins schrieb«. Die Form, in der diese »Frivolität« ins Leben tritt, ist der Salon,»eine Aristokratie der Geistreichen, eine exclusive Geselligkeit mit stereotypen For-men ästhetischer Convenienzen«. Die Beschäftigung mit literarischer Tradition isthier »nur ein konventionelles und soziales Phänomen. (. . .) Sie ist ein Rezept, in 24Stunden geistreich zu werden.« Motor der Gruppenbildung sei der »Reiz der Eitel-keit«, durch ihn »erreicht es die exklusive hochmütige Genialität, anstatt die Men-schen, wie man vermuten sollte, abzustoßen, sie vielmehr anzuziehen und einenansehnlichen Kreis von Nachtretern und Anbetern um sich zu versammeln.« Diese»Gemeinde der Rezeptiven« widersetze sich aber trotz aller Hierarchie und»Unfreiheit dennoch keineswegs gegen das Neue; nur ist das Neue in ihrem Sinnevielmehr das Aparte, das ganz Besondere, das Exklusive«.194

In Ruges Perspektive gerät diese Geselligkeit notwendigerweise in eine realitäts-inadäquate, fiktive Position.

»Nicht an die wirkliche Substanz des jetzt mächtigen Geistes, sondern an die fingierte undvorgebliche Substanz des jetzt bereits ohnmächtigen Geistes geben diese feinen, nur auf dasfreie Spiel ihres genialen Ich bedachten, nach aparter und ganz besonders pikanter Speiselüsternen Subjekts sich hin.«

Außer der fiktiven Ebene zählt nichts. So bestehe die Gesellschaft von Tiecks»Phantasus« nur aus

»Dichtern (. . .), aus lauter Leuten, die ihr Gedicht, ihr Märchen, ihr Drama machen können,sodann aus bloß Setenden; keiner hat eine Stellung, ein objektives Verhältnis, ein Geschäft;sie sind sämtlich Diletanten des Lebens. Dieser Theodor, Friedrich, Lothar usw., blasseNamen ohne Charaktere tragen uns ihre Räsonnements und Schrullen vor; alles bleibt dabeiim Dämmer und in der Schwebe; es wird viel Anstalt gemacht, aber nur um vorübergehen-der psychologischer Pointen willen; kein einziger der Sprechenden hat eine Geschichte,nicht einmal eine Physiognomie«. "5

Nach diesem Muster seien auch die romantischen Salons eingerichtet. Die »Fri-volität« des 18. Jahrhunderts kehrt für Ruge in der romantischen Ironie wieder,nicht nur bei Tieck, auch bei Heine, dessen Dichtung »Poesie des Indifferentis-mus« ist.196 Geschichtslosigkeit, Oberflächlichkeit, mangelnde Fundierung, locke-rer Umgang mit sittlichen Moralgeboten, Apartheiten - diese Charakteristika der»Diletanten des Lebens« gehen schließlich über in die Typisierung der Berlinerjunghegelianischen Boheme.

Nicht übersehen werden darf jedoch, daß der Vorwurf der »Frivolität«, so sehrer auch, zunächst von der Debatte um das Verhältnis von Theorie und Masse ausge-hend, von den Junghegelianern um Heß und Rüge den Berlinern gemacht wird,sich rasch in den Debatten ausbreitet. Züge einer geschichtslosen, oberflächlichen»Frivolität« werfen die Berliner auch den Kölnern vor. So wehrt sich z. B. Koppenin einer Korrespondenz in den NB gegen das Schreiben eines Kölners, der »die ste-rile Weise der Bauerschen Abstraktion« angreift. Dem Kölner wird erwidert:

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»Du hast keine Ahnung davon, wieviele Stimmen bei einem Worte, einer Phrase laut werdenund wie ganze Chöre radikaler Korrespondenten, die, während ich dieses schreibe,irgendwo in einer Wein- oder Bierstube >hausen<, Bier von Potsdam trinken und Zigarrenvon Havanna rauchen, plötzlich emportaumeln und in wüstem Auf- und Niederwogen feier-lich durcheinander murmeln: Bauersche Abstraktion!«197

Der Berliner Köppen macht den Kölner darauf aufmerksam, daß dessen Formu-lierungen auch nicht dagegen zu immunisieren sind, von einer »frivolen« Bohèmeoberflächlich aufgegriffen zu werden.

Oberflächlichkeit und >Frivolität< sind umstrittene Zonen auch in der Korres-pondenz, die B. Bauer von einem Sympathisanten erhält, der Bauer von seiner Aus-einandersetzung mit einem Bauer-Gegner berichtet:

»>Auch sind, fuhr er (der Bauer-Gegner, d. V.) fort, die Bauers zu frivol; ein bißchen mehrErnst in der Behandlung der so wichtigen Fragen könnte ihnen nicht schaden.< - SieheDeutsche Jahrbücher, erwiderte ich, letzter Jahrgang, eine der letzten Nummern. >Jawohl,antwortete er, nur hat Ruge die Sache noch nicht tief genug aufgefaßte Wie tief er selber sieeinfasse, konnte ich nicht herausbekommen: Denn natürlich ist ihm die Frivolität nur nochmehr zur Redensart geworden, als dem Rüge, dem es damals noch wenigstens ernst mit derSache war. Mein Freund aber, damals selbst einer von den >Frivolen< und jetzt natürlich,weil seine Frivolität nur eine selbstgemachte Götzin war, auf den Standpunkt des gesin-nungsreichen Ernstes herabgesunken, hat auch den Ausdruck >Frivolität< sich nur ange-schafft, um sich vor dem Denken zu wahren: es wäre ja frivol, den Sachen auf den Grund zusehen, man muß immer mit einer gewissen heiligen Scheu sich ihrer Betrachtung überlassen,d. h. sich mit ihrem Namen und ihrer Außenseite begnügen und betrügen, die man dannauch nicht einmal hat, weil man ihren Inhalt nicht durchdenkt. Frivolität scheint ihm anEuch (die Brüder Bauer, d. V.) die die Sache beherrschende und durchdringende Leichtig-keit der Behandlung, die Beherrschung der Kategorien, die durch Studium gewonnene Ein-sicht, kurz und gut, die Herrschaft über die Gegenstände; er macht es sich mit den Sachenleicht, ihr macht die Sachen leicht. Bei all seinem Es-Sich-Leicht-Machen drückt ihn dochdas dunkle Gefühl, daß ihm die Sachen ebenso schwer und undurchgeistet bleiben, wie vor-her, daß sie ihm undurchdrungen, unüberwunden gegenüberstehen: Da tröstet er sich abermit dem Worte >Gesinnung<, diese Phrase hat ihn über die kindische Art, sich über Sachenzu setzen, hinweggeholfen.«198

Der Diskurs hat sich verdoppelt. Der Vorwurf der Frivolität wird selbst ober-flächlich, zur >selbstgemachten Götzku. Und das ganze wird noch einmal verdop-pelt, indem dieser Brief in der ALZ abgedruckt wird. Die Phrase der >Gesinnung<ist auch nur ein oberflächlicher Übersprung, ein Übersprung über den anderenÜbersprung, sich >kindisch< über Sachen hin-wegzusetzen.199

Woher rührt diese Ubiquität des Frivolitätsverdachts in den junghegelianischenDebatten? Mit den Positionen in der Debatte um das Verhältnis von Theorie undMasse schien eine eindeutige Verteilung der Attribute gesichert: >emsthaft<,>authentisch< sind jene Intellektuelle, die sich im geschichtsphilosophisch ausge-machten historischen Subjekt< verankern, hier ihren Boden haben, der sie vor dentückischen Verselbständigungen des Intellektualismus bewahrt; >frivol<, >ober-flächlich< sind jene Intellektuelle, die die Einsamkeit der Kritik notgedrungenwenigstens zeitweise aufgeben müssen und deren gruppenmäßiges Auftreten zumSkandalmachen führt. Was diese eindeutige Verteilung der Attribute, die in derLiteratur häufig wiederholt wird, verdeckt: in beiden Versionen, der Heßschen

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>Theorie und Masse< und der B. Bauerschen >Theorie statt Masse< handelt es sichum eine Verarbeitung der Aporien eines geschichtsphilosophisch definiertenSelbstverständnisses als Avantgarde.Ein Anonymus >aus Berlin< hat in den >Anekdota< die Aporien so beschrieben:

»Die Männer der kritischen Bewegung werden wohl darauf resigniert haben, daß sie aufjedem Schritt und Tritt von dem Beifall der Masse werden begleitet werden. Die Masse ( . . . )schenkt zwar anfangs, wenn etwas Neues auftaucht, demselben eine augenblickliche Auf-merksamkeit, aber wenn der Ernst der Bewegung größer wird, tritt sie zurück, wird sieschwankend, oft irre, und erst wenn das Resultat fertig auftritt, wird ihre Teilnahme wiederlebhafter erregt, weil sie sich nun für oder gegen entscheiden muß. Es gehört daher ein gro-ßer sittlicher Ernst dazu, wenn Männer eine Aufgabe übernehmen sollen, deren Durchfüh-rung sie so vielen Gefahren und selbst der Gefahr, daß sie für längere Zeit allein dastehen,aussetzt. Diese Sittlichkeit ist durchaus anzuerkennen. Die größte Prüfung, die sie bestehenmüssen, besteht darin, daß selbst Leute, die mit ihnen anfangs gemeinsam arbeiteten, ausIndolenz, Schwäche, Klugheit oder Berechnung zurücktreten - ja wohl gar auf die andereSeite hinübergeworfen werden.«200

Jeder Intellektuelle, der sein Denken in irgendeiner Weise als geschichtlichbedeutsam ansieht, steht vor dem Problem der Anpassung bzw. des Aushaltens derNichtangepaßtheit seiner Ideen im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern derGesellschaft. Es liegt im Begriff der Avantgarde, daß zwischen ihren Vorstellungenund denen der Massen ein Abstand liegt. Streitpunkt innerhalb einer avantgardisti-schen Intellektuellengruppe wird daher immer das Maß des Abstands sein. Es gehtum die Fragen: Wie stark darf oder soll die Avantgarde ihre Lernprozesse gegen-über denen der Massen beschleunigen? Ist sie verpflichtet, sich pädagogisch zuassimilieren und die Weiterentwicklung der Kritik sich zeitweise zu versagen, bisdie geschichtliche Nachhut< sich weiterbewegt hat? Was heißt Stärke und Schwä-che in diesem Zusammenhang? Ist die größere Entfernung von der Masse ein Zei-chen der Stärke der Avantgarde, wie die Gruppe um B. Bauer annimmt, eineStärke, die geschwächt würde, wenn pädagogische Kompromisse gemacht wür-den? Oder ist die Nähe zu den Vorstellungen der Massen ein Zeichen der Stärke,weil der Intellektuelle sich die harte Probe der Überwindung auch noch der rück-ständigsten Ansichten auferlegt?

Für geschichtsphilosophisch orientierte Intellektuelle ist dies Problem beson-ders gravierend. Der Geschichtsphilosoph weiß um das Ziel der Geschichte, aberer kann dies Wissen nur in der von ihm identifizierten >Vorstufe< an den Mann brin-gen. Heß muß für die Theorie jetzt eintreten, obwohl er weiß, daß Theorieproduk-tion als abspaltender Sektor >in letzter Instanz< falsch ist, Marx muß für die Ent-wicklung des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft eintreten, obwohl erweiß, daß diese Politik nicht seinem Bewußtsein entspricht. Bauer dagegen mußumgekehrt die Kritik asozial werden lassen, um sein Wissen über den Ausgang derGeschichte sicherzustellen. Individuell mögen diese Dilemmata noch auszuhaltensein, aber eine Gruppe muß an ihnen zerbrechen, weil eine diskutierende und Ent-scheidungen fällende Gruppe sich nicht nur über die jeweilige Stufe, auf der mansich befindet, einigen muß. Das wäre vielleicht noch kollektiv möglich, aber siemuß sich gleichzeitig auch noch gegenseitig des Arkanums versichern, das das Zielder Geschichte ist. Die Gruppe steht so vor dem Problem der doppelten Loyalitä-

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ten. Geschichtsphilosophisch gesprochen: Der Loyalität der Stufe gegenüber undder Loyalität dem letzten Ziel gegenüber. Und weil die Gruppe beide Loyalitätennur gemeinsam besprechen kann, ist der Verdacht der Illoyalität unausweichlich.

Engels hat später in >Der deutsche Bauernkrieg< am Beispiel Thomas Münzersdas Problem der Avantgarde rückblickend beschrieben. »Es ist das Schlimmste,was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird,in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif istfür die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßre-geln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert.« Dieser Intellektuelle befindet sich»notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinemganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seinerPartei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist, mit einem Wort gezwungen, nichtseine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewe-gung gerade reif ist. Er muß im Interesse der Bewegung selbst die Interessen einer ihm frem-den Klasse durchführen und seine eigene Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit derBeteuerung abfertigen, daß die Interessen jener fremden Klasse ihre eigenen Interessen sind.Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren.«201

In eine »schiefe Stellung« geriet aber auch Marx mit seiner Forderung nach einerbürgerlichen Revolution gegenüber den Junghegelianern um B. Bauer, für die dasbürgerliche Parteiwesen schon mit dem 18. Brumaire bankrott gemacht hatte. Ineine »schiefe Stellung« geriet B. Bauer mit seinen Thesen über die Einsamkeit derKritik gegenüber den Kölnern, die darin einen Verrat an der geschichtlichen Praxissahen. Der latente Vorwurf des Verrats aus Schwäche, Schwäche der Anpassung andie Massen, Schwäche der Einsamkeit des Theoretikers, weist auf ein der Gruppegemeinsames Muster hin, das durch die gegenseitige Polemik verdeckt wird.

>Schwäche< ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt und Erfahrungshorizont derGruppe. Die Massen, auf die Heß und Marx zur Stärkung der Theorie reflektieren,sind lediglich virtuell starke Mächte. 1843/44 sind es arme, elende, hilflose Proleta-rier. Ebenso ist bei Bauer die Schwäche der Kritik der Ausgangspunkt. Der Kritikeroffenbart »die Bekenntnis einer schwachen Seele«, der er selbst ist.202 Kritik wieProletariat sind jedes für sich bloß virtuelle Stärken, es handelt sich um Imaginatio-nen der Stärke. Auch ihr mögliches Zusammenfallen ist eine geschichtsphilosophi-sche Konstruktion, die ihre Wirklichkeit zunächst nur in dem hat, der sie entwirft.Nach herkömmlicher Weise wird man sagen können: Der gemeinsame Boden, aufdem solche Imaginationen wachsen können, ist die soziale Lage einer deklassiertenIntelligenz. Wenn Heß das Eintauchen des Intellektuellen in die Massen fordert, soist die Form der Auflösung des Status der Intelligenz nicht weit entfernt von der»Einsamkeit« der Bauerschen Kritik. Es handelt sich um parallele Bewegungen derDefinition eines Deklassiertenstatus. Das Heßsche Extrem der Selbstaufgabe inden Massen und das Bauersche Extrem der Ablösung von allem Sozialen fälltzusammen in der auf die Spitze getriebenen Selbstkritik der Intelligenz. Dem ent-spricht, daß der Vorwurf des >Bankrotts< gegenseitig ist. Ebenso wie Bauer Selbst-kritik der Gruppe fordert, heißt es bei Heß: »Der Junghegelianismus hat alles kriti-siert, nur sich selber nicht.«203

Die »schiefe Stellung« der junghegelianischen Intelligenz ist verantwortlich fürden von allen Seiten aufbrechenden Vorwurf der »Frivolität«. Als Avantgarde

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nimmt jede Teilgruppe qua geschichtsphilosophischer Selbstvergewisserungbestimmte Elemente der Realität nicht mehr so ernst, sie setzt sich darüber hinweg,aber dies kann ihr ebenso als »Frivolität« ausgelegt werden. Umgekehrt kann jederBezug zu Elementen der Realität, der vorgenommen wird, als rückständiges Ver-harren in Konventionalismen kritisiert werden, das einer Avantgarde unwürdig ist.Die Bewegungen der Auflösung des Intellektuellenstatus sind in diesem Zusam-menhang als Immunisierungstechniken verstehbar, die mithelfen, die geschichts-philosophische Selbstverortung dem Strudel der Diskussion zu entziehen.

Die Aporien der junghegelianischen Avantgarde sind von E. Bauer in einerRomanszene literarisch gestaltet. Es handelt sich um einen fiktiven Dialog »überBequemlichkeit«, in dem die Unsicherheit über das, was authentische >Gesinnung<und was >Frivolität< ist, im Austausch der Argumente exemplarisch entfaltetwird.204 Cäcilie und Ernst streiten sich darüber, ob Bequemlichkeit eine Konse-quenz der Gesinnung oder der Frivolität sei.

Cäcilie mißtraut dem >frivolen< Treiben, weil aus ihm heraus keine zuverlässigeBindung entstehen kann. Sie befürchtet, eines Tages mit dem Spruch: »Alles aufder Welt ist Illusion« verlassen zu werden. Für Cäcilie ist die Desillusionierungs-Strategie eine Bequemlichkeit.»Es gehört Kraft dazu, zu lieben, da mußt Du Ausdauer in Freud und Leid, da muß DeineSeele die Kraft besitzen, in einen Himmel voll Seligkeit hinanzusteigen, da muß Dein Geistfähig sein, durch die Hölle der Mutlosigkeit und des Verzagens hindurchzuwandern. (. . .)Siehst Du, mein Freund, diese Kraft, diese Ausdauer, dies Nachdenken der Liebe, scheuestDu und Deine Frivolität ist nichts als feige Bequemlichkeit.«

Ernst antwortet:»Du hast nicht die Erfahrungen gemacht, welche ich machte, ich habe die Menschen ken-nengelernt. Du wirfst mir Bequemlichkeit vor: Nun gut ich habe gefunden, daß alle jenePrinzipien, mit denen man großtut, nichts als die Erfindungen bequemer Phantasie sind. Siealle schienen mir Vorspielungen, spanische Wände, hinter denen sich die Leidenschaftendes niedrigsten Egoismus, der beschränktesten Sinnlichkeit verbergen.«

Cäcilie gibt sich nicht geschlagen und erwidert:»Wenn alles so wäre, wie es Dein von so bequemen Zweifeln angesäuerter Verstand zu sehenglaubte, hast Du nicht einen Trugschluß getan? (. ..) Tor, Du glaubtest Dich im Kampfe, imGegensatz zu der Gesellschaft; und Du würdest doch weiter nichts getan haben, als daß Duin erhöhter Steigerung ihren Charakter Dir angeeignet hättest.«

Cäcilies Gegenargument entspricht der Position, die z. B. Heß in den »LetztenPhilosophen« gegenüber B. Bauer und Stirner ausführen wird. Einen Ausweg fin-det Ernst, indem er sich auf das B. Bauersche Selbstbewußtsein zurückzieht:»Nicht doch (. . .), glaube nicht, daß ich ganz ohne Stütze, ganz sonder Prinzip durch dasLeben dahintaumele. An mir selbst habe ich meinen Halt. Nachdem ich die Menschen ken-nen gelernt, nachdem ich gesehen, wie sie, gleichsam berauscht, von einem Interesse in dasandere taumeln, ohne einen Mittelpunkt finden zu können, habe ich in mich selbst michzurückgezogen, an meinem Ich habe ich mir einen Kern gebildet; an meinem Ich habe ichdas Orakel gefunden, welches mir alle Fragen beantwortet, alle Kollisionen löset, über alle

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Kämpfe mich hinwegsetzt; mein Ich würde mir Absolution geben, wenn ich derenbedürfte.«

Cäcilie dreht den Spieß um und greift Argumente auf, wie sie Marx und Engelsin der »Heiligen Familie« formuliert haben:»Ei wie, der Frivole entdeckt sich ja mit einem Male als ein Schwärmer, als ein Fanatiker, jaals der schlimmste Fanatiker, als Ich-Fanatiker. Dieser Ungläubige, wie gläubig ist er, wiehat er an seinem Ich den Gott, vor dem alles Endliche nicht besteht, vor dem alles Feste sichauflöset, vor dem alles menschliche Interesse unbedeutend ist. O, wieviel widerlicher ist diesIch als alle Frivolität, wieviel widerlicher dieser Kern als die taube Nuß. Mein Lieber, Duglaubst einen Zepter in der Hand zu haben und Du hast doch nichts, als eine Narrenprit-sche.«

Der Streit setzt sich anhand des Themas »Menschenliebe« fort, die für Ernst»nichts anderes ist, als Bequemlichkeit. Du wagst es nicht, das Leiden in seiner ganzenschrecklichen Gestalt zu erkennen und zu untersuchen; durch Dein phantastisches Wirkenwillst Du dich über dasselbe hinwegsetzen, zufrieden, hie und da geholfen, befriedigt, ausdem Gesichtskreise deiner Augen den schwärenden Lazarus vertrieben zu haben.«

Die Auseinandersetzung gewinnt eine neue Qualität, als Cäcilie darauf insistiert:»Und doch hast Du nicht das Recht, mir diese Menschenliebe zu nehmen.« Cäcilieshumanistischer Glaube an die Entwicklungsmöglichkeiten der Gattung ist eineebenso unanfechtbare Position, wie Ernsts freies Selbstbewußtsein. Der ErzählerE. Bauer kommentiert die Situation:

»Cäcilie hatte Ernst bei seiner schwachen Seite getroffen. Die Unsicherheit seiner Frivolitätfühlte sich augenblicklich gereizt, sowie ihr ein Glaube, wie der Cäciliens in seiner ganzenReinheit und Kraft gegenübertrat; er ahnte es, daß er keine Waffen habe, um diesem Glau-ben auf irgend einer Seite anzukommen, sein Spott prallte machtlos ab, seine Gleichgültig-keit wurde bemitleidet.«

Eine neue Runde der Auseinandersetzung beginnt. Ernst gibt zu, wie sehr erCäcilie beneide: »Du brauchst Dir nicht die Aufgabe zu stellen, den Grund einesÜbels zu untersuchen, denn Dein Glaube hat Dir ein allgemeines Mittel gegen allesÜbel an die Hand gegeben.« Cäcilie merkt die Zweideutigkeit dieser Klage.»Du täuschest mich nicht durch diesen Ton. Auch meine Lebensansicht willst Du als einesolche schildern, welcher der Ernst des Bestehenden, der Grund der Dinge unbekannt unddie Untersuchung ein Gegenstand feiger Flucht ist. Du meinst ich suchte mich durch einenbequemen Glauben über die Furchtbarkeit vorhandener Gebrechen hinwegzusetzen.«

Cäcilie insistiert auf den humanen Wirksamkeiten, die ihre Auffassung hervor-bringen kann. Sie fordert Ernst auf, sich als schiffbrüchigen Robinson zu denken.»Nun hast Du aber Werkzeuge und Unglücksgefährten bei Dir. Wärst Du nicht einTor, wenn Du, statt diese Werkzeuge anzuwenden, statt diese Gefährten zugemeinsamer Arbeit aufzumuntern, Dich hinsetzen und nur Deinem Hohn überjene Wildnis Luft machen wolltest.« Notwendig sei doch vielmehr, eine zivilisie-rende Praxis zu entfalten, die mit >Gesinnung< einhergeht. Geschichtsphilosophi-sche Gewißheit sei kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, wie Phantasie undZivilisation.

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Cäcilie erläutert ihr Robinson-Beispiel:»Merktest Du, was ich mit diesem Vergleiche sagen will? Für Dich ist das Leben diese wüsteInsel und bleibt es; Deinem verzweifelnden Auge, Deinen höhnischen Blicken zeigen sichAbgründe und Moräste und Klippen und Wildnisse, ist es mir aber zu verdenken, wenn ichdie Werkzeuge anwende, welche mir gegeben sind, um den Aufenthalt in diesem Lebenannehmlich zu machen? Und diese Werkzeuge sind der Glaube, die Phantasie und die Zivi-lisation: Du mit Deiner bequemen Frivolität wirst die Welt nicht anders machen, als sie ist:ich mit meiner Religion, meiner Poesie und meiner Bildung mache sie vielleicht nicht anders,aber ich bringe es doch wenigstens dahin, sie anders zu sehen.«

Hier bahnt sich die 11. These über Feuerbach von Marx an: Aus Cäcilies »dieWelt vielleicht nicht anders machen« aber »wenigstens anders sehen« wird Marx'sicheres Diktum vorn »nur verschieden Interpretieren«, das zu Gunsten des Verän-derns der Welt aufzugeben sei. Aber Robinsons Insel ist nicht die Welt. Hier setztErnst ein und wirft Cäcilie vor, sie würde sich nur abschirmen, räumlich und zeit-lich, indem sie eine geschichtliche Zielbestimmung fixiere. »Ist es die Bestimmungdes Menschen, für sich und abgeschlossen ein bequemes Leben zu führen, so hastDu Deine Bestimmung erfüllt, ist er allein mit seiner verächtlichen Glückseligkeitnicht das Ziel der Schöpfung, so bist Du auch nicht weiter gekommen als ich.«

Cäcilie läßt sich nicht beirren. E. Bauer gibt ihr das letzte Wort, indem sie,gleichsam die Argumente der Kölner Gruppe zusammenfassend, die absolute Halt-losigkeit und Unglaubwürdigkeit der Auffassung ihres Kontrahenten zum Aus-druck bringt.»Das wußte ich schon, antwortete Cäcilie, daß Du auf Dein gewöhnliches Steckenpferd, aufdie Zivilisation zurückkommen würdest. Das sind so Eure Redensarten von nicht allgemeingenug, von Egoismus, von Ausschließlichkeit, aber einleuchtend könnt Ihr die Sachen nie-manden machen, Ihr könnt nicht weiter als bis zu jenen ganz bequemen und geläufigenRedensarten. Ich dächte, Ihr müßtet nachgerade der Sache müde sein, abgesehen davon,daß es wirklich schimpflich bequem ist, mit ein paar Worten, wie Freiheit, Gleichheit,Humanität, Gesinnung, Deine ganze Gesellschaft umstürzen zu wollen. Doch, was sage ichdenn, Du bist ja auch, wie Du Dich rühmst, schon längst über diese Dinge hinaus und -ungeheures Ergebnis! - Du verstehst es jetzt, über dieselben ebenso gut zu spotten und ihreBeschränktheit nachzuweisen, wie Du früher durch sie die Nichtigkeit des Bestehendendemonstriertest. Jetzt bist Du ein bloßer Schwätzer geworden, über die geringste Kleinigkeitweißt Du Auskunft zu geben, das heißt, über sie mit einem Schwall von Worten abzuspre-chen; und ich gestehe es Dir zu, Du hast den Gipfel der Bequemlichkeit erstiegen. - Und Dustehst neben mir. Kennst Du denn die Menschen?«

In eine »schiefe Stellung« gerät Avantgarde nicht nur in ihrem Verhältnis zurMajorität der Gesellschaftsmitglieder. Nicht weniger gravierend ist, daß sie auchuntereinander einem rotierenden Verdacht ausgeliefert sind, in dem sich die Vor-würfe, es sich zu leicht machen und »frivol« den Sinn von Avantgarde zu verspie-len, austauschen. Was in der philosophischen Schule und der politischen Parteinoch mit Anstrengung gelang, nämlich Positionalität sich gegenseitig zuzuschrei-ben und >ernst< zu nehmen, in der journalistischen Boheme steht der Sinn von Posi-tionalität überhaupt in Frage.

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8. Intelligenz in der großen Stadt

Für die politische Partei der Junghegelianer ist Berlin ein defizitärer Ort gewesen.»Berlin hat bis jetzt noch nicht gewagt, einen scharfen Gedanken zu haben; es hatvielmehr dies Geschäft den Provinzen überlassen«, schreibt E. Bauer über den»politischen Charakter der Hauptstadt«.205 Für die junghegelianische Bohèmegewinnt dagegen die Erfahrung der großen Stadt überragende Bedeutung. Um sieaufzufalten, bietet es sich an, zunächst auf R. Gisekes »Moderne Titanen« zurück-zukommen.

Die letzten zehn Tage vor dem geplanten Antritt seines Predigeramtes läßt derAutor seinen junghegelianischen Helden Ernst in Berlin verbringen.»Wie nach einer alten Sitte der Todeskandidat vor der Hinrichtung sich an Speis und Tranketwas zu Gute tun darf, so wollte der Predigtamtskandidat vor seiner Weihe sich Kenntnisdes großen Lebens und Einsicht in die Zustände des Tages erwerben, um dann wenigstensmit Recht in seinem einsamen Dasein sich darüber erhaben zu fühlen. Das Leben einer gro-ßen Stadt, das Treiben so unzähliger Menschen, gleicht dem weiten, wüsten Ozean. Nir-gends kommt sich der Mensch verlassener vor als hier. Wer zu vergessen oder vergessen zuwerden sucht, hier kann er es so leicht wie nirgends.«206

Der Widerspruch ist leicht zu überlesen: Kenntnis und Einsicht sollen geradedort gefunden werden, wo das Vergessen leicht gemacht wird. Was diese Passagesignalisiert, das ist das seltsame Doppelgesicht der großen Stadt: sie lädt zur Zer-streuung ein und fordert zugleich die angestrengteste Aufmerksamkeit heraus.

Gisekes Romanstelle mag durch den Briefwechsel in den NB angeregt sein, indem die Erfahrung der großen Stadt, die ein Junghegelianer aus der Provinz in Ber-lin macht, thematisiert wird. »Ich sah auch in den ersten Tagen (des Berlin-Aufent-halts, d. V.) schon mit Freude den Sturm und Drang in Dir aufsteigen, sah Dichwild und gierig in den ganzen Rausch der großstädtischen Bewegung stürzen«,schreibt ein Berliner Junghegelianer seinem in die Provinz zurückgekehrtenFreund, und er fordert ihn auf, über die Eindrücke zu schreiben, »die die großstäd-tischen Zustände überhaupt auf Dich gemacht haben. Du bist ja stundenlang ganzeinsam durch Berlin gewandert und mußt da viel Interessantes beobachtet underfahren haben.«207 Auch hier widersprüchliche Haltungen: sich in den »Rauschder großstädtischen Bewegung« stürzen, einsames Umherwandern, Aufforderun-gen zu distanzierter Beobachtung.

Das Schreiben über die große Stadt hat in den 40er Jahren Konjunktur.208 Nochbevor die Junghegelianer selbst zur Feder greifen, erscheinen Glaßbrenners »Schil-derungen aus dem Berliner Volksleben« (1841). Exemplarisch sei auf seineBeschreibung der Königsstraße verwiesen:»In diesem schlangenartig sich windenden, von hohen Häusern gebildeten Engpaß hört dasGewühl von Menschen, das Toben der Wagen vom frühen Morgen bis späten Abend nichtauf. In dieser Repräsentantin desjenigen Stadtteils, welchen ich den Magen Berlins nannte,und in ihrer nächsten Nähe, liegt alles, was die Leute herbeizieht und zusammendrängt, wasdas Leben der Residenz bedingt, ihre Nahrung und ihre Verdauung. Hier ist die Post, - dasLand- und Stadtgericht (welches täglich seine Tausende fordert), - Rathaus, das Vormund-schaftsgericht, das Kriminalgericht, die Polizei, die brillanten Katakomben der Nüchtern-heit, die frequentesten Destillationsanstalten von Eulner und Kröcher, die Sparkasse, das

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Gewerbeinstitut, Faust's Wintergarten, die Königsmauer (das Asyl der Freudenmädchen)und das Königsstädtische Theater. Hier ist Gewölbe an Gewölbe, Boutique an Boutique,und in bunt wechselnder Folge Hotels erster und zweiter Klasse, Restaurationen, Kondito-reien, Bierstuben, Ausspannungen und Viktualienkeller! Hier laufen die Menschenameisendurcheinander und Gott lächelt ob der ernsten Miene, welche sie machen, ob der Eile, diesie haben. - Alles ist lächerlich und Alles wichtig in dieser Welt, und das eben ist ihrHumor.«209

Die große Stadt - wie kann sie adäquat beschrieben werden? Mit dieser Frageverbindet sich zugleich diejenige nach den möglichen Weisen des Begreifens diesesPhänomens. Welches könnte der integrierende Sinn einer großen Stadt sein, einSinn, der über die bloße Reihung von Eindrücken hinausginge? Wie kann sichbegreifende Tätigkeit in der großstädtischen Welt verorten, in der alles lächerlichund zugleich wichtig ist? Was Glaßbrenner beschreibt, ist ein Panorama, dessenEinzelheiten jede für sich >interessant< sind, deren Zusammenschau er aber nurnoch einem verblassenden Gott zuweisen kann. Die beiden Möglichkeiten: Rena-turalisierung der großen Stadt als urtümliche Wildnis, als »weiter, wüster Ozean«,und die faszinierte Zuwendung, die ein oder eine Reihe >interessanter< Details, esmag sich um aparte Perspektiven oder auffallende Gestalten handeln, erfahren -beide Möglichkeiten gehören in vielfältigen Variationen zum rhetorischenStandardrepertoire, mit denen seit dem 19. Jahrhundert die große Stadt der Spra-che zugänglich gemacht wird.

Was dagegen nur schwer zu gelingen scheint, ist die Vermittlung beider Möglich-keiten. Legt man die Intellektuellengruppendefinitionen der philosophischenSchule und der politischen Partei zugrunde, so wird man sagen müssen, daß an dergroßen Stadt dasjenige philosophische Bemühen, das auf eine Vermittlung von All-gemeinem und Besonderem, von Wesen und Erscheinung sich richtet, in eigentüm-licher Koinzidenz ebenso scheitert, wie eine Perspektive der politischen Partei, diein der großen Stadt allzu Vieles >unter aller Partei«:, d. h. in einem politischen Sinnenicht Repräsentierbares, finden wird.

Die Ohnmacht dialektischer Philosophie und Politik gegenüber der großenStadt zeigt sich nicht zuletzt bei einem Autor, dessen monumentales Fragment überdas Paris des 19. Jahrhunderts den unabgeschlossenen Versuch darstellt, die großeStadt begreifbar zu machen. W. Benjamins erste Ausarbeitungen zum Komplexdes sog. >Passagen-Werks< (ein überarbeiteter Teil erschien 1940 in der Zeitschriftfür Sozialforschung<) führten zu einem aufschlußreichen Briefwechsel zwischenAdorno und Benjamin.210 In unserem Zusammenhang ist jene Kritik von Bedeu-tung, die Adorno an Benjamins erster Fassung geübt hat. Adorno wirft Benjaminvor, dieser habe »Motive versammelt, aber nicht durchgeführt.« Und er fragt:

»Panorama und >Spur<, Flaneur und Passagen, Moderne und immer Gleiches, ohne theore-tische Interpretation - ist das ein >Material<, das geduldig auf Deutung warten kann, ohnedaß es von der eigenen Aura verzehrt würde? Verschwört sich nicht vielmehr der pragmati-sche Gehalt jener Gegenstände, wenn er isoliert wird, in einer fast dämonischen Weisegegen die Möglichkeit seiner Deutung?«211

Die »Vermaurung hinter undurchdringlichen Stoffschichten«, die Adorno kriti-siert, mag man im Benjaminschen Text durchaus finden, aber umgekehrt betrach-

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tet sind es gerade die stofflichen Vielheiten, alle gleich belanglos und gleich wichtig,die die große Stadt versammelt. Sie drohen eine kohärente theoretische Durchdrin-gung zu verunmöglichen. Bei den faszinierenden Details und Motiven, die in dergroßen Stadt zu finden sind, handelt es sich für den Dialektiker um Phantasmago-rien. Adorno geht nicht so weit, Benjamin vorzuwerfen, daß dessen Arbeit selbst»phantasmagorischen Charakter annehme«. Aber er fordert, »die Liquidationkann in ihrer wahren Tiefe nur dann gelingen, wenn die Phantasmagorie als objek-tiv geschichtsphilosophische Kategorie und nicht als >Ansicht< von Sozialcharakte-ren geleistet wird.«212

Was das Begreifen der großen Stadt gerade Intellektuellen, die dialektischerDenkweise verpflichtet sind, so enorm schwer macht, ist der Umstand, daßgeschichtsphilosophische Vergewisserung in den >Phantasmagorien< der großenStadt sich buchstäblich verläuft. Für Marx entspringen gerade dem Milieu dergroßstädtischen Bohème jene zweifelhaften Gestalten, die es als ihre Aufgabe anse-hen, »dem revolutionären Entwicklungsprozeß vorzugreifen, ihn künstlich zurKrise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif, ohne Bedingungen einer Revo-lution zu machen.«213 Das heißt, sie handeln ohne geschichtsphilosophische Verge-wisserung, aufs Geratewohl. Wo es Rezepte gibt, »in 24 Stunden geistreich zu wer-den« (A. Rüge), welche Chancen haben da geschichtsphilosophische Bildungspro-gramme mit ihren wohldefinierten Stufen? Über Baudelaire schreibt Benjamin:»Die Stereotypen in Baudelaires Erfahrungen, der Mangel an Vermittlung zwi-schen seinen Ideen, die erstarrte Unruhe in seinen Zügen deuten daraufhin, daß dieReserven, die großes Wissen und umfassender geschichtlicher Überblick (!) demMenschen eröffnen, ihm nicht zu Gebote standen.«214 Nicht einmal der Minimal-voraussetzungen geistiger Arbeit - Benjamin nennt Bibliothek und Wohnung -kann Baudelaire sicher ein. Ohne Bibliothek und Wohnung ist aber Geschichtsphi-losophie nicht zu entwerfen. Jene eröffnet den Zugang zur Geschichte, diese sym-bolisiert die Sicherheit eines Ortes, von dem aus über die Bewegung der Geschichtegedacht wird. Der Flaneur dagegen liefert sich der Bewegung der Straße aus. »Aufdem Boulevard hielt er sich dem nächstbesten Zwischenfall, Witzwort oderGerücht zur Verfügung.«215

Das Schlendern auf der Straße folgt einer Zeitstruktur, die geschichtsphiloso-phisch kaum bestimmbar ist. Bezeichnend ist die Schildkrötenmode, die in Parisum 1840 zeitweise sich verbreitet, an die Benjamin erinnert: »Der Flaneur ließ sichgern sein Tempo von ihnen vorschreiben. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte derFortschritt diesen pas lernen müssen.« Bezeichnend auch die Mode des noctambu-lisme, derzufolge den Flaneurs zwar »Haltepunkte und Stationen« erlaubt sind;»aber er hat nicht das Recht zu schlafen.«216 Flanieren ist zu allererst Zeitvertreib,eine Kategorie, die für Geschichtsphilosophie, weil sie der geschichtlichen Zeiteinen prägnanten Sinn gibt, nicht zu gebrauchen ist. Das Reich der Zeit wird in derBohèmeerfahrung der großen Stadt ebenso erweitert wie verknappt: es gibt koexi-stent ein Zuwenig an Zeit, das Geschwindigkeiten hervorruft, und ein Zuviel anZeit, das Langeweile anfallen läßt.

Für die junghegelianische Bohème ist die Schere, die sich zwischen dem Strebennach geschichtsphilosophischer Selbstvergewisserung und der Erfahrung der gro-ßen Stadt auftut, besonders gravierend, weil sie sich als Korrespondenten des

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Weltgeistes< dazu berufen fühlen, die Existenz von Vernunft in der Geschichtesicherzustellen. So streiten sie sich, ob in Sues intensiv diskutiertem Roman diegeschichtlich wirksame Macht der Intelligenz bei dem Helden Rudolf liegt, wieSzeliga ausführt, oder ob es das arme Mädchen Fleur de Marie ist, an die man seineemanzipatorischen Hoffnungen knüpfen sollte, wie dies Stirner und Marx vor-schlagen.217 Unsicherheit besteht auch, ob »la flânerie« in Berlin möglich ist. »Flâ-neur! Es liegt ein gewisser Stolz in dem Wort;« schreibt F. Wehl 1843,

»ich möchte gern einer sein, ich fühle ein gewisses Talent dazu, aber leider ist Berlin kein>vaste théâtre< dafür; es hat keine rechten Kulissen dazu, die Häuser, die Straßen, die Plätze,es ist Alles so langweilig darin. Man findet keine historischen Daten, keine historische Phy-siognomien. Man kann den ganzen Tag durch die langen, graden Straßen laufen, ohne daßsich einem von außen her ein Gedanke aufdrängt, der von einer innern, geschichtlichenBedeutung wäre.«

Zwar fange Berlin »erst jetzt an, sich ein wenig herauszuputzen«, aber das »Augewird zu wenig gelockt«.218 Und: »Sie hat so viel Stille die Stadt, so viel Einsamkeit,so viel Langeweile, die Weltgeschichte geht auf Krücken durch ihre Straßen.«219

Der Mangel an Flânerie hat Konsequenzen für die intellektuelle Tätigkeit: »DieKunst zu denken ist eine schwierige Kunst; in Deutschland lernt man sie nur in derStube, hinter vier Wänden, an Tischen und Bänken, aus Büchern und Pergamen-ten; in Paris lernt man sie auf der Straße, mitten im Lärm des Gewühls, im Wagen-gerassel, an Gebäuden und Menschen.« Was als Differenz von deutschen und fran-zösischen »Gedanken« bei Wehl entwickelt wird, markiert wortspielerisch nichtnur die Differenz des Philosophen und des Bohemiens, sondern zugleich auch dieDifferenz in der Stellung zur Geschichtsphilosophie.»Der Deutsche kann nur in Gedanken gehen, der Franzose aber im Gehen denken. Es istdas ein gewichtiger Unterschied, man muß es nicht verwechseln. Bei dem Franzosen hängendie Gedanken vom Gehen ab, bei dem Deutschen das Gehen von den Gedanken. Ein Deut-scher geht, was er denkt, ein Franzose denkt, was er geht. Ein Franzose denkt sein Laufenab, ein Deutscher läuft sein Denken ab.«220

Für den Junghegelianer L. Eichler ist Berlin schon eine Stadt, die wie Paris zumSchreiben von »Physiologien« herausgefordert.221 Die »Putzmacherin«, der»Executor« und der »Bankier«, sie führen den Leser in die heterogenen räumlich-gesellschaftlichen Sektoren der Stadt, in den Tanzsaal des »Collosseums«, woerfolgreiche Bekanntschaften geknüpft werden, in die Häuser derer, die vor demfinanziellen Ruin stehen, in die Salons und Soireen der Reichen, wo Geiz und Ver-schwendungssucht oszillieren. Für E. Meyen ist es beunruhigend, »daß in unsererZeit, die so große Erfahrungen als ihre Vorfahren anerkennt und so unmittelbar aufder Revolution fußt, der ganze Trödelkram der vergangenen Jahrhunderte sichnoch einmal breit machen will.« Es handelt sich um eine den Geschichtsphiloso-phen irritierende Gleichzeitigkeit historischer Stufen. E. Meyen versucht, der LageHerr zu werden, wenn er die »Physiologie« als »eine gewaltige Revolutionärin«bezeichnet; »sie macht alles gleich, indem sie alles auf die Gleichheit der Nichtig-keit reduziert«.222 Aber es ist nur ein kleiner Schritt, in die Reihe der >Ansichten<von Sozialcharakteren auch den Literaten Meyen aufzunehmen.

Im Berlin-Buch des Junghegelianers F. Saß findet sich denn auch neben denen

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anderer Junghegelianer die »Physiologie« E. Meyens als einer Literatengestalt, diemit der Konditorei Stehely »innig verwachsen« ist. Auch Saß' Urteil über Berlin istkaum zu vereindeutigen. Angesichts von Bestrebungen, an überkommenen ständi-schen Schranken festzuhalten, schreibt er: »Berlin ist dagegen gottlob eine großeStadt«, d. h. sie bietet »in den verschiedensten Lebensrichtungen einen glücklichenErsatz«. Dennoch ist das gesellschaftliche Leben in der großen Stadt »falsche Zivi-lisation«. Für Saß »zerreißt immer mehr das Band, welches zwischen Geist undGesellschaft bestehen soll.« Die Konsequenz ist: »in Berlin vermehren sich diemodernen Anachoreten; denn die Einsamkeit in Lybiens Wüste kann nicht größersein, als für den, der sie sucht, in den großen tobenden Städten.« Die geschichtsphi-losophische Hoffnung auf »neue geschichtliche Fluten (. . .), welche den ganzenBau der alten Pyramide (!) durchbrechen«, wird schon vom literarischen Bild herdesavouiert.223

Die große Stadt könnte fast eine verwirklichte Utopie, ein neues Jerusalem, sein:»Ein vielseitiges, allgemeines Gesellschaftsleben, - dies ist der Eindruck, welchendas bewegte Treiben der Hauptstadt auf den Fremden macht«, schreibt E. Dronkein seinem Berlin-Buch. Die »Ungezwungenheit, die Selbstständigkeit des Einzel-nen, der nicht nötig hat, sich vor kleinstädtischen, philosophischen Vorurteilen inAcht zu nehmen«, sie wird ermöglicht durch das Heraustreten der Individuen ausihren Verhältnissen. Aber die »Sicherheit, mit welcher dies allenthalben geschieht,hat etwas Unheimliches, fast Grauenhaftes. Sie löst die Bande ruhig und geräu-schlos, ohne daß man von außen sie doch gelöst sehen könnte.«224 Es ist die Stilleder städtischen >Revolution<, ihre Unmerklichkeit, die den Sozialisten Dronke irri-tiert.

Die Stadt verweist auf Umwälzungen größten Ausmaßes, aber es ist dies nichtder Typ von Revolution, wie ihn Geschichtsphilosphie vorsieht. Dronkes Blickrichtet sich daher auf jene städtischen Randbezirke, wo »das Elend in seiner letztenfurchtbaren Gestalt« anzutreffen ist. »Diese Parias hören nichts von dem Brandenund Brausen des inneren Lebens der Hauptstadt, und wenn sie hineinkommen, sobezeichnet das Blut der Wachen und Polizeisoldaten und die Angriffe gegen dasEigentum und Leben der Inwohner die Spuren ihres Weges.«225

Die Erfahrung der großen Stadt zwingt die junghegelianische Intelligenz, dasgeschichtsphilosophische Muster zu modifizieren. Im städtischen Raum, wo dieGleichzeitigkeit der verschiedenen historischen Stufen präsent ist, wo Möglichkei-ten und Blockierungen ganz nahe zusammengerückt sind, bedarf es einer beson-ders gelagerten Aktivität, um Emanzipationschancen ausfindig zu machen. Diegeschichtlich relevante Geographie kann nicht mehr spekulativ entworfen werden,wie dies bei Heß' europäischer Triarchie< der Fall gewesen ist. Vielmehr wird dergeschichtlich relevante Ort zu einem Fund dessen, der die Straßen durchwandert.So wenden sich die NB gegen die Mißachtung des Schriftstellers, »der das mühe-volle Geschäft unternimmt, durch alle gesellschaftlichen Kothaufen und Sümpfehindurch zu waten, um sie zu studieren und die Quellen ihrer Existenz aufzusu-chen.«226

Der Intellektuellentyp, der sich hier abzeichnet, entspricht der Figur des Detek-tivs, wie sie von Kracauer beschrieben wurde. »Der Detektiv schweift in dem Leer-raum zwischen den Figuren als entspannter Darsteller der ratio (. . .). Er richtet sich

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nicht auf die ratio, sondern ist ihre Personifikation«. Die ratio ist hier nicht die vor-gegebene Ordnung der Geschichte, nach der der Akteur sich zu richten hätte, son-dern der Detektiv nimmt den »Anspruch der ratio auf Autonomie« ernst, seineumherschweifende Bewegung ist die Bewegung der Vernunft.227

Der Sache nach ist es eine detektivische Haltung, die den »Berliner Skizzen« vonFränkel und Köppen zugrunde liegt.228 In Heß' >Gesellschaftsspiegel< wird diesBuch den Lesern ausdrücklich zur Lektüre empfohlen. Es handele sich nicht um»triviale Geheimnisliteratur« oder »moderne Kriminal- und Polizeiromantik«, viel-mehr würden in »einer bunten Reihe der mannigfaltigsten Bilder ( . . . ) die verschie-densten Seiten und Sphären des großstädtisch-modernen Gesellschaftslebens vor-geführt ( . . . ) in lebensvollen wirklichen Gestalten und Verhältnissen.«229 In derersten Novelle der »Berliner Skizzen« werden die »Flâneurs«, »geschäftslosenUmhertreiber und Pflastertreter«, das »ausgebildete Müßiggängertum« Berlinsgewürdigt. Für die junghegelianischen Autoren handelt es sich dabei um Mitgliedereiner »ebenso nützlichen als interessanten Gesellschaftsklasse«.

»Denn ein tüchtiger und unermüdlicher Pflastertreter zu sein, ist eine gar große Kunst, undnur die großen Städte haben den Vorzug, solche Künstler zu erzeugen und zu bilden. Siemüssen einen weiten Raum haben, auf dem sie sich ausbreiten können, sie müssen Geist,Gewandtheit, Erfindungsgabe, und besonders eine beinahe fabelhafte Uneigennützigkeitbesitzen, sich gerade um all die Dinge zu bekümmern, die sie am wenigsten angehn.«23

Diese detektivischen Künstler bewegen sich im Szenarium von Gestalten, die»nur einen bestimmten Stadtteil, eine bestimmte Straße, ein bestimmtes Lokal zumSchauplatz ihres öffentlichen Lebens gemacht haben. (. . .) Sie sind gleichsam diestereotypen Figuren der Straße oder des Ortes, an dem sie sich aufhalten, sie gehö-ren ihm an, wie seine Häuser und Steine, oder seine Tische und Bänke.« Diese»zweite Klasse« von Menschen fordert das entspannte Interesse der detektivischenKünstler heraus. Diese »Menschenklasse« gehört zwar zum Interieur der Stadt,aber es handelt sich um ein geheimnisvolles Interieur, das es zu entziffern gilt. »Miteiner erstaunenswerten Sicherheit gehen sie über das Pflaster, dessen Steine sieschon unendliche Male gezählt haben (. . .) . Kommen und verschwinden aber siehtman sie niemals - man weiß wenigstens nicht, woher sie kommen und wohin siegehen - man findet sie nur hier und morgen wieder hier, und in einem Jahr wiedernur hier.«231 Die große Stadt ist für den detektivischen Künstler ein geschichtsloserRaum, ein Perpetuum mobile von Kommen und Gehen, dessen >Ursache< und>Ziel< Geheimnis bleibt.

Haltepunkte für den Flaneur sind Konditoreien, Weinstuben, Kneipen. Hierruhen sich die »Pflastertreter« aus, »denen der Boden unter den Füßen brennt,wenn sie zu hause kaum den Morgenkaffee eingenommen haben.«232 Es gibtgeschichtlich bedeutsame< Lokale, die in keiner Stadtbeschreibung Berlins fehlen.An erster Stelle steht die »rothe Stube« der Konditorei Stehely, von der Saßschreibt:»eine Geschichte der Stehely'schen Konditorei schreiben, hieße nichts anderes, als dieGeschichte der Berliner Literaturzustände geben. (. . .) Hier war es, von wo aus die eine Par-tei im jungen Deutschland die andere zu bekämpfen suchte, hier war es, wo der >Standpunktdes jungen Deutschlands< zuerst überwunden wurde, hier war es, von wo aus die >Hallischen

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Jahrbücher< und die »Rheinische Zeitung< ihr Geschütz bezogen, und hier eben waltet derKreis, von dem Deutschlands Zeitungen die Berliner Korrespondenzen erhalten. (. . .) Mankann es ohne Anmaßung sagen, das junge Volk, die neue Zeit hat gesiegt bei Stehely.«233

Die »rothe Stube« ist ein >geschichtsträchtiger< Ort, weil sich hier die personifi-zierte Vernunft trifft. Aber dieser besondere Raum ist nicht vor der ansteckendenKrankheit der Zeit: der Langeweile geschützt: »Daß ihr lauter Mirabeaus, Dantons,Marats und Robesspierres seid, wenn ihr einen Fingerhut voll getrunken - das istauch schon in der ganzen Welt bekannt«, schreibt Köppen.234 >Interessanter< sindfür ihn andere Kneipen.»Hier kehren auf Augenblicke jene namenlosen Frauenzimmer ein, welche die Straße, in dersich der Schnapsladen befindet, zu ihrem Jagdrevier erkoren. Alte abgedankte Schreiber,vierzehnjährige Laufburschen, aus dem Arbeitshause endassene Sträflinge, durch die Kon-kurrenz ruinierte Handwerker und Kaufleute seht ihr hier neben schäbigen, plebejischenDandys und leichenblassen, spindeldürren Ex-Schulmeistern.«

Der >Geist<, der diese Orte beherrscht, ist nicht philosophischer Natur. Ins Zen-trum rückt bei Köppen die Gestalt des »Schenkmädchens«. Ihre >Distributionen<halten diese »kunterbunte Gesellschaft« zusammen. Bruchstücke ihrer Geschichteerzählt der Autor. Es handelt sich um Szenen von Möglichkeiten und Ungewißhei-ten: beinahe hätte sie Baronin werden können, »von allen Seiten eilte man herbei,um sie zu sehen. Alle Welt buhlte um ihre Gunst«. Auch »eine kleine Rolle in derGeschichte des Berliner Liberalismus« ist ihr zugedacht. »Wo sie jetzt sein mag!Vielleicht ist sie die Geliebte eines Geheimraths, Assessors, Lieutenants, Malers,Studenten oder aller fünf zusammen. (. . .) Vielleicht hat sie das Zündhölzchengeschnitten, an dem ich soeben die Zigarre anzündete; oder vielleicht gar die Federgesotten, die ihren Lebenslauf flüchtig skizzierte.«233

Wo liegt der integrierende Sinn der großen Stadt? Daß der Konsum das allge-meine Band ist, das die Individuen hier zusammenbindet, ist nicht nur von Benja-min und Adorno herausgestellt worden. Auch den Junghegelianern ist bewußtgewesen: »In unserer Gesellschaft muß sich jeder prostituieren: das ist dieRegel!«236 Das Problem besteht darin, in der Welt des Konsums die >Destributionder Vernunft< zu sichern. Der Flaneur ist eine Lösung dieses Problems, er gleichtsich selbst der Bewegung der Ware an, hoffend, daß seine Zirkulation wenigstensein Minimum von Vernunftexistenz garantiert. Was in dieser Bewegung schwindet,ist die geschichtsphilosophische Ortsbestimmung. Sein Fortschreiten ist kein Fort-schritt, Auf einer belebten Straße ist Avantgarde unmöglich.

Für Prutz ist »das eigentliche Charakteristische, ( . . . ) zugleich das Bedenkliche,das wahrhaft Gefährliche unserer gegenwärtigen Epoche, daß die Interessen beiuns, so rasch sie sich entzünden, ebenso rasch auslöschen und verschwinden; wielebhaft sie sind, so flüchtig, wie zahlreich, so unfruchtbar.« Alle Metaphorik, diePrutz aufbietet, um diesem Unbehagen zu begegnen: das Bild vom hervorbrechen-den Quell, der »zuerst Blasen treibt«, das Bild von der Krankheit, die der Gesun-dung vorausgeht, das Bild von der »prickelnden Gärung aller Säfte, wenn derBaum blüht, die Frucht reifen soll«, kurz alle Metaphorik der »Krise«, die auf eineglückliche Wendung hindeutet, nimmt sich in der großen Stadt verloren aus.237 DerIntellektuelle wird zum Beschwörer eines geschichtsphilosophischen Sinnes, dersich dem Auf- und Abflackern der Moderne entziehen soll.

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Diese Aporie wiederholt sich im Benjaminschen Passagen-Werk: »Langeweilehaben wir, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten. Daß wir es wissen oder zuwissen glauben, das ist fast immer nichts als der Ausdruck unserer Seichtheit oderZerfahrenheit. Die Langeweile ist die Schwelle zu großen Taten. - Nun wäre zu wis-sen wichtig: der dialektische Gegensatz zur Langeweile?«238 Die Frage trifft denKern der Aporie: zur Langeweile gibt es keinen dialektischen Gegensatz. Die »gro-ßen Taten«, die die Langeweile abbrechen, sind eher ganz undialektische Kurz-schlüsse. Wartezeiten können mit geschichtsphilosophischer Gewißheit erträglichgestaltet werden, aber sie steht in der großen Stadt »fast immer« unter dem Ver-dacht der Seichtigkeit oder Zerfahrenheit. Langeweile dagegen entsichert den Zeit-sinn. Skandal, schockhaftes Erleben, Katastrophe und Krieg können zu Antwortenauf die Langeweile werden - aber auch dies ist nicht sicher.239 Die BenjaminscheHilfskonstruktion vom messianischen Aufsprengen des Kontinuums derGeschichte mag ein Ausweg sein, aber er fällt aus dem Problembereich der in die-sem Kapitel diskutierten Intellektuellendefinition journalistischer Boheme herausund verweist in den Kontext des letzten Kapitels dieser Arbeit.

Wo ihr der Glaube nicht zu Hilfe kommt, bleibt der journalistischen Bohemenichts übrig, als sich der Zeit zu vertreiben. Sie kann die Sensationen, die ihr begeg-nen, verkaufen oder sich der allgemeinen Prostitution, für Geld zu arbeiten, ver-weigern und Skandal machen, oder beides tun. Ihr Glaubensbekenntnis wird sichwie das des Dr. Horn in Gisekes »Moderne Titanen« anhören:»Kann der Mensch etwas Besseres tun, als dumme Streiche machen? Sieh nur, ich besitzeschon lange keinen roten Heller mehr und existiere doch immer noch ganz menschlich,mache feine Toilette und trinke ein gutes Glas Wein. Wie kann sich ein großer Geist um dieLappalien von Schulden bekümmern! Paff, das Gold ist nur Chimäre! Setz dich darüberhinweg, und die Schranke ist für dich nicht da. Ja, wenn der liebe Gott selbst zu mir käme,und mir sagte: lieber Doktor, Sie tun mir leid, ich will mich Ihrer erbarmen und Ihre Schuldbezahlen, aber machen Sie mir keine dummen Streiche mehr — bei Gott, ich müßte ihm ant-worten: lieber Herr Gott, Sie sind sehr gütig. Aber — du Heber Gott, du hast nun einmal denMenschen und die Zeit geschaffen, die sich gegenseitig vertreiben wollen. Wenn ich durchmeine dummen Streiche mir nicht mehr die Zeit vertreiben darf, dann wird sie mich mitihrer fürchterlichen Tochter, der Langeweile, vertreiben von dieser schönen Erde. Darum -bezahle meine Schulden, aber laß mir meine dummen Streiche! Amen!«240

Anmerkungen

1 Vgl. Seite 131 dieser Arbeit.2 J. Venedey, Preußen und Preußentum, 1839, S. 2, 88 f. und 73. - Venedey schrieb auch

in den HJ. Seine Distanzierung vom »Bund der Geächteten« wurde in der RhZ 332 v.28. 11. 1842 abgedruckt. (Vgl. J. Hansen, Rheinische Briefe, 1919, S. 386)K. Mager zufolge haben die Junghegelianer von K. Heinzen gelernt, »auf die Bürokratiezu schelten«. (Ebd. S. 480) Heinzen, dessen Vater jakobinischen Ideen anhing, war selbsteinige Zeit in der peußischen Steuerverwaltung tätig gewesen und begann 1842, seineErfahrungen als Beamter publizistisch auszuwerten. In >Die geheimen Konduitenlistender Beamten< (1842) griff er das Beförderungswesen an, und 1843 veröffentlichte er einenAufruf, in dem er eine Recherche ankündigt, »ob Preußen im ganzen wie im einzelnen

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IV. Atheistische Sekte

Übersicht

An Luthers Kirchenlehre anschließend verstehen sich die Junghegelianer als>unsichtbare Kirche<. Sie kann als Hohlform begriffen werden, die entweder säku-lar aufgelöst oder mit Inhalten religiöser Unterströmungen aufgefüllt wird (1).Gnostischen und chiliastischen Traditionen werden zwei intellektuelle Haltungenzugeordnet, die als Muster religiöser Selbstdeutung für die Gruppe in Frage kom-men. Der chüiastische Habitus verweist zurück auf die geschichtsphilosophischeProblematik der journalistischen Boheme (2). Die gnostische >Erlösung durch Wis-sen< bildet das zentrale Element der junghegelianischen >neuen Religion<. Aber dieGruppe kann sich dieser - ohne charismatischen Führer - nur vergewissern, wennsie Denkformen ausbildet, mit denen archaisch unvermischste Gläubigkeit undWissensreligion gegeneinander ausgespielt werden können (3). In Überlegungenzum ambivalenten Charakter der religiösen Erneuerungsbewegungen der 40erJahre und zum Verhältnis von Intelligenz und Kirche in der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts wird die These von dem folgenreichen Defizit eines staatsunab-hängigen kirchlichen Gemeindelebens als Konsequenz von Luthers unsichtbarerKirche< aufgegriffen. In diesen Zusammenhang wird auch der Neupietismusgestellt, mit dessen Vordringen die Gruppe zunächst konfrontiert ist (4). DieAblehnung kirchlicher Selbstverwaltung bildet den Ausgangspunkt für die Debatteüber den christlichen Staat<, in der B. Bauer, über das liberale Modell einerTren-nung von Staat und Kirche hinausgehend, in kirchlichen Oppositionen ein Indizfür die Mangelhaftigkeit des Staates entdeckt. Mit dem Übergang zur Diskussionder >Judenfrage< konzentriert sich das Interesse auf die in bestimmten religiösenInhalten >repräsentierten< Mängel des Gemeinwesens (5). Angesichts des Auftre-tens der freireligiösen Bewegungen der Lichtfreunde und Deutschkatholiken (6 a)versuchen >immanente< Junghegelianer wie Bayrhoffer, die freien Gemeinden in>unsichtbare Kirchen< bzw. sozialistische Vereine zu transformieren (6 b), währenddie >atheistischen< Junghegelianer um B. Bauer in der sich verweltlichenden freire-ligiösen Massenbewegung einen Typ von informeller Religion ausmachen, die sichin der Willkür letzter Werte verbarrikadiert (6 c). Die Unsicherheit, ob es sich umreligiöse oder politisch-soziale Bewegungen handelt, verschärft den Gruppenstreit,ob die die Gruppe integrierende Religionskritik beendet oder weitergetrieben wer-den soll. Der Verdacht, daß der andere noch Reste religiöser Befangenheit hüte, dieder >Konfession des Atheismus< widersprechen, ist kommunikativ nicht mehr zubewältigen (7). Die Gruppe zerfällt, weil der soziale Zusammenhang von Gewiß-heit und Gruppe< weder auf der Ebene der Glaubensgewißheit, noch auf der derGewißheit des Wissens, noch auf der der geschichtsphilosophischen Gewißheiterträglich stabil gehalten werden kann (8).

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1. Die »unsichtbare Kirche«

Es ist üblich geworden, Arbeiten über die Junghegelianer mit einer Analyse derAuseinandersetzungen der Schule mit der Hegelschen Religionsphilosophie zubeginnen. Diese stillschweigende Konvention hat gute Gründe.

Inhaltlich stellt der Schulstreit um die von Hegel vorausgesetzte Identität vonReligion und Philosophie, bei der die Religion die Wahrheit auf der Ebene derSymbole, die Philosophie die Wahrheit auf der Ebene der Begriffe ausspricht, denAusgangspunkt der Fraktionierungsprozesse der Schule dar.1 Die Hegelsche>Rechte<, >Linke< und das >Zentrum< differenzieren sich zunächst längs der unter-schiedlichen Auffassungen in Fragen der Christologie. Und auch innerhalb der sichkonstituierenden >Linken< dreht sich der Schulstreit um die von der Evangelienkri-tik ausgehende Frage, ob mit D. F. Strauß die »Substanz« oder mit B. Bauer das»Selbstbewußtsein« das entscheidende Agens der Weltgeschichte sei.2

Mit der junghegelianischen Religionskritik zu beginnen, hat darüber hinaus auchseinen guten Sinn, wenn der intellektuelle Politisierungsprozeß der Gruppe darge-stellt werden soll als ein Prozeß, in dem das religionskritische Instrumentarium vonder Religion ausgehend auf die Bereiche Politik, Gesellschaft und Ökonomie ange-wandt wird. Unter dieser Fragestellung kann man mit Marx für die Interpretationder junghegelianischen Entwicklung davon ausgehen, daß die Kritik der Religion»die Voraussetzung aller Kritik« sei. Diese geschichtliche Aufgabe ist für MarxEnde 1843 »im wesentlichen beendigt«. Erforderlich sei jetzt der Übergang zurKritik der »unheiligen Gestalten« auf der Ebene von Politik, Gesellschaft undÖkonomie.3 Wo diesem Ansatz gefolgt wird, gilt denn auch jenes Marxsche Dik-tum über die Junghegelianer, die nicht von der Religionskritik loskommen, sie seiendarauf aus, »in die Kategorie der Theologie zurückzuwerfen, was aus der Theologiehervorgegangen war«.4

In dieser Arbeit werden die philosophiegeschichtlichen Aspekte ebenso wie dieFragen nach der Entwicklung gesellschaftskritischer Kategorien in den Zusammen-hang von Gruppendeutungen gestellt. Für die Analyse der bisher behandeltenGruppentypen und ihre Zwischen- und Übergangsformen war der Rekurs auf diejunghegelianische Religionskritik entbehrlich. Im Kontext von philosophischerSchule, politischer Partei und journalistischer Boheme ist die Religionskritik zwarauch immer Thema der Auseinandersetzung, aber in strengem Sinne nicht grup-penkonstituierend. Aber vielleicht sind hier doch Zweifel angebracht. Suchte manauf religionssoziologischer Ebene nach einem entsprechenden Gruppentypus, sostellt sich die Frage, inwieweit die Junghegelianer Züge einer Sekte besitzen. DieseFrage wird in meiner Arbeit im Zusammenhang des letzten Kapitels behandelt, weildie Gruppe selbst schließlich an der Aporie einer atheistischen Sekte< zerbricht.

Der Sektenverdacht gegenüber den Junghegelianern ist nicht neu. Er wird schonfrüh von außen an die Gruppe herangetragen. So handelt es sich für Leo 1838 um»übelberatene Jünglinge der Sekte«, die darauf aus seien, ihre radikale Hegelinter-pretation« »als eine neue Religion vorzutragen und dennoch zugleich mittels einerbetrügerischen Redeweise der bisher geltenden Religion unterzuschieben.«5 Ähn-lich äußert sich H. Marggraff, für den 1839 die Hegelianer begonnen haben, »eine

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Sekte, eine Partei zu bilden, die überall, wo sie es vermag, unterkriecht und auföffentlicher Straße ihre Bekehrungspredigten hält.« Charakteristisch für die»Hegelsche Sekte« sei »ihre Anmaßlichkeit und Ausschließlichkeit, womit sie allesmißachten, was ihrer Sekte nicht angehört.«6 Der <Pseudohegelianer< Weiße mag1841 weder den Alt- noch den Junghegelianern den Titel »Schule« zubilligen. Diezerstrittenen Hegelianer könnten sich erst dann zu einer Schule entwickeln, wennsie die »allgemeinen Bedingungen der Freiheit des Philosophierens (. . .) wenig-stens in abstracto« anerkennen würden. Davon sei jedoch nicht auszugehen, dieseGruppe müsse »vielmehr eine Sekte als eine Schule« genannt werden.7 In den Par-teidebatten ist der Sektenvorwurf ebenso präsent gewesen wie in den Schilderun-gen der journalistischen Bohème.

Es wäre voreilig, die Sektenvorwürfe als reine Polemik gering zu achten. Sie ent-springen zwar dem polemischen Feld, aber zahlreiche Selbstzeugnisse geben Anlaßzu der Vermutung, daß sich die Junghegelianer über ihre Religionskritik hinausselbst in einer historischen Kontinuität mit bestimmten Sektentraditionen gesehenhaben. Zum anderen sind gerade die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutsch-land gekennzeichnet durch eine weitverzweigte religiöse Erneuerungsbewegung,die sowohl die katholischen wie protestantischen Gebiete umfaßt. In diese religiöseBewegung müssen auch die Junghegelianer hineingestellt werden, weil ihre Reli-gionskritiken mit den Themen dieser Bewegung zu eng verflochten sind, als daß sieals abzutrennender Widerpart zu isolieren wären.

Wo setzt die religiöse Selbstdeutung der Gruppe ein? Zunächst muß daran erin-nert werden, daß die Junghegelianer von Hegels Interpretation des Protestantis-mus ausgehen. Kernpunkt dieser Interpretation ist eine spezifische Fassung derlutherischen Idee der Glaubensgewißheit. Für Hegel wurde in der Reformationerkannt,»daß das Religiöse im Geist des Menschen eine Stelle haben muß und in seinem Geiste derganze Prozeß der Heilsordnung durchgemacht werden muß: daß seine Heilung seine eigeneSache ist und er dadurch in Verhältnis tritt zu seinem Gewissen und unmittelbar zu Gott,ohne jene Vermittlung der Priester, die die eigentliche Heilsordnung in ihren Händenhaben.«8

Die Pointe der Hegelschen Interpretation besteht darin, die unmittelbare Glau-bensgewißheit in eins mit der Freiheit des Geistes zu setzen.

Dieses Konstrukt ist für die Junghegelianer der erste Interpretationsrahmen. BeiRüge heißt es 1838: »Das liegt in der Reformation, daß es von nun an schlechter-dings keine andere Autorität als die Autorität des Geistes gibt, und keine andereBeglaubigung als die seines eigenen Zeugnisses«.9 Protestantismus ist für die Jung-hegelianer identisch mit der Autonomie >des Geistes<. »Das Licht des Protestantis-mus ist das Licht der Welt, sein Geist ihr Herr und ihre Zukunft, sein Genuß nocherhöhter und bewußter, als schon die Gegenwart ihn genießt.«10

Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun, welche möglichen Gruppen-definitionen aus dieser Interpretation hervorgehen. Religionssoziologisch zentralist, daß die als Geistesfreiheit gedeutete Glaubensgewißheit für die Spaltung vonPriestern und Laien kaum Raum läßt. Die protestantische Gemeinde wird radikalbegriffen als eine Gemeinde, »die nicht polizeilich ist und die nicht in Satzung und

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Regiment, sondern im Geiste und seiner gemeinsamen Erhebung begründet ist.«11

Im Anschluß an Hegel radikalisieren die Junghegelianer die Luthersche Mißach-tung der äußeren Einrichtungen der Kirche, die für Luther lediglich einen Notbaudarstellten. Vorrangig für ihn war die Gemeinschaft der Heiligen, die unsichtbareKirche. Sie wird zum zentralen Bezugspunkt der Diskussion.

1838 gibt Vatke in den HJ noch eine balancierte hegelianische Interpretation desVerhältnisses von sichtbarer und unsichtbarer Kirche:»Die wahrhaft allgemeine und als solche über die Erscheinung erhabene (unsichtbare) Kir-che existiert in der partikularisierten und empirisch gegebenen (sichtbaren) Kirchengemein-schaft, negiert aber zugleich die bloß äußerliche Existenz als Schein, als unwahres Momentin der Bewegung des absoluten Selbstbewußtseins, und ist daher auch in der Existenz, derwahren Wirklichkeit nach, in sich verborgen. Die wahrhaft Gläubigen können nicht bloß einrein innerliches religiöses Leben führen, was so für sich gesetzt, eine leere Abstraktion undetwas Unwirkliches wäre, sie leben vielmehr auch in äußerer Kirchengemeinschaft und ihrZusammenhang untereinander ist vermittelt durch den Zusammenhang mit der äußerenKirche; aber nicht umgekehrt haben alle Mitglieder der letzteren auch am innern Wesen derKirche teil«.12

Für Ruge hat sich 1839 schon der Akzent verschoben. »Die wahre Wirklichkeitder Gemeinde ist die geistige, darum die unsichtbare.«13

Im protestantischen Kontext definieren sich die Junghegelianer zunächst als Teilder unsichtbaren Kirche. So feiert Ruge Köppens Jubelschrift über Friedrich II. alseine Schrift, die »tief in die Herzen aller Patrioten dringen und eine unüberwindli-che unsichtbare Kirche gründen« wird.14 Dieses Projekt richtet sich explizit gegendie zeitgenössischen Versuche neupietistischer Kreise, der institutionellen Seite derKirche mehr Gewicht zu geben. So heißt es in der EKZ bezogen auf die Aufgabender Gegenwart: »Es gilt nicht mehr, allein das Innere der christlichen Wahrheit zusuchen und zu beleben, es gilt, ihren äußeren, schön gegliederten Organismus wiederherzustellen«.. Für die HJ ist dies »nichts geringeres als die Zerstörung des echten,innerlichen Christentums.«15

Auf die Stellung der Junghegelianer im Kontext der religiösen Strömungen der40er Jahre wird noch weiter unten einzugehen sein. Hier soll zunächst auf die Her-ausforderung aufmerksam gemacht werden, die die >unsichtbare Kirche< für denSoziologen darstellt. Zu fragen ist, ob diese Selbstbezeichnung überhaupt sinnvollübernommen werden kann, wenn es um die Analyse von Gruppenformen geht.Wie könnte ein religiöser Gemeinschaftstyp nachgewiesen werden, der seinemSelbstverständnis nach auf äußere Formen der Bekundung von Religiosität verzich-tet? Bei der philosophischen Schule, der politischen Partei, der journalistischenBoheme kann man sich an sichtbarem sozialen Handeln orientieren. Für dieunsichtbare Kirche fehlen solche Bezugspunkte.

Das Problem stellt sich aber nicht nur für den Soziologen. Sofern es sich um eineSelbstdefinition der Gruppe handelt, müssen ja auch für die einzelnen Gruppen-mitglieder Kriterien vorhanden sein, die es ihnen ermöglichen, sich als Dazugehö-rige zu erkennen. Da eine spezielle, Sakramente verwaltende Priesterorganisationnicht in Frage kommt, bleibt nur der Weg, die unsichtbare Kirche in anderenSozialbeziehungen verankert zu sehen, deren äußere Zeichen gleichsam zur Kennt-lichmachung der unsichtbaren Kirche mitbenutzt werden.

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Die Junghegelianer haben diesen Weg, der bei Hegel vorgezeichnet ist, beschrit-ten. In den >Anekdota< von 1843 stellt Ruge anläßlich der Auseinandersetzungenum die Entlassung B. Bauers das Dilemma der unsichtbaren Kirche dar und gibtden Ort an, wo sie zu finden sei. Ruge greift hier eine Definition der unsichtbarenKirche auf, wie sie von einem Autor der >Minerva< 1842 gegeben wurde: Die Kirchesolle existieren, aber nicht in staatlich-hierarchischen Formen. »Die Kirche ist alsodie unsichtbare, das geistige Reich des Glaubens, der Glaube an Christus ihr Sym-bol, die Schrift seine Quelle, die jeder selbst auslegt, jeder ist sein eigener Priester,und Christus das unsichtbare Oberhaupt der Kirche.« Ruge stimmt dem zu undtreibt die Argumentation weiter:»Wir haben hier also eine Gemeinschaft, die unsichtbar, ein Oberhaupt derselben, welchesebenfalls unsichtbar, und ein Gesetzbuch, welches nur ganz im allgemeinen heilig ist. DasGesetz, welches im einzelnen kein Gesetz ist, überläßt alle Menschen frei sich selbst. DieReligion ist hier eine Sache der Innerlichkeit, jeder einzelne hat sie für sich, und da im Prote-stantismus keine Gemeinschaft vorhanden ist, der sich der einzelne zu widmen hätte, da esnur auf sein egoistisches >Seelenheil< ankommt, so gibt es im Protestantismus nur einzelne,nur Privatleute und keine andere Freiheit als die Gewissensfreiheit, d. h. innerliche Privat-freiheit.«

Die durch die Seelsorger repräsentierte Gemeinschaft zählt für Ruge wenig,denn die Seelsorger »gehören der Staatsverfassung an«. Sie bilden daher keineGemeinschaft im Protestantismus. Wie ist das Dilemma der unsichtbaren Kirchezu lösen? Ruge fährt fort:»Die einzige reelle Organisation, zu der es gekommen, ist die Wissenschaft (. . .). Statt desKirchenstaates, den der Protestantismus auflöst und in den weltlichen Staat aufgehen läßt,drängt er also zu einer Organisation des unsichtbaren Reiches, und dies ist das der Wissen-schaft, dargestellt durch die Universitäten und die Literatur.«16

Hier also wird die unsichtbare Kirche ein Stück sichtbar als eine reelle Organisa-tion. An anderer Stelle wird die unsichtbare Kirche als die »Begriffskirche der Wis-senschaft« bezeichnet.17 Es kommt zu einer Überlagerung des Selbstverständnissesals philosophischer Schule durch den Interpretationsrahmen der unsichtbaren Kir-che, eine Überlagerung, die ihren philosophischen Ausgangspunkt in der vonHegel gesetzten Identität von Glauben und Wissen hat.

Allerdings bleibt die Binarität sichtbar/unsichtbar in eigentümlicher Weiseunbestimmt, denn in den Wissenschaften hat zwar die unsichtbare Kirche ihrenOrt, aber sie fällt nicht mit ihnen zusammen. Die unsichtbare Kirche ist dem Selbst-verständnis der Junghegelianer nach nicht eine sektenartige Randgruppe, sondernvirtuell die zentrale Kirche. Das heißt, sie ist durch ein imaginäres Band an diejeweils als entscheidend begriffene Zentralität gebunden. 1839 ist dies für Ruge derStaat. Er »ist die einzige Sichtbarkeit für alle Unsichtbarkeit des Geistes, die sicht-bare Kirche ist er selbst in seinen Anstalten für den Kultus und für das Göttliche inWissenschaft und Kunst.«18 Daß gerade diese Sichtbarkeit eine neue unsichtbareKirche herausfordert, liegt für die Dialektiker auf der Hand.

Der Topos der unsichtbaren Kirche begleitet die junghegelianischen Debatten.Er bietet immer wieder die Möglichkeit, gegenüber als äußerlich und erstarrterscheinenden sozialen Zusammenhängen eine neue Lokalisierung der Gewißheit

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der Freiheit des Geistes vorzunehmen. Schließlich kann er auch noch für die Spal-tung der Junghegelianer mit herangezogen werden, wie dies G. Julius im Hinblickauf die Marxsche Kritik an B. Bauer 1845 tut. Der Streit zwischen Marx undB. Bauer ist für ihn der »Streit der sichtbaren mit der unsichtbaren Menschenkir-che«. So heißt es bei Julius:»Während Bauer, in protestantischer Weise, die schlechte Welt, er hat dafür den Ausdruck>die Masse<, die (wie Herr Marx es ihm vorrückt) >noch nicht kritisch wiedergeborene Welt<aus Herzensgrunde verachtet, aber sie bestehen läßt und zu dem gebraucht, wozu sie gut ist,sich in sie schickt, indem er an ihr und für sie arbeitet, um sie der Zukunft, der >neuenGeschichte< an deren Schwelle die Kritik noch einsam steht, entgegenzuführen und selbsteinstweilen sich selig fühlt im Hinblick auf diese neue Welt - alles, wie gesagt ganz prote-stantisch, - versetzt Marx den Himmel, das Reich >der vollbrachten Emanzipation derMenschheit< die neue Welt der Gattungswesen, in römisch-katholischer Weise, auf denBoden der irdischen, materiellen Welt, als eine an die forces propres als Gesellschaftskräfteglaubende, den bösen Geist des Egoismus durch den guten Geist des Gattungslebens (derLiebe) aufhebende und die Freiheit der >Menschenkinder< (die humanistische Emanzipa-tion) vollendende, allein selig machende, wohlorganisierte Kirche auf Erden , Auf diese Artverwandelt Herr Marx >die theologischen Fragen in weltlichem Er glaubt nicht an dieunsichtbare, im Herzen, im Geiste wirkliche Kirche des Humanismus, er will eine organi-sierte sichtbare Kirche des Humanismus haben.«19

Die sichtbare Kirche ist in dieser Diskussion ein gleichsam katholisches Prinzip,dem die Vollendung der Reformation fehlt. Julius sieht bei Marx einen Abfall vomprotestantischen Prinzip. Daß Marx umgekehrt B. Bauer zum katholischen Heili-gen stilisiert, ist bekannt.

Die unsichtbare Kirche ist ein durchgängier Modus der Junghegelianer, sich inder religiösen Tradition zu verorten. Allerdings hat dieser Modus den Charaktereiner Hohlform. Denn in dem Maße, in dem das sichtbare kirchliche Moment zumVerschwinden gebracht wird, ist auf dieser Ebene kaum mehr an spezifischen Kri-terien herauszubringen, als daß die Integration der unsichtbaren Kirche über eineradikal gefaßte Autonomie des Geistes in der Gruppe gefaßt wird.

Zwei Interpretationen bieten sich an: Einmal könnte man davon ausgehen, daßdie Radikalisierung der Idee der unsichtbaren Kirche letztendlich zu einer Auflö-sung der religiösen Momente geführt hat. Hiernach böte die unsichtbare Kirchegleichsam den Startpunkt für eine Bahn, an dessen Ende säkulare Positionen stän-den. Wird die Hohlform der unsichtbaren Kirche nicht mit weiteren Elementender religiösen Tradition ausgestattet, so würde sie zunehmend bedeutungslos wer-den. Und eine ganze Reihe von Indizien spricht für diese Interpretation. Die Jung-hegelianer emanzipieren sich mit der Entfaltung ihrer Religionskritik zunehmendvon religiösen Gruppendefinitionen. Sie wollen aus der religiösen Sphäre heraus,und sie formulieren schließlich radikal atheistische Positionen.

Eine andere Interpretation könnte annehmen, daß die Hohlform der unsichtba-ren Kirche, die im Bereich des Protestantismus dem Prinzip nach anerkannt ist,gerade dazu eingeladen hat, sie mit weiterem Definitionsmaterial aus verschiede-nen religiösen Unterströmungen aufzufüllen. Auch für diese Interpretation spre-chen eine ganze Reihe von Indizien. Wer die Texte der Junghegelianer aufmerksam

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liest, findet in ihnen eine Vielzahl von Gedankenfiguren und Symboliken, die sichals dem weit verzweigten religiösen Unterstrom von Schwärmertum und spiritualenGruppen angehörig zu erkennen geben.

Diese interpretatorische Alternative stellt sich nicht nur für die Junghegelianer,sie steht in Zusammenhang mit der älteren Kontroverse, »ob die Weltanschauungdes deutschen Idealismus als eine natürliche moderne Umwandlung des Protestan-tismus betrachtet werden muß oder vielmehr als eine Verkehrung in eine modern-griechische Gnostik«.20 Und sie steht ebenso im Zusammenhang mit den Kontro-versen, inwieweit heutige emanzipationstheoretische Bemühungen mit dem Hin-weis auf ihre religiöse, namentlich schwärmerisch-chiliastische >Abstammung<desavouiert werden können.

Die Junghegelianer stehen ideengeschichtlich am Ausgang des deutschen Idea-lismus, und aus ihrem Kreise gehen theoretische Umrisse hervor, die bis in unsereGegenwart hinein Bezugspunkte der theoretischen Diskussion sind. Die Frage,welche der beiden Interpretationen mehr zutrifft, ist von daher unausweichlich ineine latente polemische Frontstellung eingebunden. Denn im Rahmen der neuzeit-lichen Wissenschartstradition gelten weithin religiöse Voraussetzungen wenigstensin den säkularen Fakultäten als Abfall von der Wissenschaftlichkeit. Den Nach-weis, daß es sich z. B. bei der dialektischen Methode um ein bestimmten religiösenTraditionen verhaftetes Denkmodell handle, wird innerhalb der latenten Frontstel-lung derjenige Wissenschaftler bestreiten wollen, der sich dieser Methode bedient.Vielleicht hat diese Frontstellung mit dazu beigetragen, daß wichtige Partien desreligiösen Lebens in der Zeit des Ausgangs des klassischen Idealismus in Deutsch-land viel zu wenig untersucht wurden. H. Stuke weist zu Recht darauf hin, daß es,um »der starken Lebendigkeit und tiefgreifenden Wirksamkeit biblisch-christli-cher Glaubensinhalte und Heilserwartungen« in den 30er und 40er Jahren gewahrzu werden, nicht ausreiche, sich an der protestantischen Orthodoxie und der jung-hegelianischen Religionskritik zu orientieren. »Vielmehr muß man vor allem denreligiösen Spiritualismus und das religiöse Schwärmertum dieser Jahre in den Blicknehmen.«21

J. Gebhardt hat im Anschluß an F. Heer auf die häufig mißachtete schwärmeri-sche Unterströmung aufmerksam gemacht.

»Es gilt zu erkennen, daß der aufsteigende Dritte Stand auch in Deutschland sein politischesBewußtsein neben dem >Umweg< über fremde Vorbilder gewinnt durch soziale und geistigeKommunikation mit der Welt der Schwärmer, die latent vorhanden sind als eine >zweiteNation<, die seit den Religionskriegen von den politischen und geistlichen Orthodoxienlutherischer und katholischer Observanz nach unten abgedrängt wurde.«22

Dieser These von der »zweiten Nation« im Untergrund ist zuzustimmen. Aller-dings sind Zweifel angebracht, wenn Gebhardt diese Strömungen verantwortlichmacht für die sozialen und politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. In sei-ner Betrachtung werden die Schwärmer umstandslos zu Vorläufern totalitärer Mas-senbewegungen.

Polemische Frontstellungen dieser Art erschweren eine Analyse der Zusammen-hänge. In unserem Kontext geht es nicht darum, die religiöse Unterströmung ver-antwortlich für einen >deutschen Irrationalismus< zu machen. Dem Soziologen fällt

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es vielleicht auch leichter, sich diesen Fragen zuzuwenden, weil er sich Urteilenüber die Dignität von religiösen Glaubensinhalten und von wissenschaftlichenGruppennormen ein gutes Stück weit enthalten kann und auch enthalten muß, umdie sozialen Situationen der Individuen im Blick halten zu können. Wo er dieseZurückhaltung lockert, wird er daraufhinweisen müssen, daß im Bereich mytholo-gischer Bilderwelten und religiöser Deutungssysteme häufig eine weitaus komple-xere geistige Anstrengung anzutreffen ist, als in wissenschaftlichen Arbeiten, diesich auf dem Gegensatz von wissenschaftlicher Rationalität und Irrational-Religiö-sem ausruhen.

2. Gnostischer und chiliastischer Habitus

Wenn man der Interpretation nachgeht, derzufolge sich die Hohlform der unsicht-baren Kirche mit Definitionen aus verschiedenen religiösen Traditionen auffüllt, soergibt sich das Problem, den Charakter der einfließenden Traditionen soziologischgenauer zu fassen. Zunächst muß anerkannt werden, daß sich dieser Bereich einemdirekten Zugriff sperrt. Denn wir haben es hier mit vielfältig verzweigten, mehroder weniger esoterischen Glaubensformen zu tun, die sich insgesamt als abwei-chendes religiöses Verhalten kennzeichnen lassen. Der gemeinsame Nenner istzunächst, daß diese Haltungen aus dem Raster formell organisierter Gläubigkeitherausfallen und nur selten sich in konturierten Glaubensgemeinschaften offenba-ren. Das abweichende religiöse Verhalten steht jedoch in spezifischen Spannungenzu den hegemonialen religiösen Verhaltensweisen. Und aus der Spezifität der Span-nungen ergeben sich Chancen, sinnvolle Kategorien zu bilden. Für unseren Bereichsind zwei Haltungen von Bedeutung, die ich den gnostischen und den chiliasti-schen Habitus nennen möchte.

Der gnostische Habitus23 entwickelt sich an der spezifischen Spannung, die zwi-schen der hegemonialen Lehre und ihren anerkannten Repräsentanten und gleich-sam inoffiziellen systematischen intellektuellen Bemühungen besteht. Historischentstand Gnosis vermutlich als religiöser Laienintellektualismus, worauf Rudolphim Anschluß an Weber hingewiesen hat.24 Entscheidendes Merkmal des Laienin-tellektualismus ist, daß in diesem Bereich das Bestreben anzutreffen ist, über dieanerkannten religiösen Deutungen hinausgehende Abstraktionen kompliziertererArt zu entwickeln. Der gnostische Habitus enthält somit einen »Überschuß« anIntellektualität. Es werden dort Probleme gesehen und virtuose Konstruktionenentfaltet, wo die Vertreter anerkannter Lehre keine Notwendigkeit sehen, sichGedanken zu machen. Die sozialen Ursachen für die Entstehung von Laienintellek-tualismus können vielfältig sein, durchgängig aber dürfte die Situation einer ten-denziell randständigen Intelligenz gegeben sein, was Weber mit dem Begriff»Kleinbürgerintellektualismus« andeutet.

Hinzu kommt, daß sich im gnostischen Habitus gemeinsam mit dem »Über-schuß« an Intellektualität eine schwer begrenzbare Entfremdungserfahrung aus-breitet. Weil die religiöse Wahrheit nicht so leicht gefunden werden kann, wie diesbei den offiziellen Vertretern der Fall ist, weil also der Intellekt kompliziertere

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Umwege machen muß, entfernt sich mit der religiösen Wahrheit zugleich dieFähigkeit zur harmlosen Teilnahme an der je gegebenen >Welt<. Weltverachtung,vertiefte Spekulation über das >Böse<, Leiden an Entfremdung und die Ausbildungschroffer Dualismen sind weit verbreitet.

Der chiliastische Habitus25 entwickelt sich an der spezifischen Spannung, die zwi-schen dem heilsgeschichtlichen Wissen um die Endzeit und dem Versuch besteht,dies Wissen auf die jeweilige Jetztzeit anzuwenden, um den heilsgeschichtlichenOrt der Gegenwart zu bestimmen. Ausgehend von Auslegungen der jüdischen undchristlichen Apokalypsen und der Weissagungsliteratur bildeten sich heilsge-schichtliche Modelle heraus, in denen zunächst der zu erwartende Ablauf des end-zeitlichen Geschehens und schließlich die gesamte Geschichte als eine erkennbareSequenz von Ereignissen bzw. heilsgeschichtlichen Stufen bestimmt wurden. DieKonjunkturen eines deutlichen Auftretens chiliastischer Vorstellungen sind wahr-scheinlich abhängig von sozialen und kulturellen Krisen, in denen ein vermehrtesBedürfnis nach heilsgeschichtlicher Vergewisserung der beteiligten Individuenbesteht.

Die Pointe des Chiliasmus gegenüber diffuseren Endzeit- und Weltuntergangs -erwartungen besteht darin, daß in chiliastischen Entwürfen vor dem Ende der Weltein letztes Zeitalter auf Erden erwartet wird, in dem sich utopische Hoffnungen vonFrieden und Glück realisieren werden. Seine geschichtlich wirksamste Fassung hatder Chiliasmus in der Geschichtstheorie des calabresischen Abtes Joachim vonFiore gefunden.26 Bei ihm ist auch schon der soziologisch wichtige Unterschiedangelegt, der die Frage betrifft, ob das letzte Zeitalter lediglich zu erwarten sei, oderob Kräfte in der Gegenwart bestehen, die seine Heraufkunft aktiv befördern helfenkönnen.

Gnostischer und chiliastischer Habitus sind hier nur holzschnittartig vorgestellt.In der langen Geschichte dieser untergründigen religiösen Traditionen existierenvielfältige Nuancierungen und Überschneidungen. Beide Haltungen beziehen sichzwar auf zentrale Inhalte der hegemonialen religiösen Kultur, gemeinsam ist ihnenjedoch, daß sie die Mysterien des Glaubens nicht einfach verwalten und tradieren,sondern zum Problem machen. Der gnostische Habitus betont die Notwendigkeit,den Glauben durch intellektuelle Abstraktionen zu vertiefen, um im Wissen Erlö-sung zu finden, der chiliastische Habitus betont die Notwendigkeit, sich zu verge-wissern, in welchem Zusammenhang die eigene geschichtliche Existenz mit demgöttlichen Heilsplan steht.

Historisch betrachtet, begründet die Kontinuität der hegemonialen Religionzugleich auch die Kontinuität der abweichenden religiösen Haltungen. Dabei ist esunter systematischem Gesichtspunkt nicht von entscheidender Bedeutung, ob dieKontinuität der abweichenden religiösen Haltungen durch faktische Überlieferun-gen zustande kommt, oder ob auch ohne Überlieferung die Eigenart der inhaltli-chen Struktur unter den gegebenen Umständen immer wieder zur >Neuerfindung<derselben Abweichungen geführt hat. Wahrscheinlich ist, daß beides stattgefundenhat.

Im Bereich des Hegelianismus sind beide Haltungen weit verbreitet. Es sei hieran zwei Hegeische Formulierungen erinnert, an denen sich der gnostische und chi-liastische Habitus verdeutlichen lassen.

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In der >Phänomenologie< schreibt Hegel: »Das Leben Gottes und das göttlicheErkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochenwerden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn derErnst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.«27 Das Abso-lute geradewegs in den Blick zu nehmen, reicht nicht aus. Zwar trifft die Formulie-rung »Spielen der Liebe mit sich selbst« das Wesen des Absoluten, aber diese Vor-stellung, an der sich Gläubige zu rasch beruhigen könnten, ist gnostisch defizitär.Sie wird entwertet. Zur Erkenntnis Gottes sind kompliziertere Umwege nötig, einemühevolle Reise durch nicht enden wollende Entfremdungen hindurch, an derenEnde erst das Absolute als gesichertes Resultat erscheint.

Als Indiz für einen chiliastischen Habitus in Hegels Denken wird man nicht nuran das berühmte Jugendwort an den Studienfreund Schelling erinnern müssen:»Das Reich Gottes komme, und unsere Hände seien nicht müßig im Schöße.«28

Vielmehr sind gerade Ausgangspunkt und Aufbau der Hegelschen Geschichtsphi-losophie von chiliastischen Motiven durchtränkt. Von der als zerrissen erlebtengeschichtlichen Krisensituation her ergibt sich die Notwendigkeit, sich der Sinn-haftigkeit der eigenen geschichtlichen Existenz in einer umfassenderen Deutungder Geschehnisse zu vergewissern. Auf den ersten Blick stellt sich die Weltge-schichte als ein »Schauspiel der Leidenschaften«, der »Gewalttätigkeit« und des»Unverstandes« dar, dessen Betrachtung nur »mit einer moralischen Betrübnis,mit einer Empörung des guten Geistes, wenn ein solcher in uns ist, über solchesSchauspiel enden« kann. Man brauche nicht einmal »rednerische Übertreibung«,sondern allein »mit richtiger Zusammenstellung des Unglücks« ließe sich dieGeschichte »zu dem furchtbarsten Gemälde erheben und ebenso damit die Emp-findung zur tiefsten, ratlosesten Trauer steigern«. Diese Ausgangslage bildet denEinstiegspunkt für eine chiliastische Figur. »Aber auch indem wir die Geschichteals diese Schlachtbank betrachten, aufweicher das Glück der Völker, die Weisheitder Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden, so ent-steht dem Gedanken notwendig auch die Frage, wem, welchem Endzwecke dieseungeheuersten Opfer gebracht worden sind.«29

Die Entfremdungserfahrung zwingt zu geschichtsphilosophischen Sinngebun-gen. Der »Endzweck« ist zweifellos ein chiliastisches Erbe, aber die Pointe derHegelschen Konstruktion besteht darin, daß er den heilsgeschichtlichen Bruch, andem der »Endzweck« sich zeigt, ambivalent historisiert. Man kann Hegel lesen undfinden, daß mit der Reformation bereits das dritte Zeitalter begonnen hat. Aberdazu muß man in der Lage sein, den »Endzweck« in bestehenden Gestaltungen derWelt realisiert zu sehen. Es wäre dies die Stelle, an der die gnostische Erlösungdurch Wissen gleichsam die chiliastische Erwartung annullieren könnte. B. Bauerbemerkt über die Hegelschule nach Hegels Tod, daß für die Althegelianer »dieTräume der Chiliasten von der Zeit der Vollendung ( . . . ) bereits in Erfüllung getre-ten zu sein« schienen.30

Für die Hegelianer gehören gnostischer und chiliastischer Habitus zu vertrautenInstrumentarien der Weltdeutung, und sie ordnen sich selbst den entsprechendenuntergründigen Traditionen zu. Für Rosenkranz sind der Sache nach die gnostischeund die chiliastische Thematik die beiden entscheidenden theologischen Stränge,die sich aus der Reformation heraus entwickeln. Die Protestanten hätten bewiesen,

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»daß man für die Vermittlung der Gewißheit bei der Heiligen Schrift als solcher nicht stehenbleiben könne; man müsse die Religion von dem freien Gedanken durch Auslegung ihrereigenen, immanenten Vernunft sich rechtfertigen lassen. So entstanden nun Systeme dersogenannten natürlichen Religion und Auseinandersetzungen vom Unterschied des Mei-nens, Fürwahrhaltens, Glaubens und Wissens. - Auf der anderen Seite gaben sich viele demStudium der Weltgeschichte hin, um -wie Lessing, Herder, Iselin u. a. - aus dem Begriff desEndzweckes unserer Geschichte die einzelnen Erscheinungen derselben und deren Not-wendigkeit verstehen zu lernen.«31

Die vertiefte Spekulation über das Verhältnis von Glauben und Wissen ist fürden gnostischen Habitus zentral, weil Gnosis ja gerade voraussetzt, daß intellektu-elle Erkenntnis und göttliche Erlösung identisch sind. Auf der anderen Seite stehtdie geschichtsphilosophische Spekulation gerade auch bei Lessing, den Rosen-kranz anführt, in enger Kommunikation mit chiliastischen Traditionen.32 Gnosti-scher und chiliastischer Habitus sind die beiden positiven Traditionen, an diegedacht werden muß, wenn man nach Elementen sucht, die in jenem Hohlraum derunsichtbaren Kirche sich eingelagert haben.33

Die Probleme geschichtsphilosophischer Selbstverortung habe ich im Zusam-menhang der Diskussion der Entwürfe für eine journalistische Boheme bereitserörtert. Auf religionssoziologischer Ebene spiegelt sich die Blockierunggeschichtsphilosophischer Lösungen angesichts der großen Stadt in der Frage, obdie chiliastische Hoffnung sich schon erfüllt hat oder ob die Erfüllung noch bevor-steht. Auch dort, wo die Junghegelianer sich als unsichtbare Kirche definieren, istdiese Frage umstritten.

Die unsichtbare Kirche hat für Ruge eine doppelte Seite. Einmal ist es die infor-melle »Gemeinschaft des Geistes«, die sich »in der Andacht verwirklicht«, bezogenauf das Bibelwort: »Wo drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mittenunter ihnen«. Die andere Seite der unsichtbaren Kirche bezieht sich auf ihre Funk-tion für den letzten Weltzustand.»Die Andacht des Gottesdienstes ist nicht die einzige Form der Erscheinung des christlichenGeistes. Er durchdringt das ganze Leben, die Erlösung und Vergötdichung der Welt istwirklich und das Himmelreich ist zu uns gekommen; wehe denen, die es antasten, theore-tisch antasten oder praktisch - sie sind aussätzig unter den Gesunden!«34

Diesem Status quo einer im Kern erfüllten Endzeit setzt B. Bauer die chiliastischeWeissagung entgegen: »es werden Staaten kommen, die sich zuversichtlich auf dieFreiheit des Selbstbewußtseins gründen werden. Sie werden die Sache des kirchli-chen Bewußtseins vollends entscheiden. Es gibt viele Weissagungen der letztenfünfzig Jahre, die ihrer Erfüllung harren. Heil den Staaten, die sich nicht fürchtenwerden vor diesen Weissagungen.«35 Bauers Metaphorik der »Posaune des jüng-sten Gerichts« gehört ebenso in diesen Zusammenhang wie Marx' Rede vom »deut-schen Auferstehungstag«.36

Die Ambivalenzen der Historierung der Endzeit werden in den Debatten nichtoffen ausgetragen. Deutlicher ist der chiliastische Habitus dort greifbar, wo dieJunghegelianer ihre neue »Religion des Diesseits« der alten, nur auf das Jenseitsbezogenen Religion gegenüberstellen. Die »Religion des Diesseits« entspricht des-

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halb dem chiliastischen Geschichtsmodell, weil eine Phase angenommen wird, inder sich die auf das Jenseits gerichteten Heilserwartungen in der weltlichenGeschichte realisieren.

Für Ruge ist die alte Religion »der Kultus oder die Verehrung eines schlechthinjenseitigen Heiligen, dessen Offenbarung wohl in die Zeit fällt, aber immer auch indieser noch das Unerreichbare, das Überschwengliche und Unbegreifliche, alsonach wie vor sie jenseitig bleibt.« Dagegen fällt die neue Religion vollständig in dieZeit, sie wird zur »Praxis«. »Diese beiden Formen der Religion bekämpfen sichjetzt, oder richtiger geredet, sie stehen sich gegenüber, wie die alte und die neueZeit«.37

Was ist an der junghegelianischen »Religion des Diesseits« noch religiös? Wiegrenzen sich die Junghegelianer, die zuerst noch nicht offen atheistische Positionenvertreten, gegenüber dem Atheismusvorwurf ab? Ein anonymer Berliner Junghege-lianer argumentiert:»Das Christentum selbst gibt das Kriterium an die Hand, woran ihr erkennen könnt, ob eineneue religiöse Theorie der Menschheit gefährlich oder heilbringend sei. Wiedergeburt durchden Geist - ist die Kategorie, die in keiner wahren, das Heil der Menschheit fördernden, reli-giösen Doktrin fehlen darf. Wäre das Diesseits, auf welches die modernen Kritiker dringen,das empirische, die Huldigung des krassen Materialismus, dann würde auch ich mit euch einAnathema über sie ausrufen: aber es ist das durch den Geist wiedergeborene Diesseits, wassie anerkannt wissen wollen; - ihre Tendenz ist also gerade die echt christliche.«?1

Die »Wiedergeburt durch den Geist« entspricht dem Dritten Zeitalter des Heili-gen Geistes in der fioritischen Konstruktion, in dem die göttliche Wahrheit sichnicht mehr über priesterliche Vermittlung verbreitet, sondern quasi spontan in denIndividuen entsteht.

Ruge weiß, daß es sich bei solchen Auffassungen um »Ketzerisches« handelt. .»Das Aufgeben des Christentums und der alten dualistischen Religion (d. h. die Spaltungvon Diesseits und Jenseits, d. V.) ist die erste Ketzerei (. . .). Die zweite Ketzerei ist die deralten entgegengesetzte neue Religion, die Religion der Sittlichkeit, die Religion des Diesseits,und der Grund von allen beiden ist der Gott, welcher der Geist und nicht transmundan, son-dern die ewiggegenwärtige als das geistige und natürliche Universum ausgelegte Idee (Sub-jekt, Begriff) ist.«39

Die Religion eines innerweltlichen Gottes ist jedoch ein labiles Deutungsmuster,vor allem, weil in ihr das Verhältnis von säkularer Geschichte und Heilsgeschichteoszilliert.

Was passiert, wenn die säkulare Eigengesetzlichkeit des Diesseits die Konturendes Reiches Gottes auf Erden zu irritieren beginnt? An dieser Frage zerbricht derchiliastische Habitus der Junghegelianer. Sei es, daß die große Stadt die Uner-schöpflichkeiten eines neuen Jerusalem übertrifft, oder daß die Herausforderun-gen des innerweltlichen Gottes, - daß die Geschichte anfängt, die chiliastischenTräume zu korrigieren. In diesem Übergangsfeld zerbrechender chiliastischerErwartungen hat die Vergewisserung der religiösen Erfahrung Konjunktur. Maggesteigerte Religiosität oder militanter Atheismus dabei herauskommen, dieseAlternative ist weniger dringlich als eine haltbare Gewißheit, mit der das Oszillie-ren von säkularer Geschichte und Heilsgeschichte beendet werden kann.

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3. Erlösung durch WissenIm gnostischen Habitus wird der verbreitete Glaube defizitär erlebt. Die religiöseLehre wird nicht als selbstverständlich hingenommen, sondern sie muß umständli-cher spekulativ begründet werden. Die intellektuelle Gotteserkenntnis erhält denVorrang vor dem bloßen Glauben. Ihm wird die Erlösung durch Wissen entgegen-gestellt. Durchgängig ist der gnostische Habitus der Junghegelianer dort zu greifen,wo sie die Differenz von Glauben und Wissen systematisch ausbauen und radikali-sieren. Dabei erscheint das Wissen zunächst im Anschluß an Hegel nicht als einedem Glauben widersprechende Haltung, sondern als die gleichsam höhere Formdes Glaubens.

Für Rugeist die gläubige Frömmigkeit der Gegenpol, bei dem anzusetzen ist.»Die Kategorie der Frömmigkeit ist jetzt veraltet, denn sie ist die gute, gehorsame, sanfteUnterwürfigkeit unter den heiligen Willen des jenseitigen Gottes, sie ist Tugend aus Reli-gion, denn in der alten Form der Religion ist Tugend und Religion zweierlei, weil es einendoppelten Willen gibt, den Willen Gottes, zu dem sich die Religiosität gehorsam verhält,und den Willen des Menschen, dessen Tugend in diesem Gehorsam besteht und dannFrömmigkeit genannt wird.« Die Frömmigkeit, dieser »Rest einer unmündigen Vorzeit(. . .), darf von ihrer Negation nichts wissen, sie darf nicht gebildet, sie muß wirklich nochkindlich« sein.

Die höhere Form des Glaubens dagegen geht nicht vom Kindverhältnis aus, son-dern von der »Gemeinschaft; freier Menschen«. Es handelt sich um »Bildung desCharakters und des Geistes, um den Kampf der Freiheit mit der Endlichkeit, unddieser Kampf ist der Kampf und das Leben des absoluten Wesens selbst. Wer denFreiheitskampf in geistiger Weise versteht und treu die Folgen seines Verständnis-ses auf sich nimmt, den kann man im wahren Sinne religiös nennen.«40

L. Buhl zufolge will »auch der extremste Kritizismus (. . .) die Religion nichtüberhaupt negieren, sondern nur an die Stelle der positiven Religion die des Geistessetzen.«41 Auch bei Feuerbach tritt die neue Philosophie »an die Stelle der Religion,sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion.«42 UndRugedefiniert emphatisch: »Der neue Glaube aber, nach dem mit Recht alles fragtund strebt, die ganze Gesinnung dieser neu entdeckten Welt, ist keine andere, alsder Glaube an die alles durchdringende Seele des Wissens oder an die Wahrheit.^

Uns interessieren die sozialen Formen, in denen sich der >neue Glaube< zeigenkönnte. Da das Gottkindschaftsverhältnis, das sich in einer Hierarchie darstellenließe, nicht mehr gilt, sondern »die innere Gewißheit der stetigen Entwicklung desEinen Geistes« den Ausgangspunkt bildet, stellt sich die Frage nach Formen fürden >neuen Glauben< besonders dringlich.

Nach außen tritt der >neue Glaube< bei Rugeals »Herrschaft der wahrhaft Wis-senden« auf. Eine kontemplative, spekulative Versenkung in ein göttliches Wissensteht nicht zur Debatte, sondern der >neue Glaube< wird kämpferisch nach außengewendet. »Gott liebt es, sich den Menschen in einem brennenden Busche zuoffenbaren; der Feuerbrand, in dem er sich uns gezeigt hat, ist die Revolution«,schreibt E. Bauer44, und für die Jetztzeit gilt nach Rüge: »auch der Gebildetstegebraucht das Gefühl der todesverachtenden Idealität, das Fieber der rücksichtslo-

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sen Begeisterung, den reellen Gottesdienst der Freiheit; keine Theorie ersetzt diesePraxis.«45 Bezeichnend die Analogie, die Jachmann beschwört: »Aber ohne Märty-rer wäre die Religion Christi nicht zur Weltreligion geworden; ohne die blutigenTaufzeugen derer, die ihr Leben für ihre Überzeugung ließen, hat noch kein Kindder Wahrheit seinen Namen erhalten. Auch der Liberalismus erfordert solcheOpfer«.46 Eine spezielle soziale Form ist in diesem gläubigen Pathos selbst nichtmitgegeben, vielmehr wird die Form der Partei oder der Schule mit religionskriege-rischen Elementen aufgeladen.47

Der gnostische Habitus wirft für die Innenseite der Gruppentypen erheblicheProbleme auf. Die Referenz dem >Wissen< gegenüber mag die einzelnen noch sosehr zusammenhalten, die Bindung des Erlösungsglaubens an das Wissen istschwer kollektivierbar. Schon für die philosophische Schule ist die kollektive Inte-grationsebene »wissenschaftliche Wahrheit« schwierig gewesen. Nun tritt mit demgnostischen Habitus noch das Moment religiöser Gewißheit hinzu.

Man könnte von der spiegelverkehrten Innenseite des charismatischen Dilem-mas sprechen, das darin besteht, daß Charisma immer nur einzelnen anhaftenkann. Die reine und unvermischte Gläubigkeit als ein theoretisches Konstrukt ent-nehmen die Junghegelianer der Hegeischen Religionsphilosophie. Religion ist hier,wie Rosenkranz schreibt, »von Gott unmittelbar zu wissen.«48 Die Struktur dieserDefinition hat sich bis in M. Webers Begriff des Charisma erhalten, mit dem eine»schlechthin an dem Objekt oder der Person, die es nun einmal von Natur besitzt,haftende, durch nichts zu gewinnende Gabe« gemeint ist.49 Der unmittelbareBezug ist aber nur ein konstruierter Ausgangspunkt, der empirisch erst greifbarwird in der Bewährung des Charisma. Auf diese Bewährung und auf ihre sozialenVoraussetzungen und Chancen usw. hat sich Webers soziologisches Interesse kon-zentriert.

Im gnostischen Habitus liegen nun zwei Möglichkeiten, mit der Annahme einesreinen, unvermischten Glaubens umzugehen. Hegel vollzieht einen gigantischenZirkel, um den unmittelbaren Bezug des Glaubens durch differierende Bewußt-seinsformen, den Stufen des Geistes, die sich als Vermittlung darstellen, aufzufä-chern, und schließlich am Ende seines Systems im absoluten Wissen die Versöh-nung von Glauben und Wissen zu feiern. Im Weberschen Sinne könnte man sagen,daß Hegel spekulativ die Bewährungen so angelegt hat, daß sie erfolgreich durch-gestanden werden. Die Junghegelianer weichen hier ab, und sie müssen abweichen,weil die Hegeische Versöhnung von Glauben und Wissen nur individuell haltbarist.

Bei Ruge stellt sich dies Problem so dar:»Wer die Mission erfüllt, das Wort des neuen Geistes auszusprechen, das heißt, dengeschichtlichen Ruck und Bruch mit der Vorzeit auszuführen, der sitzt mit hohen Ehren amWebstuhl der Zeit, er schafft, wie im Denken das Erkennen des Vorliegenden die neueBestimmung schafft; es wird aber ebenso der Idee, dem wahren Sein des Begriffs, zugestan-den werden müssen, daß sie im Reich des Geistes am wahrsten und völlig, überall zu Tageliegend, nirgends >zu Grunde liegen bleibend< sein müsse.«

Die göttliche Erkenntnis muß »überall zu Tage liegen«, weil dies die Vorausset-zung ist, über göttliche Erkenntnis in der Gruppe kommunizieren zu können. Die

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einzelnen »sind keine prometheischen Feuerbringer, welche die Wahrheit aus demjenseitigen Himmel zu holen bevorzugt wären«. Eine kollektive Erleuchtung wärezwar spekulativ zu entwerfen, aber die Junghegelianer sind gnostisch genug, umsich mit dem Wunder eines Pfingstens der Gruppe nicht beruhigen zu können. Sokommt Ruge zu dem Schluß:»Das wirklich Zeugende ist hier allerdings der Einzelne, der Genius, der aber aus dem allge-meinen Geist hervorgeht, und, indem er seinerseits das Selbstbewußtsein des allgemeinenGeistes ausspricht (!), in Wort und Tat nichts tut, als die Mission der sich selbst (!) einfüh-renden Freiheit erfüllen. Er ist der Gottgesandte, nicht der Gott.« Die soziale Form, die hierantipiziert wird, nennt Ruge die »geistige Demokratie, die im Besitz des Göttlichen dieGenien nicht verehrt, denn sie sind von ihr bestellt, sondern sie nur ehrt, indem sie siebestellt, in der Verehrung aber, die sie wirklich ausübt, in ihrem wirklichen Kultus, eben denGenuß ihrer Würde und die Ehre des besten Seins besitzt.«50

Wie kann so eine prekäre Situation in der Gruppe ausgehalten werden? DasGeheimnis besteht darin, daß zur Lösung dieses Knotens der gnostische Habitusden Dualismus von Glauben und Wissen entgegen der Intention, beides zusam-menfallen zu lassen, fortlaufend neu reproduzieren muß. Da die Hierarchie als eineKonsequenz des Charismas vermieden werden soll, bleibt nur die Chance, in einerInteraktion den Glauben durch die Erkenntnis und die Erkenntnis durch den Glau-ben in Schach zu halten. Wer den Verlockungen einer zu hervorragenden gläubigenSelbstgewißheit zu unterliegen droht, kann durch eine Verkomplizierung derErkenntniswege zur >geistigen Demokratie< gezwungen werden. Umgekehrt dientdas Insistieren auf der Existenz eines agnostischen unvermischten Glaubens dazu,denjenigen, der aus der Binarität ausbrechen will, wieder in eine Beziehung zurGewißheit zu bringen. Erst wenn es gelingt, das Moment der Gewißheit generell zuantiquieren, ist der Bann des gnostischen Habitus gebrochen.

In diesem Zusammenhang erscheint der eigenartige Zug der Junghegelianer, sichimmer wieder auf strenge altchristliche Glaubenselemente zu beziehen, in einemneuen Licht. Zeitgenossen wie der deutsch-katholische Pfarrer Hieronymi urteilenüber diese Tendenz: »Daß einmal die Kirche in mönchischer Asketik das gegen-wärtige Leben mißachtet, und nur nach dem jenseitigen getrachtet hat, ist wahr,aber daß man der Gegenwart diesen Vorwurf machen könne, will mir nicht ein-leuchten.« So hatte Bayrhoffer die Taufe in dem Sinne altchristlich gedeutet, »daßder Geistliche das Kind durch die Taufe in eine jenseitige Welt aufnehme« und mitFeuerbachschem Pathos auf der Mutterliebe insistiert, der es zuwider sei, »daß ihrKind der wirklichen Welt soll entrissen werden«. Für den erfahrenen Geistlichenist diese altchristliche Radikalisierung unverständlich.»Wären diese Worte nicht so ernst gehalten, ich müßte lachen, das nenne ich in Hyperbelnreden! Solche Wunderkraft, das Kind in eine jenseitige Welt aufzunehmen, hat selbst dieorthodoxeste Kirchenlehre der Taufe niemals zugeschrieben, sie meinte nur, das Kindwerde durch die Taufe von Erbsünde und Teufel frei, wollte das Kind also gerade von derjenseitigen Welt freimachen. Eine Mutter, die da gedacht habe, man wolle ihr Kind der wirk-lichen Menschheit entreißen, ist mir nie vorgekommen. Die Taufe ist bei allen vernünftigenLeuten schon lange nichts weiter als ein Symbol der Aufnahme in den Christenbund.«51

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Der Pseudohegelianer Fichte wirft den Junghegelianern vor: »Aber auch dasChristentum müßt ihr zur entstellten Karikatur herabsetzen, um mit eurer Polemikgegen desselbe gerecht zu werden.«32 Fichte bezieht sich dabei auf Feuerbach, beidem in der Tat die Tendenz zur Identifizierung des Christentums mit altchristli-chen Auffassungen extrem deutlich wird. Der Verfänglichkeit des gnostischenHabitus in diesem Punkt ist schwer zu entgehen. Aschen nimmt z. B. Feuerbachs»Wiederaufwertung der dem Christentum ursprünglichen Prinzipien auf morali-scher Ebene« ernst und sieht bei Feuerbach eine »Rückkehr und Suche nach demwahren ursprünglichen Christentum«.53 So eindeutig läßt sich die Ambivalenz desgnostischen Habitus aber nicht auflösen.

So wendet sich Feuerbach z. B. gegen den »christlichen Arzt«, der zwar auf dasGebet für die Heilung des Kranken nicht verzichtet, aber dieses religiöse Mittel mitprofanen Mitteln der ärztlichen Kunst unterstützen will. Er»räumt also dem Gebete, überhaupt den geistlichen Mitteln, eine entsündigende Kraft ein;aber warum nicht auch eine entkrankheitende? Er beginnt also nur die Heilung mit demGebet, aber vollbringt sie nicht mit ihm? Erst läuft der Herr Obermedizinalrat in die Kircheund dann in die Apotheke? (...) Wenn nun aber das Gebet der unmittelbare Kontakt mitdem Urquell aller Macht, alles Lebens ist, wenn wir uns durch dasselbe in ein richtigeresVerhältnis zu Gott und Natur setzen, wenn es gegenwärtige Übel heilt, ja, die Quelle allesÜbels, die Trennung von Gott, aufhebt, (...): Warum macht er denn nicht das Gebet zumPrinzip seiner Therapie?«

Dem christlichen Arzt< hält Feuerbach die Heilungen entgegen, die derHl. Bernhard und der Hl. Malachias aus ihrem Glauben heraus vollbracht haben.»Haben sie bei ihren Kuren zugleich die Hostie und die Klistierspritze, das Kruzifixund den Blutegel appliziert?«54

Die polemische Ironie, mit der Wunderglaube und altchristliche Demut ins Spielgebracht werden, ist nicht zu überhören. Jedoch ist zu bezweifeln, ob damit dasPhänomen erklärt ist. Die polemische Ironie ist seltsam schwankend. In der Rheto-rik Feuerbachs, wie auch in der anderer Junghegelianer spricht sich auch eineBewunderung des Berge versetzenden altchristlichen Glaubens aus. Diese Glau-benskraft ist der prominente Bezugspunkt Feuerbachs:»Wenn daher der Verfasser vom Christentum redet, so redet er nicht von dem charakterlo-sen, laxen, schlappigen Christentum der neueren Zeit, dessen Glaube ein durchaus erloge-ner, sich selbst widersprechender, willkürlicher, ungläubig-gläubiger Glaube ist, nicht vomChristentum in einem unbestimmten Sinne, in jenem Sinne, in welchem es nur noch eininhaltsloser Name ist und heutigentags von so vielen genommen wird, sondern vom Chri-stentum in seinem eigenen, schlechtweg determinierten Sinne.«

Der altchristliche Glaube verfällt gerade nicht der Kritik. »Gegen den stillen,unmittelbaren, lebendigen, einfachen, in Handlungen sich betätigenden Glauben,wer sollte sich da kehren? Wer sollte ihn, sein Inhalt sei auch welcher er wolle, nichtschonen, nicht anerkennen, nicht ehren?«53

Die Hervorkehrung des altchristlichen Glaubens ist nach zwei Seiten gewendet:einmal wird die Kraft dieses Glaubens bewundert, ausgehend von bestimmtenGlaubensinhalten Wirklichkeitsdeutung und menschüliches Verhalten in überra-gender Weise zu bestimmen, zum andern muß auf dieser Folie das moderne aufge-

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klärte Christentum als ein kaum wirkungsvolles Unternehmen erscheinen, demge-genüber vielleicht erst auf einer höheren Stufe die >neue Religion< jene Durch-schlagskraft wieder erringen könnte, die der altchristliche Glaube besessen hat.Entsprechend werden der Erlösung durch Wissen jene Attribute zugeschrieben,die dem göttlichen Wirken angehören. Die Kritik »verleiht dem menschlichenBewußtseins alle Gewalt, alle Macht zu binden und zu lösen, alle Schlüssel zumHimmelreich der Freiheit«, heißt es bei E. Bauer.56

Wenn es im gnostischen Habitus darum geht, den Dualismus von Glauben undWissen immer wieder als sich verstärkende Binarität zu entfalten, um durch ver-tiefte Spekulation den Spannungsrahmen aufrechtzuerhalten, so bietet sich geradeder altchristliche Glaube dazu an, verweist er doch die Vertreter des hegemonialenChristentums, die sich für die Junghegelianer in der offiziellen Theologie der Zeitzeigen, auf die Fragwürdigkeiten einer Vermittlung von Glauben und Wissen, dieohne komplizierte Umwege auszukommen glaubt. Den Theologen der Zeit wirftFeuerbach vor:»Die Strenge der alten Christen, d. h. ihre Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, ist euch nurÜbertreibung oder gar Mißverstand der christlichen Wahrheit und Tugend. Natürlich, manmuß, wie theoretisch ein Mittel zwischen Glauben und Unglauben, so auch praktisch einschönes juste-milieu zwischen der christlichen Moral und dem Epikureismus der modernenWelt innehalten. (. . .) Während die alten Christen auf den Knien über dornige und steinigePfade zum Himmel emporklimmten, wollt ihr, auf den Lorbeeren des Unglaubens ausru-hend, auf Eisenbahnen und Dampfwagen ins himmlische Jerusalem hineingleiten.«57

Während für Feuerbach das alte vorreformatorische Christentum der entschei-dende Bezugspunkt ist, von dem aus die gnostische Spannung von Glauben undWissen angelegt wird, reproduziert B. Bauer die Position einer ins Extrem gestei-gerten neupietistischen Orthodoxie, um den gnostischen Habitus zu sichern. Wah-ren Glauben findet B. Bauer nicht in der zeitgenössischen, vom Rationalismusgefärbten Theologie, sondern im strengsten Pietismus, dessen Strenge er noch zuüberbieten sucht.»Der wahrhaft Gläubige ist gewiß, daß es nur Eines Wortes bedarf, da die Kraft des Göttli-chen, der Wille und die Allmacht Gottes mit ihm ist. So wie der wahrhaft Gläubige will, sosteht es da, wie er verneint, so ist es ein vernichtendes Nein, er ist ein Zauberer: Ein Blickseines Auges hat es dem Gegner angetan! Der rationalistische Gläubige dagegen hat keinenGlauben mehr: Ihm scheint es Vermessenheit, wenn ein Mensch glauben wollte, sein Willekönne so weit mit dem Göttlichen eins sein, daß er lösen und binden könne. Sein Gott hatnicht mehr die Kraft, das Gottlose zu vernichten.«58

Zu den wahrhaft Gläubigen gehören für B. Bauer Gestalten wie der BremerNeupietist Krummacher. Ihn versucht B. Bauer in »Hegels Lehre von der Religionund Kunst vom Standpunkt des Glaubens aus betrachtet« (1842) noch zu übertref-fen. Man kann diese Schrift als eine Karikatur lesen und diese Seite noch verstär-ken, wie Rüge es in seiner Rezension tut: Krummacher müsse als Autorität aner-kannt werden,

»und man muß gestehen, daß ihn im Bekenntnis des Christentums mit allen seinen Konse-quenzen keiner der jetzt lebenden Menschen, selbst der Heilige Vater in Rom nicht über-trifft. Krummacher ist klassisch in seiner Art und verdiente allgemein gekannt zu sein. An

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ihm würde sich jeder sogleich orientieren; denn er handelt und feilscht mit nichts und mitniemand, er ist radikal und das schönste, entscheidenste Extrem, das man nur wünschenkann.«59

Dieser Wunsch ist auf den ersten Blick natürlich ironisch, wie das ganze Spiel derneupietistischen Maskeraden, das die Junghegelianer treiben. Aber der Wunschnach dem »schönsten, entscheidensten Extrem« hat nicht die säkulare Leichtigkeit,mit der etwa das Junge Deutschland, namentlich Heinrich Heine, die Religion per-sifliert haben. Wie bei Feuerbachs Apotheose der alten Christen, so ist auch beiB. Bauers Hervorkehrung des radikalen Neupietismus eine andere Tendenz spür-bar. Es geht um die beharrliche Konstruktion einer reinen und unvermischtenGläubigkeit, die so pur in keiner Realität aufzufinden ist, die aber für den gnosti-schen Habitus eine bewußtseinsmäßige Voraussetzung ist. Die reine und unver-mischte Gläubigkeit ist als theoretisches Konstrukt unverzichtbar. Sie muß immerwieder ins Spiel gebracht werden, weil sie als Extrem hilft, die andere Seite, nämlichdie reine und unvermischte Vernunft, darzustellen. Die Gewißheit der >neuen Reli-gion nährt sich untergründig von der strukturnotwendigen Beschwörung eineralten reinen und unvermischten Gläubigkeit.

So gerüstet tritt die unsichtbare Kirche der Junghegelianer auf das Schlachtfeldder religiösen Bewegungen des Vormärz.

4. Religiöse Erneuerungsbewegungen

Bei den religiösen Erneuerungsbewegungen des Vormärz handelt es sich um einkomplexes Geflecht religiöser Gemeinschaftsbildungen, dessen Erforschunggerade erst begonnen hat.60 Die überwiegende Zahl der Arbeiten zum Junghegelia-nismus geht nur beiläufig darauf ein, obwohl es an sich sehr nahe läge, die religions-kritische Debatte der Junghegelianer auf dem Hintergrund dieses Phänomens zuuntersuchen.

Was den Blick auf die religiösen Bewegungen im Vormärz verstellt, ist eine selt-same Verschränkung der möglichen Perspektiven. Aus der Perspektive der Revolu-tion von 1848 erscheinen die religiösen Bewegungen als parapolitischer Vorlauf desKampfes um Restauration oder Demokratie. Den Zeitgenossen wird ein säkularesBewußtsein unterstellt zu einem Zeitpunkt, an dem ein Säkularisationsschub ein-setzt. Aber war es ein Säkulatisationsschub, oder war es eine Transformation desreligiösen Bewußtseins? Ging es unter der Hülle der Religion um etwas ganz ande-res, oder war die Religion der Kern, der sich politisch-säkular verhüllte?

Nach 1848 scheint diese Alternative geklärt zu sein.»In dem Anfang der 40er Jahre schien es fast, als solle sich die erregte Teilnahme der Laienan den theologischen Händeln, die im siebzehnten Jahrhundert Deutschland in seiner Ent-wicklung so sehr aufgehalten hat (!), noch einmal erneuern. Wir sind sehr damit zufrieden,daß diese Gefahr von unserer Bildung abgewandt ist, daß die politische Aufregung die reli-giöse verdrängt hat.«61

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Dies nachmärzliche Urteil J. Schmidts ist für den Religionssoziologen herausfor-dernd, weil er darauf aufmerksam gemacht wird, daß es selbst für einen dezidiertkonservativen Intellektuellen eine größere Gefahr als die einer Revolution gegebenhat, eine Gefahr, im Vergleich zu der die »politische Aufregung« nachgerade alsBeruhigung erscheinen muß. Die Erleichterung darüber, daß die politische Thema-tik die religiöse verdrängt hat - ist sie in der Forschung habitualisiert worden, diedie religiösen Bewegungen des Vormärz nur noch in politischen Horizonten zudeuten vermag?

Die Gruppe der Junghegelianer steht noch inmitten der Alternative, ob die Reli-gion die Politik substituiert oder die Politik die Religion. Sie sind sich nicht sicher,ob sie es mit dem Ende oder der Vollendung der Religion zu tun haben. Weder gno-stischer noch chiliastischer Habitus machen dieses Problem entscheidungsfähig,weil von ihnen auch gesagt werden könnte: entweder sie verenden in diesem Säku-larisierungsschub, oder sie vollenden sich in einer Transformation des religiösenBewußtseins. Da diese Frage nicht im direkten Zugriff zu lösen ist, ist ein Umwegnötig.

Halten wir uns zunächst an Beobachtungen von Zeitgenossen. Durchgängig istder Topos der Orientierungslosigkeit. Bereits 1838, anläßlich des Kölner Kirchen-streits, bemerkt Th. Mundt: »Wir haben gesehen, wie in dem gegenwärtigenMoment auf keiner Seite (der protestantischen und der katholischen, d. V.) einereine und ungetrübte Weltanschauung besteht, sondern die ehemals schneidenstenGegensätze waren vielmehr bis jetzt im Begriff, fast tumultuarisch ineinander über-zulaufen.«62 1841 klagt H. Merz:»So ist denn jetzt die Verwirrung, die Ungewißheit und Unklarheit größer als je. Der Glaubeund das Wissen, die Freiheit und die Knechtschaft, die Duldung und die Verfolgung, dieBildung und die Barbarei durchkreuzen sich in allen Richtungen und Punkten - man könnteirre werden an der Zukunft, wenn man nicht zu der Urkraft des deutschen und reformatori-schen Geistes den zuversichtlichsten Glauben halten dürfte.«63

Ein dänischer Prediger schreibt:»Die eisige Gleichgültigkeit gegen Religion, welche, durch Spott und Zweifel erzeugt, soviele Gemüter gefangen genommen hatte, schmilzt immer mehr vor den Eindrücken eineslebendigen Glaubensbekenntnisses hinweg.« Und so sehr die religiöse Erneuerung begrüßtwird, der geschulte Prediger sieht sich schon genötigt, den religiösen Überschwang zudämpfen: »Doch voreilig würde die Hoffnung auf eine alsbald sich vollendende Darstellungdes Gottesreiches auf Erden sein. Die Geschichte lehrt vielmehr: Daß gerade in solchen Zei-ten der Erneuerung, gegenüber dem Durchdringen evangelischer Wahrheit auch die Machtdes Wahns sich mehrt.« Er erinnert an die >Auswüchse< der Reformation und der Zeit Spe-ners und der Pietisten.64

Der Junghegelianer F. Saß, der über die Glaubenskonflikte seiner Zeitgenossen>hinaus< ist, will sich in seinem Berlin-Buch gar nicht erst auf eine detaillierte Dar-stellung der religiösen Bewegungen einlassen;

»mit welchem unerquicklichen Material hätten wir uns hier zu beschäftigen, wenn wir alledie einzelnen religiösen Parteien Berlins, die muckerhaften, die orthodoxen, die halbathei-stischen und die pietistischen, die ultramontanen und die deutsch-katholischen, die talmu-

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dischen und die reformjüdischen, die Hengstenbergianer bis zu den Atheisten, welche unterdie Lichtfreunde gegangen sind, genau darstellen wollten! In dem Lande der ausgebreitet-sten Sektenfreiheit, in Nordamerika, kann der religiöse Parteikampf zwar wohl äußerlichfreier, aber nicht intensiver geführt werden, als bei uns.«65

Wie für Saß ist auch für Prutz' mundanen Blick die religiöse Bewegung der 40erJahre ein gespenstisches Unternehmen:

»Wir disputieren über die Dreieinigkeit, erörtern die Glaubhaftigkeit des EvangelistenLukas und schreiben dicke Bücher darüber, ob der Weg in den Himmel links geht oderrechts, ob man zu Pferde oder zu Esel sicherer dahin gelangt, und ob die Hölle eine Treppetief liegt oder zwei. Da haben wir in Summa die Nationalinteressen des deutschen VolkesAnno vierzig bis sechsundvierzig: der rote Faden, der sich durch das Gewirre dieser Jahrehinzieht, er ist aus geistlicher Wolle gezupft, die Dogmatik ist unser contract social, Geistli-che sind unsere Volkshelden, theologische Streitfragen die Fragen der Gegenwart, die Fra-gen der Nation! - ( . . . ) So auch, wohin einer jetzt in Deutschland fliehen möchte, vonKönigsberg bis Konstanz, von Breslau bis Cleve, überall, aus allen Gesellschaften, allenWirtshäusern, allen Dampfwagen tönt ihm die kirchliche Melodie unserer Tage entgegen;( . . . ) du kannst keine Zeitung in die Hand nehmen: Das erste, worauf dein Auge fällt, ist einetheologische Kontroverse, kein Beefsteak essen: dein Nachbar unterhält dich von Uhlichund fragt, ob dir Ronge oder Czerski besser gefällt - keine Zigarre anzünden: man reicht direinen Fidibus aus der >evangelischen Kirchenzeitung<.« Deutschland gleiche »nur nocheinem großen kirchlichen Konzile«.6*

Und Jacoby stellt fest: »Wahrhaftig! Religion ist die epidemische Krankheitunserer Zeit; niemand ist vor Ansteckung sicher.«67

Die Reihe der Aussagen von Zeitgenossen ließe sich beliebig vermehren. Ob nunemphatisch teilnehmend oder distanziert beobachtend: der Vergleich der 40erJahre mit der Reformationszeit drängt sich allen Zeitgenossen auf.68 Diese religiöseBewegung mündet in die Revolution von 1848. Nach ihrer Niederlage ist die»Reformation des 19. Jahrhunderts« weitgehend vergessen. Es ist wenig nützlich,diese Bewegungen aus einer nachmärzlichen Perspektive zu betrachten, weil damitdie Frage nach der Säkularisierung bzw. der Transformation der Religion vorabentschieden würde. Vielmehr gilt es, die religiöse Bewegung der 40er Jahre alseinen Prozeß zu begreifen, in dem paradoxerweise religiöse Erneuerung und Säku-larisierung miteinander verschränkt sind.

Für diese Verschränkung hat der zitierte dänische Prediger einige treffende For-mulierungen gefunden. Er sieht zwei Richtungen, die geeignet sind, die »ruhige«Entwicklung des Christentums zu stören.

»Die Anhänger der einen dieser Richtungen gehen vorzugsweise darauf aus, das Christen-tum und seinen Inhalt ihrem menschlichen Bewußtsein möglichst nahe zu bringen, indemsie dasselbe mehr oder weniger seiner göttlichen Erhabenheit entkleiden, es gewaltsam völ-lig in die Sphäre des natürlichen Denkens nach der menschlichen Ordnung hinabzuziehensuchen. Die von der anderen Richtung dagegen betrachten es vielmehr als ein himmlisches,heiliges, von allen irdischen Wesen fernzuhaltendes Gotteserbe, das an sich allem reinmenschlichen Wissen und Wirken fremd sei; ( . . . ). Die einen verkündigen eine Weltreli-gion, welche der Erkenntnis des Menschengeistes überhaupt verwandt sein, mit dieser imvölligen Einklang stehen müsse«, und sie seien bemüht, »eine dereinstige Auflösung derReligion in Philosophie und der Kirche in Staat als das notwendige Ziel des geistigen Fort-schrittes darzustellen. Dagegen dringen die anderen auf eine innerliche im Gemüte wur-

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zelnde Frömmigkeit, welche, unbekümmert um Formen und Bewegungen des Weltlebens,in ihrer ursprünglichen eigentümlichen Selbständigkeit und Unmittelbarkeit zu verharrenhabe«.69

Es wäre voreilig, wollte man diese erste Richtung als Motor der Säkularisierungund die zweite als religiösen Widerstand dagegen vereindeutigen. Denn beideRichtungen wirken säkularisierend: die eine, indem sie die religiöse Thematik mehrals zuvor in profane Zusammenhänge einbringt, sie im doppelten Sinne darin >auf-gehen< läßt; die andere, indem sie die religiöse Thematik mehr als zuvor den Gestal-tungen des profanen Lebens entzieht und sich nur noch eines arkanen >Restes< ver-sichert. Aber beide Bewegungen befördern auch eine Intensivierung des religiösenErlebens: die eine, indem sie das Handeln in profanen Zusammenhängen zum ent-scheidenden Gottesdienst macht; die andere, indem sie das religiöse Erleben einemunangreifbaren individuellen Bereich zuweist, in dem die Berufung auf letzteWerte sich einnistet.

Diese Verschränkung von Säkularisierung und Intensivierung religiösen Erle-bens ist ein Erbe der Aufkärung und ihres »Doppelgängers«, des aus der spirituali-stischen Tradition hervorgehenden Pietismus.70 Beide bedrängen im 17. und18. Jahrhundert die protestantische Orthodoxie, die sich unter den Bedingungeneiner im hohen Maße staatsabhängigen Kirche schwer tut, Kultus und Dogmatikdem sozialen Wandel anzupassen.

Entscheidend für die Entwicklung des Protestantismus in Deutschland istbekanntlich, daß das absolutistische Landeskirchenregiment die Entfaltung einesstaatsunabhängigen kirchlichen Gemeindelebens, in dem die religiösen Gegen-sätze sich hätten ausdrücken und so sozial verarbeitet werden können, stark behin-derte. F. Fischer weist im Anschluß an Jellinek, Weber und Troeltsch daraufhin,daß »zu dem westeuropäischen Verfassungsstaat eine Linie von der kalvinistischenReformation und vom Täufertum hin führt«, eine Linie, die entsprechend denResultaten der Reformation (trotz nicht zu unterschätzender Einflüsse des Calvinis-mus auf Verhaltensmuster preußischer Oberschichten) in Deutschland vergleichs-weise schwach ausgebildet war. Der Effekt dieser Ausgangslage auf die geringeVerwurzelung demokratischer Tradition und auf die Dominanz obrigkeitsstaatli-cher Haltungen in Deutschland ist oft erörtert worden.71

Für die deutschen Intellektuellen des 17. und 18. Jahrhunderts bestand die trotzaller differenten Haltungen und Wandlungen strukturell relativ konstante Situa-tion, daß sie sich in einem segmentierten religiösen Terrain bewegen mußten, wennsie über die offizielle Orthodoxie hinausgehende Intentionen verfolgten. Entwederversuchten sie, als Rationalisten in die Kirchen das Licht der Aufklärung hineinzu-tragen, indem sie etwa den altprotestantischen Teufels- und Hexenglaubenbekämpften und die religiösen Mysterien Vernunftgründen zugänglich machten,oder sie zehrten von den religiösen Unterströmungen spiritualer und mystischerFrömmigkeit, die unter dem weiten Mantel des Pietismus72 fortlebten, oder siebewegten sich alternierend in beiden Segmenten. Der Unzufriedenheit mit demherrschenden Kirchenleben sind sie selten entgangen.

Diese strukturelle Lage trifft auch für die Vertreter des deutschen Idealismuszu.73 Häufig hatten sie von der Mutter in der Familie eine intensive religiöse Erzie-

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hung erhalten, Bibellesen und häusliche Andachtstunden waren die Regel, in derSchule wurde der Katechismus gewissenhaft gelernt, aber die kirchlich bestimmteReligiosität endete oft mit der Konfirmation. Als Steffens 1799 nach Berlin kam,erzählte er: »Die Kirchen waren leer und verdienten es zu sein, die Theater warengedrängt voll und mit Recht.« Schleiermacher, der es wissen mußte, urteilt: »Derprotestantische Gottesdienst hat zu wenig Fülle und Konsequenz, als daß er dieGemeinde zusammenhalten könnte.«74 Die Liturgie entsprach nicht dem künstleri-schen Bedürfnis vor allem der >Gebildeten<, und die Predigt mit ihren erstarrtenKonventionalismen taugte schon gar nicht.

Die Segmentierung, in der sich die Intelligenz bewegte, wurde verstärkt durcheine schichtenspezifische Komponente. Kirchliche Religiosität galt als ausreichendund notwendig für das einfache Volk, für die Intelligenz war sie entbehrlich. Aberdiese >Entkirchlichung< der Intelligenz hat nichts mit einer Abkehr vom Christen-tum schlechthin zu tun, wie dies in den 20er Jahren Lütgert und andere darstellten,die im deutschen Idealismus eine Bedrohung für das Christentum sahen, die dereinstigen gnostischen Bedrohung vergleichbar gewesen wäre.75 Entscheidend ist,daß Kirche und Religion im Bewußtsein der Intelligenz auseinandertreten und daßdiese Spaltung zugleich als Spaltung zwischen >Gebildeten< und >Volk< affirmiertwird.

Vielleicht ist es gerade diese Spaltung, auf deren Hintergrund die zahlreichenSuchbewegungen der Intelligenz erklärt werden könnten, doch noch in Teilen desVolkes eine Religiosität zu finden, die mit der Religion der Intelligenz kompatibelist. So gilt für eine ganze Reihe von Vertretern des Idealismus die Herrenhuter Brü-dergemeine als ein beeindruckendes Muster christlichen Lebens. So z. B. fürGoethe, der in »Dichtung und Wahrheit« schreibt:»Seit meiner Annäherung an die Brüdergemeine, hatte meine Neigung zu dieser Gesell-schaft, die sich unter der Siegesfahne Christi versammelte, immer zugenommen. Jede posi-tive Religion hat ihren größten Reiz, wenn sie im Werden begriffen ist; deswegen ist es soangenehm, sich in die Zeiten der Apostel zu denken, wo sich alles noch frisch und unmittel-bar geistig darstellt, und die Brüdergemeine hatte hierin etwas Magisches, daß sie jenenersten Zustand fortzusetzen, ja zu verewigen schien. Sie knüpfte ihren Ursprung an die frü-hesten Zeiten an, sie war niemals fertig geworden, sie hatte sich nur in unbemerkten Rankendurch die rohe Welt hindurchgewunden«.76

Die deutsche Intelligenz um 1800 ist fasziniert von Sekten wie den Herrenhu-tern, die »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie« des radikalen PietistenGottfried Arnold gehört zur Standardlektüre, im Idealismus soll wie im Urchristen-tum oder der Reformation eine neue Religion auferstehen. Aber dieses gesteigertereligiöse Interesse sieht kaum eine Chance, sich in einem breiteren kirchlichenGemeindeleben zu artikulieren.

Die Ausgangslage für die religiösen Bewegungen in der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts wäre unzureichend skizziert, wenn die eigentümliche Erwek-kungsbewegung, die sich vielleicht ausgehend vom Kampf der katholischen Kirchein Frankreich gegen Atheismus und antikirchlichen Geist der Revolution über ganzEuropa ausbreitet, ausgespart bliebe.77 Unter einem politischen Blickwinkel mag esgerechtfertigt sein zu versuchen, Idealismus und Erweckungsbewegung auseinan-derzudividieren, religionssoziologisch betrachtet handelt es sich um Vermischun-

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gen, in denen religiös gesteigertes humanistisches Pathos vom Neubau der Weltund alte Glaubensinhalte wie Buße und Gnade, Sündenfall und Erlösung ineinan-derfließen. Paradigmatisch für diesen >erweckten Idealismus< ist das Pathos derBefreiungskriege, für das bezeichnend ist, »daß Worte wie Erlösung, Wiederge-burt, Auferstehung, Offenbarung umgedeutet werden aus dem genuin religiösen ineinen politischen und nationalen Sinn.«78 Fischers Formulierung verweist auf dasProblem, das bis zu den religiösen Bewegungen der 40er Jahre bestimmend seinwird. Handelt es sich um eine Sakralisierung der Politik oder um eine Politisierungreligiöser Glaubensinhalte?

Das Problem wäre leichter zu lösen, wenn die politische und die religiöse Ebenesich in greifbareren Institutionalisierungen dargestellt hätten, in einem leistungsfä-higem Gemeindeleben und in politischen Vereinen. Auch konnte es so erscheinen,daß in den Befreiungskriegen für einen Moment die Spaltung zwischen dem Bil-dungsbürgertum und den >Volksmassen< aufgehoben wäre, aber Schleiermachersvaterländische Predigten und Fichtes patriotische Reden konnten ein kontinu-ierlich von unten gewachsenes Gemeindeleben nicht ersetzen. Die Bindung derErweckungsbewegung an den Krieg stempelt sie ohnehin schon zu einer Ausnah-mesituation. Die politisch-religiösen Hoffnungen, die an die Befreiungskriegegeheftet waren, wurden enttäuscht. Grob gesprochen kristallisierten sich drei Hal-tungen heraus, mit denen auf das Scheitern reagiert wurde. Nach der ErmordungKotzebues blieb für diejenigen, die an den jakobinisch-patriotischen Wiederge-burtsidealen festhielten, nur die Illegalität der Konspiration. Eine zweite Möglich-keit war, sich dem Idealismus in der Hegeischen Fassung zuzuwenden, der genü-gend Zweideutigkeiten besaß, um mit ihm in der Restaurationszeit überleben zukönnen.79 Die dritte Möglichkeit schließlich war, sich auf die religiöse Erweckungzu konzentrieren und auf alle politischen Reformversuche zu verzichten.

Den dritten Weg gingen die sog. Neupietisten, Männer wie z.B. Tholuk, Harms,Perthes, Below, Kottwitz und Hengstenberg. Über sie distanziert zu schreiben, fälltnicht leicht. W. Nigg urteilt: »Man kann sich diese Reaktionstheologie nichtunsympathisch genug vorstellen.«80 Dabei ist ihr Ausgangspunkt nicht so ohne wei-teres von der Hand zu weisen. Die Befreiungskriege waren ja auch eine religiöseBewegung und das hieß, auch ohne die ersehnten politischen Resultate ging dieErweckung weiter. »Hunderte von Jünglingen werden an allen Orten durch denGeist Gottes geweckt. In allen Orten treten die Bekehrten in genauere Verbindun-gen. Selbst die Wissenschaft wird Dienerin und Freundin des Gekreuzigten«,schreibt Kottwitz.81 Und F. Fischer weist daraufhin: »Selbst ein glühender Enthu-siast wie Arndt unterwirft sich in lutherischer Demut der Zerstörung seiner höch-sten Hoffnungen: >Das müssen wir aber Gott anheimstellen, er hat es so gewollt;denn er hat die Herrscher und Fürsten sein lassen wie sie sind< (1815)«.82

Nicht von der Hand zu weisen ist der Ausgangspunkt der Neupietisten, weil siedeutlich das Defizit eines freien kirchlichen Gemeinschaftslebens spüren, ein Defi-zit, das zu den strukturellen Problemen der Intelligenz seit der Reformation inDeutschland gehörte. Steffens erklärt, nachdem er sich der Erweckungsbewegungangeschlossen hatte: »Ich habe die Auferstehung des Herrn innerlich erlebt, ichhabe ihn erschüttert sterben und begraben sehen.« Aber das reicht nicht, er fügt

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hinzu: »Ich sehnte mich nach einer Gemeinde.«83 Gegen diese Sehnsucht nacheiner Kirche mit einem funktionsfähigen Gemeindeleben stand der lutherische Kir-chenbegriff, den vor allen Neander verteidigte. In diesem Sinne schrieb ein Freundan Perthes: »Die Protestanten haben keine Kirche und können keine haben, unddas ist kein Unglück, denn lieber keine Kirche, als den freien Geist des Christen-tums aufgeben.«84

Jahre später werden Ruge und B. Bauer dies Argument aufgreifen und gegen dieNeupietisten wenden, die Einfluß auf die staatliche Kirchenpolitik gewinnen wol-len. Der Erweckungsbewegung und dem Neupietismus ist die Ausbildung einesstaatsunabhängigen Gemeindelebens entgegen ihren ursprünglichen Ansätzenletztendlich nicht nur nicht gelungen, vielmehr gerieten sie unter dem EinflußHengstenbergs und seiner 1827 gegründeten aggressiven >Evangelischen Kirchen-zeitung< (EKZ) mehr und mehr zu einem Kirchenbegriff, der sich nur administrativrealisieren ließ. Hengstenberg tilgte die mystischen Elemente der Erweckungsbe-wegung und gelangte zu einem vollendet orthodoxen Kirchenbegriff. Die Kirchewurde für ihn eine auf Einheit der Lehre begründete äußere Gemeinschaft, dieseKirche war nur möglich als Polizeikirche.85

Trotz aller begründeten Kritik an dem unerquicklichen Fanatismus der neupieti-stischen Orthodoxie und ohne Abstriche zu machen an der Erkenntnis, wie sehrdiese Bewegung mit dazu beigetragen hat, demokratisches Bewußtsein in Deutsch-land zu blockieren, muß hier auch an die Überlegung R. Wittrams erinnert werden,der darauf aufmerksam gemacht hat, daß es die Erweckungsbewegung gewesen ist,die das Überleben des Protestantismus in Deutschland als einer Glaubensgemein-schaft erst ermöglicht habe. Es sei ihr erbitterter Widerstand gewesen, der den Pro-testantismus vor dem Aufgehen in eine säkularisierte Nationalreligion bewahrthabe.86

Sicherlich ist dies nur ein innerreligiöser Aspekt. Aber der Haß auf die Revolu-tion und die Demokratie, der die Neupietisten beseelte, hatte auch seine religiösenMotive, die nicht auf politische Klasseninteressen reduzierbar sind. Die Revolutionbedroht nicht nur Privilegien, sie ist in einem religiösen Sinne auch der Versuch,einen Zustand der Vollendung herzustellen, indem der Mensch sich der Geschichtebemächtigt, einer Geschichte, die dem religiösen Bewußtsein immer Heilsge-schichte ist. Auch die neupietistische Orthodoxie orientiert sich an der Verheißungeines Reiches der Gerechtigkeit und Liebe, aber im Unterschied zum chiliastischenHabitus ist für sie dies Reich nicht >machbar<, weder von Auserwählten noch durchhumanistische Anstrengung. Revolution ist hier Sünde, weil sie virtuell gegen dasVerbot der Selbstvergottung verstößt. Auf den Nenner >Selbstvergottung< läßt sichnicht nur der neupietistische Vorwurf des Pantheismus gegenüber Hegel reduzie-ren, auch Leos Anklagen gegen die Junghegelianer finden ihre Spitze in dem Ver-weis: »sunt et erunt sicut Deus«.87

Das verstärkte Auftreten der Neupietisten zu Beginn der 40er Jahre und ihreForderung nach einem christlichen Staat< zwingt die Gruppe der Junghegelianer,ihren Platz in der religiösen Bewegung präziser zu bestimmen.

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5. Der christliche Staat

Auf dem Hintergrund der exkursartig skizzierten Entwicklung ist vielleicht schonabschätzbar, was das Thema der religiösen Bewegungen der 40er Jahre ist: es gehtum die Alternative eines staatsabhängigen oder staatsunabhängigen Gemeindele-bens. In der »Reformation des 19. Jahrhunderts« kulminieren die Ambivalenzendes Protestantismus, insbesondere die Ambivalenz der Idee der unsichtbaren Kir-che< und der >Landeskirche<, die seit 1808 als äußere Kultus- und Sakralgemein-schaft, als >Union< von Lutheranern und Reformierten installiert war.

1840 verteidigt B. Bauer die >Union<: »Die Kirche als solche, die Kirche, die not-wendig bis zur Sichtbarkeit fortgehen muß, ist in der Union untergegangen.« Dasheißt, mit der Aufgabe konfessioneller Kirchlichkeit ist Religion Angelegenheit desStaates, der sich mit der unsichtbaren Kirche< gut verträgt. Damit wird jede Aus-einandersetzung um eine kirchliche Selbstverwaltung für B. Bauer zur »Täu-schung«, denn Synoden unterhielten »in der Gemeinde eine beständige Unruhe«,sie nährten »die Einbildung, daß die Kirche vollkommen unabhängig vom Staatihre Angelegenheiten leiten und durch Gesetze ordnen müsse«, und sie »entfrem-den (...) die besten Kräfte des Geistes den vernünftigen und sittlichen Mächtender Wirklichkeit.«88

Es muß daran erinnert werden, daß die Presbyterial-Verfassung ein Erbe derReformierten ist, die weit mehr als Luther einen Sinn für die Institutionen desGemeindelebens besaßen. Diese reformierte Tradition, die ihren Hauptstützpunktin den niederrheinischen Gebieten hatte, wo eine Presbyterial- und Synodalverfas-sung nach dem Muster der Niederlande lebendig war, hat für B. Bauer nur schädli-che Folgen. Aus seiner Perspektive führt diese Tradition nicht zum modernenStaat, sondern gerade umgekehrt entzieht sie diesem »die besten Kräfte des Gei-stes«.

Um den Startpunkt zu markieren, von dem aus die Junghegelianer den religiösen Bewegungen der 40er Jahre begegnen, ist es wichtig, B. Bauers Angriffe auf die sichverstärkende Forderung nach einem selbstverwalteten »kirchlichen Leben« ken-nenzulernen.

»Kirchliches Leben« ist für ihn »die ungeheuer dürftige, bestimmungslose und durch ihre Leerheit fast zur Verzweiflung bringende Abstraktion«. Solch eine Forderung »ist nichts alsdie schwindsüchtige Scheu dessen, der mit der nicht nur lebensvollen, sondern bestimmtund großartig gestalteten Wirklichkeit nicht mehr harmonieren kann, ist der Haß gegen dieVernunft, die im Staat nicht nur lebt und vegetiert, sondern denkt, will, handelt und ent-scheidet, (. . .), ja es ist der letzte Angriff der Hierarchie eines leergewordenen Jenseits gegendie Göttlichkeit und vollendete Organisation des Diesseits, das ja die Kräfte des Jenseits insich aufgenommen und verzehrt hat.«89

B. Bauer insistiert darauf, »daß die Gemeinde der Gläubigen die unsichtbareKirche ist, die nichts mit Presbyterien und Synoden zu tun hat, die dieser Formennicht bedarf, und wenn sie erscheint, in der Sitte des Staates erscheint.« Mit beißen-dem Hohn ergießt sich B. Bauers Polemik, wenn die kirchliche Selbstverwaltungdamit begründet wird, daß in der Gemeinde Arbeiten, wie etwa Kirchenreinigungund Friedhofspflege, anfallen, deren Erledigung eigener Verwaltung bedürfe.

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»Nun wissen doch Presbyterien und Synoden, was sie zu tun, und worüber sie Gesetze zugeben haben. Fegt die Kirchen, reinigt die Kirchenstühle, gebt Gesetze über die Verzierungder Gräber >durch Bäume, Blumen< und vergesset die >Sträucher< nicht. Wie rächt sich dieVernunft! Was der Staat seinen untersten Polizeidienern überläßt, ist jetzt der wichtigeGegenstand der kirchlichen >Gesetzgebung<.«90

Ruge feiert in seiner Rezension die B. Bauerschen Thesen zur evangelischen Lan-deskirche. Wie B. Bauer geißelt Ruge »die Beschränktheit des leeren Synodal- undPresbyterial Getreibes«, die Union sei »die eigentliche Vollendung der Reforma-tion durch die definitive Konstituierung der unsichtbaren Kirche«.91

Es handelt sich hier um einen folgenreichen Startpunkt, von dem aus die Gruppeihre Auseinandersetzungen mit den religiösen Bewegungen beginnt. Die Junghege-lianer bringen nämlich keine Voraussetzungen mit, an die demokratischen Poten-tiale, die in der Idee einer formell selbstverwalteten Gemeinde liegen, anzuschlie-ßen. Da jedoch die Frage eines staatsunabhängigen kirchlichen Lebens in allenFraktionen der religiösen Bewegung der Zeit implizit oder explizit an erster Stellesteht, bleibt die Haltung der Gruppe, trotz aller Entschiedenheit, die ihr Pathoszeigt, in der Hauptsache unsicher.

In den 40er Jahren ist die Gruppe zunächst mit dem Vordringen des neupieti-schen Zirkel- und Vereinswesens konfrontiert. Dronke berichtet, die»Propaganda der Pietisten« ziehe »unter der Hefe der Massen einher und nistet versteckt indem Schoß des innersten Familienlebens. Durch die Hefe des Volks zieht sie zumeist in demSchafspelz von Traktätchen und kleinen Broschüren über öffentliche Fragen, welche dieZeit bewegen.« Und: »In den Häusern der Armen zeigt sich ein günstiger Boden für dieBerührungen der Pietisten. Sie verkehren hier still und geräuschlos, da niemand sonst indiese Regionen dringt; sie säen hier unbemerkt den Samen der Lebensverzweifelung derReligion aus, sie stellen Betübungen, Erbauungsgespräche und fromme Betrachtungen an,und wo sich der Erfolg im Glauben scheinbar günstig gestaltet, geben sie Unterstützung, umdas Elend des Erdenlebens nicht zur Auflösung kommen zu lassen.»92

Wo liegt für die Junghegelianer die Bedrohung, die von dieser religiösen Bewe-gung ausgeht? Unter dem Mantel der >unsichtbaren Kirche< wäre für diese Erschei-nung doch Platz genug gewesen, zumal die Junghegelianer auch wissen, daß miteinem volkstümlichen Pietismus nicht notwendig das Interesse verbunden ist, eineneue Kirche zu stiften. Der Tübinger Hegelianer E. Zeller, dem der schwäbischePietismus vertraut ist, macht jedoch deutlich, daß die pietistischen Gemeinschaf-ten, aufgrund ihrer Tätigkeit, entgegen ihrer Intention auf die Bahn geraten, sichformell als Kirche zu konstituieren.

Zunächst ginge es - so Zeller - den Pietisten nur um »gemeinschaftliche Erbau-ung«, darum, jene lebendige Frömmigkeit zu erfahren, die sie in der Kirche vermiß-ten: »deswegen sind Erbauungsstunden, collegia pietatis, Konventikel immer daserste, wodurch sich das Vorhandensein einer pietistischen Richtung betätigt.« Aberim Ansatzpunkt der Frömmigkeit liege schon ein weiterer Zweck: »das frommeLeben«, die »Sittenzucht«. Da schon die Erbauung an der »besonderen religiösenEigentümlichkeit« des Pietisten orientiert gewesen sei, so müsse es um so mehr dieSittenzucht sein.

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»Hiermit ist nun aber der Pietismus mit der Welt nicht nur im innern Gegensatz, sondernauch in äußere Spannung gekommen, und wenn schon in seinem ursprünglichen Strebennach Frömmigkeit zugleich die Aufforderung gesetzt war, diese, als das allein Wesentlicheim menschlichen Leben, in aller Welt auszubreiten, so fühlt er sich auch äußerlich hierzugedrängt. So ist die dritte Haupttätigkeit der pietistischen Gemeinschaft die für die Ausbrei-tung des Reichs Gottes«.

Zeller kommt zu dem Schluß:»Durch diese Tätigkeit hat der Pietismus, welcher davon ausging, von allem Weltlichen zuabstrahieren, die Weltlichkeit nun selbst in sich aufgenommen und in seinen Dienst gezo-gen; er hat seine eigentümliche Organisation in religiösen Gemeinschaften, Vereinen undInstituten, eine eigentümliche Beaufsichtigung seiner Mitglieder, eine eigentümliche Erbau-ung. Hiermit ist er in der Tat nicht mehr die ecclesiola in ecclesia, sondern er ist selbst eineäußere Kirche, welche der bestehenden feindlich gegenübertritt, er wird separatistisch.«93

Der Gedankengang Zellers läßt sich fortsetzen: wenn die Frömmigkeit, sobaldsie tätig wird, ihre Weltflüchtigkeit aufgibt und wirksam wird, so ist sie zu einer ArtÜberstieg gezwungen. In ähnlicher Weise hat M. Weber den Zusammenhang voninnerweltlicher Askese und dem Geist des Kapitalismus gesehen. Für den pietisti-schen Ansatz der Frömmigkeit gestaltet sich dieser Überstieg jedoch so, daß er zueiner rigoristischen Affirmation des Lehrbegriffs führt, der eben >frommer< erfah-ren werden soll. Der Weg des Neupietismus zu einer Orthodoxie der Lehre und desKultus, wie er in Hengstenbergs Kirchenbegriff greifbar wird, kann so ein Stückweit erklärt werden.94

Aus der Perspektive der Junghegelianer sind die Pietisten geradezu strukturellunfähig, die Idee der unsichtbaren Kirche< zu fassen. Was die Junghegelianerjedoch vorrangig beunruhigt, ist die Tatsache, daß es diesen Zirkeln unter demneuen König Friedrich Wilhelm IV. gelingt, Einfluß auf die staatliche Kirchenpoli-tik zu gewinnen.

Friedrich Wilhelm IV. war schon als Kronprinz für die schlesischen Altluthera-ner eingetreten, die gegen die Union opponiert hatten und die landeskirchlicheStaatsgewalt zu spüren bekamen, als das Militär ihre Kirche aufbrach und ihr Pfar-rer vom Altar weg verhaftet wurde. Das landeskirchliche Kirchenregiment ent-sprach nicht seiner von der Erweckungsbewegung bestimmten Idee einer Kirche,der nur wirklich Gläubige angehören sollten. Ihm schwebte eine Art Rückkehr zurVerfassung der Urkirche vor, das Kirchenregiment sollte in den Händen einer gro-ßen Zahl von Bischöfen liegen, an deren Spitze der Erzbischof von Magdeburg alsPrimas Germaniae stehen sollte. Anglikanische oder schwedische Bischöfe solltendie Bischofsweihe vornehmen und so die authentische apostolische Suksessiongarantieren. Das presbyteriale Element sollte verschwinden zugunsten bischöflichbestellter Kirchendiener. Seine Rolle als Landesherr wollte Friedrich Wilhelm IV.beschränkt wissen als advocatus ecclesiae, der die Beschlüsse der Bischofssynodebestätigt. Nach Hintze war es »ein Phantasiegebilde, das keine Aussicht auf Ver-wirklichung hatte.«95 Dennoch kommt in diesen Träumen auch der Wunsch nacheiner Emanzipation der Kirche aus dem staatlichen Zwangsverband zum Aus-druck, ein Wunsch, den kurze Zeit später Lichtfreunde und Deutschkatholikengegen den Willen des Königs -uf andere Weise zu realisieren versuchen werden.

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Weniger Staat und mehr Unabhängigkeit für die Kirche - aufgrund der landes-kirchlichen Verfassung konnten staatliche Aktivitäten kaum zu diesem Ziele füh-ren. Die Doppelstellung, in der die Neupietisten sich befanden, wird deutlich inden Initiativen zur Neugestaltung der >Sonntagsfeier<. Einmal wird Kirchenbesu-chem am Neujahrstag 1842 eine Schrift von Geistlichen überreicht, in der die Ent-weihung der kirchlichen Feiertage beklagt wird, auch ein Verein zur Förderungeiner würdigeren Sonntagsfeier konstituiert sich, zum andern taucht das Gerüchtauf, die Regierung bereite ein neues Religionsedikt vor, mit dem eine strengere Kir-chendisziplin von oben verordnet werden sollte.96

Für die Junghegelianer, die davon ausgehen, daß mit der Union die >sichtbareKirche< im Staat schon aufgegangen ist, stellt sich der Streit um die >Sonntagsfeier<doppelt dar. Den >Basisinitiativen< aus den neupietistischen Zirkeln gegenüberaffirmieren sie als Frömmler maskiert die Diagnose eines >Verfalls der Kirche<.Gleichzeitig verschärfen sie parodistisch die Forderungen nach einer >Wiederher-stellung< äußerer kirchlicher Formen, um den Nachweis zu führen, daß dies nurunter Zuhilfenahme der Staatsgewalt Erfolg haben könnte.97

Möglichkeiten eines staatsunabhängigen kirchlichen Lebens kommen den Jung-hegelianern ebensowenig in den Blick wie ihren neupietistischen Kontrahenten.Auf beiden Seiten ist die Vorstellung einer Insertion der religiösen Gehalte in diestaatliche Sphäre beherrschend. Für die Junghegelianer als >Aufgehen< der Religionim Staat, und für die Neupietisten als Idee eines »christlichen Staates«.98 LiberalePositionen einer entschiedenen Trennung von Staat und Kirche finden sich zwarauch in den junghegelianischen Debatten, wie z. B. bei Heß und Jachmann", abersie werden nicht bestimmend, weil der verbreitete gnostische Habitus, in dem Wis-sen und Glauben gegeneinander ausgespielt werden, kaum dazu geeignet ist, halt-bare Trennungen herzustellen.

Wo von einer Trennung von Staat und Kirche ausgegangen wird, kann der jebesondere Inhalt der Religion gleichgültig sein. In der Debatte über den neupieti-stischen christlichen Staat< können die Junghegelianer aber nicht auf eine Qualifi-zierung der religiösen Gehalte verzichten, weil von ihrem Konzept eines >Aufge-hens< der Religion im Staat her gesehen - gerade für eine Gruppe - bestimmbargemacht werden muß, um welche religiöse Qualitäten es sich handelt.

Bahnbrechend für die junghegelianische Debatte ist B. Bauers Schrift: »Derchristliche Staat und unsere Zeit« von 1841, deren Analyse Marx noch 1844 mit denWorten würdigt: Bauer »verständigt über das Wesen des christlichen Staates, allesdies mit Kühnheit, Schärfe, Geist, Gründlichkeit in einer ebenso präzisen als kerni-gen und energievollen Schreibweise.«100 Von Bedeutung ist B. Bauers Kritik deschristlichen Staates< - darauf sei hier schon hingewiesen - für die spätere Transfor-mation der Kritik des christlichen Staates< in eine Kritik der kapitalistischenGesellschaft, die Marx vornehmen wird.

Der ausufernden Diskussion um den christlichen Staat< zum Beginn der 40erJahre begegnet B. Bauer mit den Worten: »Geschichtliche Kategorien werdengewöhnlich erst Stichworte einzelner Parteien, wenn die Sache, die sie bezeichnen,längst untergegangen ist.« Den christlichen Staat<, den die neupietistische Ortho-doxie fordere, habe es nur zweimal gegeben: in Byzanz und im Rom des Mittelal-

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ters. Hier sei der Staat nach religiösen Prizipien gestaltet worden. In der Reforma-tion dagegen habe der Staat die Landeshoheit in den kirchlichen Angelegenheitengewonnen. Der Kampf zwischen Staat und Kirche sei jedoch damit nicht beendetgewesen: »Byzanz und Rom wurden von neuem im protestantischen Staate aufge-baut, und dieser kämpfte nun als theologischer und hierarchischer Staat mit sichselbst als wahrhaftem, freiem Staate«.101

Der Widerspruch zwischen Staat und Kirche sei so in den Bereich des Staates sel-ber gefallen. Und B. Bauer zufolge kann es »nur eine Wohltat genannt werden, daßdie Reformation in diese Widersprüche fiel, den christlichen Staat, indem sie ihmdie oberste Kirchengewalt gab, zerspaltete und ihn als den christlichen und geistlo-sen in inneren Zwiespalt setzte.« Die Alternative eines »identischen Ganzen« hättedie Wiederholung aller »Greuel von Byzanz« bedeutet. Aber die Gefahr einer Wie-derkehr des christlichen Staates< sei nicht gebannt. In den Bestrebungen derReformierten nach selbständiger Vertretung der Kirche gegenüber dem Staate, inStahls Theorie des protestantischen Kirchenrechts und in den unionsfeindlichenseparatistischen Bestrebungen der Altlutheraner sieht Bauer »die neue Restaura-tion des christlichen Staates«.102

Marx schließt sich dieser Seite der Kritik des christlichen Staates< an, er geißeltdie »Konfusion des politischen und christlich-religiösen Prinzips«, die »offizielleKonfession geworden« sei.103 Er greift B. Bauers These auf: »Der byzantinischeStaat war der eigentliche religiöse Staat, denn die Dogmen waren hier Staatsfragen,aber der byzantinische Staat war der schlechteste Staat.« Der Akzent liegt bei Marx1842 auf der Forderung einer Trennung von Kirche und Staat. »Sobald ein Staatmehrere gleichberechtigte Konfessionen einschließt, kann er nicht mehr religiöserStaat sein, ohne eine Verletzung der besonderen Religionskonfessionen zu sein«.104

Die liberale Lösung gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, welche Bedeutung dieExistenz von Glaubensgemeinschaften haben könnte.

Für B. Bauer stößt die neue Restauration des christlichen Staates< auf andereBedingungen, als sie vor der Reformation existiert haben. Im politischen Absolutis-mus seien die hierarchischen Elemente der Kirche vom Staat aufgesogen und dieAufklärung habe sich der Kernstücke des Glaubens bemächtigt, denn sie »mußteendlich dahinterkommen, daß sie sich nicht mehr als vergleichendes Bewußtseinauf den Glauben zu beziehen brauche. Sie war der Glaube an ihr selbst«. Absolutis-mus und Aufklärung sind zwei historische Prozesse, die unumkehrbar sind und dieRestauration des christlichen Staates< prinzipiell verhindern.»Das Territorialsystem, die absolute Monarchie und die Aufklärung sind es, die die Kirchegestürzt und ihren Inhalt in sich aufgenommen haben. Sie haben das Positive der Kirche insich verdaut; wer also die Kirche wiederhaben wollte, würde nicht einmal, was er sucht, fin-den, wenn er die Wissenschaft totschlüge und aus ihrem Leibe das verschlungene Allerhei-ligste, das Positive herausschneiden wollte.«105

Aber der je existierende Staat, wie die jeweils erreichte Stufe der Aufklärung sindfür B. Bauer nicht Fixpunkte, auf denen sich geschichtliche Entwicklung stillstellenließe. Solange der existierende Staat noch nicht zum >freien Staat< umgebildet sei,trete die Opposition »in einer zweifachen Form des Bewußtseins« auf: »als wissen-schaftliche Theorie und als das Postulat der Kirche«.

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Hervorzuheben ist, daß B. Bauer trotz aller Gegnerschaft zur neupietistischenOrthodoxie einräumt: »Tritt nun das Postulat der Kirche und ihrer Selbständigkeitgegen die Regierung auf, so ist es als berechtigt anzuerkennen, solange es seineOpposition nur gegen die bestimmte Form des Bestehenden richtet und dagegenden Überschuß an Inhalt (!), den es noch für sich besitzt und im Staat noch nichtwiederfindet, geltend macht.« Dieses Recht der Kirche werde aber weit überzogen,wenn das Politische des Staats vollends dem je überschüssigen speziellen religiösenGehalt untergeordnet würde. »Die Kirche versieht sich also in ihrer Opposition,wenn sie in einem Punkte das Ganze bekämpft.« Analog existiere auch noch eineBerechtigung der Kirche gegenüber der Wissenschaft, wo diese noch nicht dieUnendlichkeit religiöser Inhalte >verdaut< habe. Aber diesen Rückstand könne dieKritik aufholen, »wenn sie sich als dialektische Theorie vollendet hat.«106

B. Bauers Thesen gehen weit über die Idee einer Trennung von Staat und Kirchehinaus. Nicht eine kirchliche Bevormundung des staatlichen Handelns ist das Pro-blem des christlichen Staates<, sondern die Defizienz des Staates zeigt sich darin,daß noch Kirchen existieren. Wo kirchliche Opposition vorkommt, wo religiöseBewegungen sich zeigen, ist der Staat gerade im Hinblick auf die Inhalte >geistlos<,die im religiösen Bereich thematisiert werden. Gegen diese Oppositionen vorzuge-hen hat der Staat ein Recht, wenn sie die Idee des >freien Staates< schlechthin überBord werfen, aber gegenüber dem existierenden Staat haben die religiösen Opposi-tionen so lange ein Widerstandsrecht, wie ihr Überschuß noch keine säkulareGestaltung gefunden hat.

An dieser Konstruktion ist zweierlei hervorzuheben, was die Haltung gegenüberder religiösen Bewegung der 40er Jahre betrifft. Einmal wird die Erweckungs- undBekenntnistheologie nicht einfach beiseite geschoben, sondern ihre Inhalte werdenzum Prüfstein für den existierenden Staat gemacht. Zum anderen bleibt der Ziel-punkt eines >säkularisierten< Staates unangefochten, der keiner Kirche mehrbedarf, weil die dialektische Theorie dann die Funktion erfüllt, die dem Christen-tum in entfremdeter Form eignete: den unendlichen Inhalt des menschlichenSelbstbewußtseins zur Geltung zu bringen.

Eine entscheidende Wendung erhält die Debatte um den christlichen Staat< indem Augenblick, wo die Emanzipation der Juden Thema wird. Nach der Auseinan-dersetzung mit den Neupietisten entzünden sich die junghegelianischen Debattenan der >Judenfrage<. Auch hier versuchen sie, über die liberalen Forderungen nacheiner bürgerlichen Gleichstellung der Juden hinauszugehen.107

Für B. Bauer ist diese Frage von besonderer Bedeutung, weil er sich nicht damitberuhigen kann, Religion als eine Beliebigkeit aufzufassen, die nur vom Staat tole-riert werden müßte. Da die Existenz von Religion für ihn ein Mangel des existieren-den Staates ist, stellt sich ihm die implizite Frage, welchen Mangel denn die jüdi-sche Religion repräsentiere.

In »Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden« gehtB. Bauer zunächst von der Idee des >freien Staates< aus und definiert die Emanzipa-tionsfrage als »eine allgemeine: Juden wie Christen wollen emanzipiert werden«.Von Emanzipation könne erst gesprochen werden, »wenn allgemein anerkannt ist,daß das Wesen des Menschen nicht die Beschneidung, nicht die Taufe, sondern, die

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Freiheit ist.« Aber in diese allgemeine Fassung der Emanzipationsfrage führtB. Bauer eine Differenz ein, die sich auf die inhaltliche Bestimmtheit beider Religio-nen bezieht. Er fragt nach den Emanzipationschancen, bzw. den Hindernissen, diesich aus den Glaubensgehalten selbst ergeben. Das Ergebnis lautet:»Der Christ und der Jude müssen mit ihrem ganzen Wesen brechen: aber dieser Bruch liegtdem Christen näher, da er aus der Entwicklung seines bisherigen Wesens unmittelbar alsseine Aufgabe hervorgeht; der Jude dagegen hat nicht nur mit seinem jüdischen Wesen, son-dern auch mit der Entwicklung der Vollendung seiner Religion zu brechen, mit einer Ent-wicklung, die ihm fremd geblieben ist und zu der er nichts beigetragen hat, so wie er auchdie Vollendung seiner Religion als Jude weder herbeigeführt noch anerkannt hat. Der Christhat nur eine Stufe, nämlich seine Religion zu übersteigen, um die Religion überhaupt aufzu-geben; der Jude hat es schwerer, wenn er zur Freiheit sich erheben will. Vor dem Menschenist aber nichts unmöglich.«108

Man stelle sich diese Konstruktion in einer Intellektuellengruppe vor, der auchjüdische Intellektuelle angehören. Ihnen wird damit praktisch eine konstitutionelleBehinderung in Sachen Emanzipation zugeschrieben. Die komplizierten ambiva-lenten Haltungen, die z. B. Heß und Marx gegenüber der >Judenfrage< eingenom-men haben, sind von Na'aman für Heß und von Hirsch für Marx prägnant heraus-gearbeitet worden. Während für Heß B. Bauers Thesen inakzeptabel gewesensind109, ist Marx' Postition äußerst brüchig.110 Dabei ist die B. Bauersche Konstruk-tion im Rahmen hegelianischer Spekulation durchaus naheliegend. Denn eine spe-kulative Stufengeschichte religiösen Bewußtseins vorausgesetzt, liegt das Christen-tum näher an den antizipierten zukünftigen Bewußtseinsformen als die jüdischeReligion. Dies ist in der Gruppe eine spekulative Selbstverständlichkeit.

Dennoch treibt B. Bauer seine Thesen auf die Spitze, wenn er behauptet, selbstdie Vertreter der neupietistischen Orthodoxie, die gegen die Kritik auftreten, seienengagierter als die Vertreter der jüdischen Religion, denn:»diese christlichen Eiferer« glaubten, gegen die Kritik »kämpfen zu müssen, weil sie fühlen,daß es sich in diesem Kampfe um die Sache der Menschheit handelt; der Jude aber glaubtsich in seinem Egoismus geborgen, denkt nur an seinen Feind, das Christentum, und hatdoch noch nie etwas Entscheidendes gegen ihn vollbracht.«111

Warum aber bringen Juden im Kampf mit den christlichen Staat< nicht dieerforderliche >Energie< auf? Die Antwort ist in der strukturell anderen Problemlageihrer Religion zu suchen. B. Bauer schließt hier implizit an die Hegelsche Deutungder jüdischen Religion an, derzufolge im jüdischen Monotheismus »das Geistige«sich »vollkommen gereinigt« gegenüber der Natur zeige. Natur »wird jetzt herab-gedrückt zum Geschöpf; und der Geist ist nun das Erste.« Spezifisch für die jüdi-sche Religion ist Hegel zufolge: »das reine Produkt des Denkens, das Sichdenkenkommt zum Bewußtsein, und das Geistige entwickelt sich in seiner extremenBestimmtheit gegen die Natur und gegen die Einheit mit derselben.«112

Während sich die Christen für B. Bauer im Kampf um die Emanzipation auf ihreeigene Religion stützen können, »weil es (das Christentum, d. V.) den allgemeinenBegriff des menschlichen Wesens, also seinen eigenen Feind, wenn auch allerdingsin religiöser Form, enthält«, fehle den gläubigen Juden dieser Bezugspunkt.

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»Das Christentum sagt: der Mensch ist Alles, ist Gott, ist das Allumfassende und Allmäch-tige, und drückt diese Wahrheit nur noch religiös aus, wenn es sagt: Nur Einer, Christus istder Mensch, der Alles ist. Das Judentum befriedigt dagegen nur den Menschen, der esimmer mit einer Außenwelt, mit der Natur, zu tun hat, und befriedigt eben in religiöserForm sein Bedürfnis, wenn es sagt, die Außenwelt sei dem Bewußtsein untenan, d. h. Gotthat die Welt geschaffen. Das Christentum befriedigt den Menschen, der sich in allem, im all-gemeinen Wesen aller Dinge - religiös ausgedrückt - auch in Gott, wieder sehen will; dasJudentum will den Menschen, der sich nur von der Natur unabhängig sehen will.«113

B. Bauers Analyse ist hegelianisch gesehen durchaus korrekt - 1843, zu einemZeitpunkt, da, wie wir oben gezeigt haben, der Streit um den Anschluß der Junghe-gelianer an das liberale Lager auf seinem Höhepunkt ist, für die Gruppe jedochpolitisch äußerst unpassend. Aber genau in der Frage des Bündnisses mit den Libe-ralen wirkt die Diskussion um die >Judenfrage< als ein nachhaltiges Ferment.

Marx nimmt in den »Deutsch-französischen Jahrbüchern« eine eigenartigeUmdeutung der Bauerschen Thesen vor, eine Umdeutung, die einerseits den libera-len Ideen der Trennung von Staat und Kirche entgegenkommt, die aber anderer-seits auf die Frage nach der Bedeutung von bestimmten religiösen Gehalten neuar-tige Antworten findet.

Für Marx besteht »Bauers Fehler darin, daß er nur den christlichen Staat<, nichtden >Staat schlechthin< der Kritik unterwirft, daß er das Verhältnis der politischenEmanzipation zur menschlichen Emanzipation nicht untersucht.«114 Genau betrach-tet trifft dies nicht zu, denn B. Bauer kennt die Differenz zwischen dem existieren-den« und dem >freien< Staat, d. h. im Hegelschen Sinne überhaupt erst >wirklichen<Staat. Marx annulliert diese Differenz und nimmt B. Bauers Ideal des >freien< Staa-tes als ein reduziert politisches Phänomen, das die Frage der menschlichen Emanzi-pation unberücksichtigt lasse. Für B. Bauer war jene Differenz entscheidend, weilerst im >freien< Staat die Spaltung von Religion und Staat auf einer menschlichenBasis aufgehoben sein sollte. In Marx' Augen überfrachtet er damit die politischeEbene. »Er stellt Bedingungen, die nicht im Wesen der politischen Emanzipationselbst begründet sind.«115 Aber B. Bauer geht es ja auch nicht um die politischeEmanzipation, seine »Bedingungen« sind andere; trotzdem reduziert Marx ihn aufdieses Thema.

In einer ersten Bewegung erhebt Marx liberale Einwände: Man müsse sich denentwickelten politischen Staat schlechthin vorstellen, hier, wie z. B. in Teilen dernordamerikanischen Freistaaten,

»verliert die Judenfrage ihre theologische Bedeutung und wird zu einer wirklich weltlichenFrage. Nur wo der Staat in seiner vollständigen Ausbildung existiert, kann das Verhältnisdes Juden, überhaupt des religiösen Menschen, zum politischen Staat, also das Verhältnisder Religion zum Staat, in seiner Eigentümlichkeit, in seiner Reinheit heraustreten.«116

Diese Argumentationsstrategie führt zur Annullierung der theologischen Frage.Der Unterschied der Religionen spielt keine Rolle mehr.

Daß dieser politische Staat »in seiner vollständigen Ausbildung« nichts mitB. Bauers >freiem< Staat zu tun hat, liegt auf der Hand. Auch Marx muß konstatie-

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p»Dennoch ist Nordamerika vorzugsweise das Land der Religiosität«. Aber Marx zieht -wenigstens terminologisch - den umgekehrten Schluß: »Finden wir selbst im Lande dervollendeten politischen Emanzipation nicht nur die Existenz, sondern die lebensfrische, dielebenskräftige Existenz der Religion, so ist der Beweis geführt, daß das Dasein der Religionder Vollendung des Staats nicht widerspricht.«117

B. Bauer wäre widerlegt, wenn diese »vollendete politische Emanzipation« seinIdeal wäre. Aber wie Marx selbst Bauer referiert, denkt dieser ganz anders, näm-lich: »Der Staat, welcher die Religion voraussetzt, ist noch kein wahrer, kein wirkli-cher Staat.«118

Die erste Argumentationsstrategie von Marx, die die Spezifität der Religionenaufhob, wird jedoch von einer zweiten Argumentationskette abgelöst, in der das,was zuvor eskamotiert wurde, in verwandelter Form wieder herein kommt.Zunächst heißt es: »Da aber das Dasein der Religion das Dasein eines Mangels ist,so kann die Quelle dieses Mangels nur noch im Wesen des Staats selbst gesucht wer-den. Die Religion gilt uns nicht mehr als der Grund, sondern nur noch als das Phä-nomen der weltlichen Beschränktheit.«119 Genau besehen handelt es sich um eineeinfache Umkehrung der B. Bauerschen Thesen zum >christlichen Staat<. EinGemeinwesen mit Religion ist ein defizientes Gemeinwesen. Die Religion behältihren Indizcharakter. Ist damit die >Judenfrage< enttheologisiert, wie Marx behaup-tet? Sie wäre es sicherlich, wenn der Text hier abbräche, aber es bleibt ein zu klä-render Rest, der sich auf die Spezifität der religiösen Gehalte bezieht. Indiziert jedeReligion den gleichen Mangel? Marx steht vor dem Problem, seine Enttheologisie-rungsstrategie durchzuführen und gleichzeitig die Besonderheit religiöser Gehaltezu erklären.

Die folgenreiche wie fatale Lösung, zu der Marx greift, ist bekannt:»Den Widerspruch des Staats mit einer bestimmten Religion, etwa dem Judentum, ver-menschlichen wir in den Widerspruch des Staats mit bestimmten weltlichen Elementen«,schreibt Marx, d. h.: »Die Frage nach der Emanzipationsfähigkeit des Juden verwandeltsich uns in die Frage, welches besondere gesellschaftliche Element zu überwinden sei, um dasJudentum aufzuheben?«120

Für einen geschulten Hegelianer - daran muß erinnert werden - kann es keinbesonderes weltliches Element geben, das mit der jüdischen Religion zusammenaufgehoben werden kann. Der religiöse Gehalt einer rigorosen monotheistischenTranszendenz, womit sollte er korrespondieren? Dennoch muß nach den Gesetzender Gruppendiskussion der Junghegelianer Marx den Junghegelianer B. Bauerüberbieten, und er tut dies, indem er zu einem antisemitischen Topos greift: >DerJude treibt Schacher, sein weltlicher Gott in das Gekk H. Hirsch bemerkt tref-fend: »Marx, glauben wir, schlägt, ja zerfetzt den jüdischen Sack, meint jedoch denbürgerlichen Esel«.121

Diese Marxsche Quidproquo-Technik122 mag die Diskussionssituation für denMoment gerettet haben. Es mag sich hier auch um eine Schaltstelle handeln, an dersich die Kritik der Religion und die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft platzwech-selnd austauschen; aber ein sichernder Sinn für eine kohärente Position derGruppe in der >Judenfrage< ist nicht gelungen.

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Aus der junghegelianischen Kritik des christlichen Staates<, der von der neupie-tistischen Orthodoxie propagiert wird, geht über die >Judenfrage< von B. Bauerund Marx die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft hervor. Was beide Themenverbindet, ist mehr als der situative Zusammenhang. Ausgangspunkt der Debatteum den christlichen Staat< war die Frage nach einem staatsunabhängigen kirchli-chen Leben. Alle junghegelianischen Kritiken des christlichen Staates< variierendas Thema der Staatsunabhängigkeit von Kirche, Gemeinde und Religion, sie grei-fen im Kern das Thema der neupietistischen Orthodoxie auf. Sei es mit der libera-len Wendung, bei der durch strikte Trennung von Staat und Kirche das Religiöseeinfach freigelassen werden soll, oder sei es mit der weitergehenden Frage nachdem säkularen Sinn der Existenz von Glaubensgemeinschaften. Bei B. Bauer ist dieReligion ein anerkannter Indikator für die Mangelhaftigkeit des Staates, bei Marxist die Religion ein anerkannter Indikator für die unvollendete menschliche Eman-zipation. Beiden geht es nicht einfach um Beliebigkeit von Religion und um Reli-gionsfreiheit, sondern um die besonderen Inhalte, auf die spezielle Religionen hin-weisen. In der >Judenfrage< sind alle Probleme für einen Moment der junghegelia-nischen Debatten gebündelt. Die jüdische Religion ist für die Junghegelianer ein-mal der klassische Fall einer besonderen Religion, die zu Liberalität herausfordert.Sie ist zugleich in der hegelianischen Interpretation die Stufe der Religionsentwick-lung, auf der Geist und Natur unvermittelt auseinandertreten, d. h. mit dem Inhaltdieser Religion wird das Verhältnis von göttlichem Gesetz und irdischen Bedürfnis-sen thematisch. Dieser religiöse Inhalt verhält sich zur neupietistischen Orthodoxiegeradezu spiegelverkehrt, geht es dieser doch um das Verhältnis von religiösenBedürfnissen und weltlichem Staat.

Können diese Spiegelverkehrtheiten aufgelöst werden? Solange die Gruppe sichnicht sicher ist, ob es sich um theologische oder um weltliche Fragen handelt, hatihre >unsichtbare Kirche< in den religiösen Bewegungen der Zeit noch keinen Platzgefunden. 1843 hat sie auch noch nicht ihre letzte Probe bestanden: nach Neupie-tismus und >Judenfrage< werden sie mit einer anderen religiösen Bewegung kon-frontiert.

6. Junghegelianer und freireligiöse Massenbewegung

a) Lichtfreunde und Deutschkatholiken

Mitte der 40er Jahre sieht sich die Gruppe der Junghegelianer, in deren unsichtba-rer Kirche< die Frage nach dem Verhältnis und den Verkehrungen religiöser undprofaner Perspektive hin- und herdebattiert wird, mit dem Aufbruch der Parallel-bewegungen der protestantischen Lichtfreunde und der Deutschkatholiken kon-frontiert.123

Die Lichtfreunde verdanken ihre Entstehung dem Skandal um den MagdeburgerPfarrer Sintenis, der öffentlich die Anbetung Christi als Aberglaube anprangerteund deswegen vom Konsistorium einen Verweis wegen Glaubensabweichungerhielt. Der Pfarrer Uhlich organisierte daraufhin im Juni 1841 ein Treffen von 16Theologen in Gnadau, die mit Sintenis sympathisierten. Aus diesem Treffen ent-

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stand die Bewegung der Lichtfreunde, deren Wachstum sich an den Teilnehmer-zahlen der halbjährlichen Treffen ablesen läßt. Im September 1841 waren es bereits56 Theologen, im Frühjahr 1842 kamen 200 Personen, die Hälfte davon Laien,zusammen, zur Pfingstversammlung in Köthen 1844 kamen 600, im Herbst warenes 800. Mitte der 40er Jahre waren die Lichtfreunde nach vormärzlichen Maßstä-ben eine religiöse Massenbewegung, die an zahlreichen Orten Fuß gefaßt hatte.

Die Lichtfreunde waren theologische Rationalisten. Sie standen in der Traditionder Wolffschen Philosophie des 18. Jahrhunderts, die zwar nicht die göttlicheOffenbarung bestritt, aber die Religion dem Urteil und der Auslegung durch diemenschliche Vernunft unterstellte. Der theologische Rationalismus erreichte seineBreitenwirkung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert und ist verbundenmit den theologischen Auffassungen von Paulus, Brettschneider, Roehr und Weg-schneider. Der theologische Rationalismus beherrschte den Religionsunterricht anden Schulen, die weitgehend von der Erweckungsbewegung unberührt gebliebenwaren. Es handelte sich um eine bürgerliche Massenbildung, die auf die Bedürf-nisse von Beamten, Kaufleuten und Handwerkern zugeschnitten war. Der theologi-sche Rationalismus war dazu geeignet, auf immer wieder auftretende religiöseÜbersteigerungen von Wunder- und Teufelsglauben mäßigend zu wirken, er botfür Fortschrittshoffnungen genügend Raum, ohne zu chiliastischen Abenteuern zuverführen, und schließlich war es auf seiner Grundlage auch möglich, nicht nur dieReligion, sondern auch den Staat und die Politik der prüfenden Vernunft zugäng-lich zu machen. In diesem Sinn hat H. Rosenberg vom theologischen Rationalismusals dem vormärzlichen »Vulgärliberalismus« gesprochen.124

Gegenüber dem kontinuierlichen Wachstum der Lichtfreunde erreichte derDeutschkatholizismus schon innerhalb eines Jahres eine die Zeitgenossen überra-schende Popularität. Im Sommer 1844 wurde in einem imposanten Festakt auf demHochaltar der Domkirche in Trier die Reliquie des sog. heiligen ungenähten Rok-kes Jesu ausgestellt. Der Bischof Arnoldi stellte denen, die in den sechs Wochen derRockausstellung zur Verehrung des Rockes nach Trier wallfahrten würden, kraftsakramentaler Gewalt den vollkommenen Ablaß ihrer Sünden in Aussicht, denPapst Leo X. 1514 für die Rockwallfahrten verliehen hatte. Dem Aufruf desBischofs wurde in einer Weise Folge geleistet, daß die >Vossische Zeitung< »an derVernunft des 19. Jahrhunderts verzweifelte«. Allein in der Nacht vom 22. zum23. August 1844 waren 20.000 Pilger in Trier.123

Als historischer Vergleich fielen Bayrhoffer nur die mittelalterlichen Kreuzzügeein. »Da zogen sie hin, die Hunderttausende, und suchten Christum, wie einst inKreuzzügen in seinem Grabe, so jetzt in einem toten Gewände, welches Betrug undAberglaube untergeschoben hatte.«126 Die >Mannheimer Abend-Zeitung< ver-sucht, den staunenden Zeitgenossen das Phänomen von Trier zu erklären, undschreibt:»Zu einer Zeit, wo die Kritik auch die Kirche angreift, muß diese sich auf ihren ursprüngli-chen Begriff zurückziehen, sie darf die Zugeständnisse nicht berücksichtigen, die sie imLaufe der Zeit dem Zeitgeiste gemacht, und so ist es erklärlich, daß Strauß, Feuerbach undder wundertätige Rock zu Trier fast zu gleicher Zeit existieren.«127

Die Reaktion auf diese >Provokation< ließ nicht lange auf sich warten. »Gegen

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diese tetzelsche Ablaßkrämerei tritt ein zweiter Luther auf«, schreibt der deutsch-katholische Pfarrer Eduin Bauer.128 Der zweite Luther hieß Johannes Ronge, einschlesischer Priester, der bereits zwei Jahre zuvor in Konflikt mit dem BreslauerDomkapitel geraten war. Ronge forderte den Bischof Arnoldi öffentlich auf, dieRockausstellung zu beenden. Der Protest Ronges führte zur Trennung vieler Gläu-biger voit der römischen Kirche und zu Gründungen freier deutschkatholischerGemeinden. Ronge schloß sich mit dem Schneidemühler Kaplan Czerski zusam-men, der seinen Abfall vom römischen Katholizismus durch eine Hochzeit besie-gelt hatte.

Ronge und die Schneidemühler Dissidenten sind überzeugt, die >Reformationdes 19. Jahrhunderts< eingeläutet zu haben, eine Reformation, die sich nicht nur auftheologische Fragen bezieht, sondern auch politische Dimensionen im Blick hat. Sopredigt Ronge: »Die Reformation des 19. Jahrhunderts, die Reformation, die vomVolke ausgeht, muß nicht bloß das geistige und sittliche Wohl, sie muß auch dasäußere Wohl der Menschheit ins Auge fassen und die Kluft zwischen Arm undReich durch die Hand der Liebe ausgleichen.«129 Das Pathos der reformatorischenErweckung erreicht in den Jahren 1844/1845 seinen Höhepunkt. GegenseitigeErmutigungs- und Jubelbotschaften werden von Gemeinde zu Gemeinde gesandt.So feiert K. E. Theodul die Schneidemühler Gemeinde:»Ja, mit weithin tönendem Jubel mußte sie begrüßt werden als eine echt-christliche, segens-verheißende Tat allüberall da, wohin das noch zur Zeit unsichtbare Licht-Zentrum, derdurch Christi Geist von aller Beknechtung des Glaubens bereits frei gewordenen Gotteskin-der seine beseligenden Strahlen ergossen hatte.«130

Ostern 1845 kommt es in Leipzig zum ersten deutschkatholischen Konzil, aufdem sich die Dissidenten in dem Bewußtsein treffen, »eine reformatorische Tat«getan zu haben, die der des 16. Jahrhundert vergleichbar ist:

»Freilich ist eine jede Reformation längst vorbereitet und angelegt, und derjenige, welcherdas kühne Wort ausspricht, darf wohl auf eine Anzahl Gleichgesinnter rechnen; aber wervermag es, vorher zu sagen, ob die Zeit reif ist, ob der Funke zündet, ob wirklich eine neueGemeinschaft zusammentreten, oder ob die treulose Zeit den einzelnen preisgeben wird?Eine Reformation ist immer etwas schlechthin Unberechenbares, die reformatorische Tatimmer eine rücksichtslose Kühnheit. - Aber dafür wird sie auch, wenn sie durchschlägt,getragen und begleitet von den ganzen Sympathien des Volkes. So war es ja zur Zeit unsererReformation vor 300 Jahren. Welche Kräfte strömten ihr zu von unten her aus dem Volke?und wie erstarkten die Führer an dem jubelnden Zuruf der Massen!«131

Verglichen mit der junghegelianischen Avantgarde sind die deutsch-katholi-schen Pfarrer nicht in eine >schiefe Stellung< geraten.

Der Deutschkatholizismus entwickelt sich rasch zu einer Massenbewegung.1848, vier Jahre nach dem ersten Konzil, hat die Kirche etwa 80.000 Mitglieder in259 Gemeinden. Es kommt zwar zu vielfältiger Kooperation zwischen Deutschka-tholiken und Lichtfreunden, aber die organisatorische Selbständigkeit der Parallel-bewegungen bleibt gewahrt, bis sich 1859 Deutschkatholiken und freie protestanti-sche Gemeinden zum >Bund frei religiöser Gemeinden Deutschlands< zusam-menschließen. 132

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Die Ziele des Deutschkatholizismus sind weitgehend mit denen der Licht-freunde identisch. Beide fußen auf dem theologischen Rationalismus. Roehr, Brett-schneider und Paulus verteidigen die Lichtfreunde ebenso, wie sie für Forderungender Deutschkatholiken eintreten. Freie Wahl der Seelsorger und die Abkehr vonjeder Art >Glaubenszwang< sind für beide Bewegungen charakteristisch. In deninneren Auseinandersetzungen der freireligiösen Bewegung kommen noch einmaldie Themen zur Sprache, die insgesamt die religiöse Erneuerung seit der Erwek-kungsbewegung bestimmt haben. Es geht um zwei widersprüchliche Ansprüche,die abgegolten werden sollen. Die Freireligiösen wollen eine staatsunabhängigeKirche, bzw. eine Kirche, die nicht mehr unter der Kontrolle der römischen Hier-archie steht. Wert gelegt wird auf organisatorische Selbständigkeit und die Ausbil-dung von Institutionen, die Selbstverwaltung ermöglichen sollen. In dieser Hin-sicht trägt die freireligiöse Bewegung durchaus jene Züge nachreformatorischerKirchen- und Sektenbildung, die in Westeuropa die Ausbildung des modernenVerfassungsstaates mit möglich gemacht haben. Den Zeitgenossen ist dieserZusammenhang durchaus bewußt, wie R. Blums Leiziger >Vorwärts< beweist: »DieStifter der freien Gemeinde hofften durch dieselbe, wie einstens das englische Inde-pendententum, das gesamte Staatsleben umzugestalten.«133 Auf der anderen Seiteist das Erbe von Luthers unsichtbarer Kirche< nicht so einfach abzuschütteln, unddie antiinstitutionelle Tendenz, die die neue Religion als eine frei schwebendeMenschheitsreligion gemäß idealistischer Tradition verstehen will, lebt in den Rei-hen der Dissidenten wieder auf.

Deutlich werden diese Spannungen im Bereich des Deutschkatholizismus schonbei der Frage, ob die neue Kirche ein Glaubensbekenntnis brauche und wie ver-bindlich dies sein sollte. Ronge selbst ist unsicher, ob es überhaupt sinnvoll ist, einGlaubensbekenntnis zu fixieren, er gibt schließlich dem Druck der Gemeindennach Selbstvergewisserung nach. Das Ergebnis ist ein Glaubensbekenntnis, in demverzweifelt versucht wird, »das Undogmatische selbst dogmatisch zu formulie-ren«.134

Auch bei den Lichtfreunden bricht diese Spannung auf, als auf der KöthenerPfingstversammlung 1844 der Pastor Wislicenus die Frage aufwirft, ob die HeiligeSchrift oder der Heilige Geist als Norm des protestantischen Glaubens zu betrach-ten sei, und sich für das letztere entscheidet.135 Eine staatsunabhängige Kirche,ohne ein verbindliches Glaubensbekenntnis und ohne die verpflichtende Bindungan die Heilige Schrift, wäre aber kaum zu institutionalisieren. Die >institutio religio-nis< (Calvin) steht auf dem Spiel, wenn soziologisch gesehen die Launen des Heili-gen Geistes Vorrang vor schriftlich fixierten Offenbarungen erhalten sollen. In die-sen Spannungen tritt wenige Jahre vor der Revolution von 1848 noch einmal dasMuster der politisch-religiösen Konstellationen hervor, das für die deutscheGeschichte seit der Reformation bestimmend gewesen ist.

b) Die Immanenten

»Damals war die Zeit gekommen, in welcher der wissenschaftlich-religiöse Geist,die Schranken gelehrter Werke und akademischer Hörsäle durchbrechend, sichüber das Volk ergoß«, schreibt der Aktivist und Historiker der freireligiösen Bewe-

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gung Kampe und erinnert an die Bedeutung, die die junghegelianische Religions-kritik für das Entstehen der freireligiösen Bewegung hatte.136 Insgesamt trifft Gott-schall den Sachverhalt, wenn er schreibt: »Die zahlreiche Uhlich-Ronge-Rupp-Literatur war nun der in weitesten Kreisen sich ausbreitende Wogenschlag, denKritik (gemeint ist Bruno Bauer, d. V.) und Anthropologie (gemeint ist Feuerbachund Stirner, d. V.) hervorgerufen.«137 Eine ganze Reihe von freireligiösen Predi-gern bekannte sich insbesondere zu Feuerbachschen Grundsätzen. Wie hoch diejunghegelianische Evangelienkritik auf dem Konzil zu Leipzig geschätzt wurde,läßt sich daran ablesen, daß z. B. die Frage der Gottheit Christi nicht zur Entschei-dung gebracht werden konnte, weil »die wissenschaftliche Forschung« in dieserFrage noch nicht gesicherte Ergebnisse gezeitigt habe.138

Aber auch umgekehrt schließt sich ein Teil der Gruppe der Junghegelianer derfreireligiösen Bewegung an. Nauwerck, Bayrhoffer und Ruge sind hier ebenso zunennen wie der Hegelianer Hinrichs, der am Leipziger Konzil teilnimmt und dieSache der Dissidenten engagiert verteidigt.139 Ruge erklärt programmatisch: »DieBildung und die Philosophie des Jahrhunderts ist durch diese Bewegung zur Her-zenssache des Volkes, d. h. zur Religion geworden.«140 Nach dem Übergang derphilosophischen Schule zur politischen Partei, nachdem der Philosoph Zeitungs-korrespondent geworden war, nun noch ein Übergang: die >unsichtbare Kirche<der Junghegelianer geht in die freireligiöse Massenbewegung ein.

Dieser Übergang ist nicht ohne Probleme, denn von ihrer Genese und von ihrerHaupttendenz her gesehen, sind Lichtfreunde und Deutschkatholiken eben jenemtheologischen Rationalismus verbunden, den Hegel heftig bekämpft hatte. Für dentheologischen Rationalismus ist Christus das Urbild einer autonomen Sittlichkeit,und seine von den Evangelisten überlieferten Worte sind Anleitungen für eine sitt-liche Lebensführung. Spekulative Fragen nach der Immanenz Gottes in seinerSchöpfung, das Problem der Theodizee und das heilsgeschichtliche Werden desReiches Gottes nehmen dagegen weniger Raum ein. Gerade diese Fragen sind esjedoch, die die Junghegelianer in die freireligiöse Bewegung einbringen. MitKampe kann man daher von zwei differierenden Fraktionen der Freireligiösensprechen: dem »populär-rationalistischen Standpunkt« und dem »immanent-christlich-religiösen Standpunkt«.141 Die Junghegelianer, die sich der Bewegunganschließen, verstärken die Fraktion der >Immanenten<.

Als Beispiel für das Eindringen der Junghegelianer in die freireligiöse Bewegungsei das Engagement von Bayrhoffer in Marburg genannt. Die dortige deutschkatho-lische Gemeinde wird zunächst von der staatlichen Verwaltung verboten, aber imHerbst 1845 gründet Bayrhoffer, der entschieden für die Deutschkatholiken ein-tritt, einen protestantischen Leseverein, deren Mitglieder sich im Streit zwischenUhlich und Wislicenus über die Frage, ob die Heilige Schrift oder der Heilige Geistfür die Gemeinde maßgeblich sein sollte, auf die Seite von Wislicenus stellen.142

Bayrhoffer identifiziert die religionskritischen Inhalte der junghegelianischenDebatten mit dem >wahren Wesen< der religiösen Bewegung. Zum einen sei die Kri-tik von Strauß über B. Bauer zu Feuerbach zu der Erkenntnis gelangt, daß derMensch der verborgene Inhalt der Religion sei, zum anderen sei

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»auch nicht zu verkennen, daß die deutsch-katholischen und die freien protestantischenGemeinden, welche in der Bildung begriffen sind, von dem Prinzip jener reinen Menschlich-keit im innersten getrieben werden. Aber noch ist dieses Prinzip in seiner Erscheinung ver-hüllt, und es ist Zeit, daß das eigendiche Wesen der jetzigen religiösen Gährung unverhülltvor die Welt hintrete. Die Bekenner dieses Wesens könnten es dann ruhig erwarten, ob dieKirche sie als ihre eigene letzte Frucht anerkennen und begrüßen, oder als feindliches Ele-ment ausscheiden will.«143

Die Reaktion auf diese >immanente< Herausforderung kommt von dem deutsch-katholischen Pfarrer Hieronymi, der Bayrhoffer und den Marburger Lichtfreun-den vorwirft, was sie»eigentlich wollen ist: gar keine Kirche. Denn nach ihren Prinzipien gehört der ganze gegen-wärtige Kultus mit allen seinen Formen, vernünftigen oder unvernünftigen, einer überwun-denen Stufe des Kinderglaubens an. Sie wollen die Kirche in einen Disputiersaal der Wissen-schaft verwandeln, d. h. sie aufheben; denn wissenschaftliche Disputier- und Experimen-tier-Institute haben wir schon anderweitig.«

Versuche, diese Ideen zu realisieren, »werden nichts ergeben als etwa eine philo-sophische Quäkergemeinde.« Hieronymi erklärt, die Mehrheit der Lichtfreunde»wollen keine Philosophenschule gründen, sondern eine religiöse Gemeinschaft,und das protestantische Volk ist aus bekannten Ursachen nur zu sehr von demWunsche nach einer besseren kirchlichen Gestaltung erfüllt.« Das Programm derunsichtbaren Kirche< sei für diese Bedürfnisse ungeeignet.»Auch die freie Gemeinde wird genötigt sein, sich eine besondere Form zu geben, wo nicht,so existiert sie nicht, sondern nur Menschen, welche den Gedanken einer freien Gemeindeim Kopfe tragen; also die ecclesia invisibilis (unsichtbare Kirche der protestantischen Sym-bole), an welche sich aber niemand kehrt, eben weil er sie nicht sieht und kennt, währenddem die sichtbare Kirche (als) eine Macht dasteht, fühlbar genug für Freie und Unfreie.Selbst der Freimaurerorden hat seine Symbole, und würde ohne diese gar nicht existieren«.

Die Marburger könnten ja ihren spekulativen Neigungen frönen, aber»so macht wenigstens kein unnötiges scandalum in ecclesia, setzt euch in euren Saal, woRede und Gegenrede gebräuchlich ist, denn nur auf solche Weise kann die verborgeneWahrheit ans Licht kommen. Aber vor allem richtet euer Augenmerk nicht auf die Dogmen,sondern auf eine notwendige freie Kirchenverfassung, worin das Volk ein Organ gefunden,nicht den toten Glauben der alten Bücher, sondern den lebendigen Glauben seines Herzensauszusprechen.«144

Die Kontroverse zwischen Bayrhoffer und Hieronymi trifft das Kernproblem derfreireligiösen Bewegung. Junghegelianer wie Bayrhoffer sind >immanent< in einemdoppelten Sinne: einmal beziehen sie sich auf die Feuerbachsche Immanenzphi-losophie, die die religiösen Gehalte vermenschlicht, und zum anderen drängen sieinnerhalb der freireligiösen Bewegung auf eine radikale Entkirchlichung, die jedeErinnerung an Transzendenz verblassen läßt. Hieronymi macht dagegen die >insti-tutio religionis< zum Prüfstein. Aber ist für die >Immanenten< das Institutionalisie-rungsproblem zu umgehen? Ihre vermenschlichte Religion, in welchen Formenund Symbolen könnte sie sich ausdrücken? Die Vorschläge für den Kultus derneuen Religion reichen vom gegenseitigen Vortrag selbstgedichteter Stücke übersozialpädagogische Initiativen bis zu erbaulichen philosophischen undpolitischen Debatten.145

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Das Problem, vor dem die >Immanenten< wie ihre theologisch-rationalistischenGegner stehen, ist, ob das, was sich in einer vermenschlichten Religion ausdrückt,noch Religion genannt werden kann, ob der vom Gottesdienst in den Menschen-dienst transformierte Kultus noch Unterscheidungsmerkmale aufzuweisen hat, dieProfanes und Heiliges trennen.

Von zentraler Bedeutung ist, daß innerhalb der freireligiösen Bewegung nichtzuletzt durch die Aktivitäten der >Immanenten< sozialistische Programme sich her-ausbilden. In Breslau propagiert Nees von Esenbeck einen urchristlichenGemeinde-Sozialismus.146 Der Prediger Julius Rupp, der zu den eigenartigstenGestalten der freireligiösen Bewegung gehört und dem ein eigener Exkurs gewid-met werden müßte, schockiert die bürgerlichen Mitglieder der Königsberger freienGemeinde durch seine Vorschläge zur Umgestaltung der sozialen Verhältnisse unddurch die Einführung des sozialistisch-brüderlichen >Duzkomments<.w Es kommtzu zahlreichen Verschmelzungen wahrsozialistischer und freireligiöser Initiativen.Rückblickend kann R. Gottschall 1851 von der freireligiösen Bewegung sagen:»Die freien Gemeinden sind die einzige tatsächliche Existenz des Sozialismus aufdeutschem Boden«.148

Das sozialistische Vereinswesen als Realisierung der Idee der unsichtbaren Kir-che<? Handelt es sich hier nicht um einen Verrat an den Prinzipien der Gruppe,nicht um eine Rekatholisierung, den Aufbau einer >sichtbaren Kirche<, die man beiden Neupietisten erbittert bekämpft hatte? Eine Neigung zur sichtbaren Kirche<glaubt 1845 G. Julius bei Marx und Engels feststellen zu können. Bevor wir unsdem Streit in der Gruppe zuwenden, sei noch die Position der >Atheisten< umB. Bauer dargestellt.

c) Die Atheisten

Zunächst stehen die Junghegelianer um B. Bauer vor dem Problem zu erklären,warum den Aufrufen des Priesters Ronge so viele folgten, während zwei Jahre zuvorihre eigenen Parteiaufrufe keinen derartigen Widerhall fanden.»Für den Ronge'schen Brief kann weder der Inhalt, noch die Kühnheit, noch der anspre-chende Stil die laute umfangreiche Sympathie hervorgerufen haben. Wo blieb sie, als Werkeerschienen, deren Wert durch jene Eigenschaften bei weitem nicht erschöpft wird?«, fragtein Autor der NB, und er kommt zu dem Ergebnis: »Daß Ronge seine Stellung als katholi-scher Priester aufs Spiel setzte, das imponierte der Menge. Ein anderer hätte immerhin den-selben Brief an den Bischof Arnoldi schreiben können, er wäre unbeachtet geblieben, aberder geweihte Rock des Priesters erregte Aufsehen.«

Unverkennbar schwingt die Erinnerung mit, daß 1842 die Entlassung B. Bauersnicht zu einer derartigen Volksbewegung geführt hat. Aber B. Bauer wäre damalsauch im Nachteil gewesen, denn er konnte keinen >heiligen Rock< anbieten, wieRonge, der sich deshalb als »wahrer Gegner der Trierschen Ausstellung« zeigenkonnte, weil er selbst einen entsprechenden Rock besessen habe.149

Diese Konkurrenz mit den Führern der freireligiösen Bewegung kommt nochrückblickend bei B. Bauer zum Ausdruck, wenn er 1849 schreibt:

»Als die Radikalen des Jahres 1842 am Ende ihrer Weisheit standen und mit ihren Forderun-gen an der Sprödigkeit des Bestehenden abprallten, träumten sie davon, wie schön es doch

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sein müßte, wenn Philosophie und Bildung zur Gemüts- und Willenssache, zur Religion undweltbewegenden Leidenschaft geworden wären - die Forderung zur reformatorischen Tat, dasSollen zur lebendigen Leidenschaft, die sich der Welt unwiderstehlich mitteilt und sie inneue Bahnen mit sich fortreißt. Es war einer jener Jugendträume, deren Erfüllung nur demreifen Alter gewährt wird. Nachdem die Radikalen sich vergeblich abgemüht hatten, daszündende Wort zu finden, stand auf einmal der Mann (Ronge, d. V.) da, in welchem die For-derung Fleisch und Blut geworden und eine Macht der Leidenschaft entwickelte, die alle bis-herigen Eroberungen der Bildung und >Philosophie< in Einen Willensakt zusammenballteund in Ein Wort zusammenfaßte.«130

Die freireligiöse Bewegung ist ein Erbe des junghegelianischen Radikalismus von1842. Aber indem B. Bauer dies konstatiert, nimmt er zugleich eine Umwertungvor. 1844 äußert er seine Zweifel in einem Artikel über die >Lichtfreunde in Kö-then<. Er analysiert die inneren Konflikte der Lichtfreunde, den Streit zwischenUhlich und Wislicenus und die Auseinandersetzung der Lichtfreunde mitoffiziel-len Theologen und kommt zu dem Ergebnis, daß »die Innigkeit des Verhältnisseszwischen den Lichtfreunden und den Anhängern der gläubigen Theologie außerZweifel« stehe. Gemeinsam sei den streitenden Parteien, daß ihre Positionen Posi-tionen der »Unbestimmtheit« seien.

»Der Unbestimmtheit, die den Verein der Lichtfreunde gestiftet hat, mag ein Ende gemachtwerden, wenn der Bund der Freunde durch den Kampf gegen seine Widersacher nurgezwungen wird, sich auf einer tieferen Grundlage neu zu konstituieren! Allein er kann nurmit Widersachern kämpfen, die selbst so arm an Leben sind, daß der Streit mit ihnen keinLebensfeuer entzünden kann«.151

>Unbestimmtheit< ist der Hauptvorwurf der Gruppe um B. Bauer gegenüber derfreireligiösen Bewegung, eine >Unbestimmtheit<, die sie auf mehreren Ebenen fin-den: politisch ist es die Unbestimmtheit des Liberalismus, des juste-milieu, gesell-schaftlich ist es die Unbestimmtheit der »Masse«, und auf der religiösen EbeneistUnbestimmtheit Zeichen einer vollendeten Religion.

Die politische Ebene wird in Terminis kritisiert, wie sie E. Bauer in seinen Juste-Milieu-Artikeln in der RhZ entwickelt hatte.132 Der theologische Rationalismuswolle »zweien Herren dienen, dem Gott in der jenseitigen und dem Leben in derdiesseitigen Welt.« So seien die Lichtfreunde »dazu verdammt, sich stets zu wider-sprechen«, heißt es in den NB153, und für Jordan gehört der freireligiöse PredigerRupp zu den »Janusköpfigen, welche die Wirksamkeit der absoluten Kritik amstärksten paralysieren, die Herkulesarbeiten des modernen Geistes zur Hälfte wie-der ungetan machen«.154

Wo liegen die Ursachen für den massenhaften Erfolg des Pastors Uhlich? DenNB zufolge gelingt ihm eine eigentümliche Mischung von »Entschiedenheit undMilde«.»Man sieht es auf jedem Punkte seiner >Entschiedenheit< an, daß sie an der >Milde< ihreGrenze hat, und der >Milde<, daß sie >entschieden< ist.« So konnte Uhlich »Stifter einer Ver-sammlung von 600 Menschen werden (. . .). Wäre er »entschiedene er hätte es nicht ver-mocht. Wäre er bloß >milde<: sein Dorf Pömmelte nennte allein seinen Namen. Aber seineEntschiedenheit und Milde< macht ihn zum Volksmann.«

Uhlich wird mit O'Connell verglichen, jenem charismatischen Volksführer der378

national-katholischen irischen Volksbewegung, der die Zeitgenossen enorm faszi-niert.155

Aber ist die freireligiöse Bewegung überhaupt mit politischen Kategorien zu fas-sen? Religiöse Massenbewegungen beginnen sich für einen Teil der Junghegelianerals ein selbständiges, neuartiges Phänomen abzuzeichnen, das Reflexionen heraus-fordert. A. "Fränkel versucht in den NB B. Bauers Kritik der Masse auf die religiö-sen Bewegungen anzuwenden. Er thematisiert die Auflösung der ständischen Bin-dungen und der herkömmlichen Lebenskreise, aus denen die Individuen als»unverbundene Privatexistenzen« heraustreten. Was als »Gesamtbewegung« derMasse erscheine, »ist nur die Bewegung der vereinzelten Atome mit ihren besonde-ren Interessen und Bedürfnissen, das, was innerhalb ihrer kämpft, ist nur derKampf und die Konkurrenz dieser Unendlichkeit von Einzelinteressen«.156 Han-delt es sich bei den Massenbewegungen überhaupt um ein einheitliches Phäno-men?

Fränkel schließt an die B. Bauersche These von 1844 vom »unausbleiblichenKrieg der Menge gegen den Geist und das Selbstbewußtsein« an und konstatiertbei der freireligiösen Bewegung einen »gemeinschaftlichen Gegensatz« gegen »alleTaten der Forschung und Wissenschaft, überhaupt gegen alles Bestimmte.« DieserGegensatz werde gespeist aus der Bewegung der Auflösung aller bestimmten For-men, eine Bewegung der Unbestimmtheit, die schließlich in der Wissenschaft ihrenletzten Gegner finden werde, weil diese auf dem spezifischen Unterschied von Kri-tik und Nichtkritik insistiere. Und als eine Art >Vorformulierung< von Paul ValerysDiktum »L'esprit abhorre les groupements« könnte man Fränkels Satz lesen: »Esgibt keinen bestimmten Gedanken, der sich in der Form einer tausendköpfigenMassenhaftigkeit entwickeln, gestalten und darstellen könnte.«

Aber dies ist nur der negative Aspekt. Gemeinsam ist der Massenbewegung auchdie »allgemeine Verschwommenheit der geschichtlichen Schranken«, die »ihreVollendung noch nicht erreicht (hat), solange sie sich innerhalb der bisher so scharfgesonderten Gebiete nur als Mißfallen an der Trennung, als Wunsch der Versöh-nung und des friedlichen Nebeneinanderstehens, als gegenseitige Sympathie undAnerkennung, als gleiches oder ähnliches Streben zeigt.« Entscheidend ist jedoch,daß die atomisierten Individuen selbst zu einer positiven Haltung ihrer Massenexi-stenz gegenüber kommen müssen, d. h. sie bedürfen einer Art Ideologie, derencharakteristisches Merkmal es ist, keine charakteristischen Merkmale aufweisen zukönnen.

»Wie aber der Punkt, in dem die sonst vereinzelten und getrennten Individuen zusammen-stimmen und einig sind, nur immer der allgemeinste und unbestimmteste sein kann, stelltsich diese Übereinstimmung auch nur in der allgemeinen unbestimmten Form des Gefühls,und zwar in dem gesteigerten Gefühl eines allgemeinen Enthusiasmus, oder einer allgemei-nen Empörung dar. Diese Gefühle - deren Inhalt umso unbestimmter sein muß, je ausge-breiteter und ansteckender sie sind — sind die einzigen Kräfte, mit denen die Masse als solcheagiert und reagiert — Kräfte, die eben nur dann von Gewicht sind, wenn sie in massenhafterWeise auftreten«.157

Diese Unbestimmbarkeit des Gefühls identifiziert Fränkel als Religion.»Die Einstimmigkeit des Bekenntnisses ist es, welche eine Masse von Individuen zu Beken-nern einer und derselben Religion macht: ein einzelner kann für sich keine Religion bilden,

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(. . .). Während alle die anderen Interessen die Individuen auseinanderreißen und verein-zeln, ist ihre Religion ( . . . ) dasjenige Interesse, in dem sie sich als ein Allgemeines darstellen.Die Berührung des religiösen Interesses berührt und bewegt daher auch nicht bloß den ein-zelnen, sondern das gemeinsame Interesse vieler einzelnen. Darum sind alle religiösen Bewe-gungen — wenn sie als solche geschichtlich hervortreten — notwendig immer massenhafteBewegungen.«158

Was in Fränkels durchaus noch heute diskutablen Thesen aufscheint, ist eineKorrespondenz zwischen der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft und einereigenartigen Formlosigkeit der Religion. In ihr sind die konfessionellen Unter-schiede, die Bestimmtheiten der Bekenntnisse aufgelöst. In der unbestimmten Reli-gion ist die Frage: »warum zerschlagen die heutigen Christen die heidnischen Göt-terbilder nicht mehr?«159 unsinnig geworden. Die Unbestimmtheit der Religiongibt keinen Anlaß mehr. Wenn man will, entdecken die Junghegelianer umB. Bauer in der religiösen Massenbewegung die unsichtbar gewordene Religion.

Was den >Immanenten< fehlt, das Gespür für den geschichtlichen Form- undFunktionswandel von Religion in einem Säkularisierungsschub, ist bei den >Athei-sten< besonders stark ausgebildet. Für B. Bauer ist die Auflösung bestimmter Dog-men und Symbole, soziologisch gesprochen, die Informalisierung von Religion zueinem unkenntlichen Restbereich des Gemüts, kein Ende der Religion, sondern»die Vollendung der Religion, die reine und vollendete, d. h. beziehungs- undgegenstandslose Abhängigkeit - das reine, dumpfe Erzittern des Innern«. Die»moderne Religiosität« ist überhaupt erst als Massenreligion denkbar, sie ist fürB. Bauer das »Resultat einer Bewegung, die sie nicht geleitet hat und die sie nichtaufhalten konnte.« Denn paradoxerweise ist die moderne Massenreligiosität einResultat von Aufklärung, Philosophie und Kritik, weil diese Bewegungen das zer-setzt haben, was in der modernen Religiosität »in eine breiartige Masse ausgegos-sene Auflösung des geschichtlichen Stoffes« ist.160

Der Konflikt zwischen theologischen Rationalisten und >Immanenten< verliertunter dieser Perspektive seine Bedeutung. Beide Tendenzen gehen in eine gemein-same Richtung. Der theologische Rationalismus führt zur »Vollendung des Chri-stentums«, weil er das Christentum von aller speziellen, lokalen und temporären»Verwicklung mit dem Volkswesen« entlastet hat, um »reine und abstrakte Reli-gion zu werden«. Darum ist »auch der Widerwille des Rationalismus gegen dieinhaltsvollsten Dogmen ( . . . ) echt religiös.«161 Aber auch die >Immanenten< beför-dern die Vollendung der Religion. »Je mehr die Gottheit sich vollendet, je mehr sienämlich menschlich wird und die Menschheit in ihr sich selbst wieder findet, um soreiner wird der Ausdruck ihrer Willkür. Die Vollendung der Religion ist der abso-lute Sieg der Willkür.«162

Eine Religion, die Dogmen kennt, ist eine sich bestimmende Religion, die Unbe-stimmtheit der vollendeten Religion kennt keine Dogmen, sondern nur Willkür.Auf gesellschaftlicher Ebene entspricht die dogmatische Bestimmtheit den gefüg-ten und bornierten Lebenskreisen der traditionellen Gesellschaft, der Auflösungdieser Schranken und der Entlassung der Individuen in die arbeitsteilige bürgerli-che Gesellschaft entspricht die äußerste Unbestimmtheit und Willkür der Religion,(nebenbei bemerkt, eine Unbestimmtheit und Willkür, die Marx später auf dasMedium des Geldes projezieren wird). An dieser Form moderner Religiosität, die

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von dem unbestimmten letzten Rest, der letzten Willkür regiert wird, entzündetsich der Atheismus B. Bauers. Was heute als Massenatheismus erscheint, nämlichdie verbreitete Auffassung, daß über die letzten Werte keine bestimmten Aussagengemacht werden können, wäre für B. Bauer das sicherste Indiz einer vollendetenReligion.163

Auf die von Deutschkatholiken und Lichtfreunden erneut aufgeworfene Fragenach einer staatsunabhängigen, selbstverwalteten Kirche haben weder >Imma-nente< noch >Atheisten< eine Antwort gefunden, die dem Problem gerecht gewor-den wäre. Den >Immanenten< ging es darum, möglichst rasch die theologisch-kirch-lichen Formen und Inhalte abzustreifen, den Gottesdienst in Menschendienst zutransformieren, die religiösen Bedürfnisse umzubiegen, um die verschwenderischeSehnsucht nach einer Transzendenz zur Antriebskraft für ein philanthropischesoder sozialistisches Vereinsleben zu nutzen. Den >Atheisten< kam die Institutionali-sierungsproblematik überhaupt nicht in den Blick. Sie diagnostizierten zwar dieTransformation der Religion, ihren eigentümlichen Rückzug in das immer unsicht-barer werdende »dumpfe Erzittern des Inneren«,aber dieser letzten Formlosigkeitder Religion wußten sie nur die heroische Tat einsamer Forschung entgegenzuset-zen.

7. Vollendung der Religion, Ende der Religion?

Was ist nun die religiöse Bewegung der 40er Jahre? Erfüllt sich in ihr der Traumvon der >neuen Religion des Geistes<, ist sie die wahre Gestalt des Sozialismus, dieWiedergeburt urchristlicher Gemeinden, oder ist sie die Vollendung der alten Reli-gion, die letzte Stufe der Entfremdung des Menschen? Oder handelt es sich, trotzdes Eindruckes, daß Deutschland einem großen Konzil gleicht, schon gar nichtmehr um Religion, sondern um Politik und Wirtschaft? Deutungsprobleme beste-hen auf allen Seiten. Aber wie hängen sie zusammen: Religion, Politik, Wirtschaftund Industrie?

Zweifel, daß es sich bei der religiösen Bewegung überhaupt um eine religiösehandele, hat R. Prutz. Er fragt,

»wer es denn eigentlich gewesen, der diese ganze Angelegenheit zuerst in Gang gebracht,wer es ferner ist, der sie gegenwärtig am meisten in Gang erhält, wer das meiste Leben, diemeiste Tätigkeit zeigt, ja wer recht eigentlich Seele und Kern der ganzen Bewegung ist: dieGläubigen oder die Ungläubigen? die Kirchlichen oder die Unkirchlichen? die Frommenoder Ketzer?« Das »(wie man es so gern nennt) >religiöse Leben der Gegenwart« sei »garnicht so tief aus der Mitte des Volks hervorgewachsen, gar kein solch ursprüngliches,autochthonisches Element unseres Volkslebens ( . . . ) , wie man uns wohl überredenmöchte.« Vielmehr sei es »erst von außen hinein getragen worden«. Es seien die Ungläubi-gen gewesen, »welche diese religiöse Bewegung veranlaßt haben; nicht in majorem, vielmehrin minorem ecclesiae gloriam ist der Kampf entbrannt, nicht den Glauben schützen will man- nein, man möchte gern das bißchen, das man noch etwa hat, sich mit guter Manier völligentledigen.«164

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Aber wie steht es mit dem Einwand, der Kampf gegen religiöse Traditionen sei»an sich schon eine Religion, ein Gottesdienst, der höchste, edelste sogar, den esgibt: ein Gottesdienst der Freiheit?« Prutz' Antwort ist zwiespältig. Was ihn »ver-söhnen könnte mit diesen theologischen Trivalitäten« der religiösen Bewegung,wäre ein unerschrockenes »Wahrheitsbekenntnis«. Aber den Titel »Gottesdienstder Freiheit« mag er der freireligiösen Bewegung nicht zusprechen.»Uhlich und Wislicenus, Ronge und Czerski, preßt sie aus, miteinander, destilliert sie in einsund schüttet noch alle Lügen, alle Verdrehungen, alle Entstellungen dazu, welche die Heng-stenberg und Gerlach, die Philipp's und Ritter über sie ausgegossen: ihr kriegt doch aus derganzen Gesellschaft noch nicht den zehnten, nicht den hundersten, den tausendsten Teilheraus von dem Freimut, der Aufklärung, der (wenn es doch einmal (!) so heißen soll) >freienReligion<, welche seit hundert Jahren alle größten Geister unseres Volkes, einen Kant undFichte, einen Lessing und Schüler erfüllt haben!«165

Die Anschlüsse an die nur noch zögernd als >freie Religion< bezeichnete klassi-sche Periode sind zweifelhaft geworden.

Gibt es überhaupt »rein religiöse Angelegenheiten«? Es gäbe sie zwar, aber nurin den »inneren Krisen des Individuums selber«, für die gelte, »ein jeder macht siemit sich selber ab«. Solche - so könnte man Prutz modern übersetzen - existenziel-len psychischen Krisen sind für die Konstitution sozialen Sinnes unerheblich. Undheute könnte hinzugefügt werden, wer sie nicht mit sich selber abmachen kann,dem steht der Weg zum Psychiater offen.166 Die >rein religiöse Angelegenheit« imInnern des Individuum kommt für Prutz überhaupt erst zu einer tatsächlichen Exi-stenz, wo sie als

»plastisches Gebilde, lebendig in die Welt schreitet, da erst ist sie wirklich vorhanden, daerst kommt sie in Betracht, da erst zwingt sie uns auf, auf sie zu achten«. Und: »es gibt, imBereich des Menschen, keine andere wahrhafte Existenz, als allein die Existenz im Staate, esgibt kein anderes lebendiges Dasein, als allein politisches Dasein. Was nicht im Staate zu exi-stieren weiß, existiert überhaupt nicht; was sich nicht politisches Dasein verschafft, ist über-haupt nicht da.«167

Prutz' Sicherheit der Gedankenführung bricht sich dort, wo er nach Wortensucht, die politische Daseinsebene zu umschreiben: »Diese Welt des Wirklichennun aber, diese allgemeine Verkörperung der Idee, dies (um es recht eigentlich zubezeichnen) Reich Gottes auf der Erde ist nun eben - der Staat] die bürgerlicheWelt, die Welt des Rechten, als der verwirklichten Freiheit!«168 Vollendung derReligion, weil das Reich Gottes auf Erden >recht eigentlich< da ist, oder Ende derReligion, weil es nur eine politische Daseinsebene gibt?

Und wie sind die religiösen Bewegungen in dieser Alternative unterzubringen?Prutz konstatiert: Alle religiösen Bewegungen»von den Altlutheranern bis zu den Neukatholiken, von den Pietisten zu den Lichtfreunden,allesamt stimmen sie darin zusammen, daß sie freie Religions«&«jg haben, daß sie unabhän-gig religiöse Körperschaften, mit einem Worte: daß sie freie selbstberechtigte Gemeinden bil-den wollen.« Der Kern ihrer Forderungen sei ein politischer: »diese vermeintliche religiöseBewegung der Gegenwart ist gar keine religiöse, sie ist eine politische Bewegung.« Darausfolgt: »Politik treiben wir, auch indem wir lichtfreundliche und pietistische und deutschka-tholische Versammlungen halten: warum nicht auch die Politik treiben als Politik? warum,nicht die theologische Kapuze abwerfen«?169

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Aber wie soll die »Kapuze« abgeworfen werden, wenn die in der religiösenBewegung Engagierten die Hülle für den Kern nehmen? Was Prutz schließlichübrig bleibt, ist ein Appell, der wieder dementiert, daß die Bewegung politisch ist:»führt Eure Kriege wenigstens im Stillen, beschränkt Euch, wie es geschrieben steht, aufEuer Kämmerlein, tragt Euern innerlichen Wirrwarr nicht auf Gassen und Märkte, pumptEure kleinen quakenden theologischen Frösche nicht auf zu Riesen -: wenn nicht um derFreiheit, nicht um des Vaterlandes, nicht um Eures Vorteils - o so wenigstens um des gutenGeschmacks willen!! — Denn sonst verschlingt diese theologische Barbarei uns alle.«170

Offensichtlich muß die Analyse anders angelegt werden, um jenes Versteckspielauflösen zu können. Auch für Jordan steht fest, daß es sich unter der Maske derReligion um Politik handelt, daß hinter dem Schild der Glaubensfreiheit derUnglaube sich verbirgt. Aber die Angelegenheit sei komplizierter, nämlich so,

»daß jene Maske zugleich eine Maske für den Maskierten ist und daß dieser Schild zugleichauf die, die ihn führen, wie eine Tarnkappe wirkt, d. h. daß sie selbst es nicht einsehen, wiedie Glaubensfreiheit, die sie meinen, nicht eine Freiheit im Glauben, sondern eine Freiheitvom Glauben ist; wie sie zwar unter dem Zeichen des Kreuzes zu siegen trachten, aber inWahrheit gegen das Kreuz selbst.«171

Angesichts der rückwirkenden Maskierungen muß das Phänomen Religiongenauer erklärt werden. Woher kommt die gedoppelte Tarnung?

Zur selben Zeit, als Marx und Engels in der >Deutschen Ideologie< die Grundli-nien des historischen Materialismus fixieren, schreibt Jordan über die objektivenKräfte, die der Religion ein Ende bereiten:»Man verkennt immer noch viel zu sehr die Leiblichkeit und Sinnlichkeit, die materiellenGrundmotive der Geschichte. Nicht aus dem Hirn einsamer Denker blüht ungezeugt unddurch ein mystisches Wunder dasjenige hervor, was einen neuen Umschwung in dieMenschheitsschicksale bringt, und nicht allgemeine, erst zum Bewußtsein kommende unddann umgestaltend in die Wirklichkeit eingreifende Prinzipien sind die Hebel neuenGeschehens, sondern umgekehrt: erst nachdem naturgemäß und allmählich enstandeneneue Bedürfnisse die Völker in eine neue Tätigkeitsrichtung hineingezogen und so andereZustände erzeugt haben, bewirkt der Überblick derselben das Bewußtsein, welchem dannalles zufällt, so bald es ausgesprochen wird.«172

Schon die Naturgeschichte kenne Revolutionen, aber die praktische Tätigkeitder Menschen habe zu einer weit größeren Umgestaltung der Welt geführt. DerMensch

»vernichtet, indem er die Naturgegenstände und seine eigenen Verhältnisse zu ihr (derNatur, d. V.) umbildet, nicht allein d;e handgreiflichen Wesen und Dinge der Welt, sondernunvermerkt auch die ganze frühere Welt seiner eigenen Gedanken, denn diese ist ja nichts,als das zusammenfassende Spiegelbild von jenen, das notwendig mit ihnen zugleich aus sei-ner Vorstellung verwischt werden muß.«

Aus dieser Perspektive legitimiert sich die Rede vom Ende der Religion, denn esmüßte einsichtig sein, daß »die Geistesform, Sitte, Gesetz, Religion vergehenmüsse, wenn die äußeren Verhältnisse, wenn der Wohnort, die Bedürfnisse, dieTätigkeit des Volks durch seine eigene Arbeit oder durch die Macht anderer Völkerverwandelt sind.« 173

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Was Jordan 1845 entwirft, ist ein veritabler historischer Materialismus. Zwei Fra-gen schließen sich an: 1. welchen äußeren Verhältnissen entsprach die Religion?Antwort: »Der Boden, auf dem das Christentum erwachsen, und die Bedingung,unter der allein es noch gedeihen konnte, war das menschliche Elend und dieUnwissenheit über die Natur.« 2. Sind diese Bedingungen heute noch gegeben?Die Antwort lautet: perspektivisch gesehen nein. An Wunder glaube niemandmehr so recht, die Verbreitung der Ergebnisse der Naturforschung sei nicht aufzu-halten. Und das Elend? Mitten in den Auseinandersetzungen um den >Pauperis-mus< diagnostiziert Jordan: es gäbe zwar »noch genug Elend in der Welt. Aber ichmeine, doch lange nicht mehr genug zum guten Fortgedeihen des Christentums.«Er verweist auf die Aufhebung der Leibeigenschaft und auf »die ins unglaublichegestiegene Industrie«. Sie habe»mit wohltätiger Hand eine Menge von Bedarfsbefriedigungen und Genüssen, die frühernur den Mächtigen der Erde zu Gebote standen, der großen Masse zugänglich gemacht undwieviel Jammer und Not auch noch ungestillt bleibt, das kann niemand bestreiten: dieSumme des allgemeinen Wohlseins ist nicht bloß gegen frühere Jahrhunderte, sondernselbst gegen eine weit jüngere Zeit unermeßlich gewachsen und die Zahl derer um einbeträchtliches zusammengeschmolzen, welche die Erde mit Fug und Recht ein Jammertalnennen dürfen.«174

Was die Gegenwart als religiöse Bewegung erlebe, sei der »Todeskampf desChristentums«. Dies sei ein verdeckter Prozeß, weil fast alle den Todeskampf leug-nen, »obgleich sie alle unbewußt mit Hand anlegen, es desto schneller unter dieErde zu bringen.« Politisch betrachtet sei der Deutschkatholizismus »nichts weiterals Liberalismus unter religiöser Vermummung«, und angesichts der Forderungvon Teilen der Lichtfreunde, »die Erde zum Himmelreich zu machen, was man nurdurch Vereine erreichen könne«, stellt Jordan fest: »Glaubt man nicht französischeSozialisten sprechen zu hören, die bekanntlich aufs klarste nachweisen, daß dasChristentum weiter nichts sei, als reiner Sozialismus und Kommunismus?«175

Religion, Politik, Industrie - wie ist dies magische Dreieck aufzulösen?B. Bauers Vollendung der Religion ist für Prutz und Jordan ihr Ende. Für Prutz,weil jeder Glaube unter dem Gesetz des öffentlichen Lebens steht, für Jordan, weilIndustrie und Naturerkenntnis den Wurzeln der Religion, Elend und Unwissen-heit, keine Nahrung mehr geben. Für Jordan stirbt die Religion geradeso in derIndustrie, wie sie bei Prutz in der Politik verendete.

Der Streit wäre zu lösen, wenn die >Atheisten< um B. Bauer sich damit zufriedengäben, die Vollendung der Religion nur als Informalisierung, als Unbestimmtheitletzter Werte zu diagnostizieren. Aber der religiöse unkenntliche Rest, läßt er sicheinsperren in das Prutzsche »Kämmerlein«? Muß er nicht wieder herhalten für dieLösung der säkularen Probleme? B. Bauer schreibt:»Man hat in der neuern Zeit selbst unter denen, die für den Fortschritt kämpfen, das Wort>Religion< gehört - entweder so, daß gesagt wird, jedem sei der Beruf und das Geschäft, demer sich widme, seine Religion, müsse wenigstens seine Religion sein, oder so, daß gefordertwird, die Begeisterung für die allgemeinen Ideen, Staat, Freiheit, Kunst, Wissenschaft,müsse die Form der Religion annehmen oder die Religion der Menschen bilden.«176

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Der religiöse Rest wird wieder bestimmend für die »Formfrage«. Auf den Staatbezogen fragt B. Bauer: »Soll die Hingabe und Begeisterung als Religion wieder dasVerdunsten des wirklichen bestimmten Gedankens sein?« Und was die Industrieangeht, fragt er: »Soll der Mensch darin seine Religion finden, daß er zeitlebensnichts anders tut, als diese bestimmte Maschine für die Zubereitung einer bestimm-ten Schraube zu beaufsichtigen?«177

Ende der Religion? Vollendung der Religion? Ein Streit um Worte, ganz ohneZweifel. Und dieser Streit um Worte dauert an. Er ist das zentrale Problem reli-gionssoziologischer Theoriebildung.178 Haben wir es im Zusammenhang der Her-ausbildung der modernen Gesellschaft mit einem irreversiblen Prozeß der Säkula-risierung zu tun, oder täuschen wir uns, wenn wir die greifbaren Erscheinungenvon Entkirchlichung mit Entchristlichung gleichsetzen179, oder gibt es gar keineSäkularisierung, weil sich eine unabdingbare Religiosität heute in anderen symboli-schen Wirklichkeiten zeigt, die die Leistungen religiöser Sinngebung übernommenhaben180, oder ist gar in gegenwärtigen Gesellschaften ein Überschuß an religiösenGlaubenssystemen vorhanden, denen nur »sozialwirksame Vermittlungsformen«fehlen?181 Und was soll bei alledem noch Religion genannt werden?

Diese Arbeit ist nicht der Ort, detailliert auf die heutige Debatte einzugehen, sieist gleichwohl der Ort, nach dem sozialen Sinn des Streits um Worte und gerade derWorte in dieser Sache zu fragen. Wenn wissenssoziologische Bemühungen über dietraditionelle Vorlage, der Frage nach sozialer Lage und Bewußtseinsformen, hinaus-kommen sollen, so darf der Streit um Worte gerade nicht als belanglos abgetan wer-den. Jede diskutierende Intellektuellengruppe steht vor dem Problem, Modi auszu-bilden, mit denen der Unterschied zwischen einem Streit mit Worten über Sachenund einem Streit, der mit Worten bloß über Worte geführt wird, fundamentalisiertwerden kann. Daß dieser Unterschied in der Diskussionspraxis fortlaufend unter-miniert wird, daß die Rufe »Zurück zur Sache!« und »Zurück zu den Worten!«nicht enden wollen, gehört ebenso zum Alltag von Intellektuellengruppen.

Wo es jedoch darum geht, festzustellen, was noch Religion genannt werdenkann, geraten auch jene Regulative in Bedrängnis, die den genannten Unterschiedfundamental sichern sollten. Die Gruppe muß entscheiden, ob sie sich noch weiterüber die Sache oder das Wort >Religion< streiten will. Für die Gruppe der Junghe-gelianer stellt sich die dramatische Frage, ob die Religionskritik vertieft fortzuset-zen ist oder ob das bisher geleistete ausreicht.

Diese Weichenstellung ist gravierender als alle Entscheidungen, die zuvorgetroffen werden mußten. Der Übergang von der Schule zur Partei wurde einhelliggefordert. Die Differenzen in der Einschätzung des Liberalismus führten zwar zurSpaltung der Gruppe, aber weil es hier auch um pragmatische Dimensionen undtaktische Bündnisfragen ging, enthielt dieses Problem noch Spielräume eines ver-deckteren oder offeneren Radikalismus. Die Alternative >Theorie und Masse< ver-sus >Theorie statt Masse< riß tiefere Gräben auf, aber es handelte sich hier noch umSuchbewegungen nach einem gesellschaftlichen Ort der Intelligenz, der auf beidenSeiten, der Seite des in der Masse aufgelösten Intellektuellen und der Seite des ein-samen Kritikers, kein gesicherter Ort war. Die Kritik der Religion war jedoch dasgeheime Band der Gruppe, sie war ja überhaupt, angefangen mit Strauß' >LebenJesu<, das Konstitutionsmerkmal der Gruppe.

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Ende 1843 beginnt Marx die >Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphi-losophien »Für Deutschland-ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt,und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.« Jetzt geht es umanderes, jetzt, »nachdem das jenseits der Wahrheit verschwunden ist« und »nach-dem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist«. Es gehtum eine Transformation: »Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in dieKritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theo-logie in die Kritik der Politik.«1*2

Ebenso urteilt Rüge im selben Jahr in seiner Rezension von Feuerbachs >Wesendes Christentums^ Für Rüge steht fest, »daß die Kritik und Phänomenologie desbestimmten und entschiedenen, d. h. des wirklichen und inhaltsvollen christlichenGlaubens, hiermit vollendet ist.« Feuerbach beende einen Prozeß der Religionskri-tik, der mit der Aufklärung begonnen habe. Die Aufklärung sei ein Kampf gegendie Religion gewesen, ohne »das Wesen der Religion« zu ergründen, mit Feuerbachsei dagegen die Religion endgültig erklärt. Der Kampf der Aufklärung habe sichnur auf das »böse Wesen« der Religion gerichtet. »Feuerbachs Darstellung istgerecht, denn sie behandelt beide Seiten, das gute und das böse Wesen der Reli-gion, mit gleicher Gründlichkeit.« Feuerbachs Kritik »ist das begriffene Wesen,während die Kritik der Aufklärung nur das begriffene Unwesen darstellt«.183

Gegen die Rede vom Ende der Religionskritik erhebt sich Widerspruch. Feuer-bach habe keineswegs die Religionskritik vollendet, meint Stirner, und bemerkt,»daß die Religion noch bei weitem nicht in ihrem Innersten verletzt wird, solangeman ihr nur ihr übermenschliches Wesen zum Vorwurfe macht«. Und die voreili-gen Gruppenmitglieder weist er darauf hin:»Das Heilige läßt sich keineswegs so leicht beseitigen, als gegenwärtig Manche behaupten,die dies >ungehörige< Wort nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in EinerBeziehung noch >Egoist< gescholten, so bleibt der Gedanke an ein Anderes übrig, dem Ichmehr dienen sollte als Mir, und das Mir wichtiger sein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worinIch Mein wahres Heil zu suchen hätte, - ein >Heiliges<. Mag dies Heilige noch so menschlichaussehen, mag es das Menschliche selber sein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, son-dern macht es höchstens aus einem überirdischen zu einem irdischen Heiligen, aus einemGöttlichen zu einem Menschlichen.«184

Auf die Anmerkung der Redaktion der EB zu B. Bauers religionskritischenSchriften, »die kommende Generation« würde »es lächerlich finden ( . . . ) , gegensolche Lächerlichkeiten (gemeint sind die Prinzipien der Theologie, d. V.) nochmit Ernst und Pathos zu protestieren«, reagiert B. Bauer:»diese Zukunft war für die Radikalen schon längst vorhanden: sie fanden die Ausführungder Kritik, d. h. die wirkliche Kritik selbst schon überflüssig und lästig«. Aber: »DiejenigenRadikalen, die das Ende der Religion und Kirche schon erlebt zu haben glaubten, hatten sichallerdings geirrt und zu früh auf die Sympathien eines glaubenslosen Volkes gerechnet«.185

Warum tangiert die Frage, ob Religionskritik weiterhin an erster Stelle stehensoll oder ob sie überflüssig ist, die Gruppe in besonderem Maße? Eine möglicheAntwort wäre: die tief erliegende soziale Identität der Junghegelianer, die einigeMetamorphosen der Gruppenidentität mitgemacht hatte, kommuniziert durch

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ihre Wandlungen hindurch mit der religionskritischen Thematik. So wäre derWiderspruch zu erklären, daß auf allen Seiten, auch jenseits des Streits über dasEnde der Religionskritik, der Vorwurf, noch an Resten der Religion festzuhalten,die Auseinandersetzung dominiert.

B. Bauer sagt von Strauß: »Das Werk von Strauß ist nicht das Äußerste, weil esnoch theologisch, noch orthodox, also auch noch gegen die Geschichte gewalttätigund noch nicht die reine Erkenntnis der Geschichte war.«186 Und B. Bauer wirftFeuerbach vor: »Die Gattung Feuerbachs ist das Absolute Hegels, die IndifferenzSchellings, das Fichtische Ich, das Kantische Ding an sich, die Urmonade des Leib-niz', die Substanz Spinozas der Gott des Christentums - Religion, Philosophie.Auch die Gattung Feuerbachs existiert nirgends und nimmer als nur im Himmeldes Gemüts und auf dem bestirnten Wolkengrunde der Phantasie.« Feuerbach»begeht und hegt und pflegt den Grundirrtum der Religion und das Unheil undUnglück aller religiösen Anschauung, nämlich, daß der Mensch nicht Er selber ist«.Gelangte Feuerbachs Gattung »irgendeinmal zur Wirklichkeit, käme der Feuer-bachsche Gattungsmensch in irgendeinem Individuum zur Existenz, so wäre derjüngste Tag, die Vollendung, das Ende des Menschengeschlechts erschienen.« Undnicht fehlen darf die klassische Frage: »Hat er die Religion aus einem anderenGrunde vernichten wollen, als nur daß er seine Religion an ihre Stelle setze?«187

Marx und Engels dagegen verteidigen Feuerbachs Auflösung der Religion; fürsie bilden umgekehrt B. Bauer und seine Anhänger »die Heilige Familie«. Der Vor-wurf religiöser Befangenheit kann hin und her geschoben werden. Für G. Julius hatjedoch gerade B. Bauer die Leistung vollbracht,»die in nichts geringerem besteht, als in der Verweltlichung der Theologie, (. . .). Was Feuer-bach für den einzelnen Menschen getan hat, indem er ihm sein wahres Wesen wiedergege-ben, das hat Bauer für die menschliche Gemeinschaft, für die Geschichte getan; in der Ent-fremdung, die Feuerbach in der religiösen Anschauung des Menschen erkannt hat, siehtBauer das gemeinsame Prinzip der Zustände, der Institutionen, des ganzen Lebens in derchristlichen Welt; während die Theologie bei Feuerbach sich in Anthropologie auflöst, löstsie sich bei Bauer in der Erkenntnis des gesamten menschlichen Wesens in seinen verschie-densten Erscheinungen, also vornehmlich in Geschichte auf.« Marx habe das »BauerschePrinzip, in dessen Anwendung auf den Staat noch konsequenter ausgeführt und dazu nochgründlicher von der theologischen Fassung befreit, als Bauer selbst getan hat.«188

B. Bauer wird dem nicht zustimmen. Marx sei ein »Feuerbachscher Dogmati-ker«.»Er muß die Kritik verdrehen, er muß sie zu einer kristallinischen Formation umgestalten,er muß sie versteinern, aus ihrer flüssigen Form heraus und den Kritiker aus seiner Mensch-lichkeit weg in den Himmel der Substanz erheben, die Kritik zum Blauen, zum Himmel, undden Kritiker zum Schaume und Traume, zum Gott machen, also er muß eine Kritik in sei-nem Kopfe aushecken und einen Kritiker aus seinem Gehirne zusammenkneten, um gegendiese und diesen, d. h. gegen seinen eigenen Schatten und gegen sein eigenes Gespenst zuFelde zu ziehen.«189

Stirner entdeckt bei Feuerbach, B. Bauer und Marx imposante Reste religiöserBefangenheit und muß sich im Gegenzug dafür von Feuerbach sagen lassen, sein»Einziger« sei ein »unverdauter Rest des alten christlichen Supranaturalismus«.190

B. Bauer schilt Stirner einen »Dogmatiker«, der »nicht weiter und nicht vom

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Flecke kommt«. »Der Einzige ist der letzte Zufluchtsort in der alten Welt, der letzteSchlupfwinkel, von wo aus sie ihre Angriffe auf eine von ihr ganz verschiedene, unddarum von ihr unverkennbare Gestaltung machen kann. Der Einzige ist die Sub-stanz, fortgeführt zu ihrer abstraktesten Abstraktheit.«191 Und für Marx ist Stirner,»Sankt Max«, derjenige unter den Religionskritikern, der die Welt »en bloc heilig-sprechen und sie damit ein für allemal abfertigen konnte.«192

Die gegenseitigen Vorwürfe, noch religiös zu sein, durchziehen alle Kontrover-sen, niemand bleibt verschont, selbst gesicherte Lager zerreiben sich in diesemveritablen Intellektuellenkrieg aller gegen alle. Handelt es sich bei diesem Grup-pengeschehen um die Aufrechterhaltung einer »Konfession des Atheismus«, vonder B. Bauer an Rüge schreibt?193 Aber der Begriff >Atheismus< entzweit, selbst dieBrüder Edgar und Bruno Bauer. Für Edgar ist»>Atheist< noch ein viel zu religiöser Ausdruck (...). Der Kritiker will aber nicht bloß immerin Gegensatz, im Kampf mit dem religiösen Bewußtsein bleiben: er will siegen, jenes ganzvon sich abwerfen: er will Mensch sein; sagen wir also fortan nicht mehr: der Kritiker ist einAtheist, sondern: der Kritiker ist ein freier Mensch.«194

Umgekehrt ist für Bruno Bauer im gleichen Jahr der Name >Atheismus< unver-zichtbar.»Wir nennen uns Atheisten; solange wenigstens müssen wir uns auch diesen Namen derVerneinung beilegen, als es nottut, gegen die Aufdringlichkeit der Religion uns zu wehren,und als es noch nicht lächerlich geworden ist, gegen die Vergangenheit und die Gefangen-schaft, die bisher als die Bestimmung der Menschheit galt, zu protestieren.«195

Die mikroskopische Suche nach Resten von Religion hat soziologisch betrachtetden Auflösungsprozeß der Gruppe zur Folge. Das Verfahren erinnert zwar an diegesteigerte Aufmerksamkeit gläubiger Sekten, die überall, auch in feinsten Spuren,das Wirken böser Mächte vermuten, aber der junghegelianische Kampf gegen dieReligion hat nichts Einigendes, im Gegenteil: er ist der wuchernde Spaltpilz derGruppe. Der religiöse Rest wird gleichsam von Hand zu Hand gereicht, ausgesto-ßen und hereingeholt. Er kursiert in einer geschlossenen Kette von Tauschakten. Indiesem gegenseitigen Tausch, in dem der eine seine befreite Position gegen dieUnfreiheit des anderen austauscht, verdampfen die gnostischen und chiliastischenMuster. Die Erlösung durch Wissen wird zur leidenschaftlichen Sophistik, und dasJüngste Gericht ist nur noch ein komisches Motiv.196

Wenn K. Korsch später von der Marxschen Theorie sagen wird, daß die Über-windung der Religion selbst noch die Form einer Religion habe197, so trifft er damitsicherlich einen Aspekt, der gerade für die Junghegelianer zutrifft, die relativ frühdie religionskritische Debatte für beendet erklären. Der Vorwurf des Nihilismusbzw. des Sophismus wird die treffen, die nicht auf die Extermination auch dernachwachsenden Götter verzichten wollen. Dies ist aber eine Frage der Wirkungs-geschichte.

Für den Gruppenzusammenhang liegen die Probleme noch etwas anders. DieFrage stellt sich: wie ist Säkularisierung in dieser Gruppe möglich? Wer einer reli-giösen Gemeinschaft angehört und spürt, daß seine Einstellungen sich verweltli-chen, wird aus der Kirche oder der Gemeinde austreten. Und der »Austritt aus der

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Kirche« war ja auch - wie erinnerlich - das große provokative Thema der >Freien<.Kann aber eine Gruppe, die Religionskritik treibt, deren Mitglieder mit der Kon-fession des Atheismus< umhergehen, sich säkularisieren? Brüche der Selbstdeutungder Gruppenmitglieder sind hier unvermeidlich. Denn für die >konsequenten Jung-hegelianer< bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder war die Gruppe immer undvon Anfang an ein säkulares Unternehmen, dann ist die Härte der Religionskritikin den eigenen Reihen schwer verständlich, oder die Gruppe war doch so etwas wieeine »unsichtbare Kirche«, dann hatte die Religionskritik die Funktion, sie nochunsichtbarer zu machen.

Die eine Deutung wächst sich aus zu der These, auf einer tieferen Ebene sei esden Junghegelianern gar nicht um die Kritik der Religion gegangen, sondern diesesei nur ein der Gruppe verfügbares Substitut für säkulare Probleme gewesen. Dieandere Deutung entdeckt gerade in der Verlagerung und im Austausch des religiö-sen Restes< die Kontinuität eines sich transformierenden, neu verkleidenden Got-tes, eine Kontinuität, die es zu erkennen gelte, um die Kritik der Religion zu vollen-den. Entweder es bleibt ein >Rest< als gespensterhafter Schatten, der das Bewußt-sein vernebelt, oder unter diesem Rest liegt eine säkulare >letzte Instanz<, die dasMaß der Verhaltensmöglichkeiten bestimmt.

Alle Typen junghegelianischer Gruppenbildung sind Übergangsformen. Daherwäre diese Alternative nur dann zu entscheiden, wenn man die Spezifität einerÜbergangssituation außer acht ließe. Im Moment des Übergangs jedoch sind beideAlternativen kopräsent, durchkreuzen sich und tauschen einander aus. Dieser Grup-penzustand ist weit entfernt von einer lähmenden Paralyse, im Gegenteil führtgerade die Nichtentscheidbarkeit zu einer Vertiefung und Anreicherung der gegen-sätzlichen Positionen, die ohne diese spezifischen Übergangszustände der Gruppegar nicht denkbar gewesen wäre.

8. Gewißheit und GruppeWenn es eine >Konsequenz< in der Gruppe der Junghegelianer gibt, in einer Intel-lektuellengruppe, für die Konsequenz ein zentraler Wert ist, so ist es die Konse-quenz der Auflösung. Konsequent ist die Forderung Herweghs, »man müsse dieFreiheit bis zum Wahnsinn lieben«198, und konsequent ist die Einsicht B. Bauers,»daß die Verrücktheit des Geistes wissenschaftlich nicht widerlegt werdenkann«.199 An der Forderung wie an der Einsicht haben mehr oder weniger je nachTemperament alle Junghegelianer festgehalten. Jeder stand vor dem Problem der -wie es Rüge hegelianisch formuliert - »Aufnahme der absoluten Mächte des Gei-stes ins Gemütsinteresse und in den Willen«, und Rüge nannte dies eine »intensi-vere und höhere« Religiosität.200 Ich möchte dies >Gewißheit< nennen - ein Termi-nus, der für den Soziologen mehr aufschließen kann, wenn er sich an L. Wittgen-steins Bemerkung hält: »Die Gewißheit ist gleichsam ein Ton, in dem man den Tat-bestand feststellt, aber man schließt nicht aus dem Ton darauf, daß er berechtigtist.«201 Der Ton der Gewißheit ist in der junghegelianischen Rhetorik kaum zuüberhören. Wer in der Gruppe erfolgreich mitmusizieren will, muß diesen Tonanschlagen.

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Die Gewißheit der Junghegelianer ist mehrdimensional. Zunächst weist sie aufeinen >religiösen Unterbaue ein Erbe Hegels, der die Gewißheit des Glaubens mitder Gewißheit des Geistes identifizierte. Die Gewißheit der Junghegelianer hataber zugleich auch eine rationale Seite, wenn es um die Gewißheit des Wissensgeht. Sie verschaffen sich durch intellektuelle Arbeit eine Gewißheit der Kompe-tenz, die sie nach außen und gegeneinander offensiv zur Schau stellen. Verzicht aufAnalyse, die gläubige Hinnahme der Wahrheiten ist »der Selbstmord des Geistes«.Die >Waffe der Gelehrsamkeit gibt Sicherheit.202 Die Gewißheit bezieht sich aberauch noch auf eine dritte Seite. Es ist die Gewißheit, in einem Bunde mit dergeschichtlichen Entwicklung zu stehen, sei es >objektiv<, indem Wandlungen derGesellschaft ihren Thesen bestätigend entgegenkommen, oder >subjektiv<, daß sieselbst relevante Geschichte machen oder sie doch wenigstens entscheidend vorbe-reiten.

Wie aber funktioniert Gewißheit, wenn sie nicht als Gewißheit eines einzelnenin den Blick genommen wird, sondern wenn mehrere Individuen mit einer ähnlichstrukturierten mehrdimensionalen Gewißheit eine Gruppe bilden? In diesemSachverhalt liegen viele Geheimnisse des Junghegelianismus beschlossen. Diegegenseitige beredte oder schweigende Versicherung, daß die sich kenntlichmachende subjektive Gewißheit akzeptabel ist, möchte ich >Sozialisierung vonGewißheit< nennen.

Gehen wir den einzelnen Dimensionen nach. Wir hatten oben daraufhingewie-sen, daß unter religionssoziologischem Aspekt die religiöse Unmittelbarkeit eineSeite des gnostischen Habitus darstellt, gleichsam den Gegenpol zur systematisch-intellektualistischen Gotterkenntnis. Eine gegenseitige Versicherung von Heilsge-wißheit und Glaubensgewißheit durch sakramentale Formen oder solche, diedaran erinnern, scheidet aus. Ohne diese Formen ist diese Ebene der Gewißheitaber schwer zu sozialisieren, weil sie nur als eine je situative gegenseitige Anerken-nung realisierbar ist. In den pathetischen Formulierungen, die gerade der Organi-sator Rüge gefunden hat, mögen für die Gruppenmitglieder vielleicht kurzeMomente eines Gefühls von Integration der Gewißheiten auf dieser Ebene stattge-funden haben.

Um von Dauer zu sein, hätten diese Augenblicke auch einer tiefergehendenAnerkennung bedurft. Aber der Gedanke einer »Gemeinde der Wissenden« ist inder Gruppe nicht unangefochten, denn es lauert hier der junghegelianische Erz-feind: die Dogmatik. »Wozu noch denken? Die absolute Wahrheit ist ja gefunden,jetzt gilt es daher, begeistert von ihr, das tausendjährige Reich zu begründen.«203

Und daß gerade die religiöse Gewißheit der Gruppenbildung entgegen kommenkönnte, ist zweifelhaft, denn:

»Religions-Differenzen - und zwar die reinen, wahren Religions-Differenzen, die Differen-zen in dem reinen, geoffenbarten Religions-Glauben - sind ewig und unausgleichbar. JedePartei glaubt, der wahre Ausdruck des menschlichen Wesens zu sein, jede muß daher dieandere verleugnen, für unmenschlich erklären und in der Entfremdung gegen sie so weitgehen, bis sie ihr so fremd ist, wie eine Tiergattung der anderen.«204

Kann die Gewißheit des Wissens in einer Gruppe sozialisiert werden? Betrach-

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ten die Junghegelianer das religiöse Bewußtsein in erster Linie als ein individuelles,gemütvolles Phänomen, so ist für sie Vernunft und Kritik ein kollektives Phäno-men. Gewißheit des Wissens ist von vornherein eine Gruppenangelegenheit. Hierkönnte Ruges Idee von der »geistigen Demokratie« wirksam werden. Besser alssituative gläubige Unmittelbarkeit können die Prozesse der Kritik gruppenförder-lich sein, zumal hier Formen der Versachlichung möglich sind. Sozialisierbar wäredie kritisch sich vergewissernde Gewißheit des Wissens, wenn in der Gruppe gilt:»Willkür - ( . . . ) solch eine tyrannische Macht würde bald aus der Republik derWissenschaft hinausgeworfen werden. Es ist vielmehr das Charakteristische derKritik, daß sie sich ganz genau - sie allein ganz genau - auf das Wesen der Gegen-stände einläßt und dasselbe erklärt.«205

Welchen Modus der Kritik setzen die Junghegelianer voraus? Die Kritik erkenne»nichts, nichts von vornherein als wahr an, ja, sie richtet sich gerade gegen alles das,was darum weil es ist, heilig, unverletzlich und der Vergänglichkeit entzogen seinwill.«206 Dieser Modus der Kritik richtet sich nicht nur nach außen, sondern wirdauch innerhalb der Gruppe praktiziert, denn es besteht die Gewißheit, daß - wieB. Bauer schreibt - »eine Unternehmung deshalb nicht glücklicher wird, wennzufällig zu ihr zusammenkommende für einen Augenblick ihre Differenzen verges-sen«.207 Die Kritik richtet sich »gegen sich selbst und ihre eigenen Anhänger«, denn»um Verbündete ist es der Philosophie nicht zu tun«.208

Dieser Modus der Kritik führt zu dem, was man >Narzißmus der kleinsten Diffe-renz< nennen könnte. Versachlichung beruhigt das Gruppenfeld keineswegs. DieGenauigkeit der Kritik entdeckt fortlaufend Widersprüche und Risse, die zur Spra-che gebracht werden müssen, um nicht sachlich ungenau zu werden. Das soziologi-sche Problem der Gewißheit des Wissens besteht darin, daß sie sich nur in einersachlich argumentierenden Gruppe einstellen kann, daß aber die diskutierte Sache,als symbolische Wirklichkeit, der Zeit entrissen werden muß. Es sind endlose Dis-kussionen, die die Junghegelianer führen.

Die Zeit, die sich die Gruppe nimmt, hält die Individuen zusammen, auch wennsie, dem Narzißmus der kleinsten Differenz folgend, heillos zerstritten sind. Wiewir oben im Zusammenhang der philosophischen Schule erörtert haben, verhin-dert jedoch die dialektische Logik, die jeder praktiziert, (die Logik, differierendeStandpunkte als Einheit zu begreifen, weü sie hegelianisch nur Momente einerSache sind), eine rasche Ausstoßung von Positionen. Sich-in-Widerspruch-setzenist der >Moral< der Gruppe nicht abträglich, sondern geradezu gruppenkonform.Der Begriff >Toleranz< wäre hier zu ungenau, denn in der junghegelianischen Argu-mentation erscheint Toleranz nur als ein zeitweilig akzeptables Verhalten. Toleranzbeläßt die differenten Positionen im Kern, wie sie sind, und zügelt nur die Leiden-schaftlichkeit der Äußerung. Was B. Bauer in anderem Zusammenhang formulierthat, kann auch für die Gruppe gelten: »Wir nennen es nicht mehr Toleranz, son-dern: die aus dem Haß, aus zänkischer Tobsucht und aus der Verfolgung in denBegriff erhobene Dialektik der Gegensätze, die innerlich zusammengehören undinnerlich sich verständigen müssen.«209

Warum funktioniert dieses Konzept nicht? Einen wichtigen Hinweis gibt G. Ju-lius in seiner Charakteristik B. Bauers. Julius spricht psychologisch bei Bauer voneinem »Vereinzelungstrieb«. Dieser habe sich »zunächst nur als negative Bezie-hung auf Gegensätze« dargestellt, aber er

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»mußte endlich die positive Voraussetzung hervorkehren, nämlich daß dieses bestimmteIndividuum das wahrhaft Allgemeine vertrete, daß seine Ansichten Entscheidungen desgeschichtlichen Geistes seien. Mit dieser ungeheueren Zuversicht wächst auch die Härtegegen andere, die sich nicht unbedingt unterwerfen wollen, ihr Widerstand wird als in Ver-finsterung und Beschränktheit gegründet, angesehen.«

So erklärt sich für Julius die Genauigkeit der Kritik, der Narzißmus der kleinstenDifferenz:

»Diese Weise hat sich immer bei Bauer erhalten, daß er, um seine Selbständigkeit, seine Ein-zigkeit zu wahren, den ihm am nächsten stehenden Standpunkt zum Gegner hinüberschiebtund als die eigentliche Vollendung des Gegensatzes ansieht; die nächste Nähe wird solcher-weise zur ungeheuersten Ferne«.210

Dasselbe kann man auch von anderen Gruppenmitgliedern sagen. Feuerbachund Marx, Heß und E. Bauer, Stirner und B. Bauer, und wie immer man die Paarezusammenstellen mag, sie trennen nicht ganze Welten, sondern sie trennt eine win-zige Differenz. Ihre gegenseitige Polemik ist notorisch haarspalterisch. In derGewißheit des Wissens liegt ein abgründiges Paradox, auf das Julius aufmerksammacht:»Man würde hier allerdings mit Recht von Selbstvergötterung reden können, nie scheint sieentschiedener, zuversichtlicher hervorgetreten zu sein, denn nicht nur die allgemeineAnsicht, sondern jede einzelne Äußerung derselben wird als untrüglich gestempelt. Aberandererseits ist diese Selbsterhebung auch Selbstverleugnung, die nichts wissen will, als wasder Gegenstand selbst gibt, nichts Apartes, nichts Besonderes.«211

Wo die Gewißheit des Wissens sozialisiert wird, entstehen zwei gegenläufigeBewegungen. Eine Bewegung der >Entindividualisierung<: nur die Sache zählt, ver-sachlicht wird alles, nicht zuletzt die Wandlungen in den Auffassungen, die zur>Identität< gehören. Es kann vergessen werden, wer da jeweils spricht. Wert hat,was an den Sätzen, die fallen, mit der symbolischen Wirklichkeit der Sache harmo-nieren könnte. Die >Selbstverleugnung< hört auf, wo ich mich erinnere, daß ich eswar, der diese Sätze sagte, die - wie mir die Zeichen der anderen signalisieren - mitder symbolischen Wirklichkeit der Sache für einen Augenblick harmonierten.Diese Erinnerung erfüllt mich mit einer erhebenden subjektiven Gewißheit, die umso größer ist, je mehr ich mich zuvor, mich selbst verleugnend, der Sache >hingege-ben< hatte.

Diese Gegenläufigkeit von >Selbsterhebung< und >Selbstverleugnung< passiertallen in der Gruppe, sofern sie angespannt diskutieren. Wer aussteigt, muß sich -sofern er nicht glaubhaft machen kann, daß er zu müde zum Weiterdiskutieren ist- den Vorwurf der Nichtauflösungswilligkeit von Bornierungen gefallen lassen,den er nur entkräften kann, wenn er wieder in den Prozeß einer Extermination allerBestimmtheiten an sich selber einsteigt. Da ich aber nicht genau weiß, wann in derEwigkeit der Debatte der andere sich >erhebt< oder sich >verleugnet<, ist die Gewiß-heit des Wissens in ihren eigenen Bewegungsformen nicht sozialisierbar. Anderesoziale Einrichtungen müssen hier zu Hilfe kommen, die der sachlichen Debatteentzogen sind.

Ist die dritte Ebene der Gewißheit, die geschichtsphilosophisch fundierte

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Gewißheit, eher dazu geeignet, die Gruppe zusammenzuhalten? Auf den erstenBlick könnte man dies annehmen. Im Bunde mit dem Fortschritt, dem Weltgeist zusein, in dieser Gewißheit können Gruppenspannungen auf die, Zukunft verlagertwerden. Und in ihren letzten utopischen Träumen finden sich kaum Differenzen inder Gruppe. Bei allen ist das Ziel die Emanzipation der Menschheit, derengeschichtliche Notwendigkeit außer Frage steht. Sie sind sicher, in einer revolutio-nären Zeit zu leben, die ihren Gedanken entgegenkommt, und sie sind sicher,Avantgarde zu sein. Dennoch bleibt die Frage, ob die Umgangsweisen mit der Kon-tingenz der Zukunft kollektivierbar sind. Für Rüge »gehört die ganze Stärke derPhilosophie dazu, an die Realisierung der Vernunft mitten in der Unvernunft zuglauben«. Um diese im religionskritischen Terrain des Jahres 1843 etwas unpas-sende Formulierung zu bestärken, setzt Rüge hinzu: »Wir meinen dies ernst-lieh.«212

Woher kommt die >Kraft< für die geschichtsphilosophische Gewißheit vomschließlichen Sieg der Vernunft? Sie zehrt von einem Widerspruch:»Es ist offenbart, aber es ist verborgen nach wie vor. Dieser Widerspruch ist der Trieb derGeschichte, diese Not die Lust des Kampfes, seine Phasen die Probleme der Zeiten, ihreLösung die Jubelperioden großer Siege, und das Mitgefühl dieser Kämpfe, dieser Zweifelund dieser Siege die Religion und die höchste Befriedigung des Menschen.«213

Die geschichtsphilosophische Gewißheit allein wäre kaum durchzuhalten, wennnicht die Befriedigung im »Mitgefühl« der geschichtlichen Kämpfe hinzutritt.

Anders geht E. Bauer mit dem Problem um. Er schließt sein Hauptwerk mit denWorten:»Und wenn Ihr sagt, unsere Theorien möchten sich vielleicht in zweitausend Jahren, wenndie Menschheit eine ganz andere geworden ist, verwirklichen, so antworten wir: geschichtli-che Ereignisse lassen sich nicht nach Jahreszahlen berechnen: und wenn manchmal hundertJahre der Tyrannei und Stumpfheit die Menschheit kaum merkbar vorwärts brachten, so istoft ein Jahr hinlänglich, durch neue Gedanken einen Umschwung anzuregen und hervorzu-bringen. Die Tage wiegen, aber zählen nicht - das ist der Trost des freien Mannes.«214

Mit diesen beiden Positionen ist die Spannbreite der Möglichkeiten geschichts-philosophischer Gewißheit angegeben. Entweder kontinuierliche Teilnahme ander Geschichte, dauerndes »Mitgefühl«, oder qualitative Zeitwahrnehmung vonTagen, die zählen, und solchen, die nicht zählen. In dieser Spannbreite istgeschichtsphilosophische Gewißheit eher gruppenzersetzend als einheitsstiftend.Denn der, für den sich diese Gewißheit im kontinuierlich mitgefühlten Tageskampfrealisiert, muß dem, für den es eine qualitative geschichtsphilosophische Zeiterfah-rung gibt, als ein nur zeitweilig Mitbeteiligter erscheinen. Umgekehrt kann letzte-rem die »höchste Befriedigung« in der Kontinuität des Kampfes geradezu als eineForm von geschichtsphilosophischer Ungewißheit erscheinen, weil die Differenzzwischen geschichtsphilosophisch relevantem Handeln und diffuser Betriebsam-keit verwischt ist. Der Flaneur hält sich bereit in der Langeweile seiner Tage, vondenen nicht gewiß ist, ob sie zählen oder nicht. Der kommunistische Agitator hatjeden Tag etwas-zu tun.

Auf allen drei Ebenen von Gewißheit entwickeln die Junghegelianer Selbst- und

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Gruppendeutungen, die Gruppenkohärenzen fortlaufend unterminieren. Den-noch stehen wir vor einem Paradox, wenn wir anerkennen müssen, daß im Ver-gleich zu anderen Gruppenbildungen sich die Junghegelianer gerade durch dieIntensität und Dichte ihres Zusammenhangs auszeichnen. Sich aus diesem Zusam-menhang zu lösen, hat allen enorme Anstrengungen abverlangt, Anstrengungen,von denen bemerkenswerte Partien noch heute für diskutabel gehalten werdenkönnen.

Das Beispiel Marx ist sicher das bekannteste. Sein stufenweiser Lösungsprozeß:die Trennungen von B. Bauer, von Feuerbach, von E. Bauer und Stirner, von Heßund Rüge haben maßgeblich das profiliert, was als seine Leistung in die Geschichteeingegangen ist. - B. Bauers Trennung von den Junghegelianern, die 1844 mit derForderung nach der >Einsamkeit der Kritik< beginnt, erforderte nicht wenigerAnstrengung. Das Resultat der Trennung ist ein anderes als bei Marx, aber nichtweniger beeindruckend. Die Figur des >Einsamen Kritikers< ist für spätere Genera-tionen, für Nietzsche ebenso wie für Adorno, stilbildend geworden. - StirnersAbrechnung mit den Junghegelianern in >Der Einzige und sein Eigentum< gab nichtnur Marx und Engels den entscheidenen Anstoß zur Konturierung ihres histori-schen Materialismus, seine Denkfiguren, nach 1848 vergessen, sind von existentia-listischen Philosophen des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen worden, nachdemdie literarische Boheme zu Beginn dieses Jahrhunderts in ihm ihren Apostel gefun-den hatte.

Die Reihe ließe sich fortsetzen, aber die Wirkungsgeschichte junghegelianischerIdeen ist nicht das Thema dieser Arbeit. Bleibt zu fragen, warum die Lösung vonder Gruppe so schwer war, warum solche intellektuellen Leistungen vollbrachtwerden konnten und mußten, um mit den Verbindlichkeiten der Gruppe zu bre-chen oder sie zu überwinden.

Vielleicht kann einer der späten Junghegelianer, Karl Schmidt, hierüber Aus-kunft geben. K. Schmidt schließt sich als Student den Junghegelianem zu einemZeitpunkt an, da die Gruppenaktivitäten schon ihre ersten Höhepunkte hinter sichhatten. 1843 ist ihm »Hegel der Gott des Denkens«, er stürzt sich in die Lektüre:»Fast Tag und Nacht habe ich seit einem halben Jahre Hegel studiert und - ichglaube jetzt einen Schritt in's Heiligtum getan zu haben.« 1844 wird seine Gewiß-heit gebrochen, er schreibt in sein Tagebuch, daß Strauß gegen Hegel Recht habe.Er geht über zu Feuerbach, kritisiert ihn und verfolgt intensiv die Wendungen derDebatte.215 Das Resultat erscheint 1846 anonym unter dem Titel »Das Verstandes-tum und das Individuum«.

K. Schmidt zeichnet die Logik der Gruppenauseinandersetzungen akribischnach: Der Lehrer der Schule, Hegel, sei der Gipfelpunkt der Philosophie, aber erhabe auch »die Schlange am Busen erwärmt und genährt, die ihn und mit ihm allePhilosophie mit giftigem Todeshauche treffen mußte. Er war als der absolute Philo-soph zugleich die Negation der Philosophie.«216 In der Konsequenz der Kritiküberwinden sich alle Standpunkte sukzessiv: Strauß'>Leben Jesu<, B. Bauers Evan-gelienkritik, Feuerbachs Religionskritik, die Debatte um die Judenfrage, E. BauersKritik des Staates, die reine Kritik der ALZ, Marx' und Engels' Kritik der kriti-schen Kritik, Feuerbachs Humanismus, Stirners >Einziger<, - sie alle bilden eineKette von Überwindungen. Die junghegelianische Kritik ist für K. Schmidt ein

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nicht enden wollender Prozeß. Wie aber kann mit ihm selbstgewiß abgerechnetwerden?Was K. Schmidt aufzeigen will, ist die Logik des »Verstandestums«. Der Kritiker

»darf sich nie irren und nie geirrt haben, weil er nichts Apartes, nicht Selbständiges, nichtsBesonderes, nichts Einzelnes ist, weil er sich selbst verleugnet und in seinem Sprechen nichtmitspricht, weil er alle Endlichkeit und Beschränktheit aufgegeben und sich ergeben undhingegeben hat an die heilige Göttin >Kritik<. ->Der Kritiker< war der Totengräber der alten Zeit, der Totenanzeiger von dem, was keinLeben mehr hatte. Er ward von dem allgemeinen Tode, der über den Erdkreis ging, nichterwürgt, bis der Tod Alles erfaßt hatte und der Kritiker gestorben war, weil er nichts mehrzu begraben hatte. - Die Kritik ist der Tod, der alles alte und morschgewordene Leben ver-zehrt; hat er's verzehrt, dann ist er selbst nicht mehr. Sie ist der Weg, der passiert werdenmußte, um den siebenten Himmel, die Geistigkeit in Person, die Heiligkeit in ihrem vollenPathos, das Geister- und Verstandestum in seinem ganzen Umfange und damit und dadurchdie ebene Erde zu erreichen: wer aber immer passiert, kommt nimmer an! —Halt! . . .«?11

»Halt!«, d. h. Gewißheit ist für K. Schmidt nur im Bruch mit der Gruppe zuerreichen, in einer Gewißheit, die sich den Gruppenzumutungen der Kritik verwei-gert. Im Bruch wiederholt er noch einmal die Geste Stirners:

»Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schütteltdie Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von derBrust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutungdes gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nichterkannt werden.«218

Aber konstitutiert der Bruch nicht doch wieder einen Zusammenhang? Ist nichtauch Stirners gedankenloser >Einziger< wieder nur eine Fortsetzung des >Verstan-destums<? Und ist das >Individuum<, das K. Schmidt nach seinem »Halt!« im zwei-ten Teil seines Werkes all dem entgegensetzt, nicht auch eine Verlängerung des kri-tischen Prozesses? Wie aus den >Gesetzen< der Gruppenkommunikation heraus-kommen?

K. Schmidt hat dies Problem in einer Weise gelöst, die deutlich macht, welcheDramatik das Verhältnis von Gewißheit und Gruppe bei den Junghegelianernerreicht hatte. Sein Bruch endet mit einer Wendung an die perspektivischen jung-hegelianischen Kritiker:

»Du meinst, ich habe nun >erklärt<, was das Individuum sei, und Du wollest mich nun wieeinen Dogmatiker oder Kritiker zerledern und zerfleischen. Nimm Dir die Mühe nicht.Oder ich will Dir die Mühe nehmen, wenn ich sage, daß das Individuum nicht Individuali-tät ist, weil >Individualität< das Extrakt aus dem Individuum, der Geist ist, sondern daß dasIndividuum nur die Beschreibung und Charakteristik eines, dieses ganz bestimmten Indivi-duums war und auch nicht war. Ich nehme meine Charakteristik zurück, weil sie wahr undfalsch ist, weil ich in der Sprache und mit >der Sprache< eine Charakteristik dieses Individu-ums nicht geben konnte, weil ich darin die absolute Fülle und die absolute Leere des Indivi-duums nicht erschöpft, und weil mir nichts daran liegt, daß Du >weißt<, oder vielmehr vieldaran liegt, daß Du >nicht weißt<, ob ich bin und wer ich bin und wer ich nicht bin. Das Indi-viduum ist die Kritik, nicht reine, nicht kritische, nicht historische, sondern individuelle,

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eigene, einzige Kritik. Das Individuum ist nicht zu fassen und nicht zu haben, steht keineRede und keinem Rede. >Ich bin ich selbst allein.< —«219

Der auf mehrdimensionaler Gewißheit aufgebaute Gruppenzusammenhangkann erst ohne Abstriche am erreichten Niveau der Sprachspiele verlassen werden,wenn der Autor sich weigert, überhaupt noch Rede und Antwort zu stehen, wenner die Spannungen zwischen sozialisierbaren und nicht sozialisierbaren Elementender Gewißheiten annulliert. Und um das Maß voll zu machen und keinen Zweifelan der Ernsthaftigkeit seiner Annullierung aufkommen zu lassen, veröffentlichtK. Schmidt in der von den Junghegelianern erbittert angefeindeten EKZ Heng-stenbergs eine Rezension seines Buches.220

K. Schmidt bezeichnet sein eigenes Buch als »einen Beitrag zur Geschichte -menschlicher Narrheit«. Es sei »an sich allerdings nicht wert, daß man auch nur einWort darum verlieren sollte, geschweige denn die Durchlesung desselben zu emp-fehlen.« Höchstens sei es ein »Kompendium für die Geschichte der neuesten Philo-sophie«, die eine »philosophische Komödie von 1835 bis 1845« darstelle. »Das hal-tungslose Subjekt schuf Hirngespinste und zerstörte diese ebenso schnell wieder.Endlich wird es an sich selbst und seinem Geist irre.« Die Selbstrezension schließtmit den Worten: »Die Philosophen würden sich künftighin einen Wald zum Auf-enthalte wählen, und da mit Gebärdenspiel (!) eine Unterhaltung führen, wennauch dies nicht Inkonsequenz wäre.«221

Selten hat ein Autor sein Werk zugleich mit seinem Erscheinen wieder annulliert.Von Verrat gegenüber der Gruppe zu sprechen wäre viel zu ungenau. Der Verratan den Gruppenprinzipien ist in allen Übergängen und Überlagerungen der Grup-pendefinitionen präsent und manifest gewesen. Diese >absurde< Tat hat auch wenigmit dem >Unsinn machen< der Boheme gemein, die >über alles hinaus< ist. Eher istan eine Konversion zu denken. Jedenfalls sprechen K. Schmidts nachfolgendeArbeiten davon.222

Kann das Phänomen >Konversion< in einen sinnvollen Zusammenhang mit denerörterten Problemen, mehrdimensionale Gewißheiten zu sozialisieren, gebrachtwerden? Nötig wäre, zunächst angesichts der Konversion den Blick nicht in ersterLinie auf den neuen Glauben zu richten und ihn in Korrespondenz mit der neuensozialen Figuration, in der der Konvertit sich bewegt, zu betrachten, sondern denBlick auf das verlassene Gelände zu richten.

Für die Intellektuellengruppe, in der Argumente getauscht und zugleich Defini-tionen entworfen werden, mit denen der Tausch begrenzt werden kann, stellt Kon-version sich als ein Abbruch des Austausches und als ein Abbruch der Anstrengun-gen dar, Begrenzungsregeln für den Tausch zu finden und aufrechtzuerhalten.Bezogen auf die Gewißheitsfrage vereinfacht der Konvertit die Mehrdimensionali-täten, es scheint, als ob er vor dem Sozialisierungsproblem mit einer dramatischenGeste kapituliert.

Aber diese Kapitulation - kann sie nicht auch als eine letzte Herausforderunginterpretiert werden, eine Herausforderung, mit der eine Entgrenzung des Tau-sches erzwungen werden soll? Unser Erschrecken angesichts plötzlicher Konver-sion, die mit einem >Identitätswechsel< einhergeht, den wir auch aus der Nähe nichthaben heraufziehen sehen, verweist vielleicht auf die dunkle Ahnung, daß sich derTausch von Argumenten, die Begrenzungen der Diskurse, die gegenseitigen Befrie-

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digungen der Gewißheit - daß sich diese sozialen Formen und Prozesse um diegegebene Unvorhersehbarkeit von Ereignissen lagern, die, gleich wie eine unerwar-tete Konversion, nicht geheuer sind. Eine Soziologie von Intellektuellengruppenhat nicht zuletzt dies Erschrecken der entspannten Vernunft zugänglich zumachen.

Anmerkungen

1 Die einschlägige Literatur zu den religionsphilosophischen Debatten ist in der Einleitungdieser Arbeit aufgeführt. An dieser Stelle sei hingewiesen auf F. W. Graf, F. Wagner(1982 b). Die Edition enthält eine ausführliche Bibliographie. Aus der neueren theologi-schen Diskussion ist zu nennen: F. Wagner (1976 a).

2 Bekanntlich wies Strauß auf den Widerspruch in der Hegelschen Religionsphilosophiehin, der mit der orthodoxen Deutung der Christologie gegeben sei. Auf der einen Seitewürde Hegel behaupten, daß sich das Wesen Gottes im Prozeß der Weltgeschichte über-haupt erst offenbare, auf der anderen Seite hielte Hegel aber an der Figur Christus alsGott-Mensch und Verkünder der absoluten Wahrheit fest. Strauß folgerte nun aus die-sem Widerspruch, daß, wenn sich das Wesen Gottes im Laufe der gesamten Geschichtesukzessiv prozeßhaft offenbare, der historische Christus logischerweise nur einen Teildieser Gesamtoffenbarung bilden könne. Die Konsequenz dieser Interpretation war, daßdas, was in den Evangelientexten über Christus gesagt worden ist, was als Konstituensder christlichen Religion galt, eben keinen ewigen absoluten Wert mehr haben konnte.Strauß' Überlegungen gingen aber noch weiter.Wenn die Texte, in denen über Christus berichtet wird, nur ein vorübergehendesMoment der Gesamtoffenbarung waren, wie stand es dann überhaupt mit der FigurJesus Christus? Strauß kam schließlich zu dem Schluß, daß es ein Irrtum sei, zu glauben,Jesus habe als Mensch tatsächlich existiert. Die Evangelien waren für Strauß gleichsamSchilderungen von Phantasie-Geschehnissen, die aus einer Art Kollektivbewußtsein her-vorgegangen waren. Gott war für Strauß nicht mehr der persönliche Jesus Christus, son-dern ein quasi unpersönlicher Gott, philosophisch gesprochen: die Substanz der gesam-ten Weltgeschichte, die sich hier im Christentum vorübergehend Mythen gebildet hatte.Strauß bestritt überhaupt die Möglichkeit, daß sich Gott als Substanz in einer einzelnenPerson offenbaren könne. Den Christuskult interpretierte Strauß als ein Symbol der Ideeder Menschheit, der Idee der Gattung. In vielen Punkten finden wir Gemeinsamkeitenzwischen Strauß und Feuerbach: der Straußsche Substanzbegriff hat mit Pate gestandenbeim Feuerbachschen Materialismus ebenso wie Strauß' Christologie (Christus alsMenschheitssymbol) für den Feuerbachschen Begriff der Gattung und der Anthropolo-gie.B. Bauer greift Strauß' Thesen auf, legt aber gegenüber der Idee einer kollektivenmythenbildenden Substanz mehr den Akzent auf die Verfasser der Evangelien als ein-zelne Autoren. Nach umfangreichen Studien, die er in den Arbeiten >Kritik des Johan-nes< 1840 und >Kritik der Synoptiker< 1841—42 veröffentlichte, kam B. Bauer zu demResultat, die Evangelien seien nur der jeweilige freie Ausdruck der Verfasser, also Mat-thäus, Markus, Lukas und Johannes. Hinter den einzelnen Evangelien ständen jeweilsdeutlich unterscheidbare Einzelpersonen. Die Evangelisten seien aber nicht einfach nurChronisten, die etwas aufgeschrieben hätten, was ihnen erzählt worden wäre, sonderndie Evangelisten seien gleichsam Schriftsteller oder Theoretiker, die das Christentumschöpferisch erfunden hätten. Die Urchristen selbst hätten nur ganz vage Vorstellungen

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von Leben und Tod und Auferstehung Christi gehabt, die als kollektive Mythen existier-ten, aber es sei die gedankliche Leistung des einzelnen Evangelisten gewesen, für dieGemeinden ein System von Aussagen zu produzieren, das ihren Intentionen undzugleich der gesamten Situation der Zeit entsprach. Der einzelne Schriftsteller ist dabeizugleich ein Moment des allgemeinen menschlichen Selbstbewußtseins, das sichB. Bauer zufolge in der Geschichte schrittweise entfaltet. Treffend hat R. Gottschall for-muliert: B. Bauer »kritisiert die Evangelien wie Produktionen schriftstellerischer Kolle-gen in einer Literaturzeitung«. (R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur, 1872,Bd. 2, S. 168)In der religionsphilosophischen Differenz, Gott mehr als >Substanz< oder mehr als>Selbstbewußtsein< zu begreifen, liegt theoriegeschichtlich gesehen schon die Spaltungder Gruppe in mehr auf Kollektivität, >Gattung< und >Masse< bauende Emanzipations-theoretiker und solche, die dem einzelnen produktiven kritischen Bewußtsein den Vor-zug geben. Zum theologiegeschichtlichen Kontext vgl. A. Schweitzer (61951); H. Weinel (1914);E. Barnikol (1958). Wie sehr die christologische Thematik heute wieder ins Zentrum derAuseinandersetzung zwischen Theologie und Soziologie rückt, zeigt der Beitrag vonF. Wagner (1976 b).

3 MEW Bd. 1, S. 378 und 379.4 MEWBd. 3,S. 159.5 H. Leo, Die Hegelingen, S. 43 und 5.6 H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Culturepoche, 1839, S. 355 und 424.7 Ch. H. Weiße, Die philosophische Literatur der Gegenwart. 2. Artikel, in: ZPsT 7

(1841) S. 108.8 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 171 f. Vgl.

K. Löwith (1964) S. 33.9 A. Ruge, Sendschreiben anj. Görres, in: HJ 1838 Sp. 1195.

10 A. Ruge, Der Pietismus und die Jesuiten, in: HJ 1839 Sp. 287. U. Otto (1968) weist zurecht darauf hin, daß es sich bei der schlichten Gleichsetzung von Reformation undGedankenfreiheit um eine historische Illusion handelt (S. 36). Zu den vormärzlichenReformationsdeutungen siehe H. H. Brandhorst (1981).

11 A. Rüge, SenschreibenanJ. Görres, Sp. 1199.12 W. Vatke, Rezension: R. Rothe, Die Anfänge der christlichen Kirche, in: HJ 1838

Sp. 1147.13 A. Ruge, Der Pietismus und die Jesuiten, in: HJ 1839 Sp. 275.14 A. Ruge, Rezension: Friedrich der Große und seine Widersacher, in: HJ 1840 Sp. 999.15 EKZ 1840 Nr. 75 zit. nach: anonym, Der Jesuitismus der evangelischen Kirchenzeitung,

in: HJ 1840 Sp. 1967.16 Alle Zitate, einschließlich des Autors der >Minerva<: A. Ruge, Bruno Bauer und die Lehr-

freiheit, in: An 1843, Bd. 1, S. 135 und 136.17 anonym, Kritik und Partei, in: DJ 1842, S. 1177. — Die Unsicherheit der Lokalisierung

der unsichtbaren Kirche im Felde der Philosophie wird deutlich bei Bayrhoffer: »Diebestehende Gemeinde der Idee, dieses Geisterreich, nennt man nun die Hegeische Schule,welcher mithin jene Arbeit der allseitigen Offenbarung und Verwirklichung der Ideeobliegt. Auf den Ausdruck >Schule< ist kein Gewicht zu legen, da sich die Glieder der Ideevielmehr als deren lebendiges Dasein, wenn auch mit individueller Beschränktheit wissen.So wie vielmehr die christliche Gemeinde und die Gemeinschaft der Geister keine christ-liche Schule ist, so auch nicht die Gemeinschaft und Gemeinde der absoluten Idee, da sieihrem Wesen nach der Beschränktheit der Schule entnommen ist, obschon allerdingsjeder auch hier eine Schule durchzumachen hat und viele nie über die Schülerschaft hin-auskommen. Die freien Männer der absoluten Philosophie in ihrer Gemeinschaft mögen

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und wollen lieber genannt sein als >Geisterreich der Idee<.« (Bayrhoffer, Die Idee undGeschichte der Philosophie, 1838, S. 487 f.).Das »Geisterreich« ist bei Hegel der historisch »lange Zug von Geistern«, wie er sich inder Geschichte der Philosophie darste ll t . (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über dieGeschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 629) Mit »Gemeinde der Idee« versucht Bayrhöf-fer, eine synchrone Perspektive dem Hegeischen Begriff anzunähern. Für die Rezensen-ten handelt es sich dabei um eine neuralgische Stelle. Pfannkuch stößt sich am »unpassen-den Ausdruck >Gemeinde der Idee<« (in: JWK 1841, Nr. 51, Sp. 402), und der ErfurterSchmidt urteilt: »Hiermit haben wir ihm (Bayrhoffer, d. V.) zugleich unsere Ansicht aus-gesprochen über das >Geisterreich der Idee<, welches, so glänzend auch der Ausdruckgewählt ist, so ängstlich auch das Prädikat der Gemeinde und der Schule zurückgewiesenwird, doch zuletzt nichts anderes als Schule, ja nach der tiefern Eigentümlichkeit unseresVerfassers zu urteilen, sogar Gemeinde bedeutet. Allein die Bahn der Philosophie liegthoch über Gemeinden und Gemeinde, und schreitet geistesfrei und geistesfroh über dieHäupter der Schulen weg.« (in: HJ 1840, Sp. 560).Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die von Price (1963) gewählte Formulie-rung »invisible College« für eine informelle Gruppe von Wissenschaftlern, die sich wech-selseitig konsultieren.

18 A.Ruge, Der christliche Positivismus und das Leben, in: HJ 1839 Sp. 2184. - Bezogenauf die protestantische Kirche schreibt B. Bauer: »wir werden nie die Mutter , die unsgeboren, gesäugt und zuerst aufgezogen hat, vergessen, aber erwachsen sind wir in einehöhere Schule übergegangen, in die Gemeinde der Wissenschaft und der Religion, diesich über die Beschränktheit der besonderen Kirche und Konfession erhoben hat. Nichtdie lutherische Kirche, auch nicht die reformierte is t untergegangen, sondern nur dieSchranke, die sie zu dieser besonderen Kirche macht, ist aufgehoben ( . . . ) . Das Unsterb-liche beider Kirchen ist in uns auferstanden«. (B. Bauer, >Landeskirche<, S. 14).

19 G. Julius, Der Streit der sichtbaren mit der unsichtbaren Menschenkirche oder Kritik derKritik der kritischen Kritik, in: WVjs 1845 Bd. 2, S. 330 f.

20 H. Holborn (1966) S. 94.21 H. Stuke (1963) S. 74.-Seit dem Ende der 70erJahre zeichnet sich ein verstärktes Inter-

esse von Historikern an religionsgeschichtlichen Fragestellungen ab, das deutlich an diereligionssoziologische Forschung und Theoriebildung anschließt. Exemplarisch seienzwei methodologisch-theoretische Arbeiten genannt: W. Schieder (1977): R. v. Dülmen(1980). Eine historische Arbeit, die sich ausführlicher gerade mit den religiösen >Intellek-tuellensekten< in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befaßt, s teht für Deutschlandnoch aus. Für Frankreich vgl. B. Viatte (1928).

22 J. Gebhardt (1963) S. 14.23 Bei der Profilierung des gnostischen Habitus stütze ich mich auf: H.Jonas (1934);

G. Quispel (1951); C. Colpe (1961); K. Rudolph (1978). Der Schwerpunkt dieser Arbei-ten liegt auf der Erforschung der Gnosis als einer spätantiken Religion. Das Ende derGnosis kann historisch in das 4. Jahrhundert gelegt werden.Die Wirkungsgeschichte der Gnosis ist äußerst komplex, teils finden Assimilierungen mitchristlichem Gedankengut statt, teils gehen gnostische Elemente in die freigeistige oderhäretische Spekulation ein. K. Rudolph (1978) bemerkt: »Im einzelnen ist der Nachweishistorischer Kontiuität schwierig zu führen, da es sich vielfach um >unterirdische< Kanälehandelt oder um einfache ideengeschichtliche Konstruktionen von Zusammenhängen,wie sie auf philosophisch-historischem Gebiet häufig vorgenommen worden sind.«(S. 392) Gnostische Züge finden sich bei den Bogomilen, deren Lehre seit dem 8. Jahr-hundert zunehmend auch auf westeuropäische Länder ausstrahlt und die Ketzerbewe-gungen des Mittelalters beeinflußt. Hier finden komplexe Vermischungen von gnosti-schen, mystischen und chiliastischen Systemelementen statt, die es erschweren, in jedem

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Fall eine eindeutige Diskriminierung von gnostischen und chiliastischen Elementen vor-zunehmen.Weniger im Zeichen einer religionsgeschichtlichen Erforschung der Gnosis, als vielmehrim Zeichen einer Kritik moderner Emanzipationsphilosophie stehen die Arbeiten vonE. Voegelin. Er greift ein allerdings zentrales gnostisches Systemelement heraus: die Erlö-sung durch das Wissen. Dieser Aspekt der gnostischen Soteriologie setzt auf die zu erken-nende Identität von realem Prozeß des Seins und der Erlösungsbewegung selbst. DieseBindung führt Voegelin zufolge zu einem nicht mehr auflösbaren Willen zur Beherr-schung des Seins. »Philosophie entspringt der Liebe zum Sein; sie ist das liebende Bemü-hen des Menschen, die Ordnung des Seins zu erkennen und sich auf sie einzustimmen.Gnosis will Herrschaft über das Sein; um sich des Seins zu bemächtigen, konstruiert derGnostiker sein System. Das System ist eine gnostische Denkform, nicht eine philosophi-sche.« (E. Voegelin (1958) S. 54) Die Erlösung durch das Wissen wird bei Voegelin abge-setzt gegen das liebende Tun, das sich in der agnostischen christlichen Tradition verortet.Vgl. auch: G. Sebba (1981)Gegen die Thesen Voegelins hat H. Blumenberg (1974) neuzeitliches Denken als endgül-tige Überwindung der Gnosis dargestellt, nachdem der erste Versuch ihrer Überwindungam Anfang des Mittelalters mißlungen war. Die humane Selbstbehauptung der Neuzeitgründet Blumenberg zufolge nicht in einer Säkularisierung religiöser Gehalte, sondernwird als »absoluter Anfang« (S. 88) gefaßt. - Daß die Gnosis-Diskussion keineswegs ein-fach zu beenden ist, zeigen erneut die Beiträge in J. Taubes (1984).

24 K. Rudolph (1978) S. 310; M. Weber (1964) S. 399; H. Kippenberg (1981).25 Bei der Prof i l ierung des chi l iast i schen Habitus s tütze ich mich auf fo lgende Arbeiten:

Zum mittelalterlichen Chiliasmus: B. Töpfer (1964); E. Benz (1934); A. Dempf ( 21954).Zum Gesamtkomplex: W. Nigg (1944) ; J . Taubes (1947); K. Löwith ( 4 1961) ; E. Benz(1973). Für die Rezeption chiliast ischer Elemente im deutschen Idealismus vgl. darüberhinaus: E.v. Sydow(1914); W. Christian (1961); E. Benz(1955 a). Zur neueren theologi-schen Diskussion vgl. G. F. Borne (1979).

26 H. Grundmann (1950); H. Mottu (1980).27 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 20.28 Hegel an Schelling, Brief v. Jan. 1975, in: J. Hoffmeister (Hg), Briefe von und an Hegel,

Bd. 1, S. 18.29 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 26 uznd 27.

In diesem Bestreben, den Endzweck der Geschichte zu erkennen, sind zwei religiöse Fra-gen verflochten. Einmal geht es darum, »die Einsicht zu gewinnen, daß das von der ewi-gen Weisheit Bezweckte wie auf dem Boden der Natur so auf dem Boden des in der Weltwirklich tätigen Geistes herausgekommen ist.« (Ebd. S. 20) Es handelt sich hier um dasProblem der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes im Hinblick auf »das Übel in derWelt«, das geschehen ist. Im strengen Sinne ist der Theodizeegedanke nicht notwendigmit dem chiliastischen Habitus verbunden, weil jener sich auf die Befriedung mit der Ver-gangenheit, dieser darüber hinausgehend mit der Projektion des zukünftigen Endzwecksder Geschichte befaßt.Bei Hegel erscheint nun in eigenartiger Weise der chiliastische Habitus zunächst nicht alsVerlängerung des Theodizeeproblems, sondern als dessen Voraussetzung., »Wenn mannämlich nicht den Gedanken, die Erkenntnis der Vernunft, schon mit zur Weltgeschichtebringt, so sollte man wenigstens den festen, unüberwindlichen Glauben haben, daß Ver-nunft in derselben ist, und auch den, daß die Welt der Intelligenz und des selbstbewußtenWollens nicht dem Zufall anheim gegeben sei, sondern im Licht der Sivu «rissenden Ideesich zeigen müsse.« (Ebd. S. 14) Dieser Glaube kann chiliastisch oder gnostisch verstan-den werden, als >Sich-zeigen< in der künftigen Geschichte oder im erlösenden Wissen.Daß dieser Glaube im Widerstreit mit der säkularen Form des Wissens steht, hat Hegel

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deutlich gemacht, indem er sich selbst als Philosophen von diesem Glauben ausnimmtund ihn zu einer motivationalen Quelle herabsetzt. Hegel fährt unmittelbar fort: »In derTat aber habe ich solchen Glauben nicht zum voraus in Anspruch zu nehmen. Was ichvorläufig gesagt habe und noch sagen werde, is t nicht bloß, auch in Rücksicht unsererWissenschaft, als Voraussetzung, sondern als Übersicht des Ganzen zu nehmen, als dasResultat der von uns anzustellenden Betrachtung, ein Resultat, das mir bekannt ist, weilich bereits das Ganze kenne.« (Ebd.) Hier hat die philosophische Lösung des Theodizee-Problems den chiliastischen Glauben gleichsam aufgesogen.Aber wie prekär diese Situation ist, zeigt der Fortgang der Argumentation, in der beideStränge erneut auseinandertreten: »Es hat sich also erst aus der Betrachtung der Weltge-schichte selbst zu ergeben, daß es vernünftig in ihr zugegangen ist, daß sie der vernünf-tige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen, des Geistes, dessen Natur zwar immereine und dieselbe ist, der aber in dem Weltdasein diese seine eine Natur expliziert. Diesmuß, wie gesagt, das Ergebnis der Geschichte sein. Die Geschichte aber haben wir zunehmen, wie sie ist; wir haben historisch, empirisch zu verfahren«. (Ebd.) Zwischen dem»Müssen« des Endzwecks der Geschichte und ihrer hinzunehmenden Faktiz i tä t , zwi-schen chiliastischem Habitus und Rechtfertigung in einer Theodizee versucht Hegel eineriskante Balance herzustellen.

30 B. Bauer, >Landeskirche<, S. 2.31 K. Rosenkranz, Rezension: G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Reli-

gion, in: JWK April 1833 Sp. 566.32 Erinnert sei hier nur daran , daß in Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts« das

fiorit ische Geschichtsmodell in die zentralen Aussagen Eingang gefunden hat. LessingsKritik der revolutionären Ungeduld< steht in einer langen Tradition. Charakteristischsein Hinweis: »Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und vierzehntenJahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten, und nurdarin irrten, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten.« (G. E. Lessing,Gesammelte Werke, Bd. 9, 1856, S. 423)

33 Der Tübinger Hegelianer F. Ch. Baur verbindet in seinem Werk, Die christliche Gnosis,1835, nicht nur Religionsphilosophie und Gnosis, für ihn sind Schelling und Hegelgleichsam die zeitgenössischen Repräsentanten einer kontinuierlichen gnostischen Spe-kulation seit der hellenistischen Zeit. Zuvor erschien von Baur: Das manichäische Reli-gionssystem, 1831. Ob Jakob Böhme zu den Gnostikern zu rechnen ist, wie dies Baur tat(vgl.: Die christliche Gnosis, S. 557 ff.), ist in den HJ umstritten. Für einen Rezensentenzeitgenössischer Böhme-Literatur ist Böhme »Philosoph«, die Gnostiker dagegen sind»Theologen«. »Die Gnostiker bemächtigen sich des Positiven als eines an sich unwahren,verstandlosen Körpers, dem sie die Seele erst einhauchen (. . .), während Böhme seine ausdem eigenen Innern entsprossenen Gedanken in die gegebenen Formen einer geoffen-barten Religion hineingießt« (Schnitzer, Rezension: W. L. Wullen, Jakob Böhmes Lebenund Lehre, in: HJ 1839 Sp. 2119). Die Differenz bezieht sich auf den Unterschied zwi-schen freigeistiger und häretischer Spekulation, der sozial bedeutsam ist, weil mit ihmunsichtbare Kirche< verschieden lokalisiert wird.Einen interessanten rezeptionsgeschichtlichen Hinweis gibt Schnitzer, wenn er schreibt,Böhme werde »kaum erst seit 2 Jahrzehnten in dem Bereiche der Wissenschaft mit Ach-tung genannt.« Vorher sei er »nur in asketischen Vereinen der niederen Klasse gekanntund gelesen (. . .). Ref(erent) erinnert sich noch aus seinen Schuljahren, wie er als Lateinervon zwei Verehrern Böhmescher Geheimnisse, beide Damastweber (!), um Erklärungder fremden Ausdrücke in Böhmes Schriften angegangen wurde.« (Ebd. S. 2108)Bekanntlich war die Ketzerei bereits im Hochmittelalter gerade unter Webern weit ver-breitet.Aus der Fülle von Aufnahmen chiliastischer Traditionselemente seien hier einige Zeilen

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aus R. Gottschalls Gedicht »Lehrfreiheit« wiedergegeben. Auf die Gruppe der Junghe-gelianer bezogen heißt es:

»Auf dem Tabor der Geschichte,Mit verklärtem Angesichte,Stehn die echten Gottgesandten,Die Verjagten, die Verbannten,Stehn in brünstigem GebeteHingewandt zur Morgenröte (. . .)«(R. Gottschall, Censur-Flüchtlinge, S. 35)

Über die Arbeiten von Stuke und Gebhardt hinaus sei zu diesem Komplex hingewiesenauf: P. Cornehl (1971); L. Kröner (1979).

34 A. Ruge, Sendschreiben an J. Görres, in: HJ 1839, Sp. 1198 ff.35 B. Bauer, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, in: An 1843,

Bd. 2, S. 150.36 MEW Bd. 1, S. 391. - Wie aber könnte die Endzeit aussehen? In spekulativer Terminolo-

gie beschreibt sie Bayrhoffer: »Ist die Vollendung im Ganzen erreicht, so entläßt sich dieganze Idee nur noch in die Unmittelbarkeit der Welt, hat Alles im Begriffe verklärt, abermit dem höchsten Losreißen der Idee von der Welt hat sich auch der Erd- und Mensch-heitsgeist allmählich losgerissen von der Materie oder ist im Extreme dazu versenkt in sie- und so hat sich die Weltgeschichte in dieser Bestimmtheit vollendet, die produktiveKraft erlischt, der Greis — stirbt - aber Gott lebt unendlich, und offenbart sich in ewig-unendlicher Herrlichkeit stets von Neuem.« Die Vollendung ist: »Der Untergang derMenschheit und der Erde als Durchgang zu einem neuen Reiche der Entwicklung.«(K. Th. Bayrhoffer, Die Idee, 1838, S. 495 und 494).Konkreter ist die Vision von G. Maurer. Seine »Weltversöhnung« spielt in Paris, auf dasder erzürnte Gott als »unmäßigste(n) aller Sammelplätze des Lasters« herabblickt. Erhört die Stimmen der Staatsmänner, Weltweisen und »reichen Lüstlinge«, die die Stim-men der Armen übertönen. Eines Morgens erlischt die Sonne in einer völligen Sonnenfin-sternis. »Das Entsetzen stieg von Minute zu Minute. Straßen, Ufer und Spaziergänge füll-ten sich mit Menschen an, die sich befragten, umarmten, sich ermutigten, oder miteinan-der weinten. Der Starke lieh dem Schwachen seine Kraft; der verzweifelte Gelehrte batden Unwissenden um sein Dafürhalten. Jeder fühlte das Bedürfnis, sich an ein anderesWesen anzulehnen. Alles drückte sich die Hände, Reiche und Arme ohne Unterschiedversammelten sich in dem großen Bruderkreis.« Damit begann die »erste Frage« der»Einigkeit und Gleichheit« sich zu lösen. In den folgenden Tagen der katastrophischenDunkelheit lösen die Pariser sukzessive alle Konflikte und Spannungen untereinanderauf, »und ein junger Morgen lächelte herab auf die wiedergeborene Menschheit .«(G. Maurer, Gedichte und Gedanken eines Deutschen in Paris, 1844, Bd. 2, S. 48-63,ZitateS. 58 und 63).

37 A. Rüge, Die Restauration des Christentums, in: DJ 1841, S. 609.38 anonym, Zwei Vota über das Zerwürfnis zwischen Kirche und Wissenschaft, in: DJ 1842,

S. 29. Der Anonymus führt aus: »Was unsere Vorväter, was die ganze bisherige Kirchefür ein Äußeres, Fremdes, Jenseitiges, Zukünftiges, Überweltliches, Übernatürliches undÜbermenschliches gehalten, ist seiner Wahrheit nach ein Inneres, Eigenes, diesseitiges,Gegenwärtiges, Innerweltliches, Natürliches und Menschliches; ihr habt nicht zu warten,bis es euch von außen eingegossen, bis die Wahrheit euch geoffenbart und dieSittlichkeitals Gnadengeschenk eingeflößt werden wird; vielmehr habt ihr in euch zu gehen, in dieeigene Menschenbrust zu greifen, in Vernunft und Gewissen das Göttliche zu ergreifenund von innen heraus zu gestalten -: fürwahr, wenn diese Ansicht allgemein wird, dannwird erst ein neues, freudiges, tatkräftiges Leben sich regen, und der Mensch wird überden Himmel nicht die Erde, über der Zukunft nicht die Gegenwart verlieren, sondern das

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Himmelreich wird Gewalt leiden, es wird auf die Erde herabgezogen und eben damit dieErde zum Himmel erhoben werden; die Seligkeit wird gegenwärtiger Genuß werden.«(Ebd.)

39 A. Ruge, die Restauration des Christentums, in: DJ 1841, S. 619.40 Ebd. S. 610.41 L. Buhl, Der Beruf der preußischen Presse, 1842, S. 5.42 LFW Bd. 3 ,S. 322.43 A. Ruge, Rezension: D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, in: HJ 1840, Sp. 2494.

Die folgenden Zitate Ebd.44 (E. Bauer), Das Juste-Milieu. Erster Artikel, in: RhZ 156 v. 5. 6. 1842 (Beiblatt).45 A. Rüge, Wer ist und wer ist nicht Partei?, in: DJ 1842, S. 192.46 (K. R. Jachmann), Preußen, in: EB 1843, S. 14.47 Daß den Junghegelianern der historische Zusammenhang zwischen den nachreformatori-

schen Religionskriegen und den Anfängen der Parteibildung in England durchaus ver-traut ist, zeigt Rutenbergs Artikel über »Radikalismus« im Rotteck-Welckerschen Staats-lexikon.

48 K. Rosenkranz, Rezension: G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Reli-gion, in: JWK 1833, Sp. 568.

49 M. Weber (1964) S. 318, auch S. 179.50 A. Ruge, Rezension: D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, in: HJ 1840 Sp. 1000

und 1001.51 W. Hieronymi, Die Hegelianer als Lichtfreunde, 1847, S. 12 und S. 33, Bayrhoffer zit.

Ebd.32 (I. H. Fichte), Die philosophische Literatur der Gegenwart. 5. Artikel, in: ZPsT 9 (1842)

H. 1, S. 137.53 C. Ascheri (1969) S. 77 f., auch S. 102. - Wie sich Feuerbach in der gnostischen Tradi-

tion verortet, zeigt sein Verweis auf den spanischen GnostikerPriscillianin der Auseinan-dersetzung mit Leo (LFW, Bd. 2, S. 270 f.). Auf dem >Leipziger Konzil<, das Marx undEngels entwerfen, muß sich Feuerbach »wegen einer schweren Anklage des Gnostizis-mus« verantworten. (MEW, Bd. 3, S. 79)

54 LFW Bd. 3 , S . 118, 119 und 121. - Beispiele für diese Hervorkehrung al tchr is t l icherPrinzipien finden sich bei Feuerbach zuhauf. Von christlichen Mineralogen fordert er :»Wie würdig e ines chr is t l ichen Minera logen , nur in der Anschauung der Ste ine deshimmlischen Jerusalems oder des Tempels Salomonis zu leben! - In der Tat, warum sollteder christliche Mineralog, wenn auch nicht alle Steine unserer lieben Erde in der Bibelenthalten sind, sich nicht demütig auf die Steine beschränken, welche in der Bibel enthal-ten sind, aber dadurch allein schon einen unendlichen Wert in den Augen des christlichenMineralogen haben?« (LFW, Bd. 2, S. 280 f.)

55 LFW Bd. 2, S. 266 und 267. - H. Blumenberg (1974) faßt Ambivalenzen, wie die hierbehandelten, als rhetorischen Stilwillen auf, der ganz in den Bereich ästhetischer Selbstar-tikulation des neuzeitlichen Bewußtseins falle. (S. 199 ff.) Den Streit, ob es sich um echteGläubigkeit oder um ein ästhetisches Spiel handelt, kann der Soziologe ein Stück weiterhellen, wenn er die Selbstdefinitionsanstrengungen einer interagierenden Gruppe inden Blick nimmt.

36 E. Bauer, Der Streit der Kritik, 1843, S. 63.57 LFW Bd. 2, S. 317.58 B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit gegenüber dem

modernen Pietismus, in: An 1843 Bd. 2, S. 114.59 A. Ruge, Das Selbstbewußtsein des Glaubens oder die Offenbarung unserer Zeit, in:

DJ 1842, S. 580.60 Auf das gravierende Forschungsdefizit im Bereich der Fragen des Verhältnisses von Kir-

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ehe, Gemeinde und Gesellschaft im Vormärz hat R. v. Thadden (1983) aufmerksamgemacht. So habe sich z. B. die Erforschung des Liberalismus überwiegend auf dessenverfassungs- und gesellschaftspolitische Vorstellungen konzentriert und kirchenpoliti-sche Fragen kaum berücksichtigt (S. 95). Wichtige Anregungen für meine Problemstel-lung verdanke ich R. v. Thadden (1980).

61 J. Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur, 1855, Bd. 3, S. 383.62 Th. Mundt, Görres und die katholische Weltanschauung, in : Der Freihafen 1 (1838)

H. 2, S. 193.63 H. Merz, Philosophie, Christentum und Kirche, in: Der Freihafen 4 (1841) H. 4, S. 18.

Merz sympathisierte zunächst mit junghegelianischen Ideen und konvertierte dann zumNeupietismus. Zwischen ihm und den Tübinger Junghegelianern kam es zu einer öffent-lichen Fehde. Vgl. E. Zeller, Zur Charakteristik der modernen Bekehrungen, in: JG 3(1845), S. 14-32. Weitere Beiträge zu dieser Affäre, die typisch für die Konversionspro-blematik und ihre Bewältigung in Intellektuellengruppen ist, finden sich im gleichenJahrgang der JG.

64 P. F. Anderson, Die neuesten anabaptistischen Bewegungen in Dänemark, 1845. ZitateS. 139 und 140. Die »neue Ära« des Dombaus zu Köln beschäftigt die Gemüter . Nichtnur der preußische König sagt se ine Unterstützung zu, auch die RhZ beschäftigt sichintensiv mit dem Dombau, der zu den differentesten Deutungen Anlaß gibt: »Da will dereine den Dom zum Tempel der Vernunft e ingeweiht wissen; e in anderer , nachdem erkurz zuvor auf die Franzosen weidlich losgeschimpft, stiehlt ihnen ihre Pantheonsideeund läßt sodann die 58 freitragenden Pfeiler im Innern des Domes, eben so viel großenGeis te rn , a ls ihm z . B . s ind Reuchl in , boehme, Noval is , Spee , Franz von S ick ingenu. dgl. m. dedizieren, während ein dritter, der sich schon mehr zu mäßigen weiß, ihn bloßfür die demnächst zu gründende deutsche Nationalkirche als Kathedrale in Vorschlagbringt, wo denn natürlich, im Geiste einer aufgeklärten Toleranz, neben Winfried auchHermann der Cherusker und seine Thusnelda ihre Altäre bekommen würden, und immerso weiter .« (anonym, der Dom zu Köln, in : RhZ 9 v . 9 . 1 . 1842 (Beiblat t) ; vgl . auchTh. Nipperdey (1979) sowie weiterführend H. C. Seeba (1983).

63 F. Saß, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung. S. 178.66 R. Prutz, Theologie oder Politik?, S. 14 f. und 19.67 J. Jacoby an L. Walesrode, Brief v. 26. 3. 1846, in: Jacoby BW 1816-1849, S. 334.68 Zu R eforma t ionsverg l e iche n und der Ge sc h i ch t e de r The se von der >unvol le nde t en

Reformation< vgl. H. H. Brandhorst (1981) S. 28 ff.; siehe auch Hegels Identifizierungvon Reformation und bürgerl icher Revolution S. 146 Anm. 76 dieser Arbeit . Eine Paral-lelisierung von B. Bauer und Thomas Münzer findet sich bei Th. Mundt, Über die Ver-gleichung unserer Zeit mit der Zeit der Reformation, in: Der Freihafen 7 (1844), H. 1,S. 5.

69 P. F. Anderson, Die neuesten anabaptistischen Bewegungen, 1845, S. 141 und 142.70 W. Nigg(1937)S. 93. Hingewiesen sei auf das Urteil Adornos (1955), »daß der Pietismus

selber, wie alle Gestalten von Restauration, die Kräfte derselben Aufklärung in sich ent-hielt, der er sich entgegensetzte«. (S. 134)

71 F.Fischer (1951) S. 473. Vgl. auch G. Oestreich (1981) S. 1270; H. Plessner (1982)S. 50 ff. und 73 ff.

72 Das grundlegende Werk über den Pietismus stammt von einem Mitglied der TübingerSchule: A. Ritschi (1880-1886). Eine »Krisenreligion« nennt M. Scharfe (1980) den Pie-tismus in seiner auf viele offene Probleme hinweisenden Arbeit. (S. 134) Von einem wei-ten Mantel< des Pietismus muß gesprochen werden, weil es sich um eine aus vielen ver-schiedenen Richtungen, sowohl >schwärmerischer< als auch >realistischer< Haltungen,zusammengesetzte Erscheinung handelt, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner zubringen ist.

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73 Als informative und materialreiche Arbeit ist mir hilfreich gewesen: W. Lütgert (1923-1930), zum folgenden vgl. bes. Bd. 1, S. 221 f.

74 H. Steffens und F. D. E. Schleiermacher, zit. nach: W. Lütgert (1923) Bd. 1, S. 227 undS. 235.

73 Zu dieser Debatte um W. Lütgert und andere vgl. W. Nigg (1937) S. 116 f.76 J. W. v.. Goethe, Dichtung und Wahrheit, in: Goethes Werke, Bd. 10, 51964, S. 42. -

Was hindert Goethe, Herrenhuter zu werden? Goethe spürt, daß die Brüder ihn nicht alsChristen gelten lassen wollen. »Was mich nämlich von der Brüdergemeine, so wie vonandern werten Christenseelen absonderte, war dasselbige, worüber die Kirche schonmehr als einmal in Spaltung geraten war. Ein Teil behauptete, daß die menschliche Naturnur durch den Sündenfall dergestalt gestorben sei, daß auch bis in ihren innersten Kernnicht das mindeste Gute an ihr zu finden, deshalb der Mensch auf seine eigenen Kräftedurchaus Verzicht zu tun, und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwartenhabe. Der andere Teil gab zwar die erheblichen Mängel der Menschen gern zu, wollteaber der Natur inwendig noch einen gewissen Keim zugestehen, welcher, durch göttlicheGnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne.«(Ebd. S. 43 f.)Letzeres war Goethes Überzeugung, die er als »Christentum zu meinem Privatgebrauch«(Ebd. S. 45) ausbildete; Privatgebrauch, weil innerhalb der kirchlichen Orthodoxie dieseÜberzeugung keinen Raum fand. Mußte es Goethe doch erleben, daß er in einem geistli-chen Gespräch »eine große Strafpredigt erdulden mußte. Dies sei eben, behauptete manmir entgegen, der wahre Pelagianismus, und gerade zum Unglück der neueren Zeit wollediese verderbliche Lehre wieder um sich greifen. Ich war hierüber erstaunt, ja erschrok-ken. Ich ging in die Kirchengeschichte zurück, betrachtete die Lehre und die Schicksaledes Pelagius näher und sah nun deutlich, wie diese beiden unvereinbaren Meinungendurch Jahrhunderte hin und her gewogt, und von den Menschen, je nachdem sie mehrtätiger oder leidender Natur gewesen, aufgenommen und bekannt wurden.« (Ebd. S. 44)»Allerdings könnten jetzt die bekehrten Wilden uns selber wieder Heidenbekehrerzuschicken« schreibt Jean Paul 1809, und er weist auf die kleinen Quäkergemeinden hin,in denen sich die Religiosität konzentriere. Besorgten Lesern hält er entgegen: »Übrigenswird man doch nicht in Zeiten religiöse Rasereien fürchten, wo es nur noch irreligiösegibt.« (J. Paul, Über die jetzige Sonnenwende der Religion (1809), in: Jean Paul Werke,Bd. 10,1975, S. 1025 und 1031)

77 Zu diesem Komplex vgl. H. Hermelink (1951); Bd. 1; W. O. Shanahan (1954).78 F. Fischer (1951) S. 474. Vgl. auch G. Kaiser (1961).79 Daß auch die Rezeption der Hegelschen Philosophie mit erweckungsähnlichen Konver-

sionserlebnissen verbunden gewesen ist, stellt J. Gebhardt (1963) S. 49 ff. heraus. Geb-hardts Intention, hier speziell den Hegelianismus disqualifizieren zu wollen, trifft kaum:Konversionen und Bekehrungserlebnisse sind in dieser Zeit kein spezielles nur die Hegel-schule umfassendes religiöses Erfahrungsmuster.

80 Zum Neupietismus vgl. K. Barth (1947) S. 462 ff. ; R. M. Bigler (1972) S. 47 ff. , 128 ff .u. a. Zitat; W. Nigg (1937) S. 144.

81 H. E. Frhr. v. Kottwitz, zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 124.82 F. Fischer, Der deutsche Protestantismus . . . S. 478.83 H. Steffens, zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 133.84 zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 133.85 Zu Hengstenberg vgl. R. M. Bigler (1972) S. 88 ff. In der EKZ wird der alte Pietismus kri-

tisiert als »die abstrakt praktische, vom Kirchentum abgewendete Richtung des Pietis-mus«, die »zur Gleichgültigkeit gegen die Bestimmtheit und gegen die Tiefen der christli-chen Glaubenslehren verleitet und dem Rationalismus den Weg gebahnt« habe. Dagegenversteht sich die EKZ als »die Partei des Fortschritts, des Fortschritts nämlich vom Pietis-

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mus zum evangelischen Kirchentume.« (anonym, Die Partei der Evangelischen Kirchen-Zeitung, in: EKZ 1846 Sp. 167)

86 R. Wittram (1949) S. 49.87 H. Leo, Die Hegelingen, S. 25. Wilhelmine Canz hat >Eritis sicut deus< zum Titel ihres

im Kapitel III, S. 296 dieser Arbeit aufgeführten Romans gemacht.Das Problem ist auch in unserer Zeit nicht verschwunden. F. W. Grafs 1982 erschieneneumfangreiche Arbeit über D. F. Strauß mündet in eine Straußkritik, die im Vorwurf derSelbstvergottung gipfelt. An Strauß exemplifiziert Graf: »Der christologische Subjekten-tausch stellt somit ein Paradigma von Emanzipation überhaupt dar« (Ebd. S. 601). Aberin dieser durch den chris tologischen Subjektentausch eröffneten Emanzipation werde»das Freiheitsbewußtsein notwendig unterbestimmt. Denn für die Realisierung von Frei-heit durch Emanzipation muß das Vermögen zur Freiheit als gegeben (!) in Anspruchgenommen werden.« (Ebd. S. 604) Wo Freiheit nicht als »gegeben« anerkannt werde,komme es zu einer fragwürdigen »Erschleichung von Autonomie« (Ebd. S. 605). DieAbkehr von dieser Selbstvergottung ist Graf zufolge nur durch einen Rücktausch mög-lich: »Das Interesse der Freiheit aller gebietet es, das neue christologische Subjekt gegendas >alte< rückzutauschen.« (Ebd. S. 606) Grafs Arbeit schließt mit einer nachgerade klas-sischen Bekenntnisformel ab, die mich dazu verleitet, an eine Auferstehung neupietisti-scher Orthodoxie zu glauben.Hinweise dazu, daß es sich bei dem »Eritis sicut deus« um eine Bibelstelle handelt, diegerade auch von Gnostikern immer wieder ausgelegt wurde, f inden sich bei E. Benz(1961) S. 49.

88 B. Bauer, >Landeskirche<, S. 47 und 68.89 Ebd. S. 79.90 Ebd. S. 91 und 84. - Daß B. Bauer nicht nur mit der calvinistisch-synodalen Tradition

>abrechnen< will , sondern zugleich auch mit zentralen Gruppentraditionen der Intelli-genz bricht, zeigt sein Vergleich: »Da der wesentliche Gehalt des kirchlichen Lebensunbekannt bleibt, kommt diese ganze >psychologisch-moralische Einwirkung< auf jeneIdee der Aufklärung hinaus, welche Verbindungen stiftete, den Mitgliedern die Einbil-dung gab, sie wirkten für große Zwecke mit, — aber eben dieser Zweck war unbekannt,war ein Geheimnis, natürlich, weil er selbst Nichts war, Nichts sein konnte, da alle ver-nünftigen Interessen draußen in der Wissenschaft lagen und hier öffentlich genug ver-handelt wurden.« (Ebd. S. 83)

91 A. Ruge, Rezension: Die evangelische Landeskirche, in: HJ 1840 Sp. 1829 und 1827.92 E. Dronke, Berlin, 1846, Bd. 2, S. 131 f. und 133.93 E. Zeller, Rezension: Chr. Märklin, Darstellung und Kritik des modernen Pietismus, in:

HJ 1839 Sp. 1878 f.94 Zu den junghegelianischen Pietismusinterpretationen vgl.: J. A. Massey (1978).95 Vgl. die Darstellung bei O. Hintze (1906) S. 108 ff.96 Zur »Sonntagsfeier« vgl. die Darstellung bei G. Mayer (1913) S. 52 f. Die prominenteste

junghegelianische Schrift zu dieser Frage stammt von Stirner: Gegenwort eines Mitglie-des der Berliner Gemeinde wider die Schrift der siebenundfünfzig Berliner Geistlichen:Die christliche Sonntagsfeier. Ein Wort der Liebe an unsere Gemeinden, in: ders.,KISchr, S. 26—47; siehe auch die kommentierte Edition des »Gegenwort« von B. Käst(1977). Anonym erschien (L. Buhl), Die Not der Kirche und die christliche Sonntags-feier. Ein Wort des Ernstes an die Frivolität der Zeit, 1842. Aus Königsberg meldete sichJachmann zu Wort: Sabbath und Sonntag oder die christliche Sonntagsfeier, 1842. Einebisher unbekannte Rezension dieser Schrift von Stirner hat B. Käst gefunden (M. Stirner,Gegenwort, 1977, S. 43-44). R. Prutz dichtete in der RhZ 17 v. 17. 1. 1842 über die>Sonntagsfeier<. Vgl. darüber hinaus: (W. Bötticher), Worte eines Laien über die christli-che Sonntagsfeier an ihre Gegner und Verächter, 1842; anonym, Ein Wort gegen Wort

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und Gegenwort in der Berliner Sonntagsfeier-Angelegenheit. Von einem prakt. Geistli-chen, 1842.

97 So z. B. (L. Buhl), Die Not der Kirche, 1842, S. 20. - Exemplarisch ist auch die Affaireum den neupietistischen »Bund für den historischen Christus« in Berlin, weil dieser Ver-ein in engem Zusammenhang mit der Nachricht über den »Verein der Freien« steht. (Vgl.RhZ 227 v. 15. & 1842; E. Dronke, Berlin, Bd. 1, S. 217)Aufgeschreckt durch die Ankündigung eines »Vereins der Freien« im Sommer 1842ersuchten Berliner Theologie-Studenten den akademischen Senat, einen »theologisch-wissenschaftlichen Verein« zuzulassen, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den »Glauben anden geschichtlichen Erlöser« zu festigen. Es handelte sich bei dieser Initiative um eineneupietistische Reaktion auf die junghegelianische Evangelienkritik. Der akademischeSenat der Berliner Universität anerkannte wohl die »Löblichkeit des Zweckes«, verwei-gerte aber die Zulassung des Vereins, »weil bei dem Zwiespalt, der gegenwärtig in Hin-sicht theologischer Ansichten stattfinde, ein solcher Verein unter anders denkenden Stu-dierenden voraussichtlich die Bildung eines Vereins mit entgegengesetzter Tendenz her-vorrufen möchte, dem alsdann die Erlaubnis des Bestehens ebenfalls nicht füglich werdeversagt werden können.«Eichhorn jedoch mißbilligte die Haltung des Senats und drängte die Universitätsverwal-tung, den »Bund für den historischen Christus« zuzulassen. Der Glaube an den histori-schen Christus sei wesentlicher Lehrstoff der evangelisch-theologischen Fakultäten,daher könne man einen formlosen wissenschaftlichen Verein, der nichts anderes sich zumZiel gesetzt habe, nicht verbieten. Dagegen könne ein Verein mit entgegengesetzter Ten-denz nicht geduldet werden, (anonym, Der Minister Eichhorn, in: EB 1843, S. 200)Charakteristisch ist die Reaktion der Junghegelianer in der RhZ 232 v. 20. 8. 1842. Senatund Ministerium werden sorgsam abgestuft kritisiert: »Der Senat handelte wie ein Vater,welcher dem Sohne etwas abschlägt, damit er es dem Stiefsohne nicht auch gewährenmüsse.« Obwohl es sich um eine Angelegenheit der theologischen Fakultät handele, habeder gesamte Senat »auf theologischem Sessel« gesessen, als er sich von der Furcht voreiner Gegengründung habe bestimmen lassen. »Haben wir in Berlin eine oder vier theo-logische Fakultäten?« fragt der Korrespondent. Die Haltung Eichhorns, die partielleFreigabe religiöser Vereinsaktivitäten, wird als unzulässige Parteinahme gewertet. »Inder Antwort des Ministeriums ist aber geradeheraus gesagt, in welches Verhältnis sich dasMinisterium der geistlichen etc. etc. Angelegenheiten zur Kirche, zur Theologie und zurWissenschaft überhaupt stelle. Es nimmt Partei, und wendet seine Amtsgewalt gegen eineandere Partei an. Die Staatsregierung ist aber verpflichtet, alle Parteien in ihren Rechtenzu schützen.« (Ebd.)

98 Vgl. in diesem Zusammenhang: W. Jaeschke (1979) S. 368 ff. und 373 f.99 Heß zufolge soll die RhZ Philosophie und Religion, Staat und Kirche entschieden ausein-

anderhalten. »Die »Rheinische Zeitung< ist ein politisches Journal und jede religiöse undtheologische Frage liegt als solche gewiß außerhalb ihres Bereiches.« (RhZ 196v. 15. 7. 1842) Diese Trennung sei zuerst von den Gegnern der Zeitung aufgegeben, und»die Polemik, die hierdurch zwischen diesen und uns entstanden ist, hat unsererseitskeine andere Bedeutung, als eine unselige Vermengung der Begriffe abzuwehren«. Eswaren die Gegner, die »den Staat mit der Religion identifizieren« wollten.»Je mehr diese Theorie vom >christlichen< Staate gegenwärtig en vogue ist, desto mehr istes Beruf der Presse, derselben jene der Vernunft entgegenzustellen. Das haben wir getan.Wir haben gezeigt, daß der Staat so wenig als die Weltweisheit mit der Religion, die nichtvon >dieser Welt< ist, etwas zu schaffen habe. Und wer wollte uns deshalb tadeln? (.. .)Die >christlichen< Staatsphilosophen berufen sich auf die allgemeine Religion. Hat es aberbis jetzt eine allgemeine Religion außer der Philosophie (!) gegeben? Gibt es überhaupt,außer dem Vernünftigen und Reinmenschlichen etwas Allgemeines? Entkleidet die Reli-

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gion ihrer Mysterien, so bleibt eben nichts übrig, als das allgemein Erkannte und Aner-kannte. Ihr habt also zu wählen, ob ihr den Staat auf Mysterien oder auf Öffentlichkeitgründen wollt. Wollt ihr das Erstere, so gründet ihn auf Religion; wollt ihr aber das Letz-tere, so müßt ihr ihn auf Vernunft gründen.« (Ebd.)Aber diese »Vernunft« ist von anderer Art, als die Verwaltungsrationalität eines Polizei-staates, es handelt sich um eine »Vernunft«, die dem Staat einen religiös-sittlichen Wertverleiht. So heißt es bei Jachmann: »Die Ansicht, die den Staat für nichts anderes als eineArt polizeiliche Anstalt hält, und, seine sittliche Grundlage verkennend, seine durchausideelle, alles umfassende Bestimmung leugnet, wird in jeder Zeit in die schlimmsten Ver-wicklungen mit den verschiedenartigsten geistigen Erscheinungen führen, die sich not-wendigerweise geltend machen müssen.« (K. R. Jachmann, Preußen seit der Einsetzung,in: EB 1843, S. 21) Zu den Aufgaben des Staates, gehört in dieser Argumentation eindirektiver Einfluß auf die Gesinnungen, nämlich die Aufgabe, »alles was die Interessendes Geistes nach den verschiedensten Richtungen hin berührt, zu ordnen, zu leiten undzum Zweck einer höheren sittlichen Entwicklung des Menschengeschlechts zu durch-dringen.« (Ebd.)Das »große Rätsel« der Staatsphilosophie ist für Jachmann gelöst, wenn es gelänge, zweiExtreme zu vermeiden. »Zwischen zwei Extremen, von denen das eine die Religion ganzund gar in den Staat und zu dessen Zwecke aufgehen läßt, wie das in dem alten Rom derFall war, das andere umgekehrt, wie in der jüdischen Theokratie, den Staat in eine reli-giöse Anstalt verwandelt, muß er (der Staatsphilosoph, d. V.) sein Staatsgebäude auffüh-ren, in welchem unbeschadet der religiösen Überzeugung jedes einzelnen die Religiondem sittlichen Staatszwecke folgt. Daher gelte der Grundsatz der größten Freiheit aufdem religiösen Gebiet im Glauben und im Worte, der unbeschränktesten Mannigfaltig-keit des religiösen Vereinslebens, aber des unbedingtesten Gehorsams gegen das Gesetzdes Staates.« (Ebd.) Ähnliche Auffassungen vertritt auch K. Nauwerck in: Vorlesungenüber Geschichte der philosophischen Staatslehre, in: WVjs 1845, Bd. 1, S. 67 ff.

100 MEW Bd. 1, S. 348. - B. Bauer, Der chrisdiche Staat und unsere Zeit, in: HJ 1841,S. 537-558. Hier zit. nach B. Bauer, >Feldzüge<, S. 7^3.

101 B. Bauer, Der christliche Staat, S. 7 und 13.102 Ebd. S. 14 und 17.103 MEWBd. 1,S. 12.104 MEWBd. 1,S. 102und 101.105 B. Bauer, Der christliche Staat, S. 23 und 27.106 Ebd. S. 32,33,34 und 35.107 Zur >Judenfrage< bei den Junghegelianern vgl. vor allem H. Hirsch (1980) und Sh. Na'a-

man (1982). Zur Kontroverse zwischen B.Bauer und Marx siehe Z.Rosen (1977)S. 229 ff. Darüber hinaus seien genannt: R. Rürup (1975); S. S. Prawer (1983) bes.S. 47 ff.; W. Grab, J. H. Schoeps (1983); hervorzuheben in diesem Band ist der Beitragvon H. Hirsch, Karl Marx zur >Judenfrage< und zu Juden - Eine weiterführende Meta-kritik, S. 199-213.

108 B. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden, in: EB 1843,S. 56-71. Hier zit. nach B. Bauer >Feldzüge< S. 175 und S. 195.

109 Sh. Na'aman(1982)S.93.110 H. Hirsch (1983) S. 200 ff. Für andere Radikale wiej. Waldeck istB. Bauers Schrift »für

jeden, der sie versteht, von entschiedenem Werte«, jedenfalls der Kritik G. Riessenersüberlegen, der primär für bürgerliche Gleichstellung der Juden eintritt. (JacobyBW 1816-1849, S. 211)

111 B. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden, S. 178.112 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 238.113 G. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden, S. 179. - G. Steiner (1972) hat die These

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aufgestellt, daß die jüdische Religion einer radikalen Transzendenz Gottes für die euro-päische Kultur eine permanente Überforderung gewesen sei. »Die an den Geist gestell-ten Anforderungen sind, ebenso wie der Name Gottes, unaussprechlich« (S. 45). DieForderungen des Monotheismus hätten sich historisch als nahezu untragbar erwiesen.Wo nicht, wie bei Nietzsche, der Gottesmord individuell durchgestanden sei, habe es»eine leichter vollziehbare Rache« gegeben, nämlich: »durch Tötung der Juden würdedie westliche Kultur diejenigen austilgen, die da Gott >erfunden< hatten und, bei allerUnvollkommenheit und Auflehnung gegen Sein Gebot, doch die Verkünder Seinerunerträglichen Absenz gewesen waren.« (Ebd. S. 48 f.) MEWBd. 1.S.350. Ebd.Ebd. S. 351.Ebd. S. 352.Ebd. S. 350.Ebd. S. 352.Ebd. S. 352.H. Hirsch (1983) S. 202.Zur Quidproquo-Technik vgl. MEW Bd. 23, S. 86.Ich stütze mich bei der Darstellung dieser Bewegungen auf: J. Brederlow (1976);F. W. Graf (1978 b). Die Arbeit von Graf enthält ausgewählte Dokumente und eineumfangreiche Bibliographie. Siehe auch: W. Nigg (1937) S. 176-202; J. Gebhardt(1964); G. Kolbe (1972); R. M. Bigler (1972) S. 187 ff. u. a. Als klassische Darstellungist immer noch unverzichtbar F. Kampe, (1852-1860).Zum theologischen Rationalismus vgl. H. Rosenberg (1972) S. 18—50, sowie die Ausfüh-rungen von Graf (1978 b) S. 69 ff.Vgl. F. Kampe (1852) Bd. 1, S. 46 ff.; W. Schieder (1974); R. Lill (1978). Die>VossischeZeitung< zit. nach: B. Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland, 1849, S. 2.K. Th. Bayrhoffer, Über den Deutsch-Katholizismus, 21845, S. 7.Mannheimer Abend-Zeitung v. 12. 9. 1844, zit. nach: F. Kampe (1852) Bd. 1, S. 52.Eduin Bauer, Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kir-che, 1845, S. 12.J. Ronge, Rede, gehalten den 23. 9. 1845, in der Münsterkirche zu Ulm, 1845, S. 9.K. F. Theodul, Die christlich-apostolisch-katholische Gemeinde Schneidemühl, 1845,S.5.R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung der deutsch-katho-lischen Kirche 1845, S. 200 f.Vgl. K. Algermissen (1959) S. 182-221; Zur weiteren Entwicklung vgl. H. Wunderer(1980).anonym, Lebensbeschreibung freisinniger Männer. Julius Rupp, in: Vorwärts!, 1847,S. 198.F. W. Graf (1978 b) S. 44.Vgl. G. A. Wislicenus, Ob Schrift? Ob Geist?, 21843. Zur Wislicenus-Debatte vgl.R. M. Bigler (1972) S. 202 ff, 233 ff., 256 ff. u. a.F. Kampe (1856) Bd. 3, S. 204.(R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, 1851, S. 339.R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung, 1845 S. 121 ff.Zu Nauwercks Engagement vgl. B. Bauer, Die bürgerliche Revolution, S. 48 und 60. ZuHinrichs vgl. R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung,S. 201 u. a.; siehe auch die Schriften: H. F. W. Hinrichs, Trier-Ronge-Schneidemühl,1845; ders., Trutz-Rom-und-Jesuiten, 1845.

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A. Rüge, Drei Briefe über die deutsche religiös-politische Bewegung von 1845, in: ders.,SW Bd. 9, S. 337.Vgl. die Gliederung des 1. Bd. von F. Kampe (1852 ff.) sowie Bd. 2, S. 209 ff.Ebd. Bd. 2, S. 209 ff.K. Th. Bayrhoffer, Das wahre Wesen der gegenwärtigen religiösen Reformation inDeutschland, 1846, S. 12.W. Hiernoymi, Die Hegelianer als Lichtfreunde, 1846, S. 6 f., 17, 33 f. und 35 f. - DieAntwort ließ nicht lange auf sich warten: K. Th. Bayrhoffer, Der praktische Verstandund die marburger Lichtfreunde, 1846.Vgl. die Darstellung bei J. Schmidt, 1855, Bd. 3, S. 410 ff.Zu G. D. Nees von Esenbeck vgl. F. W. Graf (1978 b) S. 79 ff. u. a. Nees von Esenbeckist auch in den EB mit einem Beitrag vertreten. Zu J. Rupp vgl. R. M. Bigler (1972) S. 233 ff.; C. Schieler (1903). (R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, 1851, S. 337. - Diese Ein-schätzung verwundert heute. Aber der auch aus der junghegelianischen Religionskritikhervorgegangene Sozialismus war für die Zeitgenossen in erster Linie ein religiöses Phä-nomen. Der Humanismus, den die freie religiöse Bewegung predigte, wurde als innersterKern der christlichen Religion verstanden, der dann hervortreten könne, wenn die>Äußerlichkeit< der alten hierarchischen Religion abgestreift werde. Auf diesen Zusammenhang zielt die >Adresse der deutschen Arbeiter in London anJohannes Ronge< (in: Rheinische Jahrbücher, Bd. 1,1845, S. 326-9). Der Deutschkatho-lik Eduin Bauer soll an Heß' >Gesellschaftsspiegel< mitarbeiten (vgl. Moses Heß BW,1959, S. 118 f.). Aus dem wahrsozialistischen WD sind in diesem Zusammenhang fol-gende anonyme Beiträge hervorzuheben: Wislicenus und seine Gegner, in: WD 1845,S. 321-326; Die freie Gemeinde in Halle, in: WD 1846, S. 502-506; Die freie Gemeindezu Marburg, in: WD 1847, S. 196-200.Es kommt aber auch zu Auseinandersetzungen zwischen Wahrsozialisten und Freireli-giösen. Vgl. (anonym), Die religiöse Bewegung und der Sozialismus, in: Triersche Zei-tung 21. 5. 1847, S. 2; R. M. Bigler (1972) S. 257 ff. Ähnliche Kontroversen finden im>Bund der Gerechtem statt. Vgl. J. Grandjonc (1975) S. 90 ff.Als Beispiel für die sozialistische Programmatik der >Immanenten< könnenBayrhoffersAusführungen gelten. Er schreibt: »Die hauptsächliche Beziehung aber ist die des Men-schen zu den Menseben, die Sozialität und Assoziation der einzelnen.« Sie herzustellen,ist das Ziel. »An dieser Aufgabe arbeitet jetzt die Menschheit: Alle politischen, sozialisti-schen, kommunistischen, religiösen Erscheinungen haben dieses Ziel. Die wesentlichenbesonderen Aufgaben, welche ihre Lösung verlangen, sind folgende:1) die materielle Zerrissenheit, den Gegensatz des Reichtums und der Armut der einzel-

nen, des Kapitals und der Arbeit auszugleichen, das kommunistische Problem, wel-ches jedenfalls eine Gesamtgarantie des freudigen und materiellen Daseins aller einzel-nen fordert;

2) die Entgegensetzung in Wissende und Unwissende durch Gesamt-Intelligenz, nament-lich durch Hervorbringung der einheitlichen Weltanschauung, in allen einzelnen zuvernichten, das Problem der allgemeinen Schule und Bildung, welches mit dem erste-ren durchaus ineinandergreift, in dem keins ohne das andere realisiert werden kann.Denn nur der materiell sicher gestellte Mensch kann zu gründlicher Bildung, nur dergebildete Mensch zu wahrer Gesamtgarantie gelangen.Der so materiell und geistig befreite Mensch wird dann aus sich selbst einen wahren,schönen Organismus menschlichen Gemeinlebens entfalten, und dadurch jenen bei-den Momenten Sicherheit und Dauer verschaffen. Er wird

3) die Familie in schöner Menschlichkeit verwirklichen, sie wird sich nur durch ihreeigene Harmonie erhalten, er wird

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4)ein freies sich selbstbestimmendes Gemeindeleben, und5)einen freien, sich selbstbestimmenden Staat, wie6)einen wahren wahrhaften Völker- und Staatenbund gründen, welcher immer mehr eine

freie Gesamt-Menschheit darstellen wird.Diese Tendenz der gegenwärtigen Menschheit ist nun zwar überall in den gebildetenVölkern wirksam; doch nimmt sie in verschiedenen Völkern und Individuen verschie-dene Ausgangspunkte. In Deutschland ist ihr originaler Ausgangspunkt die religiöseBewegung. Von dieser geistigen Tiefe der Weltanschauung aus beginnt hier eine Umwäl-zung der bisherigen beschränkten Ideen und Formen. Wir sehen in diesen Tagen dieBil-dung freier Gemeinden; wir sehen, daß dieselben in friedlicher, intelligenter Weise dasfreie Menschentum erstreben und beginnen.« (Bayrhoffer, Wesen, Geschichte und Kri-tik der Religion, in: Jahrbücher f. spekulative Philosophie u. d. philosophische Bearbei-tung der empirischen Wissenschaften, hg. v. L .Noack 2(1847), S. 1133 und 1335 f.)Bei Bayrhoffer sind noch freie Gemeinden das entscheidende Organisationsprinzip dersozialistischen Bewegung. Mit der Hegemonie der politischen Form der Arbeiterpartei,die sich nach 1848 sukzessiv herausbildet, >verschwinden< religiös-kirchliche Aus-drucksformen. Daß die Ablösung des christlichen Liebeskommunismus durch einenszientifischen Sozialismus keineswegs geeignet war, Sozialformen und Verhaltensweisenzu fördern, die den Anforderungen, denen sich die deutsche Arbeiterbewegung gegen-über sah, genügten, zeigt eindringlich E. Lucas (1983) S. 71 ff.Im Übergangsfeld zwischen Freireligiösen, >immanenten< Junghegelianern und Wahrso-zialisten werden Positionen formuliert, die die Idee der »Volksreligion«, wie sie derjunge Hegel entwickelt hat, aufgreifen. J. Habermas' Projekt der »kommunikativen Ver-nunft« schließt an diese Idee an. Habermas (1985) ist zuzustimmen, daß der jungeHegel, der junge Marx und später der Heidegger von »Sein und Zeit« und J. Derrida inder Auseinandersetzung mit Husserl die mögliche Alternative, die in einer Sakralisie-rung kommunikativer Vernunft gelegen hätte, nicht aufgegriffen haben. (S. 345, sieheauch S. 35 ff., 54, 94 u. a.) Dies haben jedoch andere, wie die hier untersuchte Fraktionder >immanenten< Junghegelianer so ausgiebig getan, daß Intellektuelle, wie die im fol-genden zu behandelnden >Atheisten<, durchaus Erfahrungsgründe hatten, sich von derSakralisierung des ausgelaugten Verständigungsparadigmas abzuwenden anonym, Ronge, in: NB H. 6, S. 71 f.B. Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland, 1849, S. 9.B. Bauer, Die Lichtfreunde in Köthen, in: NB H. 5, S. 66 und 75.Vgl. S. 195 ff. dieser Arbeit.E. Sander, Die protestantischen Freunde und ihre Gegner, in: NB H. 7, S. 42 und 37.W. Jordan, Die unbewußte Heuchelei und Dr. Rupp, in: BM 1844, S. 56.anonym, Uhlich, in: NB H 9, S. 75, 80 und 74. Zur Bedeutung O'Conells vgl. E. Hobs-bawn (1962) S. 275 ff.A. Fränkel, Die religiösen Bewegungen, in: NB H. 7, S. 61 und 62. Ebd. S. 62 f. und 64. - Auf der Basis der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft ent-steht für Fränkel unausweichlich eine Art Ideologie. »Bei einer bestimmten Tätigkeit -es sei die gewöhnlichste Handarbeit - muß der Mensch auch notwendig seine produkti-ven Kräfte auf eine bestimmte Weise wirken lassen, er muß die bestimmte Sache, mit derer sich beschäftigt, eben erst machen und schaffen, muß also denken und arbeiten, wäh-rend er die allgemeinen, als fertig überkommenen Güter, die nicht erst erarbeitet, nichtproduziert und expliziert zu werden brauchen, als ein vorausgesetztes, nur in seinenunbestimmten Gefühlen hat. Gehen nun die Individuen, aus denen sich zufällig eineMasse zusammengehäuft hat, mit aller ihrer bestimmten, d. h. mit ihrer wirklichen, pro-duktiven Tätigkeit, in ihre auseinanderlaufenden, vereinzelten Interessen auf, so wirddas, was bei derselben nicht mitwirken kann und zurücktreten muß, das unproduktive

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Gefühl eben, als die Macht, die alles Unwirkliche und Unbewiesene in sich trägt, alleindasjenige sein, das, eben seiner Unbestimmtheit wegen, leicht ineinander fließen undsich als ein Gemeinsames äußern kann. So aber ist die bestimmte und wirkliche Existenzder Individuen in der Tat nur ihre vereinzelte, während ihre unbestimmte und illusori-sche Existenz eben die als Masse ist.« (Ebd. S. 66)Der Inhalt des Massenbewußtseins ist strukturell nicht greifbar. Es sind »unbestimmtePhrasen (...), in denen die Masse ihre allgemeinen Wahrheiten aufbewahrt. Sie sind dereigentliche Ausdruck, die einzig mögliche Schöpfung der Masse, ihre Lieblingskinder,an die sich jeder einzelne mit seinen unbestimmten Gefühlen hängen kann, die Worte,die ihren Inhalt nicht darzustellen, auseinanderzusetzen und bestimmt zu gestaltenhaben, deren Ton vielmehr nur gehört zu werden braucht, um überall anzuschlagen undSympathien zu erwecken. Die Masse hat über einen ganzen Schatz solcher alten undneuen Substantive und Adjektive mit allen ihren Komparativen und Superlativen zugebieten, in denen sie das ausdrückt, was sie, trotz der Vereinzelung ihrer Elemente,noch als ein Gemeinsames (? hat, d. V.), in denen sie sich also so recht als Masse fühlt.«(Ebd. S. 67 f.) Ebd. S. 70.anonym, Ein Wort über die Regierungen und die protestantischen Freunde, in:WVjs 1845, Bd. 4, S. 326.B. Bauer, >Parteikämpfe<, Bd. 2, S. 66. - In der Perspektive B. Bauers von 1847 schlie-ßen sich der Neupietismus, der Radikalismus von 1842, die freireligiöse Bewegung unddie sozialistische Bewegung zu einer amorphen Massenbewegung zusammen. Neupieti-sten und Radikale seien sich darin einig geworden, daß allein auf politisch-staatlicherEbene die Probleme nicht zu lösen seien.Der »Kirchlich-Gesinnte ( . . . ) flüchtete sich in den Schoß der Mutter, die für die Lei-denden immer das Wort des Trostes bereit hat. Die Bewegungsmänner, die den Staat zureinzigen Gemütsangelegenheit machen wollten, erweiterten ihn zu einer Art Gottesreich,berechtigten also auch den Gläubigen, um so mehr auf das geschichtliche Reich Gotteszu vertrauen.« (B. Bauer, >Parteikämpfe<, Bd. 2, S. 27) In der freireligiösen Bewegungfeierte »das religiöse Gefühl ( . . . ) seine Auferstehung in einem Schamanentum, welchessich durch das einförmige Aussprechen der Phrase betäubte, in einem ewigen Lebehochauf >Geisteslicht und Geistesfreiheit, auf Recht und Wahrheit, auf alle Helden des Gei-stes und der Kraft<« (Ebd. S. 39 f.).Der Übergang der Radikalen zum Sozialismus passe ebenfalls zur Vollendung der Reli-gion. »Die Mutlosigkeit und Schwäche kommt bei dem Anblick der Armen, die sichselbst nicht helfen können, wieder zu sich selbst. Endlich, endlich also kann der Radikale>mit dem lang verhaltenen Wünschen seines Herzens ernstmachen< — >die Armen, dieGequälten, die Zertretenen, die Arbeiter, die alles schaffen und nichts erhalten, dienichts sind und alles werden müssen< ruft er zu sich heran: >kommt zu mir, wer ihr auchseid, zeigt mir eure Wunden, ich will euch sagen, wie ihr sie heilen könnt< - den Armen,den Mut- und Hoffnungslosen bringt er sein >Evangeüum der Freiheit, welches dieeigennützige Welt verschmäht hatte: >kommt alle her, die ihr arbeitet, die ihr mähselig,beladen, arm, verachtet, verspottet und unterdrückt seid - dies Evangelium wird eurenMut von neuem stählen und eure Hoffnung frische Blüten treiben.<« (Ebd. S. 80 f.)Die religiöse Bewegung, die in vielfältigsten Formen zum Ausdruck kommt, ist keindeutsches Spezialproblem. B. Bauer stellt sie in den Zusammenhang mit religiösenBewegungen, wie sie sich parallel z. B. in Polen, Rußland, Großbritannien und Frank-reich entwickeln. (Ebd. S. 28-31) Ihm rückt 1847 das in den Blick, was nach 1848 zuneh-mend in Vergessenheit geriet, nämlich: die 30er ebenso wie die 40er Jahre des 19. Jahr-hunderts erlebten keineswegs ein kontinuierliches Abflachen religiösen Interesses, eshandelte sich nicht allein um sanfte Schritte der Säkularisierung und Dechristianisie-

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rung. Vielmehr ist diese Zeit ebenso gekennzeichnet durch Wellen von sich erneuernden>Erweckungen<, in denen sich ein stark gefühlsbetontes, individualisiertes und sektiere-risches Verhältnis zum Glauben ausspricht. Hobsbawn (1962) spricht von einem»Zusammentreffen zunehmender Säkularisierung und religiöser Gleichgültigkeit miteinem Wiedererwachen der Religiosität in ihren extremsten emotionalen Formen«.(S. 445 f.).B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit, in: An 1843,Bd. 2, S. 121 und 122.B. Bauer, Das entdeckte Christentum, 1843; Neuausgabe hg. v. E. Barnikol, 1927,S. 103.»Das Postulat der Irrationalität« bildet für G. Dux (1982) den Ausgangspunkt für seinensoziologischen Versuch, Weltbilder einsichts- und begründungsfähig zu machen und sieder heute verbreiteten »absolutistischen Begründungslosigkeit« zu entziehen. (S. 13-15)Am Schluß seiner Darstellung der Evolution der Weltbilder bricht die Frage nach demEnde der Religion oder der Möglichkeit eines letzten »Überstiegs über alles Wißbare«,der Religion genannt werden könnte, auf. (Ebd. S. 304 ff.) Im Hinblick auf seine mun-dane und >immanente< Argumentation trifft Dux die Feststellung, daß die Frage »Ist dieReligion am Ende?« »zu einem Streit um Worte zu werden« droht. (Ebd. S. 306) DasPhänomen ist nicht neu, wie die Debatte der Gruppe zeigen wird. Herausfordernd istdie Frage, warum droht gerade in diesem Punkt der >Streit um Worte< zu entbrennen?R. Prutz, Theologie oder Politik? Staat oder Kirche?, 1847, S. 21 f. 24 f. und 25.Ebd. S. 31,32 und 33.Vgl. die Bemerkungen von I. Fetscher (1980) S. 86 f.R. Prutz, Theologie oder Politik?, S. 36 f. und 37.Ebd. S. 37.Ebd. S. 37 f., 40 und50.Ebd. S. 51.W. Jordan, Die religiöse Bewegung der Gegenwart, in: WVjs 1845, Bd. 4, S. 156.Ebd. S. 161.Ebd. S. 157.Ebd. S. 159 und 160.Ebd. S. 171 und 188.B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 111.Ebd. S. 112 und 111.Vgl. die Problemstellungen bei: J. Matthes (1967); P. Berger (1973). Darüber hinaus:H. Lübbe (1965); H. Blumenberg (1974); A. Baruzzi (1978); J. Taubes (1983).z. B.T. Rendtorff(1966).z. B. T. Luckmann (1963).A.Hahn (1974). Vgl. in diesem Zusammenhang auch W. Oelmüller (1984) sowieW. Eßbach (1985 c).MEW Bd. 1, S. 378 und 379. - Sensationell für die Gruppe ist diese Forderung nichtgewesen. Monote zuvor hatte E. Bauer erklärt: »Die Kritik hat sich bis jetzt hauptsäch-lich auf dem Felde der Religion und Theologie bewegt. Sie hat mit der Hauptsache ange-fangen. Denn in der Religion ist gleichsam die Theorie der menschlichen Schwäche undAbhängigkeit enthalten.« (E. Bauer, Der Streit, S. 8 f.) Jetzt gehe es darum, »die Heilig-keit politischer Einrichtungen als nichtig« nachzuweisen. (Ebd. S. 9 f.) E. Bauer erläu-tert sein Vorgehen: »Vor allem habe ich mich bestrebt, in der Kritik der bestehendenStaatsverhältnisse genauer zu sein, weil ich überzeugt bin, daß die Kritik überhaupt sichmehr und mehr von den theologischen, den politischen und gesellschaftlichen Fragenzuwenden wird.« (Ebd. S. 12)A. Ruge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, in: An 1843 Bd. 2, S. 42, 44, 45und 46.

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M. Stirner, EE S. 50 und 38 f.anonym, Der Minister Eichhorn, in: EB 1843, S. 200 und B. Bauer, >Parteikämpfe<Bd. 2, S. 72 und 58.B. Bauer, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, in: An 1843Bd. 2, S. 155.(B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 105, 111, 106 und 115.(G. Julius), Bruno Bauer und die Entwicklung des theologischen Humanismus unsererTage, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 55 und 75.(B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, S. 139.LFWBd. 4, S. 74.(B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, S. 138 und 124.MEWBd. 3, S. 19.B. Bauer an A. Rüge, Brief v. 6. 12. 1841, in: MEGAI. Abt. Bd. 1/2, S. 263.E. Bauer, Der Streit, S. 31 f.B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 125.Vgl. MEWBd. 2, S. 222 f.K. Korsch (1966) S. 161.G. Herweghs BW mit seiner Braut, 21906, S. 34.B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin, S. 126.A. Rüge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, S. 29.L. Wittgenstein (1970) S. 17. Viel über das, was >Gewißheit< sein könnte, habe ich beiH. P. Duerr (1974) gelernt.B. Bauer, Rezension: v. Ammon, Die Geschichte des Lebens Jesu, in: An 1843, Bd. 2,S. 182 und LFW Bd. 2, S. 212.anonym, Rezension: Leben und Wirken Friedrich von Sallet's, in: ALZ H. 8, S. 27 und28.B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 89.E. Bauer, Der Streit, S. 26 f.Ebd. S. 27.B. Bauer, Rezension: D. Schulz, Das Wesen und Treiben der Berliner ev. Kirchen-Zei-tung, in: JWK 1839 Nr. 31 Sp. 247.B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin, S. 134.B. Bauer, >Landeskirche<, S. 135.(G. Julius), Bruno Bauer und die Entwicklung, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 78 und 71.Ebd. S. 56.A. Rüge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, S. 60 f.Ebd. S. 61.E. Bauer, Der Streit, S. 324.Karl Schmidt, Eine Weltanschauung, 1850, S. 198 und 199 f.(Karl Schmidt), Das Verstandestum und das Individuum, 1846, S. 60.Ebd. S. 244 f.M. Stirner, EE, S. 164.(K. Schmidt), Das Verstandestum und das Individuum, S. 307 f.(Karl Schmidt), Die neueste Gestaltung der Philosophie, in: EKZ 1846 Sp. 854-864. DieVerfasserschaft K. Schmidts kann als gesichert gelten. So schreibt Stirner in seiner Anti-kritik gegen K. Fischer: »wir hoffen, daß man so.honett sein wird, uns nicht zuzumuten,von einem Buche, wie >Verstandestum und Individuum< mehr als Eine Seite zu lesen,geschweige denn noch eine Kritik desselben anzuhören. Doch wollen wir Herrn KunoFischer zur gefälligen Kenntnisnahme mitteilen, daß der Verfasser von >Verstandestumund Individuum< eine Kritik in der evangelischen Kirchenzeitung gegen sich selbstgeschrieben. Vielleicht aber ist Kuno Fischer dieses burleske Handeln eines Mannes, der

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ä tout prix berühmt werden will, besser bekannt, als uns.« (M. Stirner, KISchr S. 415)Zur Frage der Verfasserschaft vgl. auch B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 40(Ausführungen von Barnikol) und P. Wätzel, Karl Schmidt als Theologe, S. 174 ff.Ebd. Sp. 855, 861 und 864.Vgl. K. Schmidt, Uhlich und die Kirche, 1847. Zur Konversion siehe die Ausführungender Vorrede S. III ff.

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V. Thesen zu einer Soziologievon Intellektuellengruppen

1. Nach der sozialen Lage von Intelligenz, ihrer Stellung im Schichtaufbau derGesellschaft oder der Nähe ihrer Auffassungen zu Klasseninteressen zu fragen,heißt, einen Untersuchungsrahmen abzustecken, der au fond einen soziologischenZugang zum Phänomen >Intelligenz< blockiert. Die Veränderungen in den Auffas-sungen, die Intellektuelle von den Gegenständen, mit denen sie sich befassen, odervon ihrer Stellung in der Gesellschaft haben - Veränderungen von kleinen inhaltli-chen Verlagerungen bis zu großen Konversionen - Veränderungen also, die dasbetreffen, was an intellektueller Produktion kulturell relevant ist, können erst dannins soziologische Blickfeld geraten, wenn man sich auf die Stelle konzentriert, ander geistige Arbeit und Sozialität einen untersuchungsfähigen Zusammenhang bil-den. Einer dieser untersuchungsfähigen Zusammenhänge ist die Intellektuellen-gruppe.

2. Intellektuelle, die behaupten, nur der Sache zu folgen, sind soziologisch ernst-zunehmen, weil die Sache selbst - als der untrügliche Referent der Wahrheit - einsoziales Phänomen bestimmter Art ist. Die Sache selbst, auf die sich Intellektuellebeziehen, ist keine Illusion, die durch den redundanten Topos von der Sozialver-mitteltheit von Wahrheit zu verscheuchen wäre. Nicht die >soziale Bedingtheit< derWahrheit, sondern ihre soziale Unbedingtheit, ihre im Prinzip uneinholbare sozialeEreignishaftigkeit ist zum Leitfaden der Geschichte der Wahrheit zu machen. DerAnfall wahrer, sachhaltiger Erkenntnis ist ein soziales Ereignis. Ob allein oder inder Gruppe: Intellektuelle hocken sich um die Sache herum wie um einen Gegen-stand, dessen Nichtgeheuerlichkeit zum sozialen Ereignis wird.

3. Beim Tausch von Argumenten, beim Reden und Gegenreden, in der Ausein-andersetzung, im Streit mit Worten und um Worte passiert Unvorhersehbares.Kein Satz kann so genau gesagt oder geschrieben werden, als daß nicht doch nocheine unvorhersehbare Bedeutung anfällt. Damit müssen Intellektuelle leben, unddiese Not macht sie erfinderisch. Die Umgangsweisen, die Intellektuelle ausbilden,um den unvorhersehbaren Anfall von Bedeutungen zu bewältigen, gehören zurEigenkultur der Intelligenz. Diese Eigenkultur muß zunächst in ihrer eigensinnigenRegelhaftigkeit begriffen werden und darf nicht je schon vorab gesamtgesellschaft-lich abgeleitet werden. Zur Eigenkultur der Intelligenz gehören Modi der Ermäch-tigung der Wahrheitsereignisse und der Verständigung in Interaktionen, -Ermächtigungen, die nach Maßgabe von Selbstdefinitionen der Intelligenz erfol-gen.

4. Die eigenkulturellen Umgangsweisen der Intelligenz, mit denen sie das intel-lektuelle Geschehen bewältigt, sind greifbar in den Definitionen, mit denen sieihrem Tun einen Sinn geben. Diese Gruppendefinitionen reizen den Austausch an

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und begrenzen ihn. Sie legen fest, was gesagt werden muß und was nicht gesagt wer-den darf, in welchem Sinn etwas verstanden werden soll und welche Bedeutung kei-nen Sinn gibt. Dennoch bleibt die eigenkulturelle Formbestimmung im prakti-schen Vollzug labil. Soziale Ereignisse - auch das Ereignis einer nichtgeheurenQualität der Sache, um die es geht - sind attraktiv, und Attraktivität ist nur sehrschwer in einer Gruppe zu bannen. Die Suche nach Ritzen und Spalten in denGruppendefinitionen beginnt. Vor aller >Ableitung< der Funktion der Intelligenzaus den >Interessen der Gesamtgesellschaft < ist methodisch gesehen der Zwang vonIntellektuellengruppen zu setzen, ihre Überschüsse in andere gesellschaftlicheBereiche ableiten zu müssen. Wie könnte man übersehen, daß Intelligenz sich fürandere gesellschaftliche Bereiche unentbehrlich machen will!

5. Sind Gruppendefinitionen nach innen Mittel, den Bedeutungsanfall im intel-lektuellen Arbeitsprozeß zu steuern, so falten sie nach außen vorzeigbare Symbol-welten auf, die die Ereignisqualität intellektueller Arbeit soweit vereindeutigen,daß sie einen Platz erhalten kann. Gruppendefinitionen ermöglichen die Seßhaftig-keit von Intelligenz in der Gesellschaft. Auf die vorzeigbare Symbolwelt könnensich Zumutungen, die von anderen gesellschaftlichen Gruppen ausgehen, bezie-hen. Aber zwischen den berühmten Erfordernissen der Gesellschaft und den Seß-haftigkeitsbestrebungen der Intelligenz besteht kein Zusammenhang, derirgendwo fundamental garantiert wäre. Mißverständnisse und Illusionen sind aufbeiden Seiten ebenso die Regel wie mehr oder weniger haltbare Kompromisse undNotlösungen.

6. Sowohl der Umgang mit den gesellschaftlichen Zumutungen, denen eineIntellektuellengruppe ausgesetzt ist, als auch der Umgang mit den Wahrheitsereig-nissen finden ihren Ausdruck in der Profilierung der Gruppendefinition. Grup-pendefinitionen sind umkämpfte Grenzziehungen, weil sie unter dem Doppel-aspekt von Innen und Außen sowohl der Gruppe wie auch denen angehören, dieder Gruppe etwas zumuten. Daher die wache Sorge, Gruppendefinitionen wie einGesicht zu wahren und ihnen eine wie auch immer gelagerte Evidenz zuzuschrei-ben.

7. So sehr Intellektuellengruppen bemüht sein mögen, die »Stellung der Intelli-genz in der Gesellschaft* mit dem Schleier der Selbstverständlichkeit zu umgeben,in historischen Übergangszeiten, in der Konfrontation mit neuartigen, verwirren-den Erfahrungen wird es schwer, die Symbolwelt ihrer Gruppendefinition heil zuhalten. Gelingt dies einer Gruppe nicht, laufen gar noch verschiedene Gruppen-definitionen tumultuarisch ineinander über, so stellt sich auf allen Seiten die Fragenach den Möglichkeiten der Vernunfterhaltung. Es kommt zu einer ungefiltertenKonfrontation zwischen dem intellektuellen Geschehen, den Wahrheitsereignissenin der Gruppe und ihrem Außen. Andere soziale Gruppen können nun, vermögeder eröffneten Transparenz, auch die Entbehrlichkeit dieser Intellektuellengruppeins Auge fassen, und die Intellektuellengruppe wird Vernunfterhaltung nur um denPreis des Wagnisses ihrer eigenen Nichtigkeit durchführen können. DieGeschichte der Junghegelianer ist dafür ein Beispiel.

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8. Die Geschichte der Junghegelianer ist für uns das Beispiel einer Intellektuel-lengruppe, die, an der Schwelle zu unserer modernen Gesellschaft, in wenigen Jah-ren intensiver Diskussion eine Enzyklopädie möglicher Entwürfe für die Definitionvon Intelligenz erarbeitet hat. Daher ist es kein beliebig substituierbares Beispiel.Die Frage, ob die Junghegelianer repräsentativ für andere Intellektuellengruppenstehen können, verkennt in ihrer Naivität den Sachverhalt, daß uns erreichbareTypisierungen, die als repräsentative Kandidaten in Frage kommen, allererst derFremdheit verwirrender Erfahrungen abgerungen werden müssen, bevor sie alsrepräsentative erscheinen können. Die Junghegelianer sind in diesem Sinne keinerepräsentative Intellektuellengruppe, wohl aber - und dies ist weitaus relevanter -sind die Definitionen von Intelligenz, die sie entworfen, diskutiert und praktizierthaben, als repräsentativ für die nachfolgenden Intellektuellengruppen anzuspre-chen. Die Junghegelianer haben Verallgemeinerungen produziert, von denen dieIntelligenz selbst, wie nicht zuletzt die Soziologie der Intelligenz, bis heute zehren.

9. Die junghegelianische Enzyklopädie der Intelligenz enthält nicht weniger alsdie Gestalten

- des Intellektuellen, der sich dem modernen Staat bereit hält und die Rationali-tät der Herrschaft in den verschiedenen Zweigen des Wissens befördert,

- des Intellektuellen-Politikers, der auf dem Felde parteipolitischen HandelnsVernunft ansässig macht,

- des Publizisten-Intellektuellen, der das gesellschaftliche Kommunikations-definzit abarbeitet,

- des in Massenbewegungen untertauchenden revolutionären Intellektuellen,- des einsamen Kritikers, der Gruppen schlechthin verachtet,- des schockproduzierenden Intellektuellen- des detektivisch-wachen oder blasiert-indifferent umherschweifenden Intel-

lektuellen,- des mit Sektengründung liebäugelnden Intellektuellen,- des im Wissen Erlösung suchenden Intellektuellen,- des die nachwachsenden Götter exterminierenden Intellektuellen,- des konvertierenden Intellektuellen.Die junghegelianische Enzyklopädie der Intelligenz enthält diese Definitionen

samt ihren Abschattierungen und Zwischenformen. Sie enthält zugleich die Apolo-gien und die Kritiken zu den einzelnen Konzeptualisierungen in seltener Transpa-

10. Die Junghegelianer haben für lange Zeit die Diskussion um Aufgaben undStellung der Intelligenz in der modernen Gesellschaft präfiguriert. Ob man nunnach 1848 in den unangreifbaren Stellungen des Spezialistentums seine Zufluchtsuchte oder aus der Enzyklopädie einige Artikel herausriß, um sie weiterzuschrei-ben, in der Abwehr oder Aufnahme junghegelianischer Konzepte war eine Zeitge-nossenschaft mit dieser Intellektuellengruppe gegeben, die bis weit in unser Jahr-hundert hineinreicht. - Heute sind wir dessen nicht mehr ganz sicher. Wir sindungewiß, ob wir in den tiefgreifend technisierten und ästhetisierten Lebensweltenein Verschwinden des universellen Intellektuellen zu diagnostizieren haben oder

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ob die Machtübernahme einer intellektuellen Priesterherrschart ansteht. Wir sindungewiß, ob wir die überkommenen Grenzen der wissenschaftlichen, politischen,ästhetischen und religiösen Intelligenz, die gegebenen Weisen der Vernunfterhal- tung erneuern oder dekonstruieren sollen. Das heißt, wir sind ungewiß, ob wirnoch Zeitgenossen der Junghegelianer sind. Diese Ungewißheiten sind Anlaßgenug, sich gelassen jener Transparenz zu erinnern, die nur in Übergängen undZwischenräumen sich einstellt.

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Literaturverzeichnis

Übersicht

A Primärliteratur

1 Zeitschriften und Zeitungen2 Werkausgaben, Bücher, Broschüren, Aufsatze, Artikel, Memoirenliteratur,

Textsammlungen

B Sekundärliteratur

(Die vorliegende Arbeit wurde Anfang 1984 fertiggestellt Zu einem späteren Zeit-punkt erschienene Sekundärliteratur wurde nur punktuell berücksichtigt)

A. Primärliteratur

1 Zeitschriften und ZeitungenAllgemeine Literatur Zeitung Monatsschrift Hg v Bruno Bauer, Charlottenburg, Dezem

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termeyer, Leipzig 1841-1843, Zit DJDeutsche Viertelsjahrschrift Stuttgart Tubingen 1838-1847, Zit DVjsDeutsch franzosische Jahrbucher Hg v Arnold Rüge und Karl Marx, Paris 1844Deutsches Bürgerbuch Hg v Hermann Puttmann, Bd 1 Darmstadt 1845, Bd 2 Mann-

heim 1846Die Epigonen Leipzig 1846-1848Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz Hg v Georg Herwegh Zürich und Winterthur

1843, Zit EBEvangelische Kirchen Zeitung Hg v Ernst Wilhelm Hengstenberg, Berlin 1838-1846,

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tung der gesellschaftlichen Zustande der Gegenwart Redigiert von Moses Heß, Eiberfeld 1845-1846, H 1-12

420

Grenzboten Eine deutsche Revue Redigiert von Ignaz Kuranda, Leipzig 2(1843)-6(1847)Hallische Jahrbucher für deutsche Wissenschaft und Kunst Hg v Arnold Rüge und Theo

dor Echtermeyer, Leipzig 1838-1841, Zit HJJahrbucher der Gegenwart Hg v Albert Schwegler, Stuttgart 1(1843), Tubingen 2(1844)-

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sehen Wissenschaften Hg v Ludwig Noack, Darmstadt 1(1846)—2(1847)Jahrbucher für wissenschaftliche Kritik Hg v der Societat für wiss Kritik zu Berlin, 1836—

1842, Zit JWKLeipziger Allgemeine Zeitung für Buchhandel und Bucherkunde, Leipzig 1(1838)—2(1839),

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Rheinische Jahrbucher zur gesellschaftlichen Reform Hg unter Mitwirkung Mehrerer vonHermann Puttmann, Bd 1 Darmstadt 1845, Bd 2 Belle Vue bei Constanz 1846

Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe, Köln (vom 1 Januar 1842 bis EndeMärz 1843), Zit RhZ

Theologische Jahrbucher In Verbindung mit mehreren Gelehrten Hg v Eduard Zeller,Tübingen 1(1842)-3(1844)

Vorwärts' Volkstaschenbuch Hg v Robert Blum und Friedrich Steger, Leipzig 1843—1845 Hg v Robert Blum 1846-1847

Wigands Vierteljahrsschrift, Leipzig 1844-1845, Zit WVjsZeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie Hg v Immanuel Hermann Fichte,

Bonn 1(1837)-16(1846), Zit ZPsTZeitschrift für spekulative Theologie, in Gemeinschaft mit einem Verein von Gelehrten hg

v Bruno Bauer, Berlin 1(1836)-3(1838)

2 Werkausgaben, Bucher, Broschüren, Aufsatze, Artikel, Memoiren,Textsammlungen

(Kleine Korrespondenzen, Notizen u a sowie nicht mehrfach zitierte Rezensionen sind nur in den Anmerkungen aufgeführt)

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besonderer Rucksicht auf die theologischen Vorlesungen in Halle von einem Freundeder Wahrheit und des Lichtes, Braunschweig 1828

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421

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teilt, Leipzig 1842-, Die Mythe von Hegel, in: RhZ 167 v. 16.6.1842 (B. Bauer zugeschrieben)-, Louis Philippe und die Juli-Regierung, in: RhZ 170, 172, 174 v. 19.-23.6.1842 (Beiblät-

ter)-, Johann Christian Edelmann oder Spinoza unter den Theologen, in: DJ 1842, S. 1205-

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1842 (Auszüge in: >Feldzüge<, S. 91-152)-, Rezension: D.F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwick-

lung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft, 2 Bde, 1840-41, in: DJ 1843,S. 81-95

-, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit gegenüber dem modernenPietismus, Bremen 1841, in: An 1843, Bd. 2, S. 113-134

-, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, Parchim und Ludwigs-lust 1839, in: An 1843, Bd. 2, S. 135-159

423

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(auch: >Feldzüge< S. 175-195)-, Die Judenfrage, Braunschweig 1843-, Das entdeckte Christenum. Eine Erinnerung an das 18. Jahrhundert und ein Beitrag zur

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H. 2, S. 27-33-, Geschichte der konstitutionellen und revolutionären Bewegungen im südlichen

Deutschland in den Jahren 1831-1834,3 Bde, Charlottenburg 1845-, Die Reise auf öffentliche Kosten, in: Die Epigonen, Leipzig 1848, Bd. 5, S. 9-113BAUER, EDUIN: Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen

Kirche, Meißen 1845BAUR, FERDINAND CHRISTIAN: Die christliche Gnosis oder die Geschichte der christ-

lichen Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Tübingen 1835-, Das manichäische Religionssystem nach den Quellen neu untersucht und entwickelt,

Tübingen 1831BAYRHOFFER, KARL THEODOR: Die Idee und Geschichte der Philosophie, Marburg

1838-, Über den Deutsch-Katholizismus, Marburg 21845-, Der praktische Verstand und die marburger Lichtfreunde. Eine Antwort auf die Schrift

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-, Wesen, Geschichte und Kritik der Religion, in: Jahrbücher für spekulative Philosophieund die philosophische Bearbeitung der empirischen Wissenschaften, hg. v. LUDWIGNOACK2(1847), S. 315-326; S. 563-579; S. 877-893; S. 1101-1136

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Edler, Erich 337,440Eichendorff, Joseph von 303Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 22,125 f., 128, 408Eichler, Ludwig 71,207,211, 321, 427Elias, Wilhelm 295,427Elkar, Rainer Siegbert 64, 440Ely.Geoff 161,438Engels, Friedrich 22 f., 41,52 f., 69, 72,76,78 f., 82,150 f., 164,177,207 f., 211,234,245 f., 279,287,307,314,316,331,335 f., 378,384,388,395,404,427,431Engelsing, Rolf 327,336,440Erdmann, Johann Eduard 54 f., 78,86,133,136,143 f., 155,440Esau, Lotte 74,232, 440D'Ester, Karl 69Estermann, Alfred 427Euchner, Walter 441Everke, Karl Friedrich 238,441Ewert, Michael 60,441Exner, Franz 109,427Faber, Karl Georg 240,441Faisal, Faris Fanner al 441Fanto, Irene 84,441Fast, Heinhold 441Faucher, Julius 42, 62, 72, 78, 307Fehrenbach, Elisabeth 244, 441Fein, Georg 245Feldmann, Christian 228 f., 427Fetscher, Iring 414,441Feuerbach, Amselm Ritter von 68Feuerbach, Ludwig 41,53,59, 62, 68-71,77 f., 81 f., 84, 86,117,124,131,133,155,161,169-174,177,236 f., 277,293,330,335,351,354-356,376,387 f., 393,395,404,427Fichte, Immanuel Hermann 61, 85, 114,133,148,331,354,422,427Fichte, Johann Gottlieb 60, 70, 94 f.,106 f., 134,165,274,328,361,383,388Finger, Otto 440Fiore, Joachim von 146,347, 350Fischer, Fritz 359,361,405,441Fischer, Hermann 61,441Fischer, Kuno 81, 415, 427Fischer, Wolfram 65, 441Fleischer, Karl Moritz 69, 223,333, 427Flottwell, Eduard 41,73,75,207,211,244,333

Flottwell, Eduard Heinrich 75Florencourt, Franz von 121Förster, Friedrich Christian 95Folien, August 75 f.Fontane, Theodor 30, 65, 78, 333 f., 427Foucault, Michel 21 f., 49 f., 58, 81 f.,257 f., 441Fourier, Charles 83, 274, 327Fränkel, Albert 323,380 f., 412 f., 422,427Frank, Manfred 151,441Franke, Richard Walter 441Frantz, Constantin 71Frauenstädt, Julius 146,159,427Freiligrath, Ferdinand 219Frese, Jürgen 87Freud, Sigmund 98Frey, Arthur 326,428Freytag, Gustav 66Friedensburg, W. 154, 248, 428Friedrich II., König von Preußen118-120,142,150,186,258 f.,Friedrich Wilhelm III., König von Preußen121 f., 192Friedrich Wilhelm IV., König vonPreußen 26, 67, 120-123, 150, 152,204,220 f., 246,260 f., 267,365Fröbel, Julius 66,69,72,75 f., 87Füret, Francois 64, 438Gabler, Georg Andreas 133,143Gadamer, Hans Georg 28, 49,134,441Gall, Lothar 240,441Gamm, Gerhard 441Gans, Eduard 41, 73, 117,122, 124,143,149,155,428Garber, Klaus 60,442Garewiczjan 427,442Gauthier, Theophile 302 f.Gebhardt, Jürgen 56,85 f., 148,345,403,406,410,442Gehlen, Arnold 58Geiger, Theodor 13,21 f., 442Geizer, Heinrich 61, 428Gerlach, Antje 76, 442Gerlach, Ernst Ludwig von 122Gerlach, Leopold von 122Gerth, Hans 64, 94, 141, 442Gervinus, Georg Gottfried 81, 105, 428GillisJohnR. 65,150,442Giseke, Robert 300 f., 318, 325, 335, 428

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Über diese ReiheDie Bände der Reihe »Übergänge« bewegen sich in einem Zwischenbereich, in demphilosophische Überlegung und sozialwissenschaftliche Forschung aufeinander sto-ßen und sich verschränken. Das thematische Schwergewicht sind Prozesse des-gemeinsamen Handelns, Sprechens und leiblichen Verhaltens, die sich in einersozialen Lebenswelt abspielen und deren Strukturen bereichern und verändern.Die Frage nach der Ordnung der Welt und Gesellschaft und nach den Übergängenvon einer Ordnung zur andern stellt sich auf neue Weise, sobald man- von einerZwischensphäre ausgeht, die auf die Dauer von keiner Einzelinstanz zu steuern unddurch keine bestimmte Ordnung zu erschöpfen ist. In dieser Begrenzung liegt dasPotential zu einer Kritik, die nicht aufs Ganze geht.In der Abfolge der Reihe, die der phänomenologischen Tradition verbunden, abernicht auf sie beschränkt ist, soll die Erörterung theoretischer und methodischerGrundfragen abwechseln mit der Präsentation spezifischer Forschungsansätze undgeschichtsvariahler Untersuchungen. Bevorzugte Themen sind etwa die leiblicheVerankerung von Handeln und Erkennen, die Ausbildung und Ausgrenzung vonMilieus, Prozesse der Normalisierung und Typisierung, der Kontrast von Alltags-und Forschungspraktiken, die Divergenz von Erkenntnis- und Rationalitätsstilen,der Austausch zwischen fremden Kulturen, Krisen der abendländischen Lebens-und Vernunftordnung u.a.Um diesen Studien ein historisches Relief zu verleihen, werden thematisch relevanteTraditionsbestände in repräsentativen Texten vergegenwärtigt. Diesem internatio-nalen Programm entspricht auf deutscher Seite der Versuch, an die Forschungslagevor 1933 wiederanzuknüpfen und Vergessenes wie Verdrängtes zurückzuholen.

Erschienen sind:BandlRichard Grathoff / Bernhard Waldenfels(Hrsg.)Sozialität und IntersubjektivitätPhänomenologische Perspektiven derSozialwissenschaften im Umkreisvon Aron Gurwitsch und Alfred Schütz.1983.410 S. ISBN 3-7705-2187-0

Band 2UlfMatthiesenDas Dickicht der Lebenswelt und die Theoriedes kommunikativen Handelns2. Aufl. 1985. 186 S. ISBN 3-7705-2188-9

Band 3Maurice Merleau-PontyDie Prosa der WeltHrsg. v. Claude Lefort. Einl. z. dt. Ausg. v.Bernhard Waidenfels. Aus d. Franz. v.Regula Giuliani.1984. 168 S. ISBN 3-7705-2189-7

Band 4Alfred Schütz, Aron GurwitschBriefwechsel 1939-1959Hrsg. v. Richard Grathoff. Mit ein. Einl. v.Ludwig Landgrebe.1985. XXXX, 544 S. mit Frontispiz.ISBN 3-7705-2260-5

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