13
Schmerz 2010 · 24:177–189 DOI 10.1007/s00482-010-0891-5 © Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes. Published by Springer Medizin Verlag - all rights reserved 2010 Redaktion H. Göbel, Kiel R. Sabat  owski, Dresden S. Stiel · F. Elsner · M. Pestinger · L. Radbruch Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum der RWTH Aachen Wunsch nach vorzeitigem Lebensende Was steht dahinter? Zusammenfassung „Herr Doktor, können Sie mir nicht eine Spritze geben, damit ich morgen nicht mehr aufwachen muss?“ Diese und ähnliche Bitten um ärztliche (Sterbe-)Hilfe drücken einerseits auf drama- tische Art und Weise das Leid von Patienten aus und bringen Behandlerteams andererseits in eine schwierige Situation. Umfangreiche Forschungsbemühungen beschäftigen sich seit nun fast 2 Jahr- zehnten mit den Fragen, was der Wunsch nach dem vorzeitigen Sterben von unheilbar erkrank- ten Patienten bedeuten und wie man adäquat darauf reagieren kann. Diese Übersichtsarbeit soll (inter)nationale ethisch-rechtliche Hintergründe beleuchten und den aktuellen Forschungsstand zum Sterbewunsch von unheilbar erkrankten Patienten zusammenfassen. Im Mittelpunkt stehen Gründe für den Sterbewunsch, kommunikative Funktionen der Bitte um Sterbehilfe, ärztliche Ein- stellungen und die Bereitschaft zur Sterbehilfe sowie Empfehlungen für den Umgang mit den be- treffenden Patienten im klinischen Behandlungsalltag. Schlüsselwörter Euthanasie · Ärztlich assistierter Suizid · Sterbewunsch · Unheilbare Erkrankung · Palliativmedi- zin A wish to hasten death · What is behind it? Abstract “There’s nothing more to do, so let’s come to an end, Doc!” A request for euthanasia or physician- assisted suicide is a dramatic expression of patients’ suffering and causes difficulties for staff mem- bers to react to these questions. Great efforts have been made in the last two centuries to gain a deeper understanding of the wish for hastened death of terminally ill patients and to develop con- clusions for the management of these situations. This article presents differences in international legislation on euthanasia and summarises the ethical background. The current results from the lit- erature according to motivations for the wish for hastened death, communicative functions of the request, attitudes and practices of physicians and their willingness to accompany the patient in eu- thanasia as well as practical implications for clinical practice are discussed. Keywords Euthanasia · Physician-assisted suicide · Wish for hastened death · Terminally ill · Palliative care CME Weiterbildung · Zertifizierte �ortbildung Weiterbildung · Zertifizierte �ortbildung Punkten Sie online auf CME.springer.de Teilnahmemöglichkeiten - kostenfrei im Rahmen des jeweiligen Zeitschriftenabonnements - individuelle Teilnahme durch den Erwerb von CME.Tickets auf CME.springer.de Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CME-Punkten zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig. Hinweis für Leser aus Österreich Gemäß dem Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer werden die auf CME.springer.de erworbenen CME-Punkte hierfür 1:1 als fachspezifische Fortbildung anerkannt. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Fachzeitschriften Medizin / Psychologie CME-Helpdesk, Tiergartenstraße 17 69121 Heidelberg E-Mail: [email protected] CME.springer.de 177 Der Schmerz 2 · 2010 |  

Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

  • Upload
    s-stiel

  • View
    214

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

Schmerz 2010 · 24:177–189DOI 10.1007/s00482-010-0891-5© Deutsche Gesellschaft zum Studium  des Schmerzes. Published by Springer  Medizin Verlag - all rights reserved 2010

RedaktionH. Göbel, Kiel R. Sabat  owski, Dresden

S. Stiel · F. Elsner · M. Pestinger · L. RadbruchKlinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum der RWTH Aachen

Wunsch nach vorzeitigem LebensendeWas steht dahinter?

Zusammenfassung„Herr Doktor, können Sie mir nicht eine Spritze geben, damit ich morgen nicht mehr aufwachen muss?“ Diese und ähnliche Bitten um ärztliche (Sterbe-)Hilfe drücken einerseits auf drama-tische Art und Weise das Leid von Patienten aus und bringen Behandlerteams andererseits in eine schwierige Situation. Umfangreiche Forschungsbemühungen beschäftigen sich seit nun fast 2 Jahr-zehnten mit den Fragen, was der Wunsch nach dem vorzeitigen Sterben von unheilbar erkrank-ten Patienten bedeuten und wie man adäquat darauf reagieren kann. Diese Übersichtsarbeit soll (inter)nationale ethisch-rechtliche Hintergründe beleuchten und den aktuellen Forschungsstand zum Sterbewunsch von unheilbar erkrankten Patienten zusammenfassen. Im Mittelpunkt stehen Gründe für den Sterbewunsch, kommunikative Funktionen der Bitte um Sterbehilfe, ärztliche Ein-stellungen und die Bereitschaft zur Sterbehilfe sowie Empfehlungen für den Umgang mit den be-treffenden Patienten im klinischen Behandlungsalltag.

SchlüsselwörterEuthanasie · Ärztlich assistierter Suizid · Sterbewunsch · Unheilbare Erkrankung · Palliativmedi-zin

A wish to hasten death · What is behind it?

Abstract“There’s nothing more to do, so let’s come to an end, Doc!” A request for euthanasia or physician-assisted suicide is a dramatic expression of patients’ suffering and causes difficulties for staff mem-bers to react to these questions. Great efforts have been made in the last two centuries to gain a deeper understanding of the wish for hastened death of terminally ill patients and to develop con-clusions for the management of these situations. This article presents differences in international legislation on euthanasia and summarises the ethical background. The current results from the lit-erature according to motivations for the wish for hastened death, communicative functions of the request, attitudes and practices of physicians and their willingness to accompany the patient in eu-thanasia as well as practical implications for clinical practice are discussed.

KeywordsEuthanasia · Physician-assisted suicide · Wish for hastened death · Terminally ill · Palliative care

CME Weiterbildung · Zertifizierte �ortbildung Weiterbildung · Zertifizierte �ortbildung

Punkten Sie online auf

CME.springer.de

Teilnahmemöglichkeiten-  kostenfrei im Rahmen des jeweiligen  

Zeitschriftenabonnements-  individuelle Teilnahme durch den Erwerb  

von CME.Tickets auf CME.springer.de

ZertifizierungDiese Fortbildungseinheit ist mit 3 CME-Punkten zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für  andere Ärztekammern anerkennungsfähig.

Hinweis für Leser aus ÖsterreichGemäß dem Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer werden die auf CME.springer.de erworbenen CME-Punkte hierfür 1:1 als fachspezifische  Fortbildung anerkannt.

Kontakt und weitere InformationenSpringer-Verlag GmbHFachzeitschriften Medizin / PsychologieCME-Helpdesk, Tiergartenstraße 1769121 HeidelbergE-Mail: [email protected]

177Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 2: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

Nach Durcharbeitung dieses Beitrags sind ethisch-rechtliche Hintergründe und der aktu-elle �orschungsstand zum Sterbewunsch von unheilbar erkrankten Patienten bekannt, aufgrund derer die eigene Haltung zu dieser �ragestellung überdacht werden kann.

Ziel der palliativmedizinischen Versorgung von unheilbar Erkrankten ist die Behandlung des Men-schen in seiner Gesamtheit zum Erhalt seiner größtmöglichen Lebensqualität. Was aber bleibt zu tun, wenn Patienten ihre Situation trotz einer palliativmedizinischen Betreuung und symptomlindernden Therapien als unerträglich empfinden und der Wunsch nach dem Sterben bzw. einem vorzeitigen Tod entsteht oder gar eine Bitte nach aktiver Sterbehilfe an Behandler gerichtet wird? Dieses Phäno-men wird zwar auf Palliativstationen selten erlebt, lässt Behandlerteams jedoch an ihre Grenzen sto-ßen. Wie können wir diesen Wunsch verstehen und darauf reagieren? Welche Maßnahmen sind für die betreffenden Patienten hilfreich?

Um mehr Wissen über die Bedeutung von und den Umgang mit dem Sterbewunsch von Pal-liativpatienten zu gewinnen, wurden zahlreiche Studien mit sehr unterschiedlichen inhaltlichen Fragestellungen, zu beforschenden Zielgruppen und methodischen Herangehensweisen unter-nommen.

Standpunkt der Palliativmedizin zu aktiver Sterbehilfe

Im Zuge palliativmedizinischer Behandlungen ist Kommunikation über die Erkrankung, assoziierte Symptome und Probleme und deren Folgen fast unvermeidbar. Ressourcenorientierte Krankheits-verarbeitung, aber auch die Grenzen der Behandlungsmöglichkeiten sind daher wesentliche Aspekte in der Auseinandersetzung mit einer unheilbaren Erkrankung für Patienten, deren Angehörige und Behandler. Häufig bedeutet dies auch die Begegnung mit Prognose, Hoffnungs- und Sterbebildern und den damit verbundenen Emotionen sowohl bei den Patienten als auch bei Beteiligten im Um-feld. Die Palliativmedizin ist gekennzeichnet durch eine Haltung des Respekts vor der unverbrüch-lichen Würde des Menschen. In dem Satz „Dem Leben nicht mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben“, mit dem Cicely Saunders das Ziel der Palliativmedizin umschreibt [1], wird die Ab-grenzung der Palliativmedizin von der aktiven Sterbehilfe deutlich.

Auch die Ethics Task Force der European Association for Palliative Care (EAPC) sieht eine kla-re Trennung der Aufgabenzuständigkeit zwischen Sterbebegleitung und aktiver Sterbehilfe vor. Die Bereitstellung oder Durchführung von Euthanasie oder assistiertem Suizid ist im Versorgungsange-bot der Palliativmedizin nicht vorgesehen [2].

Situation der aktiven Sterbehilfe in Deutschland

Gerade durch die Ermöglichung eines längeren Lebens durch medizinische Fortschritte entwickeln sich zunehmend Ängste in der Bevölkerung. Häufig geäußert wird die Sorge, durch intensivmedi-zinische Maßnahmen am Leben erhalten zu bleiben oder das Leben verlängert zu bekommen, ob-wohl man bereit wäre zu sterben.

Befürworter der aktiven Sterbehilfe stützen sich in der fortwährenden Diskussion über die Aus-weitung der Rechte auf Selbstbestimmung am Lebensende auf folgende Argumente:FDer Mensch ist ein autonomes Wesen und sollte auch über seinen Tod entscheiden können, was

im Rahmen eines Suizides machbar und entgegen der aktiven Sterbehilfe nicht strafbar ist.FDie Abgrenzung von aktiver und passiver Sterbehilfe scheint unscharf, wenn passive Sterbehilfe

durch aktive Handlungen, z. B. das Abschalten eines Beatmungsgerätes, erfolgt.FEin Dahinvegetieren von Menschen lässt es humaner erscheinen, einen Gnadentod zu vollzie-

hen, sodass aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben sollte.

Tötung auf Verlangen als aktive Sterbehilfe ist in Deutschland nach § 216 StGB verboten und straf-bar; auch wenn ein einwilligungsfähiger Patient das ausdrücklich wünscht und fordert. Tötung auf Verlangen bezeichnet „das absichtliche und aktive Eingreifen zur Beschleunigung des Todeseintritts auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten“ und wird mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis 5 Jahren belegt. Beihilfe zur Selbsttötung ist hingegen keine Straftat in Deutschland.

Die Notwendigkeit der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen wurde noch 2006 auf dem 66. Deut-schen Juristentag mit großer Mehrheit bestätigt. Die fehlende gesetzliche Regelung der Beendigung

Die Palliativmedizin ist gekennzeich-net durch eine Haltung des Respekts vor der unverbrüchlichen Würde des Menschen

Die Palliativmedizin ist gekennzeich-net durch eine Haltung des Respekts vor der unverbrüchlichen Würde des Menschen

Häufig geäußert wird die Sorge, durch intensivmedizinische Maßnah-men gegen den eigenen Willen am Leben erhalten zu bleiben

Häufig geäußert wird die Sorge, durch intensivmedizinische Maßnah-men gegen den eigenen Willen am Leben erhalten zu bleiben

Tötung auf Verlangen als aktive Ster-behilfe ist in Deutschland nach § 216 StGB verboten und strafbar

Tötung auf Verlangen als aktive Ster-behilfe ist in Deutschland nach § 216 StGB verboten und strafbar

Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland keine StraftatBeihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland keine Straftat

178 |  Der Schmerz 2 · 2010

Page 3: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

und Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen bei sterbenden Menschen und solchen, die eine Behandlung ablehnen, also der passiven Sterbehilfe, wurde jedoch bemängelt. Zwar bleiben diese Maßnahmen in Deutschland in der Rechtsprechung straffrei, vom Juristentag wurde jedoch gefor-dert, dass dies auch im Gesetz verankert wird [3].

Im Rahmen der Terminologie gilt es, aktive Sterbehilfe deutlich von der straffreien passiven und indirekten Sterbehilfe abzugrenzen. 7Passive Sterbehilfe umfasst in Deutschland den Verzicht und/oder die Beendigung von Maßnahmen, die das menschliche Sterben verlängern. Die 7indirekte Sterbehilfe bezeichnet Maßnahmen der Symptomkontrolle und Leidenslinderung, bei denen eine Lebenszeitverkürzung als unvermeidliche Nebenwirkung in Kauf genommen wird.

In der öffentlichen Diskussion und in den Medien werden die Begriffe und Unterscheidungen der Formen der Sterbehilfe oft undifferenziert gebraucht [4]. Da dies zu Missverständnissen und Irrita-tionen führen kann, wurde durch den Nationalen Ethikrat 2006 eine alternative Sprachregelung vor-geschlagen. Aufgrund der Tatsache, dass auch passive Sterbehilfe mit der scheinbar aktiven Hand-lung des Abschaltens von Geräten einhergehen kann, biete es sich an, aktive Sterbehilfe in „Tötung auf Verlangen“, passive Sterbehilfe in „Sterbenlassen“ und indirekte Sterbehilfe in „Therapien am Le-bensende“ umzubenennen [5].

Gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe im Ausland

Vergleichbar mit dem Standpunkt der deutschen Gesetzgebung, ist aktive Sterbehilfe auch in fast allen Ländern Europas verboten. Den Argumenten der Befürworter der aktiven Sterbehilfe ent-sprechend, sieht das 7niederländische Rechtssystem zwar die Handhabung von aktiver Sterbe-hilfe grundsätzlich als verboten an, in spezifischen Fällen jedoch nicht als strafbar, sofern bestimm-te formelle Regeln eingehalten werden. Seit 2001 regelt das „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeen-digung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung“ diese Sachverhalte. In § 293 des nieder-ländischen StGB steht: „Wer einen anderen Menschen auf dessen ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin tötet, wird mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwölf Jahren oder einer Geldstrafe der fünften Kategorie bestraft.“

Diese Regelung wird in einem zweiten Absatz eingeschränkt bzw. erweitert: „Die im ersten Ab-satz bezeichnete Tat ist nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt durchgeführt worden ist, der dabei die Sorgfaltskriterien über die Überprüfung von Lebensbeendigung... erfüllt.“ Nach diesen Kriterien muss jeder Fall von aktiver Sterbehilfe gemeldet werden. Von einer Kommission wird die Einhaltung der geforderten Kriterien überprüft:FDer Patient muss über seine Situation und Aussicht vollständig aufgeklärt sein, und sein freiwil-

liges Begehren muss wohl überlegt und überdauernd stabil sein.FDer Patient muss unerträglich (nicht unbedingt körperlich!) leiden, und es darf keine Aussicht

auf Besserung bestehen, insbesondere auch keine medizinischen Möglichkeiten zur Linderung.FEs muss ein schriftliches Gutachten eines Arztes vorliegen, und ein unabhängiger zweiter Arzt

muss Diagnose und Prognose bestätigen.

In Belgien trat 2002 ein vergleichbares Gesetz zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Kraft. Als drittes Land in Europa stimmte das Parlament in Luxemburg einem Gesetzesentwurf zur Legalisie-rung der aktiven Sterbehilfe im Februar 2008 zu, der im Februar 2009 in Kraft trat.

Im Vergleich der Rechtssysteme von Belgien und den Niederlanden wird deutlich, dass in Belgien die Beihilfe zum Suizid strafbar, in den Niederlanden aber legal ist und sogar in den Empfehlungen zu Euthanasie angeraten wird [6, 7]. Eine niederländische Untersuchung zu Sterberaten konnte in 2005 1,7% aller Todesfälle der Euthanasie und weitere 0,1% der Beihilfe zum Suizid zuordnen. Diese Zahlen waren zwar geringer als noch in 2001, werden aber auf den Gebrauch alternativer Behand-lungsoptionen wie der palliativen Sedierung am Lebensende zurückgeführt [7]. Auch in Luxemburg ist seit April 2009 Euthanasie legalisiert. Ärzte, die aktive Sterbehilfe leisten oder einem Suizid as-sistieren, müssen keine Strafe erwarten, solange sie unter Einbezug eines kollegialen Rates vorwei-sen können, dass der betreffende Patient unheilbar erkrankt ist und sich wiederholt auf sein Recht zu sterben beruft [8].

Besondere Aufmerksamkeit erhält auch die Handhabung der aktiven Sterbehilfe in der Schweiz. Obwohl auch dort aktive Sterbehilfe gesetzlich verboten ist, nutzen Organisationen wie Dignitas oder Exit die Einschränkung, dass der assistierte Suizid nur dann strafbar ist, wenn die Beihilfe von

7Passive Sterbehilfe7Passive Sterbehilfe7Indirekte Sterbehilfe7Indirekte Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist in fast allen  Ländern Europas verbotenAktive Sterbehilfe ist in fast allen  Ländern Europas verboten7Niederländisches Rechtssystem7Niederländisches Rechtssystem

In Belgien ist die Beihilfe zum Suizid strafbar, in den Niederlanden legalIn Belgien ist die Beihilfe zum Suizid strafbar, in den Niederlanden legal

Auch in Luxemburg ist seit April 2009 Euthanasie legalisiertAuch in Luxemburg ist seit April 2009 Euthanasie legalisiert

In der Schweiz ist assistierter Suizid nur strafbar ist, wenn die Beihilfe von Gewinn für den Helfenden ist

In der Schweiz ist assistierter Suizid nur strafbar ist, wenn die Beihilfe von Gewinn für den Helfenden ist

179Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 4: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

Gewinn für den Helfenden ist. Hinzu kommt, dass die Verordnung der in der Schweiz üblicherwei-se verwendeten Dosen von einem spezifischen Barbiturat zur Suizidbeihilfe entgegen der deutschen Gesetzgebung nicht strafbar ist.

Betrachtet man das außereuropäische Ausland, so ist z. B. im amerikanischen Bundesstaat Ore-gon ärztlich assistierter Suizid durch den Death with Dignity Act von 1994 zugelassen. Im März 2009 wurde diese Gesetzgebung auch im Bundesstaat Washington übernommen.

Wunsch nach einem vorzeitigen Tod von unheilbar kranken Patienten

Der Wunsch nach dem vorzeitigen Tod und aktiver Sterbehilfe von unheilbar erkrankten Patienten ist ein kontrovers diskutiertes und vielschichtig beschriebenes Thema in der Fachliteratur. Seit den 1970er- und 1980er-Jahren wird der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe bei unheilbar erkrankten Men-schen in medizinischen, naturwissenschaftlichen und ethischen Zeitschriften diskutiert. Erste sys-tematische Untersuchungen wurden in den frühen 1990er-Jahren durchgeführt. Inhaltliche Frage-stellungen und empirische Ergebnisse aus wissenschaftlichen Darstellungen aus der bisherigen For-schung konzentrieren sich im Kontext von Euthanasie, ärztlicher Hilfe zum Suizid und dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe maßgeblich auf die folgenden Fragestellungen.

Bei wie vielen Patienten tritt ein Sterbewunsch auf?

Um erst einmal eingrenzen zu können, bei wie vielen Patienten der Wunsch nach dem Sterben of-fenbart wird oder sogar Bitten um aktive Sterbehilfe geäußert werden, wurden sowohl bei Tumorpa-tienten als auch bei Pflegekräften Befragungen und Interviews durchgeführt.

In einer amerikanischen Fragebogenerhebung unter Pflegekräften von ALS-Patienten wurde be-schrieben, dass etwa ein Drittel der Patienten über den Wunsch nach assistiertem Selbstmord dis-kutierte. Diese Interessensbekundungen wie auch anfänglich beschriebene Hoffnungslosigkeit re-sultierten in den Folgemonaten in dem deutlicheren Wunsch nach ärztlich assistiertem Suizid. Pati-enten mit Interesse an assistiertem Suizid hatten im Vergleich zu den Uninteressierten eine größere Angst davor, anderen zur Last zu fallen [9].

Trotz der hohen Relevanz des Themas und einer der verbreiteten gedanklichen Beschäftigung von Patienten mit diesen Ideen zum Lebensende, konnten Chochinov et al. [10] zeigen, dass der Wunsch nach dem Tod nur bei 8,5% von 200 terminal erkrankten Patienten in Kanada durchdringend und ernst war. Der Wunsch nach dem Tod korrelierte in dieser Studie mit der Schmerzstärke und gerin-ger Unterstützung der Familie; am stärksten jedoch mit der Depressionsstärke.

Etwas höhere Prävalenzen des Sterbewunsches wurden von Breitbart et al. [11] aus Amerika be-richtet. Im Rahmen palliativer Versorgung wurden 92 unheilbar kranke Krebspatienten mittels der 7Schedule of Attitudes towards Hastened Death (SAHD) und weiteren psychometrischen Tests be-fragt. Die Autoren konnten ermitteln, dass 17% der Teilnehmer einen hohen Wunsch nach einem vorzeitigen Tod hatten. Der Todeswunsch korrelierte hoch signifikant mit der Diagnose einer kli-nischen Depression, der depressiven Symptomschwere und Hoffnungslosigkeit, während soziale Un-terstützung und physische Funktionsfähigkeit einen geringeren, aber dennoch signifikanten Zusam-menhang aufwiesen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach dem 7Risiko für einen Suizid von Patienten mit einem Sterbewunsch von großem öffentlichem Interesse. Ripamonti et al. [12] stellten sich da-her die Frage, ob eine kontinuierliche Betreuung der Symptome sowie eine psychosoziale Betreuung das Risiko des Selbstmords von terminalen Tumorpatienten senken können. Sie berichten, dass von insgesamt 17.964 Patienten 5 Suizid begingen; hierunter 2 Männer und 3 Frauen.

Welche Faktoren können für die Entwicklung eines Sterbewunsches ursächlich sein?

In der internationalen Fachliteratur finden sich eher homogene Hinweise darauf, dass psychologische und psychosoziale Gründe häufiger entscheidende Auslöser für den Sterbewunsch von Patienten dar-stellen als physisch-funktionelle Probleme und Symptome [13].

Schroepfer et al. [14] fanden 6 Gedankenkonstrukte, die terminal Kranke in ihren Erwägungen eines schnellen Todes berücksichtigten:Fnicht willens zu sterben, aber akzeptierend,

Patienten mit Interesse an assistier-tem Suizid hatten im Vergleich zu den Uninteressierten eine größere Angst davor, anderen zur Last zu fallen

Patienten mit Interesse an assistier-tem Suizid hatten im Vergleich zu den Uninteressierten eine größere Angst davor, anderen zur Last zu fallen

7Schedule of Attitudes towards Hastened Death (SAHD)

7Schedule of Attitudes towards Hastened Death (SAHD)

7Risiko für einen Suizid7Risiko für einen Suizid

Psychologische und psychosoziale Gründe sind häufiger Auslöser für den Sterbewunsch von Patienten als physisch-funktionelle Probleme und Symptome

Psychologische und psychosoziale Gründe sind häufiger Auslöser für den Sterbewunsch von Patienten als physisch-funktionelle Probleme und Symptome

180 |  Der Schmerz 2 · 2010

Page 5: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

Fwillens zu sterben und akzeptierend,Fwillens zu sterben,Fakzeptierend und wünschend, der Tod möge kommen,Feinen schnellen Tod in Erwägung ziehend, ohne dafür einen Plan zu haben,Feinen schnellen Tod in Erwägung ziehend mit einem Plan.

Kelly et al. [15] befragten 72 Patienten mit einem Wunsch nach vorzeitigem Tod und fanden Ten-denzen hin zu einem höheren Ausmaß an Sorge um körperliche Symptome und seelischem Leiden (Depression), einer Wahrnehmung ihrer selbst als Last für andere, höherer Demoralisation, weniger Zuversicht in die Symptomkontrolle, weniger sozialer Unterstützung, weniger Zufriedenheit mit der Lebenserfahrung und weniger religiösem Glaube im Vergleich zu Patienten mit einem moderaten oder geringen Sterbewunsch. Auch bei Mak et al. [16] waren psychosoziale Faktoren wie die Erkennt-nis der Realität (Unheilbarkeit, Hoffnungslosigkeit), die Wahrnehmung von Leiden der eigenen und anderer Personen, die Antizipation einer Zukunft schlechter als der Tod selbst durch Leidensbilder, der Wunsch nach guter Fürsorge am Ende des Lebens und eine stützende Umwelt im Sinne von Per-sonen, die sich in Sorge, Respekt und Verbundenheit auszeichnen, wesentliche Gründe für den Ster-bewunsch von Palliativpatienten in Hongkong.

Hudson et al. [17] recherchierten im Rahmen einer systematischen Literaturarbeit Gründe für den Wunsch nach einem vorzeitigen Tod bei Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen und betrachteten klinische Richtlinien zu Antwortstrategien für Behandler auf solche Patientenwün-sche. Die häufigsten in der Literatur berichteten Gründe für die Äußerung des Sterbewunsches sind: FBelastung für andere,FVerlust an Autonomie,Fphysische Symptome,FDepression und Hoffnungslosigkeit sowieFexistenzielle Beunruhigung und Zukunftsangst.

Diese Gründe wurden mit der Interpretation von Angehörigen und Behandlern mit hoher Über-einstimmung abgeglichen. Psychosoziale und existenzielle Faktoren scheinen daher höher ins Ge-wicht zu fallen.

Inwiefern kann die Entwicklung eines Sterbewunsches durch Depressionen erklärt werden?

Seit nun fast 2 Jahrzehnten werden klinisch bedeutsame psychische Symptome wie Angst und De-pressionen als korrelierende Faktoren mit dem Patientenwunsch nach einem vorzeitigen Tod unter-sucht. Im Überblick über den aktuellen Literaturstand zeichnen sich Depressionen als bedeutende Einflussvariable des Sterbewunsches ab.

Breitbart et al. [11] zeigten in einer Fragebogenstudie zum Sterbewunsch, dass 16% der befragten Tumorpatienten eine Major-Depression hatten. Der Wunsch korrelierte hoch signifikant mit der Di-agnose einer klinischen Depression, der depressiven Symptomschwere und Hoffnungslosigkeit, wäh-rend soziale Unterstützung und physische Funktionsfähigkeit einen geringeren, aber signifikanten Zusammenhang aufwiesen. Auch bei Chochinov et al. [10] korrelierte der Wunsch nach dem Tod neben der Schmerzstärke und geringer Unterstützung der Familie am stärksten mit der Depressi-onsstärke. Tendenzen hin zu einem höheren Ausmaß an Sorge um körperliche Symptome und see-lischem Leiden (Depression) werden ebenfalls von Kelly et al. [15] in Patienteninterviews zum Ster-bewunsch gefunden. Diesen Ergebnissen entsprechend, hatte die Verbesserung der Depression ei-ne Minderung des Wunsches nach dem Tod in einer amerikanischen Studie von O’Mahony zur Fol-ge [18].

Entgegen dieser einheitlichen Befunde findet sich eine Studie, in der kein Zusammenhang des Sterbewunsches mit Depression bestätigt werden konnte. Zwar unterstützte die Mehrzahl der Pa-tienten Euthanasie in bestimmten Situationen, es wurde aber kein direkter Zusammenhang mit Schmerzen, Übelkeit, Wohlbefinden, Appetitverlust oder Depressionen beobachtet [19].

Depression ist eine bedeutende Ein-flussvariable des SterbewunschesDepression ist eine bedeutende Ein-flussvariable des Sterbewunsches

181Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 6: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

Welche kommunikativen Funktionen kann dieser Wunsch haben?

Entgegen der Idee, dass der geäußerte Sterbewunsch zwangsläufig eine direktive Aufforderung zur Sterbehilfe bedeutet, scheinen diese Patientenwünsche weitaus mehr und v. a. facettenreiche kom-munikative Funktionen zu haben, die für den Umgang mit Patienten im klinischen Alltag besonders aufschlussreich sind.

Coyle et al. [20] publizierten Interviewergebnisse von 7 Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkran-kungen, die den Wunsch nach einem vorzeitigen Tod geäußert hatten. Sie stellten fest, dass die Äuße-rung des Wunsches ein Kommunikationsmittel mit weiteren Funktionen und Bedeutungen darstellt, aber nicht notwendiger Weise eine direkte Aufforderung ist. Diese Wünsche bekämen erst im Kontext der aktuellen Situation, der Lebensgeschichte und der Erfahrungswerte der betroffenen Person Bedeu-tung. Der Wunsch des Patienten kann unterschiedliche inhaltliche Bedeutungen wiedergeben:FManifestation des Lebenswillens,FAusdruck eines schweren Sterbeprozesses, sodass das frühere Sterben vorgezogen wird,Feine dringende, nicht zu tolerierende Situation, der eine sofortige Handlung folgen muss,Fein vorzeitiger Tod könne den Patienten aus einer spezifischen und unerträglichen Situation

herausziehen,FManifestation der letzten Kontrollmöglichkeit durch das Herbeiführen des Todes,FAufmerksamkeit auf sich als einzigartiges Individuum lenken,FGeste des Altruismus,FVersuch der Manipulation der Familie, das Verlassenwerden zu verhindern, undFein verzweifelter Ruf, um die Misere der aktuellen Situation darzustellen.

Ähnlich wurden von Mak et al. [16] folgende Aspekte des Wunsches nach Sterbehilfe von Tumor-patienten beschrieben:Fdie Erkenntnis der Realität (Unheilbarkeit, Hoffnungslosigkeit),Fdie Wahrnehmung von Leiden der eigenen und anderer Personen,Fdie Antizipation einer Zukunft schlechter als der Tod selbst durch Leidensbilder,Fder Wunsch nach guter Fürsorge am Ende des Lebens undFeine stützende Umwelt im Sinne von Personen, die sich in Sorge, Respekt und Verbundenheit

auszeichnen.

Die Autoren stützten die Idee, den Wunsch nach Euthanasie von Patienten nicht nur als direktive Aussage zu verstehen, sondern im Gespräch verdeckte Appelle zu erkennen und adäquat auf Ängs-te und Wünsche zu reagieren.

Hudson et al. [17] recherchierten im Rahmen einer systematischen Literaturarbeit Gründe für den Wunsch nach einem vorzeitigen Tod bei Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen und ordne-ten Patientenaussagen in 4 kommunikative Funktionen ein:FAusdruck von Gefühlen und aktuelle Reaktion auf die Umstände,FKommunikation von Verzweiflung und Leiden und/oder Kommunikation zur Explorierung

von Maßnahmen zur Linderung,FSuche nach Informationen über Suizid und Euthanasie als Antwort sowieFeine spezifische Suche nach aktiver Sterbehilfe durch Professionelle oder die Bestätigung der

Suizidabsicht.

Ist der Sterbewunsch von unheilbar erkrankten Patienten zeitlich stabil?

Die Frage nach der Veränderlichkeit des Lebenswillens bzw. Sterbewunsches fand besondere Auf-merksamkeit. Chochinov et al. [21] untersuchten anhand von selbst berichteten Ratings auf 100 mm visuellen Analogskalen von den Extremen „voller Lebenswille“ bis zu „kein Lebenswille“ und des Ed-monton Symptom Assessment Systems, ob der Lebenswille von 168 teilnehmenden Palliativpatienten zeitlich stabil war. Zu Erhebungszeitpunkten von 2-mal täglich während des stationären Aufenthalts und 12 h, 24 h, 7 und 30 Tage nach Entlassung wurde hier jeweils gemessen, zu welchem Grad der Lebenswille sich mit dem nahenden Tod des Patienten verändert. Insgesamt betrugen Schwankungen des Ratings im Median weniger als 10 Punkte über alle Messzeitpunkte hinweg, während die maxi-malen durchschnittlichen Schwankungen der einzelnen Personen bei 33–68 mm mit zunehmendem

Im Gespräch über den Wunsch nach Sterben müssen verdeckte Appelle  erkannt werden, um adäquat auf Ängste und Wünsche zu reagieren

Im Gespräch über den Wunsch nach Sterben müssen verdeckte Appelle  erkannt werden, um adäquat auf Ängste und Wünsche zu reagieren

182 |  Der Schmerz 2 · 2010

Page 7: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

Abstand der Messzeitpunkte lagen. Dies wurde durch den fortschreitend nahenden Tod erklärt. Ma-ximale Abweichungen von 100 mm bei einzelnen Patienten im Vergleich zu vorherigen Messungen zeigten deutlich, dass der Lebenswille höchst instabil ist.

Auch solche Patienten, die aktive Sterbehilfe für sich selber ernsthaft in Betracht zogen, verän-derten ihren Sterbewunsch im Verlauf der Zeit. Im Besonderen unterlagen Patienten mit einer de-pressiven Symptomatik bedeutsamen Schwankungen in ihrem Sterbewunsch [22].

Welche Messinstrumente konnten im Kontext des Sterbewunsches entwickelt und mit welchen Resultaten angewendet werden?

Zur Objektivierung und Diagnostik eines Sterbewunsches bei Palliativpatienten galt auch die Ent-wicklung und Validierung von Messinstrumenten als wichtiges Ziel der internationalen Forschungs-bemühungen. Die Schedule of Attitudes Toward Hastened Death (SAHD) ist ein Instrument mit einer Selbsteinschätzung des Patienten, bestehend aus 20 Items zur Messung des Wunsches von Patienten nach einem vorzeitigen Tod. In der Validierung des Fragebogens an 92 unheilbar kranken Krebspa-tienten ergaben sich u. a. signifikant hohe Korrelationen der SAHD und der Desire for Death Rating Scale (DDRS: r=0,67), der Hamilton Depression Rating Scale (HDRS: r=0,49) und der Becks Hope-lessness Scale (BHS: r=0,55), sodass davon auszugehen ist, dass es sich um ein reliables Messinstru-ment handelt. Die Testung von Patienten mit Nichttumorerkrankungen, wie z. B. Aids, lässt auf eine valide Anwendung auf weitere Patientengruppen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen schließen [23]. Eine deutsche Fassung des Messinstrumentes wird zurzeit von der Arbeitsgruppe Voltz et al. [24] erstellt.

Durch welche Merkmale zeichnen sich Patienten mit einem hohen Sterbewunsch aus?

In einer australischen Interviewstudie von Owen et al. [25] zeigte sich unter 100 Tumorpatienten, dass der Wunsch nach Suizid in Gruppen mit jungen Patienten, bei Patienten mit einer psychia-trischen Vergangenheit und bei solchen, die Erfahrung mit 7Patientenautonomie gemacht hat-ten, stärker verbreitert war.

Filiberti et al. identifizierten in einer psychologischen Autopsiestudie Vulnerabilitätsfaktoren bei 5 Tumorpatienten in Italien, die letztlich Suizid begangen haben. Alle Patienten teilten die Sorge über Autonomie- und Unabhängigkeitsverlust. Vier Patienten zeigten funktionelle und physische Behin-derungen, unkontrollierbare Schmerzen, Bewusstsein für das terminale Stadium und milde bis mo-derate Depressionen. Aufgrund ihres klinischen Zustands fühlten sie sich hoffnungslos, hatten Angst davor, zu leiden und für andere eine Belastung zu sein. Allen waren ein starker Charakter und ein ehemaliger betriebswirtschaftlicher Beruf gemeinsam. Sie hatten sich von ihren Mitmenschen dis-tanziert und vorher offen über Selbstmordgedanken gesprochen [26].

Wie stehen Ärzte zu der Legalisierung von Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid?

In einer anonymen Fragebogenuntersuchung von Müller-Busch et al. [27] wurden Ärzte zu ihren Vor-stellungen von Behandlungen von Patienten am Lebensende und der Legalisierung von lebenbeen-denden Maßnahmen befragt. Unter allen Teilnehmern waren 90% gegen Euthanasie, 75% gegen den ärztlich assistierten Suizid und sogar 94% gegen den ärztlich assistierten Suizid bei psychiatrischen Pa-tienten. Im Hinblick auf die Befürchtung, dass ärztlich assistierter Suizid und freiwillige Euthanasie für den Patienten, die Angehörigen und das betreuende Team eine Doppelmoral bedeuten könnten, for-dern Pugno et al. [28], dass mehr Wert auf die humane Gestaltung von Behandlungen am Lebensende gelegt werden sollte, anstatt über Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid zu diskutieren.

Wie hoch ist die Bereitschaft zur Durchführung des ärztlich assistierten Suizids und  aktiver Sterbehilfe bei Ärzten und wovon kann die Befürwortung bzw. Ablehnung  abhängen?

Unabhängig von gesetzlichen Regelungen zur Sterbehilfe wird häufig die Bereitschaft von Ärzten zur Durchführung lebenbeendender Maßnahmen untersucht. Damit verknüpft sind Beweggründe der Befürwortung bzw. Ablehnung in der Entscheidungsfindung im Einzelfall besonders bedeutend.

Besonders Patienten mit einer de-pressiven Symptomatik haben be-deutsame Schwankungen in ihrem Sterbewunsch

Besonders Patienten mit einer de-pressiven Symptomatik haben be-deutsame Schwankungen in ihrem Sterbewunsch

7Patientenautonomie7Patientenautonomie

183Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 8: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

In einer niederländischen Interviewstudie von Rurup et al. [29] mit 125 Allgemeinmedizinern, 77 Pflegeheimärzten und 208 klinischen Spezialisten wurde erarbeitet, wie oft es zum Wunsch nach Euthanasie und ärztlich assistiertem Suizid bei Nichtvorliegen einer ernsthaften Krankheit kommt und wie mit diesem Wunsch umgegangen wird. Die meisten Ärzte verweigerten die Erfüllung die-ser Wünsche bei Nichtvorliegen einer ernsthaften Krankheit, obwohl die Patienten darauf bestanden. Die Autoren merken an, dass für die älteren Bevölkerungsgruppen eine Notwendigkeit bestünde zu untersuchen, wie Ärzte Selbstmord verhindern und Lebensqualität verbessern können.

Sulmasy et al. [30] ermittelten allerdings, dass in einer Befragung von Internisten in den USA 67% der Teilnehmer angaben, dem Sterbewunsch der in Fallvignetten vorgestellten schwerstkranken Pa-tienten nachzugeben und sie zu unterstützen.

Um ein besseres Verständnis für die Einstellungen und Praktiken von Ärzten zur Euthanasie und dem ärztlich assistierten Suizid in der Pflege am Lebensende zu bekommen, befragten Emanuel et al. [31] Onkologen in den USA zu ihren Wahrnehmungen: 22,5% der Teilnehmer unterstützen den Gebrauch von ärztlich assistiertem Suizid bei unheilbar kranken Patienten mit unkontrollierbaren Schmerzen, und 6,5% befürworteten Euthanasie. Onkologen hingegen, die schon einmal die Mor-phindosis bei weit fortgeschrittenen oder sterbenden Krebspatienten heraufgesetzt hatten und noch genügend Zeit hatten, bei diesem Prozess mit den Kranken über Belange am Lebensende zu spre-chen, tendierten dazu, beide lebenbeendenden Maßnahmen nicht so klar zu befürworten. Onkolo-gen, die angegeben hatten, nicht im Stande zu sein, sich um alle Belange eines sterbenden Patienten kümmern zu können, neigten dazu, Euthanasie zu befürworten [31].

Welche Erfahrungen gibt es mit ärztlich assistiertem Suizid und Euthanasie im Ausland?

Der internationale Vergleich der gesetzlichen Regelungen zu aktiver Sterbehilfe bzw. ärztlicher Hil-fe zum Suizid zeigt eine 7heterogene Situation [32]. In den Niederlanden, der Schweiz und Bel-gien sowie Teilgebieten von Australien und den USA wurden in den letzten Jahren gesetzliche Re-gelungen zur aktiven Sterbehilfe und ärztlichen Hilfe zum Suizid eingeführt. Diese Regelungen sind jedoch sehr unterschiedlich [33]. Das Spektrum der Betrachtungsweisen in der Literatur reicht von kritischen ethischen Diskussionen und rechtlichen Differenzierungen von Formen der Sterbehilfe, gesellschaftlichen Perspektiven des Wandels [34] über die Abgrenzung von Euthanasie und assistier-tem Suizid vom Aufgabenbereich der Palliativmedizin [2] bis hin zu religiös-philosophischen Per-spektiven zu Fragen moralischer Regelwerke über einen „schönen Tod“ [35].

In einer Fallstudie über die ersten 9 Monate der Ausübung des ärztlich assistierten Suizids im nördlichen Teil Australiens berichten Kissane et al. [36] über 7 Tumorpatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, von denen ein Teil sozial isoliert war und an Depressionen litt. Obwohl sie die Kriterien für Euthanasie erfüllten, revidierten manche dieser Patienten ihre Entscheidung. Vonseiten der Ärzte gingen die Meinungen über die Natur terminaler Erkrankung auseinander.

Im amerikanischen Oregon wurden 9 Menschen interviewt, die im zweiten Jahr der legalisierten passiven Sterbehilfe in Oregon durch die Einnahme von für diesen Zweck verordneten Medikamen-ten verstorben sind. Sie waren laut Selbstberichten durch ihren Verlust an Autonomie, an Kontrol-le über Körperfunktionen, von Lebensqualität und ihren Wunsch nach Bestimmung des Todeszeit-punktes zu diesem Schritt motiviert, was die Autoren mit Fremdeinschätzungen durch Nahestehen-de und behandelnde Ärzte abgleichen konnten [37].

In den Niederlanden wurden 405 Ärzte gebeten, Fälle eines vor Kurzem zugesicherten und zu-rückgewiesenen ärztlich assistierten Suizids zu beschreiben. Die Anfragen von Patienten, die zurück-gewiesen wurden, stammten öfter von Frauen, Patienten älter als 80 Jahre, Patienten mit Depressi-onen und von Patienten mit einer Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten und weniger oft von Krebspatienten. Als Gründe für den Wunsch nach Euthanasie wurde bei 42% Angst vor dem Verlust der Menschenwürde und bei 56% Angst vor hoffnungslosem Leiden angegeben [38].

Welche Einstellungen haben Patienten zur Euthanasie und zum ärztlich assistierten Suizid?

Nicht nur die Sichtweisen von Behandlern zu Gesetzesentwürfen zur Legalisierung des ärztlich as-sistierten Suizids und zu Euthanasie sind in diesem Zusammenhang wichtig, sondern auch die per-

7Heterogene Situation7Heterogene Situation

184 |  Der Schmerz 2 · 2010

Page 9: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

sönliche Haltung von unheilbar erkrankten Krebspatienten zu dieser Option. Interviews mit 70 Pati-enten in Kanada zeigten, dass die meisten Patienten angaben, dass der ärztlich assistierte Suizid und Euthanasie legalisiert werden sollten. Gründe der Patienten zur Rechtfertigung der Legalisierung wa-ren hier u. a. furchtbare Schmerzen und das Recht zur Selbstbestimmung. Patienten, die gegen eine Legalisierung stimmten, benannten religiöse oder moralische Zweifel [39].

In der Kommunikation von 7End-of-Life-Vorstellungen und Wünschen von Tumorpatienten konnten Leppert et al. [40] folgende Ideen ermitteln:F75% der 272 Befragten wünschten zu Hause und 90% in Anwesenheit der Familie zu sterben,Fdie Wahrung ihres autonomen Willens undFpartnerschaftliche Entscheidungsfindungen mit Ärzten insbesondere am Lebensende.

Patienten nahmen an ihrem Lebensende keine wesentliche Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe vor. Sie beschäftigten sich eher mit den Abwägungen von Fremd- vs. Selbstbe-stimmung.

Welche Merkmale in der Arzt-Patient Beziehung können in einem Zusammenhang mit dem Sterbewunsch stehen?

Besondere Bemühungen um Merkmale der Interaktion zwischen Ärzten und Patienten, die mit einem Sterbewunsch in Verbindung stehen können, wurden von der Arbeitsgruppe Kelly et al. [41] in Australien unternommen. Sie konnten aufgrund ihrer Arbeiten 3 patienten- und 4 arztbezogene Merkmale zur Vorhersage des Sterbewunsches von Patienten in ein Model integrieren, das 81% aller Patienten richtig nach hohem vs. niedrigem Sterbewunsch klassifiziert. Einbezogen wurden die pa-tientenzentrierten Faktoren „Score depressiver Symptome“, „Ausmaß der wahrgenommenen Belas-tung für andere“ und „Niveau des Zusammenhalts in der Familie“ sowie die arztzentrierten Faktoren „stärkere wahrgenommene Ernsthaftigkeit des emotionalen Leidens“, „niedrigerer wahrgenommener Optimismus“, „Zustimmung des Arztes zur Sterbehilfe, wenn erfragt und legal“ und „Bericht des Arztes über wenig Übung in Psychotherapie“. Unzufriedenheit mit der Fürsorge um emotionale Be-lange des Patienten berichten mehr Ärzte aus der Patientengruppe mit hohem Sterbewunsch, wäh-rend die Frage nach dem Profit aus einer palliativmedizinischen Behandlung in dieser Gruppe we-niger häufig berichtet wurde. Die realistische Einschätzung der Erkrankung als mindernder Faktor an die Erwartungen an den Behandler wird in der Gruppe der Patienten mit hohem Sterbewunsch nicht benannt, während der Einfluss einer langwierigen Erkrankung in dieser Gruppe vorrangiger war. Interessanterweise waren sich Ärzte von Patienten mit hohem Sterbewunsch weniger sicher und kundig über deren Einstellung zum Sterbewunsch. Diese in der Beziehung und Interaktion liegenden Faktoren stellen daher im Sinne der weiteren Erforschung und praktischen Bewältigung des Sterbe-wunsches von Patienten eine große Herausforderung dar [42].

Unter welchen Bedingungen erfolgen Fremdanfragen von Angehörigen nach Sterbehilfe?

In mehreren Studien wurde auch der Umstand beleuchtet, dass das Gesuch um Sterbehilfe nicht im-mer von den betroffenen Patienten selber, sondern von Angehörigen an professionelle Helfer he-rangetragen wird. Hier sollte v. a. geklärt werden, welche Gründe für die Bitte um Sterbehilfe ange-führt wurden.

Ahronheim et al. [43] analysieren 111 telefonische Fremdanfragen bezüglich Sterbehilfe aus ei-ner Datenbank einer Beratungsstelle in den USA: 64% der Anrufe wurden nicht von den betref-fenden Patienten/innen selber, sondern von Familienmitgliedern (47%), Freunden (13%) und pro-fessionellen Helfern (7%) getätigt. Die häufigsten vorliegenden Grunderkrankungen dieser 111 be-troffenen Patienten waren Krebs (25%), HIV/Aids (10%) bzw. ALS (9%). Es hieß, 25% der Patienten/innen seien selber nicht dazu in der Lage, ihren Wunsch zu äußern, und bei weiteren 10% bestün-den Unsicherheiten über die Kommunikationsfähigkeit. In einer weiteren amerikanischen Umfrage wurden 73 Sozialarbeiter in Hospizen zu Patienten oder Angehörigen, die den Wunsch nach einem schnellen Tod äußern, befragt. In insgesamt 54 Fällen baten Patienten und/oder Familienangehörige im Hospiz um die Beschleunigung des Todes; 56,2% der Angestellten erfuhren diesen Wunsch von einem Patienten, 26,1% von einem Familienangehörigen. In 70,4% der Fälle war eine Krebsdiagnose

Die meisten Patienten geben an, dass der ärztlich assistierte Suizid und  Euthanasie legalisiert werden sollten

Die meisten Patienten geben an, dass der ärztlich assistierte Suizid und  Euthanasie legalisiert werden sollten

7End-of-Life-Vorstellungen7End-of-Life-Vorstellungen

Ärzte von Patienten mit hohem Ster-bewunsch waren weniger sicher über deren Einstellung zum Sterbewunsch

Ärzte von Patienten mit hohem Ster-bewunsch waren weniger sicher über deren Einstellung zum Sterbewunsch

185Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 10: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

vordergründig; auch geminderte Lebensqualität (28,3%), Leid (28,3%) und der Wunsch nach Kon-trolle (24,5%) wurden ursächlich für den Sterbewunsch benannt. Den Sterbewunsch selber führ-ten Sozialarbeiter auf unbefriedigte Bedürfnisse der Patienten zurück. Die Autoren diskutieren ei-ne adäquatere Fürsorge durch offene Kommunikation über Gedanken und Gefühle über den Tod und das Sterben zur Umsetzung von Zielen, zum Abbau von Barrieren und zur Besserung des Out-comes der Patienten [44].

Wie können Behandler mit solchen Wünschen umgehen?

Trotz der vielschichtigen Gründe und kommunikativen Funktionen des Sterbewunsches, herrscht Einigkeit in den Empfehlungen zum Umgang mit den Betroffenen.

Von den theoretisch denkbaren HandlungsoptionenFZurückweisen des Wunsches,Ftaktvolles Untersagen,FAusgabe von Medikamenten, die den Tod beschleunigen könnten oderFdirekte Hilfestellung beim Sterben

rufen die letzten beiden Optionen Schuldgefühle bei amerikanischen Krankenschwestern hervor, weil sie glaubten, den Tod damit beschleunigt zu haben [45].

In erster Linie gilt es, allen Patienten ausreichend Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, um nicht seltene gedankliche Beschäftigungen mit Ideen des Lebensendes zu bemerken und darin inbegriffen auch Ideen zur Beschleunigung des Todes wahrzunehmen. Anstatt den Sterbewunsch im Gespräch zu isolieren, sollte eine ganz bewusste Kommunikation darüber erfolgen [44, 46]. Klinischen Erfah-rungen nach können und wollen Patienten z. B. auf der Palliativstation über Sterbehilfe und assistier-ten Suizid sprechen, auch wenn Palliativmediziner klar zwischen der Palliativversorgung und aktiver Sterbehilfe bzw. assistiertem Suizid unterscheiden.

In vielen Fällen der Äußerung eines Sterbewunsches mit der Bitte um Hilfe darf der Wunsch nicht als reine Handlungsanweisung verstanden werden, da die vielschichtigen Botschaften und Hinter-gründe, wie z. B. Angst vor antizipiertem Leiden in der Zukunft, andere Appelle beinhalten kön-nen.

Entsprechend dieser 7versteckten Appelle sollten vielmehr Alternativen aufgezeigt und disku-tiert werden, die dem Patienten das Erleben des natürlichen Todes ermöglichen könnten. Allem vor-an steht hier die angemessene Symptomkontrolle [47], die palliative Sedierung als Ultima Ratio [48] sowie Optionen der Therapiereduktion und des -abbruchs. Ergebnisse aus einer laufenden Studie zeigen deutlich, dass betroffene Patienten neben medizinischer Fachkompetenz und professioneller Behandlung v. a. offene, ehrliche Gespräche erwarten, Hoffnung gemacht bekommen und ernst ge-nommen werden wollen, und das Entwickeln von Alternativen zur Sterbehilfe im Mittelpunkt der Erwartungen stand [49].

Dennoch werden diese Handlungsoptionen bei wenigen Patienten mit einem Sterbewunsch nicht ausreichend helfen. Hier ist die Palliativmedizin aufgefordert, nach adäquaten Lösungen und neu-en Interventionen zu suchen, wie dies etwa im 7„Dying-with-Dignity-Gedanken“ von Chochinov et al. [50] verankert wurde. Für die Betreuung dieser Patienten sollten sich professionelle Helfer aller Berufsgruppen genügend Zeit nehmen sowie reichlich Energie und Teamarbeit einplanen, da diese Begleitungen herausfordernd, belastend, aber besonders wichtig sind.

Anstatt den Sterbewunsch im  Gespräch zu isolieren, sollte eine ganz bewusste Kommunikation darüber erfolgen

Anstatt den Sterbewunsch im  Gespräch zu isolieren, sollte eine ganz bewusste Kommunikation darüber erfolgen

7Versteckte Appelle7Versteckte Appelle

7„Dying-with-Dignity-Gedanken“7„Dying-with-Dignity-Gedanken“

KorrespondenzadresseDipl. Psych. S. StielKlinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum der RWTH AachenPauwelsstr. 30, 52074 [email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

186 |  Der Schmerz 2 · 2010

Page 11: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

  1.  Saunders C (ed) (1967) The manage-ment of terminal illness. Hospital Medicine Publication, London

  2.  Materstvedt LJ et al (2003) Euthana-sia and physician-assisted suicide: a view from an EAPC Ethics Task Force. Palliat Med 17(2):97–101, discussion 102–179

  3.  Deutscher Juristentag, Beschlüs-se (2006) http://www.djt.de/files/djt/66/66_DJT_Beschluesse.pdf. Ab-rufdatum: 14.12.2009. cited 2010 February

  4.  Hahnen M, Pastrana T, Stiel S et al (2009) Die Sterbehilfedebatte und das Bild der Palliativmedizin in deutschen Printmedien. Ethik Med 21:289–305

  5.  Nationaler Ethikrat (2010) Selbstbe-stimmung und Fürsorge am Lebens-ende, Stellungnahme. cited February

  6.  Van den Block L et al (2009) Euthana-sia and other end-of-life decisions: a mortality follow-back study in Belgi-um. BMC Public Health 9:79

  7.  Heide A van der et al (2007) End-of-life practices in the Netherlands un-der the Euthanasia Act. N Engl J Med 356(19):1957–1965

  8.  Watson R (2009) Luxembourg is to allow euthanasia from 1 April. BMJ 338:b1248

  9.  Ganzini L, Silveira MJ, Johnston WS (2002) Predictors and correlates of interest in assisted suicide in the fi-nal month of life among ALS pati-ents in Oregon and Washington. J Pain Symptom Manage 24(3):312–317

10.  Chochinov HM et al (1995) Desire for death in the terminally ill. Am J Psychiatry 152(8):1185–1191

11.  Breitbart W et al (2000) Depressi-on, hopelessness, and desire for has-tened death in terminally ill patients with cancer. JAMA 284(22):2907–2911

12.  Ripamonti C et al (1999) Suicide among patients with cancer cared for at home by palliative-care teams. Lancet 354(9193):1877–1878

13.  Breitbart W, Rosenfeld BD (1999) Physician-assisted suicide: the influ-ence of psychosocial issues. Cancer Control 6(2):146–161

14.  Schroepfer TA (2006) Mind frames towards dying and factors moti-vating their adoption by terminally ill elders. J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci 61(3):S129–S139

15.  Kelly B et al (2002) Terminally ill can-cer patients‘ wish to hasten death. Palliat Med 16(4):339–345

16.  Mak YY, Elwyn G (2005) Voices of the terminally ill: uncovering the mea-ning of desire for euthanasia. Palliat Med 19(4):343–350

17.  Hudson PL et al (2006) Responding to desire to die statements from pa-tients with advanced disease: recom-mendations for health professionals. Palliat Med 20(7):703–710

18.  O’Mahony S et al (2005) Desire for hastened death, cancer pain and de-pression: report of a longitudinal ob-servational study. J Pain Symptom Manage 29(5):446–457

19.  Suarez-Almazor ME et al (2002) Atti-tudes of terminally ill cancer patients about euthanasia and assisted sui-cide: predominance of psychosocial determinants and beliefs over symp-tom distress and subsequent survi-val. J Clin Oncol 20(8):2134–141

20.  Coyle N, Sculco L (2004) Expressed desire for hastened death in seven patients living with advanced can-cer: a phenomenologic inquiry. On-col Nurs Forum 31(4):699–709

21.  Chochinov HM et al (1999) Will to live in the terminally ill. Lancet 354(9181):816–819

22.  Emanuel EJ, Fairclough DL, Emanu-el LL (2000) Attitudes and desires re-lated to euthanasia and physician-assisted suicide among terminally ill patients and their caregivers. JAMA 284(19):2460–2468

23.  Rosenfeld B et al (2000) The sche-dule of attitudes toward hastened death: measuring desire for death in terminally ill cancer patients. Cancer 88(12):2868–2875

24.  Voltz R et al (2009) End-of-life re-search on patients‘ attitudes in Ger-many: a feasibility study. Support Ca-re Cancer (in press)

25.  Owen C et al (1994) Cancer patients‘ attitudes to final events in life: wish for death, attitudes to cessation of treatment, suicide and euthanasia. Psychooncology 3:1–9

26.  Farber SJ et al (2003) Issues in end-of-life care: patient, caregiver, and clinician perceptions. J Palliat Med 6(1):19–31

27.  Muller-Busch HC et al (2004) Atti-tudes on euthanasia, physician-as-sisted suicide and terminal seda-tion – a survey of the members of the German Association for Palliati-ve Medicine. Med Health Care Philos 7(3):333–339

28.  Pugno PA (2004) One physician’s per-spective: euthanasia and physician-assisted suicide. Health Care Anal 12(3):215–223

29.  Rurup ML et al (2005) Requests for euthanasia or physician-assisted sui-cide from older persons who do not have a severe disease: an interview study. Psychol Med 35(5):665–671

30.  Sulmasy DP et al (1998) Physician re-source use and willingness to parti-cipate in assisted suicide. Arch Intern Med 158(9):974–978

31.  Emanuel EJ et al (2000) Attitudes and practices of U.S. oncologists re-garding euthanasia and physician-assisted suicide. Ann Intern Med 133(7):527–532

32.  Klinkhammer G (2009) http://www.aerzteblatt.de/v4/dossiers/dossier.asp?id=8. cited 2010 February

33.  Sohn W, Befort PA (2001) Euthana-sia in Europe: national laws, medical guidelines, ethical aspects. Schattau-er, Stuttgart

34.  Gahl K (2007) Über ärztliche Sterbe-hilfe. Balint, Vol. 8, S 2–8

35.  Smith HL (1988) Dying with style. Anglican Theol Rev 70(4):327–345

36.  Kissane DW, Street A, Nitschke P (1998) Seven deaths in Darwin: case studies under the Rights of the Ter-minally Ill Act, Northern Territory, Australia. Lancet 352(9134):1097–1102

37.  Sullivan AD, Hedberg K, Fleming DW (2000) Legalized physician-assisted suicide in Oregon–the second year. N Engl J Med 342(8):598–604

38.  Haverkate I et al (2000) Refused and granted requests for euthanasia and assisted suicide in the Netherlands: interview study with structured questionnaire. BMJ 321(7265):865–866

39.  Wilson KG et al (2000) Attitudes of terminally ill patients toward eutha-nasia and physician-assisted suicide. Arch Intern Med 160(16):2454–2460

40.  Leppert K et al (2005) Between self-determination and role abdication: opinions about euthanasia – results of a study of Thuringians palliative tumour patients. Psychother Psycho-som Med Psychol 55(6):291–297

41.  Kelly BJ et al (2004) Associati-on between clinician factors and a patient’s wish to hasten death: ter-minally ill cancer patients and their doctors. Psychosomatics 45(4):311–318

42.  Kelly B et al (2003) Doctors and their patients: a context for understan-ding the wish to hasten death. Psy-chooncology 12(4):375–384

43.  Ahronheim JC, Davol SB (1999) Pur-suit of assisted dying: a pilot study of inquiries made to a national con-sumer-based organization. J Pain Symptom Manage 18(6):401–405

44.  Arnold EM et al (2004) Considerati-on of hastening death among hospi-ce patients and their families. J Pain Symptom Manage 27(6):523–532

45.  Schwarz JK (2004) Responding to persistent requests for assistance in dying: a phenomenological inquiry. Int J Palliat Nurs 10(5):225–235, dis-cussion 235

46.  Kohlwes RJ et al (2001) Physicians‘ responses to patients‘ requests for physician-assisted suicide. Arch In-tern Med 161(5):657–663

47.  Muskin PR (1998) The request to die: role for a psychodynamic perspec-tive on physician-assisted suicide. JAMA 279(4):323–328

48.  Morita T (2004) Palliative sedation to relieve psycho-existential suffe-ring of terminally ill cancer patients. J Pain Symptom Manage 28(5):445–450

49.  Radbruch L, Stiel S, Nauck F et al (2008) Das Lebensende gestalten. Z Palliativmed 9(1):27–32

50.  Chochinov HM (2002) Dignity-con-serving care–a new model for pallia-tive care: helping the patient feel va-lued. JAMA 287(17):2253–2260

Literatur

187Der Schmerz 2 · 2010  | 

Page 12: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

D Mitmachen, weiterbilden und CME-Punkte sichern durch die Beantwortung der Fragen im Internet unter CME.springer.de

CME-�ragebogen

Eine 62-jährige Patientin mit metastasiertem Ovarialkarzi-nom und Ileusproblematik mit massiver Übelkeit und Erbre-chen wurde über ihre schlechte Prognose aufgeklärt und bittet Sie 2 Tage später um eine Spritze, damit sie am nächsten Tag nicht mehr aufwachen müsse. Was tun Sie als betreu-ender Arzt?  Ich ziehe einen Psychiater  

beratend hinzu und verordne eine antidepressive Therapie.

 Ich erkläre der Patientin in  aller Klarheit, dass Sterbehilfe  in Deutschland verboten ist, und verweise auf Optionen im europäischen Ausland.

 Ich frage die Patientin, ob sie sich eindeutig von Suizidge-danken distanzieren kann.

 Ich suche das Gespräch mit der Patientin über ihre Beweg- gründe und versuche hilf-reiche Maßnahmen mit ihr auszuarbeiten, um ihren Ster-bewunsch zu mildern.

 Ich leite eine kontinuierliche, tiefe Sedierung ein, damit die Patientin nicht mehr leiden muss.

Ein präfinaler, klar orientierter Patient fragt Sie nach einer pal-liativen Sedierung. Was bedeu-tet das für Sie als betreuender Arzt?  Ich frage den Patienten, was 

er unter der palliativen Sedie-rung versteht, und bespreche mit ihm mögliche Optionen.

 Ich mache mich der aktiven Sterbehilfe schuldig, weil ich mit einer palliativen Sedie-rung den Tod des Patienten einleite.

 Ich darf der Bitte des Patienten nicht nachkommen, weil eine palliative Sedierung ärztlich assistierter Suizid ist.

 Ich sehe im Leiden des Patien-ten eine klare Indikation für  eine palliative Sedierung und billige die zu erwartende  Lebenszeitverkürzung.

 Ich stimme der palliativen  Sedierung zu, weil ich dem  Patienten das Sterben so  erleichtern kann.

Die gesetzlichen Regelungen und Zahlen zum Gebrauch der Euthanasie in den Niederlan-den lassen welchen folgenden Schluss zu?  Es gab im Verlauf der ersten 

Jahre nach der gesetzlichen Regelung einen starken  Anstieg der Todesfälle durch Euthanasie.

 Es gibt in der Bevölkerung  keinen Bedarf an Euthanasie,  und es werden nur wenige Anfragen gemacht.

 Die Anzahl der Todesfälle durch Euthanasie ist niedrig und wird mit dem vermehrten Gebrauch von alternativen Be-handlungsmethoden wie der palliativen Sedierung erklärt.

 Die vielen Fälle der Euthanasie deuten auf zu wenig strenge Kriterien der Bewertung hin.

 Es werden nur so wenige Eu-thanasiefälle berichtet, weil die nicht mitgezählten Fälle der straffreien ärztlichen Bei-hilfe zum Suizid die Zahlen verfälschen.

Die Terminologie und Abgren-zung der �ormen der Sterbehil-fe erscheint verwirrend. Wel-che Aussage ist richtig?  Tötung auf Verlangen ist ärzt-

liche Beihilfe zum Suizid.  Passive Sterbehilfe bedeutet 

sterben lassen.  Indirekte Sterbehilfe bedeutet 

sterben lassen.  Tötung auf Verlangen ist pas-

sive Sterbehilfe.  Therapien am Lebensende 

zählen zur passiven Sterbe-hilfe.

Welche Bedingung ist bei dem Wunsch von unheilbar Erkrank-ten nach einem vorzeitigen Le-bensende am ehesten gege-ben?  Die Betroffenen können ihre 

Erkrankung nicht akzeptieren und erzielen durch mangeln-de psychologische Betreuung keine ausreichende Anpas-sung an neue Lebensumstän-de.

 Die Betroffenen sind sehr gläubig und streben nach der Erlösung im Tod.

 Die Betroffenen werden von ihren Angehörigen sozial ver-nachlässigt und wollen selber auch nicht zur Belastung für andere werden.

 Die Betroffenen sind unzufrie-den mit der medizinischen  Betreuung und leiden unter starken Symptomen und Pro-blemen.

 Die Stärke des Wunsches der Betroffenen nach einem vorzeitigen Lebensende schwankt im Verlauf der  Erkrankung.

Prävalenzstudien zum Sterbe-wunsch von unheilbar erkrank-ten Patienten lassen welche Behauptung zu?  Ein Drittel aller unheilbar er-

krankten (Tumor-)Patienten hat einen ernsten Sterbe-wunsch.

 Alle Patienten auf Palliativ-stationen sollten routinemä-ßig ein diagnostisches Scree-ning mit z. B. der Schedule of Attitudes towards Hastened Death (SAHD) durchlaufen.

 Ein Großteil der deutschen  Patienten mit Sterbewunsch begeht Suizid, wenn ihr  Gesuch nach Sterbehilfe oder ärztlich assistiertem Suizid nicht erfüllt wird.

 Nur eine Minderheit aller  unheilbar erkrankten (Tumor-) Patienten hegt einen durch-dringenden und ernsten Ster-bewunsch, wobei hier eine  Unterschätzung vorliegen kann, weil nicht alle Patienten ihr Begehren offen bespre-chen.

188 |  Der Schmerz 2 · 2010

Bitte beachten Sie:  F Antwortmöglichkeit nur online unter: CME.springer.deF Die Frage-Antwort-Kombinationen werden online individuell zusammengestellt. F Es ist immer nur eine Antwort möglich.

kostenfreie Teilnahme für Abonnenten

Page 13: Wunsch nach vorzeitigem Lebensende

CME

 Nur eine Minderheit aller un-heilbar erkrankten (Tumor-) Patienten mit einem Sterbe-wunsch äußert diesen, weil sie sich bewusst sind, dass Ster-behilfe in Deutschland verbo-ten ist.

Welcher Aspekt sollte bei Ärzten in ihren Überlegungen zur Bereitschaft zum ärztlich assistierten Suizid bzw. zur aktiven Sterbehilfe keine Rolle spielen?  Liegt bei dem betreffenden 

Patient eine ernsthafte Erran-kung vor?

 Hat der betreffende Patient ei-ne psychiatrische Erkrankung? 

 Ist der betreffende Patient äl-ter als 70 Jahre?

 Gibt es weitere therapeutische Optionen zur Linderung phy-sischer Symptome?

 Kann man mehr Zeit zur  Betreuung des betreffenden Patienten aufbringen und sich mehr um dessen persönliche Belange kümmern?

Verschiedenste Bedenken können dazu führen, dass Pati-enten mit einem Sterbewunsch, dennoch eine aktive Sterbehil-fe und einen ärztlich assistier-ten Suizid ablehnen. Zu den genannten Bedenken zählen nicht?  Religiöse Gründe.  Zweifel am Gelingen der ak-

tiven Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid.

 Moralische Zweifel.

 Zweifel an diesen Maßnah-men wegen einer möglichen ärztlichen Doppelmoral, die das Vertrauen in ärztliche  Behandlungen infrage stellen könnte.

 Kein Recht auf Selbstbestim-mung über Leben und Tod.

Welche der aufgeführten Motivationen wird von unheil-bar erkrankten Patienten in der Regel nicht als Grund für den Wunsch nach Sterbehilfe genannt?  Sorgen, die weitere Versor-

gung nicht finanzieren zu kön-nen.

 Unerträgliche Schmerzen.  Angst vor dem Verlust der 

Menschenwürde.  Furcht vor großem Leid in der 

Zukunft.  Wenig Zuversicht in die Symp-

tomkontrolle am Lebensende.

Welches Argument spielt in der Diskussion um eine Lega-lisierung der aktiven Sterbe-hilfe und des ärztlich assistier-ten Suizids in Deutschland kei-ne Rolle?  Ein Gnadentod sollte dem 

leidvollen Dahinvegetieren vorgezogen werden.

 Autonomie sollte auch bei Ent-scheidungen über Leben und Tod gelten.

 Selbstbestimmung ist ein ele-mentares Menschenrecht.

 Erfahrungen im Ausland  bestätigen die Funktionali-tät strenger Kriterien zur lega-lisierten Sterbehilfe. Es wur-den nur wenige Fälle berichtet, und es ist kein wesentlicher Missbrauch dieser Optionen zu erkennen.

 Helfersysteme könnten durch die Legalisierung von Maß-nahmen zum vorzeitigen  Lebensende entlastet werden.

Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate auf  CME.springer.de verfügbar.Den genauen Einsendeschluss erfahren Sie unter  CME.springer.de

189Der Schmerz 2 · 2010  |