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„Zauber der Weihnacht“ Beobachtungen bei einem Konzert mit Musik des volkstümlichen Schlagers am 16. Dezember 2012 in der Wiener Stadthalle von Michael Weber Als ich an einem Sonntagnachmittag Mitte Dezember vergangenen Jahres das Foyer der Wiener Stadthalle betrat, empfing mich einerseits das trostlose Betongrau der in den späten 1950er Jahren errichteten größten Veranstaltungshalle Österreichs, andererseits warben einige sichtbar improvisierte Werbestände mit bunten Plakaten, abgebildeten Charakterköpfen, Tischen voller Tonträgerstapel und um diese herum plazierten Menschen in oftmals folkloristisch angehauchter Bekleidung sowie mit fröhlichen Gesichtern um meine Aufmerksamkeit. Am Weg zu den Garderoben und bei den Zugängen zum Innenraum zeigten sich viele Besucherinnen und Besucher in freudig angespannter Erwartung auf das Kommende. Ich betrat den in seiner räumlichen Dimension beeindruckenden Saal und fand die meisten der Sitzreihen auf den Tribünen sowie die aufgestellten Klappsessel im Parterre bereits besetzt vor. Im vorderen Hallengrund war ein Podium mit von einem schwarzen Vorhang verdeckter Kulisse aufgebaut, seitlich davon standen zwei große Videowalls, deren Bilder und Musik das Publikum bald auf die folgenden drei Stunden einstimmen sollten. Ein kurzer Blick in meine nähere Umgebung sowie in die Weite des Raums bestätigte den Eindruck, den ich schon auf den Gängen gewinnen konnte: mit meinen fünfzig Jahren gehörte ich zweifellos zu den jüngeren Teilnehmern dieses Ereignisses, vereinzelt waren zwar auch Kinder zu sehen, doch Damen nicht mehr jungendlichen bis fortgeschrittenen Alters stellten unübersehbar die zahlenmäßig dominierende Kategorie der Zuhörerschar. Mit viertelstündiger Verspätung beendeten schließlich Die Edlseer mit ihrem Hit „Im Himmel leuchtet hell ein Weihnachtsstern“ (2009) die Wartezeit und forderten „die Wiener“ alsbald zum Mitklatschen auf, was offensichtlich von den allermeisten Anwesenden nur zu gern befolgt wurde. Es blieb der folgenden Ansage des durch das Programm führenden Markus Wohlfahrt vorbehalten, wieder ein wenig besinnlichere Töne anzuschlagen. Für alle Mitwirkenden sei „heute schon Weihnachten“, weil „Sie mit uns hier in der Wiener Stadthalle mit dabei sind“. Und „die vier großartigen, tollen Musiker“ setzten mit „Liebes Christkind, flieg zu mir nieder“ (1999), einem vorgetragenen Gedicht sowie „Vota“ (2009) fort. Beim anschließenden „Schön ist die Winterzeit“ (2012) durften sich wieder alle Zuhörer von ihren Sitzen erheben und eifrig mitklatschen und -singen. Marc Pircher begann seinen Block mit „Da drob’n in die Berg is da Herrgott dahoam“ (2008) und wurde sogleich von dem „super Gefühl da in der ehrfürchtigen Halle“ überwältigt, „es ist unglaublich, da obi zu schauen“. Nach „Jetzt bist da“ (2010) bot „Ich schwör“ (2011) neuerdings Gelegenheit für das Publikum, sich mitsingend und -klatschend am musikalischen Geschehen zu beteiligen. Doch mit der Wiedergabe von „Wenn sie die alten Lieder hört“ (2012) und „So wird des immer sein“ (2008) wurden ebenso sentimentale als auch patriotische Gefühle bei den Zuhörern angesprochen. Markus Wohlfahrt leitete mit einer Nummer aus seiner CD „Alpynia – Spirito dell Aqua“, einer „Weltmusik für Entspannung und Meditation“, zur „großen Dame des deutschen Schlagers“ Claudia Jung über. Die Wiedergabe von „Mein Plan fürs nächste Leben“ (2012), einer deutschsprachigen Schlagerversion von „White Christmas“, „Solang noch Wunder möglich sind“ (2003) und „Lass mich traurig sein“ (2012) litten unter den unüberhörbaren Intonationsschwierigkeiten der Sängerin, was jedoch dem Zuspruch des Publikums keinen

Zauber der Weihnacht 2012

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Besprechung eines Konzertes mit volkstümlicer Musik und Deutschem Schlager in der Wiener Stadthalle

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„Zauber der Weihnacht“ Beobachtungen bei einem Konzert mit Musik des volkstümlichen Schlagers am 16. Dezember 2012 in der Wiener Stadthalle von Michael Weber Als ich an einem Sonntagnachmittag Mitte Dezember vergangenen Jahres das Foyer der Wiener Stadthalle betrat, empfing mich einerseits das trostlose Betongrau der in den späten 1950er Jahren errichteten größten Veranstaltungshalle Österreichs, andererseits warben einige sichtbar improvisierte Werbestände mit bunten Plakaten, abgebildeten Charakterköpfen, Tischen voller Tonträgerstapel und um diese herum plazierten Menschen in oftmals folkloristisch angehauchter Bekleidung sowie mit fröhlichen Gesichtern um meine Aufmerksamkeit. Am Weg zu den Garderoben und bei den Zugängen zum Innenraum zeigten sich viele Besucherinnen und Besucher in freudig angespannter Erwartung auf das Kommende. Ich betrat den in seiner räumlichen Dimension beeindruckenden Saal und fand die meisten der Sitzreihen auf den Tribünen sowie die aufgestellten Klappsessel im Parterre bereits besetzt vor. Im vorderen Hallengrund war ein Podium mit von einem schwarzen Vorhang verdeckter Kulisse aufgebaut, seitlich davon standen zwei große Videowalls, deren Bilder und Musik das Publikum bald auf die folgenden drei Stunden einstimmen sollten. Ein kurzer Blick in meine nähere Umgebung sowie in die Weite des Raums bestätigte den Eindruck, den ich schon auf den Gängen gewinnen konnte: mit meinen fünfzig Jahren gehörte ich zweifellos zu den jüngeren Teilnehmern dieses Ereignisses, vereinzelt waren zwar auch Kinder zu sehen, doch Damen nicht mehr jungendlichen bis fortgeschrittenen Alters stellten unübersehbar die zahlenmäßig dominierende Kategorie der Zuhörerschar. Mit viertelstündiger Verspätung beendeten schließlich Die Edlseer mit ihrem Hit „Im Himmel leuchtet hell ein Weihnachtsstern“ (2009) die Wartezeit und forderten „die Wiener“ alsbald zum Mitklatschen auf, was offensichtlich von den allermeisten Anwesenden nur zu gern befolgt wurde. Es blieb der folgenden Ansage des durch das Programm führenden Markus Wohlfahrt vorbehalten, wieder ein wenig besinnlichere Töne anzuschlagen. Für alle Mitwirkenden sei „heute schon Weihnachten“, weil „Sie mit uns hier in der Wiener Stadthalle mit dabei sind“. Und „die vier großartigen, tollen Musiker“ setzten mit „Liebes Christkind, flieg zu mir nieder“ (1999), einem vorgetragenen Gedicht sowie „Vota“ (2009) fort. Beim anschließenden „Schön ist die Winterzeit“ (2012) durften sich wieder alle Zuhörer von ihren Sitzen erheben und eifrig mitklatschen und -singen. Marc Pircher begann seinen Block mit „Da drob’n in die Berg is da Herrgott dahoam“ (2008) und wurde sogleich von dem „super Gefühl da in der ehrfürchtigen Halle“ überwältigt, „es ist unglaublich, da obi zu schauen“. Nach „Jetzt bist da“ (2010) bot „Ich schwör“ (2011) neuerdings Gelegenheit für das Publikum, sich mitsingend und -klatschend am musikalischen Geschehen zu beteiligen. Doch mit der Wiedergabe von „Wenn sie die alten Lieder hört“ (2012) und „So wird des immer sein“ (2008) wurden ebenso sentimentale als auch patriotische Gefühle bei den Zuhörern angesprochen. Markus Wohlfahrt leitete mit einer Nummer aus seiner CD „Alpynia – Spirito dell Aqua“, einer „Weltmusik für Entspannung und Meditation“, zur „großen Dame des deutschen Schlagers“ Claudia Jung über. Die Wiedergabe von „Mein Plan fürs nächste Leben“ (2012), einer deutschsprachigen Schlagerversion von „White Christmas“, „Solang noch Wunder möglich sind“ (2003) und „Lass mich traurig sein“ (2012) litten unter den unüberhörbaren Intonationsschwierigkeiten der Sängerin, was jedoch dem Zuspruch des Publikums keinen

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Abbruch tat. Anschließend entließ Markus Wohlfahrt die Konzertbesucher nach einem von ihm vorgetragenen Medley aus Mitklatsch-, Mitschunkel- und Mitsing-Versionen von „Jingle Bells“, „Weihnachtszeit“, „Feliz Navidad“, „Es wird schon glei dumpa“ und „Still, still, still, weil’s Kindlein schlafen will“ sowie mit dem gemeinsam mit allen Anwesenden im Stehen gesungenen Andachtsjodler – „Das schönste Geschenk, was ein Musiker bekommen kann“ – in die Pause. Währenddessen fand sich im Foyer Gelegenheit, den zuvor angekündigten und extra aufgelegten „Original“-Tonträger zur Konzerttournee und die einschlägigen Veröffentlichungen der teilnehmenden Musiker zu erwerben sowie das eine oder andere Autogramm zu ergattern. Zu Beginn des zweiten Konzertteils stand zuerst die Kulisse aus Kirche, Bauernhäusern, Ziehbrunnen und Modelleisenbahn, die den Lokführer Markus Wohlfahrt scheinbar im Stich ließ, im Mittelpunkt. Im Anschluss waren Die Fidelen Mölltaler als Repräsentanten der traditionellen volkstümlichen Musik in Österreich an der Reihe. Sie brachten in schlichter Art „Eine Herde weißer Schafe“ (2005), „Weihnacht hoch in den Bergen“ (2012), „Das Friedenslicht“ (2012) und „Weihnachtsmelodie“ (1985) zu Gehör. Michael Hirte, Sieger der zweiten Staffel der Casting-Show Das Supertalent des Fernsehsenders RTL, interpretierte danach auf der Mundharmonika „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (2012), das Leonard Cohen-Cover „Hallelujah“ (2011), das Ronny-Cover „Sierra Madre“ (2011) und seinen bislang größten Erfolg, Bach/Gounods „Ave Maria“ (2008). „Musik – wie ein Gebet“, so Markus Wohlfahrts Kommentar, bevor er zu einem „augenzwinkernden“ Gedicht über den „Weihnachtspunsch“ samt Spendenkeilerei in Wien anhob. Als „krönenden Abschluss von Zauber der Weihnacht 2012“ kündigte Markus Wohlfahrt schließlich das Nockalm Quintett an. Beim Erklingen von „Schwarzer Sand von Santa Cruz“ (1993) war wieder eifriges Mitklatschen angesagt, „Zieh dich an und geh“ (2011), „Der alte Mann“ (2012), „Ein Weihnachtslied, das dir gehört“ (2012), „Einer von uns lügt“ (2012), „Wer sagt denn, dass der Weihnachtsmann ein Mann ist“ (2012), „Wahnsinnsflug auf Wolke 7“ (2012) und „Der Zauber der Weihnacht“ (2012) stunden dem in nichts nach, und auch die leichten Ermüdungserscheinungen von Gottfried Würchers Stimme vermochten die Begeisterung des Publikums nicht im geringsten zu schmälern. Im Weiteren bat Markus Wohlfahrt die verantwortliche Produzentin von „Zauber der Weihnacht“ auf das Podium, um mit ihr ausführlich über die Erfolge der letzten Jahre zu plaudern und die Fortsetzung im Jahr 2013 sowie die dafür bereits verpflichteten Musiker anzukündigen. Zuletzt erklangen von allen Mitwirkenden vorgetragene Bearbeitungen im Schlagerkleid von „Stille Nacht“ und „Es wird schon glei dumpa“. Der Zufall hatte mir an meiner rechten Seite eine junge und überaus attraktive Nachbarin im Dirndlkleid beschert, die mich wiederholt zum Mitschunkeln aufforderte – eine Einladung, die ich nicht abschlagen konnte – und bestens gelaunt war. Wie wohl die allermeisten im Zuschauerraum nahm sie nicht den geringsten Anstoß an den simplen bis einfältigen Liedern und Musiknummern, am fast durchgehenden Halb- bis manchmal Voll-Playback, an den zum Teil überaus schlichten Arrangements und dürftigen Gesangsleistungen und am uniformen Synthesizer-Sound. Markus Wohlfahrts ausgedehnte Moderationen, die sich stets in Superlativen ergingen, aber auch den einen oder anderen billigen Scherz nicht ausließen, sowie die vorgetragenen Appelle an Heimatstolz und das Sich-Berufen auf traditionelle Wertvorstellungen usw. erregten kein sicht- oder hörbares Missfallen im Zuschauerraum. Alle Anwesenden waren sich offenkundig einig, sie schienen nicht zuletzt im Bewußtsein vereint, unter ihresgleichen zu sein, und wollten sich und einander ein Fest bereiten,

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mancher Unzulänglichkeit zum Trotz. Überdies versicherte man sich wiederholt der gegenseitigen Dankbarkeit, wortreich die Musiker gegenüber ihren „Fans“, „ohne die sie nichts“ wären, gegenüber den Veranstaltern und „allen vor, hinter, neben und rund um die Bühne Beteiligten“, jederzeit applausfreudig die Besucher gegenüber den Musikern. Der Wohlfühl-, Mitschunkel-, Mitklatsch- und Mitsingeffekt hatte von Allen Besitz ergriffen, und wieder einmal erwies sich ein Konzertereignis des volkstümlichen Schlagers als Garant für ein erfolgreiches, wenn auch nur vorüber gehendes Ausbrechen aus den Mühen des Alltags. Zu guter Letzt strebten die Menschentrauben geordnet zu ihren Bussen bzw. zu Straßen- oder U-Bahn. Die Besucher waren sichtlich erschöpft von der Anstrengung des langen Nachmittags und eilten zufrieden der Kühle der Nacht entgegen. „Zauber der Weihnacht“ nennt sich eine seit 2006 alljährlich im Dezember stattfindende und der volkstümlichen Musik und dem deutschen Schlager gewidmete Konzerttournee in Österreich. Das Konzert in der Wiener Stadthalle ist die neunte und letzte Station gewesen. Laut Angabe des Veranstalters Show Factory Entertainment hat die Tournee „in den letzten zwei Jahren mit über 60.000 begeisterten Besuchern alle Erwartungen übertroffen“. Dieser enorme Publikumszuspruch dürfte u. a. auf das immer wieder zu beobachtende Aktivierungspotential bei Konzerten mit volkstümlicher Musik sowohl im kleinen als auch im größeren Rahmen zurückzuführen sein. Die Besucher werden regelmäßig zur aktiven Teilnahme aufgefordert und zeigen sich durchaus willens, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Insbesondere die Einladung zum gemeinsamen (Mit-)Singen findet stets großen Anklang. Offensichtlich greifen Konzertveranstaltungen der volkstümlichen Musikszene ein Bedürfnis auf, welches sich auch auf andere Weise Bahn bricht. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang z. B. auf die Zunahme von „Sing mit“- oder „Sing Along“-Konzerten sowohl im klassischen als auch populären Konzertbereich und auf das Wiedererstarken des Chorwesens und der A-Cappella-Bewegung durch die vermehrte Nachfrage seitens jugendlicher Sängerinnen und Sänger. 2010 sind für eine Studie zu den „musikalischen Verhaltensweisen, Vorlieben und Einstellungen der Österreicher/innen“ 1042 repräsentativ ausgewählte Personen in persönlichen Interviews u. a. nach ihrer Lieblingsmusik befragt worden. Ca. 18 % der Befragten haben spontan entweder konkrete Musikstücke oder Namen von Musikern oder Musikstile genannt, die sich dem Stilfeld „Volksmusik / volkstümliche Musik / Schlager“ zuordnen lassen. Da alle anderen Bereiche – mit Ausnahme des Stilfelds „Rockmusik abseits der Hitparaden“ (15 %) – Nennungen von jeweils unter 10 % erhalten haben, ist davon auszugehen, dass die Gruppe mit der ranghöchsten Musikpräferenz Volksmusik, volkstümliche Musik und Schlager derzeit mit Abstand den zahlenmäßig größten Anteil an der österreichischen Bevölkerung ausmacht. Viele Hörer der volkstümlichen Musik bzw. des volkstümlichen Schlagers fühlen sich von den in den Liedtexten und Moderationen vermittelten Werten wie Geborgenheit und Zusammenhalt in der Familie, Treue zu den Freunden und Verwurzeltheit in einer ländlich geprägten Heimat idealisierten Zuschnitts angesprochen. Weiters ist die Selbstpräsentation der Musiker als ihren Fans und der Heimat eng verbundene Menschen wie du und ich, die stets offen und ehrlich ihren Hörern gegenübertreten, für allerlei Späße zu haben sind und ungekünstelt „Lieder für’s Herz“ darbringen, für eine beträchtliche Zahl an Menschen von großer Anziehungskraft. Auch dass die in den Liedern enthaltenen Lösungsansätze für persönliche Konfliktfelder zumeist eine Flucht aus dem beschwerlichen Alltag in eine träumerische Scheinwelt nahelegen, entspricht oftmals dem Bedürfnis der Hörer. Und dank der einfachen Gestaltung von Text und Melodie ist es möglich, dass die Hörer sich die Lieder

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zu eigen machen und bei Konzerten das Gemeinschaftserlebnis des Singens in der Gruppe genießen können. Nicht zuletzt bleibt festzuhalten, dass es der volkstümlichen Musikszene schon seit längerem gelingt, für eine große Zahl an Hörern beständig ein überzeugendes Angebot zu schaffen und bei ihren vielen Fans nachhaltig für tief gehende Begeisterung zu sorgen.