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Zum 200. Geburtstag Wilhelm Hauffs veröffentlicht der Aufbau Verlag im Herbst 2002 sein Märchen vom Kalifen Storch, versehen mit Illustrationen des Jugendstilkünstlers Max Reach. „Vor hundert Jahren entstanden die kost- baren Illustrationen in Kairo und tauchten erst vor kurzem in einer alten bayerischen Hochzeitstruhe auf“, meldet der Verlag zu den Bildern, die hier erstmals publiziert werden. Neben dem Entdeckungsort der Illustrationen erfahren wir nur wenig über den Künst- ler, laut Verlagstext ein Orientkenner. Das Märchen erscheint bei Aufbau ohne Paratext, allein kommentiert durch eine Aufschrift auf der Rück- seite, die das Buch als „Hauffs meist- geliebtes Märchen“ preist und über Max Reach bemerkt: „[E]in phantasti- scher wieder entdeckter Jugendstil- künstler, lockt kleine und große Leser mit traumschönen Bildern in die Zau- berwelt des Orients.“ Aus einer Rezen- sion wird zitiert: „...ein wahrer Glücks- fall im Spektrum der Bilderbuchkunst“. (ORF) Ein Käufer des Buches, dem die Bilder der Ausgabe als „üble rassistische und eindeutig antisemitische Machwerke“ schienen, machte nach einem kontro- versen Schriftwechsel mit dem Aufbau Verlag, das Zentrum für Antisemitis- musforschung auf das Buch aufmerk- sam und bat um eine Einschätzung, wie dieses zu bewerten sei. Die Frage ist interessant, verweist sie doch auf das Problem, wie man heute mit histo- rischen judenfeindlichen Bilddokumen- ten umgehen soll, die als integraler Be- standteil europäischer Kulturgeschich- te überliefert werden. Sie öffnet den Blick auf veränderte Sehgewohnhei- ten, wobei das Zusammenspiel von Text und Bild und die Interferenzen un- terschiedlicher Entstehungszeiten und -kontexte zu berücksichtigen sind. Schließlich geht es um eine Einschät- zung, wie solche Text-Bildrelationen gegenwärtig wahrgenommen werden: ist es notwendig, die Veröffentlichung historischer antisemitischer Bildpole- miken zu skandalisieren, oder machen veränderte Sehgewohnheiten solche Tabuisierungsversuche hinfällig? W ilhelm hauffs Kalif storch In Hauffs Märchen verkauft ein geheimnisvoller Krämer dem Kalifen von Bagdad „eine Dose mit schwärz- lichem Pulver und ein Papier mit son- derbarer Schrift“, mit dessen Hilfe er sich in ein beliebiges Tier verwandeln kann. Schon am nächsten Tag stapfen der Kalif und sein Großwesir als Störche über die Wiesen. Die beiden amüsieren sich ebenso wie die Leser und haben sich fest das Zauberwort enZenbach i antisemitische bildpolemiKen 37 Zauberhafte Judenfeindschaft antisemitische bildpolemiken im bibliophilen Kinderbuch Isabel Enzenbach

Zauberhafte Judenfeindschaft antisemitische bildpolemiken ... Erste... · Fläche, Ornament und Farbe verleihen diesem Märchen den Zauber aus Tau-sendundeiner NachtM verspricht der

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Zum 200. Geburtstag Wilhelm Hauffsveröffentlicht der Aufbau Verlag imHerbst 2002 sein Märchen vom KalifenStorch, versehen mit Illustrationen desJugendstilkünstlers Max Reach. „Vorhundert Jahren entstanden die kost-baren Illustrationen in Kairo undtauchten erst vor kurzem in einer altenbayerischen Hochzeitstruhe auf“,meldet der Verlag zu den Bildern, diehier erstmals publiziert werden. Nebendem Entdeckungsort der Illustrationenerfahren wir nur wenig über den Künst-ler, laut Verlagstext ein Orientkenner.Das Märchen erscheint bei Aufbauohne Paratext, allein kommentiertdurch eine Aufschrift auf der Rück-seite, die das Buch als „Hauffs meist-geliebtes Märchen“ preist und überMax Reach bemerkt: „[E]in phantasti-scher wieder entdeckter Jugendstil-künstler, lockt kleine und große Lesermit traumschönen Bildern in die Zau-berwelt des Orients.“ Aus einer Rezen-sion wird zitiert: „...ein wahrer Glücks-fall im Spektrum der Bilderbuchkunst“.(ORF)Ein Käufer des Buches, dem die Bilderder Ausgabe als „üble rassistische undeindeutig antisemitische Machwerke“schienen, machte nach einem kontro-versen Schriftwechsel mit dem AufbauVerlag, das Zentrum für Antisemitis-musforschung auf das Buch aufmerk-

sam und bat um eine Einschätzung,wie dieses zu bewerten sei. Die Frageist interessant, verweist sie doch aufdas Problem, wie man heute mit histo-rischen judenfeindlichen Bilddokumen-ten umgehen soll, die als integraler Be-standteil europäischer Kulturgeschich-te überliefert werden. Sie öffnet denBlick auf veränderte Sehgewohnhei-ten, wobei das Zusammenspiel vonText und Bild und die Interferenzen un-terschiedlicher Entstehungszeiten und-kontexte zu berücksichtigen sind.Schließlich geht es um eine Einschät-zung, wie solche Text-Bildrelationengegenwärtig wahrgenommen werden:ist es notwendig, die Veröffentlichunghistorischer antisemitischer Bildpole-miken zu skandalisieren, oder machenveränderte Sehgewohnheiten solcheTabuisierungsversuche hinfällig?

Wilhelm hauffs Kalif storch

In Hauffs Märchen verkauft eingeheimnisvoller Krämer dem Kalifenvon Bagdad „eine Dose mit schwärz-lichem Pulver und ein Papier mit son-derbarer Schrift“, mit dessen Hilfe ersich in ein beliebiges Tier verwandelnkann. Schon am nächsten Tag stapfender Kalif und sein Großwesir alsStörche über die Wiesen. Die beidenamüsieren sich ebenso wie die Leserund haben sich fest das Zauberwort

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Zauberhafte Judenfeindschaft

antisemitische bildpolemiken im

bibliophilen Kinderbuch

Isabel Enzenbach

eingeprägt, das die Rückverwandlungin Menschengestalt bewirkt. Ein ver-botenes Lachen lässt sie das Zauber-wort vergessen und verdammt siedazu, auf ewig in Storchenkörpern zuleben. Der Spaß hat ein jähes Ende.Hinter dem Desaster steht ein Kom-plott des Krämers: sein Sohn sitzt nunauf dem Thron von Bagdad. Eine ver-wunschene Prinzessin – auch sie einOpfer des Zauberers, der sie aus Ra-che in eine Nachteule verwandelte, alssie seinen hässlichen Sohn als Ehe-mann zurückwies – vermag mit einerList den Zauber zu bannen. Währendder Zauberer seine Tat mit dem Todbüßen muss und sein Sohn in einenStorch verwandelt wird, leben Kalif undPrinzessin glücklich bis ans Ende ihrerTage. Die Kritik an der im Aufbauverlag er-schienenen Ausgabe des Märchensbezieht sich auf das Zusammenspielvon Text und Illustrationen und dabeivor allem auf die Darstellung desKrämers. Dieser Krämer wird von MaxReach in einer Schwarz-Weiß-Grafikdargestellt.

Bei Hauff wird er beschrieben als „einkleiner dicker Mann, schwarzbraun imGesicht und in zerlumptem Anzug. Ertrug einen Kasten, in welchem er aller-hand Waren hatte“ (Hauff 2002: 5) und

erlangt als nur kurz auftretende Figurschon an dieser Stelle durch negativeAttribute und eine affektive WortreiheGewicht. Man ahnt, dass er für die Ge-schichte eine über die Situation hinausweisende Bedeutung hat. Wie im Mär-chen üblich, wird mit scharfen Kon-trasten zwischen guten Protagonistenund bösen Antagonisten gearbeitet.Die grafische Darstellung der Begeg-nung von Kalif, Großwesir und Krämergreift die im Text angelegte Gegen-überstellung von Protagonisten undAntagonist auf und spitzt sie zu. DerHändler, der in dieser Situation denLauf des Unheils in Gang setzt, bietetals Hausierer und Verkäufer einer du-biosen Ware reichlich Anknüpfungs-punkte für antijüdische Phantasien.Die Welt des unredlichen Handelsblitzt auf, als der Krämer seine Wareanbietet: „Ich bekam einmal diese zweiStücke von einem Kaufmann, der siein Mekka auf der Straße fand“, sagteder Krämer, „ich weiß nicht, was sieenthalten; Euch stehen sie um einengeringen Preis zu Dienst, ich kanndoch nichts damit anfangen“ (Hauff2002: 7).

die entstehungszeit von

märchen und illustrationen

Bespricht man Text und Bild, müssenverschiedene Zeitebenen berücksich-tigt werden. Die Entstehungszeit desMärchens um 1825, die Grafiken um1900 und die Gegenwart der Leser.Der Text Wilhelm Hauffs könnte dieAmbivalenzen der Debatte um die Ju-denemanzipation widerspiegeln1. Wirwissen nicht, ob sich Hauff den Krämerals Juden vorstellte oder nicht. Ob er,vielleicht auch in sozialkritischer Ab-

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sicht, die Figur nach dem Vorbild dertatsächlich mehrheitlich verarmten undim Kleinhandel tätigen Juden gestalte-te, und inwieweit er dabei Ressenti-ments pflegte. Als Reach seine Bildermalte, war, anders als zu Hauffs Zei-ten, das antisemitische Klischee weitverbreitet. Arme Juden wurden in Bild-polemiken des späten 19. und frühen20. Jahrhunderts nicht einfach abge-bildet und in das Bilderrepertoire inte-griert, sondern wurden zur Karikatur,um der Judenfeindschaft Ausdruck zuverleihen. Von welchem Bildervorrat,Bildergedächtnis und damit verbundenAssoziationen muss man heute, nachder Shoah, ausgehen? Welche Kom-munikationsregeln und -gewohnheitengibt es heute, wenn es darum geht, Ju-den negativ darzustellen?Zu den Besonderheiten der Juden-feindschaft gehört, dass sie ohne ex-plizit antijüdisches Vokabular auskom-men kann. Begriffe mit dem Wort-stamm „jüdisch“ müssen nicht unbe-dingt benutzt werden, um dem einge-weihten Leser anzudeuten, eine be-stimmte Person sei jüdisch. Diesmacht den Nachweis, dass bestimmteTexte judenfeindliche Bilder beinhal-ten, schwierig und wird daher auchgezielt eingesetzt, um Kommunika-tionsverbote zu umgehen. So sindzum Beispiel rechtsextreme Musik-gruppen geschickt darin, antisemiti-sche Gewaltphantasien so zu formu-lieren, dass die eigenen Fans versteh-en, was gemeint ist, der Bundesprüf-stelle für jugendgefährdende Medienjedoch eine Indizierung erschwertwird. Ein Tabu, Judenfeindschaft offenzu äußern, gab es nicht, als WilhelmHauff schrieb, entsprechend veröffent-

lichte auch Hauff Texte, in denen expli-zit jüdische Negativfiguren auftreten.Wir wissen nicht, ob er im Kalif Storchauf antijüdische Assoziationen anspie-len wollte oder nicht. Max Reach je-doch bildet die mögliche Phantasie,dass der dubiose Krämer wohl jüdischsei, ab. Er zeichnet den Krämer miteiner markanten Nase, langen Wan-genlocken, langem Bart, vollen Lippen,dunkler Hautfarbe, einem auffälligenhohen Hut und dunklem Gewand undevoziert somit das antijüdische Kli-schee. Auch wenn man bei den Kör-per- und Kleidungsmerkmalen imDetail fragen kann, ob man in derNase unbedingt eine Hakennasesehen muss, in den Locken Schläfen-locken, ob man die Lippen wirklich alsbetont wulstig wahrnehmen und Hutund dunkle Kluft als typisch für dieKarikatur eines ostjüdischen Hausier-ers erkennen muss, entstammen allediese Kennzeichen einem antisemiti-schen Bildvorrat. Reach bedient sichin seiner Visualisierung der Hauff-schen Märchenfigur antisemitischerKlischees und appelliert an das anti-semitische Ressentiment. Er stattetden dunklen Kleinhändler mit einerReihe antijüdischer Merkmale aus, dieals solche nahe legen, dass ein Judedas folgende Unheil bringt. Die Darstellung des Kalifen und seinesGroßwesirs als Karikaturen von hinterBärten und Turbanen gesichtslos er-scheinender Orientalen und der auf einKlischee reduzierten exotischen wul-stlippigen Schwarzen, die als gezähm-te Wilde beim morgendlichen Spazier-gang vorgeführt werden, entstammtder kolonialen Bildsprache des späten19. Jahrhunderts.

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Eine exotische Zurschaustellung, dievielleicht noch ungebrochener als dieantisemitische Bildpolemik bis heutetradiert wird. So lobte ein Rezensent„das typische Flair des Orients in Far-ben, Figuren, Formen...“. Die Frage,wie man heute mit solchen Bilddoku-menten umgehen soll, stellt sich imFalle rassistischer, orientalistischeroder sexistischer Reproduktionenebenso, wie sie hier am Beispiel derJudenfeindschaft diskutiert wird. Max Reachs Bilder sind in ihrer Motiv-wahl und in den künstlerischen Techni-ken vielfältig. „Lust am Dekor, das har-monische Zusammenspiel von Linie,Fläche, Ornament und Farbe verleihendiesem Märchen den Zauber aus Tau-sendundeiner Nacht“ verspricht derVerlagstext. Tuschzeichnungen, Tem-peramalerei und Druckgrafiken wech-seln sich ab. Liebevolle, detailliertebunte Darstellungen, wie zum Beispieldie Gouache, der als Nachteule ver-zauberten indischen Prinzessin, ste-hen neben eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Grafiken, in denen die Silhouetteeiner Karawane, die geometrischeGrundformen betonend, angedeutetwird. Neben plakativen Bildern findensich detailreiche Zeichnungen. Diesmacht die Illustration abwechslungs-

reich und irritierend. Der Betrachterweiß nicht, was Karikatur ist und aufeine vom Dargestellten distanziertezweite Ebene verweist, und was alsRealität suggerierendes Abbild konzi-piert ist. Bei jedem Bild muss sich derLeser neu auf die Relation von Textund Illustration einstellen. Der Reiz derIllustrationen besteht auch in der Irrita-tion konventioneller Sehgewohnheiten,ein Spiel mit visuellen Dimensionen,die den Bildern besondere Ausdrucks-kraft verleihen.Auf dem dramatischen Höhepunkt derHandlung begegnet uns der Krämer inseiner wahren Gestalt als machtbe-sessener Zauberer wieder: Kalif undGroßwesir sind in Störche verzaubert,Ausweg aus ihrer verzweifelten Lagekann ihnen nur die Prinzessin schaf-fen, die als gefangene Nachteule ihrSchicksal im dunklen Gemäuer einerRuine fristet. Des Zauberers Sohn hatden Thron des Kalifen bestiegen: AlsFratze, getragen von halbnacktenschwarzen Sklaven, mit großen golde-nen Ohrringen, gigantischen vorge-schobenem Unterkiefer und Wulst-lippen zeichnet Reach den falschenHerrscher. Zum Glück weiß die Nacht-eule Rat: In manchen Nächten trifftsich der Zauberer mit seinen Kumpa-nen im Dunkel der Ruine, wo sie vonihren Schandtaten berichten. Vielleichtwird er bei einer solchen Zusammen-kunft in seiner Prahlerei das rettendeZauberwort verraten. Max Reach zeichnet die Versammlungder Zauberer als Typenkarikatur, kei-ner der Dargestellten gewinnt individu-elles menschliches Antlitz. DieDarstellung mit wenigen türkisenStrichen, das Gestikulieren der Ver-

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schwörer, die Variationen lächerlicherund doch unheimlicher Grimassen istkraftvoll. Aus der Zusammenkunft derRepräsentationen dunkler Gestaltensticht auf dem Hut eines Zauberers einDavidstern hervor, dessen Bedeutungrätselhaft bleibt. Dennoch ist damit eineindeutig jüdisches Symbol in dieSzenerie eingefügt, ein Element,welches das Bild jüdischer Ver-schwörung aufscheinen lässt.

Der Mythos nächtlicher Zusam-menkunft jüdischer Führungsgestal-ten, wie von Herman Goedsche in sei-nem Roman Biarritz fabuliert, wurdespäter als das Hauffsche Märchenpopulär. Doch war Anfang des 20.Jahrhunderts, als Max Reach seineBilder malte, die Vorstellung einerjüdischen Weltverschwörung, wie siein den „Protokollen der Weisen vonZion“ beschrieben wird, weit verbreitet.Sie findet auch heute zahlreiche An-hänger: Ein Phänomen, das die Wirk-mächtigkeit der im Antisemitismus an-gelegten vereinfachten Welterklärun-gen und Entlastungsfunktionen zeigt,und kein Vertrauen auf das Verblassentraditioneller judenfeindlicher Motiveaufkommen lässt. Die Vorstellung derjüdischen Weltverschwörung lebt vom

Verdacht, vom Raunen und von obs-kuren Phantasien. Das Bild der Zau-bererversammlung muss nicht ein-deutig auf ein bestimmtes Klischee jü-discher Weltverschwörungstheorienanspielen. Die Referenz entstehtdurch das ambivalente Spiel mit demjüdischen Symbol und den heimlichversammelten Kumpanen des Zauber-ers. Die Text und Bilder scheidendenunterschiedlichen Entstehungskon-texte fallen für den zeitgenössischenBetrachter in eins.Wie im Märchen üblich, findet die dra-matische Verwicklung, die Entmensch-lichung von Kalif, Großwesir undPrinzessin, die ihnen durch die Begeg-nung mit dem Zauberer widerfahrenist, für die Protagonisten ein gutesEnde. Die Nachteule und die beidenStörche erlangen Schönheit undMacht, Hof und Thron zurück. Derböse Zauberer dagegen wird aufge-hängt, sein hässlicher Sohn wird selbstzum Tier.

Die antagonistische Gegenüberstel-lung ist für ein Märchen typisch. Sie istauch für den Antisemitismus typisch,der den Juden als Gegenbild zurSchaffung eines idealisierten, kollek-tiven Selbstbildes braucht. Wenn dieseGemeinsamkeit natürlich nicht das

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Märchen per se diskreditiert, verstärkt-en doch in diesem Fall formale Char-akteristika der Erzählung die in-haltlichen Implikationen der Illustration.Obwohl nicht jeder Leser Bilder undText so interpretieren muss, ist damitein Bedeutungspotential beschrieben,das sich aus judenfeindlichen und ras-sistischen Diskursen des 19. Jahrhun-derts speist. Diese Rückbindung isteine notwendige Grundlage, um in Dis-kussion darüber treten zu können, wieman das Zusammenspiel von Hauff-schem Märchen und Reachschen Bil-dern beurteilt und deren unkommen-tierte Veröffentlichung als bibliophilesKinderbuch. Eine solche Lesart musssich vor Verdachtshermeneutik hütenund darf nicht etwas in das Buch hi-nein interpretieren, das dort nicht zufinden ist. Die Möglichkeit anderer Les-arten belegen die Rezensenten, dienicht die oben beschriebenen Charak-teristika antisemitischer Bildpolemikgesehen haben. Sie sind voll des Lo-bes der „bibliophilen Kostbarkeit“, prei-sen die edle Aufmachung und em-pfehlen das Buch als ideales Ge-schenk. Wie kommt es zu so konträrenEinschätzungen? Judenfeindschaft muss nicht explizitausgesprochen werden und benötigtkein spezifisch antisemitisches Vokab-ular. Sie kann auch unterhalb des Ex-pliziten in der Alltagssprache funktio-nieren, in alltäglichen Semantiken, dieauf Judenbilder, auf Codes und Kli-schees zurückgreifen, ohne das Feind-bild offen zur Sprache bringen zumüssen. Judenfeindliche Andeutungenerschließen sich häufig erst aus ihremjeweiligen Kontext, aus den Anspielun-gen, die bestimmte Bilder im Leser

oder Gesprächspartner hervorrufenkönnen. Nicht jeder versteht mehr alleAnspielungen, imaginiert selbst, wennwie im Beispiel des Kalifen Storch voneinem zerlumpten Hausierer die Redeist, dass es sich dabei um einen jüdi-schen Kleinhändler handeln könnte.Was von einigen erwachsenen Lesernund Bildbetrachtern als stereotype an-tijüdische Karikatur gelesen werdenkann, wird häufig von jüngeren Lesernnicht als solche erkannt. Die Tabui-sierung eindeutig antisemitischer Bild-polemiken in der Bundesrepublik nach1945, häufig mit dem Verweis auf dasWirken des Stürmers, hat teilweise zueinem Prozess des Verlernens geführt.Explizit antijüdische Bilder wurden ausdem offiziellen Bilderkanon der Bun-desrepublik verbannt. Inzwischen wis-sen viele Jugendliche nicht mehr, wieeine klassische antisemitische Karika-tur aussieht. Das heißt allerdings nochnicht, dass der Bildervorrat, ebensowenig wie das Vorurteil an sich, nichtüberdauert hat und schnell wieder zubeleben ist. Und es bedeutet auchnicht, dass ein solcher Prozess desVerlernens abgeschlossen ist undgefahrlos ein unbedachterer Umgangmit judenfeindlichen Bildern gepflegtwerden könnte. Auch heute nutzen An-tisemiten Codes, um sich zu verständi-gen, sagen „amerikanische Ostküste“,wenn sie von einem „internationalenjüdischen Finanzkapital“ sprechenwollen. Nicht alle erkennen dieseStrategien oder weisen das dahinterstehende Feindbild zurück. Auch wenn die Tabuisierung des Anti-semitismus nach 1945 veränderteWahrnehmungs- und Sehgewohn-heiten hervorgebracht hat, ging damit

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nicht gleichzeitig ein Erkenntnispro-zess einher, der es ermöglicht, dieKonstruktionen von Rassismus undAntisemitismus, die Funktionen vonVorurteilen oder die Gegenwart kolo-nialer Denkweisen und Repräsentatio-nen zu durchschauen. Über diesesManko gibt der Briefwechsel Auskunft,den der Lehrer auslöste, als er demVerlag sein Unbehagen bezüglich desBuches mitteilte und die Illustrationenals „üble rassistische und eindeutig an-tisemitische Machwerke“ brandmarkte. In diesem Briefwechsel finden sich – inder Absicht, den Künstler und die ak-tuelle Veröffentlichung seiner Bilder inSchutz zu nehmen - zahlreiche Argu-mente, die häufig bemüht werden, umden Vorwurf, eine Redeweise oderPublikation sei antisemitisch, abzu-wehren. Es lohnt sich daher, die ein-zelnen Argumente näher zu be-trachten.

der Verlag verteidigt sich

In der Auseinandersetzung heißtes zunächst, dass über Max Reachnur wenig bekannt sei, was jedochkein Hinderungsgrund für die an-schließende Mutmaßung ist, dass erselbst Jude gewesen sein könnte. EineErklärung, die es in sich hat, zumal sieauf den wackeligen Beinen, es gäbekeine näheren Informationen dazu, da-herkommt. Wir wissen also nicht, obMax Reach sich selbst als Jude de-finierte, ob es in seinem Leben eineRolle spielte, oder ob er von anderenals solcher wahrgenommen wurde.Vielleicht könnten wir nach längererRecherche mutmaßen, ob er nach denNürnberger Gesetzen als Jude ge-golten hätte, doch wieso sollten wir

das eigentlich? Nehmen wir an, MaxReach wäre bekennender Jude gewe-sen. Wären dann seine Bilder wenigerantisemitisch, oder wären sie dannwahr? Vorausgesetzt, er wäre ein ei-fernder, jüdischer Karikaturist gewe-sen, der hingebungsvoll stereotypeBildpolemiken gegen Ostjuden zeich-nete; rechtfertigt das heute ihre un-kommentierte Veröffentlichung alsKinderbuchillustrationen? Der Verweisauf ein mögliches Jüdisch-Sein desKünstlers dient nicht der Aufklärungder Sache. Vielmehr ist er Teil des Ab-wehrreflexes, der mit der Unterstel-lung, Juden seien selbst schuld amAntisemitismus, arbeitet.Eine weitere – in die Irre führende –typische Replik ist, auf Grund der Ent-stehungszeit der Bilder dem Illustratorper se künstlerische Unschuld zu be-scheinigen und Bild gewordenen Anti-semitismus alleine dem Stürmer vor-zubehalten. Die Begriffe und KonzepteAntisemitismus, Rassismus und NS-Ideologie überlappen sich. Anti-semitismus und Rassismus haben Ge-meinsamkeiten, wie ihre Feindschaftgegen Minderheiten, die Ideologie derUngleichheit von Menschen und ihrGewaltpotential. Jedoch stehen dieBegriffe in keinem klaren Verhältnisvon Ober- und Unterbegriff. Der Anti-semitismus hat in seinen religiösenund sozialen Erscheinungsformeneine längere Geschichte, doch gibt esihn auch in einer rassistischen Ausprä-gung – lange vor dem Nationalsozial-ismus. Die Judenfeindschaft ist einezentrale Komponente nationalsozialis-tischer Weltanschauung, doch ist ihrAntisemitismus eben nicht exklusiv,sondern hatte wie auch heute eine

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Brückenfunktion in andere gesell-schaftliche Gruppen. Die Entgegnung,dass es zur Entstehungszeit der Illus-trationen zwar innerjüdische Ressenti-ments gegen osteuropäische Judenund Rassismus gab, aber keine NS-Ideologie, verschließt die Augen vorder langen und breiten Verankerungdes Antisemitismus in den europäi-schen Gesellschaften vor, währendund nach der NS-Herrschaft. In der Auseinandersetzung um ReachsBilder wird auch debattiert, ob es soetwas wie eine typisch jüdische oderorientalische Physiognomie gäbe, wo-bei die von Reach gezeichneten Na-sen eine prominente Rolle spielen. DieMutmaßungen oszillieren zwischenorientalischen, semitischen und sol-chen Nasen, „die semitische Merkmalezeigen“, wobei der Versuch zu be-schreiben, wie solche Nasen aus-sehen, ob es sich dabei zwangsläufigum Hakennasen handle, und wo sieanzutreffen seien, zum Scheitern ver-urteilt ist. In Diskussionen über Anti-semitismus wird häufig der BegriffSemiten bemüht, möchte man Judenals körperlich anders als Nichtjudentypisieren. Der Begriff des Anti-semitismus – eine willentlich irreführ-ende Wortschöpfung des späten 19.Jahrhunderts – legt nahe, dass er sichgegen die Gruppe der Semitenrichtete, wenn er auch diese dazu ersterfinden musste. Es gibt als Zweig derafroasiatischen Sprachfamilie semiti-sche Sprachen, doch bilden ihre Spre-cher keine irgendwie kohärente Grup-pe. Neben ausgestorbenen Sprachen,wie dem Akkadischem, zählt Arabisch,als Sprache mit den meisten Sprech-ern, das in Äthiopien gesprochene

Amharisch oder in Europa Maltesischzur semitischen Sprachfamilie. Wie se-mitische Nasen oder Merkmale ausse-hen, wissen allein Antisemiten. Inso-fern schwankt die Apologetik derReachen Bilder auch zwischen denMutmaßungen über die reale Existenzsemitischer, arabischer und jüdischerNasen und dem Verweis darauf, dassMax Reach Nasen karikaturesk über-zeichnet seien. Dies ist sicher wahr,und eine Hakennase alleine machtauch noch keinen Antisemitismus.Doch weder der Versuch, den Wahr-heitsbeweis für die Existenz semiti-scher Nasen zu erbringen, noch derVerweis auf die Überzeichnung ver-mag die Kritik an der stereotypen Dar-stellung im Kern zu widerlegen. Der Vorwurf des Antisemitismus wiegtgerade in Deutschland schwer. In derAuseinandersetzung um die Veröf-fentlichung der Reachen Bilder wirddaher auch das Renommee des Ver-lages bemüht, der über jeden Verdachtder Judenfeindschaft erhaben sei.Doch die Selbstgewissheit, mit demAntisemitismus des Stürmers nichtsgemein zu haben, sondern auf einemantifaschistischen Erbe zu fußen, birgtnoch nicht notwendig ein Verständnisdafür, wie das Feindbild der Juden-feindschaft funktioniert. Der Glaube,per Status oder Gruppenzugehörigkeitvor Antisemitismus gefeit zu sein,schützt noch nicht vor latenter oderbürgerlich akzeptierter Judenfeind-schaft, vielmehr erschwert er denselbstkritischen Blick. Noch schwieri-ger scheint es zu sein, einen Blick füreigene Verstrickungen in das Zusam-menspiel verschiedener Diskrim-inierungsformen, wie hier der stereo-

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typen Darstellung einer Männerweltvoll orientaler Herrlichkeit, halbnackterSchwarzer und angedeuteter Juden,zu gewinnen und eingespielte Verhal-tensweisen zu hinterfragen. Als solcheVerhaltensweise könnte man die un-kommentierte, durch Halbleinen undkostbare Aufmachung veredelt, his-torisiert und aktuellen Fragestellungenentrückte Veröffentlichung solch prob-lematischer Bilder betrachten. Wie soll man heute mit solchen Illus-trationen umgehen? Kann ein Kinder-buch überhaupt der Ort für einekritische Edition historischer Doku-mente sein? Kann ein Vor- oder Nach-wort helfen, die Bilder einzuordnen, zuinterpretieren und indem man sie ansLicht der Öffentlichkeit bringt, Lernef-fekte zu ermöglichen? Auf keinen Fall sollte das Kinder- undJugendbuch ein Ort für antisemitische,rassistische und neokoloniale Remi-niszenzen sein, wenn es dies auchbisweilen ist. Vielleicht ist eine bay-rische Hochzeitstruhe der geeignetereAufbewahrungsort für künstlerischwertvolle Judenfeindschaft als ein bib-liophiles Kinderbuch. Für die hierdiskutierten Bilder gibt es keinen gutenGrund, sie heute unkommentiert zupublizieren.

Isabel Enzenbach

studierte Evangelische

Theologie in München,

unterrichtete evangeli-

sche Religion in Berlin und promoviert

am Zentrum für Antisemitismus-

forschung TU-Berlin zum Thema

“Jüdische Geschichte, Antisemitismus

und Nationalsozialismus im Grund-

schulunterricht”. In Zusammenarbeit

mit dem Office for Democratic Institu-

tions and Human Rights der OSZE

beschäftigt sie sich mit der Entwick-

lung und Einführung pädagogischer

Materialien zum Antisemitismus in Eu-

ropa.

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anmerKungen

1 Wilhelm Hauff zeigt in seinem literarischen Werk eine Reihe jüdischer Figuren. DieBekannteste ist sein württembergischer Landsmann Joseph Süß Oppenheimer in derNovelle „Jud Süß“. Manfred Jehle beschreibt am Beispiel des Jud Süß – mit Verweisenauf zahlreiche andere jüdische Figuren in Hauffs Werk – detailliert das Verhältnis vonhistorischer Figur, literarischer Darstellung und Überschreibungen wie durch Veit Harlansgleichnamigen Film. Die Nachwelt warf Hauff sowohl „liberalistische Ideen“ und eine „ju-denfreundliche Brille“ als auch Antisemitismus vor (vgl.: Jehle. 2008. S. 143-182).

literaturangaben

Hauff, Wilhelm: Kalif Storch. Mit Bildern von Max Reach. Berlin: Aufbau-Verlag, 2002. Jehle Manfred: „Joseph Süß Oppenheimer und die literarische Verarbeitung seines

Schicksals”. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 67. Jg.

2008. S. 143-182.