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Zeitkrankheit Burnout - 9783868273502

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Burnout - eine Zeiterscheinung auf dem Weg zur Volkskrankheit. Meistens trifft sie den, der nicht damit gerechnet hätte - vor lauter Überbeschäftigung. Gerade die Idealisten, die sich voller Verantwortungsgefühl in die Arbeit stürzen, sind besonders gefährdet. Wie läuft diese Störung ab, wie erkennt man Frühsymptome und wie betreibt man sinnvoll Vorsorge für sich und andere? Lebens-Wichtige Informationen für Sie, denn Burnout ist nicht irgendeine Krankheit. Unsere Gesundheits- und Lebensorganisation als Ganzes steht zur Debatte - es lohnt sich, etwas Zeit in dieses Thema zu investieren!

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1. Einleitung

Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie bald eine Ent-deckung machen: Beim Thema Burnout geht es nichtnur um irgendein vielleicht ganz interessantes Krank-heitsbild. Stattdessen hat Burnout sehr viel mit unseraller Leben zu tun und damit, wie wir es anfassen. Wirkommen beim Nachdenken darüber gar nicht umgrundlegende Gedanken über die Konstruktion unse-res Lebens herum. Aber ich wüsste auch kaum ein The-ma, dass ebenso dazu angetan ist, uns zu ermutigen,neue Ideen zur Lebensgestaltung umzusetzen.

Vielleicht braucht Ihr Alltag auch gerade eineVerjüngungskur? Oder Sie möchten anderen Menschenwirksam dabei helfen?

Erstaunlicherweise kommt bei der Beschäftigung mitdem Thema Burnout in den meisten Fällen beidesheraus. Allerdings ist eines dafür notwendig: etwas Zeitzum Nachdenken.

Burnout ist nicht nur deshalb eine Zeitkrankheit, weiler heutzutage so weit verbreitet ist, sondern auch des-halb, weil der „Zeitmangel“ symptomatisch ist. Wersich Zeit nimmt, hat schon den ersten Schritt zur Vor-beugung oder zum Ausstieg getan.

In diesem Buch erwartet Sie Folgendes:Das nächste Kapitel soll mit einer Definition und Fall-beispielen deutlich machen, was Burnout überhaupt ist.

Anschließend werden Sie das Burnout-Syndrom inseinem phasenhaften Ablauf kennen lernen und verste-

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hen, woran man die verschiedenen Stadien erkennt(Kapitel 3).

In Kapitel 4 schauen wir uns dann die wichtige Fragean, warum bestimmte Menschen ausbrennen – wäh-rend andere das in ähnlichen Situationen offensicht-lich nicht tun.

Und in Kapitel 5 schlage ich Ihnen konkrete Wegevor, wie Sie eine Anti-Burnout-Grundhaltung entwi-ckeln können.

Insofern hoffe ich, dass dieses Buch tatsächlich nichtnur Informationen vermittelt. Viel mehr noch soll esAnstöße geben, die im Leben weiterwirken, Zeit schen-ken und Druck überflüssig machen.

1. Einleitung

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2. Was ist Burnout?

Schlagen wir doch einfach mal im „Brockhaus“ nach!Da finden wir Folgendes1:

„Burn out (engl.) der, -/-s, Kernenergietechnik: Durch-brennen von Reaktorbrennstäben oder Komponenteninfolge zu geringer Kühlung (Kühlmittelausfall) oder zuhoher Wärmeerzeugung (unkontrollierte Kernspaltung).“

Das wars. Das hätten Sie jetzt aber nicht gedacht, oder?Ich möchte Ihnen mit diesem Beispiel zeigen, dass

der Begriff Burnout für ein psychisches Syndrom nochgar nicht lange in Gebrauch ist.

Genau gesagt, wurde der Begriff als Bezeichnung fürein psychisches Geschehen 1974 von dem deutsch-stämmigen amerikanischen Psychoanalytiker HerbertFreudenberger geprägt, etwa gleichzeitig auch von S.G. Ginsburg.

Es sollte aber noch lange dauern, bis sich Burnout alsBezeichnung für ein Syndrom durchsetzte. Und bis heu-te gibt es keine letzte, allgemeinverbindliche Definiti-on.

Burnout ist auch keine medizinische Diagnose. Auchwenn ein Burnout-Syndrom in der Regel zu medizi-nisch benennbaren Erkrankungen hinführt. Am häu-figsten sind das Depressionen, Angsterkrankungen undfast immer auch psychosomatische Symptome.

1 Definition aus der 5-bändigen Ausgabe von 1984. Die Idee habe ichvon Helmut Kolitzus, s. „Literatur“.

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„Burnout“ im psychologischen Sinne ist eine Meta-pher, eine bildliche Umschreibung für einen bestimm-ten Zustand. Gemeint ist die Übersetzung „Ausbren-nen“.

Ganz grob gesagt tritt Burnout da ein, wo ein Menschüber lange Zeit zu viel Energie abgibt bei ungenügen-dem Energienachschub.

Das kann man sich ähnlich vorstellen wie bei einemAuto, wo die Leuchten, die Wischer, das Radio undwas weiß ich noch eingeschaltet sind und Energie ver-brauchen, aber nicht gleichzeitig die Batterie nach-geladen wird. Das funktioniert nicht allzu lange,irgendwann geht alles aus.

Beim Auto gibt es al lerdings immer eineKontrollleuchte, die sofort anzeigt, wenn die Licht-maschine nicht mehr funktioniert, also wenn keine E-nergie für die Batterie mehr hereinkommt.

Das Problem bei uns Menschen ist, dass uns dieseKontrollleuchte fehlt. Sehr oft merken wir nicht, dasswir vielleicht schon lange nicht mehr ausreichend nach-laden. Stattdessen arbeiten wir immer weiter in dersel-ben Richtung. Betroffene merken schon, dass irgend-etwas nicht stimmt und dass es ihnen nicht gut geht.Sie denken aber meist, dass sie das durch noch größereAnstrengungen in den Griff bekommen können. Undirgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo nichts mehrgeht.

Indem Sie dies lesen, haben Sie diesen Prozesszumindest für kurze Zeit außer Kraft gesetzt. Mögli-cherweise wollen Sie sich nur allgemein über eine ver-breitete Zivilisationskrankheit informieren. Aber gleich-

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zeitig nehmen Sie auch Abstand ein zu dem, was Sieselbst sonst tun. Und – wie gesagt – ich würde michfreuen, wenn dieses Buch gleichzeitig auch zu einer Art„Batterie-Check“ wird, den Sie auch später ab und zumal wiederholen können und der vielleicht zu Konse-quenzen führt.

Wie kann man Burnout nun aber genauer beschrei-ben? Wie schon gesagt gibt es keine allgemein verbind-liche Fachdefinition. Deshalb fasse ich im nächstenAbsatz einmal verschiedene vorhandene Definitionenzusammen.Burnout tritt da ein, wo ein Mensch über lange Zeitzu viel Energie abgibt bei ungenügendem Energienach-schub.

Das äußert sich folgendermaßen:Idealismus, Arbeitseifer und Begeisterung verwandeln

sich in einen Zustand chronischer Erschöpfung. Dasgeschieht oft über Jahre und in mehreren Phasen. DerErschöpfungszustand ist gekennzeichnet durch An-triebs- und Leistungsschwäche, Gedächtnisstörungen,Niedergeschlagenheit und Müdigkeit. Hinzu kommteine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und verschie-denste psychosomatische Beschwerden.

Häufig betroffen sind Menschen, die an sichbesonders hohe Anforderungen stellen und über einenlangen Zeitraum viel Engagement in ihre Tätigkeit in-vestieren. Sie brennen aus, wenn sie gleichzeitig nichtim erwarteten Maß Erfolg und Anerkennung erhalten.Das ist oft in sozialen und helfenden Berufen der Fall,wie etwa bei Sozialarbeitern, Lehrern, Ärzten und Kran-kenschwestern. Aber auch allein das Gefühl, dass

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nirgends sinnvoller beruflicher Einsatz möglich und er-wünscht ist, kann Burnout verursachen. Also auch beiArbeitslosen.

Burnout tritt da ein, wo ein Mensch über langeZeit zu viel Energie abgibt bei ungenügendemEnergienachschub.

Erscheinungsbild:

• Idealismus, Arbeitseifer und Begeisterung verwan-deln sich in einen Zustand chronischer Erschöp-fung.

• Wichtige Symptome sind: Antriebs- und Leistungs-schwäche, Gedächtnisstörungen, Niedergeschla-genheit und Müdigkeit, außerdem erhöhte Anfäl-ligkeit für Infektionen und psychosomatische Be-schwerden.

• Ein vorherrschendes Gefühl ist, zu wenig Erfolgim Verhältnis zum Einsatz zu haben.

• Die Entwicklung geht oft über Jahre und läuft inmehreren Phasen ab.

• Besonders häufig betroffen sind leistungsorien-tierte Menschen mit hohen Idealen.

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Burnout-Betroffene verteilen sich statistisch übrigensfolgendermaßen:

Helferberufe 40 %, Lehrer 30 % und Mitarbeiter inder Verwaltung 10 %. Letztlich kommt Burnout aberin jeder Berufsgruppe vor. Zur Gesamtzahl gibt es kei-ne wissenschaftlich fundierten Zahlen, was sich unteranderem aus der sehr weiten Verbreitung des Burnout-Anfangsstadiums erklärt.

Burnout-Betroffene

• Helferberufe (40 %)

• Lehrer (30 %)

• Mitarbeiter in der Verwaltung (10 %)

• alle Weiteren 20 %

Anhand von beispielhaften Fallgeschichten möchte ichjetzt zeigen, wie das Krankheitsbild im praktischen Le-ben aussehen kann.

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Fallbeispiel Bernhard T.

Bernhard T. wuchs gemeinsam mit seinem 1 ½ Jahreälteren Bruder auf. Dieser gehörte schon in der Grund-schule immer zu den Besten, ganz im Gegensatz zuBernhard. Sein Vater, der sich nach dem Krieg aus ärm-lichsten Verhältnissen emporgearbeitet hatte und einenSchreibwarenladen besaß, betonte immer wieder, wieviel ihm daran lag, dass aus seinen Jungen „mal wasRichtiges wird“. Entsprechend unzufrieden war er da-mit, dass Bernhard so deutlich hinter seinem Bruderzurückblieb. Anfangs gab es noch Strafen für schlechteKlassenarbeiten, was auf Seiten des Vaters aber spätereiner resignativen Haltung wich: Aus dem wird haltnicht viel. Bernhards Mutter, eine eher stille und vomVater dominierte Frau, bemühte sich darum, dessenHärten etwas auszugleichen. Sie konnte aber nicht ver-bergen, dass sie eigentlich ähnlich dachte.

Nachdem Bernhard sich lange mit wenig Erfolg be-müht hatte, ging er als Teenager in den Protest. Er tatjetzt wirklich kaum noch etwas für die Schule, war stän-dig mit „Freunden“ unterwegs und dröhnte sich zuHause mit überlauter Musik zu, was seinen Vaterimmer wieder ungemein auf die Palme brachte. Trotz-dem schaffte er schließlich mit Müh’ und Not dieMittlere Reife.

Bei der selbst gewählten Klempnerlehre, die er dannbegann, geriet er an einen Meister, der ihn und seineLeistung anerkannte. Schon früh wurden ihm selbstän-dige Arbeiten übertragen, und Bernhard genoss es, inder Firma ernst genommen zu werden. Noch in der

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Lehrzeit zog er zu Hause aus. Die Gesellenprüfung be-stand er mit Auszeichnung und erreichte die Meister-prüfung in Mindestzeit. Bald darauf machte er sichselbständig.

Zunächst lief alles gut. Bernhard heiratete in dieserersten Zeit der Selbständigkeit, bekam reichlich Auf-träge und konnte die Firma weiter ausbauen. Ein neuesGebäude in einem kleinen Industriegebiet wurde be-zogen und weitere Mitarbeiter eingestellt. Manchmalfanden seine Frau und er zwar, dass er zu viel arbeitenmüsse, aber beide waren der Meinung, dass das wohlnicht anders gehe. Die Buchhaltung ging immer mehrin die Hände seiner Frau über, weil Bernhard gar keineZeit mehr dafür hatte.

Als die Familie sich einen neuen Wagen kaufte, wur-de es die Nobelmarke, von der Bernhard wusste, dasssie bei seinem Vater den meisten Eindruck machte.Gerade das wollte er nämlich immer noch, trotz allerErfolge, die er schon erreicht hatte. Als er bei seinenEltern vorfuhr, erlebte er allerdings eine Enttäuschung.„Na, wenn du den mal bezahlen kannst!“, meinte seinVater nur mit Seitenblick auf das (tatsächlich nur an-bezahlte) Auto. Dann bekam Bernhard noch allerhandüber die gegenwärtigen Erfolge seines Bruders erzählt.

Leider wurde es geschäftlich bald schwieriger. Auf-grund der schlechten Wirtschaftslage gab es deutlichweniger an größeren Aufträgen. Bei Ausschreibungenunterboten sich die Firmen gegenseitig. Um an Auf-träge heranzukommen, ließ sich Bernhard auf Preiseund Fertigstellungsfristen ein, bei denen er nur im güns-tigsten Fall überhaupt etwas verdienen konnte. Bei je-

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der Störung musste er ins Minus geraten. Obwohl erinzwischen 15 Mitarbeiter beschäftigte, bestand ein gro-ßer Teil seines Arbeitstages darin, dass er noch selbstauf Baustellen stand und schaffte, natürlich mit demAnspruch, noch schneller und besser zu sein als seineLeute. Immer wieder klingelte das Handy und hieltihn auf. Wenn ein Kunde in der Leitung war, gabBernhard sich trotzdem große Mühe, diesen freund-lich zu behandeln, irgendetwas zu erklären odermöglichst taktvoll zu vertrösten, wenn es um Termineging.

Aber selbst, wenn es gelungen war, ein Projekt ter-mingerecht und gut zum Abschluss zu bringen, hießdas noch lange nicht, dass damit alles in Ordnung war.Immer mehr, gerade der Großkunden, entdeckten dieMethode, durch Feststellung angeblicher Mängel, dieBezahlung lange hinauszuzögern oder den Preis nochweiter zu drücken. Bernhard empfand es jedes Mal alspersönliche Kränkung, wenn seine Arbeit so schlecht-geredet wurde. Viele bezahlten auch grundsätzlich erst-mal gar nicht, sondern erst nach Anlaufen eines Ge-richtsverfahrens Monate später.

Bernhards Frau, die inzwischen auch für heranwach-sende Kinder zu sorgen hatte, kannte sich mit diesenkomplexer werdenden juristischen Problemen nichtausreichend aus, um immer das Bestmögliche zu errei-chen. Eigentlich wäre es oft wesentlich effektiver ge-wesen, wenn Bernhard im Büro geblieben wäre undsich hinter solche ausstehenden Zahlungen geklemmthätte, aber er hatte das Gefühl, am meisten mit „rich-tiger“ Arbeit zu schaffen.

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Weil es geschäftlich immer enger wurde, lieferte ernoch mehr davon. Waren die Samstage schon lange zuArbeitstagen geworden, so wurde es jetzt abends nochspäter, und oft verbrachte Bernhard auch die Sonntag-nachmittage vor dem Computer im Büro.

Dass die Kinder alle Anzeichen eines Vaternotstandsaufwiesen und immer schwieriger wurden, machte dieLage für die Familie nicht einfacher.

Bernhards Frau äußerte jetzt immer öfter, dass es soeinfach nicht mehr weitergehen könne. Aber die Argu-mente, die Bernhard ihr dann entgegenhielt, waren er-schlagend. „Weißt du, wie hoch unsere Grundkostensind? Wie viel wir jeden Monat an Gehältern und Ab-trägen zu bezahlen haben? Was denkst du dir denn, wiedas hereinkommen soll, wenn ich mich auf die fauleHaut lege?“ Also fügte sie sich, wenn auch murrend,weiter in ihr Schicksal und versuchte, die Büroarbeitnebenbei zu schaffen.

Freunde schlugen ihm vor, die Grundkosten durchVerkleinerung des Betriebes zu senken. Er wäre dannaußerdem nicht mehr so stark auf Großaufträge ange-wiesen, die immer das ruinöse Ausschreibungsverfahrenmit sich brachten. Davon wollte Bernhard allerdingsgar nichts wissen. Seinen Betrieb zu verkleinern, hätteer als Versagen erlebt. Und in die Rolle des schwarzenSchafes der Familie wollte er nie wieder zurück.

Schließlich war es dann soweit. Bernhard T. brachzusammen. Nachdem es ihm schon monatelangstimmungsmäßig schlecht gegangen war und er nurunter äußerster Aufbietung aller Kräfte noch seine Ar-beit hatte schaffen können, ging es eines Montag-

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morgens einfach nicht mehr. Er hatte einen solchenWiderwillen gegen die Arbeit und eine so massive in-nere Verwirrung in sich, dass er sich zu nichts mehraufraffen konnte. Medizinisch wurde eine schwere De-pression diagnostiziert. Ein langer Klinikaufenthaltwurde notwendig. Glücklicherweise war Bernhard T.gut gegen Krankheitsausfall versichert, so dass sein Be-trieb in verkleinerter Form überleben konnte.

Ich gehe später noch auf diese Entwicklung ein, jetztgeht es mir aber erst einmal um Beispiele für Burnout.Die nächste Fallgeschichte ist ganz anders gelagert, aberSie werden trotzdem die Parallelen entdecken.

Fallbeispiel Ingrid D.

Ingrid D. ist als Älteste von drei Kindern in einemGeschäftshaushalt aufgewachsen. Sie ist verheiratet, hatzwei Kinder und arbeitet als Krankenschwester. Weilihrem Mann vor zehn Jahren eine gute Stelle in seinerHeimatstadt angeboten wurde, zog die Familie mit ih-ren beiden Kindern dorthin. Ein weiterer Grund fürden Umzug war, dass ihr Mann sich Sorgen um seineverwitwete Mutter machte, die dort allein in ihrem gro-ßen Haus wohnte. Schon mehrfach hatte sie angebo-ten, das Haus ihrem Sohn zu überschreiben, wenn erdort einziehen wolle. Sie würde dann in die Einlieger-wohnung ziehen.

Ingrid hatte Bedenken, da sie sich nie besonders gutmit ihrer Schwiegermutter verstanden hatte. Diese warrecht dominant und ließ wenig neben ihrer Meinung

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gelten. Andererseits war es eine attraktive Aussicht, soeinfach zu einem großen Haus mit Garten zu kom-men. Beide entschlossen sich letztlich, das Angebot an-zunehmen. Bei dieser Gelegenheit versprachen beideder Mutter auch, dass sie „selbstverständlich“ nie insAltersheim müsse, sie würden sie schon versorgen.

Zunächst ging es einigermaßen gut. Die Schwieger-mutter kam selbst zurecht, und Ingrid hatte mit Kin-dern, Haushalt und Beruf genug zu tun. Sie hatte sehrbald wieder eine Halbtagsstelle im Krankenhaus aufeiner internistischen Station gefunden. Allerdings fühltesie sich der Schwiegermutter gegenüber oft verpflich-tet, Hilfe anzubieten oder Aufgaben zu übernehmen.Dazu gehörte zum Beispiel Gartenpflege und Einkäu-fe. Ärgern konnte sich Ingrid, wenn die Schwiegermut-ter, deren Terrasse direkt zum Garten ging, schon wiederirgendwelche Kleinigkeiten zu bemängeln hatte wieUnkraut im Blumenbeet oder die Länge des Rasens.Weil Sohn und Tochter meistens erst abends mit ihrenHausaufgaben fertig waren, zum Sport mussten oderauch nur ihre Unlust sehr deutlich zeigten, blieben dieseAufgaben regelmäßig an Ingrid hängen. Sie wollteschließlich, dass alle sich wohl fühlten. Die Kinder hat-ten es ohnehin schwer genug mit ihren Verpflichtungen,fand sie, und der alten Dame konnte man ja unmöglichdie Gartenarbeit zumuten. Selbstverständlich fuhr sieihre Kinder auch mehrmals in der Woche zu irgend-welchen Terminen, solange diese noch keinen Führer-schein hatten. Ihren Mann plante sie an Werktagen schongar nicht mehr ein, weil er beruflich so viel zu tun hatte.„Der soll sich mal erholen, wenn er zu Hause ist.“

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Vor drei Jahren dann stürzte die Schwiegermutter undbrach sich den Schenkelhals. Ein langer Krankenhaus-aufenthalt folgte, wo im Wesentlichen Ingrid sie be-suchte und mit allem Notwendigen versorgte. DieseBesuche waren für Ingrid sehr anstrengend. Zum einenwusste sie eigentlich nicht, wo sie die Zeit dafür her-nehmen sollte, zum anderen gab es fast kein Thema,über das sie sich mit ihrer Schwiegermutter unterhal-ten konnte, ohne dass diese meinte, in barschem Tonan ihr herumerziehen zu müssen. Kaum, dass sieüberhaupt einmal Danke sagte für all die Hilfe, die siebekam. Ingrid hoffte nur, dass diese Phase bald durch-gestanden wäre.

Das war aber ein Irrtum. Nach der Entlassung zeigtesich, dass die Schwiegermutter kaum in der Lage war,selbständig zu gehen und sich weder mit Essen versor-gen noch ihren Haushalt erledigen konnte. Als Ingridmit der Idee kam, eine ambulante Hilfe zu organisie-ren, lehnte die Schwiegermutter dieses strikt ab. Siehabe ja wohl ein Recht darauf, dass sich auch mal je-mand um sie kümmere, nachdem sie so viele Jahre fürandere gearbeitet habe. Außerdem sei es so abgemacht.Wenn Ingrid sich bei ihrem Mann beklagte, versuchtedieser, einen ausgleichenden Standpunkt zu beziehen(„Mutter änderst du nicht mehr!“) und kümmerte sicham Wochenende etwas mehr um seine Mutter. Wirk-lich verstanden fühlte sich Ingrid aber nicht und merk-te, dass sie sich in dieser Situation auch ihrem Mannimmer mehr entfremdete.

In der Zwischenzeit zog der Sohn wegen seinesStudienbeginns aus, auch die Tochter war kaum noch

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zu Hause. Ingrid fühlte sich aber weiterhin verpflich-tet, jeden Tag pünktlich neben allen anderen Aufgabenkomplette Mahlzeiten zu liefern. Schon längst hattesie sich aus einer Runde von Frauen aus der Nachbar-schaft zurückgezogen, mit denen sie sich bisher wö-chentlich getroffen hatte, hatte sich bei ihrem Chorabgemeldet und merkte in der Weihnachtszeit beimKartenschreiben, dass sie zu mehreren Freundinnenschon ein ganzes Jahr lang keinen Kontakt mehr ge-habt hatte. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Leben eigent-lich nur noch aus Arbeit bestand. Ein Lichtblick dabeiwar noch das Krankenhaus, weil sie dort wenigstensein paar nette Kolleginnen hatte und auch Patientenmanchmal ihre gute Pflege bemerkten und sich bei ihrbedankten. Zu Hause war alles selbstverständlich.

In letzter Zeit kam dann noch hinzu, dass die Schwie-germutter gelegentlich leicht verwirrt wirkte. Sie ver-wechselte dann z. B. Wochentage oder behauptete ge-reizt und beharrlich, dass Ingrid ihr wieder irgendwelcheDinge weggenommen habe – was mit Sicherheit nichtstimmte.

Ingrid litt seit Monaten zunehmend unter schlech-tem Schlaf und häufigen Spannungskopfschmerzen.Oft versank sie in trübe und hoffnungslose Grübelei-en. Hatte sie sich früher für vieles interessiert, schienihr inzwischen ziemlich gleichgültig, was in der Zei-tung stand. Auf Sendungen im Fernsehen konnte siesich schon lange nicht mehr konzentrieren.

Eine Freundin, die unangemeldet zu Besuch kam, er-schrak über Ingrids Zustand. Sie war es auch, die sieüberredete, gemeinsam einen Psychiater aufzusuchen,

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und überzeugte sie davon, dass sie nicht nur ein Medi-kament, sondern unbedingt psychotherapeutische Hilfebrauchte.Soweit dieses zweite Beispiel.Natürlich können Burnout-Szenarien auch noch ganzanders aussehen:

• Ein Burnout-Syndrom hat auch der Lehrer, der vor20 Jahren enthusiastisch ins Referendariat ging, weiler wollte, dass seine Schüler ganz andere Erfahrun-gen machen, als er sie machen musste. Der jetzt aberlangweiligsten Unterricht nach immer gleichen altenKonzepten abliefert und die Schüler durch angedrohteTests in Schach hält. Seit Jahren baut er schon anseinem alten Haus herum, was sein wesentlicherLebensinhalt zu sein scheint.

• Oder eine Altenpflegerin, die schon seit Monatenkrankgeschrieben ist. Vorher hatte sie als Stations-schwester in ihrem immer weiter durchrationalisiertenAltenheim nur noch mit ungelernten ausländischenKräften zusammengearbeitet. Trotz aller Hetze undÜberstunden hatte sie immer das Gefühl, dass diealten Menschen eigentlich unterversorgt sind.

• Oder ein Mitarbeiter in einer christlichen Drogen-hilfeeinrichtung, der vor drei Jahren mit seiner Fa-milie in eine therapeutische Wohngemeinschaft zog,

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voller guter Vorsätze und Ideen. Jetzt braucht mannur eine Viertelstunde mit ihm zusammen zu sein,dann hat man schon zwei oder drei verbitterte Geschich-ten darüber gehört, wie unzuverlässig die Drogenabhän-gigen sind, wie oft er beklaut worden ist und wie wenigVerständnis der Trägerverband für seine Situation hat.

• Oder der Pastor, der immer wieder feststellt, wenn erein besonderes Projekt in der Gemeinde voranbringenwill, dass dieses den Widerstand bestimmter Grup-pen mobilisiert. Diese fassen geplante Veränderun-gen offensichtlich als Konkurrenz oder Angriff aufihre bisherigen Werte auf. Mit großer Anstrengungkann er sich letztlich in manchem durchsetzen, aberes gibt eigentlich keinen, der wirklich sieht, wie vieler leistet, und das dankbar anerkennt. Nachdem esauch noch beißende Kritik an Äußerungen in seinenPredigten gegeben hat, die als unkorrekt aufgefasstwurden, entwickelt er eine Angstkrankheit. Er kannnicht einmal mehr das Gemeindehaus betreten.

Soweit die Beispiele, denen man immer noch viele hin-zufügen könnte.

Im nächsten Kapitel soll es darum gehen, wie sich einBurnout entwickelt.

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