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Wolfgang Hagen Medienäther - Äthermedien Eine epistemologische Halluzination des Stillstands (Vortrag auf der Tagung des Graduiertenkollegs ,Mediale Historiographien / Media of History - History of Media", Stehende Gewässer. Medien und Zeitlichkeit der Stagnation, am 29.4.2006) Am Ende eine Tagung über Stehende Gewässer möchte ich über zwei Assoziationen sprechen, die mir einfielen, als ich Ihre Einladung erhielt. Und ich gestehe sofort, dass es zwei Assoziationen mit starkem Halluzinationscharakter sind, wie sie einen in stehenden Gewässern wohl anfallen mögen, kurz bevor man versinkt. Die erste beträfe den Zustand der heutigen Medientheorie im Allgemeinen. Aber davon spreche ich nur sehr indirekt. Bei der anderen geht es um die dunkle Materie der Astrophysik. Den meisten von Ihnen wird sie besser bekannt sein unter dem Namen, den man dafür seit der Antike bereithält: Quinta Essentia oder - Äther. Und nun muss mein Vortrag versuchen, um die verborgenen Abgründe herum zu kommen, die sich hier sofort auftun. Der erste Abgrund liegt im Äther selbst, - ein Begriff so alt wie alles Denken über Kosmos, Mensch und Natur im Abendland von den Griechen an, heute aber wieder hoch aktuell in der so genannten astrophysikalischen Kosmologie. Gesehen, befühlt, gerochen, geschmeckt, gemessen oder bewiesen hat ihn noch niemand. Deshalb ist ein weiterer Abgrund noch tückischer. Er betrifft die Theoriefähigkeit, über den Äther überhaupt nachzudenken, ohne in ihm zu versinken. Dass ich hier Medientheorien ins Spiel bringe und ihnen einen Zustand der Unzugänglichkeit zuschreibe, die epistemologisch bestenfalls nur noch vom Begriff des Äthers selbst überboten wird, darf sie nicht wundern. Wenn es überhaupt ein erstes Medium gibt, das nicht je schon etwas anderes war, ein Element beispielsweise, als da wären Feuer, Wasser, Luft, Erde oder Schrift, dann ist es der Äther. Sein klassischer Definitionskontext und seine Ortsbestimmung, also der Raum, worin Aristoteles den Äther ansiedelt und so die Vorsokratiker resümiert, ist der Himmel, der Kosmos. αἰθήρ - ἐν τῷ aϊδίῳ τω ἄνω σώματι, zu deutsch Der Äther liegt „in den ewig unsichtbaren oberen Körpern des Himmels“(Peri Psyches, B. 7., 418b,7).

Wolfgang Hagen Medienäther - Äthermedien · David Hartleys „Oberservations of Man, his frame, his duty and his expectations“ gilt als eines der ganz frühen Werke einer dynamischen

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  • Wolfgang Hagen

    Medienäther - Äthermedien
Eine epistemologische Halluzination des Stillstands

    (Vortrag auf der Tagung des Graduiertenkollegs ,Mediale Historiographien /

    Media of History - History of Media", Stehende Gewässer. Medien und Zeitlichkeit der

    Stagnation, am 29.4.2006)

    Am Ende eine Tagung über Stehende Gewässer möchte ich über zwei

    Assoziationen sprechen, die mir einfielen, als ich Ihre Einladung erhielt. Und ich

    gestehe sofort, dass es zwei Assoziationen mit starkem Halluzinationscharakter sind,

    wie sie einen in stehenden Gewässern wohl anfallen mögen, kurz bevor man

    versinkt. Die erste beträfe den Zustand der heutigen Medientheorie im Allgemeinen.

    Aber davon spreche ich nur sehr indirekt. Bei der anderen geht es um die dunkle

    Materie der Astrophysik. Den meisten von Ihnen wird sie besser bekannt sein unter

    dem Namen, den man dafür seit der Antike bereithält: Quinta Essentia oder - Äther.

    Und nun muss mein Vortrag versuchen, um die verborgenen Abgründe herum

    zu kommen, die sich hier sofort auftun. Der erste Abgrund liegt im Äther selbst, - ein

    Begriff so alt wie alles Denken über Kosmos, Mensch und Natur im Abendland von

    den Griechen an, heute aber wieder hoch aktuell in der so genannten

    astrophysikalischen Kosmologie. Gesehen, befühlt, gerochen, geschmeckt,

    gemessen oder bewiesen hat ihn noch niemand. Deshalb ist ein weiterer Abgrund

    noch tückischer. Er betrifft die Theoriefähigkeit, über den Äther überhaupt

    nachzudenken, ohne in ihm zu versinken. Dass ich hier Medientheorien ins Spiel

    bringe und ihnen einen Zustand der Unzugänglichkeit zuschreibe, die

    epistemologisch bestenfalls nur noch vom Begriff des Äthers selbst überboten wird,

    darf sie nicht wundern. Wenn es überhaupt ein erstes Medium gibt, das nicht je

    schon etwas anderes war, ein Element beispielsweise, als da wären Feuer, Wasser,

    Luft, Erde oder Schrift, dann ist es der Äther.

    Sein klassischer Definitionskontext und seine Ortsbestimmung, also der

    Raum, worin Aristoteles den Äther ansiedelt und so die Vorsokratiker resümiert, ist

    der Himmel, der Kosmos. αἰθήρ - ἐν τῷ aϊδίῳ τω ἄνω σώματι, zu deutsch Der Äther liegt „in den ewig unsichtbaren oberen Körpern des Himmels“(Peri Psyches, B.

    7., 418b,7).

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    Ich zitiere hier nicht etwa deshalb Griechisch, weil es heute für manche

    medientheoretische Pflicht geworden ist, altgriechisch zu lesen. Ich zitiere die aϊδίῳ

    τω ἄνω σώµατι, um daran zu erinnern, dass nicht die alten Griechen waren, sondern

    die Aristotoles-Reconquista des Heiligen Thomas von Aquin, die nicht nur den Begriff

    des Mediums in den scholastischen Diskurs eingebracht hat, den es bei Aristoteles

    und in der Antike nicht gab, sondern dass es derselbe Thomas war, der auch das

    urtümlichstes Element der aristotelischen Naturlehre redefiniert und neu benamt hat,

    nämlich die Quinta Essentia, das fünfte Element, vulgo den Äther. Die Quintessenz

    bewahre ich mir aber für den Schluss auf.

    Bis dahin, zumal weil es um

    Epistemologien geht, also um die Reflexion

    auf das Wissen der Wissenschaften, will

    ich die lange und wechselvolle Geschichte

    des Äthers nicht bei Aquin oder bei

    Descartes wieder aufnehmen, sondern bei

    Newton.

    Newton deshalb, weil er, wie Sie alle

    wissen, als erster den Begriff des Äthers aus

    der Himmelsmechanik radikal ausgeschlossen hat. Die Principia Mathematica der

    Newtonsschen Naturphilosophie, auf denen das Wissen der Neuzeit wesentlich

    gründet, operieren ätherfrei.

    Was bei Newton zum Zuge kommt, war

    statt alter Ätherkosmologie ein neuer,

    revolutionärer Begriff von Epistemologie.

    Epistemologie hieß fortan, mit Folgen, die

    erst Hilbert und Goedel sollten bewältigen

    können, mathematische Axiomatik.

    a) Das Trägheitsaxiom. Es setzt einen

    absoluten und völlig abstrakten Raum

    voraus. b) Das Aktions-Axiom. Es unterstellt, dass Kräfte punktförmig wirken und

    über infinitesimale Punkte integrierbar sind. c) Das Reaktionsaxiom. Es postuliert

    eine absolute Symmetrie. Bei all diesen axiomatischen Eigenschaften, die die

    mechanische Physik Newtons setzt, ist epistemologisch unterstellt, dass das

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    1. Gesetz: Trägheitsaxiom

    Ein Körper bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Ge-schwindigkeit, wenn keine Kraftauf ihn wirkt.

    00!!

    !!!==Þ= a

    dtvdF

    Die Newton‘schen Gesetze

    2. Gesetz: Aktionsaxiom

    Die zeitliche Änderung desImpulses ist proportional zuräußeren Kraft, die auf den Körper wirkt.

    dtvmd

    dtpdF

    vmp)( :Kraft

    :Impuls!!!

    !!

    ==

    =

    gungBeschleuniMasseKraft ×==== rmvmamF !!"!""

    "

    Falls die Masse m unabhängig von der Bewegung ist, dann gilt:

    2smkg1N1 =Krafteinheit: 1 Newton

    3. Gesetz: ReaktionsaxiomBei Wechselwirkung zweier Körperist die Kraft, die auf den ersten Körperwirkt umgekehrt gleich der Kraft, dieder zweite auf den ersten ausübt.

    1F! 2F

    !

    12 FF!!

    -=

    „actio = reactio“

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    physikalische Inertialsystem absolut, zeitlos und unbewegt bleibt, - oder besser noch:

    Die Axiome axiomatisieren nicht nur den Äther sondern jeden auch nur denkbaren

    Raumstoff weg. Sie sind, um mit Lacan zu reden, ein absolutes Signifikat ohne

    Signifikant. Pure Mathematik.

    Aber eben nicht ganz, denn die drei Axiome reichen ja außerdem noch, wie

    Sie sich erinnern werden, revolutionär in den tatsächlichen Himmel hinein und bilden

    dort, vereint mit dem Dritten Kepplerschen Gesetz die Newtonsche

    Gravitationsformel. Newton entwickelt das Alles mit einem epistemologisch ganz

    unerbittlich klaren Induktionismus. Was nicht ableitbar ist aus Axiomen, was nicht aus

    gut verifizierten empirischen Messungen stammt und im Verbund mit den

    vorausgesetzten Axiomen keine Vorhersagen über neue messbare Phänomene

    erlaubt, das ist nicht. Die entsprechenden Herleitungen der Masse und Dichte eines

    Planeten aus dem Gravitationsgesetz sind ja ein beliebter Stoff in den

    Abiturleistungsklassen Physik.

    Die Bedeutung dieser Mathematisierung des Raums, die Newton hier

    vornahm, kann man sich historisch gar nicht einschneidend genug denken. Die

    wichtigste, sowohl epistemologisch wie philosophisch folgenreichste Implikation

    seines axiomatischen Induktionismus war ja, dass die Himmelsgesetze irdischen

    Regeln folgen, dass es Gesetze gibt, die im Himmel und auf Erden gelten, und der

    berühmte fallende Apfel vom Baum die gleiche Gravitationskonstante aufweist wie

    die Venus und ihre Monde. Diese Rekombination aller irdischen Kräfte als kosmische

    und aller kosmischen als irdische rief Euphorien hervor. „Ob man auf Berkeley oder

    Hume in England schaut, oder auf 'sGravesande und Musschenbroek in den

    Niederlanden, oder auf Condillac und D'Alembert in Frankreich, der Refrain auf

    Newton war überall derselbe: Spekulative Systeme und Hypothesen waren out; ab

    sofort hatten wissenschaftliche Theorien ausschließlich zu handeln von Einheiten,

    "that could be observed or measured.“(Laudan 1981,158)“ Kants Begriff des

    synthetischen und analytischen Urteils, sowie sein Raum- und Zeitbegriff als

    Transzendentalien schließen hier an und legten endgütig die philosophische

    Grundlagen für den erfolgreichsten Abschnitt der Neuzeit im Übergang zur Moderne,

    nämlich die Basis für die wissenschaftlich formalisierte materialistische

    Industriephysik des späten 19ten und frühen 20sten Jahrhunderts.

  • ! 4

    Aber man weiß auch, wie konsequent inkonsequent Newton selbst dachte und

    schrieb. Alles jenseits der axiomatisch ohnehin nicht existierenden

    Signifikantenebene konnte Newton, anders als Leibniz, freimütig einräumen. Actio in

    distans? Also Fernwirkungen ohne Zeitverbrauch, der Gravitation? Mal ja, mal nein.

    Äther? Nein, eigentlich ganz ausgeschlossen, liest man in den Principia, weil er die

    Planetenbahnen ja nur stören könnte. Aber warum das inverse r-Quadrat in der Natur

    zutrifft, kann die Mathematik selbst nicht explizieren. Es genügt, dass sie beweist,

    dass alles im Himmel sich so bewegt wie auf der Erde.

    So eskamotiert Newtons Axiomatik zwar den

    Äther aus der Gravitationstheorie, aber einen

    leeren Raum der ätherlosen Kontinuitäten

    geistiger Sofortakte lehnte Newton, der

    Physiker, dennoch ab. Und zwar deutlich „That

    … one Body may act upon another at a

    Distance thro’ a Vacuum, without the Mediation

    of anything else, … is to me so great an

    Absurdity, that I believe no Man who has in philosophical Matters a competent

    Faculty of thinking, can ever fall into it”(b78,234).

    Das war die Lage um 1745, als der irische Physiker und Mathematiker Bryan

    Robinson Sir Isaac Newton's „Buch über den Äther“ publizierte. Also genau die

    Stellen und Handschriften, die Newton weitgehend unter Verschluss gehalten hatte.

    Obwohl dieses Buch, wie wir heute wissen, nur ein Bruchteil der spekulativen Äther-

    Physik Newtons enthielt (da gab es tausende Seiten Handschrift mehr) muss es wie

    eine Erlösung gewirkt haben. Wie als wäre der Signifikant der Neuen Epistemologie

    endlich gefunden, all die fehlenden Erklärungen aus den Principia und der Optik,

    löste diese Veröffentlichung in England einen Dammbruch an Äther-Theorien aus.

    Schon „ein Jahr später erschien Benjamin Wilson's “Essay towards an

    explication of the phaenomena of electricity”, direkt abgeleitet aus den Äthertheorien

    Newtons. Und noch wichtiger, wenige Jahre darauf, Benjamin Franklins Theorie der

    Elektrizität, die auf den Behauptung eines Fluidums basierte, das aus newtonianisch

    einander abstoßenden Element-Korpuskeln bestehen sollte. Wieder wenig später,

    der Schweizer Physiker George LeSage, der ein ätherisches Erklärungsmodell der

    Gravitation und aller chemischen Kombinationen lieferte. (Laudan 1981,158)

    „That … one Body may act upon another at a Distance thro’ a Vacuum, without the Mediation of anything else, … is to me so great an Absurdity, that I believe no Man who has in philosophical Matters a competent Faculty of thinking, can ever fall into it”(b78,234).

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    Dieses halbe Jahrzehnt wilder Theoriebildung um den Äther kulminierte

    schließlich in David Hartley “Observations on man” (1749);

    ein Buch, das die Arbeit Newtons selbst, die

    Arbeit des Wissenschaftlers und damit die

    Arbeit des Wissens zum Thema macht.

    David Hartleys „Oberservations of Man, his

    frame, his duty and his expectations“ gilt als

    eines der ganz frühen Werke einer

    dynamischen Psychologie. Wie Richard

    Allen in der Stanforder Enzyklopädie

    schreibt, ist es erst im letzten, im 20ten

    Jahrhundert völlig in Vergessenheit geraten. Nach seiner letztmaligen Erwähnung in

    den „Principles of Psychologie“ von William James 1891 versank es in den

    Stehenden Gewässern der empirischen Ich-Psychologien. Zu Unrecht muss man

    sagen. Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte es viele Auflagen, auch Übersetzungen in

    Deutsche und Französische. Warum diese Aufmerksamkeit?

    Weil David Hartley die Inkonsistenz der Newtonianische Physik aufs Korn

    nimmt. Wie kann es sein, dass einer, der den Satz hypotheses non fingo mit seiner

    Epistemologie in Stein gemeisselt hatte, zugleich überquoll vor tiefsinnigsten

    Spekulationen über den Äther, der Licht und Gravitation transferiert?

    Hypotheses seu metaphysicæ, seu physicæ, seu qualitatum occultarum, seu

    mechanicæ, in philosophia experimentali locum non habent. Hieß es in den Principia.

    In hac philosophia propositiones deducuntur ex phænomenis, & redduntur generales

    per inductionem. Sic impenetrabilitas, mobilitas, & impetus corporum & leges

    motuum & gravitatis innotuerunt.(Newton, 1726, 529)

    “I frame no hypotheses.” Und der Newtonianer Hartley antwortet direkt: “It is

    in vain to bid an inquirer form no hypothesis” (OM 1, prop. 87). Hartley unterläuft

    Newtons algebraischen Induktionismus indem er die Sprache der Induktion, also die

    Algebra, für konjektural erklärt. Hartley schreibt, dass die Sprache nichts anderes sei

    als eine besondere Art von Algebra und Algebra ihrerseits “nothing more than the

    language . . . peculiarly fitted to explain quantity of all kinds” (OM 1, 80). ““Bringing an

    unknown quantity into a relation, answers, in philosophy, to the art of giving names,

    expressing nothing definite . . . and then inserting these names . . . in all the

    "All our voluntary powers are of the nature of memory."10

    1749

  • ! 6

    enunciations of the phenomena, to see whether, from a comparison of these terms

    with each other, something definite in manner, degree, or mutual relation might

    result” (OM 1, prop. 87). Hartley epistemologische Dekomposition von Newton läuft

    nach dem einfachen Umkehrschluss so: Wenn, was Newton induktiv beweist, die

    Mechanik der ponderablen Natur nach mathematischer Algebra darstellbar ist, dann

    muss diese Algebra sich selbst durch ein ponderable Mechanik erklären. Einfacher

    gesagt: Wer induktive Algebra schreibt, muss zeigen, wie die Natur das tut, und wer

    Hypothesen macht, muss zeigen, wie die Natur Hypothesen macht. Hartleys

    Hypothese ist, dass Menschen ohnehin nur Hypothesen prozedieren können, oder

    genauer gesagt: dass Menschen nichts anders als Assoziationen bildende

    Lebewesen sind. Assoziationen ihrerseits sind Produkte aus mechanischen Stoß-

    und Stoßreaktionsbildungen zwischen Ätherpartikeln und Nerven. „In seinen

    „Observations on man” verwendet Hartley die Vibrationen in diesem “nervösen” Äther

    als Erklärung für eine bemerkenswerte Fülle von Phänomenen, eingeschlossen

    ‚gefühlvolle Freude und Schmerz“, (pp. 34-44), „sleep“ (45-55), „the generation of

    simple and complex ideas“ (56-84), „voluntary and involuntary muscular

    motions“ (85-114), „the sensation of heat“ (118-25), „ulcers“ (Magengeschwüre)

    (127), Paralyse (132-4), taste (151-79), smell (180-90), sight (191-222), hearing

    (223-38), sexual desire (239-42), memory (374-82), and die Leidenschaften (368-73),

    alles erklärt durch einen vibrierenden Äther nach dem Muster der Newton-Äthers in

    der Optik, der die Lichtbrechungen erklären könnte.(Laudan 1981,160)

    Wenn heute zeitgenössische Neurologen wie Wolf Singer oder Gerhard Roth

    die pseudoontologische These vertreten, es gäbe keinen Freien Willen, sondern nur

    assoziativen Ketten von Neuroinformationen, dann haben sie in David Hartley’s

    „Observations of Man“ ihren direkten Vorläufer. Die Assoziation ist nach Hartley die

    Repräsentation dessen, was durch äußeren Einfluss auf unsere Nerven einwirkt.

    „Our first and principle key to the knowledge of the external world … We call the

    touch the reality, light the representative.”(OM 1, prop. 30). Wahrnehmung ist ein

    Automatismus, der aus der gewichteten Zuordnung von Körperattraktionen zu

    Nervenrepulsionen besteht: “If any sensation A, idea B, or motion C, be associated . .

    . with any other sensation D, idea E, or muscular motion F, it will, at last, excited, the

    simple idea belonging to sensation D, the very idea E, or the very muscular motion F”

    (OM 1, prop. 20). Assoziationen sind Ergebnisse von Sinneseindrücken und bilden

  • ! 7

    sich zu Ideen, Algebra und Wahrheit durch “counter-associations“ aus, also zum

    Beispiel durch den Unsinn, den wir Nacht träumen und Ähnliches.

    Mit Hartley wird nicht nur Newtons Axiomatik an den Äther gekoppelt, sondern

    zugleich der Äther zum Äther der Wahrnehmung. Ab jetzt soll das Wissen aus dem

    Äther selbst kommen, wenn er denn die Intellegibilität besitzen soll, axiomatisierbar

    zu sein. Was anderes sind die axiomatisch nach ihren Reichweiten statistifizierten

    Medien heute? Richard Allens und Larry Laudan Lektüren dieses vergessenen

    Buches, denen ich hier weitgehend folge, machen deutlich: Um 1750 ist Newtons

    Induktionismus, der bekanntlich die Schwerkraft der Himmels mit den Fallgesetzen

    irdischer Äpfel auf menschliche Köpfe herunterzurechnen erlaubt, eine Hypothese,

    die eine viel weitgehender Hypothese generiert: Nämlich dass der Mensch, his

    „frame“, „his Duty, and his Expectations“ gekoppelt sind an ein intellegibles Medium,

    das ihn denken lässt, was er denkt und dass er denkt. Anders nämlich könnte er

    nicht erkennen, dass dieses Medium intelligible und also axiomatisierbar ist. >>> 13

    „“We do, and must, upon our entrance into the world, begin with idolatry to external

    things, and, as we advance in it, proceed to the idolatry of ourselves”“(OM 2, prop. 4)

    Wenn wir nur genauer hinsehen, bis an die Halluzinationsgrenze versunken in

    den stehenden Gewässern unserer Beobachtungsfähigkeiten, wie es diese Tagung

    nun einmal erlaubt, so schimmert aus diesen Sätzen nicht nur schon die Dialektik der

    Schellingschen Weltseele durch, die um die Jahrhundertwende 1800 den deutschen

    Idealismus eröffnen wird, sondern auch die Systemtheorien Ernst von Foersters und

    Niklas Luhmanns, die ja von Schelling bekanntlich nicht so weit entfernt sind und von

    nichts anderem handeln als von der Idolatrie der Weltbeobachtung durch ein

    selbstverzücktes Selbst.

    Man könnte aber auch davon sprechen,

    dass Hartley schon eine Art anthropisches

    Prinzip postuliert, wie es in der

    astrophysikalischen Kosmologie im Jahre

    1974 von Brandon Carter formuliert wurde:

    In der vereinfachten Form lautet es:

    »conditions that are observed in the

    universe must allow the observer to exist. «

    Dass vielleicht nicht schon das ganze Universum, dass aber immerhin die Medien

    Anthropic Principle

    »Conditions that are observed in the universe must allow the observer to exist.«

    Brandon Carter, 1973

    14

  • ! 8

    einem anthropischen Prinzip solcher Art gehorchen, ist eine Erkenntnis, die wir der

    Systemtheorie ohnehin schon verdanken.

    Um aber Mitte des 18ten Jahrhunderts, in dem wir uns noch befinden,

    epistemologisch überhaupt zu dem zu kommen, was im 20ten Jahrhundert Medien

    und Kosmologie genannt werden sollte, war allerdings ein starkes anthropisches

    Prinzip nötig, das bekanntlich nach John Wheelers Formulierung von 1975 lautet:

    „The Universe starts small at the big bang, grows in size, gives rise to life and

    observers and observing equipment. The observing equipment, in turn, through the

    elementary quantum processes that terminate on it, takes part in giving tangible

    "reality" to events that occurred long before there was any life anywhere.”( Wheeler,

    John Archibald "Bohr, Einstein, and the Strange Lesson of the Quantum," in Mind in

    Nature. Edited by Richard Q. Elvee. (New York: Harper and Row, 1981), p.18.) Mit

    einem Wort, - das Partizipatorische Anthropische Prinzip besagt: Das Universum hat

    den Menschen hervorgebracht, aber erst der Mensch durch seine Beobachtung hat

    das Universum hervorgebracht.“ Ich werde noch auf die Not zurückkommen, die eine

    offenbar festgefahrene astrophysikalische Kosmologie seit dem letzten Drittel des

    vergangenen Jahrhunderts dazu bringt, sich in der Ausdifferenzierung anthropischer

    Prinzipien zu verlieren.

    Hartleys anthropischer Äther von 1749 eröffnet eine neue epistemologische

    Epoche der Ätherspekulation, die in vier oder fünf Generationenschritten zur

    Entwicklung der empirischen Psychologie sowie gleichermaßen zur mathematischen

    Definition der Elektrizität und damit zur Entwicklung der elektronischen

    Massenmedien führen wird.

    Das Bild, das um 1785 die wichtigste Achse

    dieser Entwicklung markiert, das kennen sie

    vermutlich. Benjamin Franklin vertreibt den

    Mesmerismus aus Paris. Das Baquet in der

    Mitte, das mesmeristische Trance-Utensil der

    Seancen, um das die Verzückten saßen und auf

    den Trip kamen, ist zerstört und in Stücke

    geflogen, Mesmer auf fliegenden Zauber-Besen

    davongetrieben, lächerlich gemacht und abgestoßen von dem newtonianischen

    Kommissionsbericht Franklins, den er wie eine mosaisch leuchtende Gesetzestafel

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  • ! 9

    dem Spuk entgegen hält, von Lavoisier assistiert. Was für ein trügerisches Bild!

    Franklin hatte zwar 1784 im Auftrag des Königs tatsächlich an einem

    Kommissionsbericht mitgewirkt und die wesentlichen Experimente betreut, die

    bewiesen, dass tierischer Magnetismus, so wie von Mesmer behauptet, nicht

    existiert. Aber Franklins Bericht war, wie man aus Robert Darnton großartiger

    Dissertation lernen kann, wenig bedeutungsvoll für den Fortgang der Dinge in Paris.

    Mesmer selbst hatte sich längst schon von seinen revolutionären Schülern

    abgesetzt, war nur seiner Tantiemen wegen im Hintergrund mancher Sitzungen noch

    dabei, denen er im übrigen kaum folgen konnte, weil er entsetzlich schlecht

    französisch sprach. Und verließ Jahre vor der Revolution Paris ganz freiwillig.

    Wenn vom vorrevolutionären Mesmerismus in

    Frankreich gesprochen werden soll, dann ist zu

    sprechen von Guillaume Kornman, Nicolas

    Bergasse, Jacques Pierre Brissot und vor allem

    von Jean-Louis Carra, dem girondistischer

    Revolutionär und wichtigsten Mesmer Schüler.

    Jean-Louis Carras liefert in schneller Folge die

    besten Zusammenfassungen der

    mesmeristischen Praktiken und macht daraus eine umfassende newtonianische

    Theorie einer neuen sozialen Physik. Quetelet, der Begründer der Sozialstatistik,

    wird an sie im 19 Jahrhundert anschließen. Carras Nouveaux principes de physique

    (Paris 1781) liefert eine Äthertheorie der Revolution.

    „Moralische Ursachen, wie z. B. ungerechte

    Gesetzgebung, beeinträchtigten die

    Atmosphäre und somit die Gesundheit“, gibt

    Carra zu verstehen, “genauso wie physische

    Ursachen Krankheit hervorriefen; und

    umgekehrt könnten physische Ursachen

    moralische Wirkungen hervorbringen, sogar

    in breitem Umfang. »Dieselben Wirkungen

    finden jeden Augenblick in der Gesellschaft

    statt, und man hat sie noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, weil man, wie

    J.-L. Carras Nouveaux principes de physique (Paris 1781)17

    „Moralische Ursachen, wie z. B. ungerechte Gesetzgebung, beeinträchtigten die Atmosphäre und somit die Gesundheit“, gibt Carra zu verstehen, “genauso wie physische Ursachen Krankheit hervorriefen; und umgekehrt könnten physische Ursachen moralische Wirkungen hervorbringen, sogar in breitem Umfang. »Dieselben Wirkungen finden jeden Augenblick in der Gesellschaft statt, und man hat sie noch nicht in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, weil man, wie ich meine, noch nicht zureichend das Moralische mit dem Physischen verbunden hat.« (Carra 1784)

    18

  • ! 10

    ich meine, noch nicht zureichend das Moralische mit dem Physischen verbunden

    hat.«

    Während der Revolution gründete Carra seine republikanischen Parolen auf

    die Voraussage aus seinen Nouveaux principes de physique (1781-82), Frankreich

    werde eine Republik werden, »weil das große physische System des Universums,

    welches das moralische und politische System der Menschheit steuert, selbst eine

    wahrhafte Republik darstellt«. (Darnton 1983,96)

    Der Äther der Revolution, der auch ein Äther der Hypnose, der Trance, der

    mediumistischen Medien war, denken Sie nur an Marats Dilirien, der schwappt fortan

    über ganz Europa hinweg und auch nach Amerika, wo unter anderem Edgar Allen

    Poe ihn aufzunehmen sucht, im vergeblichen Versuch, mit mesmeristischen Hoax

    das zu werden, was so viele geworden waren, nämlich reich und berühmt.

    Aber auch Benjamin Franklin, Gründervater der USA und amerikanischer

    Bürger im vorrevolutionären Paris, der dem König so vergebliche Hilfestellung

    leistete, die Ideologien der klassenübergreifenden Revolutions-Ekstasen zu

    zerstören, Benjamin Franklin selbst hing am Äther seiner eigenen Fluidaltheorie der

    Elektrizität. Sie werden wissen, dass Franklin den Blitzableiter erfunden hat, und aus

    Bernard Siegerts Buch auch, dass von ihm die wichtigste Fludaltheorie des

    Elektrizität des 18ten Jahrhunderts stammt. Franklins Fluidaltheorie besagt,

    newtonianisch, dass Elektrizität ein die ganze Atmossphäre ausfüllendes Medium ist,

    das sich aus zwei einander abstoßenden Partikeln zusammensetzt, nämlich Plus und

    Minus. Franklin ist es, der diese Begriffe einführt, Plus und Minus, und Ladung und

    Batterie und Kondensat und viele andere Namen mehr, die heute noch elektrische

    Bedeutung haben. Newtonianisch streng will er an der Leidener Flasche, dem ersten

    Speichermedium des Elektrischen, beweisen, wie innen die Plus- und außen die

    Minus-Teilchen sich anlagern, um in einer Entladung mit Blitz und Feuer auseinander

    zu fliegen. Mesmer hatte er nur widerlegen müssen, um diesen seinen eigenen

    Beweis zu retten. Denn noch immer galt auch um 1800 das Dogma der Neuzeit von

    William Gilbert aus dem Jahr 1600, dass Elektrizität und Magnetismus zwei differente

    und nicht zusammengehörige Erscheinungen sind.

    So wie Carras mesmeristischer Äther der magnetischen Halluzinationen sich

    dann tatsächlich im 19ten Jahrhundert über Bairds Hynose-Theorien, über Charcot

    und Janet bis hin zu Freud theoriebildend verflüssigt, so könnte man es auch von

  • ! 11

    Benjamins Franklins Äther sagen, der genau im

    Jahr 1800 Alessandro Volta jene

    Experimentationen ermöglichte, die zum

    Nachweis atmosphärischer Elektrizität und über

    diesen Umweg zur Entdeckung der

    elektrolytischen Batterie führten. An die Stelle

    von Frankins Äther treten

    wissenschaftsgeschichtlich gesehen danach

    zunächst Faraday’s Kraftlinien, jene Lines of Force, und dann deren mathematische

    Beschreibungen, die Clerk Maxwell vorbehalten blieb, dessen vektor-geometrische

    Voraussagen des Elektromagnetismus Heinrich Hertz experimentell nachweisen

    sollte.

    Ich streife das hier nur und kann, wieder aus Amerika kommend, weder Mary

    Baker Eddy übergehen noch die berühmte Madame Blavatski, also nicht die

    Gründerin der Christian Science von 1866 und nicht die der Theosophischen

    Gesellschaft von 1875. Denn deren auratisch überladene Äthertheorien wirken in

    allen Chakras, Tantras und Manipuras heutigen Alltags-Yoga-Praktiken nach, die

    über den kolonialen indischen asiatischen Umweg des viktorianischen Spiritismus

    von Amerika und England aus dorthin, und von dort aus wieder zu uns gelangt sind,

    wie man in dem tollen Äther-Buch von Joe Milutis, das jüngst erschienen ist, sehr

    schön nachlesen kann.

    Über diese in unserer Gegenwartsmoderne so

    alltäglich gewordenen astralen Äther von

    Andrew Jackson Davis und seiner Schülerinnen

    Blavatski und Baker-Eddy will ich hier weiter

    nicht sprechen, sondern es nur bei der

    Erinnerung belassen, dass diese angeblich so

    fernöstlich autochtonen Praktiken in Wahrheit

    vom mesmeristischen Carra-Konzept des

    Äthers herstammen. Ein schlichter imperialer

    Export und kolonialer Reimport.

    Dass Einstein 1905 den Äther abgeschafft hat, in den harten

    Naturwissenschaft der Relativitätstheorie, nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als das

    21

    Volta‘s Skizze der „Batterie“

    22

  • ! 12

    erste technische Äthermedium genannt Radio in die Welt kam, ist auch so eine

    Halbwahrheit. A) Einstein stellt zunächst einmal fest „Die mißlungenen Versuche,

    eine Bewegung der Erde relativ zum „Lichtmedium" zu konstatieren, führen zu der

    Vermutung, dass dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik,

    sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen

    entsprechen“ Das hieß zunächst einmal Außerkraftsetzen der Newtonschen Axiome

    durch Relativierung. Ich übergehe hier das sogenannte Michelson/Morley-

    Experiment von 1883, auf die Einstein sich hier bezieht, in dem es nicht gelungen

    war, einen Lichtäther, also ein Medium des Lichts, an das Hertz und Helmholtz noch

    fest geglaubt hatten, empirisch nachzuweisen. Ein berühmtes Nullergebnis,

    Nullbewegung, Stehendes Gewässer. In Bezug auf den Elektromagnetismus, also

    die Strahlung, die die elektronischen Massenmedien auch heute noch definiert, hat

    Einstein diesen Äther in der Tat wegdefinieren können: „Die Einführung eines

    „Lichtäthers"“, schreibt er weiter, „wird sich insofern als überflüssig erweisen, als

    nach der zu entwickelnden Auffassung weder ein mit besonderen Eigenschaften

    ausgestatteter „absolut ruhender Raum" eingeführt, noch einem Punkte des leeren

    Raumes, in welchem elektromagnetische Prozesse stattfinden, ein

    Geschwindigkeitsvektor zugeordnet wird.“ (Einstein:1905,891f)

    Das galt für den Elektromagnetismus, der ja bekanntlich aus dieser

    unvorstellbaren Geometrie rechtwinklig aufeinander aufbauenden Magnet- und

    Elektrofelder besteht, die sich transversal fortpflanzen und relativistisch bleiben, egal,

    welche Inertialsysteme sie beobachten, bei konstanter Lichtgeschwindigkeit von c.

    Diese Verüberflüssigung des Lichtäthers allerdings galt eben nur für das Licht, nicht

    aber für die Mechanik, und nicht für bewegte oder gar beschleunigte Massen, wie sie

    dann in der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1916 von Einstein Thema wurden.

    Bereits 1918 ist auch bei Einstein also der Äther wieder da: „Während aber nach der

    speziellen Relativitätstheorie ein Raumteil ohne Materie und ohne

    elektromagnetisches Feld als schlechthin leer, d. h. durch keinerlei physikalische

    Grossen charakterisiert erscheint, hat nach der allgemeinen Relativitätstheorie auch

    der in diesem Sinne leere Raum physikalische Qualitäten, welche durch die

    Komponenten des Gravitationpotentials mathematisch charakterisiert sind. Man kann

    diesen Sachverhalt sehr wohl so auffassen, dass man von einem Äther spricht,

    dessen Zustand von Punkt zu Punkt stetig variiert. Nur muss man sich davor hüten,

    diesem 'Äther' stoffähnliche Eigenschaften (z.B. an jeder Stelle eine bestimmte

  • ! 13

    Geschwindigkeit) zuzuschrieben."(in Kostro

    2000,203).

    Die allgemeine Relativitätstheorie stellt eine Relation

    zwischen einer vierdimensionalen Raum-Metrik auf

    der linken Seite zu den Massen-Energie-Potentialen

    auf der rechten Seite der Gleichung her. Die ART

    integriert zudem die Gravitationskonstante Newtons und konnte so zunächst im

    Sonnensystem ein eigenartiges, mit dem Gravitationsgesetz nicht vereinbares

    Phänomen erklären, das mit der Umlaufbahn des Planeten Merkur zusammenhängt.

    Lazarsfeld, Pionier der empirischen Sozialforschung, hat darüber promoviert. Auch

    sagte die ART das vordem unbekannte Phänomen der Ablenkung der Lichtstrahlen

    durch die Sonne, die sie streifen, exakt voraus.

    Aber so wie sie dasteht, erwies sich die

    Gleichung, auf die universellen Massen im

    Universum projiziert, allerdings als untauglich.

    Das Universum kollabiert, wenn man es mit

    statischen Anfangsmassen definiert. Setzt man

    die Terme etwas anders, kann es auch unendlich

    wachsen.

    Also musste Einstein einen weiteren Term in Grundgleichung der Allgemeinen

    Relativitätstheorie hinein schmuggeln, der nicht aus der Theorie folgte. Später wird

    Einstein zugeben, dies sei die „größte „Eselei“ seines Lebens gewesen.

    Möglicherweise war es mehr als das. Gemeint ist die kosmologische Konstante

    Lambda, die Einstein mit nahe Null annahm, um eine Stabilität des Universums zu

    erreichen, dessen Räume die allgemeine Relativitätstheorie so aufspannen sollte wie

    Newtons Gravitationsgleichung die Bahnen der Planeten.

    Ohne den Lambda-Term kein stabiles Universum. Da Einstein hat eine

    theoriefremde Konstante eingesetzt und zunächst keine physikalische Interpretation

    dafür angegeben, außer der, dass er der astronomischen Vorstellungswelt seiner Zeit

    um 1916 entsprechen wollte, die von einem immerwährenden, konstanten

    Universum ohne Anfang und Ende ausging.

    Allerdings – genau das ist schief gegangen. Man kann in Simon Singhs

    glänzenden Big Bang Buch nachlesen, wie die Geschichte gelaufen ist. Henrietta

    Einsteins allgemeine Relativitätstheorie (ART)

    L+= µnµnµnp gTcGG 4

    8 µnµn p TcGG 4

    8=

    kosmologischeKonstante

    28

    Einsteins allgemeine Relativitätstheorie (ART)

    L+= µnµnµnp gTcGG 4

    8 µnµn p TcGG 4

    8=

    kosmologischeKonstante

    28

  • ! 14

    Leavitt entdeckt noch in den 1910er Jahren die

    Cepheiden, also weit entfernte hell leuchtende

    Sterne in großen Galaxien, mit einer durch ihren

    Lichtpuls verobjektivierbaren Helligkeit.

    Das erlaubte Distanzmessung, die wiederum

    Edwin Hubble 1929 vornahm und jene berühmte

    Skala veröffentlichte, die sie hier sehen, aus der

    schlicht hervorgeht: Je weiter eine Galaxie entfernt ist, umso schneller bewegt sie

    sich fort.

    Daraus war um 1930 und ist bis heute nur ein

    astrophysikalischer Schluss sinnvoll, nämlich

    der, dass das Universum sich ausbreitet und

    zwar, wie es zunächst schien, mit einer

    konstanten Geschwindigkeit.

    Zum Schluss meines Vortrags will ich sie

    wahrhaftig nicht auch noch in einen Schnellkurs

    zum Thema astrophysikalischer Kosmologie

    verwickeln, sondern Ihnen nur sagen: Seit Edwin

    Hubble, also seit Beginn der 1930er Jahre

    befinden wir uns wieder in einer Epoche der

    Kosmologie, die aber, wenn ich es recht

    verstanden habe, die Neuzeit mit Newton schon

    einmal verabschiedet?

    War es nicht Newtons größte Tat gewesen, die

    Gravitation des Himmels auf die Erde zu holen,

    um ihre irdische Identität zu beweisen? Ist nicht, wenn auch immer noch sehr

    ungenau, mit Cavendish und anderen die Gravitationskonstante als Kilogramm-Maß

    bestimmt worden und damit als eine auf unserem Planeten vorfindliche

    Himmelskraft?

    Seitdem aber Hubbles Expansionsgesetz tausendfach wiederholt empirisch

    bewiesen ist, wurde Lambda immer mehr zur Schimäre. Noch mehr mit der seit 1998

    hinzugekommenen Vermutung, dass sehr weit entfernte Galaxien sich noch schneller

    fortbewegen als in einer lineare Abhängigkeit von Entfernung und

    30

    Cepheiden

    Edwin Hubble, A RELATION BETWEEN DISTANCE AND RADIAL VELOCITY AMONG EXTRA-GALACTIC NEBULAE, Washington 1929

    31

    Das Hubblesche Gesetz (2000)

    32

  • ! 15

    Fluchtgeschwindigkeit. Damit sollte feststehen, dass wir es in der Astrophysik mit

    einer epistemologisch völlig neuen, und zugleich sehr alten Lage zu tun haben.

    Für die Fluchtgeschwindigkeiten im

    Universum ist, legt man Einsteins Terme

    zugrunde, eine kosmologische Konstante

    zuständig, deren physikalischer Sinn völlig

    ungeklärt ist. Irdisch ist er nicht und

    himmlisch im Sinne einer stelaren Materialität

    auch nicht. Bei Lambda muss es sich nämlich

    um eine positive Gravitationskraft handeln,

    denn sie wirkt gegen die Anziehung der

    Massen. Sie stellt Newton auf den Kopf und wird derzeit interpretiert als „Dunkle

    Materie“. a) Die astrophysikalische Kosmologie ist zum Äther zurückgekehrt. Denn

    wenn, worin derzeit Common Sense unter den etwa 5000 Astrophysikern auf der

    Welt besteht, 95 % des Universums aus Strahlung und Materienformen besteht, die

    mit unserer baryonischen Atom-, Protonen-, Quark-, Elektronen- und Leptonen-

    Materie offenbar nichts zu tun hat, die nicht wechselwirkt, nicht leuchtet und

    irgendwie antigravitative Kräfte entfaltet, - dann ist auch die Quinta Essentia nicht

    mehr weit.

    Eine ausdrücklich so genannte Quintessenztheorie haben Jermeiah Ostriker

    und Paul Steinhardt um die Jahrtausendwende vorgelegt und sie ähnelt

    epistemologisch dem, was an Ätherspekulationen im 18ten und vor allem im 19ten

    Jahrhundert gang und gäbe war. Aus einem Hauptseminarpapier der Universität Ulm

    entnehme ich, die „Quintessenz sei zeitlich veränderlich und stellt eine Energieform

    mit negativem Druck dar, der die Expansion immer mehr beschleunigt. Man stellt sie

    sich als Quantenfeld mit kinetischer und potentieller Energie vor. Dabei ist ein

    möglicher Ansatz für ein Quintessenz-Modell der, dass die Quintessenz mit dem

    Urknall entstand, aber quasi erst "eingeschaltet wurde" (gemeint ist: merklich auf die

    Entwicklung des Universums Einfluss genommen hat), als nach 300 000 Jahren der

    strahlungsdominierte Kosmos in ein materiebeherrschtes Universum überging. Die

    beschleunigende Kraft der Dunklen Energie entfaltete sich "spürbar" (erkennbar,

    messbar) allerdings erst nach 10 Milliarden Jahren.“

    73%

    5%22% Dunkle Energie

    BaryonischeMaterieDunkle Materie

    33

  • ! 16

    Ende der Halluzination. Über den Urknall habe ich geschwiegen. Im Angesicht

    dieser Astrophysik-Kosmogonie aus hoch fluktuierenden transenergetischen

    Hypervakua in Zeitdimensionen von 10 hoch minus 34 Sekundenschritten verblassen

    alle überlieferten klassischen antiken indischen, griechischen oder ägyptischen

    Weltentstehungs-Mythen zu platten Gutenachtgeschichten. Aber dieser Big Bang ist

    seit den Nukleosynthese-Arbeiten von George Gamow und Ralph Alpher aus den

    1940er Jahren eine teilchenphysikalisch konsistente Annahme. Seitdem auch ihre

    Voraussagen einer 3 Kelvin-Hintergrundstrahlung im gesamten Universum

    hundertfach durch Messungen bestätigt

    worden sind, ist der Big Bang unter den

    5000 Astrophysikern der Welt

    unumstritten. A) Eine Variante der

    Quintessenz-Theorien sagt den Big Rip

    voraus, das schlagartige Zerreisen des

    gesamten Universums von den

    Rändern her in 50 Milliarden Jahren.

    Ende der Halluzination.

    Wer von weit entfernt davonrauschenden Quintessenzen dunkler Materie im

    Universum spricht, sollte sich über die Wiederkehr ätherverzückter Chakra-Jünger

    auf Erden nicht wundern. Eine Wissenschaft, die dekretiert, 95 Prozent des

    Universums hätten physikalische Eigenschaften, die nichts mit einer uns bekannten

    baryonischen Massenenergie zu tun haben, und hinzufügt, dies sei fundierte

    Wahrheit einer Wissenschaft, die sich dadurch epistemologisch beweist, dass nach

    ihren Maßgaben auf der Erde doch Alles widerspruchsfrei funktioniere, eine solche

    gespaltene Epistemologie erscheint mir äquivok zu allen Politiken, die eine

    fundamentalistische Retheologisierung der medialen Weltgesellschaft für die

    gegebene Aufgabe der Zeit halten.

    Und wer das anthropische Prinzip auf den Kosmos appliziert, demzufolge das

    Universum existiert, um den Beobachter zu erschaffen, der es allererst produziert,

    redet einer Medientheorie nach gleichem Muster das Wort. Anthropisch gedacht

    wären Medien dann nichts als ein Äther, der die Menschen erschafft, die ihn

    erschaffen haben. Tatsächlich sagt übrigens der sogenannte Uses-And-Gratification-

    35Cornelia Parker ”Cold Dark Matter - An Exploded View” (Tate Modern Gallery)

  • ! 17

    Ansatz nichts anderes, der der modernen statistischen Medienforschung zugrunde

    liegt.

    Es wird hohe Zeit, dass die Episteme der astrophysikalischen Kosmologie

    einer kulturwissenschaftlichen Dekonstruktion unterzogen wird. In unseren

    stehenden Gewässern wären wir dafür mindestens schon ein halbes Jahrhundert

    zurück.

    Ende der Halluzination.