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DIE WELT DONNERSTAG, 13. JULI 2017 26 FEUILLETON aber von zwei verirrten chinesischen Pilgerinnen gerettet. Die ihn, weil sie Angst vor Waldgeis- tern haben und „gute Christinnen“ sind, fesseln, um ihn und sich wieder auf den rechten Jakobsweg zu bringen. Ziemlich lange und dekorativ hängt Paul Hamy als sein Martyrium erwar- tender Schnürpaketheiliger im Wald. Der Schwarzstorch schaut ihn sich jetzt noch mal genauer an. Ist der Gefesselte, Erregte, Verängstigte noch derselbe? Die Verwandlung kann bei Rodrigues aber auch bloß medizinisch-technischer Z uerst sind wir ein Hauben- taucher und haben eine ko- mische Frisur. Wir brüten und passen auf: Kommt da ein Mensch aufs Nest zuge- schwommen? Kurz darauf werden wir mit der fliegenden Kamera zum Schwarzstorch: gleiten vom steilen Fel- sen hoch über den türkis schimmern- den Fluss. Dort, weit unten, ein dünner Strich nur, sitzt ein Mensch in seinem Kanu, er ist der Ornithologe, mit Fern- glas und Diktiergerät. VON COSIMA LUTZ Fernando, so heißt er, schaut zu lange nach oben, bemerkt die Stromschnellen zu spät, geht im Rauschen unter. Wir gleiten weiter, hinein in den Film, hi- nein in einen nebeligen Wald. Was hat der Film vor, was die Tiere, was das Rauschen, was der Wald? Immer wieder erstaunlich ist, wie ge- ordnet und unverzappelt João Pedro Rodrigues seine Fabel „Der Ornitholo- ge“ erzählt. Denn eigentlich versam- melt er genügend Elemente, um Chaos zu stiften. Allein die Sprachen: Karnevalsgestal- ten feuern einander in Mirandés an, ei- ner romanischen Sprache im Nordosten Portugals. Chinesinnen treten auf. Fer- nando wird später einen taubstummen Ziegenhirten namens Jesus im Arm hal- ten, (fast) wie einst der heilige Antonius das Jesuskind hielt. Amazonen spre- chen Latein. Sie erschießen einen Hir- schen, nein, sie treffen Fernando, schon wieder ist er tot, doch er steht wieder auf. Und jetzt nennen sie ihn Antonius, wie den Nationalheiligen Portugals, der ebenfalls eigentlich Fernando hieß. Er versteht ihr Jägerinnenlatein. Schon in seinen ersten Bildern, die eine große landschaftliche Prachtent- faltung veranstalten und zugleich je- des Entzückungspathos mancher Na- turdokumentationen weit hinter sich lassen, hat es der portugiesische Regis- seur auf Verwandlung abgesehen: auf ihre Möglichkeit, aber auch auf ihre Verweigerung. Die Verwandlung ist bei ihm ein Wunder oder auch keins. Der Tod mar- kiert dabei nur ihre Schwelle, offen in beide Richtungen. Fernando also könn- te im Fluss gestorben sein, wird dann Art sein, wie die (verweigerte) Ge- schlechtsumwandlung in „To Die Like a Man“ (2009). Oder auch wie beim Orni- thologen, der aus nicht näher erklärten Gründen schon vor seiner Havarie ris- kante Verwandlungstendenzen hat. Er soll seine Tabletten nehmen, simst sein Freund, „denn ich will dich leben- dig“. Er schluckt sie, verliert sie, findet sie wieder, wirft sie weg. Wie sein Handy, seinen Pullover, sein Kanu, sei- nen Pass. Fernando entkommt, wird als Fernando aber trotzdem irgendwie ster- ben, denn er verwandelt sich im Verlauf dieser fabelhaften Geschichte in einen mehr oder weniger heiligen Antonius von Padua. Und in den Regisseur selbst. Unterwegs trifft er Jesus’ Zwillings- bruder Thomas, einen mit phallischer Maske, Karnevalskostüm und Glöck- chen behangenen, wilden Kerl. Fernan- do/Antonius liebt sie beide. Den einen tötet er, den anderen erweckt er zum Leben. Glauben wir das? „Manches ge- schieht eben, und dann glauben wir es“, predigt Antonius dem skeptischen Thomas und dem Publikum. Das Ver- mögen der Verwandlung, das ist dem studierten Ornithologen Rodrigues na- türlich klar, gehört aber weder der Kunst noch dem Glauben allein. Sie umspannt als evolutionäres Element ungerührt die Jahrtausende. Das erdet den Film und gibt ihm ein zusätzliches Geheimnis. Der Schwarz- storch, von dem Fernando seinen Blick nicht wenden will, bevor ihn der Fluss davonreißt, ist ja niemand anderes als der unverwandelt gebliebene Bruder des Weißstorchs. Derjenige, der weiterhin im Wald sein fast unsichtbares Leben führt und als Unglücksbote gilt, während sich der an- dere dem Menschen anschloss und da- bei zum verehrten weißen Glücksbrin- ger wurde. Wie war der Blick aufeinan- der, als sich der eine vom anderen los- sagte, als sich die beiden Arten vonei- nander entfremdeten? Von diesem Blick erzählt „Der Orni- thologe“. Vom Begehren, der Furcht und der schieren Möglichkeit, (auch) ein anderer zu sein. Und er erzählt es in Bildern, die so gelassen und lustvoll Schabernack treiben mit heidnischen und christlichen Motiven, dass beides ununterscheidbar wird. Aber nicht et- wa, um das eine oder das andere zu des- avouieren. Nein, sondern um die rauschhafte Qualitäten beider freizule- gen. Ein gefesselter nackter Mann? Wunden, an denen andere sich laben? Christliches Bildrepertoire. Und natür- lich ein bisschen pervers. Fast scheint es, als wäre der andere große portugiesische Autorenfilmer der Gegenwart, Miguel Gomes, Rodrigues’ ungleicher Kinozwilling: In ihren jüngs- ten Filmen grenzen Gegenwart und An- tike selbstverständlich aneinander. Bei- de Regisseure treten als Gepeinigte vor die Kamera. Und insistieren darauf, ihr Persönlichstes mit dem Mythos ihres Landes, ja Europas zu verschränken. Während Gomes in seinem sechstün- dig ausfransenden Filmungeheuer „1001 Nacht“ vom Chaos des Stoffs überfor- dert ist und diese Überforderung wie in einem wilden filmischen Karnevalstanz beschwört, fügt Rodrigues’ „Ornitholo- ge“ sanft und gemessenen Schritts alle Teile zusammen und sagt von sich selbst nur leise: Ich bin ein anderer. Am Ende sind wir, nicht zuletzt dank eines opulenten Natursounddesigns, bloß noch Wald und Wasser und Rau- schen. Da wirkt es fast befremdlich, wenn Antonius schließlich, gespielt von Rodrigues selbst und begleitet von einem fröhlichen Popsong, weg von uns gen Horizont wieder in die Zivilisa- tion tritt, nach Padua, wo auch der hei- lige Antonius seine letzten Jahre ver- brachte. Uns Zuschauer lässt er in unserer ganzen Schwarzstorchhaftigkeit zurück und erinnert daran, wie es war, als statt des dunklen Kinos noch der Wald der Ort war, in dem die Zeichen hausten, die zu deuten waren oder zu glauben. Es geht um Religion und Schwarzstörche. Aber hilft Glauben weiter in der Kunst und im Leben? SALZGEBER Zeig mir deine Wunder, du Vogel „Der Ornithologe“ von Regisseur João Pedro Rodrigues ist einer der verrücktesten Filme seit Jahren ANZEIGE

Zeig mir deine Wunder, du Vogel - film.mfg.de · umspannt als evolutionäres Element ungerührt die Jahrtausende. Das erdet den Film und gibt ihm ein zusätzliches Geheimnis. Der

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26 13.07.17 Donnerstag, 13. Juli 2017 DWBE-HPBelichterfreigabe: --Zeit:::Belichter: Farbe:

DW_Dir/DW/DWBE-HP13.07.17/1/Kul4 AVOGT 5% 25% 50% 75% 95%

DIE WELT DONNERSTAG, 13. JULI 201726 FEUILLETON

aber von zwei verirrten chinesischenPilgerinnen gerettet.

Die ihn, weil sie Angst vor Waldgeis-tern haben und „gute Christinnen“sind, fesseln, um ihn und sich wiederauf den rechten Jakobsweg zu bringen.Ziemlich lange und dekorativ hängtPaul Hamy als sein Martyrium erwar-tender Schnürpaketheiliger im Wald.Der Schwarzstorch schaut ihn sich jetztnoch mal genauer an. Ist der Gefesselte,Erregte, Verängstigte noch derselbe?Die Verwandlung kann bei Rodriguesaber auch bloß medizinisch-technischer

Z uerst sind wir ein Hauben-taucher und haben eine ko-mische Frisur. Wir brütenund passen auf: Kommt daein Mensch aufs Nest zuge-

schwommen? Kurz darauf werden wirmit der fliegenden Kamera zumSchwarzstorch: gleiten vom steilen Fel-sen hoch über den türkis schimmern-den Fluss. Dort, weit unten, ein dünnerStrich nur, sitzt ein Mensch in seinemKanu, er ist der Ornithologe, mit Fern-glas und Diktiergerät.

VON COSIMA LUTZ

Fernando, so heißt er, schaut zu langenach oben, bemerkt die Stromschnellenzu spät, geht im Rauschen unter. Wirgleiten weiter, hinein in den Film, hi-nein in einen nebeligen Wald.

Was hat der Film vor, was die Tiere,was das Rauschen, was der Wald? Immer wieder erstaunlich ist, wie ge-ordnet und unverzappelt João PedroRodrigues seine Fabel „Der Ornitholo-ge“ erzählt. Denn eigentlich versam-melt er genügend Elemente, um Chaoszu stiften.

Allein die Sprachen: Karnevalsgestal-ten feuern einander in Mirandés an, ei-ner romanischen Sprache im NordostenPortugals. Chinesinnen treten auf. Fer-nando wird später einen taubstummenZiegenhirten namens Jesus im Arm hal-ten, (fast) wie einst der heilige Antoniusdas Jesuskind hielt. Amazonen spre-chen Latein. Sie erschießen einen Hir-schen, nein, sie treffen Fernando, schonwieder ist er tot, doch er steht wiederauf. Und jetzt nennen sie ihn Antonius,wie den Nationalheiligen Portugals, derebenfalls eigentlich Fernando hieß. Erversteht ihr Jägerinnenlatein.

Schon in seinen ersten Bildern, dieeine große landschaftliche Prachtent-faltung veranstalten und zugleich je-des Entzückungspathos mancher Na-turdokumentationen weit hinter sichlassen, hat es der portugiesische Regis-seur auf Verwandlung abgesehen: aufihre Möglichkeit, aber auch auf ihreVerweigerung.

Die Verwandlung ist bei ihm einWunder oder auch keins. Der Tod mar-kiert dabei nur ihre Schwelle, offen inbeide Richtungen. Fernando also könn-te im Fluss gestorben sein, wird dann

Art sein, wie die (verweigerte) Ge-schlechtsumwandlung in „To Die Like aMan“ (2009). Oder auch wie beim Orni-thologen, der aus nicht näher erklärtenGründen schon vor seiner Havarie ris-kante Verwandlungstendenzen hat.

Er soll seine Tabletten nehmen, simstsein Freund, „denn ich will dich leben-dig“. Er schluckt sie, verliert sie, findetsie wieder, wirft sie weg. Wie seinHandy, seinen Pullover, sein Kanu, sei-nen Pass. Fernando entkommt, wird alsFernando aber trotzdem irgendwie ster-ben, denn er verwandelt sich im Verlauf

dieser fabelhaften Geschichte in einenmehr oder weniger heiligen Antoniusvon Padua. Und in den Regisseur selbst.

Unterwegs trifft er Jesus’ Zwillings-bruder Thomas, einen mit phallischerMaske, Karnevalskostüm und Glöck-chen behangenen, wilden Kerl. Fernan-do/Antonius liebt sie beide. Den einentötet er, den anderen erweckt er zumLeben. Glauben wir das? „Manches ge-schieht eben, und dann glauben wires“, predigt Antonius dem skeptischenThomas und dem Publikum. Das Ver-mögen der Verwandlung, das ist dem

studierten Ornithologen Rodrigues na-türlich klar, gehört aber weder derKunst noch dem Glauben allein. Sieumspannt als evolutionäres Elementungerührt die Jahrtausende.

Das erdet den Film und gibt ihm einzusätzliches Geheimnis. Der Schwarz-storch, von dem Fernando seinen Blicknicht wenden will, bevor ihn der Flussdavonreißt, ist ja niemand anderes alsder unverwandelt gebliebene Bruderdes Weißstorchs.

Derjenige, der weiterhin im Wald seinfast unsichtbares Leben führt und als

Unglücksbote gilt, während sich der an-dere dem Menschen anschloss und da-bei zum verehrten weißen Glücksbrin-ger wurde. Wie war der Blick aufeinan-der, als sich der eine vom anderen los-sagte, als sich die beiden Arten vonei-nander entfremdeten?

Von diesem Blick erzählt „Der Orni-thologe“. Vom Begehren, der Furchtund der schieren Möglichkeit, (auch)ein anderer zu sein. Und er erzählt es inBildern, die so gelassen und lustvollSchabernack treiben mit heidnischenund christlichen Motiven, dass beidesununterscheidbar wird. Aber nicht et-wa, um das eine oder das andere zu des-avouieren. Nein, sondern um dierauschhafte Qualitäten beider freizule-gen. Ein gefesselter nackter Mann?Wunden, an denen andere sich laben?Christliches Bildrepertoire. Und natür-lich ein bisschen pervers.

Fast scheint es, als wäre der anderegroße portugiesische Autorenfilmer derGegenwart, Miguel Gomes, Rodrigues’ungleicher Kinozwilling: In ihren jüngs-ten Filmen grenzen Gegenwart und An-tike selbstverständlich aneinander. Bei-de Regisseure treten als Gepeinigte vordie Kamera. Und insistieren darauf, ihrPersönlichstes mit dem Mythos ihresLandes, ja Europas zu verschränken.

Während Gomes in seinem sechstün-dig ausfransenden Filmungeheuer „1001Nacht“ vom Chaos des Stoffs überfor-dert ist und diese Überforderung wie ineinem wilden filmischen Karnevalstanzbeschwört, fügt Rodrigues’ „Ornitholo-ge“ sanft und gemessenen Schritts alleTeile zusammen und sagt von sichselbst nur leise: Ich bin ein anderer.

Am Ende sind wir, nicht zuletzt dankeines opulenten Natursounddesigns,bloß noch Wald und Wasser und Rau-schen. Da wirkt es fast befremdlich,wenn Antonius schließlich, gespieltvon Rodrigues selbst und begleitet voneinem fröhlichen Popsong, weg vonuns gen Horizont wieder in die Zivilisa-tion tritt, nach Padua, wo auch der hei-lige Antonius seine letzten Jahre ver-brachte.

Uns Zuschauer lässt er in unsererganzen Schwarzstorchhaftigkeit zurückund erinnert daran, wie es war, als stattdes dunklen Kinos noch der Wald derOrt war, in dem die Zeichen hausten,die zu deuten waren oder zu glauben.

Es geht um Religion und Schwarzstörche. Aber hilft Glauben weiter in der Kunst und im Leben?

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Zeig mir deine Wunder, du Vogel„Der Ornithologe“ von Regisseur João Pedro Rodrigues ist einer der verrücktesten Filme seit Jahren

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