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MIETERE CHO MIETERE CHO ZEITUNG DER BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E. V. www.bmgev.de NR. 321 APRIL 2007 Russland Wohnungsmangel, Preis- steigerungen, Zugangs- schwierigkeiten und weiterer Gebäudeverfall kennzeichnen die Wohnungsversorgung nach der Totalprivatisierung Spanien Der Wohnungsmarkt von Barcelona zeigt Entwicklungen, die in Berlin noch in den Anfängen stecken Privatisierung: Berliner Sparkasse Mit dem geplanten Verkauf der Berliner Sparkasse macht die Privatisierungs- welle auch vor den gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Banken nicht Halt Wohnungen Mit dünner Argumentation soll der Verkauf der landes- eigenen Wohnungsbauge- sellschaften vorangetrieben werden GSG Beschlossener Verkauf der Gewerbesiedlungs- gesellschaft kann für Kleingewerbetreibende existenzbedrohend werden Berlin: Kreuzberger Spreeufer Neues Stadtentwicklungs- gebiet in SO 36 lässt Aufwertung und steigende Mieten erwarten Gewerbe im Wedding Die Initiative Ex-Rotaprint verhinderte, dass das Grundstück in einem Paket an einen Investor verkauft wurde Angespannte Wohnungsmärkte Angespannte Wohnungsmärkte Internationale Beispiele im Vergleich mit dem Berliner Wohnungsmarkt Internationale Beispiele im Vergleich mit dem Berliner Wohnungsmarkt

ZEITUNG DER BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E. V. …US-amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis. Christoph Villinger. BERLIN. 20 . Die Perle des Weddings. Eine bunte Mischung aus Gewerbetreibenden,

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Page 1: ZEITUNG DER BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E. V. …US-amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis. Christoph Villinger. BERLIN. 20 . Die Perle des Weddings. Eine bunte Mischung aus Gewerbetreibenden,

MIETERECHOMIETERECHOZEITUNG DER BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E. V. www.bmgev.de NR. 321 APRIL 2007

■ RusslandWohnungsmangel, Preis-steigerungen, Zugangs-schwierigkeiten undweiterer Gebäudeverfallkennzeichnen dieWohnungsversorgung nachder Totalprivatisierung

■ SpanienDer Wohnungsmarkt von Barcelona zeigtEntwicklungen, die inBerlin noch in denAnfängen stecken

Privatisierung:■ Berliner Sparkasse

Mit dem geplanten Verkaufder Berliner Sparkassemacht die Privatisierungs-welle auch vor dengemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichenBanken nicht Halt

■ WohnungenMit dünner Argumentation soll der Verkauf der landes-eigenen Wohnungsbauge-sellschaften vorangetriebenwerden

■ GSGBeschlossener Verkauf derGewerbesiedlungs-gesellschaft kann fürKleingewerbetreibendeexistenzbedrohend werden

Berlin:■ Kreuzberger Spreeufer

Neues Stadtentwicklungs-gebiet in SO 36 lässtAufwertung und steigendeMieten erwarten

■ Gewerbe im WeddingDie Initiative Ex-Rotaprintverhinderte, dass dasGrundstück in einem Paketan einen Investor verkauftwurde

AngespannteWohnungsmärkte

AngespannteWohnungsmärkte

Internationale Beispiele im Vergleich mit dem

Berliner Wohnungsmarkt

Internationale Beispiele im Vergleich mit dem

Berliner Wohnungsmarkt

ME 321-Heft 20.04.2007 14:12 Uhr Seite u1

Verwendete Mac Distiller 5.0.x Joboptions
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■ BEITRITTSERKLÄRUNGBE

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< Betriebskostenabrechnung

< Eigentümerwechsel

< Umwandlung in Eigentums-wohnungen

< Heizkostenabrechnung

< Kein Zutritt ohne Voranmeldung

< Kündigung

< Mängelbeseitigung

< Mieterhöhung

< Mietvertrag

< Modernisierung

< Untermiete

< Wohnfläche

■ PROBLEME MIT DEM VERMIETER?Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos folgendeInformationsschriften bestellen:

Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zur Berliner MieterGemeinschaft e.V. Der Jahresbeitrag inkl. Mietrechtsschutzversicherung beträgt 59 €. Der Kostenanteil für den Mietrechtsschutz-Gruppenversicherungsvertrag in Höhe von 26,04 €wird an die ALLRECHT Rechtsschutzversicherungs AG abgeführt. Die Aufnahmegebühr beträgt 5 €. Sie entfällt, wenn eine Einzugsermächtigung erteilt wird.

Ich beantrage eine Mitgliedschaft ohne Rechtsschutz zum Jahresbeitrag von 33 € , da ich bereits über eine bestehende Mietrechtsschutzversicherung verfüge.Den entsprechenden Nachweis habe ich in Kopie beigelegt.

Ich beantrage eine Mitgliedschaft zum ermäßigten Jahresbeitrag von 45 € , da ichArbeitslosengeld II (SGB II), Sozialhilfe oder Grundsicherungsgeld (SGB XII) beziehe. Den entsprechenden Bescheid habe ich als Einkommensnachweis in Kopie beigelegt.

Ich bin damit einverstanden, dass der Beitrag bei Fälligkeit von folgendem Konto abgebucht wird:

GELDINSTITUT

KONTO-NR. BLZ

KONTOINHABER/IN

BERLIN, DEN UNTERSCHRIFT

EINZUGSERMÄCHTIGUNG

Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 0,95 € einfach an folgende Adresse schicken:Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 9210963 Berlin

NAME

VORNAME

STRASSE

PLZ ORT

■ IMPRESSUMHerausgeber: Berliner MieterGemeinschaft e.V., Möckernstraße 92, 10963 Berlin, Telefon: 216 80 01, Telefax: 216 85 15

Bankverbindung: Postbank Berlin, BLZ 10010010, Konto-Nr. 830 71-109

Redaktion MieterEcho: Telefon: 21 00 25-84, E-Mail: [email protected]. i. S. d. P.: Joachim Oellerich

Fotos: Mieterforum Ruhr (S. 3), DEGEWO (S. 4), ME (S. 7, 22 o.), GSW (S. 8),Hermann Werle (S. 9, 10), Gérard Janot (S. 13), Dmitri Lebedev (S. 16 u.),Christoph Hartleib (S. 18), Irene Sabaté (S. 19), Michael Kuchinke-Hofer (S. 21),Jutta Blume (S. 22 u., 23), indymedia (S. 24, 25), Digitalstock (S. 26)

Layout und Satz: Connye Wolff

Belichtung und Druck: Union Druckerei Berlin

Redaktionsschluss: 10.04.2007© Berliner MieterGemeinschaft e.V. Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch denMitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmennicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangteingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen.

■ GESCHÄFTSSTELLEBerliner MieterGemeinschaft e.V.Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Telefon: 216 80 01, Telefax: 216 85 15www.bmgev.de

Öffnungszeiten:Mo, Di, Do 10 – 13 Uhr und 14 – 17 UhrMi 10 – 13 Uhr (ab 16 Uhr stehen die Räume der Kreuzberger Mittwoch-Beratungsstelle zur Verfügung)Fr 10 – 13 Uhr und 14 – 16 Uhr

Fahrverbindungen: G Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, ; Yorckstraße, � M 19

Die MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Mietrechtsberatungin den Beratungsstellen an (siehe hintere Umschlagseite). Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch � gekennzeichnet.

Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet währendder Öffnungszeiten keine Rechtsberatung statt.

NAME, VORNAME

STRASSE, NR. PLZ BERLIN

TELEFON GEB. AM

HAUSEIGENTÜMER/IN

HAUSVERWALTUNG

Die Satzung erkenne ich hiermit an und verpflichte mich, den Jahresbeitrag bei Fälligkeit zu bezahlen.Ich bin damit einverstanden, dass meine Daten mittels EDV gespeichert werden.

BERLIN, DEN UNTERSCHRIFT

Bitte zahlen Sie den Jahresbeitrag zzgl. der Aufnahmegebühr von 5 € auf unser Konto: Postbank Berlin, BLZ 100 100 10, Konto-Nr. 830 71-109 oder erteilen Sie uns eine Einzugsermächtigung (ohne Aufnahmegebühr).

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WOHNUNGSMARKT4 Heizkosten steigen weiter

Sorge um das Dach über dem KopfSprudelnde Gewinne bei StromkonzernenRIGHTs, not REITs!

PRIVATISIERUNG5 Mythologie der Privatisierung

Sarrazins Argumente zum Verkauf der WohnungsbaugesellschaftenAndrej Holm

7 Mietsteigerungen bei der Gehag

7 Mit 1-Euro-Jobs Geld gespartNach der GSW möchte der Finanzinvestor Cerberus nun auch die Berliner Sparkasse übernehmenHermann Werle

9 Klageflut am Grazer Damm

9 Ein weiteres Geschenk für InvestorenNach der Privatisierung der GSG drohen steigende Mieten für GewerbetreibendeHermann Werle

10 Gesetz zur Einführung von REITs vom Bundestag verabschiedet

11 „Das Girokonto für jedermann muss festgeschrieben werden!“Interview mit Sabine Finkenthei zur Zukunft der Berliner Sparkasse

TITEL13 Wohnen in Russland

Schwierige Wohnverhältnisse und ein Markt ohne RegelnMaria Shamaeva

14 Ohne Eigentumswohnung weniger StaatsbürgerrechteFolgen der Totalprivatisierung in RusslandInterview mit Maria Shamaeva

17 Wohnen in SpanienKein Vorbild für Berlin: Der Wohnungsmarkt in BarcelonaIrene Sabaté

REZENSION20 „Planet der Slums“

In wenigen Jahren lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Slums, schreibt der US-amerikanische Stadtsoziologe Mike DavisChristoph Villinger

BERLIN20 Die Perle des Weddings

Eine bunte Mischung aus Gewerbetreibenden, sozialen Projekten und Künstlern kann nundas frühere Betriebsgelände von Rotaprint kaufenChristoph Villinger

22 Uferverschönerung für MedienschaffendeDas Kreuzberger Spreeufer soll Teil eines prosperierenden Wirtschaftsraums werdenJutta Blume

23 Hausfriedensbruch schon vor der Zwangsräumung?Die Anwälte der Yorckstraße 59 wollen klären lassen, ob das Warten auf denGerichtsvollzieher bereits Hausfriedensbuch darstelltPeter Nowak

24 Wohnen am Ende der Welt Berlin Motardstraße – ein inoffizielles Ausreisezentrum Maja Schuster

RECHT UND RECHTSPRECHUNG25 BGH-Urteile kurz gefasst26 Überhöhte Kaution und Bürgschaftsurkunde26 Modernisierung und Vertragsstrafe27 Mietminderung und Annahmeverzug29 Auslegung einer Modernisierungsvereinbarung29 Fördervereinbarung und Mieterhöhung30 Anforderungen an eine Mieterhöhung

31 SERVICE32 RECHTSBERATUNG

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

Privatisierung bleibt Thema im MieterEcho. Wie sollte esauch anders sein? Gerade wurden die Gewinne derUnternehmen hochgejubelt und von einer Wirtschafts-krise ist plötzlich keine Rede mehr. Geld ist in Massenvorhanden und es verlangt nach Verwertungsmöglich-keiten. Die Politik zeigt sich überall auf der Weltwillfährig, die gewünschten Finanzanlagemöglichkeitenzur Verfügung zu stellen - und dies ganz besonderseifrig in Berlin, denn hier erwarten WirtschaftssenatorHarald Wolf und seine liberalen Freunde von derLinkspartei.PDS das Lob der Industrie- und Handels-kammer. Dafür und für die Aussicht, nach Beendigungder politischen Karriere einen lukrativen Wechsel in dieWirtschaft zu schaffen, lohnt sich jeder Verkauf.

Die Gewerbeflächen der GSG sind in den letzten Jahrenmit enormen Summen öffentlicher Gelder saniertworden. Wie sich jetzt herausstellt, nur zu dem Zweck,einem weiteren Investor zur Plünderung überlassen zuwerden.

Der Verkauf der Berliner Sparkasse, obwohl zu ver-meiden, ist der krönende Abschluss eines ganz beson-ders gruseligen Lehrstücks liberaler Wirtschaftspolitik.

Wohnungen werden weiterhin verkauft, zwar nicht inForm ganzer Wohnungsunternehmen, aber in heu-schreckengerechten Portionen. Mittlerweile sind nurnoch 260.000 Wohnungen in öffentlichem Besitz. Siestellen eine weitere Herausforderung an das Verkaufs-geschick des rot-roten Senats dar.

Wie es in einer Stadt ohne durchgreifendes Mietrechtund ohne öffentlichen Wohnungsbestand zugeht,zeigen die Berichte aus zwei zunächst ganz unter-schiedlich erscheinenden Ländern: aus Spanien und ausRussland. Doch die Wohnungsmärkte der beidenLänder haben nicht nur eine hohe Eigentumsquotegemeinsam, sondern auch einen entsprechendenMangel an Mietwohnungen und einen Überfluss anWohnungsnot. Eine Zukunft, die deutsche Städte nochvor sich haben und um deren Verwirklichung sich diePolitik eifrig bemüht.

IHR MIETERECHO

INHALT

Das MieterEcho sucht für die ÖffentlichkeitsarbeitVerstärkung. Interesse an organisationspolitischerArbeit, Freude am Umgang mit Medien und dieFähigkeit, das MieterEcho endredaktionell zu betreuen, sind erwünscht. Die zu entwickelnde Tätigkeit ist zwar kein Full-Time-Job, aber ausbaufähig.

Interessent/innen können ihre Unterlagen per E-Mailan [email protected] schicken.

IN EIGENER SACHE

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Heizkosten steigen weiter

Der vergangene Winter war ungewöhnlich mild. Er sei eineFolge des Treibhauseffekts und Vorbote einer Klimakatas-trophe, erklärten die Medien. Wer sich mit entsprechend ver-ringerten Heizkosten trösten will, wird womöglich enttäuschtwerden.

Nach der neuesten Analyse der Eschborner Techem AG stiegen dieKosten für eine ölbetriebene Zentralheizung in der Heizsaison 2005/2006 für eine 69 qm große Wohnung in einem Mehrfamilienhaus von499 auf 607 Euro. Durchschnittlich soll die Steigerung 21,6% betragenhaben.Entscheidend dafür, so die Techem AG, war der 30%ige Anstieg derHeizölpreise von 0,37 Euro pro Liter (Heizperiode 2004/2005) auf 0,48Euro pro Liter (2005/2006). Dass die Preisentwicklung des Heizöls aberdennoch nicht voll durchgeschlagen ist, verdanken die Haushalte zweiFaktoren: Die Nebenkosten (Wartung, Strom, Schornsteinfeger u. a.)verteuerten sich lediglich um 2,8%, zugleich ging der Energieverbrauchum 2% zurück. Techem-Pressesprecher Stefan Lutz meinte, dass zwar der letzte mildeWinterverlauf eher auf moderate Heizkosten für die nun auslaufendeHeizperiode hoffen lasse, die weitere Entwicklung der Energiepreiseaber noch Überraschungen bringen könne. Den höchsten Anstieg der Heizkosten in der Periode 2005/2006 hattendie Regionen um Freiburg (25,6%), Kassel (23,7%) und Berlin (23,3%).Vergleichsweise glimpflich kamen die Regionen um Würzburg (13,8%),München (16,1%) und Braunschweig (18,3%) davon.

Sorge um das Dach über dem Kopf

Nach einer repräsentativen Umfrage des Verbandsbayerischer Wohnungsunternehmen (VdW) machen sich sehrviele Mieter/innen große Sorgen um ihre Wohnsituation.„Während Finanzinvestoren deutsche Wohnungen unter sichverteilen und die Bundesregierung über die Einbeziehung vonWohnimmobilien in REITs streitet, machen sich die DeutschenSorgen um bezahlbaren Wohnraum“, so der Verband in seinerPresseerklärung vom 20. März 2007.

Laut einer Umfrage fürchten knapp drei Viertel (73%) der repräsentativBefragten, „dass es in Großstädten zu wenig bezahlbaren Wohnraumgeben wird. Im letzten Jahr lag der Wert noch bei 59%.“ Nochskeptischer wird die Situation bei familiengerechtem Wohnraumeingeschätzt. 80% der Befragten fürchten in diesem Segment Engpässe,wobei direkt Betroffene wesentlich stärker fürchten, keine bezahlbareWohnung mehr zu finden. „Dabei müsse Wohnen in der Stadt auch für Einkommensschwächere,junge Familien und Senioren mit kleiner Rente bezahlbar bleiben“, soder Verbandsvorsitzende Xaver Kroner, der abschließend feststellt, dass„nur eine nachhaltige Bewirtschaftung durch sozial-orientierteVermieter“ das leisten könnte. Diese sozial-orientierten Vermieterwerden indes allerorten privatisiert, denn das waren – und sind auchnoch – die Wohnungsbaugesellschaften in kommunaler Verantwortung.

Sprudelnde Gewinne bei Stromkonzernen

Klingelnde Kassen vermelden die großen Stromanbieter inDeutschland. Gegenüber dem Jahr 2005 verzeichnete RWE in2006 eine Gewinnsteigerung von 14%. Der in Berlin ansäs-sige Konzern Vattenfall Europe kam im gleichen Zeitraumsogar auf eine Gewinnsteigerung von 25,7%.Dass in erster Linie die Geldbörsen der privaten Verbraucher/innenentsprechend erleichtert werden, kritisiert der Bund der Energiever-braucher. Nach Meinung des Verbandschefs Aribert Peters sei diePreispolitik „Freibeuterei zulasten der Verbraucher“.Nach Berechnungen der Verbraucherschützer zahlen Privathaushalteaufgrund überteuerter Handelspreise an der Strombörse für jedeKilowattstunde drei Cent zu viel. Hinzu kommen überhöhte Netzent-gelte, die die Haushalte mit weiteren zwei Cent belasteten. Seit 2000sind die Preise für Strom um 8,8 Cent gestiegen, hätten aber lediglichum 1,95 Cent steigen dürfen, so der Verbraucherbund. Durch dieüberhöhten Strompreise würden Privat- und Industriekunden mit rund13,5 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden.

RIGHTs, not REITs!Mit einer Kundgebung unterder Parole „RIGHTs, notREITs!“ protestierte am 23. März 2007ein Bündnis von Mieterorganisationen für das Recht auf Wohnen und besseren Mieterschutz sowie gegen die Einführung dersogenannten REITs (Real Estate Investment Trusts) vor derHauptverwaltung des Finanzinvestors Annington.Die Deutsche Annington zählt zu den aussichtsreichsten Kandidaten zurÜbernahme der LEG-Wohnungsbaugesellschaft, die dem Land Nord-rhein-Westfalen gehört und nach dem Willen der schwarz-gelbenLandesregierung verkauft werden soll. Der Termin war nicht zufälliggewählt, da am gleichen Tag der Bundestags-Finanzausschuss über dieZulassung von REITs, einer neuen Form von börsennotierten steuer-begünstigten Immobilien-Aktiengesellschaften (siehe auch S. 10), be-riet. Die nur wenige Tage später im Bundestag beschlossene Einführungder REITs schließt zwar die Einbeziehung von deutschen Wohnim-mobilien aus – sofern sie vor 2007 erstellt wurden – Wohnungen imAusland sowie neu errichtete Wohnungen dürfen jedoch an die Börsegebracht werden. Die aktuelle Bundestags-Entscheidung hat also dieTür zur Vermarktung von Wohnungen an der Börse aufgestoßen undzu befürchten ist, dass diese Tür bald noch weiter geöffnet wird. Dannkönnte blühen, was in dem Aufruf zu der Protestkundgebung in Bochumprognostiziert wird: „REITs sind auf hohe Gewinnausschüttungen fest-gelegt, die die Unternehmen wirtschaftlich ausbluten lassen, die zuMieterhöhungen, Mieterverdrängungen und einem massiven Abbauvon Arbeitsplätzen in den Unternehmen und dem lokalen Handwerkführen.“ Außerdem würde mit REITs „eine globalisierte Immobilien-Spekulation“ befördert, „in der die Interessen der Finanzwirtschaft denTon angeben, nicht die Bedürfnisse und Rechte der Menschen und derörtlichen Wirtschaft.“

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W O H N U N G S M A R K T

Aktion gegen REITs vor Annington.

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P R I V A T I S I E R U N G

Im Oktober letzten Jahres veröffentlichte dieSenatsverwaltung für Finanzen eine Studie mitdem Titel „Fakten und Legenden zum Zusam-menhang zwischen Wohnungsmarkt undMarktanteil öffentlicher Wohnungsunterneh-men“. Das Ziel der Studie war es, den Kriti-ker/innen von Wohnungsprivatisierungen denWind aus den Segeln zu nehmen. Dazu setztensich die Autoren der Studie mit Argumenten füreinen öffentlichen Wohnungsbau auseinander,die auf den damals wie heute aktuellen Debat-ten basieren. Dabei versucht die Studie insbe-sondere, drei Argumente zu widerlegen: Zumeinen dämpfen öffentliche Wohnungsunterneh-men das Mietniveau, zum anderen erhalten siedie Handlungsspielräume bei der Quartiersent-wicklung und drittens haben sie eine wichtigeFunktion bei der Wohnungsversorgung unter-stützungswürdiger Haushalte.

Öffentliche Wohnungsunternehmen und MietentwicklungZunächst versucht die Studie, anhand vonstatistischen Datensammlungen und längstveralteten Untersuchungen von 1993 zu be-weisen, dass es keinen Zusammenhang zwi-schen dem Anteil von öffentlichen Wohnun-gen und dem städtischen Mietniveau gibt.Zwar zeigten frühere Untersuchungen, dassdie Mieten der kommunalen Wohnungenniedriger als die Mieten der privat vermietetenWohnungen waren, doch dies sei auf un-terschiedliche Ausstattungsstandards zurück-zuführen. Eine Dämpfung des Mietniveaus –so suggeriert die Studie der Finanzverwaltung– hat nichts mit den tatsächlichen Miethöhenzu tun, sondern würde nur gelten, wenn kommunale Wohnungsbaugesellschaften beiWohnungen gleicher Qualität eine geringere

Miete verlangten. Dass der Verzicht auf Lu-xusmodernisierungen eine bewusste Investi-tionsentscheidung der landeseigenen Woh-nungsunternehmen ist, wird dabei ausge-blendet. Für das zentrale Argument der Studie werdenetwa 30 Städte mit mehr als 200.000 Ein-wohner/innen miteinander verglichen. Mithil-fe dieser Beispiele will Sarrazin beweisen, dassder Anteil der kommunalen Wohnungsun-ternehmen sich nicht auf das Mietniveauauswirkt. Doch dieser Vergleich ist methodischfragwürdig, denn ostdeutsche Schrumpfstädtewie Leipzig oder Magdeburg werden ohne jedeBerücksichtigung ihrer regionalen Besonder-heiten mit München, Stuttgart und Frankfurtverglichen. Das wenig überraschende Ergebnisdieser Übung: Es gibt keinen feststellbarenZusammenhang. Zugleich blendet die Studieaus, dass sich alle Städte mit einem öffent-lichen Wohnungsanteil von 15 und mehr Pro-zent im Bereich der geringsten Mietniveaus

bewegen. Der Mietspiegelindex weist für dieseStädte Durchschnittswerte von etwa 5 Euro/qm aus.Konkret für die Berliner Situation vergleicht dieStudie die durchschnittlichen Mieten in Berlinmit denen der landeseigenen Wohnungs-unternehmen. In der Interpretation der Datenwird festgestellt: „Die Mietniveaus der städ-tischen Unternehmen sind sehr unterschiedlich... (und es) ergibt sich somit kein Anhaltspunktfür eine mietpreisdämpfende Wirkung derstädtischen Wohnungsbaugesellschaften.“Bei genauerer Betrachtung der Daten zeigtsich, dass mit einer Ausnahme – der Howoge– alle Wohnungsunternehmen unter den Ber-liner Durchschnittswerten liegen. Regelrechthinterlistig wird die Studie, wenn der über-durchschnittliche Anstieg der Mieten in denletzten Jahren festgestellt wird. Mit Steige-rungen von bis zu 13% liegen die Wertetatsächlich über der durchschnittlichen Ber-liner Mietsteigerung mit knapp 4%, doch dieHintergründe für diese Entwicklung sind be-kannt: Zum einen fordert der Finanzsenatorvon den Wohnungsbaugesellschaften eineausschließlich betriebswirtschaftliche Orien-tierung sowie Dividenden für die Landeskasse,zum anderen wurden überwiegend Beständemit einem niedrigen Mietniveau privatisiert,sodass diese Wohnungen aus der Statistikfielen. Die theoretische Begleitmusik der Studienliefert ein alter Bekannter in Sachen Priva-

DEGEWO Deutsche Gesellschaft zur Förderungdes Wohnungsbaues, gemeinnützigeAktiengesellschaft(inkl. KÖWOGE, WBG Marzahn, GEWOBE)

GESOBAU AG

GEWOBAG Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin(inkl. WIP, WIR)

HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH(inkl. WBG Lichtenberg mbH)

STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH (Geschäftsbesorgerin der WoGeHe)

WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH(inkl. BEWOGE, IHZ, WBMI, WBF, BCC)

DEGEWO-Vorstand Frank Bielka beim Ehrenschuss aufs Tor. Die Sportanlage Lipschitzallee in der Gropiusstadt wird von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft DEGEWOmitfinanziert – und heißt seitdem DEGEWO-Stadion.

Mythologie der PrivatisierungSarrazins Argumente zum Verkauf der Wohnungsbaugesellschaften Andrej Holm

STÄDTISCHE WOHNUNGSUNTERNEHMEN:

Gerade rechtzeitig zum für Berlin so wichtigen Gerichtstermin in Karlsruhe im Okto-ber wartete Finanzsenator Sarrazin mit dem Vorschlag auf, die verbliebenen Ber-liner Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen. Die Begründung für diesen Vor-schlag lieferte eine Untersuchung aus der Senatsverwaltung für Finanzen, in derherausgefunden wurde, dass es keine „hinreichenden Argumente gegen die Priva-tisierung öffentlicher Wohnungsunternehmen“ gäbe. Da die Karlsruher Richter zwardie Klage Berlins ablehnten, aber auch keine konkreten Sparvorgaben formulierenkonnten, sind weitere Wohnungsprivatisierungen vorerst vom Tisch. Da dies jedochsicher nicht der letzte Angriff auf die landeseigenen Wohnungsbestände gewesensein wird, lohnt sich eine genauere Betrachtung der sarrazinschen Argumentation.

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P R I V A T I S I E R U N Gtisierung: Ulrich Pfeiffer. (Das MieterEcho be-richtete über ihn mehrmals, zuletzt in Nr. 320.)Der Geschäftsführer der Forschungsgesell-schaft empirica, verneint die Möglichkeit derMarktbeeinflussung durch öffentliche Woh-nungsbestände. Da die öffentlichen Woh-nungen – so der Gedankengang des Experten– ja nur einen Teil des Gesamtbestands aus-machten, würden günstigere Mieten vor allemdie dort wohnenden Mieter/innen begüns-tigen und diese von Umzügen abhalten. DieWirkung öffentlicher Wohnungsbestände seidemnach nicht „mietpreisdämpfend“, son-dern „fluktuationsdämpfend“. Geringe Mie-ten – so sollen wir hier wohl lernen – sind garkein Vorteil, sondern sie stellen vor allemFesseln dar, die uns in der Freiheit des häufigenWohnungswechsels einschränken.

Wohnungsbaugesellschaften undQuartiersentwicklungAuch für die Quartiersentwicklung sieht dieStudie keinen besonderen Beitrag der Woh-nungsbaugesellschaften. Die Argumentationist auch in diesem Fall relativ schlicht, denn eswerden ausschließlich die Aufwendungen derGesellschaften in den festgelegten Quartiers-managementgebieten betrachtet. Da die Ak-tivitäten in diesen Gebieten aus öffentlichenFördermitteln finanziert werden, könnten sievon privaten Eigentümern ebenso in Anspruchgenommen werden. Zudem seien die Auf-wendungen im Eigeninteresse der Wohnungs-baugesellschaften, da sie der Wiederherstel-lung der Vermietungsfähigkeit dienen. Inso-fern sei die Betätigung der Wohnungsbau-gesellschaften keine Besonderheit der öf-fentlichen Wohnungsbaugesellschaften, son-dern eine ganz rationale betriebswirtschaft-liche Kalkulation. Doch das Engagement der Wohnungsbau-gesellschaften geht über die quartiersbezo-genen Aktivitäten privater Eigentümer weithinaus. Frank Bielka, der Vorstandsvorsitzendeder DEGEWO betont: „Wir schaffen (...) einenZusatznutzen für die Stadt, der gemeinsam mitder finanzwirtschaftlichen Rendite die soge-nannte ‚Stadtrendite’ ergibt. Das ist ein großesPlus der kommunalen Wohnungsunterneh-men“. So unterstützt die DEGEWO das Be-zirksamt Neukölln beispielsweise mit jährlich20.000 Euro bei der Aufrechterhaltung derSportanlage Lipschitzallee in der Gropiusstadt.

Ein anderes Beispiel für den von Bielka an-gesprochenen Zusatznutzen sind auch die ver-schiedenen Galerien und Veranstaltungsräu-me, in denen die kommunalen Wohnungs-baugesellschaften kostenfrei die Werke jungerKünstler präsentieren und somit ihren Beitragzum kulturellen Leben in der Stadt stiften. VieleAktivitäten der Wohnungsbaugesellschaftenwie etwa Kinder- und Familienfeste oder dieUnterstützung eines 1.-Mai-Fests „für Tole-ranz, Demokratie, bunte Vielfalt und gegenbraune Einfalt“ in Lichtenberg durch dieHOWOGE sind im Einzelnen eher unscheinbar,doch sie gehen über die übliche Nachbar-schaftsverantwortung von Wohnungsvermie-tern ebenso hinaus wie die Förderung vonSozialprojekten oder das Sponsoring vonSportvereinen. Auch Beispiele aus anderenStädten zeigen deutlich, dass öffentliche Woh-nungsbaugesellschaften ihre Überschüsse instadtentwicklungspolitische Projekte inves-tieren. So gibt die Hamburger SAGA, mit über135.000 Wohnungen eine der größten öf-fentlichen Wohnungsbaugesellschaften, nachAussagen ihres Geschäftsführers Lutz Bassejährlich mehr als 250 Millionen Euro fürstädtische Projekte aus. Vergleichbares ist vonÜberschüssen der privaten Immobilienwirt-schaft bisher nicht bekannt geworden.

Wohnungsbaugesellschaften undsoziale Wohnraumförderung

Das dritte Argument der Sarrazin-Studie ist derfehlende Beitrag der kommunalen Wohnungs-unternehmen bei der Versorgung von Pro-blemgruppen mit angemessenen Wohnraum.Dazu zählen insbesondere Haushalte mit ge-ringen Einkommen, Familien mit Kindern, Al-leinerziehende, Ältere und behinderte Men-schen sowie Wohnungslose.

Wie oft, wenn sich keine empirischen Argu-mente gegen die öffentlichen Wohnungsbe-stände finden lassen, kommt der „entspannteWohnungsmarkt“ ins Spiel. In der sarrazin-schen Lesart bedeutet dies, dass die knapp140.000 Belegungsbindungen der städtischenWohnungsbaugesellschaften „derzeit aufdem Berliner Wohnungsmarkt wegen derentspannten Marktlage ohne praktische Re-levanz sind“. Daneben zeigt der Finanzsenatorsophistische Qualitäten und verweist auf dietraditionellen Zielsetzungen der Wohnungs-baugesellschaften. Diese bestanden gemäßdem bis 2001 geltenden II. Wohnungsbau-gesetz in der „Versorgung breiter Schichtender Bevölkerung“ und eben nicht in der

Versorgung von „Problemgruppen“ im Sinneder sozialen Wohnraumförderung, wie es imseit 2002 geltenden Wohnraumfördergesetzfestgelegt ist.

Auch hier sehen wir uns mit dem bereitsbekannten Argumentationsmuster Sarrazinskonfrontiert: Die Verschlechterung der Rah-menbedingungen der Wohnungsbaugesell-schaften – hier die Umstellung auf die sozialeWohnraumförderung – werden benutzt, umdie Überflüssigkeit der kommunalen Woh-nungsunternehmen zu verdeutlichen. Undwenn die Wohnungsbaugesellschaften garnicht mehr gebraucht werden, dann – so derGedankengang des Finanzsenators – könnensie auch gleich verkauft werden. Der Druck aufdie Wohnungsbaugesellschaften, „betriebs-wirtschaftlicher“ zu agieren oder auch dieAbkehr von früheren wohnungspolitischenZielen sind Bausteine einer politischen De-montage des öffentlichen Wohnungsbaus undein deutlicher Schritt in Richtung Privatisie-rung.

Wohnungspolitischer Unsinn mitfataler Wirkung

Denn bei der Auseinandersetzung mit derStudie des Hauses Sarrazin geht es weniger umStilfragen der Argumentation als vielmehr umdie Perspektiven der landeseigenen Woh-nungsbaugesellschaften selbst. Denn soschlecht vorgetragen die Fakten im Einzelnenauch sind, das Ergebnis der Untersuchungsollte alarmieren: „Hinreichende Argumentegegen die Privatisierung öffentlicher Woh-nungsbestände gibt es nicht“. Das ist keinezufällige Schlussfolgerung, sondern ein ge-fährliches Kalkül. Denn in der Landeshaus-haltsordnung heißt es unter § 65: „Berlin sollsich (...) an einem bestehenden Unternehmenin einer solchen Rechtsform nur beteiligen,wenn ein wichtiges Interesse Berlins vorliegtund sich der von Berlin angestrebte Zwecknicht besser und wirtschaftlicher auf andereWeise erreichen lässt“. Davon ausgehend,dass der Finanzsenator die Landeshaushalts-ordnung kennt, dürfte sich nach der Logik vonSarrazins Studie das Land Berlin nicht mehr anden Wohnungsbaugesellschaften beteiligen.

Es ist zu befürchten, dass uns der wohnungs-politische Unsinn der Finanzverwaltung auchin Zukunft begleiten wird, denn die ver-bliebenen sechs Wohnungsbaugesellschaftenstellen einen der letzten größeren Bestandteiledes Landesvermögens dar und wecken seitJahren die Begehrlichkeiten der Privatisierer.

*) Stadtrendite ist ein junger Begriff, mit dem der Wert(Nutzen) eines Unternehmens für die Stadt bezeichnet wird,z.B. in gesellschaftlicher, sozialer oder ökologischerHinsicht.

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Diese Entwicklung bestätigt die bisherigen An-nahmen über die Investitionsstrategien von Fi-nanzinvestoren wie Oaktree, der derzeitigenGehag-Eigentümerin. In ausgewählten Bestän-den und besseren Lagen werden Aufwertungs-maßnahmen durchgeführt, die zu teilweisedrastischen Mietsteigerungen führen – im Restder Bestände erfolgen Mieterhöhungen imRahmen des Mietspiegels. Im Ergebnis verrin-gert sich in den privatisierten Beständen der An-teil von preiswerten Wohnungen und insbeson-dere in besseren Lagen werden durch die Mo-dernisierungen Verdrängungsprozesse voran-getrieben. In den modernisierten Wohnungenin Zehlendorf will die Gehag die Neuver-mietungsmieten auf sieben Euro anheben. „Esfindet dort ein gewisser Mieterwechsel statt“,kündigt Gehag-Sprecher Bernhard Elias an.

Um die Chancen zur Übernahme der ange-schlagenen Daimler-Tochter zu erhöhen, sollder ehemalige VW-Manager Wolfgang Bern-hard in beratender Funktion bei Cerberus tätigwerden. Vor dem kurzen Gastspiel bei VW warBernhard bei DaimlerChrysler beschäftigt, umdie US-amerikanische Tochter Chrysler aufProfitkurs zu trimmen. Mit Bernhard undseinen Insiderkenntnissen dürften die Chancenzur Übernahme von Chrysler für Cerberus nicht

schlecht stehen. Ebenso gute Erfolgsaussich-ten hat Cerberus in dem Bieterverfahren zumKauf der Berliner Sparkasse. (Zum Verkauf derSparkasse siehe auch Interview auf S. 11, dieRed.) Das Cerberus-Management hat sich imRahmen des Aufkaufs der GSW-Wohnungenin einer Reihe von Veranstaltungen und Treffenbestens auf die Berliner Verhältnisse ein-gestellt und verfügt über gute Kontakte in diehiesige Wirtschaft und Politik.

„Stimmungsmache“ zum WohnungskaufMit Thomas Zinnöcker hatte Cerberus gleichnach dem Kauf der GSW einen ausgewiesenenImmobilienprofi eingekauft, um die Geschäfts-prozesse der Wohnungsbaugesellschaft imSinne der Renditeerwartungen der Anleger zuoptimieren. Zu dem Geschäft mit den Woh-nungen gehört unter anderem die Umwand-lung in Wohneigentum, was die GSW derzeit

Mit 1-Euro-Jobs Geld gespartNach der GSW möchte der Finanzinvestor Cerberus nun auch die BerlinerSparkasse übernehmen und zieht nebenher alle Register, um Kosten zu senkenHermann Werle

Dass Private-Equity-Fonds an keine bestimmte Branche gebunden sind, zeigt sich derzeit ganz konkret in Berlin. Während dieGSW 1-Euro-Jobber beschäftigt und Wohnungen gewinnbringend in Wohneigentum verwandeln möchte, beteiligt sich Cerberusan aussichtsreicher Position an dem Bieterverfahren der Berliner Sparkasse. Da es an den nötigen Geldmitteln offensichtlichnicht mangelt, möchte der Finanzdienstleister aus New York gleichzeitig den Autobauer Chrysler übernehmen.

Diese Entwicklungen der Gehag zeigen auch,dass die Versprechen eines Mieterschutzesund einer sozialen Kontinuität in der Be-wirtschaftung der Wohnungsbestände nureine begrenzte Halbwertszeit haben. Auch imFall des Gehag-Verkaufs wurden Befürch-tungen von Mietsteigerungen von der Priva-tisierungslobby als völlig haltlos und spekulativvom Tisch gefegt. Gerade mit Blick auf den„entspannten Wohnungsmarkt“ wären Miet-steigerungen schon aus wirtschaftlichen Über-legungen heraus nahezu ausgeschlossen, hießes damals. Zudem sollten über Landesvertreterim Aufsichtsrat politische Interessen desLandes Berlin in der Gehag gesichert werden.Heute heißt es aus Kreisen der Senats-verwaltung: „Über den Aufsichtsrat kann mannur begrenzt Einfluss nehmen“.

Das Dilemma der Privatisierungsdiskussionenzeigt sich am Beispiel der Gehag deutlich:Wenn ein Verkauf von öffentlichem Woh-nungsbestand ansteht, argumentieren diePrivatisierungsbefürworter jeder Couleur, dassdie sozialen Kosten der Privatisierung reineSpekulation seien. Nach einigen Jahren sinddann jedoch die Mieter/innen mit den Risikenund Nebenwirkungen des Verkaufs kon-frontiert. Die 1998 beim Gehag-Verkauf ver-antwortlichen amtierenden Senator/innen – indiesem Fall Finanzsenatorin Fugmann-Hee-sing und Bausenator Kleemann – haben in-zwischen längst verschiedene Beraterjobs inprivaten Unternehmen übernommen und kön-nen politisch nicht mehr zur Verantwortunggezogen werden.

Mietsteigerungen bei der Gehag

Pressemeldungen zufolge sind die Mietpreise in den Beständen der ehemals landeseigenen Gehag seit der Privatisierung deutlich angestiegen. Im Durchschnittstiegen die monatlichen Nettokaltmieten seit 1998 um etwa 30% von 3,63 auf4,74 Euro/qm. In besseren Wohnlagen liegen die Mietsteigerungen sogar nochdeutlich über diesen Werten. So stiegen die Mieten in den Gehag-Wohnungen inMariendorf um über 67% auf mittlerweile 6,30 Euro/qm. Ursächlich dafür ist nichtnur die Ausschöpfung der Mieterhöhungsmöglichkeiten des Mietspiegels, sondernauch die Umlage von Modernisierungskosten. In Zehlendorf liegen die Gehag-Mieteninzwischen sogar bei fast 6,50 Euro/qm.

Zur 1998 zunächst teilprivatisierten Gehag (heute100% Eigentum von Oaktree und HSH-Nordbank)gehören die sog. Bruno-Taut-Siedlungen, wie z.B. diehier abgebildete Hufeisensiedlung in Neukölln-Britz.

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forcieren möchte. Diesem Ansinnen dient dersogenannte „Erste Berliner Wohnungsmarkt-report“, den die GSW Mitte März in Koope-ration mit dem Maklerbüro Jones Lang LaSalleveröffentlichte. „Wohin gehen die Preise undMieten Berliner Wohnungen?“, fragt derReport, weil diese Frage nicht nur Mieter undEigentümer berühre, sondern auch Investorenaus aller Welt, die sich in der deutschenHauptstadt eingekauft haben. Und für dieseInvestoren haben GSW und Jones Lang LaSalleeine beruhigende Aussicht parat: „Renditenund Werte werden bei den meisten Häusernsteigen.“ Denn laut Report würden sich dieMieten zumindest teilweise erhöhen, derLeerstand zurückgehen und die Kaufpreise fürWohnungen „auf breiter Front“ steigen, wes-halb das Management um Thomas Zinnöckerzu dem Schluss kommt: „Wer in besserer odermittlerer Berliner Lage Wohneigentum erwer-ben will“, solle dies bald tun, denn „zu denheutigen Preisen bekommt man es wahr-

scheinlich nie wieder.“ Laut Ralf Schönball vomTagesspiegel wurde der Report von Immo-bilienexperten mit „verwundertem Kopfschüt-teln“ zur Kenntnis genommen und „als ‚Stim-mungsmache‘ – um Mieter zum Wohnungs-kauf zu bewegen“ bezeichnet. Diese Einschät-zung dürfte der Realität recht nahe kommen,da in der Mieterstadt Berlin die Nachfrage nachEigentumswohnungen weiterhin nahezu stag-niert (siehe MieterEcho Nr. 317: Berlin bleibtMieterstadt).

Geschäftsziel: Effizientes ManagementStimmungsmache und das Umwandlungsge-schäft sind bei Weitem nicht die einzigenGeschäftsbereiche, die der GSW-Bilanz zuGlanz verhelfen sollen. Den bilanzierten Ein-nahmen, unter anderem durch Wohnungsver-käufe, steht die ebenso wichtige Kostenseitegegenüber. Und aus der Perspektive desManagements eines Wohnungsunterneh-mens, das seinen Kapitalanlegern verpflichtetist, stellen insbesondere Löhne und Gehälterein Kostensenkungspotenzial dar. Das heißt,Beschäftigte werden als Kostenfaktor mit zweiOhren angesehen. Um diesen zu verringern,wurde bei der GSW im letzten Jahr ein leis-tungsorientiertes Tarifsystem eingeführt. So-wohl die Arbeitszeiten als auch die Löhnewurden flexibilisiert. Beschäftigte erhalten seitAnfang des Jahres nur noch eine Grundver-gütung, die bei überdurchschnittlichen Leis-tungen oder der Erreichung vorgegebenerZiele aufgestockt werden kann – Urlaubs- undWeihnachtsgeld wurden dafür gestrichen.

1-Euro-Jobs sparen LohnzahlungenDass mit diesem Lohnsenkungsprogramm dieGrenzen der Flexibilität immer noch nicht er-reicht sind, wurde von der HandwerkskammerBerlin aufgedeckt und von der Sendung „Klar-

text“ im Januar öffentlich gemacht. Über einenKreuzberger Beschäftigungsträger haben ALG-II-Beziehende und Straftäter, die Geldstrafenabarbeiten müssen, „Renovierungsarbeiten inerheblichem Umfang für verschiedene Woh-nungsbaugesellschaften durchgeführt“, wiedie Handwerkskammer berichtet. Von demVerlegen von Laminatböden, dem Tapezierenvon Treppenhäusern bis zum Streichen vonTüren, Fenstern und Heizkörpern sowie Flie-senarbeiten reicht die Palette der Billigst-lohntätigkeiten, die unter anderem von derGSW in Anspruch genommen wurden. DerBericht der „Klartext“-Sendung (nachzulesenund zu sehen unter: www.rbb-online.de) be-ginnt dementsprechend: „Berlin-Reinicken-dorf, eine Wohnsiedlung der früher städti-schen, jetzt privatisierten Wohnungsbauge-sellschaft GSW. Hier stehen viele Wohnungenleer. Folgende Bilder werden uns zugespielt,eine ganz normale Wohnungsrenovierung,erledigt nicht von einem Handwerksbetrieb,sondern von 1-Euro-Jobbern.“ Und zum Endeheißt es: „Straftäter und 1-Euro-Jobber alsHandwerker. Den Nutzen hatten das ProjektBig Steps und große Wohnungsbaugesell-schaften. Die Dummen sind die 1-Euro-Jobberund Malerbetriebe.“

Kostenfaktor Rudi DutschkeKosten können aber auch ganz unvorher-gesehen drohen. Seit Kurzem muss sich dieGeschäftsführung der GSW mit ihrer eigenenAdresse in der Kochstraße beschäftigen. Nach-dem der Bürgerentscheid der CDU gegen dieUmbenennung eines Teils der Kochstraße inRudi-Dutschke-Straße im Januar 2007 ge-scheitert war, gehört die GSW neben demSpringer-Verlagshaus zu den 27 Klägern, dievor dem Verwaltungsgericht die Kochstraßegegen den erklärten Willen der Bürger/innenerhalten wollen. Dabei argumentiert die GSWgar nicht gegen den Wortführer der 68er-Studentenbewegung, sondern völlig unideo-logisch mit Umstellungskosten. Die Positionder GSW-Pressesprecherin wird im Tages-spiegel vom 23. Januar 2007 mit den Wortenwiedergegeben, dass man bereit sei, „dengesamten gerichtlichen Instanzenweg auszu-schöpfen, denn die Kosten für den Neudruckvon Prospekten und Briefköpfen würde in dieMillionen Euro gehen.“ Ob dem Kostenma-nagement der Privatwirtschaft oder demdemokratischen Willen der Bürger/innen einhöherer Stellenwert beizumessen ist, soll am9. Mai 2007 vor dem Berliner Verwaltungs-gericht entschieden werden.

Thomas Zinnöcker, Vorsitzender derGeschäftsführung der GSW. Rund 70.000 Wohnungen verwaltet die GSW, hier ein Objekt in Spandau.

Das ehemals kommunale Wohnungsunternehmen GSW wurde1924 gegründet und 2004 an den Fonds Cerberus privatisiert.Zu den Gebäuden der GSW gehören auch Altbauten wie dasabgebildete Haus in der Friedrichstraße.

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P R I V A T I S I E R U N GKlageflut am Grazer DammImmer wieder neuen und kostspieligenÄrger erleben die Mieter/innen derehemaligen GSW-Siedlung rund um denGrazer Platz in Schöneberg. Nach langandauernden Modernisierungsmaßnah-men, die im Juli letzten Jahres Miet-erhöhungen nach sich zogen, folgtenbereits im Oktober die Ankündigungenfür eine weitere Mietsteigerung. Dochdamit nicht genug: Auch bei den Be-triebskosten wurde ordentlich drauf-gelegt.

Trotz des mehrmaligen Eigentümerwechselsblieb die GSW den Mieter/innen als Verwal-terin der Wohnungen erhalten. Doch die Ver-waltung dient wie die gesamte privatisierteGSW nicht mehr der Bereitstellung preisgüns-tigen Wohnraums, sondern „dem Ziel derlaufenden Optimierung der Mieterträge“, wie

unter der Überschrift „Nah am Mieter“ bei derGSW-Tochter „Asset One“ im Internet nach-zulesen ist. Diese Nähe zum Mieter sei durchein professionelles und flexibles Mietermana-gement „die beste Gewähr für einen dauer-haften Mieterbestand und ein Minimum anRechtskosten und Forderungsausfällen.“

Die neue Nähe zum MieterIn der Praxis stellt sich die Nähe zwischenVerwaltung und Mieterschaft immer häufigervor Gericht her. Mindestens 30 Klagen hättedas Amtsgericht Schöneberg derzeit zu be-arbeiten, berichten Anwohner vom GrazerDamm. Denn obwohl viele Mieter/innenängstlich seien, würden sie doch nicht alleshinnehmen. So fehlte bei den letzten Miet-erhöhungsverlangen die Legitimierung derneuen Eigentümer, weshalb einige Mietpar-teien ihre Zustimmung verweigerten. Derformale Mangel der Mieterhöhung wurde vonder Eigentümerseite erst im Lauf des Kla-geverfahrens behoben. Im Ergebnis kam es vordem Gericht zu einer Verständigung in Formeines Vergleichs, sodass die Mieterhöhung

weniger hoch ausfiel und zudem erst einhalbes Jahr später geltend wurde.

Teures WasserEin weiteres Ärgernis für die Bewohner/innenam Grazer Damm stellen die Betriebskos-tenabrechnungen für das Jahr 2005 dar. In-folge der Teilprivatisierung der Wasserbetriebesind die Wasserpreise in Berlin im Vergleich zuanderen deutschen Großstädten zwar außer-ordentlich hoch, aber doch nicht so hoch, wiedie GSW-Verwaltung in ihrer Berechnung dar-stellte. Danach sollte ein Kubikmeter Wasserplus der dazugehörigen Entwässerung mit6,418 Euro zu Buche schlagen. Ein viel zuhoher Preis, wie es einigen Mietern erschien,die nachrechneten und der Abrechnung wi-dersprachen. Und tatsächlich: Die GSW hattesich um stolze 81 Cent pro Kubikmeter ver-rechnet. Für einzelne Mietparteien ergebensich daraus Guthaben von über Hundert Euro.Die Prüfung der Betriebskostenabrechnungdürfte der Anwohnerschaft am Grazer Dammin der Summe über 100.000 Euro Ersparniseinbringen.

Nach längerem parlamentarischen Hin undHer fiel im März die endgültige Entscheidungzur Privatisierung der GSG. Die 1965 gegrün-dete Gesellschaft unterhält rund 750.000 qmGewerbefläche, die rund 1200 kleine Firmenund Gewerbetreibende mit insgesamt über12.000 Beschäftigten beherbergt. Die Bereit-stellung von preisgünstigen Gewerberäumenentspricht dabei der Zielstellung, mit der dieGSG vor über 40 Jahren mit ihrem erstenGewerbehof in der Kreuzberger Blücherstraße

ihre Tätigkeit aufnahm. Seither wurden diverseGewerbehöfe aus der Gründerzeit saniert oderneu gebaut. Die hierfür eingesetzten För-dermittel von Land, Bund und EuropäischerUnion gewährleisteten langfristig stabile undpreiswerte Mieten, und das vor allem inBezirken, in denen Berlin seit Jahren diegrößten sozialen Probleme aufweist. Stei-gende Gewerbemieten wirken sich also un-weigerlich negativ auf die sozialen Strukturenin diesen Bezirken aus, da sie die wirt-

schaftliche Basis kleiner Betriebe zerstören unddamit Insolvenzen und wachsende Arbeits-losigkeit befördern können.

Luxus für alle?

Käufer der GSG ist die an der Börse notierteORCO Germany Immobiliengesellschaft, eineTochter der ORCO Property Group mit Sitz inLuxemburg. Deren Tätigkeitsfeld liegt über-wiegend in Osteuropa und besteht in der Auf-wertung von Wohn- und Gewerbeimmobilien.In Berlin ist ORCO u.a. im Prenzlauer Berg und

Ein weiteres Geschenk fürInvestorenNach der Privatisierung der Gewerbesiedlungs-gesellschaft (GSG) drohen steigende Mieten fürGewerbetreibende Hermann Werle

So wie mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften das Niveau der Wohnungs-mieten reguliert werden kann, so konnte das Land Berlin mit der GSG als größtemAnbieter von Gewerbeflächen bislang auch auf die Gewerbemieten eine regulierendeWirkung ausüben. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden dienegativen Folgen der Privatisierung der 42 GSG-Gewerbehöfe zu tragen haben.

Die Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) ist mit über750.000 qm der führende Gewerbeflächenanbieter inBerlin.

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in Mitte aktiv, wo z. B. die ehemaligen Fa-briketagen der Fehrbelliner Höfe in Luxusloftsumgewandelt werden. Diese Art der Ver-wertung von Gewerbeflächen steht im Zen-trum der Geschäftsphilosophie des Investors,wie unschwer aus der Selbstdarstellung zuentnehmen ist. So sei „die Fokussierung auferstklassige Standorte und prestigeträchtigeImmobilien in allen großen europäischenStädten“ kennzeichnend für ORCO. DasHauptaugenmerk des Finanzinvestors liegtdementsprechend „auf dem Erwerb, demManagement und der Veräußerung vonWohnimmobilien im Mittelklasse- und Luxus-segment in Zentraleuropa, in Deutschland,Kroatien, Slowakei und Russland.“ Einelängerfristige oder gar luxuriöse Förderungkleiner Berliner Gewerbetreibender liegtORCO sicherlich wenig am Herzen, denn daswird bekanntermaßen an keiner Börse derWelt honoriert.

Baden gehen mit Lederer

Herzlich willkommen ist ORCO im Club derBesserbetuchten. Seit Februar 2007 ist ORCOMitglied im Netzwerk der Berlin Partner GmbH,die sich als zentrale Anlaufstelle für Investorenversteht, diese „bei der Ansiedlung unter-stützt“ und „den Standort Berlin profiliert undvermarktet.“ Neben dem Wirtschaftssenator

Harald Wolf (Linkspartei.PDS) sorgen insbe-sondere die Vertreter der Industrie- und Han-delskammer Berlin über die Berlin Partner füreine reibungslose Vermarktung der städti-schen Vermögen. Die IHK begrüßte denn aucham 7. März 2007 ausdrücklich den Verkauf derGSG und vergaß dabei nicht zu erwähnen, dassdies „das Signal für die Privatisierung weitererlandeseigener Unternehmen sein“ sollte. Undfür den Chef der Berliner Linkspartei, KlausLederer, gehört die Privatisierung zu den dreibedeutendsten Entschlüssen, die in den ersten100 Tagen dieser Legislaturperiode getroffenwurden: „Die GSG-Privatisierung“, so Ledererin der Berliner Zeitung vom 13. März 2007,„war eine wichtige Entscheidung. Sie bedeuteteine Stärkung der Investitionsbank, und wirbekommen Geld, mit dem wir Schwerpunktewie die Sanierung der Bäder finanzierenkönnen.“ Warum die Investitionsbank aufdiesen kleinen Geldsegen nicht verzichtenkann, verrät uns der Spitzenpolitiker derLinkspartei nicht. Und dass die kleinen Ge-werbetreibenden, wenn sie mit ihren Betrie-ben baden gegangen sind, sich nicht einmalmehr ein Bad in einem der sanierten Bäderleisten können, behält er auch lieber für sich.

Ein besonderes Geschenk: „SiliconWedding“

Doch selbst wenn die Investitionsbank Fi-nanzmittel bräuchte und für die Sanierung derBäder Geld benötigt würde, wäre das keinGrund für die Privatisierung der GSG und schongar nicht zu dem geringen Preis von wenigerals 300 Millionen Euro. Nach Ausführungendes finanzpolitischen Sprechers der Grünen,Jochen Esser, hätten die GSG und dieTechnische Universität allein 180 MillionenEuro in den Ausbau des Fachbereichs fürBauingenieure im Technologie- und Innova-tionspark Berlin (TIB) investiert. Es könnedaher nicht sein, dass ein millionenschweresUniversitätsgelände an die Finanzinvestorender ORCO verscherbelt würde, der „ausBerliner Steuermitteln, Eigenmitteln der TUund Fördermitteln des Bundes“ errichtetwurde. Wegen seiner Konzentration vonForschung, Wissenschaft und High-Tech-Unternehmen auf einem Gelände wird dieserGSG-Gewerbehof in Anspielung auf daskalifornische Technologiezentrum „SiliconValley“ liebevoll „Silicon Wedding“ genannt.Für den Berliner Senat war dieses StückBerliner Erfolgsgeschichte lediglich ein Bo-nuspräsent an den Investor.

Gesetz zur Ein-führung von REITsvom BundestagverabschiedetAm 22. März 2007 hat der Bundestagdas umstrittene Gesetz über dieEinführung börsennotierter Immobilien-fonds beschlossen. Diese Real EstateInvestment Trusts – kurz REITs genannt– elektrisierten die Finanz- und Immobi-lienbranche bereits in den vergangenenJahren. Denn hinter dem Wortungetümverbirgt sich eine lukrative Anlage-möglichkeit für Finanzinvestoren. REITsbieten nicht nur einen Weg, Immobilien-anlagevermögen an der Börse zunotieren, sondern sind darüber hinausmit großzügigen Steuervergünstigungenausgestattet.

Aus der Perspektive des Finanzmarkts habendie REITs gleich zwei Vorteile: Zum einenkönnen Unternehmen und große Konzerne aufdiesem Weg ihre in Immobilien gebundenenAnlagewerte aktivieren und das so verflüssigteVermögen in anderen Bereichen investieren.Zum anderen bieten die REITs eine neueAnlagesphäre für Finanzinvestoren. Experten wie der Deutsche-Bank-VorstandHermann-Josef Lamberti rechneten im Vorfeldder Gesetzesentscheidung mit einem Gesamt-potenzial von bis zu 60 Milliarden Euro. Dennaus der Perspektive des Finanzmarkts schlum-mern Milliardenvermögen in den Bilanzen der

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Vor allem in den Berliner Altbauquartieren sind dieGSG-Gewerbehöfe stadtbildprägend.

REITs (gesprochen: „Riets“) stellen einebörsennotierte Immobilienanlage dar. DieAnleger sind an den laufenden Einnahmen undder Wertsteigerung einer Immobilie beteiligt.Gesetzlich ist eine Ausschüttung von 90% desGewinns vorgesehen. Ein REIT ist von derKörperschaft- und Gewerbesteuer befreit,vorausgesetzt er beschränkt sich auf seineHaupttätigkeiten Erwerb, Bewirtschaftungund Verkauf von Immobilien. Die Besteuerungder Erträge eines REITs erfolgt nach Aus-schüttung direkt beim Anleger als Dividende.Entstanden sind REITs in den 60er Jahren inden USA und mittlerweile bereits in 20 Län-dern vertreten. Mit dem neuen Gesetz werdenREITs nun rückwirkend zum 1. Januar auch inDeutschland in Form von Aktiengesellschaftenzugelassen.

REITs

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MieterEcho (ME): Der öffentlich-rechtlicheBankensektor ist schon lange im Visier derPrivatbanken. Nunmehr wird in Berlin dielandeseigene Sparkasse verkauft. Wie ist es zuerklären, dass gerade in Berlin unter einer rot-roten Landesregierung die Privatisierung desöffentlich-rechtlichen Bankensystems, insbe-sondere der Sparkassen eingeläutet wird?

Sabine Finkenthei (SF): Das hängt mit demBankenskandal zusammen. Nachdem die1993 gegründete Berliner BankgesellschaftAG, nunmehr LBB Holding AG, in deren Kon-zern sowohl die Landesbank Berlin als auchdie Berliner Sparkasse eingebunden wordenwar, vor dem Zusammenbruch stand, hat dasLand Berlin zunächst durch eine Finanzspritzevon ca. 1,75 Milliarden Euro versucht, die Bankzu retten. Nachdem das nicht ausreichte, wur-de durch das sogenannte Risikoabschirmungs-gesetz nachgelegt, was umfangreiche Ga-rantien mit einem Wert von schätzungsweise6 bis 21 Milliarden Euro öffentlicher Mittel füreinen Zeitraum von dreißig Jahren beinhaltet.

Sparkassenverkauf: keine Auflage der EU

ME: Muss Berlin die Sparkasse verkaufen?

SF: Das Sanierungsprogramm für die Bank-gesellschaft wurde von der EU-Kommission alsstaatliche Beihilfe bewertet, die nur unterbestimmten Bedingungen EU-rechtlich geneh-migt werden konnte. Allerdings gehörte zudiesen Bedingungen nicht die Verpflichtungdes Landes Berlin, seine Sparkasse zu ver-kaufen – obwohl dies vom Berliner Senat hart-näckig behauptet wird. Zu einer solch ver-

pflichtenden Auflagehätte die EU-Kommis-sion auch gar keineRechtsgrundlage gehabt, da nach Artikel 295EG-Vertrag allein die Mitgliedsstaaten für dieEigentumsordnung zuständig sind.

ME: Woher kommt dann der Verkaufsdruck?

SF: Die Berliner Sparkasse gehört zum lu-krativsten Teil des Verkaufspakets. Deshalbwurde mit der Mehrheit der Stimmen der SPDund PDS 2005 das Berliner Sparkassengesetzverabschiedet, mit dem die rechtlichen Grund-lagen dafür geschaffen wurden, dass erstmalsin der Geschichte der Bundesrepublik einelandeseigene Sparkasse überhaupt verkauftwerden kann. Dieses Gesetz wurde nicht etwavom Berliner Senat entworfen, vielmehr wurdedamit die internationale Kanzlei „FreshfieldsBruckhaus Deringer“ beauftragt, eine Kanzlei,die zu ihren Mandanten auch Privatbankenzählt und die das Land Berlin bereits im Bei-hilfe-Verfahren vor der EU-Kommission vertre-ten hatte. Der durch den Verkauf der Sparkasseerhoffte hohe Verkaufserlös wird allerdingsnicht der Berliner Bevölkerung zugute kom-men. Vielmehr sollen mit den Einnahmen diemilliardenschweren Verpflichtungen aus demRisikoabschirmungsgesetz bedient werden,wovon vor allem jene Privilegierten profitieren

großen Konzerne, nämlich in den vielgerühmten „stillen Reserven“. Schätzungender Deutschen Gesellschaft für Immobilien-fonds (Degi) zufolge besitzen die 100 größtendeutschen Konzerne Immobilien mit einemBuchwert von rund 190 Milliarden Euro. KeinWunder, denn in Deutschland halten 75% allergrößeren Unternehmen nach wie vor an ihrenImmobilien fest – in den USA sind es nur 25%.

REITslose Wohnungsbestände

Die Pläne für die Einführung von REITs wurdenvon der Initiative Finanzstandort Deutschland(IFD) seit 2003 vorangetrieben und ein ersterGesetzesentwurf aus dem Hause Steinbrückim September 2006 deutete auf einen durch-schlagenden Erfolg der Lobbyarbeit. Doch auf-geschreckt durch die Warnungen von Mieter-organisationen formierte sich innerhalb derSPD-Fraktion der Widerstand gegen das Pro-jekt der REITs. Befürchtet wurden insbeson-dere negative Effekte einer zunehmendenRenditeorientierung auf den Immobilienmärk-ten und steigender Privatisierungsdruck für dieöffentlichen Wohnungsbestände.

Veränderungen auf demWohnungsmarkt sind langfristig zubefürchten

Ganz typisch für die Politik der großen Koalitionmündeten die verschiedenen Positionen ineinem mehr oder minder faulen Kompromiss.Die Lobbyisten des Finanzkapitals setzen sichgrundsätzlich mit der Einführung der REITs undihrer Befreiung von der Körperschafts- undGewerbesteuer durch. Die Herausnahme vonBestandswohnungen hingegen kann alsZugeständnis an die Skeptiker innerhalb derRegierungsparteien gewertet werden. Damitunterscheiden sich die REITs in Deutschlandvon denen in anderen Ländern, wo es derartigeBeschränkungen nicht gibt. Dennoch könnenFinanzinvestoren mit gewinnbringenden An-lagemöglichkeiten rechnen, denn neben Ge-werbe- und Hotelimmobilien können auch neugebaute Wohnungen (nach 31. Dezember2006 fertiggestellt) und ausländische Wohn-immobilien im Rahmen der REITs an die Börsegebracht werden.

Ein direkter Zugriff der Börse auf die Miet-wohnung ist damit vorerst abgewehrt, aber diedurch die REITs zu erwartenden Bewegungenauf dem Immobilienmarkt werden auch an denWohnungsbeständen nicht spurlos vorbei-gehen.

P R I V A T I S I E R U N G

„Das Girokonto fürjedermann muss fest-geschrieben werden!“Interview mit Sabine Finkenthei zur Zukunft der Berliner Sparkasse

Die Privatisierungswelle macht auch vor den öffentlichen Banken nicht halt. Zurzeitläuft das Bieterverfahren für den Verkauf der Landesbank Berlin, zu der auch dieBerliner Sparkasse gehört. Damit droht der Ausverkauf des bisher gemeinwohl-orientierten und an sozialen Belangen der Bevölkerung ausgerichteten öffentlichenSparkassensektors.

Sabine Finkenthei istJuristin und hat fürdas geplante Volksbe-gehren die rechtlichenVoraussetzungengeprüft.

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P R I V A T I S I E R U N Gwerden, die ohnehin schon in den Genuss dersogenannten Sorglos-Fonds gekommen sind.

ME: Was macht die Sparkasse so interessantfür private Investoren?

SF: Nicht nur der hohe Marktanteil am Privat-kundengeschäft dürfte für private Investoreninteressant sein, sondern auch die Möglich-keit, in den bis dahin ausschließlich unter staat-licher Regie geführten Sparkassensektor denFuß in die Tür zu bekommen.

ME: Was könnten die unmittelbaren Folgender Privatisierung der Sparkasse sein?

SF: Sollte die Berliner Sparkasse an einenprivaten Bieter verkauft werden, opfert aus-gerechnet eine rot-rote Landesregierung einesseiner wichtigsten fiskal- und wirtschafts-politischen Steuerungsinstrumente.Während es für ein staatliches Unternehmenausreichend ist, kostendeckend zu arbeitenoder aber die Gewinne gemeinwohlorien-tierten Zwecken zukommen zu lassen, ist einprivates Unternehmen darauf ausgerichtet,eine maximale Rendite für seine Eigentümerzu erwirtschaften. Das führt dazu, dass fürPrivate soziale Aspekte der Gewinnverwen-dung – wenn überhaupt – lediglich eine unter-geordnete Rolle spielen oder allenfalls derImagepflege dienen.Im Unterschied zu Sparkassen anderer Bun-desländer war zwar die Berliner Sparkasseschon seit 1993 durch ihre Einbindung in denKonzern der Berliner Bankgesellschaft als eingemeinwohlorientiertes Institut für die BerlinerBevölkerung kaum wahrnehmbar, mit demneuen Berliner Sparkassengesetz wurde je-doch auf eine gesetzliche Verankerung diesertypischen Merkmale gänzlich verzichtet.Angeblich gab es dazu wegen der EU-recht-lichen Notwendigkeit, den Verkauf diskrimi-nierungsfrei – das heißt ohne Auflagen fürPrivatinvestoren – zu gestalten, keine Alter-native. Vorzuwerfen ist dem rot-roten Senathier vor allem, dass er noch nicht mal denVersuch unternommen hat, die durchaus vor-handenen sozialen Gestaltungsspielräumeauszuschöpfen. Die EU-Kommission hat ineinem Schreiben vom 28. Juni 2006 selbst aufdiese Möglichkeit hingewiesen. So hätte dieNutzung der gesetzlich geschützten Bezeich-nung „Sparkasse“ durch private Banken vonder Erfüllung bestimmter Gemeinwohlver-pflichtungen abhängig gemacht werdenkönnen.Zudem droht die Ausdünnung des bisher sehrdichten Filialnetzes der Berliner Sparkasse.Dies könnte neben dem Abbau von Arbeits-

plätzen insbesondere für die Bürger/innen desOstteils der Stadt, in dem die Privatbanken inder Vergangenheit nur sehr zurückhaltendinvestiert haben, dazu führen, dass eineausreichende Versorgung mit Finanzdienst-leistungen in Zukunft nicht mehr gewährleistetist.

ME: Bei der Privatisierung öffentlicher Un-ternehmen bleiben die umfangreichen Ver-tragswerke zum großen Teil geheim. Im Ber-liner Sparkassengesetz ist ebenfalls vorge-sehen, dass zwischen dem Land Berlin, ver-treten durch den Senat und dem Investor einöffentlich-rechtlicher Vertrag abzuschließenist, in dem nähere Einzelheiten geregeltwerden sollen. Welche Folgen können solcheVerträge haben?

SF: Diese Praxis hat vor allem einen zuneh-menden Demokratieabbau zur Folge. In diesenVerträgen werden nämlich insbesondere Haf-tungsfragen geregelt oder schlimmer noch,wie z.B. im geheimen Konsortialvertrag für dieBerliner Wasserbetriebe, Renditegarantien ab-gegeben, die Haushaltsmittel auf Jahre bin-den. Werden diese Vertragswerke geheimgehalten, hat der Parlamentarier ohnehinkeinerlei Einwirkungs- oder Kontrollmöglich-keiten, aber selbst wenn sie offen gelegtwerden, sind sie meist so umfangreich und un-durchsichtig, dass der einzelne Parlamentarierschier überfordert ist.An dieser Form des Demokratieabbaus sind dieParlamentarier aber nicht ganz unschuldig,wie jüngst eine Abstimmung im Rechts-ausschuss des Berliner Abgeordnetenhausesgezeigt hat. Auf Betreiben von Mitgliedern derInitiative Berliner Bankenskandal wurde vonden Grünen eine Novellierung des Sparkas-sengesetzes dahingehend gefordert, dass deröffentlich-rechtliche Vertrag nicht nur denAbgeordneten wie vorgesehen vor Abschlusszur Kenntnisnahme zuzuleiten ist, sondern dasAbgeordnetenhaus diesem Vertrag zustimmenmuss. Fatalerweise wurde dieser Antragjedoch mit Ausnahme der Grünen im Rechts-ausschuss von allen anderen Abgeordnetenabgelehnt. Die Abgeordneten haben hier alsoihrer eigenen Entmachtung zugestimmt.

ME: Wie lässt sich auf das bereits laufendeBieterverfahren Einfluss nehmen?

SF: Da die sozialen Gestaltungsspielräume imSparkassengesetz nicht ausgeschöpft wurdenund der jüngst eingebrachte Antrag derGrünen zur Novellierung des Sparkassen-

gesetzes in den Ausschüssen abgeschmettertwurde, bleibt nur noch die Möglichkeit einesVolksbegehrens, um zumindest folgende ge-meinwohlorientierte Aspekte gesetzlich zuverankern: Der Anspruch auf ein Girokonto für jedermann,wie dies das Sparkassenrecht zahlreicher an-derer Bundesländer vorsieht, muss insbeson-dere vor dem Hintergrund neuester Recht-sprechung, festgeschrieben werden. Ange-sichts der bedrohlich ansteigenden Zahl vonMenschen, die kein Girokonto mehr besitzen,obwohl ein Girokonto heutzutage existenz-notwendig ist, wäre gerade das für einen rot-roten Senat ein zwingendes Muss gewesen.Dem Einwand des PDS-LandesvorsitzendenKlaus Lederer, dass das Girokonto für jeder-mann gegen EU-Recht verstoßen würde, istentgegenzuhalten, dass sich der von der EU-Kommission eingesetzte Verbraucheraus-schuss bereits zugunsten eines Kontrahie-rungszwangs* bei Girokonten als einem Teilder Daseinsvorsorge ausgesprochen hat.Als Zweites wäre das Regionalprinzip zunennen. Das bedeutet, dass die Geschäfts-tätigkeit der Sparkassen auf das Gebiet ihresSitzes beschränkt ist. Durch die daraus resul-tierende detaillierte Kenntnis der Orts- undPersonenverhältnisse wird eine optimaleVersorgung mit Bankdienstleistungen insbe-sondere auch für die kleineren und mittlerenUnternehmen gewährleistet.Zudem ist die Einrichtung eines Verwaltungs-rats mit umfassenden Kontroll- und Einsichts-möglichkeiten als zweites Organ neben derGeschäftsführung unerlässlich, denn ohne einsolches Kontrollorgan innerhalb des Unter-nehmens ist die vorgesehene Fachaufsichtbloße Makulatur. Außerdem soll mit einem Teilder Gewinne der Berliner Verbraucherschutzund die Schuldnerberatung gefördert werden.Auch wenn, wie bereits erwähnt, die Mehrheitder Berliner Abgeordneten daran kein In-teresse zu haben scheint, ist die Verpflichtung,dass das Abgeordnetenhaus dem Inhalt desöffentlich-rechtlichen Vertrags zuzustimmenhat, zwingend notwendig, denn spätestensseit der Teilprivatisierung der Berliner Wasser-betriebe dürfte jedem Abgeordneten bekanntsein, dass Verträge zwischen Investoren unddem Senat das Land Berlin teuer zu stehenkommen können.

ME: Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führte Hermann Werle.

*Kontrahierungszwang: Gesetzliche Verpflichtung, einenVertrag abzuschließen – Gegenteil von Privatautonomie.

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tion für eine kostenfreie Übertragung ihrerWohnung. Diese Form der Mikroprivatisierungwurde inzwischen bei fast 25 MillionenWohnungen vollzogen.

Privatisierung und prekäres WohnenDie Probleme der Privatisierung liegen ei-nerseits bei den fehlenden Strukturen einerWohnungsverwaltung, sodass die Städte undKommunen nach wie vor für die Bewirtschaf-tung der Wohnungsbestände zuständig sind,aber über kein rationales System zur Abrech-

nung ihrer Kosten verfügen. Außerdem hat sichder Wohnungsbestand seit 1990 ständig ver-schlechtert und viele Wohnungen sind von denjahrelang unterlassenen Instandsetzungengezeichnet.

Geringe Wohnqualität

Die russische Variante der Wohnungspri-vatisierung entfesselte zudem individuelleGlücksstrategien und nährte den Traum vomschnellen Geld. Viele Familien versuchten zu-sammenzuziehen und so einzelne privatisierteWohnungen zu verkaufen. Dadurch wurdendie Wohnverhältnisse für die Familien in derRegel noch beengter und die Wohnqualitätverschlechterte sich. Oft wurde auch das ausden Verkäufen gewonnene Geld in den Erwerbeiner anderen Wohnung investiert, was beiden schnell steigenden Wohnungspreisen nurselten ein gutes Geschäft war.

Die Preise für Wohnungen haben ein mitDeutschland vergleichbares Niveau. Bei dendeutlich geringeren Einkommen in Russlandbedeutet dies, dass große Bevölkerungsgrup-pen praktisch vom Wohnungsmarkt ausge-schlossen sind. Zur Voraussetzung für ausrei-chendes Eigenkapital und Kreditfähigkeit wirdso für viele das Eigentum an einer Wohnung,die verkauft werden kann. Andere Mög-lichkeiten für den Erwerb einer Wohnung gibtes kaum. Wer keine Wohnung hat, wird in derRegel also auch keine bekommen. 15 JahrePrivatisierung haben in Russland eine aus-gewachsene Wohnungsnot hervorgebracht.Dies sollte den Berliner Schwärmereien von derEigentümerstadt eine Warnung sein.

Neue Gesetze für einen ungeregeltenWohnungsmarkt

Die kostenlose Mikroprivatisierung in Russlanderfolgte auf einem nahezu regulationsfreienWohnungsmarkt. In den ersten Jahren wurdendie Wohnungen ohne eine Etablierung woh-nungswirtschaftlicher oder wohnungspoliti-scher Institutionen privatisiert. So gab es bei-spielsweise lange Zeit weder Versicherungs-institute, die Schäden an Gebäuden oderWohnungen versicherten, noch Kreditinstituteoder Förderprogramme, die Anreize für In-vestitionen zur Verbesserung der Wohnungenboten. Auch professionelle Hausverwaltungenexistierten nicht. Wohnungsverkäufe undMietvereinbarungen erfolgten in einer recht-lichen Grauzone – die Privatisierung führte zuchaotischen Wohnungsmarktbedingungenfast ohne jede Regel.

Wohnen in RusslandSchwierige Wohnverhältnisse und ein Markt ohne Regeln Maria Shamaeva

In Russland gibt es etwa 57 Millionen Wohnungen für etwa 145 Millionen Men-schen. Mit über 2,5 Personen pro Haushalt ist die Wohnungsversorgung in Russlandgrundsätzlich anders organisiert als in Deutschland. Die Wohnungen sind im Durch-schnitt kleiner und werden von mehr Bewohner/innen geteilt. Die durchschnittlicheWohnfläche pro Kopf beträgt etwa 20 qm – der Vergleichswert in Deutschland liegtbei 41 qm. Etwa 10% aller russischen Haushalte sind bei den Behörden als woh-nungssuchend gemeldet. Das Beispiel Russland zeigt die drastischen Folgen einerTotalprivatisierung und die Notwendigkeit einer Einschränkung der Marktprinzipienim Bereich der Wohnungsversorgung.

Noch 1990 waren über zwei Drittel desgesamten Wohnungsbestands in öffentlichemBesitz – heute sind es weniger als 30%. Vorallem bei den ehemals staatlich verwaltetenWohnungen hat eine dramatische Privati-sierung stattgefunden. Mit der politischenWende 1990 wurde auf die Herausbildungeines privaten Wohnungsmarkts gesetzt. Daszentrale Instrument war dabei die Übertragungder bisher staatlichen Wohnungen in Einzel-eigentum an die bisherigen Bewohner/innen.Alle Bestandsmieter/innen erhielten die Op-

Entwicklung des russischen Wohnungsbestands nach Eigentumsformen in %

1990 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005Staatlich 41,7 19,2 10,2 7,3 5,6 6,8 5,8 6,1Kommunal 25,2 25,7 29,6 31,0 29,2 24,1 21,7 16,7Privat 32,6 47,1 52,9 57,1 63,1 67,7 71,5 77,2Sonstige 0,5 8,0 7,3 4,6 2,1 1,4 1,0 0,0

Wohngebäude aus derStalin-Ära in Moskau.

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Erst mit einem am 1. Januar 2005 in Kraft ge-tretenen Wohnungsgesetzbuch soll dieserZustand verändert werden. Als ein Schwer-punkt des Gesetzes werden die Bewohner/in-nen der privatisierten Wohnungen aufgefor-dert, Eigentümergemeinschaften zu bilden, diedann als juristische Personen die Verwaltungund Pflege des Hauses übernehmen oderbeauftragen sollen. Der neoliberale Geist derEigenverantwortung, der hinter diesem Gesetzsteht, ist auch in Russland mit enormen so-zialen Kosten verbunden. Denn von den zugründenden Eigentümergemeinschaften sol-len künftig die tatsächlich anfallenden Kostender Verwaltung und Instandhaltung bezahltwerden. Faktisch bedeutet dies eine Ver-vielfachung der Wohnkosten, welche durchSubventionen bisher sehr gering waren. Vorallem für Haushalte mit geringen Einkommenstellt dies ein kaum lösbares Problem dar. DieEtablierung eines Wohnungsmarkts wird alsoauch in Russland die soziale Polarisierungvorantreiben. Investitionschancen und ver-besserte Wohnverhältnisse für die einen –Konkurs, Wohnungsaufgabe und Standard-verzicht für die anderen.

Ausrichtung auf den freien Markt trotz Marktversagens

Die Reaktionen des russischen Staats orien-tieren sich an einer marktkonformen Sub-ventionsregulation. Statt einer generellenWohnungsmarktregulierung sollen nur diedramatischsten Auswüchse gedämpft werden.Insbesondere der eklatante Wohnungsmangelsoll mit Förderprogrammen zum Wohnungs-erwerb für junge Familien ausgeglichen wer-den. Trotz einer deutlichen Verschlechterungder Wohnungsversorgung seit der Privatisie-rung setzt die Regierung in Moskau weiter aufden freien Markt und auf Eigentumswoh-nungen – dabei zeigt die Realität in denrussischen Städten die Grenzen einer solchenprivatwirtschaftlichen Eigentumsorientierungüberaus deutlich.

MieterEcho (ME): Die Probleme der Woh-nungsversorgung in Russland sind nicht ohnedie gesellschaftlichen Veränderungen nachdem Zusammenbruch der Sowjetunion zuverstehen. Was veränderte sich damals kon-kret?

Maria Shamaeva (MS): Anfang der 90erJahre gehörten in Russland zwei Drittel desWohnungsbestands dem Staat. In Großstäd-ten war der Anteil der staatlichen Wohnungenmit über 90% noch sehr viel größer. Diegesetzlich festgelegten Mieten waren seit1928 nicht wesentlich geändert worden undbetrugen 1990 etwa 2,5% des durchschnitt-lichen Gehalts. 80 bis 90% der Kostenmietewurde vom Staat finanziert. Mit dem politi-schen Umbruch und der marktwirtschaftlichen

Orientierung sollte nun auch die zentralstaat-lich gesteuerte Wohnungswirtschaft refor-miert werden. 1991 bekamen alle Mieter dieMöglichkeit, ihre Wohnungen kostenlos zuerwerben. Dadurch sollte die Effizienz derWohnungswirtschaft steigen und der privat-wirtschaftliche Wohnungsmarkt entstehen.

ME: Wie viele Mieter/innen haben sich dennfür den Erwerb ihrer Wohnung entschiedenund welche Auswirkungen hatte diese Priva-tisierung?

MS: Von den ehemals 67% staatlichenWohnungen sind heute nur noch 6% übrig.22% der Wohnungen gehören den Kommu-nen – alles andere wurde privatisiert. DieEigentumsquote ist von knapp einem Drittelauf drei Viertel gestiegen. Wir können also voneiner umfassenden, einer Totalprivatisierungsprechen. Die allermeisten Privatisierungenfanden 1992 und 1993 statt, doch einigeNachzügler haben bis heute noch keinenGebrauch von der Übertragung ihrer Wohnungin Einzeleigentum gemacht. Es waren ur-sprünglich auch keine Fristen für den Woh-nungserwerb vorgesehen. Erst 2005 nanntedie Regierung eine Deadline für die kostenlosePrivatisierung. Dieser Beschluss hat wiederDynamik in die Privatisierung gebracht, daviele Mieter/innen noch innerhalb der Fristversuchten, sich ihre Wohnungen übertragen

Blick auf Moskau. Ohne Eigentumswohnungweniger StaatsbürgerrechteFolgen der Totalprivatisierung in RusslandInterview mit Maria Shamaeva

In Deutschland und auch in Berlin wird die Politik nicht müde, das Hohelied von derEigentumswohnung zu singen. Zugleich wird privatisiert, was das Zeug hält, und dieWohnungsversorgung marktwirtschaftlich ausgerichtet. Ein Blick über den Tellerrandzeigt, welche Folgen daraus entstehen können. In Russland hat der Wohnungsmarktseit 1990 eine radikale Veränderung erfahren. Die ehemals staatlich geprägteWohnungsmarktversorgung wurde fast vollständig privatisiert. Heute herrscht nichtnur ein enormer Wohnungsmangel, sondern die frischgebackenen Eigentümer/innensehen sich mit ungeahnten Steigerungen der Wohnkosten konfrontiert. ZahlreicheWohnungssuchende haben keine Chance, überhaupt eine Wohnung zu bekommen.Und wer eine Wohnung hat, lebt oft in beengten Verhältnissen. Die Gebäude selbstverfallen dabei zusehends. Das Wohnen zur Miete wurde soweit an den Randgedrängt, dass Mieter/innen eine amtliche Meldebestätigung und damit u.a. dieWahlberechtigung versagt wird.

Nowosibirsk ist die größte Stadt Sibiriens unddie drittgrößte Stadt Russlands. Einschließlichder Vororte leben in Nowosibirsk ca. zweiMillionen Menschen. Mit 114 Jahren ist Nowosibirsk vergleichs-weise jung. Die Mehrzahl der Wohnungenwurde in den letzten 40 Jahren errichtet. ImStadtbild ist Nowosibirsk daher deutlichsozialistisch geprägt. Zurzeit werden jährlichetwa 550.000 qm Wohnfläche fertiggestellt,was ca. 2% des Gesamtbestands entspricht.

NOWOSIBIRSK

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zu lassen. Als Endpunkt der Privatisierung warzunächst der 1. Januar 2007 vorgesehen, dochdieser Termin musste wegen der Überlastungder Ämter auf das Jahr 2010 verschobenwerden. Momentan gehören über 70% desWohnungsbestands Privatpersonen, doch diederzeit hohe Privatisierungsaktivität lässteinen Anstieg auf über 90% erwarten.

ME: Hat sich die Wohnungsversorgung inRussland durch diese Totalprivatisierung ver-bessert?

MS: Mit der Privatisierung entstand undentwickelte sich zunächst ein Wohnungsmarkt– durch den Weiterverkauf der privatisiertenWohnungen vor allem im Eigentumssektor. DieZahl der Verkäufe nahm wesentlich zu. DieErwerber verfügen in der Regel über höhereKapitalbeträge oder haben durch die Priva-tisierung einen Einstieg in den Wohnungs-handel gefunden. Doch dieser Bereich desWohnungsmarkts ist nur für Haushalte mithöheren Einkommen zugänglich, denn dieWohnungen sind sehr teuer. In der sibirischenMetropole Nowosibirsk müssen Wohnungs-suchende durchschnittlich 1200 Euro/qmbezahlen. Bei Hypothekenzinsen von 12 bis15% ist das für die meisten Haushalte nichtbezahlbar. Das durchschnittliche Einkommenliegt umgerechnet bei etwa 320 Euro monat-lich. Das Mindesteinkommen für einen Woh-nungskredit wird von den meisten Banken aberbei 1000 Euro angesetzt.

ME: Diese Bedingungen dürfte ja nur einkleiner Teil der Wohnungssuchenden erfüllen.Welche Möglichkeiten gibt es denn für dieanderen?

MS: Das ist das größte Problem: Durch dieEigentumsorientierung, die mit der Privati-sierung durchgesetzt wurde, fehlt es in

Russland an einem Mietwoh-nungsmarkt. Eine im Jahr 2002durchgeführte Volkszählung ergab,dass nur 3,7% aller HaushalteRusslands in privaten Mietwoh-nungen leben. Das Mieten einerWohnung findet dabei entweder zuschwer kontrollierbaren Konditio-nen und rechtlich unsicheren Be-dingungen in der Grauzone derUntervermietung statt oder wird alszeitlich begrenzte Übergangslö-sung angesehen. Diese Situationund das geringe Angebot verur-

sachen zudem extrem hohe Preise. In Nowo-sibirsk betragen die monatlichen Mieten aufdem freien Markt etwa 1% des Kaufpreises,das sind sieben bis acht Euro/qm. Preise, diealso durchaus vergleichbar sind mit denMieten in Berlin. Die Mieten sind damit sechs-bis siebenmal höher als die Kostenmieten fürSozialwohnungen bzw. als die Wohnkosten,die Bewohner/innen einer privatisierten Woh-nung zahlen müssen. Also ist auch die Miet-wohnung für die Durchschnittsbürger/-innenkeine wirkliche Alternative. Vor allem aus-ländische Geschäftsleute, die zeitweilig inRussland arbeiten, oder auch Studierende miteinem begrenzten Aufenthalt in einer Stadt

greifen auf Mietwohnungen zurück. Insge-samt hat das Mieten jedoch einen Exoten-status, für den es praktisch auch keinerechtlichen Rahmenbedingungen gibt. Miet-spiegel und Kündigungsschutz sind in Russ-land nach wie vor Fremdworte. Die mangelnderechtliche Verankerung der Mietwohnungenzeigt sich auch in der Praxis der Meldebe-hörden. Nur mit einer ordentlichen Meldebe-stätigung in einer Stadt erhalten die Bürgerihre vollen Staatsbürgerrechte. Für Mieter/in-nen gibt es nur eine provisorische Meldebe-stätigung, weil sie ja in einer „Behelfs- undÜbergangslösung“ logieren. Wer nur zur Mie-te wohnt, hat zum Beispiel keine Wahl-berechtigung.

ME: Was bleibt Menschen, die sich keineEigentumswohnung leisten können, denn alsAlternative? Gibt es staatliche Förderprogram-me oder einen sozialen Wohnungsbau?

MS: Ja schon, aber der soziale Wohnungsbauist leider nicht besonders wirkungsvoll. Etwa10% aller Haushalte in Russland stehen aufder Warteliste für Sozialwohnungen. Jährlichwerden nur etwa 5% des Bedarfs befriedigt.Die Wartezeit beläuft sich damit auf 15 bis 20 Jahre. Die Zahl der jährlich fertiggestell-

ten Wohnungen erhöhtesich zwar innerhalb derletzten fünf Jahre, liegtaber immer noch deut-lich unterhalb der Bau-leistung von 1992. Aberdas soll sich in dennächsten Jahren ändern,denn die aktuellen Re-gierungspläne sehen vor,den Neubau von So-zialwohnungen bis 2010zu verdoppeln und die

Maria Shamaeva,1981 in Sibiriengeboren, lebt inNowosibirsk. Sie unterrichtetVerwaltungswissen-schaften und Medien-gestaltung undpromoviert an derSibirischen Akademiefür öffentliche Ver-waltung im BereichWohnungswirtschaft.

Wohngebäude aus der Zeit der Sowjetunion.

Im Stadtzentrum von Nowo-sibirsk finden sich noch ver-einzelt ältere Gebäude.

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Wartezeiten für Wohnungen auf fünf bissieben Jahre zu verkürzen.

Doch der Schwerpunkt der Wohnungspolitikliegt nach wie vor in der Eigentumsförderung.Unter dem pathetischen Namen „Bezahlbares

und komfortables Wohnen – den russischenBürgern“ wurde ein Förderprogramm be-schlossen. Ziel ist es, mit staatlicher Hilfemöglichst viele Haushalte beim Kauf einerEigentumswohnung oder eines Eigenheims zuunterstützen. Die Zahl der Darlehen soll aufdas Zwanzigfache erhöht und die Hypotheken-zinsen sollen auf 8% reduziert werden. Etwa730.000 Haushalte sollen mit einer direktenstaatlichen Unterstützung ihre Wohnverhält-nisse verbessern können und Haushalte mitniedrigen Einkommen sollen möglichst schnellSozialwohnungen zur Verfügung gestellt be-kommen. Das Gesamtbudget der erstenProjektphase (2006/2007) beträgt etwa 6,3Milliarden Euro. Mit Blick auf die hohenErdölpreise und dem damit verbundenenwirtschaftlichen Aufschwung sind diese Pläneder russischen Regierung durchaus realistisch.Den Mietwohnungsmarkt betreffen sie jedochnicht.

ME: Die Mehrheit der russischen Haushaltewohnt in Eigentumswohnungen, in den Städ-ten sind das ja meist Mehrfamilienhäuser. Wiewerden Reparaturen und Investitionen, dieüber die einzelnen Wohnungen hinausgehen,organisiert?

MS: Das ist das nächste Problem: Mit derPrivatisierung und der Zerstückelung in Ein-zeleigentum wurde eigentlich kein hand-habbares Instrument für die effektive Verwal-tung und Pflege der Wohnungsbeständeeingerichtet. Trotz der Einzelprivatisierungen,blieben die Wohnungsbestände meist in derVerwaltung der kommunalen Wohnungsun-ternehmen. Der Wohnungserwerb betrafschließlich nur den Raum zwischen denWänden.

Noch bis vor Kurzem trugen die kommunalenWohnungsunternehmen die gesamten Ver-waltungskosten und waren auch für Instand-haltungsmaßnahmen und Reparaturen in denHäusern zuständig. Die Kosten wurden jedochnur zum Teil auf die Bewohner/innen um-gelegt. Wie auch in den nicht privatisiertenMietwohnungen wurde nur ein kleiner Teil dertatsächlichen Kostenmiete eingenommen. DieWohnkosten blieben so lange Zeit sehr niedrig,aber die kommunalen Unternehmen arbei-teten unter wirtschaftlich außerordentlichschlechten Bedingungen. Durch die fehlendenEinnahmen und die drastische Reduzierungstaatlicher Fördermittel zu Beginn der 90erJahre reduzierten die Kommunen nach und

nach ihre Aktivitäten in den Wohnungsbe-ständen. In der Folge verschlechterte sich dersowieso schon desolate Zustand vieler Woh-nungen. Wohneigentum ist in Russland allesandere als ein Qualitätsmerkmal für eine guteund schöne Wohnung.

Erst jetzt, nach fünfzehn Jahren Privatisierung,gibt es ernsthafte Bemühungen, diesen Zu-stand zu verändern. In einem Stufenplan sollendie verdeckten Subventionen in Form derverringerten Kostenmiete zurückgefahrenwerden. Seit Beginn dieses Jahres solleneigentlich alle kommunalen Verwaltungen dievolle Kostenmiete erheben. Dies stellt dieEigentümer/innen natürlich vor enorm stei-gende finanzielle Belastungen. Eigentümer/in-nen in Mehrfamilienhäusern sind darüberhinaus aufgefordert, sogenannte Wohnge-meinschaften zu bilden oder eine kommunaleoder private Firma mit der Verwaltung desHauses zu beauftragen. Das Gesetz wurde2005 beschlossen und sollte eigentlich schonumgesetzt sein. Doch schon die Gründung derWohngemeinschaften ist noch längst nichtabgeschlossen. Laut Umfragen wissen etwa40% der Einwohner nicht, dass die Eigentümereine Wohngemeinschaft gründen dürfen.

ME: Wie sind diese Reformen einzuschätzen?Ist damit eine tatsächliche Verbesserung derWohnungsqualität zu erwarten?

MS: Die zentralen Probleme des russischenWohnungsmarkts, also die schlechte Qualitätund mangelhafte Bewirtschaftung einesGroßteils der ehemals staatlichen Wohnungs-bestände sowie die Schwierigkeiten für jungeHaushalte, überhaupt eine Wohnung zufinden, werden mit den aktuellen Reformenkeineswegs gelöst. Die Privatisierung inEinzeleigentum hat beide Probleme deutlichverschärft und eine Abkehr der Politik vondieser Eigentumsorientierung ist nicht zuerwarten. Was in Russland wirklich fehlt, istein breites und preiswertes Mietwohnungs-angebot, weil es dort weniger Zugangs-schwierigkeiten gibt. Ideen und Vorschläge indiese Richtung spielen in den aktuellenwohnungspolitischen Diskussionen leider nureine untergeordnete Rolle.

ME: Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führte Andrej Holm.

Zwei ca. 70 m hohe Wohntürme in Nowosibirsk. Sie wurden2003 fertiggestellt und überragen die meisten anderenGebäude.

Nowosibirsk wurde 1893 gegründet. Im Vordergrund befindetsich die Autobrücke über den Fluss Ob.

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Bei einem Vergleich zwischen Barcelona undBerlin treten zwei Unterschiede am deut-lichsten hervor: Zum einen sind sowohl dieWohnungsmieten als auch die Kaufpreise fürEigentumswohnungen in Berlin wesentlichniedriger als in Barcelona. Zum anderen istBerlin mit einem Anteil von 88% an Miet-wohnungen eine Mieterstadt – im Gegendsatzzu Barcelona mit 90% Wohneigentum.Die spanische Wohnungspolitik hat in denvergangenen 40 Jahren fast ausschließlich denKauf von Wohnungen gefördert. Doch jetztwird deutlich, dass ein grundsätzliches Rechtauf Wohnraum und die soziale Funktion desWohnens mit der Investitionslogik nicht zuvereinbaren sind.Die staatlichen, vor allem die sozialstaatlichen,Regulierungen sind in Spanien verglichen mitnord- und mitteleuropäischen Ländern sehrschwach. Die Renten sind niedrig und dieeinem wirtschaftlichen Mindeststandard ent-sprechende Alterssicherung ist ebenso pro-blematisch wie die Versorgung der Kinder.Sozialstaatliche Regulierungen spielen imAlltag deshalb nur eine geringe Rolle und alsAusgleich für die wirtschaftliche Ungewissheit

ist eine riesige Schattenwirtschaft entstanden.In diesem Zusammenhang erhofft man sichdurch die Investition in eine Wohnung einegrößere individuelle Stabilität. An dem darausresultierenden Immobiliengeschäft sind vorallem die Banken interessiert, denn mit denWohnungen als Sicherheit gelten die Kre-ditrisiken als gering. Die Ratenzahlungen – diemeist höher als die ohnehin schon hohenspanischen Mieten sind – erstrecken sich über30 bis 40 Jahre.

Politik von Profitinteressen bestimmtIn Spanien besitzen viele Bessergestellte eineZweit- bzw. Ferienwohnung, die als Einnahme-quelle dient. Auf diese Weise profitieren dieBürger/innen wie spanische und ausländischeInvestoren vom Tourismus und sie kurbeln dasImmobiliengeschäft weiter an. Derartige Interessen beeinflussen stark dieWohnungs- und Stadtplanungspolitik derGemeinden. Es hat sich eine sogenannte„cultura del pelotazo“ herausgebildet: EineSchicht von Privatpersonen, die über be-trächtlichen politischen Einfluss in den Kom-

munen verfügt, hat sich die schnelle Berei-cherung zum Ziel gemacht. Dieses Profit-streben wirkt sich auf die Umwelt häufigschädlich aus und ist nicht selten verant-wortlich für ein chaotisches und gegen dieInteressen der Bevölkerung gerichtetes Stadt-wachstum. Außerdem führt das Kleineigentuman den Wohnungen zur Fragmentierung derGebäude. Nur selten gehört ein ganzes Miet-haus einem einzigen Besitzer. Entsprechendschwer sind Modernisierungs- und Instandhal-tungsprobleme zu lösen.

Im Einklang mit den Interessen der Investorenvertreten die Behörden den Standpunkt, dasseine Mietwohnung nur als Zwischenlösung füreine bestimmte Lebenszeit wie z.B. dasStudium dienen soll. Deshalb ist die öffentlicheFörderung des sozialen Mietwohnungsbausnoch geringer als die Förderung der sozialenEigentumswohnungen (die sogenannten VPO,„Offiziell geschützte Wohnungen“). Weil dasAngebot an Sozialwohnungen so gering ist,werden sie durch ein Losverfahren zugeteilt.Viele Wohnungssuchende sind auf das Losangewiesen, weil sie gar keinen anderenZugang zum Wohnungsmarkt haben. ImFebruar 2007 gab es in Barcelona eine Aus-losung, bei der zwar für die hiesigen Ver-hältnisse eine ungewöhnlich hohe Zahl vonSozialwohnungen verlost wurde, aber derBedarf bei Weitem nicht gedeckt wurde (sieheTabelle).

Im Unterschied zum deutschen Mietrechtbietet das spanische Mietrecht nur wenigSchutz für die Mieter/innen. Mietverträge inBarcelona sind prinzipiell auf fünf Jahrebefristet. Bei Fristablauf können Mietverträge

Barcelona ist mit über 1,6 Millionen Einwoh-ner/innen die zweitgrößte Stadt Spaniens unddie größte Kataloniens. Im Großraum Barce-lona leben ca. 5,3 Millionen Menschen. Die bereits in der Antike gegründete Stadtliegt am Mittelmeer und an der Grenze zuFrankreich.

BARCELONA

Wohnen in SpanienKein Vorbild für Berlin: Der Wohnungsmarkt in BarcelonaIrene Sabaté

Der Wohnungsmarkt in Spanien unterscheidet sich mit seiner hohen Wohneigen-tumsquote und dem nicht vorhandenen Mieterschutz grundlegend vom deutschenWohnungsmarkt. Die vielen Schwierigkeiten, mit denen der spanische Wohnungs-markt kämpft, sind ganz offensichtlich: Unterversorgung, hohe Preise, Schattenwirt-schaft sowie rechtliche und soziale Unsicherheit. Durch die Betrachtung der Situationin Spanien wird schnell deutlich, dass Entwicklungen, die in Deutschland noch in denAnfängen stecken, in ausgewachsenen Problemen enden können. Schließlich wirdauch in Deutschland die Privatisierung vorangetrieben, gebetsmühlenartig dasWohneigentum propagiert (und gefördert) und die Hausbesitzerlobby wird nichtmüde, am sozialen Mietrecht zu sägen.

Bewerber/innen Ausgeloste

Kommunale Sozialwohnungen zu kaufen 48.048 391

Sozialwohnungen zu kaufen (öffentlich-privat Partnerschaft) 37.748 220

Sozialwohnungen zu mieten (Typ A) 18.694 60

Sozialwohnungen zu mieten (Typ B) 24.968 59

Sozialwohnungen zu mieten („Jugendliche“ unter 35 Jahre) 22.113 837

Irene Sabaté, 1979 geboren inZaragoza/Spanien, ist Sozial-anthropologin an der Univer-sität von Barcelona. Zurzeitschreibt sie ihre Dissertationüber die Wohnverhältnisse inBerlin-Friedrichshain und war inden vergangenen Jahren fürihre Recherchen bereits mehrereMale in Berlin.

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T I T E L

nur mit dem Einverständnis beider Vertrags-parteien verlängert werden, d.h. wenn derVermieter nicht will, ist eine Verlängerungunmöglich. Außerdem kann der Vermieter denlaufenden Vertrag beenden, wenn er dies mitEigenbedarf oder mit dem Verkauf der Woh-nung begründet. In Deutschland hingegensind befristete Mietverträge eine Ausnahme,für die der Vermieter eine Begründungbenötigt und es gilt „Kauf bricht nicht Miete“,d.h. ein Verkauf der Wohnung ist kein Kün-digungsgrund.Eine in Barcelona verbreitete Methode sich derMieter/innen zu entledigen, ist das soge-nannte „Immobilienmobbing“. Dazu gehörendie Bedrohung der Mieter/innen sowie dieUnterbrechung der Strom-, Gas- und Wasser-versorgung. Eine besondere Zielgruppe fürsolche Angriffe sind ältere Mieter/innen, diepreisgünstige Wohnungen in der Altstadt vonBarcelona haben. Das Phänomen hat einensolchen Umfang angenommen, dass dieStadtverwaltung eine besondere Dienststellefür die Bearbeitung dieser Fälle eingerichtethat. Leider aber steht diese Dienststelle eben-falls unter Verdacht, den Auszug von Mie-ter/innen zu fördern.

Mieten werden „frei“ ausgehandeltFür die Höhe der Mieten gibt es keine objek-tiven Bestimmungen. Sie werden gemäß derVertragsfreiheit bei Vertragsabschluss fest-gesetzt und abhängig vom Verbraucher-preisindex erhöht. So sind die Mieter/innengänzlich dem freien Markt und seinen wirt-schaftlich ungleichen Verhältnissen zugunstender Vermieter ausgeliefert – und sie müssenvon Anfang an ungünstige Bedingungenakzeptieren. Mieter/innen haben keine Mög-lichkeit, Sanierungen oder Modernisierungenzu fordern. Ebenso wenig sind Mietminde-rungen vorgesehen, sodass Mieter/innensämtliche Wohnungsmängel dulden müssen.

Für die Unterhaltung der Wohnungen sind dieMieter/innen zuständig. Andererseits ge-stattet es aber die prekäre Rechtslage denMieter/innen nicht, selbst in die Verbesserungder Wohnungen zu investieren. Folglich ver-schlechtert sich der Zustand der Wohnungenund der Verfall dient den Eigentümern alsArgument, nicht mehr zu vermieten. Siebevorzugen es oft, die Wohnungen leer stehenzu lassen, weil sie von der automatischenWertsteigerung der Wohnungen profitieren.Trotz des Wohnungsmangels wird durch dieseSpekulation auf künftigen Gewinn Leerstanderzeugt. Die Novellierung des „StädtischenMietgesetzes“ (Ley de Arrendamientos Ur-banos, LAU) von 1994 hatte zwar dasvorgebliche Ziel, die Vermietung von leerstehenden Wohnungen zu fördern, war abertatsächlich so eigentümerfreundlich, dasswesentliche Verbesserungen ausblieben.

Schattenwirtschaft WohnungsmarktDer Wohnungsmarkt hat eine umfangreicheSchattenwirtschaft hervorgebracht. Das be-trifft sowohl die Vermietung als auch denVerkauf von Wohnungen. Es ist üblich, dassVermieter nur die Barzahlung der monatlichenMiete akzeptieren. Dadurch werden die Ein-nahmen weder auf Bankkonten noch in Bü-chern sichtbar. Fast jeder Wohnungsverkaufbeinhaltet eine Nebentransaktion in Schwarz-geld, damit der Verkäufer einen Teil derSteuern spart. So bläht sich dieser Wirt-schaftssektor mit allen Maklern und Mittels-männern zulasten der Bevölkerung enorm auf.Die Probleme des Wohnungsmarkts vergrö-ßern sich in großen Städten wie Barcelonawegen der hohen Bevölkerungsdichte, derentsprechend starken Wohnraumnachfrageund der Eskalation der Grundstückspreise.Dadurch wird das Stadtwachstum verstärkt,denn es bleibt nur das Ausweichen an denStadtrand und in die Vorstädte. Dieser Sub-

urbanisierung folgt die Bereitstellung öffent-licher Verkehrsmittel nur ungenügend, folglichmüssen die Bewohner/innen Autos oder Mo-torräder anschaffen, wodurch sich das Woh-nen verteuert. Das durchschnittliche Einkom-men ist aber in Barcelona nicht höher als inanderen Städten Spaniens oder Europas, indenen weniger bedrückende Wohnverhält-nisse herrschen. Das Missverhältnis zwischenEinkommen und Wohnkosten setzt Doppel-verdiener voraus. Alleinstehende sind aufUntervermietung oder Wohngemeinschaftenangewiesen, sodass diese Wohnformen schonseit Langem nicht mehr nur für Studierendeeine Lösung darstellen. Doch die Untermieteist in Spanien keineswegs gesetzlich geregelt,was ein Problem darstellt. Die Politik hingegensieht keinen Handlungsbedarf.

Sehr verbreitet ist die Auffassung, dass derKauf einer Wohnung günstiger sei als dieMiete. Kein Wunder bei dem geringen Mie-terschutz. Die Miete wird immer als Zwi-schenlösung angesehen, da sie als ein unge-sicherter Zustand erscheint. Man glaubt, erstals Eigentümer über die Wohnung entscheidenund an der Wertsteigerung profitieren zukönnen. Natürlich ist dies ein Trugschluss,denn, wenn die eigene Wohnung im Wertsteigt, verteuern sich ebenso alle anderenWohnungen. Ein Verkauf bringt also keinenGewinn, denn der wird von den Kosten für eineandere Wohnung aufgezehrt.

Der Kauf einer Wohnung wird als Familienan-gelegenheit betrachtet. Gemeinschaftlich sollder Familienbesitz langfristig vergrößert wer-den, was Generationensolidarität erzwingt.Eltern bürgen für die Kredite ihrer Kinder oderbezahlen deren Eigenanteil an die Bank. Üblichist, dass bereits erwerbstätige Kinder noch solange bei den Eltern wohnen, bis sie eineEigentumswohnung bezahlen können, washäufig erst mit 35 Jahren der Fall ist. Nachherrschender Auffassung führt dies aber nichtzu einer Einengung von Entwicklungschancen.Die räumliche Fixierung wird ebenfalls positivbewertet, obgleich tatsächlich gesamtgesell-schaftlich immer mehr Flexibilität gefordertwird. Und auch die Verpflichtung, 40 Jahrelang Hypotheken abzahlen zu müssen unddabei auf die Familie angewiesen zu sein, wirdnicht als Benachteiligung empfunden.Bei einer derartigen Sichtweise geraten Fak-toren wie die Unsicherheit der Arbeitsplätzeund die Möglichkeit steigender Zinsen leichtaus dem Blickfeld. Insolvenzen und Über-

Blick über Barcelona von der Mittelstation der Seilbahn am Hafen.

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T I T E Lder Berliner Wohnungspolitik kann man einenEmbryo erkennen, der heute in Barcelona zueinem Monster ausgewachsen und außerKontrolle geraten ist. Gerade weil es nochqualitative Unterschiede zwischen den beidenSzenarien gibt, sollten sich die regierendenPolitiker und Stadtplaner in Berlin auf keinenFall Barcelona zum Vorbild nehmen. Barcelonaist eine Stadt, die mit ihren Besucher/innen vielbesser als mit ihren Bewohner/innen umgeht.

besserung des Mietrechts streben als nach derEingliederung in die „Normalität“ der Hypo-thekenzahler. Diese „Normalität“ ist fürmanch einen der Traum vom Glück, zu demauch Arbeit, Familie und Zweierbeziehunggehören.

Anders als in Berlin erleben die Bewoh-ner/innen Barcelonas täglich die krassenFolgen des freien Markts. In den jüngsten Libe-ralisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen

schuldungen werden in der Öffentlichkeit nichtwahrgenommen. Es wird aber angenommen,dass ihre Zahl viel größer ist als dargestellt,denn das Interesse entsprechende Statistikenzu unterdrücken ist groß.

Wo das Wohnen zur Miete stigmatisiert ist undleicht mit sozialen Defiziten in Verbindunggebracht wird, kann sich kein Mieterbe-wusstsein entwickeln. Kein Wunder also, dassselbst die Mieter/innen weniger nach Ver-

Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene,die bei der Suche nach einer eigenen Wohnungdie größten Schwierigkeiten haben, bilden dasZentrum der Proteste. Unabhängig von Ge-werkschaften und traditionellen Parteien wur-den seit vergangenem Sommer in vielen spa-nischen Großstädten Dutzende Demonstratio-nen mit Tausenden Teilnehmer/innen organi-siert und Themen wie Wohnungsnot und Im-mobilienspekulation in die Öffentlichkeit ge-bracht. Die Anlässe für die Protestaktionen sindvielfältig – in Barcelona gab es beispielsweisewährend der Auslosung von SozialwohnungenDemonstrationen gegen eine Immobilienmes-se. Eine weitere Demonstration gab es als

Städten und hat gemeinsam mit vielen anderenOrganisationen eine gemeinsame Plattform fürden Kampf um bessere Wohnbedingungenaufgebaut. Im Zentrum der Forderungen stehtdie Umsetzung des Artikels 47 der spanischenVerfassung, der ein menschenwürdiges Woh-nen garantiert und soziale Eingriffe in denBodenmarkt ermöglicht.

Unterstützung durch die UNO

Unterstützung fanden die Forderungen auchdurch Miloon Kothari aus Indien, dem UNO-Sonderberichterstatter zum Thema Wohnen,der in seinem Bericht die katastrophalen Bedin-gungen des Wohnungsmarkts bestätigt unddie spanische Regierung für ihre Wohnungs-politik kritisiert. Die Schlussfolgerungen inKotharis Bericht decken sich weitgehend mitden Forderungen der Protestbewegungen:stärkere Bestrafung von Korruption und Dis-kriminierung im Bereich des Wohnungsmarkts,Aufbau eines öffentlichen Wohnungsbestandsmit erschwinglichen Sozialwohnungen, Aus-bau des Mietrechts und ein Ende der staatlichenSubventionen für den Bau von Eigentumswoh-nungen.

Dieser Mix von Aktionen auf der Straße undpolitisch inhaltlichen Vorschlägen zeigt nunerste Erfolge. Das Wohnungsministerium dis-kutiert über einen Strategiewechsel der so-zialen Wohnungspolitik – weg von der För-

derung von Eigentumswohnungen hin zumAusbau eines sozialen Mietwohnsektors. Ein-zelne Städte, wie etwa Madrid, versuchen mitlokalpolitischen Richtlinien die Grundsätze desVerfassungsartikels 47 nun auch praktischumzusetzen. Die baskische Regionalregierunghat massive steuerliche Sanktionen für Eigen-tümer angekündigt, die sich weigern, leerstehenden Wohnraum zu vermieten und die

katalanische Regierung will künftig leer ste-hende Wohnungen sogar fünf Jahre langbeschlagnahmen und eigenständig vermieten.

Dass diese Ankündigungen tatsächlich umge-setzt werden, bleibt zu hoffen. Die Protest-bewegung gegen Wohnungsnot und Speku-lation wird die Situation weiter verfolgen undhat bereits weitere Aktionen angekündigt. Einlanges Aufschieben werden sich die Regie-renden in Spanien also nicht leisten können.

Weitere Informationen:www.viviendadigna.orgwww.vdevivienda.netwww.ohchr.org/spanish/issues/housing

Proteste gegen den angespannten Wohnungsmarkt in SpanienDie Wut über steigende Wohnungspreise und die Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden, haben in den letztenMonaten massive Proteste gegen die Immobilienspekulation und die unsoziale Wohnungspolitik ausgelöst.

Aktion für das Recht auf eine menschenwürdigeWohnung in Barcelona.

Besuch der französischen Obdachlosen-organisation „Les enfants de Don Quichotte“.

Protest bei der Auslosung von Sozialwohnungen.

Demonstration für das Recht auf eine menschen-würdige Wohnung und gegen Immobilienspekulation.

Reaktion auf die Räumung eines besetztenHauses und gegen das Verbot einer Camping-aktion der französischen Gruppe „Les enfantsde Don Quichotte“, die die Situation derWohnungslosen in Europa anklagten. Im Ok-tober 2006 musste die spanische Regierungsogar ein informelles Treffen der EuropäischenWohnungsbauminister absagen, weil wegender angekündigten Proteste die Sicherheit nichtgewährleistet werden konnte.

Kampf um menschenwürdiges WohnenAls ein Kern der Protestbewegungen hat sichdie Bewegung „Vivienda Digna“ (menschen-würdiges Wohnen) entwickelt. „Vivienda Dig-na“ besteht aus Gruppen in allen größeren

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R E Z E N S I O N

In ein oder zwei Jahren wird es soweitsein. Dann lebt die Mehrheit der Welt-bevölkerung nicht mehr auf dem Land,sondern in den Städten. Und dort meistin den sich über weite Flächen hinzie-henden Armutsvierteln. Gab es 1950nur 86 Millionenstädte auf der Welt,sind es heute schon über 400 und dem-nächst werden es 550 sein. Angeführtvon Mexiko-Stadt mit knapp 25 Millio-nen Einwohner/innen breiten sich immermehr Mega-Städte aus, insbesondere inChina und Asien. Durchschnittlich hatsich deren Bevölkerung in den letzten50 Jahren mehr als verzehnfacht.Wachstumsraten, die es nicht mal in deneuropäischen Metropolen zur Zeit derindustriellen Revolution gab.

Gleich auf den ersten Seiten seines neuenBuchs „Planet der Slums“ breitet der US-amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis eineMenge Fakten aus. Daraus folgert er einen„Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte“,der nur mit „der neolithischen Wende oder derindustriellen Revolution vergleichbar ist“.Allerdings sei nur in China das Wachstum derStädte mit der westlichen industriellen Revo-lution im 19. Jahrhundert vergleichbar, an-sonsten „entkopple sich die Urbanisierungradikal vom Industrialisierungsprozess“. DieWirtschaftskraft einer Stadt habe „oft über-raschend wenig mit der Einwohnerzahl zu tun“.

In diesen Welten aus „groben Backstein, Stroh,recyceltem Plastik, Zementblöcken und Ab-fallholz“ versammle sich die „überschüssigeMenschheit“ und drohe in Umweltverschmut-zung, Exkrementen und Abfall zu versinken.Anders als in den 70er Jahren sieht Davis auchkeine „Slums der Hoffnung“ mehr, die derentwurzelten Landbevölkerung als Durch-gangsstation dienen, um schließlich als neueArbeiterklasse in der Großstadt anzukommen.Deshalb seien auch all die Programme von IWF,Weltbank und diverser NGOs, die einen neuenKapitalzyklus mittels Mikrokrediten anschie-ben wollen, zum Scheitern verurteilt. Trotzeiniger lokaler Erfolge reiche es einfach nichtzur Kapitalakkumulation.

Jenseits aller Romantisierung beschreibt Davisdie informelle Wirtschaft, die aus dem Land-besetzer von gestern einen Besitzer macht, derheute einen Teil seines kleinen erkämpftenGrundstücks an die nächsten in die Stadtnachströmenden Armen vermietet. Der Miet-markt in den Slums geht soweit, dass in IndienSchlafplätze auf der Straße vermietet werden.

Allerdings verbreitet Davis, der sich in denletzten Jahren einen Namen mit Büchern wie„City of Quarz“ und „Die Geburt der DrittenWelt“ gemacht hat, eine recht katastrophischeWeltsicht. Trotz allen Elends haben dieMenschen in den Armutsvierteln auch Lebens-freude, machen Musik und es tobt nicht jedeNacht der Bandenkrieg. Neben der Bretterhüttesteht in Kairo oder Mexiko-City öfter, als mannach der Lektüre dieses Buches erwartet, einReihenhaus. Eben weil auch diese Städte sozialausdifferenziert sind und es zumindest perBewusstsein ein breites Kleinbürgertum gibt,bricht der Aufstand der Armen nicht los.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Beim Lesenmerkt man, wie die Stadt Berlin inzwischenabseits der globalen Entwicklungen liegt, woin den kommenden Jahren mit einem Rückgangder Stadtbevölkerung von zurzeit 3,4 auf etwadrei Millionen Einwohner/innen gerechnetwird.

Die Perle desWeddingsEine bunte Mischung ausGewerbetreibenden,sozialen Projekten undKünstlern kann nun dasfrühere Betriebsgeländedes Druckmaschinen-herstellers Rotaprintkaufen

Christoph Villinger

Ende Februar 2007 war im Weddingfeiern angesagt. In letzter Minute wares den Initiativen auf dem ehemaligenRotaprint-Gelände gelungen, ihreGebäude vor dem Verkauf an einenImmobilienfonds zu retten. Dankerheblichen Drucks von allen Seitenmusste der Berliner Liegenschaftsfondsein bereits „fest geschnürtes Paket“mit 45 Gewerbegrundstücken wiederöffnen und sowohl das Künstlerhaus inder Wiesenstraße 29 als auch die an derGottschedstraße 4 gelegenen Häuserwieder freigeben. Jetzt gehen sie zurückan den Bezirk Mitte, der nun „denVerkauf der Grundstücke an die Nutzer-gruppen bis November 2007“ forcierenwill.

Seit Jahren wird das mitten im Wedding in derNähe des Nauener Platzes gelegene fast10.000 qm große Gelände von einer buntenMischung von Initiativen, Verbänden undKünstler/innen genutzt. Am Eingang Gott-schedstraße findet man neben der DeutschenLebensrettungsgesellschaft DLRG auch dieBerliner Zentrale von SOS Kinderdorf und einArbeitslosenprojekt. In den ehemaligen Fa-brikhallen bietet eine Firma die Reparatur vonNeopren-Tauchanzügen an und der türkischeUnternehmer Yilmaz stellt aus Nirostastahl dieInneneinrichtung für Dönerbuden her. In einemdenkmalgeschützten Turm im Bauhaus-Stil hatdie Künstlergruppe „soup“ alles selbst in-stand gesetzt und sich eingerichtet. Rund um

„Planet der Slums“In wenigen Jahren lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Slums,schreibt der US-amerikanischeStadtsoziologe Mike Davis

Christoph Villinger

Mike Davis: „Planet der Slums“

248 Seiten20 Euro

erschienen im Februar 2007

Verlag:Assoziation A

ISBN: 978-3-935936-56-9

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diese Künstlergruppe hatte sich bereits 2005der Verein „ExRotaprint“ gebildet, um vomBezirk das Gelände in Eigenregie zu über-nehmen. Parallel versuchte der Bezirk es zuverkaufen – ohne Erfolg. Gleichzeitig unter-blieb allerdings auch jede Lösung, das Geländeals soziokulturelles Zentrum zu sichern. Sowurde vor wenigen Jahren auf Druck desSenats das Terrain an den Liegenschaftsfonds(LiFo) übertragen. Und der schnürte im letztenHerbst ein Paket mit 45 Gewerbeimmobilienim Eigentum des Landes Berlin und versuchte,diese an einen Investor zu verkaufen. „Gute,mittlere und schlecht verkäufliche Gewerbe-grundstücke werden dabei in ein Paket ge-schnürt und am Stück verkauft“, bestätigtAnette Mischler, Sprecherin des LiFo. Dieweitere Verwertung übernehmen die Käufer.Meist werden dann die Rosinen herausgepickt,entwickelt und weiterverkauft. Den ver-bleibenden „Schrottimmobilien“ bleibt oft nurder Verfall. Mischler sieht die Verantwortungfür diesen Vorgang bei den zuständigenPolitikern, „denn der LiFo hat den gesetzlichenAuftrag zu verkaufen und dies hat Vorrang vorZwischennutzung oder anderweitigen Lösun-gen.“

Notlösung gegen Verkauf an Investor

In diesem Paket befand sich das Rotaprint-gelände ebenso wie das gegenübergelegeneehemalige Verwaltungsgebäude Wiesenstra-ße 29. Inzwischen wohnen und arbeiten auchdort rund ein Dutzend Künstler/innen. Nichtmehr zum Verkauf stand ein weiteres Teilstückdes Geländes, auf dem letztes Jahr ein Le-bensmitteldiscounter eröffnete. Schon zehn

Jahre zuvor waren vom Land Berlin auf diesemTeilstück die alten Fabrikhallen abgerissenworden, um überhaupt einen Verkauf zuermöglichen. Der Boden musste wegen Alt-lasten für über fünf Millionen Euro saniertwerden. „Genau dieses Schicksal“, befürch-tete Jörg Bürkle, Sprecher der Künstler/innenin der Wiesenstraße 29, „auch für unser Ge-bäude bei einem Verkauf an einen Investor“.Auch hier hatten sich die Nutzer/innen zu-sammengeschlossen, einen Verein gegründetund wollen nun notgedrungen ihr Haus selbstkaufen.

Problem Verkehrswert

Beiden Projekten gelang es, etliche Politiker fürihr Anliegen zu interessieren. Neben demehemaligen Kultursenator Thomas Flierl(Linkspartei.PDS) setzten sich der Baustadtratvon Mitte Ephraim Gothe (SPD) sowie derAtelierbeauftragte Florian Schöttle ein. Unterder Bedingung, dass dem Bezirk erlaubt wird,das Gelände an die Initiativen weiterzuver-kaufen, beschloss das Bezirksamt Mitte nun,die Rückübertragung des Geländes vom LiFozu beantragen. In den nächsten Monaten solldie gemeinnützige GSE (Gesellschaft fürStadtentwicklung) die Verwaltung und dieBetreuung des Verkaufs übernehmen und einneues Verkehrswertgutachten soll erstelltwerden.

Vor allem um die Höhe des Verkehrswertsdrehten sich in den letzten Monaten die Aus-einandersetzungen zwischen den prinzipiellkaufwilligen Mietern und dem LiFo. Nicht nurder Sprecher des Vereins „Ex-Rotaprint“ LesSchliesser findet den drei Jahre alten Ver-

kehrswert in Höhe von rund zwei MillionenEuro „angesichts der immensen Sanierungs-kosten stark überhöht“. Der LiFo hatte allenNutzern der im Paket versammelten Immo-bilien nach den ersten Protesten angeboten,„ihr Grundstück zum festgelegten Verkehrs-wert bis zum Jahreswechsel selbst zu kaufen“.Da die Künstler auf dem Rotaprint-Geländenicht zum geforderten Preis bis Weihnachtengekauft hatten, war für Matthias Kolbeck,Sprecher des für den LiFo zuständigen Finanz-senators Thilo Sarrazin (SPD), „das Ende derFahnenstange erreicht“. Man könne dochauch mal umziehen, empfahl Sarrazins Spre-cher. Dabei wollte der Verein ExRotaprinteinfach nur „eine Pufferzone von zwei bis dreiJahren, um das Gelände konzeptionell neuaufzustellen und eine tragfähige Struktur zuschaffen“, sagt Schliesser. Im Augenblickdeckten die Mieteinnahmen nicht mal dieBetriebskosten. „Im Unterschied zum Prenz-lauer Berg sind wir hier im Wedding, hier gibtes keine alternative Szene, keine Architekten,keine Banken und kein Geld – die Leute habenProbleme, ihre Miete zu bezahlen“, fasst derKünstler seine Erfahrungen zusammen. „Hierbefinden wir uns in der kompletten Verwer-tungssackgasse“.Als schlagkräftigstes Argument gegenüberdem Senat erwies sich der Hinweis, dass beieinem Abriss der Gebäude für das Land Berlinals Verkäufer die Kosten der Bodensanierungfällig würden. Selbst bei zwei Millionen EuroEinnahmen hätte man ein Vielfaches davon fürdie Altlastenbeseitigung gegenrechnen müs-sen. Für jeden sichtbar eine Milchmädchen-rechnung. So konnte der Senat am 20. Februar„den gordischen Knoten durchschlagen“ undeiner Rückübertragung an den Bezirk Mittezustimmen.

Soziales (Privat-)Eigentum?Einen Abriss wird es nun nicht mehr geben.Trotzdem hat der Erfolg einen Wehrmuts-tropfen. Auch ein Verkauf an die sozialen Pro-jekte und Künstler/innen bleibt eine Priva-tisierung. Den Berliner Bezirken gelingt esanscheinend nicht, ihre Gebäude kombiniertmit einer weitgehenden Selbstverwaltung derNutzer/innen erfolgreich als soziokulturelleZentren zu bewirtschaften. Das gleiche Pro-blem wie beim Bethanien in Kreuzberg oderdem Kulturzentrum Bagatelle in Frohnau.

Weitere Informationen: www.exrotaprint.dewww.wiesenstrasse29.de

Das ehemalige Rotaprint-Gelände im Wedding soll seit 15 Jahren verkauft werden. Investoren zeigten jedochkein Interesse, sodass frühere Vermarktungsversuche erfolglos blieben. Das in der „Verwertungssackgasse“angelangte Grundstück wollen die Nutzer/innen nun notgedrungen selbst kaufen, bevor es als Paketbestandteilveräußert wird.

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perfekt zu den Planungen der Interessen-vertretung „Mediaspree“, einem Zusammen-schluss von Investoren, der es sich zur Aufgabegemacht hat, die Immobilien im Spreeraum alsneues Medienquartier zu vermarkten. Me-diaspree ist aber kein rein privatwirtschaft-liches Vergnügen: Zu 80% finanziert sich derInteressenverband aus dem Bund-Länder-Gemeinschaftsprogramm „Verbesserung derregionalen Wirtschaftsstruktur“. Neben denunmittelbar an die Spree angrenzendenGrundstücken geht es bei der Planung aller-dings auch um die nähere Umgebung inKreuzberg. Die Planer sehen hier die „Chance,sozial benachteiligten Stadtquartieren im‚Hinterland’ Raum für nachhaltige, aufwerten-de Neuentwicklungen zu geben“. In besag-tem „Hinterland“ gelten die lokale Ein-kaufsstraße Wrangelstraße und die Markthallezwischen Pückler- und Eisenbahnstraße alszentral zu entwickelnde Punkte.

Zu Mauerzeiten war der nordöstliche Teil vonKreuzberg, der nach dem früheren Postzu-stellbereich als SO 36 bekannt ist, eine ver-schlafene Insel, die in den Ostteil der Stadt

hineinragte. Im Norden grenzte diese Insel andie Spree und auf der gegenüberliegendenSeite gab es nichts zu sehen als die graueMauer. Folglich waren die Grundstücke an derSpree Randlagen und wurden von größerenGewerbebetrieben wie etwa Speditionen ge-nutzt. Am südlichen Ende der Oberbaum-brücke endete die Welt. Rechts und links desdamals toten Hochbahnendes lag ein StückGrünfläche.

Ausgehmeilen am Schlesischen TorHeute ist die Oberbaumbrücke Teil desInnenstadtrings und täglich verstopft vomAutoverkehr. Die Grünanlage vor demSchlesischen Tor ist nicht viel mehr als eineungemütliche Verkehrsinsel, durch die ab undan ein Hund Gassi geführt wird. Das Ufernördlich der Köpenicker Straße ist in weitenTeilen noch immer unzugänglich. Gleichzeitigdrängen neue Akteure in den Kiez: DieSchlesische Straße und die Falckensteinstraßehaben sich zu beliebten Ausgehmeilen ent-wickelt und in der Köpenicker Straße entstehen

Das Gebiet südlich der Spree zwischen Schil-lingbrücke und Flutgraben wurde vom Senat2005 als eines von fünf Stadtumbaugebietenim Westteil der Stadt festgeschrieben. Es folgteeine Voruntersuchung des Gebiets durch dasPlanungsbüro Herwarth + Holz. Die Vorunter-suchung wurde im vergangenen Frühjahrveröffentlicht, der Stadtumbauprozess istinsgesamt auf fünf Jahre angelegt.

„Kreuzberger Mischung“ neu definiertEs geht aber nicht einfach nur darum, denSpreeraum für Spaziergänger/innen zu er-schließen. Nur ein kleiner Bonus für die Öf-fentlichkeit ist der schmale begehbare Ufer-streifen, ein weiterer ist ein neu gestalteterSpielplatz an der Pücklerstraße. Vielmehr solldas Kreuzberger Spreeufer zum „Entree derInnenstadt“, das Friedrichshainer und dasKreuzberger Spreeufer zu einem „prosperie-renden Wirtschaftsraum“ vernetzt und eine„neue kreative Kreuzberger Mischung eta-bliert“ werden, wie es in dem Voruntersu-chungsbericht heißt. Das Konzept passt

WEITERE INFORMATIONEN: Offizielle Nachrichten und Termine aus dem Stadtumbaugebiet:www.stadtumbau-berlin.de/Spreeufer.1603.0.html

Informationsmaterial des Senats: www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/stadtplanerische_konzepte/leitbild_spreeraum

Vorbereitende Untersuchungen: www.herwarth-holz.de

Initiative gegen die hässliche Stadtumstrukturierung:www.ms-versenken.org

„Menschenlandschaft Berlin“ heißendie Skulpturen auf der Grünflächeam Gröbenufer direkt an der Ober-baumbrücke. Das 1987 installierteKunstprojekt steht für „Kreuzbergals Kristallisationspunkt für Einwan-derung“.

Die Brommystraße ist zurzeit eine Sackgasse, die von der Köpe-nicker Straße abzweigt. Die Straße endet an einer Mauer vor derSpree. Im Rahmen der Stadtentwicklungsplanung wird der Wie-deraufbau der Brommybrücke angedacht. An der Straßeneckebefindet sich die frühere Heeresbäckerei, die in Form vongroßzügigen und teuren Lofts vermarktet wird.

Uferverschönerung fürMedienschaffendeDas Kreuzberger Spreeufer soll Teil eines prospe-rierenden Wirtschaftsraums werden – soziale Ver-drängung und erheblich mehr Durchgangsverkehrkönnten die Folge sein Jutta Blume

Im letzten Sommer eröffneten die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer und der damalige Baustadtrat Franz Schulz in einem symbolischen Akt denDampferanleger am Fuß der Oberbaumbrücke. Schon bald soll die KreuzbergerSpreeseite mit einer Uferpromenade ausgestattet, der Park am Gröbenufer neugestaltet und die dort aufgestellten Skulpturen von Graffiti befreit sein. Die Ufer-verschönerungsmaßnahmen bilden den Auftakt des Programms „Stadtumbau West“im Bereich des Kreuzberger Spreeufers.

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B E R L I Nimmer mehr Büros von Medienschaffenden.Ob dies auf das Marketingkonzept von „Me-diaspree“ zurückzuführen ist, bleibt dahin-gestellt. Bisher sind nämlich vor allem dieAltbauten beliebt. Bei den Büroneubautenhingegen scheint das Konzept bislang nichtaufzugehen. Vom Trias mit seinen drei Türmenan der Michaelbrücke über die Oberbaum Citybis hin zu den Treptowers an der Elsenbrückekünden „Zu vermieten“-Schilder vom Leer-stand. Auf dem virtuellen Stadtplan vonMediaspree ragen jedoch weitere geplanteBürotürme in die Höhe, etwa auf dem Postarealam Ostbahnhof, auf der Freifläche an derCuvrystraße und neben dem ver.di-Gebäude.

Ein bisschen Mitte in SO 36Wer die Warschauer Brücke passiert, blicktderzeit auf eine Großbaustelle. Seit vergan-genem Herbst wird hier die „O2-World“gebaut, die in anderthalb Jahren eröffnen soll.Die Arena der Anschutz-Entertainment-Grup-pe soll bis zu 17.000 Zuschauer fassen undfast jeden zweiten Tag im Jahr bespielt werden.Bedenkt man, dass der Innenstadtring dentäglichen Berufsverkehr schon jetzt kaum nochverkraftet, fragt man sich, wie sich der Zu-schauerstrom wohl auf die Verkehrsent-wicklung in Friedrichshain und Kreuzbergauswirken wird. Eine Antwort dafür könnte imProgramm des „Stadtumbau West“ für dasKreuzberger Spreeufer liegen. Deutlich be-mängelt werden in dem Gutachten desPlanungsbüros Herwarth + Holz nämlich feh-lende Brückenverbindungen zwischen denbeiden Bezirksteilen. Gewöhnlich betrage derBrückenabstand in der Innenstadt 250 bis 600Meter, zwischen Schilling- und Oberbaum-brücke lägen jedoch 1,3 Kilometer. Angedachtist daher, die historische Brommybrücke wiederaufzubauen sowie eine weitere Verbindung inVerlängerung der Manteuffelstraße zu schaf-fen. Derzeit läuft eine verkehrsplanerischeUntersuchung durch die Technische Univer-sität Berlin, in der acht verschiedene Variantendurchgespielt werden, von keiner neuenBrücke bis hin zu zwei Verbindungen für denIndividualverkehr. Eine mögliche Variantewären auch zwei Stege, die nur für Radfahrerund Fußgänger geöffnet wären. „Wir wollenkeine attraktive Parallelverbindung zum Innen-stadtring“, betont Carl Herwarth von Bit-tenfeld, Gesellschafter des PlanungsbürosHerwarth + Holz. Zu welcher Empfehlung dieStudie kommt, möchte er nicht verraten, bevordiese der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Um-siedlung von Gewerbebetrieben, die zurzeitnoch große Teile des Ufers versperren, dar-unter eine Spedition und ein Baustoffhandel.Laut Herwarth finden Gespräche mit Betriebs-und Grundstückseigentümern statt. Aus-weichflächen für die Betriebe könnten imBereich des Wriezener Bahnhofs neben demOstbahnhof, im Rudolfkiez oder am TreptowerHafen liegen. Statt der reinen Gewerbe-nutzung wird eine Mischnutzung entspre-chend der klassischen „Kreuzberger Mi-schung“ angestrebt, das heißt eine kleinteiligeMischung von Wohnen, Arbeiten, Kultur,Freizeit und Handel. Gewerbliche Nutzungensollten dabei eher zur Köpenicker Straße hin,Wohnnutzung eher zur Spreeseite stattfinden.Wie sich diese Entwicklung auf die jetzigeBevölkerungsstruktur auswirken könnte, ist zuahnen. Schließlich wird der „hohe Anteil sozialbenachteiligter Bevölkerungsgruppen“ aus-drücklich als Problemlage des Gebietsbenannt. Zudem sollen „Nischen im Altbau-bestand für Zuzüge aus der kreativen Szene“gesichert werden. Der Stadtumbau West setztdamit bei dem an, was schon längst statt-findet, einem langsamen Verdrängungs-prozess, in diesem Programm „Aufwertung“genannt. Luxuswohnungen können nur inNeubauten an der Spree entstehen, dennLuxussanierungen sind nach der Milieuschutz-verordnung von 1995 ausgeschlossen. Einestetige Aufwärtsentwicklung der Mieten imgesamten Gebiet und den daran angren-zenden Quartieren kann auf diesem Weg abernicht verhindert werden.

Hausfriedensbruchschon vor derZwangsräumung?Die Anwälte wollen beiden Gerichtsverfahrenwegen der Räumung derYorckstraße 59 klärenlassen, ob das Wartenauf den Gerichtsvoll-zieher bereits Haus-friedensbruch darstellt

Peter Nowak

Am frühen Morgen des 6. Juni 2005räumte ein großes Polizeiaufgebot dasHinterhaus der Yorckstraße 59 in Berlin-Kreuzberg. Inzwischen ist die Umwand-lung in luxuriöse Lofts fast abgeschlos-sen und das Interesse der vermögendenKlientel am Kauf einer Eigentums-wohnung scheint groß zu sein. Auch TilSchweiger, der im Film „Was tun,wenn’s brennt“, einen Hausbesetzerspielt, soll unter den Interessenten sein.

Die ehemaligen Bewohner/innen der Yorck-straße 59 hingegen, die entgegen anderslau-tender Pressemeldungen das Haus nichtbesetzt, sondern gemietet hatten und sichgegen eine drastische Erhöhung der Mietewehrten, haben andere Probleme. Schließlichhaben gegen sie die ersten Gerichtsverfahrenbegonnen. Die Anklagepunkte lauten über-wiegend auf Hausfriedensbruch.Die Justiz scheint allerdings kein besondersgroßes Verfolgungsinteresse zu haben. Einerstes Verfahren ist aus prozessökonomischenGründen eingestellt worden und in einemanderen Fall wurde der Anklagepunkt desHausfriedensbruchs wegen eines Formfehlersdes Hausbesitzers fallen gelassen. Der hatteschon eine Woche vor der Räumung Anzeigenwegen Hausfriedensbruchs gestellt. Über die-se Entwicklung sind aber manche der An-geklagten gar nicht froh, denn ihnen wäre eineklare Verurteilung wegen Hausfriedensbruchslieber gewesen. Das klingt erstmal paradox.

Der Uferweg an der Spree ist bisher nur inBruchstücken vorhanden, so wie hier amver.di-Gebäude an der Schillingbrücke.

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B E R L I NDoch sie hätten dann die Möglichkeit gehabt,mit einem solchen Urteil in die nächste Instanzzu gehen und vielleicht sogar Rechtsge-schichte zu schreiben. Es geht dabei um einejuristische Frage, die auch für alle Mieter, denenZwangsräumungen drohen, von Interesse ist:Ist das Warten auf den Gerichtsvollzieher, derden Räumungsbefehl vollstreckt, bereits einHausfriedensbruch?

Hausfriedensbruch vor derVollstreckung?

Die ehemaligen Bewohner/innen der Yorck-straße und ihre Anwälte argumentierenfolgendermaßen: Sie hätten sich in den frühenMorgenstunden des 6. Juni 2005 eben geradezu diesem Zweck auf dem Gelände der Yorck-straße 59 aufgehalten. Der Gerichtsvollzieherhatte sich für diesen Tag angekündigt undwurde von den Bewohner/innen und ihrenFreund/innen erwartet. Nach der Räumungs-aufforderung der Polizei verließen sie dasGrundstück. Widerstand wurde dabei nichtgeleistet und auch Verfahren wegen Wider-stands gegen Vollstreckungsbeamte sind nichtdarunter.

Wie kann aber ein Hausfriedensbruch vor-liegen, bevor der Gerichtsvollzieher überhauptdie Räumung vollstreckte? Bis dahin hatteschließlich kein Räumungsakt bestanden undes konnte folglich auch kein Hausfriedengebrochen werden, argumentieren die An-wälte.

Mit dem gleichen Recht könnten Mieter/innen,denen eine Zwangsräumung angekündigtwurde, wegen Hausfriedensbruch angeklagtwerden, weil sie die Wohnung nicht schongeräumt haben, bevor die Gerichtsvollzieherüberhaupt ihres Amtes walten. Aber das istbisher eben nicht die juristische Praxis. Einesolche Verschärfung, die dann auch Auswir-kungen auf viele andere Mieter/innen habenkönnte, wollen die Rechtsanwälte der ehe-maligen Bewohner/innen der Yorckstraße 59juristisch verhindern. Jetzt müsste nur dasAmtsgericht so gefällig sein und ein entspre-chendes Urteil verhängen, gegen das dann dasWiderspruchsverfahren eingeleitet werdenkann. Bisher hat es die Justiz aber nicht eilig,ihren Beitrag dazu zu leisten. Doch für Mai2007 ist erneut ein Prozess gegen einenehemaligen Yorckstraßenbewohner vor demAmtsgericht anberaumt. Auch ihm wirdHausfriedensbruch vorgeworfen, begangen inden Morgenstunden des 6. Juni 2005 beimWarten auf den Gerichtsvollzieher.

Der Platz der ZASt in der Motardstraße 101areicht theoretisch für 625 Menschen und zurzeitwohnen dort etwa 420, darunter etwa 80Kinder. Doch nicht alle sind gerade erst in Berlinangekommen. Einige der Flüchtlinge wohnenbereits seit Jahren in Berlin, sind im Besitz einerDuldung und wurden angewiesen, in dasWohnheim in der Motardstraße zu ziehen. Unddas, obwohl in der Koalitionsvereinbarung derSPD und PDS festgehalten ist, dass es in Berlinkeine Ausreiseeinrichtung geben soll. Die Kos-ten des Wohnheims sind höher als die Kostenfür die Anmietung von privaten Wohnungen.Die Motardstraße 101a wird faktisch alsAusreisezentrum und nicht wie vorgesehen nurals zentrale Erstaufnahmestelle für Neuan-kömmlinge genutzt. Der Gesetzgeber sieht Ausreiseeinrichtungenals Unterkünfte für Menschen vor, die als aus-reisepflichtig gelten. Die staatliche Kontrolleund Überwachung ist hier einfacher durch-zuführen als in privaten Wohnungen. DurchZwangsberatungen sollen die Flüchtlinge zursogenannten „freiwilligen“ Ausreise gebrachtwerden. Doch von Freiwilligkeit kann keineRede sein. Die menschenunwürdigen Lebens-umstände führen oft zur verzweifelten Aus-

reise, bzw. Abschiebung, weil die Lebensbe-dingungen hier unerträglich sind. Die Men-schen werden in ihre Herkunftsländer zurück-gedrängt, aus denen sie oft vor Folter und Kriegflüchteten. „Die Zustände hier sind schlimmer als imAbschiebegefängnis in Köpenick“, so FrankIwapelu, 38 Jahre, Bewohner der Motard-straße. Er weiß, wovon er spricht, denn er saßneun Monate im Knast. „Dort gab es wenigs-tens Telefon, Ärzte und einen Fernseher“, soIwapelu. Seit ein paar Monaten muss er in derMotardstraße wohnen. Hier teilt er sich ein 17 qm großes Zimmer mit einem anderenMann. Eigentlich sollten in diesem Zimmer dreiPersonen unterkommen. Doch da der dritte Be-wohner bei einem Freund in der Stadt wohnt,haben die beiden jungen Männer kurzerhanddas dritte Bett abgebaut, damit sie etwas mehrPlatz haben. „Wenn du hier nie gewohnt hast,kannst du dir nicht vorstellen, was es bedeutet,hier zu wohnen“, so Iwapelu. Die Zimmer sindäußerst karg eingerichtet. Teilweise löst sich dieVerkleidung an den Decken. In den Räumenbefinden sich Metallbetten und alte Metallspin-de, die nicht abschließbar sind. Iwapelu erzähltvon Kakerlaken in den Küchen und in ihrem

Wohnen am Ende der Welt Berlin Motardstraße – ein inoffiziellesAusreisezentrum Maja Schuster

Motardstraße 101a heißt die erste Adresse für alle Flüchtlinge, denen es gelingtnach Berlin einzureisen. Mitten im Industriegebiet in Berlin-Spandau liegt die vielbefahrene Straße. Hinter einem hohen Zaun mit Stacheldraht stehen fünf großeMetallbaracken. Das ist die ZASt, d.h. die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge,neuerdings auch unter dem Namen EAE, Erstaufnahmeeinrichtung, bekannt.Betrieben wird die Einrichtung von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mitte. In direkterUmgebung gibt es weder Geschäfte noch Cafés, nur die U-BahnstationPaulsternstraße ist in zehn Minuten zu erreichen. Es ist kein schöner Ort zumAnkommen.

Motardstraße 101a in Spandau.

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R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N G

Zimmer. Nachts könne er wegen der Insektennicht schlafen. Auch die Toiletten und Duschendes Wohnheims sind nicht abschließbar.

Frühstück und Abendessen erhalten die Be-wohner in durchsichtigen Plastikbeuteln, dieneben Brot und Brötchen jeweils zwei StückMargarine, eine Scheibe Wurst und Käse, etwasMarmelade und ein Döschen Kondensmilchenthalten. Jeden zweiten Tag eine Frucht.Außerdem pro Tag einen Liter H-Milch und eineTüte Orangensaft. Zum Mittagessen gibt eseine Portion Fertigessen aus der Alu-Assiette.An der miserablen Vollverpflegung der Flücht-linge verdient das Cateringunternehmen derFirma Dussmann. Pro Essen erhält die Firmasieben Euro von der Stadt Berlin. Dussmannbeschäftigt weltweit 55.000 Mitarbeiter und istfür schlechte Arbeitsbedingungen und niedrigeLöhne bekannt. Von den Essenspaketen er-nährt sich im Wohnheim aber fast niemand.„Von dem Essen wird man krank“, sagt einFlüchtling aus Pakistan.

Das Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburghat eine sehr informative Broschüre heraus-gegeben: „Aspekte der Menschenverachtung inEuropa – Ausreisezentrum Motardstraße“.Kostenlos erhältlich unter:www.chipkartenini.squat.net

■ FalschberatungDer Mieter ist im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch für das schuldhafte Verhalteneines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB ver-antwortlich; die ordentliche Kündigung desVermieters wegen einer nicht unerheblichenVertragsverletzung setzt nicht ein eigenesschuldhaftes Verhalten des Mieters voraus. EinMieterschutzverein, der den Mieter bei derEntscheidung darüber berät, ob er von einemZurückbehaltungsrecht an der Miete Gebrauchmachen soll, ist Erfüllungsgehilfe des Mietersbei der Erfüllung der Verpflichtung zur Entrich-tung der Miete.BGH, Urteil vom 25.10.2006 – VIII ZR 102/06 –

■ BetriebskostenWiederkehrende Kosten, die dem Vermieter zurPrüfung der Betriebssicherheit einer tech-nischen Anlage (hier: Elektroanlage) entste-hen, sind Betriebskosten, die bei entspre-chender ausdrücklicher Vereinbarung der Miet-vertragsparteien als „sonstige Betriebskosten“im Sinne von § 2 Nr. 17 Betriebskostenver-ordnung (bzw. Anlage 3 Nr. 17 zu § 27 der II. Berechnungsverordnung) auf den Mieterumgelegt werden können.BGH, Urteil vom 14.02.2007 – VIII ZR 123/06 –

■ BetriebskostenabrechnungRechnet der Vermieter preisfreien Wohnraumsüber Betriebskosten in gemischt genutztenAbrechnungseinheiten nach dem Flächen-maßstab ab, ohne einen Vorwegabzug der aufGewerbeflächen entfallenden Kosten vorzu-nehmen, so trägt der Mieter die Darlegungs-und Beweislast dafür, dass diese Kosten zueiner erheblichen Mehrbelastung der Wohn-raummieter führen und deshalb ein Vor-wegabzug der auf die Gewerbeflächen ent-fallenden Kosten geboten ist.BGH, Urteil vom 25.10.2006 – VIII ZR 251/05 –

■ Betriebskostenabrechnung

Eine formell ordnungsgemäße Betriebskosten-abrechnung setzt voraus, dass dem Mieterauch dann die Gesamtkosten einer be-rechneten Kostenart mitgeteilt werden, wenneinzelne Kostenteile nicht umlagefähig sind;dem Mieter muss ersichtlich sein, ob und inwelcher Höhe nicht umlagefähige Kostenvorab abgesetzt worden sind.

BGH, Urteil vom 14.02.2007 – VIII ZR 1/06 –

■ Kündigungsfrist

Haben die Beteiligten nach dem 31.08.2001den Beitritt eines weiteren Mieters zu einemim Übrigen unverändert fortbestehendenWohnraummietvertrag vereinbart, wirkt einevor Inkrafttreten des Mietrechtsreformge-setzes 2001 wirksam formularvertraglich ver-einbarte Regelung der Kündigungsfristen auchgegenüber dem Beitretenden, wenn die Kün-digung vor dem 01.06.2005 zugegangen ist.

BGH, Urteil vom 07.02.2007 – VIII ZR 145/06 –

■ Mieterhöhung

Erfüllt eine Mietwohnung nicht die gesetz-lichen Voraussetzungen für preisgebundenenWohnraum, so ist die vertragliche Verein-barung der Wohnungspreisbindung mit derBerechtigung des Vermieters zur einseitigenErhöhung der Kostenmiete nach § 557 Abs. 4,§ 558 Abs. 6 BGB unwirksam. Eine Verein-barung der Kostenmiete ist nur dann wirksam,wenn die Einhaltung der Kostenmiete danachlediglich eine weitere Voraussetzung für dieZulässigkeit der Mieterhöhung gemäß § 558BGB sein soll.

BGH, Urteil vom 07.02.2007 – VIII ZR 122/05 –

Mittagessen in der Alu-Assiette.

BGH-Urteile kurz gefasstAktuelle mietrechtliche Entscheidungen desBundesgerichtshofsEntscheidungen des BGH haben rechtsprägende Wirkung auf die unteren Instanzen.Deswegen werden die wichtigsten Urteile aus den vergangenen Monaten kurzdargestellt. Aber Achtung: Mietrechtliche Streitfälle sollten immer im Einzelfall ineiner Beratungsstelle anwaltlich geprüft werden.

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R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N GÜberhöhte Kaution undBürgschaftsurkunde

Eine vereinbarte Mietsicherheit ist (teilweise)unwirksam, wenn diese den Betrag von dreiNettokaltmieten übersteigt. Hat der Vermieter zusätzlich zu drei Netto-kaltmieten die Bürgschaftserklärung einesDritten erlangt, steht dem Mieter ein eigenerAnspruch auf Herausgabe der Bürgschafts-urkunde an den Dritten zu. Bestreitet der Vermieter im Prozess, dieOriginalurkunde jemals erhalten zu haben,muss er die Kosten des Verfahrens dennochtragen, wenn sich aus seinen vorprozessualenEinlassungen etwas anderes ergibt.LG Berlin, Beschluss vom 09.02.2007– 65 T 26/07 –

Die Mieterin hatte sich im Mietvertrag gegen-über der Vermieterin verpflichtet, eine Miet-sicherheit (Kaution) in Höhe von drei Netto-kaltmieten zu zahlen. Darüber hinaus bestanddie Vermieterin bei Abschluss des Mietvertragsauf einer zusätzlichen Bürgschaft durch dieMutter der Mieterin. Die von der Vermieterinvorgefertigte Bürgschaftsurkunde wurde vonder Mutter der Mieterin unterzeichnet undpostalisch an die Vermieterin übermittelt. Die Vermieterin wurde nach Vertragsabschlussmit anwaltlichem Schreiben zur Herausgabeder Bürgschaft aufgefordert. Sie lehnte dies mitdem Hinweis ab, dass die Wohnung verkauftund die Bürgschaftsurkunde an den Käuferübermittelt worden sei. Im Übrigen habe dieMutter der Mieterin die Bürgschaft von sichaus angeboten, um den Abschluss desVertrags zu ermöglichen (Anmerkung: DieserUmstand könnte dazu führen, dass derMieterin kein Herausgabeanspruch zusteht).Mit der Klage machte die Mieterin den An-spruch auf Herausgabe der Bürgschaft an dieMutter geltend. Nachdem zunächst ein Versäumnisurteil ge-gen die Vermieterin ergangen war, behauptete

Modernisierung und Vertragsstrafe

Hat sich der Vermieter in einerModernisierungsvereinbarung verpflichtet, anden Mieter eine Vertragsstrafe für den Fall zuzahlen, dass er die vom Mieter für die Dauerder Modernisierungsarbeiten überlasseneWohnung anderweitig vermietet, kommt eineHerabsetzung der verwirkten Straferegelmäßig nicht in Betracht.Eine Vertragsanpassung kommt allenfalls dannin Betracht, wenn der Mieter vor Beendigungder Modernisierungsarbeiten zu erkennen gibt,dass er nicht mehr in die Wohnungzurückziehen möchte. LG Berlin, Beschluss vom 01.02.2007– 62 S 271/06 –

Die Mieter mieteten im Juli 1999 eineWohnung. Anlässlich der von der Vermieteringeplanten Modernisierungsarbeiten schlossendie Vertragsparteien im Februar 2005 eineModernisierungsvereinbarung ab. Für dieDauer der Baumaßnahmen sollten die Mieterin eine Zwischenumsetzwohnung ziehen. Der Vertragstext der Modernisierungsverein-barung wurde der Vermieterin vom Land Berlin(im Zuge von Fördermaßnahmen) vorge-schrieben. In der Modernisierungsvereinba-rung hieß es unter anderem: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass dasMietverhältnis für die unter § 1 genannte Woh-nung fortbesteht. Die Vermieterin verpflichtetsich zur Vermeidung einer Vertragsstrafe vonDM 10.000,00 je Zimmer/Wohnraum derunter § 1 genannten Wohnung, diese nichtanderweitig zu vermieten oder anderweitigüber diese Wohnung zu verfügen. Die Gel-tendmachung eines weitergehenden Scha-dens im Falle der anderweitigen Vermietungder unter § 1 genannten Wohnung bleibthiervon unberührt. Die Höhe der hier verein-barten Vertragsstrafe soll die Wirksamkeit derVertragsstrafe dem Grunde nach nichtberühren; im Streitfall bleibt es den Parteienunbenommen, die Höhe der Vertragsstrafedurch ein Zivilgericht feststellen zu lassen.“ (Anmerkung: Bei der unter § 1 genanntenWohnung handelt es sich um die ursprünglichgemietete Wohnung, nicht um die Zwischen-umsetzwohnung.)Die Mieter bezogen daraufhin die Zwischen-umsetzwohnung. Nach Fertigstellung derModernisierungsarbeiten im Herbst 2005mussten die Mieter feststellen, dass die vonihnen gemietete Wohnung mittlerweile an-derweitig bewohnt war. Die Hausverwaltungder Vermieterin teilte auf Anfrage der Mieter

diese im Einspruchstermin, sie befinde sichnicht im Besitz der Bürgschaftsurkunde, habediese auch nie erhalten und erklärte zuProtokoll, aus der behaupteten Bürgschafts-urkunde keinerlei Rechte abzuleiten. Nachdemder Rechtsstreit im Anschluss an dieProtokollierung übereinstimmend für erledigterklärt wurde, musste das Amtsgericht ledig-lich über die Kosten entscheiden. Die Kostenwurden der Vermieterin aufgelegt. Gegendiese Kostenentscheidung wehrte sich dieVermieterin mit einer Beschwerde. Das Land-gericht Berlin wies die Beschwerde auf Kostender Vermieterin zurück. Es führte in Über-einstimmung mit dem Amtsgericht aus, dasseine Vereinbarung, mit der die Mieterin zurErbringung einer drei Nettokaltmieten über-steigenden Mietsicherheit verpflichtet werde,nach Maßgabe der Vorschrift des § 551 Abs.1 BGB unwirksam sei. Aus diesem Grundstünde nicht nur der Mutter selbst, sondernauch der Mieterin ein Anspruch auf Heraus-gabe der Bürgschaftsurkunde (an die Mutter)wegen ungerechtfertigter Bereicherung zu.

Soweit die Beklagte vorgetragen habe, dieMutter der Mieterin habe die Bürgschaft vonsich aus angeboten, war dieser in derKlageschrift bestrittene Sachvortrag wegendes fehlenden Beweisangebots unbeachtlich.Auch der weitere Vortrag der Vermieterin, dasssie sich nicht mehr im Besitz der Urkundebefände, sei ohne Beweisangebot erfolgt.

Sowohl das Amtsgericht als auch das Land-gericht gingen davon aus, dass die Übermitt-lung der Bürgschaftsurkunde an die Ver-mieterin grundsätzlich von der klagendenPartei (hier der Mieterin) zu beweisen sei. Imvorliegenden Fall habe die Vermieterin jedochzum einen behauptet, dass sie die Original-bürgschaft an den Käufer weitergeleitet habeund im Übrigen, dass ein Mietvertrag ohnediese Originalbürgschaft nicht geschlossenworden wäre. Diese Ausführungen ließen nachAnsicht des Landgerichts nur den Schluss zu,dass auch die Vermieterin von einer wirksamenSicherung durch die Bürgschaft der Mutter derMieterin ausgegangen war. Da sich dieVermieterin zunächst auf die Wirksamkeit derBürgschaft berufen und erst anschließenddarauf besonnen habe, diese nie erhalten zuhaben, entsprach es nach Ansicht des Land-gerichts billigem Ermessen, der Vermieterin dieKosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Arne Stocker

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R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N Gmeinsam bewohnten, ließe sich kein dahin-gehender Schluss ziehen, dass sie nicht mehrin die Wohnung zurückkehren wollten. Ausdiesem Grund sah das Amtsgericht auch keineVeranlassung, die Vertragsstrafenregelungunter dem Gesichtspunkt der ergänzendenVertragsauslegung in irgendeiner Weise an-zupassen. Möglicherweise hätten die Parteienfür den Fall, dass ein Rückzug der Mieter nichtmehr geplant sei, eine entsprechende Aus-nahme vereinbart. Zu diesen Sachverhalt hattedie Vermieterin jedoch nichts vorgetragen. ImÜbrigen komme es bezogen auf den Wunschder Rückkehr in die Wohnung einzig und alleinauf den Zeitraum der Fälligkeit der Ver-tragsstrafe (und somit auf dem ZeitpunktHerbst 2005) an.

Auch der Antrag der Vermieterin auf Herab-setzung der verwirkten Strafe auf einen an-gemessenen Betrag blieb im Ergebnis erfolg-los. Das Amtsgericht wies darauf hin, dassgrundsätzlich gemäß § 343 BGB eine Herab-setzung der Vertragsstrafe erfolgen könne,wenn diese unverhältnismäßig hoch sei. DieVermieterin habe jedoch keinerlei Umständevorgetragen, welche die Höhe der verein-barten Vertragsstrafe im vorliegenden Fall an-greifbar machen würde. Insbesondere konntedie Vermieterin nicht die (ihrer Meinung nachzu geringe) Mieterhöhung im Anschluss an dieDurchführung der Modernisierungsmaßnah-men als Begründung heranziehen.

Sinn und Zweck der vereinbarten Vertrags-strafe sei es gewesen, den Klägern den Rück-zug in die gemietete Wohnung zu sichern.Dabei sei den Vertragsparteien bewusst ge-wesen, dass eine modernisierte und vermie-tete Wohnung sich besser verwerten lasse alseine vermietete Wohnung.

Genau dieser Anreiz, nämlich die moder-nisierte Wohnung unter Bruch des ver-traglichen Rechts der Mieter einfach zu ver-werten, sollte durch die vereinbarteVertragsstrafe reduziert werden. Zudemkomme der Vertragsstrafe auch die Funktioneines pauschalierten Schadensersatzes fürWohnungssuche, Umzug und Ausstattungeiner neuen Wohnung zu.

Die Angemessenheit richte sich wegen ihresSanktionscharakters in erster Linie auf dieSchwere und das Ausmaß der Vertragsverlet-zung sowie die Gefährlichkeit für den Gläu-biger. Nach Ansicht des Amtsgerichts war eine

schwerere Vertragsverletzung, als den Mieterendgültig vom Besitz an der gemieteten Woh-nung auszuschließen, nicht mehr denkbar.Darüber hinaus konnte die Vermieterin den-aufgrund des vorsätzlichen Vertragsbruchsanzunehmenden hohen Grad des Verschul-dens in keiner Weise ausräumen. Die Vermie-terin wurde antragsgemäß verurteilt.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Burkhard Draeger

Mietminderung undAnnahmeverzug

Befindet sich ein Vermieter jahrelang (imvorliegenden Fall 20 Jahre) mit der Beseitigungeines Mangels im Verzug und hat er die vomMieter vorgenommenen Mietminderungen(mehr als 50%) in dieser Zeit widerspruchsloshingenommen, so sind seine diesbezüglichenAnsprüche auch dann verwirkt, wenn dieMietminderung überzogen war.Sowohl der Verzug als auch die Verwirkungenden, wenn der Vermieter den Mieterauffordert, die Mängel konkret zu benennenund ihm Zutritt zur Wohnung zu verschaffen,damit er die Mängel beseitigen kann.Gerät der Mieter daraufhin mit der Beseitigungder von ihm behaupteten Mängel inAnnahmeverzug, steht ihm ein Anspruch aufMietminderung nicht mehr zu. Ein im Anschlussan den Annahmeverzug des Mietersaufgelaufener Mietrückstand von mehr alszwei Monatsmieten berechtigt den Vermieterzur fristlosen Kündigung desMietverhältnisses. AG Charlottenburg, Urteil vom 09.11.2006– 211 C 355/06 –

Die Mieter schlossen im Juli 1974 einen Miet-vertrag mit der vormaligen Eigentümerin. EineMieterin zog bereits im Jahr 1975 aus dergemeinsamen Wohnung aus. Im Innenver-hältnis vereinbarten die Mieter, dass sich derverbleibende Mieter um sämtliche Belange derWohnung kümmert. Mit diversen Schreiben,erstmalig im Jahre 1983 zeigte der ver-bleibende Mieter eine Vielzahl von Mängeln inder Wohnung an. In der Folge minderte er dieMiete um mehr als 50%.

Nachdem die Vermieterin im Jahr 1995 ver-geblich die Zahlung der rückständigen Mieteverlangt und 1996 eine fristlose Kündigungausgesprochen hatte, widersprach der Mieter

mit, dass die Wohnung zwischenzeitlich anDritte verkauft worden sei.

Nachdem die Mieter die Hausverwaltungvergeblich zur Überlassung des Besitzes an derWohnung bzw. zur Zahlung der vereinbartenVertragsstrafe aufgefordert hatten, erhobensie Klage.

Die Vermieterin vertrat die Auffassung, dasVertragsstrafenversprechen sei unwirksam,weil das Land Berlin ihr die Verwendung desVertragstexts auferlegt habe, was jedoch nachöffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht zu-lässig sei. Im Übrigen würden die Mieter nichtmehr zusammen in der Zwischenumsetz-wohnung leben, sodass die Vermieterin davonausgegangen sei, dass die Mieter nicht in diegemietete Wohnung zurückziehen wollten.

Das Amtsgericht hat der Klage der Mieterstattgegeben, das Landgericht hat die Be-rufung unter Hinweis auf die zutreffendenAusführungen des Amtsgerichts zurückge-wiesen.

Das Amtsgericht gelangte zum Ergebnis, dassdas in der Modernisierungsvereinbarunggetroffene Vertragsstrafenversprechen wirk-sam sei. Hierbei kommt es nur auf dasVerhältnis zwischen der Vermieterin und denMietern an.

Ob und aus welchem Grund die Vermieterindie Modernisierungsvereinbarung geschlos-sen habe und ob die Verwendung des Ver-tragstexts vom Land Berlin verlangt werdendurfte oder nicht, habe auf das Verhältniszwischen den Vertragsparteien keinen Einfluss.

Ebenso wenig könne sich die Vermieterindarauf berufen, dass das Vertragsstrafen-versprechen gegen die Vorschriften über dieAllgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)verstoße, da sie selbst als Verwenderin dieseVereinbarung der Mieterin unterbreitet habe.

Aufgrund des Umstands, dass die Vermieterindie Wohnung unter Bruch ihrer mietver-traglichen Pflichten weiterveräußert habe, seidie vereinbarte Vertragsstrafe fällig. DieVermieterin hatte behauptet, sie habe davonausgehen können, dass die Mieter nicht mehrin die ursprüngliche Wohnung zurückziehenwollten, weil sie nicht mehr in der Umsetz-wohnung zusammenleben würden. DiesesArgument hielt das Amtsgericht für un-erheblich. Allein aus dem Umstand, dass dieMieter die Umsetzwohnung nicht mehr ge-

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einer Kündigung wegen der von ihm ge-nannten Mängel. Eine zwischenzeitlich an denverbliebenen Mieter übersandte Mieterhö-hung wurde von diesem nicht gezahlt.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2005 for-derte die Vermieterin den verbliebenen Mieterauf, die Mängel im Einzelnen zu benennen,damit sie Abhilfe schaffen könne. Zugleich batsie ihn, zwei Termine vorzuschlagen, in denendie Wohnung besichtigt werden könne. Miteinem weiteren Schreiben vom 24. Januar2006 wurde der verbliebene Mieter einweiteres Mal aufgefordert, die Besichtigungder Mängel zu ermöglichen und zwei Terminezur Besichtigung zu benennen. Sowohl mitanwaltlichem Schreiben vom 20. Februar 2006als auch vom 12. Mai 2006 wurde der Mieterweitere Male aufgefordert.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2006 schlug derverbliebene Mieter einen Besichtigungsterminfür den 18. Mai 2006 vor, der jedoch nichtstattfand. Mit Schreiben vom 12. Juni 2006lehnte der verbliebene Mieter eine Besich-tigung der Wohnung „wegen Unzumutbar-keit“ ab. Daraufhin kündigte die Vermieterindas Mietverhältnis mit anwaltlichem Schreibenvom 16. Juni 2006 wegen des aufgelaufenenMietrückstands, wobei die Kündigung ledig-lich dem in der Wohnung verbliebenen Mieterzugestellt wurde. Mit Schreiben vom 28. Sep-tember 2006 kündigte die Vermieterin dasMietverhältnis ein weiteres Mal wegen derzwischenzeitlich aufgelaufenen Mietrück-stände und stellte diese Kündigung beidenMietern zu. Daraufhin benannte der Mieter mitSchreiben vom 30. September 2006 zweiBesichtigungstermine für den 16. Oktober und17. Oktober 2006.

Mit der Klage verlangt die Vermieterin dieHerausgabe der Wohnräume durch die Mieter.Das Amtsgericht hat der Klage stattgegebenund die Mieter zur Räumung verurteilt. Zwarhabe die fristlose Kündigung vom 16. Juni2006 das Mietverhältnis nicht beendenkönnen, weil sie lediglich dem in der Wohnungverbliebenen Mieter zugestellt wurde und derVermieterin der Auszug der anderen Mieterinseit Jahren bekannt war. Das Mietverhältnis seijedoch durch die fristlose Kündigung vom 28. September 2006 beendet worden.

Auch wenn die von der Vermieterin geltendgemachte Mieterhöhung nicht wirksam

Amtsgericht führte in seinen Urteilsgründenaus, dass der Mieter in jedem Fall verpflichtetgewesen sei, unverzüglich einen neuen Terminzu benennen, dies jedoch mit Schreiben vom12. Juli 2006 ausdrücklich abgelehnt habe.

Ebenso unschädlich war nach Ansicht desAmtsgerichts der Umstand, dass lediglich derin der Wohnung verbliebene Mieter aufge-fordert wurde, den Zugang zu gewähren.Insoweit gelangte es zu der Feststellung, dassein Aufforderungsschreiben an die (im Jahr1975) ausgezogene Mieterin entbehrlichgewesen sei, weil es erfolglos geblieben wäre.Unstreitig habe die ausgezogene Mieterin seit1975 nicht mehr in der Wohnung gewohnt undsämtliche Belange seien vom verbliebenenMieter geregelt und entschieden worden. Dieshabe sich auch aus den vorprozessualenSchreiben der ausgezogenen Mieterin und ausden Ausführungen in der mündlichen Ver-handlung ergeben, in denen sie mitteilte, dasssie keinerlei Einflussmöglichkeit auf die tat-sächliche Durchführung des Mietverhältnisseshatte.

Da den Mietern für die Zeit ab Januar 2006 einMietminderungsrecht (wegen des Annahme-verzugs) nicht zur Seite stand und derMietrückstand mittlerweile mehr als zweiMonatsmieten angenommen hatte, wurdendie Mieter im Anschluss an die fristloseKündigung zur Räumung verurteilt.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Florian Lahrmann

R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N Ggewesen sei, weil sie – ebenso wie dieKündigung vom 16. Juni 2006 – lediglich demin der Wohnung verbliebenen Mieter zuge-stellt wurde, habe der Mietrückstand mehr alszwei Monatsmieten erreicht und berechtigedie Vermieterin daher zur Kündigung desMietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 2 Ziffer3a in Verbindung mit § 569 Abs. 3 Ziffer 1 BGB.Die auf diesen Zahlungsverzug gestützteKündigung habe die Vermieterin ausreichendbegründet, weil sie unabhängig von der Höheder Miete (im Anschluss an die unwirksameMieterhöhung) dargelegt hatte, dass und fürwelchen Zeitraum nicht einmal die Hälfte desursprünglich vereinbarten Betrags gezahltwurde.

Auf das Mietminderungsrecht wegen derdiversen Mängel konnten sich die Mieter nachAnsicht des Amtsgerichts nicht berufen. Zwarsei ihnen dahingehend Recht zu geben, dassdie Vermieterin (bezogen auf die Vergan-genheit bis einschließlich Dezember 2005) ihreRechte sowohl im Hinblick auf die Mietmin-derung selbst als auch auf die Höhe der Min-derung verwirkt habe, weil sie sich jahrelangweder um die Mängelbeseitigung noch um dieHöhe der Mietminderung gekümmert habe.Selbst wenn die von den Mietern durchge-führte Mietminderung völlig überzogen ge-wesen sein sollte, lägen sowohl das Zeitmo-ment (jahrelanges Dulden der Mietminderung)als auch das Umstandsmoment (Untätigkeit inKenntnis von diversen Mängelrügen) vor.

Der Verzug der Vermieterin mit der Beseitigungdes Mangels habe jedoch im Januar 2006geendet, nachdem sie den in der Wohnungverbleibenden Mieter vergeblich aufgeforderthatte, die Mängel zu benennen und ihr Zutrittzur Wohnung zu gewähren. Diese Auffor-derung war mit der Ankündigung verbundengewesen, ggf. die erforderlichen Instand-setzungsmaßnahmen einzuleiten. Das Amts-gericht führte weiter aus, dass sich die Mieterab diesem Zeitpunkt im Annahmeverzugbefunden hätten. Mit dem Beginn des An-nahmeverzugs habe das Recht der Mieter aufMietminderung geendet. Angesichts dermehrmaligen Aufforderungen sei es unbe-achtlich, aus welchem Grund der für den 18. Mai 2006 anberaumte Termin nicht durch-geführt wurde. Nach Behauptung der Mieterwar die Vermieterin nicht erschienen und nachder Behauptung der Vermieterin habe derMieter die Wohnung nicht geöffnet. Das

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R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N GAuslegung einerModernisierungsvereinbarung

Eine Mieterhöhung im Anschluss an eineModernisierungsvereinbarung ist nur dannentbehrlich, wenn sich die Vertragsparteienausdrücklich auf eine bestimmte Miete (abeinem bestimmten Zeitpunkt) geeinigt haben. Eine Formulierung in der Art „die Miete nachSanierung beträgt maximal 8,24 DM/qmnettokalt“ stellt keine eigenständigeVereinbarung der Miethöhe dar, sondernbegrenzt lediglich die Höhe der zulässigenMiete. LG Berlin, Urteil vom 17.12.2006– 62 S 252/06 –

Die Vertragsparteien hatten auf der Basis einesvom Bezirksamt Lichtenberg vorgegebenenEntwurfs eine Modernisierungsvereinbarunggeschlossen. In der Modernisierungsverein-barung heißt es unter anderem: „Die Miete nach Sanierung beträgt max. 8,24 DM/qm nettokalt. (...) Allgemeine miet-rechtliche Bestimmungen des BGB (Bürger-liches Gesetzbuch) bzw. MHG (Miethöhe-gesetz) und MÜG (Mietenüberleitungsgesetz)bleiben hiervon unberührt. Insbesondere istnach Abschluss der Baumaßnahme gemäß §3 MHG eine schriftliche Abrechnung derGesamtkosten für die Baumaßnahme jeWohnung vorzunehmen. Kosten der Moder-nisierungsmaßnahme sind gesondert auszu-weisen und Kosten für die Instandsetzungs-maßnahme von den Gesamtkosten in Abzugzu bringen.“

Die Vermieterin vertrat die Ansicht, dass auf-grund der oben genannten Vereinbarung mitAbschluss der Modernisierungsarbeiten (undim Anschluss an einen bestimmten Zeitablauf)eine Miete von 8,24 DM/qm geschuldet seiund es einer gesonderten Mieterhöhung nichtbedürfe. Mit der Klage machte sie die Differenzzwischen der weiterhin vom Mieter gezahltenAusgangsmiete und der nach ihrer Ansicht imAnschluss an die Modernisierungsmaßnah-men geschuldeten Miete geltend.

Das Amtsgericht hat sich der Ansicht derVermieterin angeschlossen und den Mieter zurZahlung verurteilt. Auf die Berufung desMieters wurde das Urteil aufgehoben und dieKlage insgesamt abgewiesen.

Das Landgericht gelangte in seinem Urteil zudem Ergebnis, dass der Mieter im streitigen

Zeitraum die geschuldete Miete in voller Höhegezahlt habe. Die Parteien hätten sich in derModernisierungsvereinbarung nicht auf eineneue Miete im Anschluss an die Fertigstellungder Modernisierungsarbeiten geeinigt. Aus-weislich des Wortlauts der Vereinbarung undder Verwendung des Wortes „max.“ ergebesich eindeutig, dass der genannte Preis nureine obere (maximale) Begrenzung sein solle.Entsprechendes ergebe sich aus einer Formu-lierung in Anlage 2 der Vereinbarung, in deres heiße „folgende Miete (...) nicht über-schritten“ werde. Anhaltspunkte dafür, dassdie Parteien etwas anderes gewollt hätten,ergebe sich weder aus den Umständen nochaus der Modernisierungsvereinbarung.

Aus diesem Grund war der Vermieterin ledig-lich die Möglichkeit eingeräumt, im Rahmender oben genannten Begrenzung eine Erhö-hung der Nettokaltmiete nach dem Miet-spiegel geltend zu machen. Da eine solcheErhöhung unstreitig nicht erfolgt war, wurdedie Klage abgewiesen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch

Fördervereinbarung undMieterhöhung

Eine Regelung im Mietvertrag, nach welcherder Mieter bei Vorlage eines Wohnberechti-gungsscheins lediglich eine geringere Miete zuzahlen hat, führt zu einer verbindlichen Verein-barung der Ausgangsmiete. Fallen die Voraussetzungen, die zur Reduzie-rung der Ausgangsmiete geführt haben, weg,dann hat sich die Miete nicht automatischangepasst, sondern kann nur durch eineordnungsgemäße Mieterhöhung nach denVorschriften der §§ 558 BGB ff erhöhtwerden. Die unzutreffende Angabe der Ausgangsmietein einem Mieterhöhungsverlangen führt zudessen Unwirksamkeit. AG Mitte, Urteil vom 01.08.2006– 9 C 688/05 –

Die Parteien schlossen im April 2004 einenMietvertrag über eine Dachgeschosswohnungmit 122,10 qm Wohnfläche. Das Wohnge-bäude wurde unter Inanspruchnahme einervertraglich vereinbarten öffentlichen Förde-

rung im Jahr 2000 umfassend modernisiertund instandgesetzt. In § 2 des Mietvertragswar eine Ausgangsmiete von 484,74 Eurovereinbart. Zusätzlich unterzeichneten beideVertragsparteien eine Anlage zum Mietver-trag. In dieser Anlage heißt es:

„(1) Mieter von Wohnraum, die die Ein-kommensvoraussetzungen nach den § 25 und25 d Zweites Wohnungsbaugesetz erfüllen,sollen keine höheren Mieten als die Durch-schnittsmiete des ab dem Jahre 1970 mitöffentlichen Mitteln geförderten sozialenWohnungsbaus bei städtischen Wohnungs-bauunternehmen zahlen (heran[zu]ziehendeMiete im sozialen Wohnungsbau). Die maß-gebliche heranzuziehende Durchschnittsmie-te im sozialen Wohnungsbau beträgt 3,63Euro/m2 (Netto-Kaltmiete). (...)

(2) Sofern die verlangte Miete die einkom-mensabhängige Miete nach Absatz 1 über-steigt, hat der Vermieter die Mieter über dieMöglichkeit nach Absatz 1 zu unterrichten. Dieniedrigere Miete wird mit Beginn des Folge-monats wirksam, nachdem der Mieter demdurch Vorlage einer Bescheinigung über dieWohnberechtigung nach § 5 Wohnungsbin-dungsgesetz (WoBinG) nachgewiesen hat,dass [er] die Einkommensvoraussetzungen fürden Bezug einer mit öffentlichen Mitteln geför-derten Sozialwohnung erfüllt hat. Alle dreiJahre müssen die Einkommensvorausset-zungen durch die aktuelle Bescheinigungerneut nachgewiesen werden; andernfalls sollwieder die aufgrund der öffentlichen För-derung mietpreisrechtliche Miete verlangtwerden. (...)

Demnach ergibt sich nunmehr die folgendeÄnderung für Ihre Mietzahlungen:

Nettokaltmiete: 3,63 Euro/qm x 122,10 m2 =443,22 Euro (...)

Der vorgenannte Betrag ist erst nach Vorlagedes Wohnungsberechtigungsscheins durchden Mieter monatlich zu zahlen.“

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Die Mieter hatten bei Abschluss des Miet-vertrags im April 2004 einen Wohnberech-tigungsschein vorgelegt. Die in der Anlage inBezug genommene „maßgebliche Durch-schnittsmiete im sozialen Wohnungsbau“erhöhte sich ab dem 1. Januar 2005 von 3,63 Euro/qm auf 4,00 Euro/qm. Mit einemnicht näher datierten Schreiben vom Dezember2004 teilte die Vermieterin den Mietern mit,dass ab dem 1. Januar 2005 die maßgeblicheDurchschnittsmiete im sozialen Wohnungsbauauf 4,00 Euro/qm stiege und die von ihnen zuzahlende Nettomiete nunmehr 484,74 Eurobetrage. Die Mieter zahlten in der Zeit vonJanuar 2005 bis August 2005 die mit diesemSchreiben geforderte Miete. Mit Schreibenvom 17. Juni 2005 übermittelte die Vermie-terin ein Mieterhöhungsverlangen, indem siedie Mieter zur Zustimmung der Erhöhung dermonatlichen Nettokaltmiete von 484,74 Euroum 96,95 Euro auf 581,69 Euro aufforderte.Die Mieter wiesen das Erhöhungsverlangenzurück.

Mit der Klage verlangte die Vermieterin dieZustimmung der Mieter zur Erhöhung derMiete nach Maßgabe des Schreibens vom 17. Juni 2005. Mit der zugleich erhobenenWiderklage verlangten die Mieter die Erstat-tung des in den Monaten Januar 2005 bisAugust 2005 gezahlten Erhöhungsbetrags.Das Amtsgericht hat die Klage wegen derfehlerhaft angegebenen Ausgangsmiete(484,74 Euro anstelle von 443,22 Euro)abgewiesen.

Die Vermieterin hatte die Ansicht vertreten,dass im Anschluss an die Erhöhung der maß-geblichen Durchschnittsmiete für den sozialenWohnungsbau die Voraussetzungen für dieReduzierung der Miete (nach Maßgabe dervon beiden Seiten unterzeichneten Anlagezum Mietvertrag) nicht mehr vorlägen und sieauf diese Weise die ursprünglich vereinbarte(§ 2 des Mietvertrags) Ausgangsmiete ver-langen könne.

Das Amtsgericht schloss sich diesen Über-legungen nicht an und führte in seiner Urteils-begründung aus, dass aufgrund der Anlagezum Mietvertrag eine verbindliche Ausgangs-miete in Höhe von 443,22 Euro vereinbartworden sei. Diese frei vereinbarte Miete könnedaher nur im Rahmen der Vorschriften der §§ 558 ff BGB erhöht werden. Einen Auto-matismus, nach dem bei Wegfall der Voraus-setzungen die ursprünglich vereinbarte Miete

zu zahlen sei, gebe es nicht. Wenn und soweitaufgrund der Vereinbarung eine höhere als dieursprünglich genannte Miete gefordert wer-den durfte, hätte es eines ausreichendbegründeten Mieterhöhungsverlangens durchdie Vermieterin bedurft. Das Schreiben vomDezember 2004 erfülle diese Anforderungennicht, da dort nicht die Zustimmung desMieters verlangt wurde, sondern lediglich einfeststehendes Ergebnis mitgeteilt wurde.

Das Amtsgericht schloss sich auch nicht derAnsicht der Vermieterin an, nach der dieZahlung der erhöhten Miete für den Zeitraumvon Januar 2005 bis August 2005 zu einerAbänderung der Miete geführt habe. Insoweitwies das Amtsgericht darauf hin, dass es –wegen des nicht genannten Zustimmungser-fordernisses – an einem entsprechenden Er-klärungsbewusstsein der Mieter gefehlt habe.Diese hätten – dem Inhalt des Schreibensfolgend – annehmen müssen, dass die dortgenannte höhere Miete ohne weiteres Zutunund damit auch ohne Zustimmung geschuldetsei.

Da die Mieter somit im Juni 2005 lediglich dieursprünglich im Mietvertrag vereinbarte Mietein Höhe von 443,22 Euro geschuldet hätten,enthalte das Mieterhöhungsverlangen eineunrichtige Ausgangsmiete. Diese unrichtigeAusgangsmiete führe zur Unwirksamkeit desErhöhungsverlangens insgesamt, weil eineausreichende Begründung nicht mehr vorliege.(Anmerkung: Üblicherweise wird davonausgegangen, dass das Erhöhungsverlangenin diesen Fällen mehrdeutig ist und eineZustimmung zu einem mehrdeutigen Angebotnicht verlangt werden kann.)

Da wegen der formellen Unwirksamkeit desMieterhöhungsverlangens eine Zustimmungder Mieter nicht geschuldet war, wurde dieKlage abgewiesen. Zugleich wurde die Ver-mieterin verurteilt, die zu Unrecht in demZeitraum von Januar 2005 bis August 2005gezahlten Erhöhungsbeträge (aufgrund desSchreibens vom Dezember 2004) zu erstatten.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Henrik Solf

R E C H T U N D R E C H T S P R E C H U N G

Anforderungen an eine Mieterhöhung

Hat der Mieter selbst eine Gasetagenheizung in die Wohnung eingebaut und werden späterdie vorhandenen Rohre und Heizkörper an eine vom Vermieter gestellte Zentralheizungangeschlossen, handelt es sich nicht um eine vermieterseits eingebaute Heizung im Sinne desBerliner Mietspiegels. Die Angabe eines falschen Mietspiegelfelds führt zur formellen Unwirksamkeit desMieterhöhungsverlangens mit der Folge, dass der Mieter nicht zur Zustimmung verpflichtetist. AG Schöneberg, Urteil vom 04.08.2006– 19 C 483/05 –

Die Parteien stritten im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit um eine Mieterhöhung zurAnpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete um die Frage, wem die in der Wohnungvorhandene Sammelheizung zuzurechnen war. Der Mieter hatte vor ca. 20 Jahren eineGasetagenheizung eingebaut, der Vermieter hatte die vorhandenen Rohre und Heizkörperspäter an eine Zentralheizung angeschlossen.

Das Gericht ging davon aus, dass eine vermieterseits eingebaute Heizung im Sinne desBerliner Mietspiegels nicht vorliege, da wesentliche Teile (Heizkörper und Rohre) vom Mieterselbst eingebaut wurden. Aus diesem Grund war nach Ansicht des Amtsgerichts ein anderesals das im Mieterhöhungsverlangen angegebene Mietspiegelfeld einschlägig. Wegen derfehlerhaften Angabe des Mietspiegelfelds gelangte das Amtsgericht anschließend zu demErgebnis, dass die Mieterhöhung nicht ausreichend begründet war und aus diesem Grundeine Verpflichtung zur Zustimmung des Mieters nicht bestand. Die auf Zustimmunggerichtete Klage des Vermieters wurde abgewiesen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Wilhelm Lodde

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S E R V I C ET E L E F O N B E R AT U N GTelefonische Kurzberatung für Mitglieder der Berliner MieterGemein-schaft ist nur bei allgemeinen und einfachen rechtlichen Fragen möglich.

Bitte nennen Sie zu Beginn des Anrufs IhreMitgliedsnummer (Sie finden diese im Adressfeld IhresMieterEchos) und Ihren Namen. Fassen Sie sich bitte im Interesse weiterer ratsuchender Mitgliederkurz. Es kann hilfreich sein, wenn Sie sich vor dem Anruf Ihre Fragenotieren. Beachten Sie bitte, dass in den meisten mietrechtlichen Angelegen-heiten ein Beratungsgespräch und die Einsichtnahme in den Mietvertragsowie in weitere Unterlagen zwingend notwendig sind. Seien Sie bittenicht enttäuscht, wenn die Telefonberatung Sie in diesem Fall an unsereBeratungsstellen verweist. Es werden Ihnen dann gezielte Hinweisedafür gegeben, welche Unterlagen Sie in die Beratungstellen mit-bringen müssen.Die telefonische Kurzberatung kann man über die Telefonnummern 21 00 25 71 und 21 00 25 72zu folgenden Zeiten in Anspruch nehmen:Dienstag 15 bis 17 UhrDonnerstag 15 bis 17 UhrFreitag 14 bis 16 Uhr

V O R - O R T- B Ü R O sHier finden Sie Informationen, Tipps, Kontakte und haben die Möglichkeit der Berliner MieterGemeinschaftbeizutreten. Die Termine für die Rechtsberatung entnehmen Sie bitteder hinteren Umschlagseite.

HellersdorfJeden Mittwoch, 18 bis 19 Uhr, Albert-Kuntz-Straße 58 MITTENDRIN in Hellersdorf e. V., �G Louis-Lewin-Straße � 195

LichtenbergJeden 1. Donnerstag im Monat, 16 bis 18 Uhr Landsberger Allee 130, Sozio-Kulturelles Zentrum; Landsberger Allee, �7 5, 6, 7, 8, 15, 27� 156, 348

SOZIALBERATUNGInformationsabende mit Juristen und Sozialarbeitern zusozialrechtlichen Problemen (Wohngeld, Mietschulden, Umgang mitÄmtern und Behörden etc.)

Jeden Dienstag um 19 UhrGeschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaftMöckernstraße 92, 10963 Berlin

Hier wird außerdem Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen aufALG II, Wohngeld, Beratungs- oder Prozesskostenhilfe geleistet.

Die Informationsabende sind auch für Nicht-Mitglieder offen.

Informationen telefonisch unter 21 00 25 84

BETRIEBSKOSTENÜBERPRÜFUNGIn der Beratungsstelle Oderberger Straße führt eine zusätzliche Beraterin ausschließlich Überprüfungen von Betriebskostenabrechnungen sowie spezielle Beratungen zu Betriebskosten durch.

Jeden Montag von 19 bis 20 UhrPrenzlauer Berg, Oderberger Straße 50, Kiez-Kantine

G Eberswalder Straße, �7 13, 20, 50, 53

(Beratung zu Betriebskosten erhalten Mitglieder der BerlinerMieterGemeinschaft grundsätzlich in allen Beratungsstellen.)

A R B E I T S G R U P P E N Arbeitsgruppe Sozialpolitik (Sozial AG) Informationen unter Tel. 21 00 25 84oder www.bmgev.de/verein/arbeitsgruppen.html

Arbeitsgruppe Umwandlung Informationen unter Tel. 21 00 25 84oder E-Mail [email protected]

Arbeitsgruppe BetriebskostenTermine für das nächste Treffen bitte erfragen unter Tel. 21 00 25 84

Anti-Scientology-Initiative Unsere Seite im Internet finden Sie unter www.mieter-gegen-scientology.de

W E N N E S G A R N I C H T A N D E R S G E H T …Für Mitglieder, die in dringenden Fristsachen mietrechtliche Beratungbenötigen, aber aus beruflichen Gründen daran gehindert sind, eineBeratungsstelle zu den Beratungszeiten aufzusuchen und sich auchnicht kurzfristig durch eine Person ihres Vertrauens vertreten lassenkönnen, stehen wir nach telefonischer Anmeldung (216 80 01)dienstags zwischen 11 und 13 Uhr für eine Beratung zur Verfügung.Die Anmeldung muss bis einschließlich Freitag der vorherigen Wocheerfolgt sein.

HAUSVERSAMMLUNGEN

Von Verkauf, Sanierung oder Umwandlung sind oft mehrereMietparteien eines Hauses, wenn nicht sogar die gesamteMieterschaft betroffen.

Wenn sich die Mieter/innen zusammentun, können sie sich besserwehren und ihre Interessen gegenüber dem Vermieter durchsetzen.

Deshalb empfiehlt die Berliner MieterGemeinschaft, dass dieMieter/innen Hausversammlungen durchführen, um sichauszutauschen, zu informieren und um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

Wenn mindestens ein/e Mieter/in des Hauses Mitglied ist, kann die Berliner MieterGemeinschaft diese Hausversammlungen mitInformationen und Ratschlägen unterstützen.

Informationen und Kontakt telefonisch unter 21 00 25 84

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Charlottenburg� Montag 18.30 bis 19.30 Uhr

Sophie-Charlotten-Straße 113(Max-Bürger-Zentrum), letzter Querwegrechts, Haus 2, Eingang rechts, 2. OGABW e. V./Frauenladen und Sprachschule; Westend, � 309, 145

Friedrichshainzusammen mit der „UBI Mieterladen“

� Montag 18 bis 20 Uhr Kreutzigerstraße 23, im Mieterladen, �G Samariterstraße, �7 21

� Donnerstag 19 bis 20 UhrKreutzigerstraße 23, im Mieterladen, �G Samariterstraße, �7 21

Hellersdorf� Mittwoch 18 bis 20 Uhr

jeden 2. und 4. Mittwoch im MonatGeänderte Beratungszeit ab Juli 2007:18.30 bis 19.30 UhrAlbert-Kuntz-Straße 58MITTENDRIN in Hellersdorf e.V., �G Louis-Lewin-Straße, � 195

Hohenschönhausen� Dienstag 17.30 bis 18.30 Uhr

Hauptstraße 13 bei der Arbeiterwohlfahrt, �7 M 5, 27 , � 256

Köpenick� Montag 17 bis 19 Uhr

Wilhelminenhofstraße 42, im BIZO; Schöneweide weiter mit �7 63 oder 67

� Mittwoch 16 bis 17 Uhrjeden 2. und 4. Mittwoch im MonatFürstenwalder Damm 474Seniorenfreizeitstätte „Vital“; Friedrichshagen, �7 60, 61

� Donnerstag 18.30 bis 20 Uhrjeden 1. und 3. Donnerstag im MonatPuchanstraße 9, im Rabenhaus, �; Köpenick, � X 69, 269, 164�7 60, 61, 62, 63, 68

Kreuzberg� Montag 19 bis 20 Uhr

Bergmannstraße 14Stadtteilausschuss Kreuzberg e.V. G Gneisenaustraße, Mehringdamm

� Mittwoch 16 bis 17.30 UhrMöckernstraße 92, Ecke YorckstraßeG Möckernbrücke, MehringdammYorckstraße, ; Yorckstraße, � M 19tercüman bulunmaktadır

� Donnerstag 18.15 bis 19 UhrMehringdamm 114im Elternzentrum, Raum 403a, 2. StockG Platz der LuftbrückeAchtung, ab 01.07.2007 in der Geschäftsstelle nachfragen.

� Freitag 18 bis 19 UhrAdalbertstraße 95 AGartenhaus bei KOTTI e.V.G Kottbusser Tor, � M 29, 140Türk avukatımızada danı sabilirsiniz

UnsereBeratungsstellen

Die Angaben gelten für das laufende Quartal und in der Regel auch darüber hinaus. Dennochkönnen mitunter Änderungen auftreten. Rufen Sie im Zweifelsfall vor dem Aufsuchen einerBeratungsstelle unsere Geschäftsstelle unter 216 80 01 an.

Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihrenMitgliedern derzeit Mietrechtsberatung inden hier aufgeführten Beratungsstellen,von denen sind die rollstuhlgeeignetendurch � gekennzeichnet.

In allen Beratungsstellen werden Sie alsMitglied von auf Mietrecht spezialisiertenRechtsanwältinnen und Rechtsanwältenberaten. Bringen Sie das aktuelle MieterEcho aufIhren Namen oder einen Beitragsnachweismit!

Achtung! In unserer Geschäftsstelleund in den Vor-Ort-Büros finden nurwährend der BeratungszeitenRechtsberatungen statt.

Lichtenberg� Montag 17.30 bis 18.30 Uhr

jeden 1. und 3. Montag im MonatHönower Straße 30a, im Seniorenklub; Karlshorst, G Tierpark, �7 M 17, 27

� Dienstag 17 bis 18.30 UhrFrankfurter Allee 149, 1. Stockin der BibliothekG und ; Frankfurter Allee

� Mittwoch 17.30 bis 18.30 Uhrjeden 2. und 4. Mittwoch im MonatAnton-Saefkow-Platz 14, 1. EtageAnton-Saefkow-Bibliothek, �; Storkower Straße�7 M 5, M 6, M 8, M 13, 16

� Donnerstag 18.30 bis 20 Uhrjeden 2. und 4. Donnerstag im MonatEinbecker Straße 23, Hochparterrein der Geschäftsstelle der VolkssolidaritätG und ; Lichtenberg

Marzahn� Montag 18 bis 19.30 Uhr

Alt-Marzahn 35, Lebensnähe e.V. in der Kontakt- und Begegnungsstätte; Marzahn, �7 M 8, 18, � 192, 195

� Dienstag 18 bis 19.30 Uhrjeden 1. und 3. Dienstag im MonatRosenbecker Straße 25„Kiek in e.V.“, im Nachbarschaftshaus, �; Ahrensfelde

� Dienstag 18 bis 19.30 Uhrjeden 2. und 4. Dienstag im MonatAllee der Kosmonauten 67-69 (Eckladen)Parabel Tagesstätte des Vereins„Lebensnähe Marzahn e.V.“, �; Springpfuhl, �7 M 8, 18, � 194

Mitte� Mittwoch 19 bis 20 Uhr

Tucholskystraße 32, Ecke AuguststraßeComic-Bibliothek „Bei Renate“; Oranienburger Straße, Hackescher MarktG Oranienburger Tor, Weinmeisterstraße�7 M 1, M 6, � 240

Neukölln� Montag 19 bis 20 Uhr

jeden 2. und 4. Montag im MonatFritz-Reuter-Allee 46Seniorenfreizeitstätte Bruno TautG Blaschkoallee, Parchimer Allee� M 46, 171

� Dienstag 18.15 bis 19.15 UhrHobrechtstr. 55, Zugang über Spielplatz im Nachbarschaftsladen „elele“G Hermannplatz� M 29, M 41, 171, 194

� Mittwoch 18 bis 19.30 UhrFuldastraße 48-51, in der Martin-Luther-Kirche, EG linksG Rathaus Neukölln

Pankow� Dienstag 18 bis 20 Uhr

jeden 1. und 3. Dienstag im MonatElsa-Brändström-Straße 6, HausclubG Vinetastraße, �7 M 1, 50, � 250

Prenzlauer Berg� Montag 18 bis 19.30 Uhr

Templiner Straße 17, im Laden der Betroffenenvertretung „BV Teute“G Senefelder Platz, Rosenthaler Platz�7 M 1, M 8, 12, � 240

� Montag 19 bis 20 UhrOderberger Straße 50, Kiez-KantineG Eberswalder Straße, �7 M 1, M 10, 12

� Dienstag 19.30 bis 20.30 UhrKäthe-Niederkirchner-Straße 12Kiezladen der BetroffenenvertretungBötzow-Viertel, ��7 M 4, M 10, � 200

� Mittwoch 18.30 bis 19.30 UhrWichertstraße 20im Kieztreff der VolkssolidaritätG und ; Schönhauser Allee, �7 12

� Donnerstag 18.30 bis 20 UhrChristburger Str. 38im „Baobab“ zus. mit dem Bürgerverein „Rund um die Rykestraße“, ��7 M 2, M 4, M 10

Reinickendorf� Dienstag 19.30 bis 20.30 Uhr

jeden 2. und 4. Dienstag im MonatAlt-Tegel 43, Seniorenfreizeitstätterechter Clubraum, �; Tegel, G Alt-Tegel

Schöneberg� Dienstag 18.30 bis 19.30 Uhr

Cranachstraße 7, in der Sozialstation, �; Friedenau, � 387, 187

� Dienstag 19 bis 20 UhrNollendorfstraße 38im Mieterladen „NOLLZIE“G Nollendorfplatz

� Donnerstag 19 bis 20 UhrNollendorfstraße 38im Mieterladen „NOLLZIE“G Nollendorfplatz

Spandau� Mittwoch 19 bis 20 Uhr

jeden 1. und 3. Mittwoch im MonatMauerstraße 6, im Kulturhaus SpandauG und ; Spandau

Steglitz� Montag 18.30 bis 19.30 Uhr

Osdorfer Straße 121bei der Arbeiterwohlfahrt ; Osdorfer Str., � 112, 186

� Mittwoch 19 bis 20 UhrHolsteinische Straße 38im Büro Bündnis 90/ Die Grünen(Tiefparterre links, bitte klingeln)G Walther-Schreiber-Platz ; Feuerbachstraße, � M 76, 148, 186

Tempelhof� Montag 18.30 bis 19.30 Uhr

Kaiserin-Augusta-Straße 23, in der Kirchen-gemeinde Alt-Tempelhof, BücherstubeG Kaiserin-Augusta-Straße� 170, 184, 284

Tiergarten� Donnerstag 18 bis 19 Uhr

Stephanstraße 26, im Laden der Betroffenenvertretung StephankiezG Birkenstraße, ; Westhafen� M 27, 123, 342

Treptow� Mittwoch 18 bis 19 Uhr

Dörpfeldstraße 54, Jugendhilfe Treptow-Köln e. V., in der Alten Schule; Adlershof, �7 60, 61

Wedding� Donnerstag 18 bis 19.30 Uhr

Malplaquetstraße 32, im Treffpunkt M 32Eingang TageszentrumG Seestraße, Leopoldplatz, Nauener Platz�7 M 13, 50

Weißensee� Dienstag 18 bis 19.30 Uhr

jeden 1. und 3. Dienstag im MonatBizetstraße 75, Ecke Herbert-Baum-Straße in der Berliner Stadtmission, ��7 M 4, M 13, 12, � 255

Wilmersdorf� Montag 18.30 bis 19.30 Uhr

Wilhelmsaue 120 Vorderhaus, Hochparterre links, Martin-Luther-Saal (bitte unten klingeln)G Blissestraße, � 101, 104, 249

Zehlendorf� Mittwoch 18 bis 19 Uhr

Kirchstraße 1/3Rathaus Zehlendorf, Sitzungsraum C 21; Zehlendorf� 101, 112, 115, 148, 285, 623, X 10

Adresskorrektur über ADRESSUPDATE

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