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PORTFOLIO | JUNGE TALENTE
Karin Jobst
Grenzgängerinin Sachen Farbe
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Vor mehr als fünfzig Jahren ist in Grundremmigen das erste Kern-
kraftwerk Deutschlands in Betrieb gegangen. Seitdem wird über Ri-
siken und Nutzen der Kernkraft diskutier t. Man dar f annehmen,
dass die Problematik auch Karin Jobst als politisch engagierte Frau
bewegt hat. Zumal sie in der Nähe des KKWs aufgewachsen ist. Mit
ihrer ersten großen, fotografischen Arbeit „Atomar – Zone 1“ hat sie
sich dem Thema genähert, wie sie gleichzeitig ein Stück der eigenen
Vergangenheit im Nichtsichtbaren der Bilder verarbeitet hat. In gera-
dezu ästhetischen Bildern zeigte sie die cleane Welt eines Hightec-
Betriebes und konfrontier te diese mit den Landschaften der un-
mittelbaren Umgebung. Die Serie, heute mehr fach ausgestellt –
zuletzt im Sommer in der Galerie von Robert Morat in Hamburg – war
zugleich die Diplomarbeit, die das Fotografiestudium 2007 bei Prof.
Katharina Bosse an der Fachhochschule Bielefeld abschloss und in
ein Künstlerbuch mündete.
Langzeitbeobachtungen In dieser Arbeit zeigt sich der bewusste und gezielte Einsatz von
Farbe, wie er später das bestimmende Stilmittel bei Karin Jobst wer-
den soll. Die gesättigten Farben der Innenräume mit dem etwas dif-
fusen Farbstich des Kunstlichts schaffen, so die Fotografin, „eine la-
tente Uneindeutigkeit in der Wahrnehmung, eine Empfindung, die durch
die formale Komposition (stürzende Linien, angeschnittene Flächen,
die die Sicht in den Raum hinein behindern) verstärkt wird.“ Karin Jobst
bleibt am Thema, wenn sie von ihrem Langzeitprojekt des Umstruk-
turierungsprozesses rund um Wackersdorf berichtet. Ehemals ein
Gebiet mit Braunkohletagebau, war das Dorf in den achtziger Jahren
in den Schlagzeilen, als der politische Kampf um den Bau der ato-
maren Wiederaufbereitungsanlage das Leben der dortigen Bürger
bestimmte. Seit 2007begleitet Karin Jobst den Wandel des Geländes
zu einem modernen Industriestandort: „Auf den ehemaligen Industrie-
flächen sehe ich heute Freizeitanlagen und Seengebiete.“
In zwei weiteren Arbeiten entwickelt die Fotografin ihre Formen-
sprache der weichen Farbräume weiter. Zum einen, wenn sie den New
Yorker Stadtteil Brooklyn aus ungewohnten Blickachsen betrachtet
und Versatzstücke von willkürlich abgelegten oder installier ten
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Eine Fotografin, die längst die Grenze der dokumentarischen Fotografie überschritten hatund die Sehgewohnheiten, auch ihre eigenen, erweitern will. Die Arbeitsweise von Karin Jobst fordert dem Betrachter wie dem Filmmaterial einiges ab. Das geht nur analog.
Seit Beginn der Arbeiten zur Hamburger Elbphilharmonie fotografiert Karin Jobst vor Ort.
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Gegenständen zum gestalterischen Element erklärt. Dieselbe Vor-
gehensweise dann auch bei einer weiteren Langzeitstudie: Seit Bau-
beginn der Elbphilharmonie in Hamburg – Karin Jobst lebt vor Ort –
besucht sie regelmäßig die (wohl nie endende) Baustelle, um dort
zu filmen und zu fotografieren. Die Filmsequenzen verarbeitet sie
dann im eigenen, analogen Farblabor wiederum zu Fotografien.
Belastbarkeit des MaterialsWie überhaupt ihre Vorgehensweise die analoge Fotografie vor-
aussetzt. Seit ihrem Studium, als sie für die Diplomarbeit von Kodak
mit Filmmaterial unterstützt wurde, ist sie dem Verfahren, auch der
Marke, treu geblieben: „Bei meiner Arbeitsweise brauche ich einen
belastbaren Farbfilm, weil ich mit meiner Mamiya RZ 67 bei Spiegel-
vorauslösung lange Belichtungszeiten habe. Das war der VC 400 oder
160, heute benutze ich den Portra 160 oder 400.“ Und sie fordert
dem Film wirklich einiges ab, wenn sie damit experimentiert. So hat
sie die Kassette ihrer Kamera derart manipuliert, dass gezielt Licht
einfallen darf. Das verursacht eine latente Vorbelichtung, die Farben
verändern sich, Streifen markieren das Bild wie grafische Muster,
seltsame „Farbtemperaturen“ entstehen. All das ist kalkuliert. „Es
ist wie beim Autofahren, wenn man den Gang beinahe automatisch
einlegt,“ sagt Karin Jobst, „ich weiß genau, wie ich die Kassette ein-
setzen kann und auch wie der Portra-Film auf Licht und Bewegung
(denn manchmal wird auch die Kamera bewegt) reagiert.“ Schließlich
tut sie ein Übriges und fertigt die Farbabzüge selbst an: „Nur ich weiß,
dass alle und welche Farbinformationen auf dem Film sind.“ Und die
bestimmen schließlich das fertige Bild.
Ihr Anliegen ist, herkömmliche Wahrnehmungsstrukturen in Frage
zu stellen, auf fotografischer Ebene zu forschen (sowohl bei der Auf-
nahme als auch im Farblabor) und den bildgebenden Rahmen auf vi-
sueller Ebene zu erweitern. Mit anderen Worten: Karin Jobst ist eine
passionierte Gratwanderin zwischen Dokumentarismus und freier
Interpretation. eh
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Karin Jobst, 1973 in Landshut geboren, lebt und arbeitet in Hamburg.
Fotografenlehre im Werbestudio Graggo in Neutraubling.
2002 – 2007 Studium der Fotografie an der FH Bielefeld, Diplom bei Katharina Bosse.
2008 – 2010 Masterstudium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Silke Grossman und Wim Wenders.
Berufung in die Fotografische Akademie GDL.
Verschiedenen Ausstellungen u.a. in London, bei denDarmstädter Fototagen, Stadtmuseum München,Kunsthaus Hamburg, Galerie Robert Morat Hamburg.
Z.Zt. Arbeit an einem Projekt in den USA.
Fahle Farben und technische Makel sind wohlkalkuliert. Aus der Serie zu Brooklyn, N.Y.
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