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Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten): Ein alter Jagdkodex aus Wales Von W. LINNAXD,St. Fagans 1 Einleitung Die walisischen Jagdregeln, die unter der Bezeichnung Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten) laufen, sind auf~erhalb des Kreises keltischer Gelehrter nicht welt bekannt. Die friihesten noch vorhandenen Manuskripte yon Y Naw Helwriaeth stammen aus der zweiten H~ilfte des 16. Jahrhunderts, und gedruckte Fassungen erscheinen erst vom 17. Jahrhundert an. Bisher war es nicht klar, wie welt Y Naw Helwriaeth einen ~ilteren walisischen Kodex repr~isentieren, weil sie anscheinend altertiimliche Elemente enthalten, oder wie welt sie einfach einen Versuch darstellen, die in England unter dem Einfluf~ der Normannen formulierten Jagdregeln auf walislsch wiederzugeben. Nach meiner Kenntnis gibt es von Y Naw Helwriaeth noch keine vollst~indige und verl~if~liche ver6ffentlichte Ubersetzung in Englisch oder Deutsch. Eine englische Uber- setzung mit Kommentar ist aber im Druck 1. Dariiber hinaus tauchen bei der Erkl~irung des walisischen Textes einige Probleme auf. Der Zweck dieser Abhandlung ist demnach, eine getreue deutsche Ubersetzung des ~iltesten noch vorhandenen walisischen Textes vorzu- stellen und seinen Ursprung und seine Bedeutung zu erSrtern. Versucht wird, einen Beitrag zur vergleichenden Jagdgeschichte aus einer der ~iltesten, aber am wenigsten bekannten Sprachen Europas zu leisten. Die Jagd war bestimmt ein Lieblingssport in Wales w~ihrend des Zeitalters der Prinzen, vor dem Angriff der Normannen gegen Ende des elften Jahrhunderts. Zahlreiche Hinweise im friihen walisischen Schrifttum - Gedichte, Geschichten, Erz~ihlungen und Rechtsdoku- mente - best~itigen die Popularit~it der Jagd und der Falknerei und auch ihre Bedeutung als h6fischer Zeitvertreib. Nach der Eroberung yon Wales durch die Normannen, wurden viele Forests (d. h. Jagdbetriebe) und Wildparks gegriindet, und die Jagd blieb iiberall ein beliebter Zeitvertreib. Jagdbiicher, die gewShnlich den franz6sischen Klassikern eng folgten, wurden in England seit dem 14. Jahrhundert verfaf~t, namentlich Le Art de Venerie von WILLIAM TWICI, J~iger des KSnigs EDWARD II., C. 13232, The Master of Game, von EDWARD,DUKE OF YORK, C. 14103, The Book of St. Albans, 14864; The Noble Art of Venerie or Hunting, 1576s; und A Short Treatise of Hunting von SIR THOMAS COCKAINE, 159I 6. Keine vergleichbaren Werke sind aber aus Wales bekannt, und Y Naw Helwriaeth sind wirklich die einzige systematische Abhandlung fiir die Jagd in der walisischen Sprache, abgesehen von einigen Abschnitten in den alten walislschen Rechtsbiichern, die die Jagd behandeln und die Gegenstand einer zukiinftigen Sonderstudie bilden werden. Diese walisischen Rechtsb(icher werden traditionellerweise auf HVXVEL DDA zuriickgefiihrt, der von 942-949 K5nig des ganzen Landes yon Wales war, obwohl die friihesten noch vorhandenen Manuskriptfassungen dieser Rechtsbiicher erst aus dem sp~iten 12. Jahrhun- dert stammen. 1Die Anmerkungen zu dieser Abhandlung wurden am Ende des Beitrages (S. 53) zusammengefaf~t. U.S. Copyright Clearance Center Code Statement" 0044-2887/83/2901-0048 $ 02.50/0 Z. Jagdwiss. 29 (1983), 48-54 © 1983 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887 / InterCode: JEJAAA

Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten): Ein alter Jagdkodex aus Wales

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Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten): Ein alter Jagdkodex aus Wales

Von W. LINNAXD, St. Fagans

1 Einleitung

Die walisischen Jagdregeln, die unter der Bezeichnung Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten) laufen, sind auf~erhalb des Kreises keltischer Gelehrter nicht welt bekannt. Die friihesten noch vorhandenen Manuskripte yon Y Naw Helwriaeth stammen aus der zweiten H~ilfte des 16. Jahrhunderts, und gedruckte Fassungen erscheinen erst vom 17. Jahrhundert an. Bisher war es nicht klar, wie welt Y Naw Helwriaeth einen ~ilteren walisischen Kodex repr~isentieren, weil sie anscheinend altertiimliche Elemente enthalten, oder wie welt sie einfach einen Versuch darstellen, die in England unter dem Einfluf~ der Normannen formulierten Jagdregeln auf walislsch wiederzugeben.

Nach meiner Kenntnis gibt es von Y Naw Helwriaeth noch keine vollst~indige und verl~if~liche ver6ffentlichte Ubersetzung in Englisch oder Deutsch. Eine englische Uber- setzung mit Kommentar ist aber im Druck 1. Dariiber hinaus tauchen bei der Erkl~irung des walisischen Textes einige Probleme auf. Der Zweck dieser Abhandlung ist demnach, eine getreue deutsche Ubersetzung des ~iltesten noch vorhandenen walisischen Textes vorzu- stellen und seinen Ursprung und seine Bedeutung zu erSrtern. Versucht wird, einen Beitrag zur vergleichenden Jagdgeschichte aus einer der ~iltesten, aber am wenigsten bekannten Sprachen Europas zu leisten.

Die Jagd war bestimmt ein Lieblingssport in Wales w~ihrend des Zeitalters der Prinzen, vor dem Angriff der Normannen gegen Ende des elften Jahrhunderts. Zahlreiche Hinweise im friihen walisischen Schrifttum - Gedichte, Geschichten, Erz~ihlungen und Rechtsdoku- mente - best~itigen die Popularit~it der Jagd und der Falknerei und auch ihre Bedeutung als h6fischer Zeitvertreib. Nach der Eroberung yon Wales durch die Normannen, wurden viele Forests (d. h. Jagdbetriebe) und Wildparks gegriindet, und die Jagd blieb iiberall ein beliebter Zeitvertreib.

Jagdbiicher, die gewShnlich den franz6sischen Klassikern eng folgten, wurden in England seit dem 14. Jahrhundert verfaf~t, namentlich Le Art de Venerie von WILLIAM TWICI, J~iger des KSnigs EDWARD II., C. 13232, The Master of Game, von EDWARD, DUKE OF YORK, C. 14103, The Book of St. Albans, 14864; The Noble Art of Venerie or Hunting, 1576s; und A Short Treatise of Hunting von SIR THOMAS COCKAINE, 159I 6.

Keine vergleichbaren Werke sind aber aus Wales bekannt, und Y Naw Helwriaeth sind wirklich die einzige systematische Abhandlung fiir die Jagd in der walisischen Sprache, abgesehen von einigen Abschnitten in den alten walislschen Rechtsbiichern, die die Jagd behandeln und die Gegenstand einer zukiinftigen Sonderstudie bilden werden. Diese walisischen Rechtsb(icher werden traditionellerweise auf HVXVEL DDA zuriickgefiihrt, der von 942-949 K5nig des ganzen Landes yon Wales war, obwohl die friihesten noch vorhandenen Manuskriptfassungen dieser Rechtsbiicher erst aus dem sp~iten 12. Jahrhun- dert stammen.

1 Die Anmerkungen zu dieser Abhandlung wurden am Ende des Beitrages (S. 53) zusammengefaf~t.

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement" 0044-2887/83/2901-0048 $ 02.50/0 Z. Jagdwiss. 29 (1983), 48-54 © 1983 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0044-2887 / InterCode: JEJAAA

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2 Die Texte u n d ihre Bez i ehungen

Die vier vorhandenen Manuskripte von Y Naw Helwriaeth in chronologischer Ordnung sind:

1. MS Peniarth 155; 1561-2 2. MS BM Add. 9817; 1580-1600 3. MS BM Add. 31055; 1594-6 4. MS Hafod 3; spilt 17. Jahrh.

Die Manuskriptfassungen (I), (2) und (3) unterscheiden sich zwar voneinander, aber nur in geringfiigigen Kleinigkeiten der Orthographie und Phraseologie; (4) ist kiirzer als die anderen Manuskripte, und enthiilt offenbare Kopierfehler. In 1632 wurden Y Naw Helwriaeth zum ersten Mal gedruckt, wie Anhang in einem W/Srterbuch von JoHN DAVIES, Antiquae Linguae Britannicae.. . Dictionarium Duplex, London, 1632; diese Fassung ist ~ihnlich zu (1), (2) und (3), enth/ilt aber viele kleine Verschiedenheiten in Format, Stil und Wortschatz. Nachher wurden Y Naw Helwriaeth in Sammelwerke oder W6rterb~cher wiederholt auf walisisch gedruckt; einige sp~itere englische Zusammenfas- sungen und Teilfibersetzungen sind auch vorhanden z.

Die ~iltesten Manuskripte, die unter der Bezeichnung Y Naw Helwriaeth laufen, sind in der Tat Sammelwerke mit drei Abschnitten, die verschiedene Inhaltskategorien enthalten:

- die neun Jagdarten, d.h. die neun Jagdtiere und die drei Jagdtypen; - die Regeln und Etikette der Jagd und die Strafen fiir Ubertretungen; - die drei Griinde, die Hunde in der Jagd eines Rothirsches ausdauernd machen. Nur die drei/iltesten Manuskripte von Y Naw Helwriaeth enthalten alle drei Abschnitte, und die sp~iteren ver6ffentlichten Fassungen, sowohl walisisch und englisch, enthalten nur den ersten und zum Tell den zweiten Abschnitt.

Die folgende Ubersetzung beruht auf der Fassung (1), d. h. des ~iltesten noch fiberleben- den Manuskripts, das zum Gliick eine der vollst~indigsten Fassungen ist. Der walislsche Text dieses Manuskripts wurde schon 1933 gedruckt s. Das Manuskript selbst ist eine Kopie yon einem nun leider verlorenen Originalmanuskript in der Handschrift von einem bekannten walisischen Dichter und Kopisten namens GRUWUDD HmAETHOG, der 1564 starb.

3 Y N a w He lwr iae th (Die n e u n Jagda r t en )

Dies sind die neun Jagdarten, die jeder Mann wissen soll, der ein Horn bl~ist. Und welcher J~iger auch ein Horn tr/igt wird iiber diese neun Jagdarten befragt, wenn er dariiber nicht befriedigend Auskunft geben kann, dann darf derjenige, der ihn gefragt hat, ihm nach dem Recht sein Horn wegnehmen.

Die ersten drei Jagden werden gemeine Jagden genannt, n/imlich Hirsch, Bienen- schwarm und Lachs; die zweiten drei werden Jagden mit Gebell genannt, n~imlich B~ir, Kletterer und Waldhahn; die dritten drei werden Jagden mit Geschrei genannt, n~imlich Fuchs, Hase und Rehbock.

Warurn wird gesagt, daft der Hirsch eine der drei gemeinen Jagden ist? Well er das edelste und tapferste Tier in der Welt ist, um mit Witterhunden und Laufhunden gejagt zu werden. Zweitens wird er eine gemeine Jagd genannt, well er mit jedem Mann geteilt wird, der dazu kommt, wenn er get6tet wird, bevor das Fell abgezogen wird. Wenn ein Mann auf einer Reise zu jener Zeit dazukommt, soll er nach dem Recht einen Teil davon haben, wie der, der ihn get6tet hat. Die zweite gemeine Jagd ist ein Bienenschwarm. Wer auch immer ihn findet, sei es auf dem Land eines anderen oder auf seinem eigenen, muff ihn mit jedermann teilen, der dazukommt, ehe er sein Pfand setzt, niimlich ein Zeichen, um zu zeigen, daf~ er ihn zuerst gefunden hat. Und falls er dies nicht macht, soll jedermann nach dem Recht daran Anteil haben, jedoch mtissen vier Pfennig dem Landbesitzer gegeben

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werden. Die dritte gemeine Jagd ist ein Lachs, wenn er gejagt und mit einem Netz oder Speer oder auf irgendeine andere Weise gefangen wird. Wer auch immer dorthin kommt, bevor er geteilt wird, soll nach dem Recht einen Teil davon haben, wie der, der ihn gefangen hat.

Warum wird gesagt, dalg der B~ir eine der drei Jagden mit Gebell ist? Weil er das beste Wildbret in der Welt ist. Und wenn er getStet wird, wird er nicht viel verfolgt, weil er nur langsam laufen kann, und dann wird er nur gehetzt und verbellt und endlich getStet, und aus diesem Grunde wird er eine der drei Jagden mit Gebell genannt. Die zweite ist der Kletterer, n~imlich jedes Tier, das zum Wipfel eines Baumes klettert, um sich zu schiitzen. Und niemand darf ,,Waldkatze", ,,Iltis" oder ,,EichhSrnchen" rufen oder sagen, sondern mulg sie Graukletterer, Schwarzkletterer und Rotkletterer nennen, und so sollte jeder J~iger auf sie verweisen oder sie benennen. Und wenn ein Kletterer verfolgt wird, kann er nicht weit vor den Hunden fliehen, sondern klettert auf einen Baum, um sich zu schiitzen. Und dort wird er gehetzt und verbellt, und aus diesem Grunde wird er eine der drei Jagden mit Gebell genannt. Warum wird gesagt, dat~ der Waldhahn eine der drei Jagden mit Gebell ist? Well er einer der Hauptv6gel is t, und wenn die Hunde auf seiner Hihrte sind, verfolgen sie ihn, bis er auf einen Baum fliegt, und dort wird er gehetzt und verbellt. Und aus diesem Grunde wird er eine der drei Jagden mit Gebell genannt.

Warum wird gesagt, dat~ der Fuchs eine der drei Jagden mit Geschrei ist? Well er seinen Lauf beibeh~ilt, trotz des Schreiens, das ihm folgt und trotz des Blasens der HSrner. Er behiilt seinen Lauf bei, bis er anf~ingt, mLide zu werden, und daher wird er eine der drei Jagden mit Geschrei genannt. Warum wird gesagt, daf~ der Hase eine der drei Jagden mit Geschrei ist? Weil er seinen Lauf und Gang beibehiilt, obwohl er gehetzt und verfolgt wird, und das ist der Grund. Warum wird gesagt, daf~ der Rehbock eine der drei Jagden mit Geschrei ist? Well er, wenn gejagt, seinen Lauf beibeh~ilt, wie der Hase und der Fuchs, und das ist der Grund fiir diese Benennung.

Dieses sind die vier Hauptwildbretarten: n~imlich Hirsch, Hase, Wildschwein und B~ir. Wer auch immer Laufhunde auf einen Hirschen oder ein anderes Tier losl~if~t, wenn er

den Hirsch verfolgt, und die Laufhunde verfolgen ihn fiber die Hiigel oder geraten aufler Sicht, dann soll, wenn der Hirsch getStet wird, der Laufhund, der zuletzt fiihrend war, das Fell haben.

Was den Hasen betrifft, so gehSrt er nach dem Recht nicht jenem Hund, der ihn getStet hat, sondern dem Witterhund, der ihn aufgestSbert hat, oder er gehSrt demjenigen, der ihn yon seiner Sasse aufgestSbert hat, wenn es erwiinscht war, ihn zu verfolgen.

Auch darf eine Laufhiindin das Fell nicht haben, sogar wenn sie es gewinnt, es sei denn, daf~ sie von einem Laufhund geziichtet wurde, der ein Fell gewonnen hat, und wenn sie das ist, dann darf sie nach dem Recht das Fell haben, wenn sie es gewinnt.

Auch soll niemand ins Feld mit umgeschnallter Koppel kommen, wenn er nicht auf die neun Jagdarten Antwort geben kann, und wenn er kommt, soll er sie verlieren, wenn er dafiir die Antwort nicht kennt, und wenn er sie kennt, darf er ohne Strafe nach dem Recht die Koppel auf seinen Arm geben.

Auch soil niemand einen Laufhund oder eine Laufhiindin auf irgendein Tier loslassen, wenn die Witterhunde es verfolgen, wenn er selbst keinen verfolgenden Witterhund hat, und wenn er einen hat, ist er frei, es mit seinem Laufhund oder seiner Laufhiindin zu tSten, wenn er kann. Und wenn irgendjemand einen Laufhund oder eine Laufh~indin auf das Tier losl~il~t, ohne da~ er einen Witterhund oder eine Witterhiindin auf Verfolg hat, darf der Mann, der den Witterhunden folgt, seine Knieflechse durchschneiden, wenn er einen Groll gegen seinen Herrn hat, und dieses nach dem Recht.

Auch soll niemand einen Hasen, einen Jungbock, einen Hirschen, einen Rehbock oder irgendein Tier schiessen, das bejagt wird, wenn es in seinem Lager ist, und wer immer es auch tut, biif~t seinen Pfeil und seinen Bogen ein, die dem Herrn des Landes verfallen, aber wenn die Hunde das Tier verfolgen, darf er es schiessen und tSten, wenn er kann, nach dem Recht, aber er darf nicht mitten unter die Witterhunde und Laufhunde schiessen.

Y Na¢o Helcoriaeth (Die neun ]agdarten): Ein alter Jagdkodex aus Wales 5I

Wenn irgendjemand jagen geht, und anf~ingt auf ein Tier loszulassen, was immer auch fiir ein Tier es sei, und er streunenden Hunden begegnet, und diese t&en es, dann sollen die Hunde, die es zuerst aufgest6bert haben, es haben, falls die streunenden Hunde nicht dem K6nig geh6ren.

Dies ist das Ausmaf~, nach dem der erste J~iger seinen Anspruch auf das Tier hat, solange er nicht sein Gesicht nach Hause und seinen Riicken zur Jagd wendet; und wenn seine Hunde auch die Jagd fortsetzen, er aber seine Hunde verlassen hat, darf er keinen Teil davon beanspruchen, selbst wenn die streunenden Hunde es tSten, well es dem Besitzer der streunenden Hunde geh6rt.

Dieses sind nun die drei Dinge, die verursachen, daf~ die Hunde den Hirschen besser als irgendein Tier in der Welt verfolgen:

Erstens, weil er viel schwitzt, wenn er bejagt wird, bis der Schweif~ seine Fiif~e entlang yon seinen Gelenken zu Boden fliet~t, und wenn die Witterhunde das wittern, werden sie so freudig erregt, dab sie wegen der wirklichen SfiSigkeit dieser Witterung nicht ablassen kSnnen.

Die zweite Ursache ist, daf~ der ermiidete Hirsch, wenn er nicht viel laufen kann, weil~en Schaum bl~ist, und wenn die Hunde diese Witterung aufnehmen, werden sie freudiger und werden ihn unaufhaltsam verfolgen.

Der dritte Grund ist: wenn der Hirsch das Feld aufgibt, bl~ist er Schaum und Blut vermischt, und wenn er dies geblasen hat, wissen die Witterhunde, daf~ er am Ende ist, und sie werden ihn verfolgen, bis sie zu ihm kommen.

4 Diskuss ion

Die Volkstradition in Wales schreibt Y Naw Helwriaeth GRUFFUDD AP CYNAN (C. 1055-1137) zu. Dieser GRUFFUDD war ein K6nig in Nordwaies, der dem Normannen- angriff hartn~ickig widerstand, und der der Volkstradition nach sowohl Regeln tiber bardische Dichtung als auch Regeln tiber die Jagd formulierte. Obgleich diese Volkstradi- tion stark und nachhaltig war, gibt es eigentlich kein zuverl~isslges Beweismittel, das diese Zuriickfiihrung auf GRUFFUDD Ar" CYNAN unterstiitzt.

Es ist schwierig, eine Urfassung fiir Y Naw Helwriaeth zu finden. Unter den beriihmten franzSsischen und englischen Jagdbiichern des 14., 15. und 16. Jahrhunderts gibt es nichts, das der Struktur, dem Inhalt und dem Wortschatz des ersten Abschnitts von Y Naw Helwriaeth genau ~ihnelt. Die dreiteilige Gliederung in Triaden ist eine sehr alte traditio- helle Form der Systematisierung in der walisischen Literatur, die hier bei Tiertypen und Jagdmethoden angewendet wird. Der Stil aber, mit Frage und Antwort, hat gewisse Parallelen zu vielen friihen Jagdbiichern, z.B. denjenigen yon Twin, der TRISTRAM- Traktat und Les Livres du Roy Modus.

Die drei gemeinen Jagden (Hirsch, Bienenschwarm und Lachs), wo jedermann auf einen Tell Anspruch hat, haben keine Parallele in der anglo-normannischen Jagd, sondern haben klare Beziehungen mit den walisischen Rechtsbiichern aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Die meisten Fassungen dieser Rechtsbiicher nennen den Fischotter, den Fuchs und den Rehbock als Tiere, die frei zu jagen sind, weil sie immer in Bewegung sind und keine bestimmten Orte haben. Einige Fassungen der Rechtsbiicher sind aber etwas n~iher zu Y Naw Helwriaeth und nennen einen Bienenschwarm als eine der drei freien Jagden, zusammen mit dem Fischotter und dem Fuchs. Die Beschreibung des Lachs als eine freie Jagd in Y Naw Helwriaeth hat ein genaues Exemplar in einem Rechtsmanuskript aus dem I3. Jahrhundert: ,,Wenn Leute Fische jagen, und w~ihrend sie get6tet werden, M~nner k o m m e n . . , und auf einen Tell der Fische Anspruch machen, ehe sie auf Zweige oder Haken gesetzt sind, sollen sie nach dem Recht einen Tell davon haben ''9.

Die drei Jagden mit Gebell (B~ir, Kletterer und Waldhahn) bieten besondere Schwierig-

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keiten. Der B~ir war wenigstens fiinf Jahrhunderte vor unseren ~iltesten Manuskripten schon eine ausgestorbene Gattung in Wales und wurde nie als Wildbret in den franz6si- schen und englischen Jagdklassikern betrachtet. Es wurde die Meinung ge~iuflert, daft die walisischen Manuskripte eine Fehliibersetzung darstellen, die ihren Ursprung in einer falschen Lesart des englischen Worts boar (Wildschwein) fiir bear (B~ir) hatte. Die Liste der vier Hauptwildbretarten enth~ilt jedoch sowohl ,,Wildschwein" als auch ,,B~ir". Der Bar stellt ein schwieriges und wahrscheinlich unerkl~irliches Problem dar, weil keine anderen Hinweise in der Literatur oder Tradition auf B~irenjagd in Wales vorhanden sind.

Der ,,Waldhahn" stellt auch ein Identifizierungsproblem dar. PEATE hat Beweis gelie- fert, daft dieser Vogel eigentlich der Auerhahn (Tetrao urogallus) war 1°, aber der Auerhahn war hie in historischer Zeit einheimisch in Wales. Sowohl sprachwissenschaftlich als auch naturhistorisch gesehen, scheint es mehr wahrscheinlich, daft dieser ,,Waldhahn" in der Tat der nahverwandte Birkhahn (Lyrurus tetrix) ist, wie STERN schon angenommen hat 11, oder der Fasan (Phasianus colchicus), denn ,,Waldhahn" war bestimmt ein Synonym ffir den eingefiihrten Fasan im 16. Jahrhundert in Wales.

Ein Element in dieser Triade (der Kletterer) ist selbst in drei unterteilt, n/imlich Waldkatze, Iltis und Eichh6rnchen. Diese drei Tiere sind dutch Farbe- grau, schwarz, rot

- auf einer einzigartigen walisischen Weise gekennzeichnet, die keine Parallele in den englischen Jagdbiichern hat. Das Eichh6rnchen und der Waldhahn, die in Y Naw Helwriaeth hervortreten, sind abeT nie in den franz6sischen und englischen Jagdb/.ichern enthalten. Es ist bemerkenswert, daft diese Biicher abeT den Wolf, den Fischotter und den Dachs enthalten, d. h. Tiere, die sicher einheimisch in Wales w~ihrend jener Periode waren, die abet trotzdem in Y Naw Helwriaeth nicht hervortreten.

Die Anordnung der drei Triaden ist unausgeglichen: die drei gemeinen Jagden beziehen sich auf das Teilen yon verschiedenen Tiertypen (Hirsch, Bienen, Lachs), w~ihrend die drei Jagden mit Gebell eine identische Jagdmethode beschreiben, d. h. Hunde werden benutzt, um die drei Tiertypen zum Stillstand zu bringen. Die drei Jagden mit Geschrei beschreiben ebenfalls eine identische Jagdmethode, d. h. die drei Tiere (Reh, Fuchs, Hase) werden mit Hunden und lauten Schreien und Geblase verfolgt.

Die Jagdregeln und Etikette in dem zweiten Abschnitt von Y Naw Helwriaeth sind praktisch und erkl~iren sich im allgemeinen von selbst. Die Belohnung der Hunde bezieht sich auf die Gewohnheit, den Hunden ihren Lohn auf dem Fell zu geben, d. h. cur& (franz6sisch cuir = Fell), wenn ein Hirsch get6tet war, oder hallow (halou), wenn ein Hase get6tet war. Diese Gewohnheit wird ausffihrlich in allen franz6sischen und engli- schen Jagdbiichern beschrieben. Normalerweise wurde ein Hase dem Hund gegeben, der ihn aufgest6bert hatte, abet in dem sp/iten und entstellten Manuskript (4) wird die Etikette ganz anders und h6chst umst~indlich beschrieben: zuerst wurde der Hase einer schwange- Ten Frau angeboten; sonst demjenigen, der ihn gefunden hatte; sonst dem J/iger mit den Witterhunden; sonst einem fremden J~iger; sonst einem Laufhund, der nie ToTher gejagt hatte; oder dem Ersten, der eine Hand auf ihn gelegt hatte.

Die zul~issige Verkriippelung eines Laufhundes durch Zerschneiden seiner Knieflech- sen, die keinen Tell des alten walisischen Rechts bildet, hat aber eine Hare Parallele zu dem englischen Brauch, der aus Forstgesetzen des elften Jahrhunderts in England stammt.

Die zwei letzten Teile der Regeln und Etikette, n/imlich diejenige in bezug auf streunende Hunde, und das Ausmafl, nach dem der erste J~iger Anspruch auf das Tier hat, sind fast identisch mit einem Teil eines walisischen Rechtsmanuskripts aus dem 13. Jahrhundert 12.

Die Tier walisischen Termini fiir Hunde in Y Naw Helwriaeth sind: cwn (Hunde), huaid (Jagdhunde), bytheiaid (Witterhunde, d. h. Hunde, die haupts~ichlich mit der Nase jagen), und milgwn (Laufhunde, d. h. Hunde, die haupts~ichlich mit den Augen jagen). Die zwei Hauptjagdmethoden in Wales waren: (1) ein Wildtier mit Witterhunden zu finden und zu verfolgen und dann mit Laufhunden niederzureiften; oder (2) den Hirsch mit Hunden bis zu einem Ort zu treiben, wo man ihn mit Pfeil und Bogen schieften konnte.

Y Naw Helwriaeth (Die neun Jagdarten): Ein alter Jagdkodex aus Wales 53

Die Bedeutung der richtigen Waidmannssprache und Jagdtermini wird in Y Naw Helwriaeth wiederholt betont, aber hier, im Gegensatz zu den deutschen, franz6sischen und englischen Jagdb/.ichern 13, gibt es keine eigentlichen Beispiele davon, z. B. f/.ir Kollek- rive verschiedener Tiere, Geweih, Exkremente, Zeichen und Spuren, Jungtiere, usw. Die einzigen Beispiele besonderer Jagdterminologie in Y Naw Helwriaeth sind die Farbter- mini, die die drei Arten des Kletterers kennzeichnen und unterscheiden, abet diese sind einzig in ihrer Art, und haben keine Parallele in den franz6sischen und englischen Jagdbiichern, obwohl in einigen dieser englischen Biicher das Wort , ,Grau" fiir ,,Dachs" benutzt wird.

Der dritte Abschnitt von Y Naw Helwriaeth, d. h. die drei Griinde, die Hunde in der Jagd eines Rothirsches ausdauernd machen, ist einfach eine genaue Ubersetzung aus einem englischen Jagdbuch, n~imlich der Zeilen 1673-1690 von The Book of St. Albans (1486) TM. Dieses Buch wurde sehr popul~ir w~ihrend des 16. Jahrhunderts, und offensichtlich wegen der Triadenform dieses kleinen Abschnitts hat der walisische Kompilator yon Y Naw Helwriaeth beschlossen, ihn zu iibersetzen und in Y Naw Helwriaeth einzuschlieflen.

5 S c h l u f l f o l g e r u n g

In ihrer jetzigen Form stellen Y Naw Helwriaeth demnach eine einzigartige Kompilation aus alten walisischen, anglo-normannischen und mittelenglischen Quellen dar. Der erste Abschnitt, der die neun Jagdarten beschreibt, ist eine Mischung von Elementen aus den walisischen Rechten des 12. und 13. Jahrhunderts und aus den anglo-normannischen Listen der Jagdtiere des 14. und 15. Jahrhunderts; diese wurden modifiziert und in drei Triade in dem traditionellen walisischen Stil systematisiert. Der zweite Abschnitt, der die Regeln und Etikette der Jagd beschreibt, enth~ilt auch Material aus den walisischen Rechten des 12. und 13. Jahrhunderts, sowohl als verallgemelnertes Material, das den franz6sischen und englischen Jagdbiichern mit Bezug auf Jagdpraxis und die Bedeutung der richtigen Waidmannssprache entspricht. Der dritte Abschnitt ist einfach eine wortgetreue rdberset- zung aus dem bekannten Book of St. Albans (1486).

Es ist klar, daft Y Naw Helwriaeth eine Kompilation des 16. Jahrhunderts darstellen, und man kann mit Zuversicht GRUFFUDD HIRAETHOG als den Kompilator nennen.

Anmerkungen

I W. LINNARD, The Nine Huntings: A re-examination of Y Naw Helwriaeth, Bulletin of the Board of Celtic Studies (ira Druck). 2 Siehe z. B. A. DRYDEN: The Art of Hunting. . . (Northampton, 1908), und G. TILANDER: La Venerie de Twiti, Cynegetica II (Uppsala, 1956); fiir eine deutsche Ubersetzung, siehe MAX HAEHN: Die Jagdkunst des englischen Hofj~igers Twiti, Z. Jagdwiss. 18 (1972), S. 228-233. 3 W. A. und F. BAILLIE-GROHMAN (Red.), The Master of Game (London, 1904; Edinburgh, 1909). 4 Fiir Faksimile und eingehende Diskussion, siehe R. HANDS, English Hawking and Hunting in the Boke of St. Albans (Oxford, 1975); fiir eine deutsche Ubersetzung, siehe MAx HAEHN: Das Jagdbuch des Julians Barnes, Z. Jagdwlss. 21 (1975), S. 64-78; fiir eine franz6sische Ubersetzung, siehe G. TILANDER: Jullans Barnes Boke of Huntying, Cynegetica XI (Karlshamn, 1964). 5 Neuer Abdruck (Oxford, 1908): GEORGE TURBERVILE war lange als Autor dieses Buchs anerkannt, aber es erscheint jetzt, daft GEORGE GASCOIGNE eigentlich der Verfasser war - siehe Modern Languages Review 37 (1942), S. 484-5. 6 Neuer Abdruck, 1897 (Roxburghe Club, von G. E. COCKAYNE). 7 Fiir ausfiihrliche bibliographische Einzelheiten, siehe LENNARD, op. cit.. S I. C. PEATE: Y Naw Helwrlaeth, Bulletin of the Board of Celtic Studies, VI (1933), S. 301-312. 9 MS Peniarth 37; siehe Y Cymmrodor 17 (1904), S. 134, 150-1. 10 PEATE, op. clt. N L. C. STERN, Zeitschrift fiir celtische Philologie, 7 (1910), S. 205-7. 12 MS Peniarth 37; siehe Y Cymmrodor 17 (1904), S. 134, 150.

54 W. Linnard

13 F/Jr eine Besprechung der hlstorischen Entwicklung der Waidmannssprache in Deutschland, Frankreich und England, siehe z.B. David Dalby, Lexicon of the Medieval German Hunt, De Gruyter, Berlin, 1965, besonders S. xlii, xliii. 14 HANDS, op. cit. S. 74; fiir eine freie deutsche Ubersetzung, siehe MAX HAEHN: Das Jagdbuch der Julians Barnes, Z. Jagdwiss. 21 (1975) S. 74.

Z u s a m m e n f a s s u n g

Eine vollstiindige und getreue Ubersetzung yon Y Naw Helwriaeth wird zum ersten Mal auf Deutsch vorgestellt, und der Inhalt, die Quellen und die Bedeutung dieses alten walisischen Jagdkodexes werden eingehend diskutiert. Y Naw Helwriaeth sind eine einzigartige Kompilation aus alten walisischen, anglo-normannischen und mittelenglischen Quellen, die m*tten im 16. Jahrhundert yon GRUFFUDD HIRAETHOG zusammengestellt wurde.

S u m m a r y

Y Naw ttelwriaeth (The nine huntingarts): An old hunting code from Wales

A full translation of Y Naw Helwriaeth is presented for the first time in German, and the contents, sources and significance of this old Welsh hunting code are discussed in detail. Y Naw Helwriaeth is a unique conflation of old Welsh, Anglo-Norman and Middle English sources, which was compiled in the mid sixteenth century by GRUFFUDD HIRAETHOG.

R~sum~

Y Naw Helwriaeth (Les neuf modes de chasse): un ancien code cyn~g~tique du Pays de Galles

Une traduction complete et fiddle en allemand du ,,Y Naw Helwriaeth,, est pr6sent~e pour la premiere lois et le contenu, les sources et la signification de cet ancien code de chasse du Pays de Galles font l'objet d'une discussion approfondie. ,,Y Naw Helwriaeth~ constitue une compilation unique d'~l~- ments provenant de sources galloises anciennes, anglo-normandes et moyen-anglaises rassembl6s au 17~me si~cle par GRUFFUDD HIRAETHOG. Trad.: S. A. DE CROMBRUGGHE