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Zeitsehr. f. Pilzkunde 103 - 112 Oktober 1973 Über die Giftstoffe der Gattung Amanita vonTh.Wie I a n d Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Abteilung Chemie, Heidelberg. Die bekanntesten europäischen Giftpilze gehören zur Gattung Amanita1 . Am berülunte. sten ist zweifellos A. muscaria, .der Fliegenpilz, dessen Giftigkeit aber gewöhnlich überschätzt wird. Viel gefährlicher ist die weiße Variation, Amanita phalloides val. vema des stärker verbreiteten, ebenso giftigen grünen Knollenblätterpilzes A. phalloides (Vaill. ex Fr.) Secr. Seine Tücke beruht darauf, daß er mit wohlschmeckenden Speisepilzen,etwa Agaricus arvensis (Anisegerling, Champignon) verwechselt werden kann, solange dessen Blätter noch hell sind; der deutliche Anisgeruch der eßbaren Agaricus{Psalliota-)arten sollte jedoch auch den Laien vor dem verhängnisvollen Irrtum bewahren. Eine andere weiße Art, A. virosa, findet sich seltener, eher in den Alpen, und kommt auch im Nadelwald vor, während die vorher genannten Pilze im Laubwald stehen. Die auf dem nord amerikanischen Kontinent heimischen giftigen Arten A. tenuifolia und A. bisporigera dürften nahverwandte Varietäten von A. phalloides sein. Der in Europa ziemlich häufige gelbe Knollenblätterpilz A. citrina enthält auch nach unseren chemischen Analysen keine giftigen Peptide, jedoch ziemlich viel Bufotenin (5-Hydroxy-N-dimethyltryptamin) und andere mit dem psychoaktiven Serotonin verwandte Indolderivate. Interessanterweise sollen Am an i tin e, Phytotoxine von A. phalloides, auch in einigen Galerina-Arten enthalten sein2. Bei den biologisch aktiven Inhaltsstoffen des Fliegenpilzes soll hier nicht ins Detail gegangen, sondern auf den ausführlichen Aufsatz3 des Spezialisten C. H. E u g s t e r verwiesen werden. Erwähnt. werden soll nur die erfolgreiche Strukturaufklärung und die Synthesen des pharmakologisch interessanten, aber nicht tödlich giftigen Muscarins, das jedoch nur einen kleinen Anteil der Inhaltsstoffe von A. muscaria auszumachen scheint. In anderen Pilzen ist von dieser quaternären Ammoniumverbindungviel mehr vorhanden, z. B. 10000mal mehr in bestimmten Inocybe-Arten (ca. 0,5%). Solche Pilze erzeugen Muscarinvergiftungen,die von den Zuständen nach Fliegenpilzgenußdeutlich verschieden sind. Im Fliegenpilz (und in anderen Gattungen) sind aber andere relativ einfach gebaute heterocyclische Verbindungen (Isoxazolderivate) entdeckt worden, die eine stark erregen- de Wirkung des Zentralnervensystems aufweisen: Muscimol und Ibotensäure. Diese und die biologisch weniger aktiven, aus Tricholoma muscarium isolierte Tricholomasäure Zusammenfassung: Th. Wie 1a n d , Science (Washington) 159, 946 (1968). Th. Wie 1a n d und O. Wie 1a n d in Microbial Toxins, Vol. VIII, S. 249, Academic Press, I972. 2 siehe bei R. G. Ben edict in Microbial Toxins, Bd. VIII, S. 284 Academic Press, New York und London, 1972. 3 C. H. Eu g s t er, Naturwissenschaften 55, 305 (1968).

Zeitsehr. f. Pilzkunde 103 - 112 Oktober 1973 Über die

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Zeitsehr. f. Pilzkunde 103 - 112 Oktober 1973

Über die Giftstoffe der Gattung AmanitavonTh.Wie I a n d

Max-Planck-Institut für medizinische Forschung,Abteilung Chemie, Heidelberg.

Die bekanntesten europäischen Giftpilze gehören zur Gattung Amanita1 . Am berülunte.sten ist zweifellos A. muscaria, .der Fliegenpilz, dessen Giftigkeit aber gewöhnlichüberschätzt wird. Viel gefährlicher ist die weiße Variation, Amanita phalloides val. vemades stärker verbreiteten, ebenso giftigen grünen Knollenblätterpilzes A. phalloides (Vaill.ex Fr.) Secr. Seine Tücke beruht darauf, daß er mit wohlschmeckenden Speisepilzen,etwaAgaricus arvensis (Anisegerling,Champignon) verwechselt werden kann, solange dessenBlätter noch hell sind; der deutliche Anisgeruch der eßbaren Agaricus{Psalliota-)artensollte jedoch auch den Laien vor dem verhängnisvollen Irrtum bewahren. Eine andereweiße Art, A. virosa, findet sich seltener, eher in den Alpen, und kommt auch imNadelwald vor, während die vorher genannten Pilze im Laubwald stehen. Die auf demnord amerikanischenKontinent heimischen giftigen Arten A. tenuifolia und A. bisporigeradürften nahverwandte Varietäten von A. phalloides sein. Der in Europa ziemlich häufigegelbe Knollenblätterpilz A. citrina enthält auch nach unseren chemischen Analysen keinegiftigen Peptide, jedoch ziemlich viel Bufotenin (5-Hydroxy-N-dimethyltryptamin) undandere mit dem psychoaktiven Serotonin verwandte Indolderivate. Interessanterweisesollen Am an i tin e, Phytotoxine von A. phalloides, auch in einigen Galerina-Artenenthalten sein2.

Bei den biologisch aktiven Inhaltsstoffen des Fliegenpilzes soll hier nicht ins Detailgegangen, sondern auf den ausführlichen Aufsatz3 des Spezialisten C. H. E u g s t e rverwiesen werden. Erwähnt. werden soll nur die erfolgreiche Strukturaufklärung und dieSynthesen des pharmakologisch interessanten, aber nicht tödlich giftigen Muscarins, dasjedoch nur einen kleinen Anteil der Inhaltsstoffe von A. muscariaauszumachen scheint.In anderen Pilzen ist von dieser quaternären Ammoniumverbindungviel mehr vorhanden,z. B. 10000mal mehr in bestimmten Inocybe-Arten (ca. 0,5%). Solche Pilze erzeugenMuscarinvergiftungen,die von den Zuständen nach Fliegenpilzgenußdeutlich verschiedensind. Im Fliegenpilz (und in anderen Gattungen) sind aber andere relativ einfach gebauteheterocyclische Verbindungen (Isoxazolderivate) entdeckt worden, die eine stark erregen-de Wirkung des Zentralnervensystems aufweisen: Muscimolund Ibotensäure. Diese unddie biologisch weniger aktiven, aus Tricholoma muscarium isolierte Tricholomasäure

Zusammenfassung: Th. Wie 1a n d , Science (Washington) 159, 946 (1968). Th.Wie 1a n d und O. Wie 1a n d in Microbial Toxins, Vol. VIII, S. 249, AcademicPress, I972.

2 siehe bei R. G. Ben e d i c t in Microbial Toxins, Bd. VIII, S. 284 Academic Press,New York und London, 1972.

3 C. H. Eu g s t er, Naturwissenschaften 55, 305 (1968).

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besitzen selbst einen würzigenGeschmackund zeichnen sich durch eine starke, das Aromader Speisenintensivierende Wirkungaus.Von den tödlich giftigen Wulstlingen ist in Mitteleuropa der grüne Knollenblätterpilz,Amanita phalloides, einigermaßen verbreitet. Er enthält, wie auch die weiße Varietät,nach unseren langjährigen Untersuchungen zahlreiche Giftstoffe, biologischinerte Cyclo-peptide und mindestens ein gegenPhalloidin wirkendes, also antitoxisches Cyclodecapep-tid, Antamanid. Bei dem in unserem Laboratorium üblichenAufarbeitungsverfahren wirdein Giftstoff zerstört, das schon 1891 von R. K 0 b e r t beschriebene und Phallinbenannte hämolytische Prinzip. Es kann nur in frischem Preßsaft oder in wäßrigenExtrakten schonend getrockneter Pilze nachgewiesenwerden. Nach neueren Untersuchun-gen von L. F i u m e4 handelt es sich um eine nicht dialysierbare, also hochmolekulareVerbindung unbestimmter Natur, die nicht nur die roten Blutzellen zerstört, sondernauch Kulturen von anderen Zellen, wie solche der KB-Linie oder des menschlichenAmnions vernichtet. Das Toxin ist, wie schon K 0 b er t beschrieb, sehr labil gegenHitze, Alkali und Säuren und in organischen Lösungsmitteln unlöslich, kann alsoschonend mit Methanol ausgefällt werden. Seine Labilität macht die Bearbeitung äußerstschwierig, so daß wir bis heute nur sagenkönnen, daß sie sichvon anderen Hämolysinen,wie z. B. dem Melittin, einem Polypeptid aus Schlangengift, das die Eigenschaften vonInvertseifen aufweist, unterscheidet. Zur Extraktion der niedermolekularen Inhaltsstoffewerden die Pilze aber in Methanol ~ingelegt, wobei das hämolytische Prinzip ausgefälltund im Laufe der Zeit zerstört wird.

Die Aufarbeitung des Methanolextrakts von A. phalloides erfolgt durch Ausfällungsopera-tionen und Chromatographie. Nach dem Einengen der ausgepreßten, ca. 5Oproz.wäßrig-methanolischen Lösung wird durch Behandlung mit Methanol viel anorganisches Salz,hauptsächlich Kaliumchlorid ausgefällt. Die Methanollösung wird sodann wieder imVakuum eingedampft, der Rückstand in Wasser gelöst und bis zur Sättigung mitAmmonsulfat versetzt. Dabei werden die uns interessierenden Inhaltsstoffe ausgesalzen.Das sog. Primärmaterial I wird in Wassergelöst, die Lösung mehrmals mit Benzin, dannmit Essigester ausgeschüttelt. Der erste Extrakt enthält hauptsächlich Glyceride undandere Fettsäure-ester, der Essigester enthält eine große Zahl lipophiler Cyclopeptide,darunter das antitoxische Antamanid. Von den inerten Cyclopeptiden ist bisher erst dieStruktur des sog. ,,Phallin A" bekannt, nämlich Cyclo-glycyl-valyl-phenylalanyl-phenyi-alanyl-alanyl-prolyl. -

Die wäßrige Phase der obigen Verteilung enthält die Giftstoffe, von denen bis heute etwaein Dutzend isoliert und in ihrer Konstitution aufgeklärt wurden. Sie lassen sich, ambesten papierchromatographisch, trennen und durch ihre Farbreaktion mit Zimtaldehydin Chlorwasserstoff-Atmosphäresichtbar machen.

Wir unterscheiden 2 Gruppen, die Phallotoxine und die Amatoxine. Die ersteren wirkenbei der weißen Maus mit einer LDso von 1,5-2,5 mg/kg in 2-3 Stunden, die letzterenmit LDso von 0,2-0,5 mg/kg in 2-4 Tagen. In Abbildung I erkennt man noch eine alsAmanullin bezeichnete Verbindung vom Amanitintyp, ilie jedoch infolge eines einzigenStrukturmerkmals, Fehlen einer OH-Gruppe, nahezu ungiftigist.

Die Phallotoxine greifen relativ rasch die Leber an und führen unter Zerstörung diesesOrgans schon in einigen Stunden zum Tod. Die Amatoxine sind wohl als die eigentlichenGiftstoffe zu betrachten; sie verursachenin kleinerer Menge,aber oft erst nach Tagen den

4 L. F i urne, Arch. Sci. bio!. 51, 85 (1967).

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*&.Amanitin 0P .Amanitin0(0.4)

Amanin (0.5)8c .Amanitin(l.D)

er .Amanitin0(0.35)

Y.Amanitin 0(D.2)

Amanullin0l (0)

Abbildung 1Absteigendes Papierchromatogramm in Butanon: Aceton: Wasser (30:3:5)der identifizierten Komponenten von Amanita phalloides. Zur Übersicht sinddie Phallotoxine (links) getrennt von den Amatoxinen aufgezeichnet. DieFleckengröße ist ein grobes Maß für die relativen Giftmengen: Die ZaW inKlammern bezeichnet die LDso pro kg weiße Maus.

Tod durch Reaktion mit den Zellkernen von Leber und Nieren. Die tödlichen Dosen sindvon Tierart zu Tierart sehr verschieden: So beträgt die LDso pro kg Körpergewicht fürPhalloidin an der weißen Maus 2 mg, an der Ratte aber 0,75 mg. Dasgiftigerea-Amanitinwirkt bei der weißen Maus mit einer LDso von 0,3 mg pro kg, beim Meerschweinchenschon mit 0,1 mg, bei der Ratte aber erst mit 2 mg pro kg. Auch spielt der Modus derVerabreichung bei den verschiedenenArten eine Rolle. Bekanntlich kommen die Pilzgiftebeim Menschen nach peroraler Einnahme, also vom Magen und Darm aus zur Wirkung.Die vielfach beobachtete Resistenz mancher Säugetiere, z. B. des Schweins oder desKaninchens beruht mit größter Wahrscheinlichkeitauf mangelnder Resorption der Phyto-toxine. Nach eigenen und anderweitigen Beobachtungen bewirken bei der MausperoraleGaben von 2 g Trockenpilzpulverpro kgS oder von 10 mg pro kg reinen Phalloidinsbzw.10 mg reinen a-Amanitins bei der Maus oder Ratte6 keine Vergiftungserscheinungen.Vom Meerschweinchenhingegen wird a-Amanitin aus dem Magenund Darm in so großemAusmaß resorbiert, daß hier 1mg pro kg nach 100 Stunden zum Tod fUhrt.

5 R. See ger, Arch. Toxicol. 25, 193 (1969)6 Th. Wie 1a n d ,Naturwissenschaften 59, 225 (1972).

Start I0.1

I

Phallacidin0.21 (2.5)

.3

I

.4-1 Phallisin0(2,5)

1 Ph,lI,id;, 0.5 (2.0)

.6

Phalioin0(l.5).7-1 PhallinB0

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106

Der Gehalt an den Giftstoffen ist bei A.phalloides in geringem Maße vom Standort undwoW auch von den klimatischen Bedingungen abhängig. Nach unseren alten unter Lit. 1referierten Angaben, die neuerdings durch ein chromatographisches Analys~nverfahrenvon H. Fa u Ist ich in meinem Institut verfeinert wurden, kann man in 100 gFrischpilzen 10-20 mg Amatoxine und ebensoviel Phallotoxine annehmen, zu denennoch weitere, bisher unidentifizierte Komponenten hinzukommen.

Die präparative Trennung aller Toxine gelingt auf chromatographische Weise,wobei sichin den letzten Jahren das lipophil-hydrophile Sephadex LH-20 als Medium einerVerteilungschromatographie mit Wasserals Laufmittel bewährt hat. Aus den an Giftstof-fen angereicherten Eluatfraktionen erhält man die Einzelkomponenten durch mehr oderweniger oft wiederholte Chromatographie an kleineren Säulen unter Verwendung einerMischung aus Butanon (4 Vol.), Aceton (1 Vol.), Wasser(1,2 Vol.). Heute haben wir diemeisten der giftigen Inhaltsstoffe rein isoliert und in ihrer Konstitution aufgeklärt.

Phallotoxine

Die Phallotoxine bestehen im wesentlichen aus 4 verschiedenen Cyclopeptiden, derenFormeln, zusammen mit 3 giftigen chemischen Abwandlungsprodukten, in der General-formel I wiedergegebensind:

~ ~H2C-C-CO-NH-CH-CO-NH-C-CH2-R1I 1 I

NH H2C co

I 'r0 IOC s.--JlN~ NH

PHC"""- H I

21 HC-RN-CO-CH I 3

H IHN--CO-CH--NH-CO

OH I

I H-~-oHR2

PhalloinR1 = ?COH)-CHS' R2 = CHs' Rs = CHs'

CHsPhalloidin

R1 = yCOH)-CH2OH, R2 = CHS' RS = CHs'CHs

Phall isin R1 = yCOH)-CH2OH, R2 = CHs' Rs = CHS'CH20H

Phallacidin R1 = yCOH)-CH2OH, R2 = C02H, Rs = CHCCHs)2'CHs

Ketophalloidin R1 = CO-GHs' R2 = CHs' Rs = CHs'

Desmethylphalloin R1 = CHCOH)-GHs' R2 = CHS' Rs = CHs'

Norphalloin R1 = CH2-CHs' R2 = CHS' Rs = CHs.

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Diese bizyklischen Heptapeptide werden in der Leber und den Nieren angereichert, ohnedort einem Metabolismus zu unterliegen7. In der perfundierten isolierten Rattenleberwird radioaktiv markiertes Desmethylphalloin bereits in 5 Minuten zu einem Sättigungs-wert von ca. 20 p.g pro g Organ fest gebunden8. Nach einer optisch wahrnehmbarenTrübung setzt die mit einer parallelen Wasseraufnahme(Schwellung)verbundene Abgabevon Enzymen und von Kaliumionen ins Perfusionsmedium ein9. Das Organ erleidet, wieam intakten Tier, eine fortschreitende Vakuolisierung und Zerstörung des zellinnerenMembransystems. Der primäre Angriff dürfte sich aber auf die Außerunembran derLeberzellen richten. Von allen subzellulären Partikeln der Rattenleberzelle bindet dieisolierte Plasmamembran mit .Abstand das Phallotmdn am stärksten 10;die Membranfrag-mente vergifteter Tierlebem, aber auch solche gesunder, die in vitro mit Phalloidininkubiert wurden, zeigen eine auffallende ftlamentöse Struktur im elektronerunikroskopi-schen Bild als sichtbares Zeichen einer Schädigungll. Die toxische Wirkunghängt sehr engmit der Gestalt des Molekülszusarrunen: jeder chemische Eingriff, der zur Veränderungder Molekülformführt, wirkt sich auf die Toxizität aus.

ChemischeVeränderung und Toxizität

Durch kurze Einwirkung starker Säuren läßt sich ein Ring des bicyclischen Systems z. B.im Phalloidin öffnen, da durch den Nachbargruppeneffekt der 'Y-ständigenHydroxyl-Gruppe eine Peptidbindung gespalten wird. Das so erhaltene Seco-15-phalloidin istungiftig. Auf synthetischem Weg haben wir auch die alternative Seco-18-verbindung12gewonnen, die ebenfalls untoxisch ist. Ebenso läßt sich durch Behandlung mit Raney-Niauch die Schwefe1briicke sprengen, wobei das ungiftige Desthiophalloidin entsteht(Schema 1).

OH OH

coINH

Ni(H)-- coINH

Desthiophallotoxin Phallo tox in Secophallotox in -15

7 H. Pu chi n ger und Th. Wie 1a n d , Europ. J. Biochem. 11, 1 (1969).8 Th. Wie 1a nd, H. F a u 1s t ich, W. J ahn, M. V. G 0 v i n dan, H.

P u chi n ger, Zd. K 0 p i t a r , H. S c h mau sund A. S c h mit z , Hoppe-Seyler's Z. Physiol. Chem. 353, 1337 (1972).

9 M. Fr i m m er, J. G r i es, D. He g ne rund G. Sc h no r r, Naunyn-Schmiedebergs Arch. Pharmakol. Exp. Pathol. 258, 197 (1967).

10 F. Lu t z , H. GI 0 s s man n und M. Fr i m m er, Naunyn-Schmiedebergs Arch.Pharmakol. Exp. Pathol. 273, 341 (1972)

11 M. V. Go v i n dan, H. Fa u 1s ti c hund Th. Wie 1a nd sowie B. Agostiniund W. Hasselbach, Naturwissenschaften 59, (1972).

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--...

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Phalloidin (2)

CH3

CD-CHz-~-OHHzCOH

CD-Symbol für-Bizyklus

!Jot

CD-9H3

CD-9H3

CH-c-o CHz-c-sz .HS-CH,-CH,-~ ~ )cH2

Ketophalloidin (2) 'dl2I. IRaney-. Reduktion ,Nickel

C~ C~

CD-CHz-?-OH CD-CHz-tHzH

DesmethylphaUoin (2,5) Norphalloin(1,5)

Andererseits ist es auch möglich, das Molekül so zu verändern, daß keine prinzipielleVeränderung der Molekülgestalt und damit keine Verminderung der Toxizität erfolgt(Schema 2). So läßt sich die Glykolgruppe der Phalloidinseitenkette mit Perjodat zurAcetonylkette abbauen, das so erhaltene ,,Ketophalloidin" und alleim Schema 2gezeigtenAbkömmlinge sind giftig(DLso in mgpro kgin Klammem). Unter ihnen befmdet sichauchdas Norphalloin, ein Derivat ohne 'Y-ständige OH-Gruppe, das vor kurzem durchTotalsynthese zugänglich wurde 12 .

Antamanid

Bei der Bearbeitung der lipophilen Extraktanteile (s.o.) fiel uns eine Fraktion in dieHände, die trotz ihres Gehalts an einem Phallotoxin untoxisch war, also eine antitoxischeKomponente enthalten mußte13.Diesekonnte in der Folgezeit isoliert und als Cyc1odeca-peptid 11erkannt werden14.

TsH5 CsH5 H3C,"CH3CH tH 0 CH,--, 9 I 2 10 I 2 11 1 I

:1J,~~CO-NH-C-CO-NH-C-C-NH-C-CO- 2

~ H H H HOC H H CO~. H H H H ~l3J'I-CO-C-NH-CO-C-N-CO-C-NH-CO~S'

.6 CH 5 bi H 4 tH L::JI 2 I 2 3

~~ C6H5 11

12 F. Fahrenho1z,H. Faulstich undTh. Wie1and,LiebigsAnn.Chern.743,83 (1971).

13 Th. Wie 1a n d und J. X. de V r i es, Liebigs Ann. Chern. 700, 174 (1966).14 Th. Wie I a n d, G. L übe n, H. 0 t t e n he y rn, J. Fa e seI, J. X. de

V r i es, W. K 0 n z , A. Pro x und J. Sc h rn i d , Angew. Chern. 80,209 (1968).

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Antamanid ist, auch bei intravenöser Applikation für die weiße Maus ungiftig, es schütztmit einer Dosisvon 0,5 mg vor dem sicheren Tod durch 5 mg/kg Phalloidin. Bei Erhöhungder Antamaniddosis werden entsprechend größere Phalloidinmengen vertragen. Durchhöhere Antamanidgaben kann man auch 10 Minuten nach der Vergiftung durch 5 mgPhalloidin pro kg [=doppelte DLso) Mäuse vor dem Tod retten, wobei die Zahl derüberlebenden Tiere von der Dosis des Antidots abhängt (Tabelle 1). 15 Minuten nach derPhalloidingabewarenjedoch auch 20 mg Antamanid pro kg wirkungslos.

Tabelle 1: Antitoxische Wirkung bei der Maus von Antarnanid gegen 5 rng Phalloidin prokg, 10 Minuten nach der Vergiftung.

Antamanid(mg pro kg)

0,02,05,0

10,020,0

von 10 Tierenüberleben

oo367

Mit radioaktiv markiertem Desmethylphalloin, von dem rund 40% in der Leber aufgefun-den wurden, stellten wir fest, daß im selben Organ des Antamanid-geschützten Tiers nur10-15%, eine unter der tödlichen Schwelle liegende Menge, enthalten war8. DiePhalloidinvergiftung der Ratte kann durclt Antamanid ebenfalls,wenn auch mit größerenMengen,verhindert werden.

In der perfundierten isolierten Rattenleber lassen sich deutliche Effekte des Antamanidsnachweisen, die auf eine starke Verzögerungder Wirkungdes Phalloidinshindeuten. DieseWirkung manifestiert sich hier im Austritt von K+-Ionen aus der Zelle in die Perfusions-flüssigkeit9. Der Vorgang läßt sich durch Zugabe von Antamanid eindeutig verzögern,ebenso wie das Austreten von Enzymen z. B. der ß-Glucuronidase8(Abbildung 2). Auchdie unter dem Einfluß des Phalloidins an Fragmenten der Cytoplasmamembran auftreten-den fibrillären Veränderungen lassen sich durch Vorinkubation mit einem wasserlöslichenAntamanidderivat verhindern11.

Die Synthese des Cyclopeptids ist bald nach der Strukturaufklämng gelungen. So wurdees möglich, Variationen des Molekülsvorzunehmen, die uns bisher als wichtigstesErgebnisgezeigt haben, daß das Vorliegen einer hydrophilen Aminosäure in I-Stellung derFormelII fiir die Wirksamkeit sehr bedeutsam ist: Leucin und Isoleucin anstelle desValins ergeben gleich gute Antigifte, bei Verkürzung auf Methyl(Alanin) sinkt dieWirksamkeit auf 5%. Einzelne Phenylalanine können auch durch das sehr älmlicheTyrosin ersetzt werdenIS,wobei antitoxische Analoga entstehen, die an den reaktions-fahigen Tyrosinseitenketten die Möglichkeit zu weiteren chemischen und physikalischenAbwandlungen bietenl6.

.

I

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I

15 Th., Wie 1a nd und Chr. Bi r r , LiebigsAnn. Chern. 757, 136 (1972).16 Th. Wie 1a n d Chr. R i e t z e 1 und A. See 1i ger, LiebigsAnn. Chern. 759,

63 (1972).

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2

otA

otp

100 200 300Min. -

Abbildung 2Absorption von [3H)-Desmethylphalloin (250 p.g) sowie Ke_ und ß-Glucuronidase-Effluxaus der mit 100 ml Blut perfundierten Rattenleber ohne und 30 min nach Zugabe von5 mg Antamanid (A). Phallotoxinzugabe bei P.

o - 0, 8 - 8: Giftgehalt des Blutes

0- 0,8 - 8: Ke-Freisetzung;

b.- b.,...- ...:ß-Glucuronidase;leere Symbole ohne, gefüllte mit Antamanid.

Antamanid und seine biologischwirksamenAnalogenhaben die Eigenschaft,unterKomplexbildung mit Na+-ionen zu reagieren und zeigen auch große, von der Dielektrizi-tätskonstante des Lösungsmittels abhängige Affinität zum Kalziuml'. Ob diese Eigen-schaften etwas mit seiner Eigenschaft als Antigift zu tun haben, müssenweitere Versuchezeigen.

Amatoxine

Die Amatoxine, die im Pilz hauptsächlich durch das a-Amanitin vertreten sind, sindcyclische Octapeptide, die auf den ersten Blick mit den Phallotoxinen verwandterscheinen. Beim näheren Betrachten der Formel III bemerkt man aber wesentlicheUnterschiede, wie z. B. das Vorkommen von Hydroxypro1in, von 'Y-hydroxyliertemIso-

17 Th. Wie 1a n d, H. Fa u 1s t ich und W. Bur ger m e i,s t er, Biochem.Biophys. Res. Commun. 47 984 (1972).

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H3C, /R1yH

HN-CH-CO-NH-CH-CO-N H-CH2-COI I I

OC H2C

):-ONH

I I ~ ICH)

x: 1 0 S N .& OH H-C-~H1H -I H (OCH3) I \ H

HO N CH CO ~ ~

I I 2 IOC-CH-NH-CO-CH-NH-CO-CH2-NHI

H C-COR III2 2

a-Amanitin

R1 = b~-CH20H, R2 = NH2

R1 = rH-CH20H, R2 = OHOH

ß-Amanitin

y-Amanitin

Amanullin

O-Methylaldoamanitin R1 =CHO,

O-Methyl-desmethyl-y -amanitin

leucin, eine Sulfoxidnatur. Im Gegensatzzu den Verhältnissen beim PhaUoidinist hier die'Y-OHGruppe von entscheidender Bedeutung. Ein im Pilz vorkommendes Bicyc10peptid(Amanullin), das anstelle von 'Y-Hydroxyisoleucinnur Isoleuein enthält, ist nahezu ungiftig.Ebenso verliert das Molekülseine Giftigkeit, wenn man eine Glykolspaltungvornimmt unddamit die Seitenkette in eine Aldehydgruppe verwandelt. O-Methyl-aldoamanitin istungiftig, die durch Reduktion daraus erhaltene 'Y-Hydroxyverbindung,das O.Methyl-desmethyl--y-amanitin,ist wieder giftig6.

Die toxische Wirkung der Amatoxine, die woW die eigentlichen giftigen Komponentenvon A. phalloides darstellen, äußert sich in einer langsamen Degeneration der Leber, dieim Verlauf von einigen Tagen zum Tod fuhrt. Dabei sinkt im Laufe der Zeit derProteingehalt des Serums deutlich ab, um bei den Versuchstieren, die die Vergiftungüberstehen, sodann stetig wieder anzusteigen18,Die Ursache fiir diese Erscheinungist erstviele Jahre später aufgefunden wordenl9. Im Arbeitskreis von F i um e und Las chiwurde 1965 entdeckt, daß bei der Mausvon der Vergiftungmit a.Amanitin rasch und vor

18 Th. Wie 1a n d und K. Dos e, Bioehern.Z. 325,439 (1954).19 Übersicht: F. F i urne und Th. Wie 1a n d , FEBS Letters 8, 1 (1970).

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allem der Zellkern der Niere, bei höheren Dosen der der Leber betroffen wird, dessenChromatinsubstanz sich konzentriert und dessen Nucleoli fragmentiert werden. Diemolekularbiologische Verfolgung dieser Beobachtungen ergab, daß die Amatoxine inwinziger Konzentration eine der Desoxyribonucleinsäure-abhängigenRibonucleinsäure-(RNS)-Polymerasen im Zellkern hemmen, die die Synthese der sog. messenger-RNSbewerkstelligen. Diese Nucleinsäurenübertragen die Information der Gene auf die Stättender Eiweißsynthese in der Zelle. Die Folgen, die die Blockierungeiner so frühen Stufe derProteinsynthese nach sich zieht, sind im einzelnen nicht absehbar, müssen aber katastro-phal sein. Für einen direkten Zusammenhangzwischen der Polymerasehemmungund demletalen Effekt spricht die Tatsache, daß bisher nur solche Mitgliederder Amatoxinfamiliegiftig befunden wurden, die auch Hemmwirkung auf das Enzym aufwiesen-2o.Gegen dieAmanitinvergiftungschien bisher kein Kraut gewachsen.Wievon F I 0 e r sh e i m 21und auch im eigenen Arbeitskreis nachgewiesenwurde, haben Thioctsäure (a-Liponsäure),Coenzym A, Silymarin oder Prednisolon, Mittel, die als Kurativa bei Knollenblätterpilz-vergiftung wirksam sein sollen, auf die Überlebensrate von Mäusen, die mit 0,8 mg pro kga-Amanitin vergiftet waren, keinerlei Einfluß. Im PenicillinG, von dem die extreme Dosisvon 1g pro kg bis zu 8 Stunden nach einer letalen Dosis von a-Amanitin 30-40% derVersuchstiere rettet22, war zuerst ein aussichtsreiches Antidot bekannt geworden. SeineWirkungwird, auch in Kombination, vom Atmungsenzym Cytochrom c übertroffen21,das- wie wir bestätigen können - mit der zwar immer noch sehr großen Mengevon 100 mgpro kg 45% der Mäuse vor dem Tod durch 0,8 mg a-Amanitin pro kg schützt, auch wennes 30 Minuten oder sogar 8 Stunden nach dem Gift injiziert wird. Eine möglicheErklärung hierfür könnte sein, daß das lebenswichtige Atmungsferment zu den erstenProteinen gehört, deren Synthese aus Mangel an messenger-RNSin der Leber aufhört, sodaß seine Zufuhr von außen den tödlichen Mangelzustandüberbrückt.

Für die Beziehung zwischen Struktur und Giftigkeit der Amatoxine gilt prinzipiellähnliches wie bei den Phallotoxinen. Eine Aufspaltung des Ringsdurch Säure führt beimSeco-a-amanitin zum Toxizitätsverlust, ebenso die hydrogenolytische Herausspaltung desSulfoxid-Schwefels(Desthio-a-amanitin). Entfernt man nur den SO-Sauerstoff, so kommtman zu einem noch toxischen Thioäther. Auch die phenolische OH-Gruppe ist für dieToxizität belanglos, denn Amanin, dem diese Gruppe fehlt, hat die toxische WirkungderAmatoxine.

Unsere Bemühungen, ein stark giftiges Amatoxin synthetisch aufzubauen, haben bishernur Teilerfolge gebracht. Es sindjedoch die prinzipiellen Schwierigkeitenüberwunden, sodaß diesesZiel nicht mehr unerreichbar sein dürfte.

Die chemischeund physiologische Beschäftigungmit Naturstoffen hat hier biologischsehraktive Cyclopeptide hervorgebracht, die sich als Werkzeuge der molekularbiologischenForschung einsetzen lassen, da sie auf die Cytoplasrnamernbranund den Kern der Zelleeinwirken. So ist neben dem noch unerreichten Ziel einer therapeutischen Beeinflussungder Knollenblätterpilz-Vergiftungein Aspekt eröffnet worden, der über den rein toxikolo-gischenhinausblicken läßt.

Meinen zahlreichen, z. T. in den Liteiaturzitaten genannten und den ungenanntenMitarbeitern möchte ich auch hier herzlich danken.

20 A. Buku, G. Campadelli-Fiume, L. Fiume und Th. Wieland,FEBS-Letters 14,42(1971).

21 G.L. F 10 e r s he im, Schweiz.Med.Wochensehr. 102,901 (1972).22 G. L. F 10 e r s he im, Nature New Biology(London) 236, 115 (1972).