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A TALE OF TWO VALLEYS ZWEI ALPENTÄLER - ZWEI GESCHICHTEN ZEITGESCHICHTE UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN BAND 1 VON 2 ERGEBNISSE QUALITATIVER INTERVIEWS MIT ORAL-HISTORY-SCHWERPUNKT ZIELVEREINBARUNGEN 14, 28 UND 35 FÜR DEN 2. ZWISCHENBERICHT ANNA KIRCHENGAST GRAZ, IM JULI 2007

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A TALE OF TWO VALLEYS ZWEI ALPENTÄLER - ZWEI GESCHICHTEN ZEITGESCHICHTE UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN

BAND 1 VON 2 ERGEBNISSE QUALITATIVER INTERVIEWS MIT ORAL-HISTORY-SCHWERPUNKT ZIELVEREINBARUNGEN 14, 28 UND 35

FÜR DEN 2. ZWISCHENBERICHT

ANNA KIRCHENGAST

GRAZ, IM JULI 2007

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse i

INHALTSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS....................................................................................................................III

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.............................................................................................................III

VORWORT...............................................................................................................................................IV

1 EINLEITUNG UND FORSCHUNGSZIELE....................................................................................1

Stichworte zur Geschichte von Rauris und Flattach...............................................................................3

2 METHODEN.......................................................................................................................................7

Qualitative und Quantitative Methoden..................................................................................................7 2.1 Leitfaden........................................................................................................................................9 Interviewte und Befragungssituation ....................................................................................................11 Auswertungsmethoden - Kategorien.....................................................................................................13

3 ERGEBNISSE EINZELNER INTERVIEWS .................................................................................17

3.1 Flattach ........................................................................................................................................17 3.1.1 14jährige Flattacher Hauptschülerin .................................................................................17 3.1.2 16jährige Flattacherin (Lehrling) ......................................................................................17 3.1.3 35jährige Flattacher Gewerbetreibende ............................................................................18 3.1.4 Flattacher Unternehmerpaar (beide 40) ............................................................................19 3.1.5 45jährige Flattacher Kassierin...........................................................................................21 3.1.6 70jährige Flattacher Wirtin................................................................................................22 3.1.7 85jährige Flattacher Bäuerin .............................................................................................24 3.1.8 14jähriger Flattacher Hauptschüler ...................................................................................25 3.1.9 18jähriger Flattacher (Lehrling) ........................................................................................26 3.1.10 45jähriger Flattacher Gewerbetreibender..........................................................................26 3.1.11 75jähriger Flattacher Kraftwerksbauer..............................................................................28 3.1.12 80jähriger Flattacher Hotelier............................................................................................29

3.2 Rauris...........................................................................................................................................31 3.2.1 14jährige Rauriser Hauptschülerin....................................................................................31 3.2.2 25jährige Rauriser Hotelkauffrau......................................................................................31 3.2.3 35jährige Rauriser Pädagogin............................................................................................33 3.2.4 65jährige Rauriser Wirtin ..................................................................................................38 3.2.5 Rauriser Bauernpaar (beide 80).........................................................................................41 3.2.6 85jährige Rauriser Bäuerin................................................................................................43 3.2.7 15jähriger Rauriser Hauptschüler......................................................................................45 3.2.8 30jähriger Rauriser Handwerker .......................................................................................46 3.2.9 60jähriger Rauriser Lehrer.................................................................................................48

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse ii

3.2.10 70jähriger Rauriser Lokalpolitiker ...................................................................................51 3.2.11 90jähriger Rauriser Bauer..................................................................................................52

4 THEMENSPEZIFISCHE ERGEBNISSE........................................................................................55

4.1 Sozialisation ................................................................................................................................55 4.1.1 Kindheitserinnerungen.......................................................................................................55 4.1.2 Erste Eindrücke vom Tal ...................................................................................................56 4.1.3 Feste, Brauchtum, Vereine ................................................................................................56 4.1.4 Lieblingsplatz im Tal.........................................................................................................57 4.1.5 Beteiligung am öffentlichen Leben im Tal .......................................................................57 4.1.6 Kurzcharakterisierung des Tales .......................................................................................57

4.2 Einschätzung der derzeitigen Lage im Tal .................................................................................57 4.2.1 Positiv im Tal.....................................................................................................................57 4.2.2 Negativ im Tal ...................................................................................................................58

4.3 Bildung und Wirtschaft ...............................................................................................................59 4.3.1 Berufswahl/ Schulwahl......................................................................................................59 4.3.2 Wirtschaft im Tal und Pendeln..........................................................................................61

4.4 Zukunftsfragen ............................................................................................................................63 4.4.1 Persönliche Zukunft...........................................................................................................63 4.4.2 Zukunft des Tales...............................................................................................................63

4.5 Klimawandel ...............................................................................................................................65 4.5.1 Wetterextreme....................................................................................................................65 4.5.2 Klimawandel......................................................................................................................68

4.6 Nationalpark und Gletscherskigebiet..........................................................................................71 4.7 Bezug zum anderen Tal...............................................................................................................73

5 QUERVERGLEICHE.......................................................................................................................74

5.1 Tälervergleich Rauris – Flattach.................................................................................................74 5.2 Gendervergleich ..........................................................................................................................76

5.2.1 Beruf und Familie ..............................................................................................................76 5.3 Altersvergleich ............................................................................................................................83

6 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ..................................................................................85

7 BIBLIOGRAPHIE ............................................................................................................................88

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse iii

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Eckdaten der qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt 2 Tabelle 2 Befragte Personen 13 Tabelle 3 Kategorien der qualitativen Interviews mit OH-Schwerpunkt 15 Tabelle 4 Klimaschutzverhalten von Jugendlichen – Pretestergebnis für Jugendumfrage 71

Abkürzungsverzeichnis

Alter Befragte bis inkl. 45 Jahre werden häufig als „jüngere Befragte“ bezeichnet, jene über 45

Jahre als „ältere Befragte“. F Flattach I Interviewerin IP Interviewte Person KELAG Der KELAG-Konzern besteht heute aus der KELAG-Kärntner Elektrizitäts-

Aktiengesellschaft und einer Reihe von Tochterunternehmen und Beteiligungen. Kärntner Elektrizititäs-Aktiengesellschaft

OH Oral History R Rauris (...) Im Zitat ausgelassene Textpassage (?) Das Wort vor (?) wurde bei der Transkription des Interviews nicht eindeutig verstanden.

Bsp. Schirber (?) Toni

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse iv

Vorwort

Der vorliegende Bericht wurde im Rahmen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ verfasst, das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMWF) im Rahmen der Programmreihe „proVision“ durchgeführt und finanziert wurde. Vor allem danke ich jenen 25 RauriserInnen und FlattacherInnen, die mir in zum Teil bis zu 90minütigen Interviews Rede und Antwort standen. Frau Katharina Klingler (Gemeinde Rauris) und Frau Mag.a Elisabeth Schurian danke ich für ihre organisatorische Unterstützung in den Tälern. Herzlich danke ich zwei MitarbeiterInnen des Oral-History-Archivs am Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz (OHA-WISOG Graz) für ihre Kooperation: Herr a.o. Univ.-Prof. Dr. Peter Teibenbacher gab mir wertvolle fachliche Anregungen, Frau Sabine List transkribierte einen Großteil der Interviews gewissenhaft und rasch. Die Archivierung im Oral-History-Archiv ist ein zusätzlicher Gewinn für das Projekt „A Tale of Two Valleys“, weil so sichergestellt ist, dass die hier ausgewerteten qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt auch zukünftigen zeitgeschichtlichen Forschungen dienen werden. Auch Frau Karin Detter danke ich für die Transkription einiger Interviews. Und, last but not least, danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen im Projektteam von der Zentralanstalt für Meteorologie, Wien, und den Instituten für Digitale Bildverarbeitung sowie Technologie- und Regionalpolitik des Joanneum Research GmbH, Graz, unter der kompetenten Leitung von Frau Dr. Ingeborg Auer. Aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen kommend (Meteorologie und Klimaforschung, Volkswirtschaft, Geologie) lernte ich durch sie interdisziplinäre und genderspezifische Zugangs- und Denkweisen zu den Themen dieses Berichtes näher kennen. Ziel des vorliegenden Berichtes war es auch, im Rahmen dieser sozialwissenschaftlichen Befragung ergänzende Daten für die anderen beteiligten Forschungsdisziplinen zu gewinnen (z.B. Ergänzung der Unwetterchronik). Das fachlich sehr wertvolle Feedback, die Gespräche mit meinen TeamkollegInnen, die Workshops und gemeinsamen Erkundungen in den Tälern (und auf dem Gipfel dazwischen, den Hohen Sonnblick) motivierten mich für meine Arbeit. Graz, im Juli 2007 Anna Kirchengast

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 1

1 Einleitung und Forschungsziele

Im Projekt „A Tale of Two Valleys“ untersucht ein interdisziplinäres Forschungsteam die wirtschaftliche, soziale und klimatologische Entwicklung in zwei benachbarten Alpentälern, dem Mölltal in Kärnten (Gemeinde Flattach) und dem Rauriser Tal in Salzburg (Gemeinde Rauris)1. Genderaspekte und Landnutzungsfragen sind besondere Schwerpunkte dieses Projektes. Forscher und Forscherinnen der Zentralanstalt für Meteorologie (Wien) und der Institute für Digitale Bildverarbeitung sowie Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research GmbH (Graz) aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen (Meteorologie und Klimaforschung, Volkswirtschaft, Soziologie, Geologie) arbeiten zusammen. Damit Forschung nicht nur über, sondern auch mit und für eine Region geschieht, bindet das Projekt transdisziplinär Bewohnerinnen und Bewohner, lokale Organisationen und Schulen (Forschungs-Bildungs-Kooperation) in den Forschungsprozess ein (siehe http://www.zamg.ac.at/a-tale-of-two-valleys/).

Der vorliegende Band 1 des Berichtes stellt Ergebnisse der im Rahmen dieses Projektes durchgeführten qualitativen Interviews vor. Band 2 des Berichtes stellt eine ausführliche Zitatensammlung dieser Interviews dar. Der vorliegende Band 25 Frauen und Männern aus Rauris und Flattach wurden anhand eines Leitfadens (siehe Kap. 2.1) zur sozialen, wirtschaftlichen und klimatologischen Entwicklung und zu ihren Einstellungen zu Genderrollen und Klimawandel befragt. Im chronologischen Ablauf haben die Interviews folgende Schwerpunkte (siehe auch Tabelle 1):

(1) Vergangenheit: Erinnerungen und rückblickende Einschätzung der Befragten zur persönlichen Vergangenheit und der des Tales. Wie entwickelten sich Genderrollen im Tal? Welche Wetterextreme und Unwetter erlebten die Befragten, an welche können sie sich noch (wie) erinnern? (Oral History).

(2) Gegenwart: Einschätzung der gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Tales, derzeitige Einstellungen der Befragten zu Genderrollen und zum Risiko von Wetterextremen.

(3) Zukunft: Welche sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen erwarten oder wünschen die Befragten in ihrem Tal? Welche persönlichen Zukunftsvorstellungen haben sie, wollen sie weiter im Tal leben oder nicht? Glauben sie, dass im Tal bereits Anzeichen eines Klimawandels beobachtbar sind, dass er sich in Zukunft stärker auf das Tal auswirken wird? Welche Genderrollen wollen sie selbst in Zukunft einnehmen?

1 Mit dem Begriff der „Zwei Täler“ sind die beiden Gemeinden Rauris und Flattach gemeint: (1) das Salzburger Rauriser Tal mit seinen Seitentälern, sowie (2) der im Bundesland Kärnten liegende Abschnitt des Mölltals mit seinen Seitentälern, die zur Gemeinde Flattach gehören. Wenn im folgenden Text also von „Tal“ die Rede ist, ist dies im Sinn dieser Talbegriffe gemeint.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 2

Tabelle 1 Eckdaten der qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt Befragungsthemen: Sozialisation im Ort, Erinnerung an besonders schöne und schwierige persönliche Kindheits- und

Jugenderlebnisse Wendepunkte und markante Ereignisse (Wetterextreme, Krisen, Aufschwünge) Praktische Risikobewältigung Wahrnehmung und Einstellungen gegenüber Langfristtrends, insbesondere Einschätzung der

wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Tales von der Vergangenheit zur Gegenwart, Zukunftsszenarien für das Tal

Klimawandel Umgang mit Unsicherheiten Genderrollen

Befragungszeitraum: 6.-9.7.2006 (Rauris), 27.-29.8.2006 (Flattach) Befragte Personen: 25, davon 12 in Rauris und 13 in Flattach zwischen 14 und 90 Jahren (13 Frauen, 12 Männer)

Interviewdauer: 20 bis 90 Minuten Befragungsart: Offene qualitative Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt anhand eines Leitfadens Analyseschwerpunkte: Gendervergleich (Männer – Frauen) Tälervergleich (Rauris – Flattach) Altersvergleich (Jugendliche bis sehr alte BewohnerInnen) Zeitvergleich (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft) Der Bereich „Sozialforschung“ verfolgt dabei vier Hauptziele:

1) Mit Leben füllen

Der Bereich „Sozialforschung“ beschäftigt sich vor allem mit der subjektiven Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner beider Täler. Besonders für die Erarbeitung möglicher Zukunftsszenarien für die Region ist es von großer Bedeutung zu wissen, was für die BewohnerInnen selbst derzeit Thema ist, welche Probleme und Chancen sie selbst sehen. So gelingt es, die Zusammenhänge der aus anderen Quellen erhobenen Daten betreffend Klima, Landnutzung, Soziales und Wirtschaft zu beleuchten.

2) Primäre Datenerhebung

Viel Wissen ist aus anderen Quellen gar nicht verfügbar und wird in den Befragungen erst primär erhoben: Oral History als „Geschichte von unten“ (vgl. Wierling 2003), die Einstellungen zum Klimawandel, zu Genderfragen und zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Täler. Die in diesem Bericht ausgewerteten qualitativen Interviews sind zum Teil „Erinnerungsinterviews“ und haben diesen Oral-History-Ansatz als Schwerpunkt, allerdings werden in den Interviews auch Zukunftsperspektiven für die Täler und Einstellungen zu bestimmten Themen (Klimawandel, Gender) erhoben.

3) Interdisziplinarität

Die qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt verwenden typisch sozialwissenschaftliche Methoden (siehe Kap. 2). Die Antworten der Befragten werden aber nicht nur auf ihre Relevanz hinsichtlich sozialwissenschaftlicher Fragestellungen und Theorien ausgewertet. Vielmehr werden mittels „Triangulation“ (vgl. Mayring 2002: 147f) die Antworten der Befragten mit Berichten, Daten und Theorien anderer am Projekt beteiligter

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 3

Forschungsdisziplinen interdisziplinär verknüpft. Das ermöglicht interdisziplinären Erkenntnisgewinn. Beispielsweise ergänzen die vorliegenden Interviewergebnisse das aus anderen statistischen Quellen verfügbare interdisziplinäre Datenmaterial über die beiden Gemeinden (vgl. Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007, Granica/ Proske 2007, Auer et al. 2007).

4) Aktivierung und partizipativer Ansatz

Die Leitfragen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ sollen nicht nur „von außen“, also von den im Projekt mitarbeitenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern beantwortet werden. Teile der Sozialforschung, und hier vor allem die in diesem Bericht ausgewerteten qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt, wurden explorativ und partizipativ durchgeführt. Die Interviews wurden anhand eines sehr grob strukturierten Leitfadens durchgeführt. Gewünscht war, dass die Befragten von sich aus sagen, welche Themen für sie (rückblickend gesehen) in der Vergangenheit des Tales besonders wichtig waren und welche Zukunftsthemen für sie, auch ohne Stichwortvorgabe durch die Interviewerin, besonders wichtig sind.

Durch die Konfrontation mit diesen Themen in den qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt, aber auch in den anderen Interviews, die im Rahmen von „A Tale of Two Valleys“ durchgeführt wurden oder werden die Befragten angeregt, sich auch weiterhin mit den angesprochenen Themen zu beschäftigen und sich zu engagieren (aktivierende Sozialforschung, vgl. z.B. Lüttringhaus/ Richers 2003, Kardorff 2005, Stark 1996).

In der Sozial- und Geschichtsforschung gab es eine Reihe von Studien, die anhand qualitativer zeitgeschichtlicher Interviews einzelne Regionen untersuchten oder mehrere verglichen. Eine der frühesten und bekanntesten ist jene von Cole und Wolf (1995, Original 1974). Sie verglichen in zwei Südtiroler Dörfern deutsch- und italienischsprachige Familien. In Gemeindestudien, wie z.B. jener über ein Dorf aus der DDR-Grenze (Berdahl 1999) spielen – ähnlich wie in der vorliegenden Studie - Erfahrungen unterschiedlicher Gruppen eine große Rolle. In einer der wenigen für Österreich vorliegenden historischen Dorfstudien beschreibt Langthaler (1995), wie im Zweiten Weltkrieg Frauen anstelle der eingerückten Männer deren Arbeitsplätze übernahmen. Er zeigt, welche Risse dadurch in der verinnerlichten „Normalität“ von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ entstanden.

STICHWORTE ZUR GESCHICHTE VON RAURIS UND FLATTACH

Ab dem Kapitel 3 kommen Frauen und Männer aus Rauris und selbst zu Wort. Ihre persönlichen Geschichtserinnerungen, ihre Meinungen zur gegenwärtigen Situation und zur Zukunft ihres Tales stehen im Mittelpunkt der Auswertungen. Ausgangspunkt für die Befragung war das aus der Literatur bekannte Wissen über die historische Entwicklung und die gegenwärtige wirtschaftliche

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und soziale Situation dieser beiden Täler. In diesem Kapitel wird diese Entwicklung stichwortartig und mit Hinweisen auf entsprechende Literatur beschrieben.

Die beiden Gemeinden und ihre Täler blicken auf eine lange Geschichte zurück. Die Wege über den Rauriser Tauern (Hochtor) wurden schon sehr früh begangen, was u.a. ein Fund als der La-Téne-Zeit um 400 v. Chr. zeigt (Lahnsteiner 1960: 327). Der Name Rurese (Rauris) wurde 1122 erstmals urkundlich erwähnt (Kopp 2003:10, Lahnsteiner 1960: 328). Die Rauriser Geschichte bis zirka 1960 ist u.a. in Lahnsteiner (1960) beschrieben. Das vom Schuldirektor Siegmund Narhold und Dr. Wilhelm von Arlt 1937 gegründete Rauriser Heimatmuseum (Rauriser Talmuseum) hat ein reiches Archiv an Fotos und anderen historischen Quellen gesammelt (Kopp 2003). Typisches Brauchtum und Sagen aus Flattach und Rauris (z.B. die Rauriser Schnabelperchten, Trachten) werden in Lahnsteiner 1960, Kopp 2003, Demoser 2000 beschrieben bzw. im Rauriser Talmuseum gezeigt.

Das rund 30 Kilometer lange Raurisertal ist samt seinen Seitentälern 23,9 km² groß und hat heute rund 3100 EinwohnerInnen (Volkszählung 2001, in: Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007, Kap. 3.2.1).

Flattach wurde 1896 selbständige Gemeinde, zuvor gehörte es zur Großgemeinde Obervellach. Die Gemeinde ist heute 5,8 km² groß und hat rund 1370 EinwohnerInnen (Volkszählung 2001, in: Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007, Kap. 3.2.1.) Frühe ausführliche Beschreibungen des Kärntner Mölltals und seiner Seitentäler im 19. Jahrhundert stammen von L. F. Hohenauer, der Propst, Dechant und Stadtpfarrer zu Friesach war (Hohenauer 1835). Erhalten blieb auch eine Reihe von Reiseberichten von Naturforschern des 18. und 19. Jahrhunderts, wie z.B. jene von Joseph August Schultes, Belsazar Hacquet und Franz Xaver Freiherr von Wulfen (vgl. Granica/ Proske 2007, Demoser 2000).

Bergbau

Die Geschichte beider alpiner Gemeinden war über Jahrhunderte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vom Bergbau geprägt (vgl. Paar/ Höck 2006). So hatte Rauris in der Blütezeit des Goldbergbaus um 1500 n.Chr. ebenfalls über 3000 EinwohnerInnen, um 1900 hingegen weniger als 1700 (Lahnsteiner 1960: 302). Heute noch gut sichtbar sind die Reste der Seilbahn von 1832 im Gebiet Kolm (Lahnsteiner 1960:322, vgl. auch die historischen Fotos und die Beschreibung der Person Ignatz Rojachers in Kopp 2003: 65ff und 117f.). Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Rauris letztmalig Bemühungen zur Goldgewinnung wieder aufgenommen. In die Siglitz wurde zwischen 1940 und 1944 ein Stollen getrieben, in dem man Rauriser Golderze zur Aufbereitung ins Gasteiner Tal (Nassfeld) transportieren wollte. Dazu kam es laut Lahnsteiner (1960: 325) aber nicht mehr. Zwischen 1946 und 1952 benützte man den Stollen zur Beförderung von Ausflugsgästen, nach Lahnsteiner (1960: 325) wurde diese Bahn aber aus „Gasteiner Konkurrenzgründen“ eingestellt.

Flattach war im 18. Jahrhundert „ein unbedeutendes Kirchlein ohne eigenem Priester, denn die ganze Gemeinde war der Pfarre Obervellach einverleibt“ (Hohenauer 1835), die Erhebung der unbedeutenden Filialkirche zur selbstständigen Pfarre war in erster Linie auf die Bevölkerungszunahme infolge des Kupferbergbaues am Knappenberg im Großfraganttal

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 5

zurückzuführen. Südöstlich von Flattach, am Ausgang der Raggaschlucht, befanden sich Anlagen der Kupferschmelze. Hier wurden die im Großfraganttal gewonnenen Kupfererze verarbeitet. Heute heißt diese Ortschaft „Schmelzhütte“ (vgl. Hohenauer 1835), die Raggaschlucht ist als Naturdenkmal heute ein gut besuchtes Sommertourismusziel. Nach dem 1. Weltkrieg wurden in Flattach die Bergbautätigkeiten endgültig eingestellt.

Strukturwandel in der Landwirtschaft und Wandel der Erwerbsmuster seit 1945

Neben dem Bergbau war im Rauriser Tal die Landwirtschaft bis in die Zeit nach 1945 die wichtigste Erwerbsquelle (vgl. Granica/ Proske 2007, Bauer 1997). Danach haben sich Landnutzung und Struktur der Landwirtschaften stark gewandelt. Der Getreideanbau ging stark zurück. Einige jetzt wieder revitalisierte Brotbacköfen, die zu den alten Bauernhöfen gehörten, geben noch Zeugnis von jener Zeit, als im Tal selbst Getreide angebaut und verbacken wurde (vgl. den Artikel „Das Brot vom Polzegg Toni“ der Rauriserin Roswitha Huber (Huber 2005)).

Auch in Flattach wurde lange Zeit unter großer körperlichem Arbeitseinsatz Ackerbau bis in große Höhen betrieben: „Dagegen ist das Möllthal bis an die höchsten Höhen der Kultursfähigkeit dicht zu den Alpen hinauf angebaut, und jeder auch noch so kleine Flächenraum an den steilsten Abhängen dient als Belobigungsdiplom des großen Fleißes. (…) Was nur immer in Ackerland verwandelt werden kann, wird sorgsam dazu benützt, wenn das Werk auch mit noch so viel Anstrengung verbunden wäre.“ (Hohenauer 1835)

Ab den 1950er Jahren ging die Agrarquote stark zurück, vor allem sank die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen und der Dienstboten (vgl. Bruckmüller 2002, Cyba 1995, Bauer 1997) – beispielsweise im Bezirk Zell am See, zu dem Rauris gehört, zwischen 1951 und 1971 um 43,3 % (Amt der Salzburger Landesregierung 1975, zit. in Bauer 1997). Die starke Mechanisierung der Landwirtschaft nach 1945 (erster Motormäher, erster Traktor etc.), der Strukturwandel hin zum reinen Familien- und gleichzeitig Nebenerwerbsbetrieb wirkte sich auch einschneidend auf die geschlechtsspezifische Arbeitsorganisation am bäuerlichen Hof aus. Besonders für Bäuerinnen stiegen die Belastungen (vgl. Bauer 1997). Saisonarbeit im Tourismus außerhalb der Täler, auch in der Schweiz, wurde besonders für junge Frauen ein neues Erwerbsterrain (Bauer 1997: 219).

Tourismus

Frühe Ansätze einer touristischen Nutzung gab es bereits im späten 17. Jahrhundert. Dort, wo heute die Talstation der Mölltaler Gletscherbahn und das Kraftwerk „Innerfragant“ liegen, gab es am Standort des heutigen Gasthofs „Badmeister“ nach Hohenauer (1835) ein „nicht unbekannt gewesenes Mineralbad“. Diese Badeanstalt wurde vor allem im 17. und 18. Jahrhundert von Badegästen besucht. Um 1820 wurde die Badküche abgetragen.

Im größeren Maßstab begann der Tourismus in Flattach und Rauris erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, verstärkt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Bewirtschaftete Schutzhütten waren Voraussetzungen für die alpine Erschließung. Rauris ist seit 1984

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 6

Nationalparkgemeinde des Nationalparks „Hohe Tauern“, und verfügt u.a. über ein Familienskigebiet.

1971 fand in Flattach das erste Gletscherskirennen statt, 1983 wurde der Wurtengletscher als Skigebiet gewidmet, wegen der witterungsbedingten Sperre der Zufahrtsstraßen zunächst nur als Sommerskigebiet. Seit 1996 ist das Gletscherskigebiet durch eine fast 5 km lange unterirdische Standseilbahn (Gletscher-Express) auch für den Winterschibetrieb erschlossen (vgl. Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007).

Viele Flattacher fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts beim Bau der Tauernbahn (eröffnet 1909) Arbeit, Jahrzehnte später (ab 1964) war der Bau der Kraftwerksgruppe Fragant durch die KELAG ein wichtiger Beschäftigungsmotor.

Die sozioökonomischen Entwicklungen der beiden Gemeinden werden anhand statistischer Daten ausführlicher in Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007 beschrieben. Diese quantitativen Daten werden im folgenden Bericht auch immer wieder mit den Ergebnissen der qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt kritisch miteinander verglichen und interpretiert (Triangulation, vgl. Mayring 2002: 147f bzw. Kap. 2).

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 7

2 Methoden

Bereits in der Einleitung wurden Eckdaten der Befragung genannt. Der Leitfaden diente dabei als grober Anhaltspunkt für die Befragung. Alle darin genannten Themen sollten im Interview angesprochen werden, aber die Befragten sollten möglichst von sich aus (ohne Stichwortvorgabe bzw. Anleitung durch die Interviewerin) zu jenen Themen erzählen, die sie selbst als wichtig erachten, die sie selbst (noch immer) beschäftigen, die ihnen noch immer in Erinnerung sind.

Die Sozialstrukturdaten (Punkt 1 des Leitfadens, siehe Kap. 2.1) wurden von der Interviewerin schriftlich auf einem adaptierten Zustimmungsblatt des Oral-History-Archivs (OHA) festgehalten, alle anderen Interviewteile (ab Punkt 2. des Leitfadens) wurden analog auf Audiokassetten aufgezeichnet, in Flattach auch mittels digitalem Aufnahmegerät.

Alle befragten Personen waren nach Zusicherung der Vertraulichkeit und Anonymität bei der Auswertung mit der Verwendung der Interviews für das Projekt „A Tale of Two Valleys“ und mit der Archivierung der Interviews im Oral-History-Archiv des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz (OHA-WISOG Graz), einem Kooperationspartner des Two-Valleys-Projektes, einverstanden (schriftliche Zustimmung). Der Leitfaden für die jüngeren Befragten war zwar gleich wie der für ältere Befragte. Bei Unter-30-Jährigen gab es wegen des geringeren Lebensalters weniger zeitgeschichtlich auswertbare Erinnerungen, diese Interviews wurden deshalb auch nicht ins OHA aufgenommen. Die Archivierung im Oral-History-Archiv ermöglicht – nach Auswertung der Interviews im Rahmen dieses Projektes „A Tale of Two Valleys“ - eine spätere Verwendung der Interviews auch für andere zeitgeschichtliche Forschungen.

QUALITATIVE UND QUANTITATIVE METHODEN

Im Sozialforschungsbereich des Projektes „A Tale of Two Valleys“ werden unterschiedliche Forschungsmethoden angewandt: quantitative Methoden (Jugendumfrage) ebenso wie qualitative Methoden (die in diesem Bericht ausgewerteten qualitative Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt sowie die abschließenden Zukunftsgespräche). In diesem Kapitel weise ich zuerst auf elementare Unterschiede zwischen diesen beiden Grundformen der Sozialforschungsmethoden hin. Welche Denkweise liegt qualitativen Methoden zugrunde, welche quantitativen Methoden? Anschließend werden die hier angewandten qualitativen Methoden kurz vorgestellt und anderen qualitativen Methoden gegenübergestellt.

In den Sozialwissenschaften können sowohl Erhebungs- als auch Auswertungsmethoden quantitativ oder qualitativ sein und jeweils miteinander kombiniert werden. Die Frontstellungen zwischen „qualitativ“ und „quantitativ“ haben sich in hier nach Diekmann (2002:451ff) gelockert. Mayring, einer der einflussreichsten Theoretiker qualitativer Methoden im deutschsprachigen Raum, findet diese Verknüpfung quantitativer und qualitativer Methoden sinnvoll: „(...) wie die

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 8

Schenkel eines Triangels zusammengeschweißt sind, so sind qualitative und quantitative Analyseschritte miteinander zu verbinden, sie sind aufeinander angewiesen, um einen reinen Klang hervorbringen zu können.“ (Mayring 2002: 148)

Qualitative und Quantitative Methoden

Qualitative Methoden haben als methodologische Basis verstehende Soziologie und Hermeneutik (vgl. z.B. Gadamer 1976, Reichardt/ Cook 1982, Flick 2006, Mayring 2002), und gehen nach der ideografischen Methode vor. Ziel ist es, das menschliche Verhalten aus der subjektiven Perspektive des Akteurs zu verstehen. Interviews mit offenen Fragen oder, wie in diesem Bericht, anhand eines Leitfadens sind häufige qualitative Datenerhebungstechniken. In den qualitativen Interviews steht nicht, wie dies in der quantitativen Forschung üblich ist, das Kriterium der Repräsentativität im Mittelpunkt methodischer Überlegungen, im Vordergrund qualitativer Studien steht die Suche nach dem Typischen als Qualitätskriterium. Als Stichprobe wird hier eine bewusste Auswahl möglichst typischer Fälle gewählt. Die Auswahl erfolgt in dieser Studie nach Schlüsselkategorien (Alter, Geschlecht, Beruf, Gemeinde). In der qualitativen Sozialforschung ist der Umfang der Stichprobe keine Frage der Größe, sondern hängt eher von einer Sättigung dieser Merkmalsausprägungen ab, wenn also keine neuen Personen mehr gefunden werden, die völlig andere Ausprägungen der Schlüsselkategorien haben. In der Datenanalyse versucht die Forscherin/ der Forscher zu verstehen und zu interpretieren, es werden Kategorien und Typen gebildet. Die Forschungen haben stärker explorativen, hypothesengenerierenden Charakter ((Lamnek 2005, Mayring 2002 sowie kritisch gegenüber qualitativen Verfahren Diekmann 2002: 443ff).

Im Gegensatz dazu basieren quantitative Sozialforschungsmethoden auf dem Positivismus und orientieren sich am naturwissenschaftlichen Erkenntnisideal. Sozioökonomische Daten, wie sie im Rahmen dieses Projektes in Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr (2007) gesammelt sind, Fragebögen mit überwiegend geschlossenen Fragen (sogenannten quantitativen Fragebögen) wie z.B. die Jugendumfrage (BG/ BRG Zell am See et al. 2007) sind einige der im Projekt angewandten quantitativen Datenerhebungstechniken. In der Datenanalyse steht Messen und Berechnen im Vordergrund (deskriptive Statistik, Kausalstatistik, Statistiktests). Quantitative Methoden werden häufiger hypothesenprüfend eingesetzt. Auch die quantitativen Stichprobenverfahren (Vollerhebung, Teilerhebung, Quotenstichprobe u.a.) unterscheiden sich stark von jenen qualitativer Verfahren.

Oral-History-Interviews sind besondere Formen von qualitativen Interviews. Die vorliegenden Interviews sind, soweit sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen, Erinnerungsinterviews, die biografisch oder zumindest teilbiografisch erhoben wurden (Wierling 2003: 130ff). Die Interpretation der Oral-History-Texte bleibt durch die Transparenz der Auswertungsmethode wissenschaftlich überprüfbar. Der Interpretationsprozess durch „Verstehen“ erfordert nach Wierling (2003:129f) „einen ständigen Wechsel zwischen Nähe als ‚Hineinversetzen’ und Distanz als Fremdheitserfahrung.“ (Zur Geschichte der Hermeneutik vgl. z.B. Gadamer 1976). Am Ende der Interpretationsarbeit steht nach diesem hermeneutischen Prozess aber „nicht Gewissheit,

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sondern Plausibilität, stehen nicht Beweise, sondern begründete Vorschläge.“ (Wierling 2003: 129).

2.1 LEITFADEN

Die qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt, wurden nach folgendem Leitfaden durchgeführt:

1. Sozialstrukturdaten

Anhand des Fragebogens des Oral-History-Archivs (Stammdatenblatt) gemeinsam mit Interviewten ausfüllen: Name, Adresse, Geburtsdatum und –ort, Volkszugehörigkeit, Familienstand, Anzahl und Berufe der Kinder, Beruf des Vaters und der Mutter, Schulbildung, Jahr eines akademischen Abschlusses, erlernter Beruf, ausgeübte(r) Beruf(e), Parteizugehörigkeiten, Zugehörigkeit zu Organisationen.

Zustimmungserklärung mit Unterschrift des Interviewten zum Interview, zur Verwendung für das Two-Valleys-Projekt und zur Archivierung im Oral-History-Archiv der Universität Graz am Institut für Wirtschafts-, Sozial- u. Unternehmensgeschichte.

2. Vergangenheit

2.1. Sozialisation im Tal

Seit wann leben Sie in Rauris/ in Flattach?

Grund für Zuzug/ Leben im Tal: seit Geburt/ Zuwanderung wegen Beruf/ Zuwanderung wegen Heirat/ Partnerschaft/ als Kind mit Familie zugewandert

2.2. Positive und negative Erinnerungen

Nur bei im Tal Aufgewachsenen: Bitte erzählen Sie mir von einem besonders schönen Erlebnis aus ihrer Kindheit/ Jugendzeit im Tal.

Eventualfrage: Welche gute und welche schlechte Zeiten haben Sie im Tal erlebt?

Bei erst im Erwachsenenalter Zugezogenen: Warum sind Sie ins Tal gezogen? Was waren Ihre ersten Eindrücke vom Tal?

Nur bei Zugezogenen: Was waren ihre ersten Eindrücke vom Tal?

Gute Zeiten im Tal

Schlechte Zeiten im Tal

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2.3. Feste und Brauchtum

Welche besonderen Feste und Bräuche bestimmten früher das Leben im Tal? Nahmen Sie daran teil, wenn ja, wie?

2.4. Geschlechterrollen

Als Sie noch Kind waren: Wer war in Ihrer Familie für Haushalt und Kindererziehung zuständig?

War Ihre Mutter berufstätig?

Beteiligte sich Ihr Vater an Erziehung und Haushalt („Windelwechseln“ ...)?

Haushalt und Kindererziehung, wer war in Vergangenheit (Ursprungsfamilie) zuständig?

2.5. Wetterextreme

An welche Wetterextreme können Sie sich erinnern (Unwetter, Lawinen, Hochwasser, ...) ?

Nach erster offener Frage eventuell auch mit der interviewten Person Liste mit Schadensereignissen (lt. Homepage http://www.zamg.ac.at/a-tale-of-two-valleys in der Rubrik “Wir ersuchen um Ihre Mithilfe“) ergänzen.

Haben Sie dazu alte Fotos, Zeitungsberichte oder Ähnliches?

3. Gegenwart

Haben Sie einen Lieblingsplatz im Tal? Welchen? Warum?

Beteiligen Sie sich am öffentlichen Leben im Ort (Rauris/ Flattach)? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?

Was macht das Leben im Tal besonders lebenswert?

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Probleme im Tal?

4. Zukunft

Wie schätzen Sie die Zukunft des Tales ein? (nach erster offener Frage evt. auch Stichworte liefern: kulturell, sozial, wirtschaftlich – Beschäftigungsmöglichkeiten, Klimawandel)

Welche Schwierigkeiten kommen auf das Tal zu?

Was wird das Leben im Tal auch in Zukunft besonders lebenswert machen?

Klimawandel: Ist das ein Thema für Sie? Wird er das Tal betreffen?

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5. Bezug zum anderen Tal

Haben Sie Kontakt zum anderen Tal (für Rauris: Flattach, für Flattach: Rauris).

Flattach und Rauris gehen unterschiedliche Wege im Tourismus: Flattach hat ein Gletscherskigebiet, Rauris ist Nationalparkgemeinde. Sind Sie mit dem Weg in Ihrer Gemeinde zufrieden? Oder wäre der Weg des anderen Tales auch für Ihr Tal sinnvoll?

6. Bei Jugendlichen zusätzlich noch Pretest2

Pretest für Frage zu eigener Lebensweise hinsichtlich Klimaschutz (Jugendfragebogen).

Wenn du an deine persönliche Lebenssituation denkst. Was trifft eher für dich zu?

Mach bitte nur ein Kreuz je Zeile! Ich komme meist mit dem Auto zur Schule/

Arbeit. ODER Ich gehe meist zu Fuß zur Schule/ Arbeit oder

komme per Rad, Bahn oder Bus. Ich dusche häufiger. ODER Ich bade häufiger. Die Herkunft der Lebensmittel ist mir egal.

Hauptsache, sie schmecken und sind günstig. ODER Ich mag lieber Biolebensmittel aus der Region

und Fair-Trade-Lebensmittel. Im Winter heize ich mein Zimmer lieber weniger,

dafür ziehe ich mich wärmer an. ODER Im Winter heize ich mein Zimmer lieber wärmer,

damit ich keinen dicken Pulli anziehen muss. Ich esse nur heimische Freilanderdbeeren. ODER Ich esse auch im Winter gerne frische Erdbeeren. Ich trinke keine Dosengetränke. ODER Ich trinke auch Getränke in der Dose. Mir ist es wichtig, dass meine Schulhefte aus

Recyclingpapier sind. ODER Mir ist es egal, ob meine Schulhefte aus

Recyclingpapier sind.

INTERVIEWTE UND BEFRAGUNGSSITUATION

Ich nahm an, dass folgende Kriterien besonderen Einfluss auf die untersuchten Einstellungen und Wahrnehmungen der Interviewten haben:

• Alter • Geschlecht • Erwerbsbiografie (besonders, ob und in welchem Beruf jemand derzeit erwerbstätig ist, ob jemand

PendlerIn ist, ob jemand erwerbslos – arbeitslos, Hausfrau/mann, .. – ist) • Schulbildung • Im Tal geboren oder zugezogen • Familienstand

2 Teil der Pretests für die zwischen Dezember 2006 und Februar 2007 durchgeführte quantitative Befragung von 14-15jährigen Jugendlichen in den beiden Gemeinden (vgl. BG/ BRG Zell am See et al. 2007). Auswertungen für diese Frage werden in diesem Bericht nur summarisch für alle Flattacher und alle Rauriser Jugendlichen gemacht, allerdings sind die Ergebnisse wegen der geringen Fallzahl statistisch nicht aussagekräftig (andere Kriterien für quantitative Verfahren – siehe Kap. 2).

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 12

Die Auswahl der Befragten traf ich nach deren Alter und Geschlecht, die übrigen Merkmale mussten aufgrund der nur beschränkt möglichen Interviewtenzahl (qualitative Interviews!) zufällig bleiben. Eine erste Liste möglicher Interviewten nach diesen beiden Kriterien wurde von den ProjektpartnerInnen vor Ort (Gemeinde Rauris, Tourismusgemeinschaft Mölltaler Gletscher) erstellt, weitere potenzielle InterviewpartnerInnen sprach die Interviewerin vor Ort spontan an bzw. stieß sie im Lauf der bisherigen Projekttätigkeiten auf deren Namen. In der Hauptschule Rauris kamen die Vorschläge für die interviewten SchülerInnen von der Schulleitung. Bei der telefonischen oder persönlichen Kontaktaufnahme informierte die Interviewerin die potenziellen Befragten kurz über Thema, Ziel und Projektstruktur und bat sie um das Interview. Von den in Frage kommenden Personen lehnten fünf Personen ein Interview ab, vier Frauen und ein Mann über 70 Jahren. Zwei Personen gingen kurzfristig auf Urlaub, obwohl die Gesprächstermine bereits vereinbart waren. Einige Befragte waren sogar äußerst kurzfristig zum jeweils durchschnittlich etwa eine Stunde dauernden Gespräch bereit.

Die Interviews fanden in ruhigen Räumen statt. Mit den beiden Rauriser SchülerInnen fanden die Interviews an deren letztem Schultag in der Hauptschule Rauris statt, die Interviews mit den Lehrlingen in Flattach fanden im Lehrbetrieb statt. Bei fünf weiteren Personen war der Interviewort ihre (ehemalige) Arbeitsstelle, die übrigen Interviews wurden in der Wohnung bzw. im Haus der Befragten durchgeführt.

Bis auf wenige Ausnahmen waren während des Gespräches nur die Interviewerin Anna Kirchengast und die/ der Interviewte im Raum. In vier Fällen waren weitere Personen anwesend:

• Bei zwei Interviews in Rauris waren zwar in erster Linie die Männer meine Interviewpartner, aber einige Fragen beantworteten auch deren Ehepartnerinnen. Beide Ehepaare sind seit über 50 Jahren verheiratet und sie waren auch während der Interviews unzertrennlich. Im Anschluss an ein Interview holte eines dieser Paare noch die Gitarre und sang mir gemeinsam ein Lied vor, das zweite Paar zeigte mir danach noch begeistert ihre Familienchronik, Fotos von ihrer Diamantenen Hochzeit (60 jähriges Ehejubiläum) und die kostbare Rauriser Tracht der Frau.

• In Flattach interviewte ich ein jüngeres Ehepaar, hier waren beide Partner gleichermaßen Interviewpartner bzw. Interviewpartnerin.

• Während des Interviews des Flattacher Schülers in seinem Elternhaus waren seine Eltern und sein jüngerer Bruder als ZuhörerInnen anwesend.

• Während eines weiteren Interviews in Flattach lag die vom Interviewten offensichtlich sehr liebevoll gepflegte schwerkranke Ehegattin schlafend im selben Raum.

Die Interviews führte ich anhand eines Befragungsleitfadens (siehe oben). Ziel war es, die Befragten möglichst offen zu den einzelnen Themen antworten zu lassen. Die Interviews führte

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Anna Kirchengast als Interviewerin in Rauris von 6. bis 9. Juli 2006 und in Flattach von 27. bis 29. August 2006 durch. Insgesamt wurden folgende 12 Personen in Rauris und 13 in Flattach befragt:

Tabelle 2 Befragte Personen Code Flattach: 7 Frauen und 6 Männer zwischen 14 und 85 Jahren HFW14 14jährige Flattacher Hauptschülerin HFW16 16jährige Flattacherin (Lehrling) HFW35 35jährige Flattacher Gewerbetreibende HFW40, HFM40 Flattacher Unternehmerpaar (beide 40) HFW45 45jährige Flattacher Kassierin HFW70 70jährige Flattacher Wirtin HFW85 85jährige Flattacher Bäuerin

HFM14 14jähriger Flattacher Hauptschüler HFM18 18jähriger Flattacher (Lehrling) HFM45 45jähriger Flattacher Gewerbetreibender HFM75 75jähriger Flattacher Kraftwerksbauer HFM80 80jähriger Flattacher Hotelier Code Rauris: 6 Frauen und 6 Männer zwischen 14 und 90 Jahren HRW14 14jährige Rauriser Hauptschülerin HRW25 25jährige Rauriser Hotelkauffrau HRW35 35jährige Rauriser Pädagogin HRW65 65jährige Rauriser Wirtin HRW80, HRM80 Rauriser Bauernpaar (beide 80) HRW85 85jährige Rauriser Bäuerin

HRM15 15jähriger Rauriser Hauptschüler HRM30 30jähriger Rauriser Handwerker HRM60 60jähriger Rauriser Lehrer HRM70 70jähriger Rauriser Lokalpolitiker HRM90 90jähriger Rauriser Bauer

Bei Originalzitaten werden die Codes der Befragten verwendet: H-Qual.Interview mit Oral-History-Schwerpunkt, F-Flattach, R-Rauris, W-weiblich, M-männlich, Zahl = gerundete Altersangabe

AUSWERTUNGSMETHODEN - KATEGORIEN

Alle Interviews werden zunächst wörtlich transkribiert. In einem nächsten Schritt werden Personennamen, Orte und Institutionen, soweit das für die Anonymität der befragten Personen erforderlich war, durch andere Kennelemente ersetzt (Kittl 2005, Mayring 1983). Danach werden alle Interviews in einem ersten Schritt zusammenfassend dargestellt (vgl. Wierling 2003: 142ff). Die inhaltliche Strukturierung erfolgt dabei nach den Themen des Leitfadens, einzelnen Textsegmenten wurden die aus dem Leitfaden abgeleiteten Kategorien zugeordnet (absteigende,

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 14

schemageleitete Verarbeitungsrichtung. Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse (nach Mayring 1983: 77, Titscher et al. 1998) dienen dabei als „Analyseraster“. 1. Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien. 2. Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung in den einzelnen Interviews. Der transkribierte Text

eines Interviews wird den Kategorien zugeordnet. 3. Zitate: Textzitate, die sehr prägnant sind, werden wortwörtlich und ohne Abstraktion

übernommen (auch Dialektbegriffe, Ausdrücke für die Gefühlsebene). Ausführliche und wortgetreue Zitate, wie sie in der Oral History üblich sind, sollen den Leser und die Leserin in die Lage versetzen, sich auch unabhängig von den Deutungen der Autorin selbst ein Bild zu machen (vgl. Wierling 2003: 146).

4. Bündelung: inhaltlich eng zusammengehörige, aber in einem Interview verstreute Aussagen werden zusammengefasst und kategorisiert.

5. Kodierschema überprüfen, nächstes Interview kodieren (1-5 bei allen Interviews)

In einer abschließenden Analyse werden Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Verbindungen zwischen den einzelnen Interviews hergestellt, insbesondere nach den Kriterien Tal, Alter, Geschlecht.

Im ersten Materialdurchlauf wurde jedes Interview nach folgenden Kategorien codiert:

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Tabelle 3 Kategorien der qualitativen Interviews mit OH-Schwerpunkt Vergangenheit und Sozialisation im Tal 1. Bei im Tal Aufgewachsenen: Kindheitserinnerungen 2. Bei Zugezogenen: Erste Eindrücke vom Tal 3. Feste, Brauchtum, Vereine 4. Freizeit/ Hobbys (nur Befragte bis 40) 5. Beteiligung am öffentlichen Leben im Tal Einschätzung der derzeitigen Lage im Tal 6. Lieblingsplatz im Tal 7. Kurzcharakterisierung des Tales 8. Positiv im Tal 9. Negativ im Tal Persönliche Entwicklung mit Gender- und Talbezug 10. Berufswahl/ Schulwahl 11. Beruf - Familie Gender 12. Wirtschaft im Tal 13. Pendeln/ Mobilität 14. Persönliche Zukunft Zukunft des Tales 15. Zukunft des Tales Extremwetterereignisse und Klimawandel 16. Wetterextreme 17. Klimawandel Tälervergleich durch Interviewte 18. Nationalpark und Gletscherschigebiet 19. Bezug zum (jeweils) anderen Tal

Die einzelnen Kategorien beziehen sich auf die entsprechenden Fragen laut Leitfaden. Die RauriserInnen und FlattacherInnen wurden nach ihrer Meinung zum eigenen Tal befragt, nur eine Frage bezog sich auf ihren Bezug zum anderen Tal. In folgenden Kategorien gibt es Besonderheiten:

Kindheitserinnerungen: Antworten auf die Einstiegsfrage: „Können Sie mir ein besonders schönes Erlebnis aus Ihrer Kindheit (bei über 30Jährigen auch: Jugend) erzählen?“

Kurzcharakterisierung des Tales: Antworten auf die Frage, wie der/ die Befragte jemandem, der seinen/ ihren Heimatort gar nicht kenne, beschreiben würde.

Positiv im Tal: Antworten auf die Fragen

• Was gefällt Ihnen/ dir besonders gut in Rauris/ Flattach?

• Was macht Rauris/ Flattach besonders lebenswert?

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 16

Negativ im Tal: Antworten auf die Fragen

• Was gefällt Ihnen/ dir in Rauris/ Flattach nicht so gut?

• Was sind Ihrer/ deiner Meinung nach die größten Probleme von Rauris/ Flattach?

Beruf - Familie Gender: Antworten des/ der Befragten zu folgenden Themen:

• Wie ihrer Einschätzung nach Gleichaltrige des jeweils anderen Geschlechtes ihre Berufs- bzw. Schulwahl treffen bzw. getroffen haben

• Vereinbarkeit Beruf – Familie, Rollenaufteilung

Pendeln/ Mobilität: Dazu wurde keine direkte Frage gestellt. Allerdings wurde im Lauf fast jeden Interviews dieser Themenbereich angesprochen. Diese Kategorie beinhaltet Aussagen zum Thema Pendeln zu Arbeit und Schule (Pendeln) sowie zum Wegziehen aus dem Tal und Zuziehen in das Tal.

Bezug zum (jeweils) anderen Tal: RauriserInnen wurden gefragt, ob Sie Flattach kennen bzw. welchen Bezug sie dazu haben, FlattacherInnen wurden analog dazu nach ihrem Bezug zu Rauris gefragt.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 17

3 Ergebnisse einzelner Interviews

In diesem Kapitel werden die einzelnen Interviews anhand der Kategorien laut Tabelle 3 zusammengefasst.

3.1 FLATTACH

3.1.1 14jährige Flattacher Hauptschülerin

Die 14jährige Flattacherin, deren Eltern in der Gastronomie arbeiten, berichtet von einem schönen Kindheitserlebnis, das sie mit ihrer Familie in der Flattacher Natur erlebte. Sie ist Mitglied der Perchtengruppe, schwimmt im Sommer gern im Flattacher Schwimmbad und fährt im Winter am Mölltaler Gletscher Schi. Einem älteren Menschen gefalle Flattach besser (als jüngeren), er mag mehr Ruhe. In Flattach wünscht sie sich ein Jugendzentrum. Sie möchte nach der Hauptschule gern eine Mechanikerlehre machen und später, zumindest für einige Jahre, aus Flattach wegziehen, wo es ihr zu eng ist. Sie wünscht sich später eine Familie und würde sich eher selbst um Kinder und Haushalt kümmern. Sie hat selber noch keine Wetterextreme erlebt, weiß aber von Erzählungen von einem starken Regen. Vom Klimawandel hat sie schon einmal in der Schule gehört. Sie weiß nicht, ob er für Flattach Bedeutung hat. Rauris kennt sie gar nicht.

3.1.2 16jährige Flattacherin (Lehrling)

Die Mutter der 16jährigen Flattacherin ist Hausfrau, ihr Vater wochenpendelnder Facharbeiter. Daran habe sie sich gewöhnt. Die 16Jährige lernt derzeit in einem Flattacher Unternehmen, durchs Schnuppern ist sie auf die Idee gekommen, diesen Beruf zu erlernen und hat in Folge auch den Lehrplatz bekommen. Ein besonders schönes Kindheitserlebnis fällt ihr nicht ein, es sei nichts Besonderes, wenn man schon immer da wohne. In Flattach kenne jeder jeden, jeder wisse alles von jedem. Flattach sei halt nur ganz klein, man muss eine halbe Stunde fahren, bis man in einen größeren Ort komme. Ihr Lieblingsplatz ist bei der Möll, dort trifft sie sich in ihrer Freizeit gern mit FreundInnen, die während der Schulzeit aber großteils außerhalb des Ortes sind. Sie geht mit FreundInnen gern spazieren oder ins Flattacher Schwimmbad und im Winter am Mölltaler Gletscher snowboarden. Sie ist in keinem Verein aktiv. Nach der Lehre weiß sie, dass sie nicht im Unternehmen bleiben kann und wird auswärts, vermutlich in Spittal, suchen. Sie möchte auch später in Flattach leben oder zumindest nicht allzu weit wegziehen. Für Flattach wünscht sie sich einen Treffpunkt für Jugendliche. Sie kann sich an Hagel und einen sehr heißen Sommer erinnern, von Erzählungen weiß sie von einer Überschwemmung, die einen Teil des Nachbarhauses zerstörte. Vom Klimawandel hat sie gehört, sie vermutet auch Auswirkungen auf den Tourismus am Mölltaler Gletscher. Mit der Schule hat sie einmal eine Nationalparkeinrichtung in Mallnitz besucht. Rauris kennt sie gar nicht.

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3.1.3 35jährige Flattacher Gewerbetreibende Die Mutter der Flattacherin ist Bäuerin, der Vater arbeitete zunächst im Straßen- und Tunnelbau in Kärnten, dann bis zur Pensionierung bei der KELAG in Flattach. Sie lernte zunächst in Obervellach. Eine schöne Kindheitserinnerung war, als sie während ihrer Volksschulzeit zu Ostern einen Meter Schnee erlebte. In der Kindheit spielte sie mit Geschwistern gern in einem Graben, wo es noch Reste einer alten Mühle gab, vor allem die Eltern kamen dort kaum hin. Auf der Almhütte sei es schön, aber die Flattacherin hat keinen Lieblingsplatz. Ihr Bruder, der mittlerweile in einem anderen Bundesland lebt, habe hingegen viele Lieblingsplätze in Flattach. Je weiter man weg sei umso mehr vermisse man die Heimat. Sie ist in keinem Verein Mitglied, hat derzeit wegen Arbeit, Bauen und Kindererziehung keine Zeit für Vereinsarbeit oder Stammtische. Nach der Lehre in Obervellach wollte sie von Flattach weg. Nach zehn Berufsjahren außerhalb Flattachs (auch in Deutschland) kehrte sie wieder ins Mölltal zurück und gründete hier ein Unternehmen. Jetzt gefalle es ihr hier besser als damals als Jugendlicher. Mit Familie und Kindern sei es, wenn man Arbeit habe, schön hier zu leben. Im Ort und im Tal sei es sowohl für Frauen als auch für Männer schwer, Arbeit zu finden. Nur seien Männer mobiler, Frauen wollen in der Regel nicht so weit pendeln, sonst bliebe ihnen nur übrig, ihre Kinder bei der Oma zu lassen. In das Gebäude, in dem ihr Geschäftslokal ist, bauten ihr Mann und sie auch zwei Appartements, die sie derzeit vermieten, die Miete helfe beim Kreditrückzahlen, könnte später vielleicht auch als Wohnraum für Kinder dienen. Ihr Mann arbeitet seit Jahren als Pendler in der Schweiz, auch damals, als die Flattacherin ihr Unternehmen gründete und die kleinen Kinder hatte. Die Kinder wuchsen im Geschäft auf, sie stillte sie auch dort. Während sie ihre Kunden bediente, hielten diese das Baby, dann tauschten sie wieder. Es sei eine schöne, aber anstrengende Zeit gewesen. Wenn ihr Mann frei hat, hilft er ihr geschäftlich, im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Ob tatsächlich ab Herbst in der Schule eine Nachmittagsbetreuung zustande kommt, weiß sie noch nicht. Viele Frauen wollen das nicht, weil sie sonst nichts mehr von ihren Kindern hätten. Auch sie selbst überlegt, ob sie die Nachmittagsbetreuung wirklich in Anspruch nehmen würde, als Selbständige würde sie flexiblere Betreuungsmöglichkeiten benötigen. Ein Vorteil sei es, wenn die Familie im Ort wohne, in stressigen Zeiten habe sie die Kinder dorthin bringen können. Positiv im Ort findet sie die Zusammengehörigkeit der Menschen, die Landschaft, die Ruhe. Dass jeder jeden kenne habe Vor- und Nachteile. Man helfe einander mehr als in der Stadt, der Tratsch sei aber nachteilig. Als Jugendliche habe sie sich darüber maßlos geärgert, jetzt nehme sie das so hin, wie es sei. Ein weiterer Nachteil sei, dass man kaum Schulwahlmöglichkeiten habe, für spezielle Förderangebote müssten Eltern bereits ihre Volksschulkinder nach Obervellach bringen. Mit eigenem

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 19

Auto komme man schon wohin, aber für junge Leute gebe es im Ort wenige Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Wirtschaftlich sei Flattach durch das Gletscherschigebiet und die vielen Auspendler stärker als Nachbargemeinden. Es seien sehr viele neue Häuser und Geschäfte entstanden. Der Tourismus wandelte sich vom einfachen Sommertourismus, wo niederländische und deutsche Gäste Urlaub am Bauernhof in den Wohnräumen der Bauernfamilie machten, zum Urlaub in Hotels, Pensionen und in Appartements. Im Winter sei einiges los, allerdings fehle noch Après-Ski-Möglichkeiten, z.B. ein Abendbummel im Ort. Für den Sommertourismus, aber auch für Einheimische fehle im Sommer noch ein gut ausgebautes Mountainbike-Radwegenetz. Wegbeschreibungstafeln müssten eine größere Schrift haben. Und sie wünscht sich eine Ortsbildverschönerung durch Blumenschmuck. Das koste nicht sehr viel, bedürfe aber Pflegearbeiten durch die Gemeinde. Die Gemeinde sage, sie habe dafür kein Geld, weil sie so viel ins Gletscherschigebiet investierte und zu hohe Schulden habe. Die Unternehmerin ist in keinem Flattacher Verein Mitglied, sie unterstütze aber jeden Verein. Als Kind durfte sie in keinem Verein Mitglied sein, ihr Vater war hingegen Mitglied mehrerer Vereine. Seit sie wieder im Tal lebt, habe sie bedingt durch Arbeit, Bauen und Kinder noch keine Zeit fürs Vereinsleben oder einen Stammtisch gefunden. Sie kann sich an kein extremes Wetterereignis erinnern. Der Klimawandel habe auch Auswirkungen auf Flattach, wenn der Gletscher zurückgehe, werde auch das Schigebiet kleiner. In den letzten Jahren beobachtete sie stärkere Winde als früher. Rauris kennt sie nur dem Namen nach.

3.1.4 Flattacher Unternehmerpaar (beide 40)

Die aus Deutschland stammende Bürokauffrau hatte vor zirka 20 Jahren während eines Sommersporturlaubs zum ersten Mal Kontakt mit Flattach. Immer wieder zog es sie seither mit Familie, Freunden und später mit ihrem jetzigen Mann nach Kärnten, auch nach Flattach.

Der 40jährige Unternehmer ist in Flattach aufgewachsen. Er kann sich an eine relativ glückliche und zufriedene Kindheit erinnern, besonders gern an seine damalige Lieblingsbeschäftigung, den Schisport. Schöne Erlebnisse waren z.B. die Trainingseinheiten, die er am Gletscher absolvierte, noch bevor dieser überhaupt erschlossen wurde. Er maturierte und zog mit 25 aus beruflichen und familiären Gründen nach Deutschland, wo er fast 15 Jahre lebte. Seine deutschen Bekannten kannten seine Heimat, weil Kärnten ein Urlaubsland sei.

Vor einem Jahr zogen die beiden nach Flattach und übernahmen das Unternehmen des Vaters. Ihr Lieblingsplatz im Tal ist ihre Wohnung, sie mögen die Natur ringsum, die Berge.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 20

In diesem Interview erzählten die 40jährigen Flattacher besonders ausführlich, wie sie die derzeitige wirtschaftliche Lage und mögliche zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen in Flattach einschätzen. Flattach habe das Problem, eine von Ballungsräumen entlegene strukturschwache Randregion zu sein, liege in einem schmalen, langgezogenen Tal. Aber durch die Erschließung des Gletschers als Schigebiet habe sich strukturell in den letzten 10 bis 15 Jahren viel verändert und verbessert (Nächtigungszahlen, Tagestourismus). Diese Entwicklung habe aber, so der Flattacher Unternehmer, das Denken der Bevölkerung leider noch nicht verändert. Der Tourismus sei, so die Einschätzung der 40jährigen Unternehmerin, zwar vorhanden, aber der Ort sei noch ein bisschen zu verschlafen. Man könnte den Tourismus in Flattach beleben. Als konkrete Verbesserungsvorschläge führte das Unternehmerpaar an: 1) die Zusammenarbeit zwischen Gletscherbahn und dem regionalen Tourismus verbessern, 2) speziellere Angebote für bestimmte Zielgruppen schaffen, z.B. mehr Action für jugendliche Gäste, Ausweitung des Wintersportangebotes abseits der Alpinpisten (Loipen, Winterwandern), mehr Angebote für Tagesgäste, z.B. Jugendbahnen für Kids im Tal selber, weil man hier ohnehin im Winter lange genug nur Schatten habe. Und man könnte das Sommerangebot ausdehnen, z.B. durch einen Minigolfplatz oder leichtere Wanderwege. Nur Raggaschlucht und Gletscher seien zu wenig, man müsse vor Ort mehr bieten. Und es müsste auch mehr für Einheimische gemacht werden, z.B. die Gärten von Kindergarten und Schule neu gestaltet werden.

Es sei in Flattach aber schwierig, etwas zu verändern. Es sei schwer, Sponsoren zu finden, Ideenreichtum und Tatendrang würden leider häufig schlecht geredet. Der Jungunternehmer ist enttäuscht, dass sich Flattach nicht wie andere Orte im Land um EU-Gelder und regionale Fördergelder bemühe. Dabei solle Flattach nicht andere Orte kopieren, sondern überlegen, wie es in der eigenen Situation Verbesserungen schaffen könnte. Den Leuten gehe es gut, aber sie könnten mehr daraus machen.

Im Tal gebe es – unabhängig vom Gletscherskigebiet - sehr viel Wohlstand von außen, vor allem durch die hohen Einkommen der ins Baugewerbe, besonders in den Stollenbau auspendelnden Männer. Das habe im Ort auch eine gewisse Tradition. Viele seien mit dieser Situation zufrieden und kämen gar nicht auf die Idee, in ihr großes Haus auch eine oder zwei Ferienwohnungen zu bauen, um sich damit am Wohnort selbst regelmäßig ein Nebeneinkommen zu sichern. Ein wichtiger Grund für das Auspendeln oder den kompletten Auszug aus Flattach sind die fehlenden Arbeitsplätze. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs durch das Gletscherskigebiet sinke aus diesen Gründen die Einwohnerzahl von Flattach. Die 40jährige Unternehmerin schätzt es, dass ihr Mann als Selbständiger im Ort arbeiten kann und deshalb mehr Zeit für seine Familie hat als die vielen auspendelnden Männer.

„Das“ Hochwasser von 1966 kennt der 40jährige Flattacher nur aus Erzählungen, er kann sich auch an keine anderen Wetterextreme während seiner Kindheit und Jugendzeit erinnern, maximal einmal an einige heftige Schneefälle oder Sommergewitter. Schneemassen kamen ihm als Kind vielleicht auch deshalb größer vor, weil sein Horizont um einen halben bis einen Meter tiefer lagen. Ob Wetterextreme mit dem Klimawandel zu tun haben, kann der 40jährige Unternehmer nicht beurteilen, er sei kein Experte. Seit er im Freizeitgeschäft tätig sei, interessieren ihn Wetter und Klima mehr als vorher.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 21

Der Flattacher Unternehmer arbeitete selbst an der Erschließung des Mölltaler Gletschers mit. Und er war ziemlich erschrocken, als er nach 15 Jahren sah, wie wenig davon übrig geblieben sei. Das sei nicht wegzudiskutieren. Gerade für Flattach, für den Gletscher, sei es eine sehr entscheidende Tatsache, was sich hier verändert habe. Vor 10, 15 Jahren hätte er sich nicht im Traum erzählen lassen, dass es auf 3000 Metern Beschneiungsanlagen geben werde. Und jetzt sei es überall so. Die 40jährige Flattacherin sieht im Klimawandel für Flattach auch im Sommer Chancen. Man solle sich nicht nur auf den Winter spezialisieren, nur weil man ein Gletscherskigebiet habe. Es gäbe viele Leute, die speziell im Sommer gerne in die Berge fahren, um hier der ganz großen Hitze zu entgehen.

Ob der Nationalpark seit der damaligen Unter-Schutz-Stellung der Kleinfragant ein Thema war, kann der 40jährige Unternehmer nicht sagen. Das Rauriser Tal kennen beide nicht.

3.1.5 45jährige Flattacher Kassierin

Die Flattacherin wuchs mit Geschwistern am Bergbauernhof auf und half seit Kindheit an fleißig mit, z.B. beim Heuen. Sie erinnert sich an viele schöne Familienerlebnisse. Dass sie nach der Hauptschule eine zweijährige landwirtschaftliche Fachschule für Mädchen besuchte, entschieden vor allem die Eltern. Im Sommer unterstützte sie diese bei der Gästebetreuung am Bauernhof. Über das Arbeitsamt fand sie eine Stelle als Stubenmädchen in einem Hotel im Salzburger Land. Dort blieb sie sechs Jahre lang bis zur Familiengründung und arbeitete zuletzt als Rezeptionistin. Mit ihrem aus dem Salzburger Land stammenden Mann und den Kindern wohnten sie im Haus ihrer Eltern, später bauten sie daneben ein eigenes Haus. Sie fühlt sich in Flattach sehr wohl, was sie vor allem daran liege, dass sie hier auch aufgewachsen ist („Dahoam is dahoam“). Sie ist in keinem Flattacher Verein Mitglied. Nicht so gut gefällt der Mutter mehrerer Kinder, dass Flattacher Jugendliche zum Fortgehen in die Stadt fahren, Flattach sei ihnen wahrscheinlich zu klein, habe vermutlich zu wenig Angebot.

Nach der Geburt des ersten Kindes arbeitete sie fast zwanzig Jahre lang am Heimathof als Hausfrau, landwirtschaftliche Gehilfin und Vermieterin von Ferienwohnungen. Die Gäste kämen aus verschiedenen Ländern, vor allem aus Deutschland, den Niederlanden, osteuropäischen Ländern und Österreich. Wintergäste blieben eher kurz, im Sommer kämen viele Stammgäste, die etwa zwei Wochen lang bleiben und z.B. wandern. Die Raggaschlucht sei sehr gut besucht und gefalle Gästen jeder Herkunft und jeden Alters. Außer dem Tourismus gebe es im Ort nur wenige Unternehmen, ein paar Gewerbebetriebe, die Glockner Sesselfabrik, es sei sehr schwierig für Frauen, Halbtagsstellen im Ort zu finden.

Seit drei Jahren arbeitet die heute 45jährige Flattacherin halbtags als Kassierin in der Tourismusbranche im Tal. Das Gletscherschigebiet habe das Tal positiv verändert. Wer im

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Fremdenverkehr tätig war, habe damals auch nicht gegen das Schigebiet protestiert. Hatte man vorher nur im Sommer Gäste, kämen sie jetzt rund ums Jahr.

An den heftigen Regen und die Muren im Herbst 1966, damals war sie vier Jahre alt, kann sie sich noch deutlich erinnern, auch an den Bundesheereinsatz bei den anschließenden Aufräumarbeiten

Die 45jährige Flattacherin fährt selber nicht Schi, auch ihre Kinder fahren, bedingt durch ihre Arbeit, selten am Mölltaler Gletscher Schi. Rauris kennt sie gar nicht.

3.1.6 70jährige Flattacher Wirtin Auch die Eltern der in der Gemeinde Flattach geborenen Wirtin hatten bereits eine kleine Gastwirtschaft, hauptsächlich kamen hierher Holzknechte, und ihr Vater belieferte Hütten und war während seiner Lieferwege gleichzeitig als Wanderführer tätig. Die Kindheit der Flattacherin in den 1930er und 1940er Jahren sei schwierig gewesen, sie hatten wenig Geld, es gab wenig Arbeit und dennoch waren mehrere Kinder zu ernähren. Trotzdem erinnert sie sich an ein besonders schönes Kindheitserlebnis: noch bevor sie zur Schule ging, wanderte sie mit ihrem Vater aufs Schareck (3131 m). Sie berichtet von einem Elternhaus, in dem sie sehr viel Wärme und gute Ratschläge fürs Leben bekam. Während ihrer Schulzeit half sie in der Früh im Stall mit, molk die Ziegen. Zum Frühstück aßen ihre Geschwister und sie viel, Sterz oder Brennmus. Schuljause bekam sie keine, obwohl sie oft bis 15 Uhr Unterricht hatte. Der Schulweg dauerte zu Fuß eine Stunde hin und – weil bergauf – zwei Stunden zurück. Nur im Winter durften sie Schuhe tragen, sonst liefen sie barfuss. Sonntags gingen sie zu Fuß um 5 Uhr früh von daheim los zur Frühmesse nach Flattach. Ihr Vater sei kein Nazi gewesen, man habe damals aber still sein müssen. Während der NS-Zeit versteckte ein Gauleiter bei ihnen eine mit ihm befreundete jüdische Familie, weil sie so entlegen wohnten. Zur Tarnung sagte er den Eltern der Flattacher Wirtin, es sei eine Geologenfamilie. In der NS-Zeit entstanden viele Baupläne, die später zum überwiegenden Teil von der KELAG aufgegriffen worden seien. Nach der Schule lernte sie gegen ihren Willen Schneiderin, weil ihre Eltern weder einen weiteren Schulbesuch noch eine Lehre in einem anderen Ort finanzieren konnten. Nach der Lehre hätte sie den Hof übernehmen sollen, aber sie ging nach Gastein und fand dort für zwei Jahre in einem Hotel eine Stelle – zunächst als Büglerin und Abwäscherin, später auch im Service und als Näherin. Sie lebte vom Trinkgeld, ihren Lohn gab sie der Mutter zur Schuldentilgung für den Hof. Erst als alle Schulden bezahlt waren, heiratete sie und war bis zum Tod ihres Gatten über 50 Jahre lang gut verheiratet. Neben ihrer Arbeit im elterlichen Hof arbeitete sie zwei Jahre lang auch noch in Obervellach in einem Büro. Berufsbegleitend machte sie Lohnverrechnungskurse und einen Kochkurs. Ihr Mann sei sehr fleißig gewesen, habe das Haus renoviert, Grund und eine Wirtschaft dazugekauft

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und einige Häuser gebaut. In den letzten zwanzig Jahren vor der Pensionierung arbeitete er bei der KELAG, zuvor auswärts. Als sie nicht mehr zusätzlich auswärts arbeitete, begann sie, eigenes Vieh zu Speck und Wurstwaren zu verarbeiten, sie verkauft alles ab Hof. Später weitete sich ihr Sortiment auf über 30 Produkte aus, unter anderem auch auf selbstgebrannte Schnäpse, Ribiselwein, Mus und einige Käsesorten. Von ihrer Großtante, die bei Adeligen in Wien Köchin war, bekam sie viele gute Rezepte, ihre Fleischwaren machte sie ohne Pökelsalz, sie blieben dennoch haltbar. Ihr Vater brachte Gäste ins Haus, viele Kunden machten in Obervellach die Schrothkur, wurden durch Mundpropaganda auf sie aufmerksam, fuhren zum Hof und kauften Mitbringsel für die Heimreise. Außerdem kochte sie in ihrem Gasthof á la Carte. Ohne Selbstvermarktung hätte ihrer Meinung nach das kleine Gasthaus aber nicht überlebt. Später, während die KELAG in der Gegend Stollen baute, lief das Gasthausgeschäft deutlich besser. KELAG und später die Gletscherbahnen kauften von den Wirtsleuten auch mehrere Grundstücke. Das Einkommen verwendeten ihr Mann und sie für Bautätigkeiten, auch ihr erstes Auto in den 1950er Jahren kaufte sie sich damit. Mit ihr waren insgesamt 72 FahrschülerInnen im Kurs, davon 3 Frauen. Sie schaffte die Prüfung, aber fast die Hälfte fiel durch, auch die beiden anderen Frauen. Die Wirtin hatte zwei Kinder, mehr wollte sie wegen der umfangreichen Bautätigkeiten nicht. An den Winter 1950/ 51 kann sie sich besonders gut erinnern, in dem es bis Weihnachten aper war. Danach fiel soviel Schnee und es gab viele Lawinenabgänge, auch Tote. Bis zu ihrer Jugendzeit sei es normal gewesen, dass man Anfang Juli noch über Schnee zur Duisburger Hütte habe gehen müssen. Und um 1900, als ihr Vater noch Kind war, sei der Gletscher noch bis unter die Duisburger Hütte runter gegangen. Durch die hinter dem Gletscher von der KELAG gebaute Staumauer sei der Gletscher schlagartig zurückgegangen. Und jetzt gehe sowieso jeder Gletscher zurück, durch die Erderwärmung. Die 70jährige Flattacherin glaubt nicht, dass man die Erderwärmung von Menschenhand aufhalten könne, sie sei einfach ein Naturvorgang. Das Gletscherschigebiet liegt über 3000 Metern, wenn man dort auch keinen Kunstschnee mehr produzieren könne, gebe es darunter schon gar keine Möglichkeit mehr, Kunstschnee zu produzieren und Schi zu fahren. Ohne Kunstschnee hätten der darunter liegende Naturschnee heuer am Mölltaler Gletscher nicht ausgereicht, um den Schibetrieb auch bis in den Sommer zu ermöglichen. In der Kraftwerksbauzeit fanden viele Flattacher, die zuvor auswärts arbeiten, im Ort Beschäftigung. Aber nach Abschluss der Bautätigkeit, für den laufenden Betrieb also, sind nur mehr wenige Flattacher bei der KELAG beschäftigt. Die 70jährige Flattacherin kann sich noch an das erste Schirennen am Gletscher erinnern, vor zirka 30 Jahren an einem 12. August. Damals wollte ein Unternehmer das Schigebiet ausbauen, als er starb, wurden die paar Lifte aber wieder abgebaut. Familie Schulz, die Liftbetreiber, die Flattacher Gemeinde und Karl-Heinz Grasser hätten sich maßgeblich für den Bau der Gletscherbahn eingesetzt. Erst die 1996/97 fertiggestellte Stollenbahn ermögliche den Ganzjahresbetrieb im Gletscherschigebiet.

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Ganz Kärnten solle froh sein, dass sie das Gletscherschigebiet hätten. Das Mölltal und Flattach seien es sowieso, erst das Gletscherschigebiet brachte wieder deutlich mehr Beschäftigung und bessere Auslastung für bestehende Gaststätten, neue Hotels wurden gebaut, als die Gletscherbahn eröffnet wurde. Auch von Salzburger Seite bestünde großes Interesse an einen Anschluss an den Mölltaler Gletscher. Denn Salzburg habe zwar die meisten Lifte Österreichs, aber viele sind in tiefen Lagen und Salzburg brauche eine Ergänzung zum Kitzsteinhorn. Gletscherschigebiete würden immer notweniger werden. Deshalb werde man von Salzburg aus einmal einen Stollen zum Mölltaler Gletscher bauen. Landeshauptmann Haider sei schuld, dass die Kleinfragant Ende der 1980er Jahre damals unter Naturschutz gestellt wurde. Das Gletscherschigebiet sei Richtung Sonnblick und Kleinfragant nach Meinung der Flattacher Wirtin durchaus ausbaufähig, man habe aber immer wieder Schwierigkeiten mit Bewilligungen.

3.1.7 85jährige Flattacher Bäuerin

Die Eltern der in der Gemeinde Flattach geborenen Bäuerin waren ebenfalls Bauern. Ihre Kindheit sei schön gewesen, es war zwar eine karge Zeit, aber man habe mit allem Freude gehabt. Hart sei die Kriegszeit gewesen, alle Brüder mussten einrücken, beide Eltern starben früh. Sie wollte Köchin lernen, aber sie musste daheim in der Landwirtschaft arbeiten. Zwei Sommer lang half sie auf einer Kleinfraganter Alm als Hirterbub, danach war sie sechs Almsommer lang Sennerin. In ihrer Freizeit auf der Alm traf sie sich mit den anderen Sennerinnen, sie sangen viel miteinander. Nach dem Krieg halfen Kriegsgefangene aus Frankreich und Polen in der Landwirtschaft. Ihre Brüder machten nach dem Krieg Lehren, sie nicht. Nach ihrer Zeit als Sennerin wollte sie als Haushaltshilfe in der Schweiz arbeiten, aber sie blieb in der Gemeinde, heiratete, zog mit ihrem Mann in einen anderen Flattacher Ortsteil, hatte mehrere Kinder und baute mit ihm die Landwirtschaft wieder auf. Im Dorf traf sie immer wieder Leute, sie half verwandten und benachbarten Frauen bei Geburten, bis die Hebamme kam. Sie hätte diesen Beruf sehr gerne erlernt, wenn sie als Junge dazu eine Möglichkeit gehabt hätte.

Weil nach dem Abbruch einer Wand viel landwirtschaftliche Fläche vermurt wurde, mussten sie ihre Kühe verkaufen, ihr Mann arbeitete danach im Baugewerbe und sie betrieben die Landwirtschaft im Nebenerwerb.

Früher sei man weite Strecken zu Fuß gegangen und fast immer hatte man dabei auch viel zu tragen. Fuhrleute fuhren mit Fuhrwerken, wenn es aber sehr viel schneite, gab es nur einen Steig. Mit 44 Jahren machte sie den Führerschein (A, B, F), in den 1950er Jahren war die Straße in diesen Ortsteil erstmals mit einem Jeep befahrbar.

Eines ihrer erwachsenen Kinder lebt auswärts, die anderen blieben mit ihren Familien in der Gemeinde. Sie hilft auch in ihrer Pension immer noch in der Landwirtschaft ihrer Familie mit.

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Ob es auch in Zukunft immer so gut bleibe, wisse sie nicht. Heute sei es ja ein Schlaraffenland, es werde so viel weggeworfen.

Ihr Lieblingsplatz im Tal ist daheim, ab und zu komme sie wohin. Vor kurzem nahm sie beispielsweise an einem Almwandertag auf die Kleinfragant teil, den einer der beiden Seniorenvereine, in denen sie Mitglied ist, organisierte. Beim Kirchenbesuch und im Dorf traf und treffe sie sich immer wieder mit Leuten.

Das besonders Schöne in Flattach sei die Ruhe.

Im Gletscherschigebiet sei schon viel los, ihre Familie vermietet seit den 1970er Jahren auch einige Privatzimmer, die Gäste kommen hauptsächlich zum Schifahren, im Winter. Am Nationalparkgebiet gefällt ihr, dass es dadurch ein geschütztes Gebiet gibt. Durch den Bau des Gletscherschigebietes wurde ihrer Meinung nach kaum etwas zerstört, das meiste wurde dort ohnehin schon durch die KELAG-Bautätigkeiten zerstört. Nur die Gletscherbahn wurde noch dazu gebaut.

Früher habe es viel schneereichere Winter gegeben als jetzt. Und es könne ja sein, dass das Klima wärmer wird. Sie hat gehört, dass z.B. die Pasterze wahnsinnig viel zurückging, ähnlich würde es bei anderen Gletschern sein. Aber sie glaubt, dass es auch früher schon aperne Winter gab, es gab warme und kalte Winter.

Die Flattacherin erinnert sich an einige Wetterextreme, die sie selbst erlebt hat: Murenabgänge, eine Staublawine im Jahr 1975 in Innerfragant und die Hochwässer von 1965 und 1966.

Rauris kennt die Flattacherin gar nicht, aber man sehe vom Grat der Wurten nach Rauris hinunter. Ihre 1859 geborene Oma erzählte ihr, dass sie als junge Frau über Kolm-Saigurn und das Raurisertal ins Salzburger Land ging, wo sie Getreide jätete.

3.1.8 14jähriger Flattacher Hauptschüler

Die Eltern des 14jährigen Flattachers sind Wochenpendler und Tagespendlerin. Sie sind aus Flattach bzw. dem Nachbarort gebürtig und haben sich wegen der Kinderbetreuungsmöglichkeit durch die hier wohnenden Großeltern dazu entschlossen, hier ihr Haus zu bauen. Der 14Jährige wird nach der jetzt in Obervellach abgeschlossenen Hauptschule die HTL in Villach besuchen. Zumindest anfangs wird er dazu täglich zwei bis drei Stunden pendeln, später eventuell wochenpendeln. Als besonders schönes Kindheitserlebnis erzählte er von einem Schierlebnis am

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Mölltaler Gletscher. Er fährt gern am Mölltaler Gletscher Schi, schwimmt gern im Flattacher Schwimmbad, trifft gern Freunde, unter anderem zum Fußballspielen am Flattacher Fußballplatz. Er ist in keinem Flattacher Verein aktiv. Seine Lieblingsplätze im Tal sind daheim, im Schwimmbad und am Mölltaler Gletscher. Flattach beschreibt er als kleinen, von Bergen umgebenen Ort, wo jeder jeden kennt. Nicht so gut gefällt ihm hier, dass man zum Einkaufen weit fahren muss. Der 14jährige Flattacher würde später gern in der Nähe von Flattach arbeiten, wenn er hier nichts findet, woanders suchen. Durch einen Aufschwung mit dem Mölltaler Gletscher könnte er sich vorstellen, nach Schulabschluss hier zu bleiben. Er würde später gern eine Familie gründen und sich gemeinsam mit seiner Frau um Kinder und Haushalt kümmern. Flattach solle größer werden – mit Kino, Elektrogeschäft, weiteren Geschäften. Ein Stein im Garten ihres Hauses blieb als Erinnerung an das Murenunglück, das schon vor seiner Geburt war, stehen. Vom Klimawandel hat er im Fernsehen gehört, er kann auch einige Details beschreiben, der Gletscher sei zurückgegangen. Mit seiner Schulklasse war er zum Wandern im Nationalparkgebiet. Rauris kennt er gar nicht.

3.1.9 18jähriger Flattacher (Lehrling)

Der Vater des 18jährigen Flattacher ist im Baugewerbe tätig, seine Mutter ist Hausfrau. Derzeit macht er eine Lehre im Ort. Als schönes Kindheitserlebnis erzählt er vom Spielen mit Freunden im Wald mit Baumhaus-Bauen und Radfahren. Er ist Mitglied mehrerer Flattacher Sportvereine und hat verschiedene sportliche Hobbys (u.a. Tennis, Snowboard, Fußball, Radfahren). Der Flattacher Fußballplatz müsste saniert werden. In Flattach hat er keinen speziellen Lieblingsplatz, er ist hier überall gern und findet es schön. Der 18jährige Flattacher mag an Flattach besonders die Natur, dass der Ort klein ist, dass er viel Sport betreiben kann, er bezeichnet Flattach als Erlebnisort. Als Nachteil sieht er die schlechte Busverbindung und die fehlende Zugverbindung. Nach Lehrabschluss will er ein paar Jahre Praxis machen, und dann ins Ausland, z.B. nach Australien, gehen und dort arbeiten. Ob er dann wieder zurück nach Flattach möchte, weiß er jetzt noch nicht. Flattach hat seiner Meinung nach trotz seiner Kleinheit sehr viele Firmen, aber man könne noch mehr Arbeitsplätze schaffen. An Wetterextreme erinnert sich der 18jährige Flattacher nicht. Vom Klimawandel hat er in der Schule gehört, er kann auch Zusammenhänge beschreiben. Einen Gletscherrückgang hat er nicht beobachtet, allerdings extremere Jahreszeiten mit sehr viel oder kaum Schnee in einzelnen Wintern. Die Sommer sind kürzer als in seiner Kindheit, dafür aber sehr heiß. Flattach hat seiner Meinung nach keinen Bedarf, Nationalparkgemeinde zu werden. Dieses Angebot gebe es ohnehin in umgebenden Orten. Rauris kennt er nicht.

3.1.10 45jähriger Flattacher Gewerbetreibender

Der in Flattach aufgewachsene Unternehmer erinnert sich an eine sorgenfreie Kindheit, freute sich über die Ferien ohne Pflichten. Der 45jährige Flattacher fährt gern Rad, z.B. in die Großfragant. Am wohlsten fühlt er sich daheim, in seinem Haus selbst.

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Als typisches Fest fällt ihm der allsommerlich stattfindende Fraganter Kirtag ein, ein zweitägiges Fest, das auch in den Nachbargemeinden bekannt ist und sich hoher Besucherzahlen erfreut. In Flattach gebe es ein reges Vereinsleben, z.B. Bergrettung und Sportvereine. Auch er ist Mitglied eines Vereines. Kritisch merkt er an, dass diese Vereine von der Gemeinde benachteiligt würden. Vor allem der Fußball werde zu wenig gefördert, die Gemeinde überlege sogar, einen Golfplatz zu errichten, aber der Fußballplatz für Einheimische oder generell Sportanlagen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene würden von der Gemeinde vernachlässigt.

Besonders positiv in Flattach ist die Natur. In Flattach werde ausgebaut und würden Straßen gebaut, obwohl es im Vergleich zu anderen Gebieten noch relativ wenig sei. Aber die Wirtschaft müsse auch leben, es müsse ein Mittelweg gefunden werden.

Der Flattacher gründete eine Familie und er selbst habe seine Kinder gewickelt, zu Bett gebracht usw. Wie das war, als er selber klein war, weiß er nicht mehr. Aber sein Stiefvater habe mit den Kindern gerne etwas unternommen, zum Beispiel eine Bootsrunde am Millstättersee – und das, obwohl er sich das Geld ganz genau hat einteilen müssen.

Wirtschaftlich sei in Flattach der Tourismus sehr bedeutsam, mit allem, was damit zusammenhänge, es gäbe einige Kleinunternehmen, die Sesselfabrik und die KELAG. Letztere sei sehr dominant, habe auch einige Angestellte aus Flattach.

Nach den Berufen der Flattacher befragt, meinte der Unternehmer, dass viele Flattacher zunächst eine Lehre machen würden, das Bundesheer und dann zum Tunnelbau in die Schweiz oder woanders hin pendeln würden, um Geld zu verdienen. Mit dem Einkommen würden sich viele ein Haus für ihre in Flattach lebende Familie bauen. Viele blieben auch später auswärts berufstätig, weil es ihnen schwer falle, auf einmal weniger zu verdienen. Sie würden schon Arbeit in der Region finden, aber in Kärnten, besonders im Mölltal, würden sie viel weniger verdienen.

Der Mölltaler Gletscher bringe Beschäftigung, auch für sein Unternehmen. Er rechne es dem Altbürgermeister und anderen hoch an, dass sie hier etwas weitergebracht haben. Der Tourismus bringe aber auch Nachteile, wie z.B. das starke Verkehrsaufkommen auf der Straße durch Flattach zum Gletscherschigebiet. Während der Hauptsaison seien alle Betten belegt, und die Hoteliers würden vom Gletscher leben. Gerade angesichts des Klimawandels sei so ein Schigebiet von Vorteil, man habe auf „das richtige Pferd“ gesetzt. Es gäbe Ausbaupläne für das Gletscherschigebiet, aber man müsse in Zukunft auch im Tal etwas tun, Möglichkeiten für Einheimische, die auch Gäste nutzen könnten, z.B. ein Hallenbad. Die Gemeinde sage immer, sie habe kein Geld, zuviel sei in die Straßenerhaltung zum Gletscherschigebiet geflossen.

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Der 45jährige hat selbst in Flattach keine richtige Wetterkatastrophe erlebt, kennt aber von Erzählungen jene von Mitte der 1960er Jahre. Nun sei alles gut ausgebaut worden, Staumauern seien errichtet worden usw.

Der Flattacher Gewerbetreibende hat beobachtet, dass es keinen richtigen Frühling und keinen richtigen Herbst mehr gibt, die Übergänge zwischen sehr heißem Sommer und der Kälte im Winter fehlt. Er hat auch bemerkt, dass der Mölltaler Gletscher zurückgegangen ist. An den Klimawandel glaubt er dennoch nicht ganz, es sei vielleicht jetzt eine wärmere Phase, auf die dann wieder eine Eiszeit folgen könnte. Die Umwelt sei schon sehr stark belastet, durch Autos, Flugverkehr usw., aber ob das mit dem Klima zu tun habe, wisse er nicht.

Ob es in Flattach einmal Diskussionen darüber gab, ob die Gemeinde auch zum Nationalpark Hohe Tauern gehören wolle, wisse er nicht.

Zu Rauris hat der Flattacher keinen Bezug.

3.1.11 75jähriger Flattacher Kraftwerksbauer

Der 75jährige Flattacher ist in Flattach aufgewachsen. Er kann sich an kein schönes Kindheitserlebnis erinnern, es war eine harte Zeit. Er hatte einige Geschwister, seine Eltern führten eine kleine Landwirtschaft. Sie hatten keinen Strom, nur Holz. Acht Jahre lang besuchte er die einklassige Volksschule in Laas mit über 90 Kindern. In der Volksschule war alles nur provisorisch eingerichtet, aber er habe auch nach Meinung seines späteren Berufsschuldirektors in der Volksschule sehr viel gelernt. Er machte eine Handwerkslehre in Obervellach, in Flattach selbst gab es kaum Arbeit. 1944 ist er eingerückt, 1945 ging er vom Burgenland zu Fuß über alle Berge heim und wurde nicht gefangen genommen. Nach dem Krieg begann er in Spittal im Baugewerbe zu arbeiten, danach war er beim Autobahnbau in Deutschland tätig, als Monatspendler, vor allem wegen des höheren Einkommens, das er vor allem für den Hausbau in Flattach brauchte. Auch heute noch arbeiten nach Aussagen des Flattachers noch viele Männer zum Beispiel in der Schweiz im Stollenbau. Dabei verdienen sie gut und können damit den Hausbau in Flattach daheim finanzieren.

Der Kraftwerksbau brachte Arbeit für das Tal. Auch er arbeitete in den letzten 20 Jahren vor seiner Pensionierung bei der KELAG im Lawinendienst. Bei der Geburt des ersten Kindes war er teilweise dabei, bei den anderen Kindern nicht. Er war als Pendler nur selten daheim, seine Frau kümmerte sich um die Kinder.

Der Flattacher unternahm einige Reisen, seine Kinder leben in verschiedenen Kontinenten. Er selbst ist froh, nach einigen Reisetagen wieder nach Hause zu kommen. Flattach findet er schön und friedlich.

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Der 75jährige Kraftwerksbauer kann sich an einige Wetterextreme erinnern, das Möll-Hochwasser im August 1935, die Mure, die im August 1966 drei Menschen tötete, das Hochwasser im November 1966. Durchs Tiere Hüten und Bergsteigen kam er schon früh viel in den Bergen rund um Flattach herum, wanderte auch nach Rauris hinunter. Er lernte, Lawinengefahren einzuschätzen, später war er auch beruflich mit Lawinen befasst.

Das Schigebiet „Mölltaler Gletscher“ habe für Flattach einen Aufschwung gebracht. Gab es vor dem Gletscherskigebiet in Flattach nur eine sehr kurze Urlaubssaison (Sommer), würden die Gasthäuser jetzt stark vom Gletscherskigebiet profitieren. Problematisch sei, dass der Gletscher stark zurückgegangen sei und die Beschneiungsanlagen seien kostspielig. Er könnte sich vorstellen, dass ein „Skikarussell“ Mölltaler Gletscher – Nassfeld – Rauris geplant sein könnte.

3.1.12 80jähriger Flattacher Hotelier

Die Eltern des in Obervellach aufgewachsenen Hoteliers waren Bauern. Der Flattacher arbeitete zuerst bei einer Forstverwaltung in Obervellach. Dort habe er aber sehr wenig verdient, weshalb er dann in die Holzindustrie wechselte. Er absolvierte die Sägefachschule in Kuchl und als Betriebsleiter eines Sägewerkes verdiente er sich das Startkapital für den Bau des Hotels in der Gemeinde Flattach, das er in den 1960er Jahren eröffnete. Ursprünglich wollte er dort, auf der in Flattach gelegenen Alm seiner Eltern, das erste Alpen-FKK in Österreich anbieten. Nach großen Protesten, vor allem von seiner Mutter und vom Pfarrer, verzichtete er jedoch darauf. In den ersten Jahren war en die damals etwa 50 Betten des Hotels sehr gut belegt. Die Gäste hatten die Möglichkeit, noch weiter hinaufzufahren – Richtung Oschenik oder Wurten.

Die Straße in die Innerfragant wurde Ende der 1950er Jahre von der Wegbaugemeinschaft Innerfragant – Fragant mit Unterstützung des „Internationalen Zivildienstes“ gebaut, nach der Murenkatastrophe 1966 hat die KELAG diese Straße übernommen.

Während der KELAG-Bautätigkeiten ab ca. Mitte der 1960er Jahre bis Ende der 1970er Jahre waren mehr als 500 Bauarbeiter beschäftigt, die Bautätigkeiten brachte nach Meinung des Flattacher Hoteliers einen wirtschaftlichen Auftrieb für die ganze Gemeinde, Arbeitsplätze und Gewerbesteuern. Sein Hotelbetrieb war in während der KELAG-Bautätigkeit rund um das Hotelgelände kaum möglich, danach kamen die Gäste aber wieder.

Die Kinder haben, so der 80jährige Flattacher, seine Frau und er gemeinsam versorgt. Kinder seien bei ihnen das höchste Gut. Jahrzehntelang führte er das Hotel, ein Kind war schon viele Jahre im Gastgewerbe tätig, zog aber erst vor wenigen Jahren nach Hause und übernahm den Hotelbetrieb.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 30

Der Hotelier organisierte das erste Gletscherschirennen im August, zirka um 1970. Ziel war es, als Sommerschigebiet bekannt zu werden. Ein Wiener Zuckerfabrikant, Toni Schirber (?), stellte die ersten Lifte auf, und hätte 700.000 Schilling für die Erschließung über die Kleinfragant zur Verfügung gestellt. Daraus wurde aber nichts, weil Landeshauptmann Haider entgegen früheren Zusagen dann doch die Kleinfragant unter Naturschutz stellen ließ. Es gab hauptsächlich von Umweltschützern und dem Alpenverein Proteste gegen das Gletscherschigebiet. Durch den plötzlichen Tod Schirbers (?) kam sein Liftprojekt am Wurtenkees zum Erliegen. Dann organisierten einige Flattacher selbst den Transport eines Aggregates auf den Wurtenkees und Pistengeräte. Später kamen die Aggregate weg, es gab Diskussionen über eine gemeinsame Erschließung auch von Bad Gastein aus. Die KELAG gab eine einjährige Frist, in der sie eine Bewilligung für eine Straßenverlängerung Richtung Bad Gastein erteilt hätten. Das Jahr verstrich aber, ohne dass von Bad Gastein aus etwas geschehen wäre, die dortige Gemeindeverwaltung hatte wegen Überschuldung einen Verwalter bekommen. Danach kam Heinz Schultz als Liftbetreiber nach Flattach.

Der Flattacher Hotelier war auch Lokalpolitiker, setzte sich für den Bau des Flattacher Freibades ein. Mit der KELAG machte die Gemeinde einen Vertrag, in dem die Gemeinde das Recht bekam, selber oder durch Dritte Lifte zu errichten. Im Gegenzug würde die Gemeinde der KELAG mehr Energie abkaufen, was schließlich auch zur elektrischen Beheizung des Flattacher Schwimmbades führte.

Besonders engagierte er sich für den Bau des Gletscherschigebietes ein. Dieses habe Flattach den Aufschwung gebracht, habe Arbeitsplätze vor Ort, neue Häuser und Hotelbauten gebracht. Nationalparkgemeinde wollte Flattach damals nicht werden, sonst hätte man das Gletscherschigebiet nicht erschließen können. Allerdings seien zwei Gebiete im Flattacher Gemeindegebiet, die Kleinfragant und die Großfragant, unter Naturschutz gestellt.

Es laufe in Flattach derzeit einigermaßen gut. Das Gletscherschigebiet könnte angesichts der vielen Gäste erweitert werden. In Zukunft müsste aber die Gegend stärker verkauft werden. Man müsse den Leuten die Natur zeigen, ihnen von der Bergbauzeit und der Erschließungszeit erzählen und ihnen Ausflugstipps geben, Buschenschankfahrten sind z.B. bei seinen Gästen sehr beliebt.

Er war früher gerne Bergsteigen. Zur Zeit, als ein Bekannter eine Hütte am Sonnblick gepachtet hatte, ging er öfter hinauf, einmal auch von dort zu Fuß ins Raurisertal, wo er für die Hütte viel einkaufte und alles im über 20 kg schweren Rucksack hinauftrug. Das tat er nicht mehr, zumal die Versorgung ohnehin von Rauris aus organisiert war.

Er erzählte von der unterschiedlichen Sonnenscheindauer in Flattacher Ortsteilen. Flattach selbst habe im Winter zwei Monate nur Schatten, die Innerfragant habe hingegen ganzjährig Sonne.

Er erinnert sich an die Murenkatastrophe von 1966 und den anschließenden Wiederaufbau.

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3.2 RAURIS

3.2.1 14jährige Rauriser Hauptschülerin

Die 14jährige Rauriser Hauptschülerin zog mit ihrer Mutter vor 7 Jahren nach Rauris. An Wochenenden und in den Sommerferien wohnt sie an ihrem früheren Wohnort bei ihrem Vater. Er lebt in einem vom Tourismus dominierten Ort mit ähnlicher Einwohnerzahl wie Rauris, aber deutlich höheren Gästezahlen. Beide Elternteile sind erwerbstätig. Ein besonders schönes Kindheitserlebnis war gleichzeitig ihr erster Eindruck von Rauris: alle waren sehr nett zu ihr. Die 14jährige Rauriserin nimmt gerne an von der Schule mitgestalteten Festen in Rauris teil, unter anderem auch bei den Rauriser Literaturtagen, bei Wochenendveranstaltungen kaum, weil sie bei ihrem Vater ist. In ihrer Freizeit trifft sie sich gern irgendwo in der Rauriser Natur oder in aufgelassenen Gebäuden. So ein altes Haus war auch ihr Lieblingsplatz im Tal. Die Rauriser Jugendlichen können im Winter Schifahren (sie selber fährt lieber im größeren Schigebiet bei ihrem Vater) und im Sommer Schwimmen. An Rauris gefällt ihr die Aussicht besonders gut, weil es eben ein schönes Tal ist. Nicht so gut gefällt ihr, dass es in Rauris wenig los ist. Nach der Hauptschule wird die 14jährige Rauriserin aus dem Tal weg zu ihrem Vater ziehen und eine höhere Schule für wirtschaftliche Berufe mit Tourismusschwerpunkt besuchen. Danach will sie vielleicht im Ausland im Tourismus arbeiten, danach wieder nach Österreich kommen. Nach Rauris möchte sie dann aber nicht zurückziehen, weil ihr da zu wenig los ist. Bei den Mädchen gibt es ihrer Meinung nach zwei Gruppen: die einen, die sehr familienorientiert sind und die anderen, die Karriere machen wollen, alle Burschen glauben, dass man zuerst eine „g’scheite Arbeit“ brauche. Ein Jugendzentrum für Jugendliche findet sie sinnlos, das würde ohnehin wieder zerstört. Jede/r Jugendliche solle sich besser selber etwas suchen. Sie kann sich an den Föhnsturm erinnern, der vor zwei Jahren (2005?) auf der linken Seite des Lifthangs alle Bäume wegriss. Vom Klimawandel hat sie noch nicht gehört.

3.2.2 25jährige Rauriser Hotelkauffrau

Die Hotelkauffrau lebt bei ihrer Mutter, die als gebürtige Deutsche nach Rauris eingeheiratet hat. Beide Elternteile sind erwerbstätig, der Vater arbeitete lange Zeit im Ausland, er pendelte in größeren Zeitintervallen nach Rauris heim, wo er mit seiner Frau ein Haus baute. Besonders schöne Kindheitserlebnisse waren für die 25jährige Hotelkauffrau, wie sie mit ihren Freundinnen in alten, leer stehenden Rauriser Bauernhäusern spielten. In Rauris wachse man mit der Natur und mit Tieren auf. Die Rauriser legen ihrer Ansicht nach besonders viel Wert auf das „Mia sand mia“. Weil ihre Muttersprache hochdeutsch war, wurde sie in der Volksschule gefragt, was sie denn hier tue. Erst dadurch wurde ihr bewusst, dass sie anders als die anderen rede. Danach habe sie Dialekt gelernt, so quasi als „Aufnahmsprüfung“, um zu den Rauriser Kindern zu gehören. Ihre

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Mutter werde auch nach mehr als 40 Jahren Lebenszeit im Tal von den gebürtigen RauriserInnen noch nicht als Rauriserin anerkannt. Wer nicht direkt aus dem Tal gebürtig ist, komme quasi aus dem Ausland, und wenn er nur aus Taxenbach komme. Es sei ein gefühlsmäßiger Unterschied.

Die 25jährige Rauriserin beschäftigte sich sehr mit der Geschichte des Tales, verfasste auch eine kleine Chronik dazu. Detailreich erzählt sie von typischen Rauriser Bräuchen, wie den Schnabelperchten oder den Besonderheiten des Rauriser Krampuslaufes sowie über die Rauriser Tracht.

Als noch nicht verheiratete kinderlose junge Frau stelle man ihr immer wieder Fragen zur Familiengründung. Eine Frau, so sagen ihr das der Vater und andere Leute, sei für den Haushalt zuständig, solle zu Hause bleiben, maximal etwas dazuverdienen. Auf gute Ausbildung der Mädchen werde in Rauris aus zwei Gründen dennoch großer Wert gelegt. Einerseits, weil viele Eltern wollen, dass ihre Tochter erfolgreich sein solle und es besser als sie selber haben solle, andererseits, weil Männer ja keine blöde Frau haben wollen. Von ihrem Vater höre sie aber immer wieder, dass ihre Ausbildung umsonst sei, weil sie irgendwann heirate. Ihre schwere Krankheit hat ihre Lebenspläne schon mehrmals durchkreuzt. Es gäbe für sie nun zwei Möglichkeiten. Die eine sei, sesshaft zu werden und Kinder zu kriegen. Dann müsse sie sich damit abfinden, dass ihr Mann auswärts arbeiten würde und nur alle zwei Wochen heimkomme. So gehe es vielen Frauen im Ort. Sie will aber nicht nur an einem Platz bleiben, reist gerne und will noch viel von der Welt sehen. Es gibt nach Einschätzung der 25jährigen Rauriserin im Tal keine beruflichen Perspektiven. Sie möchte nach einem WIFI-Diplomlehrgang wieder in der Tourismusbranche Arbeit finden.

Die Natur, das Abgeschiedene, die Eigenständigkeit und die Persönlichkeit machen Rauris aus. RauriserInnen interessierten sich im Prinzip nicht für den Rest der Welt. Das Engstirnige, das „Eigenbrötlerische“ der RauriserInnen sei besonders. Gäste sind nach Meinung der Hotelkauffrau, deren Mutter selbst Privatzimmer vermietet, zwar herzlich willkommen, aber sie habe nicht das Gefühl, dass diese das persönliche Leben der RauriserInnen beeinflussen. Die Nächtigungszahlen gingen in den letzten Jahrzehnten nach Meinung der 25jährigen Hotelkauffrau und ihrer Mutter stark zurück. Rauris habe viele Stammgäste, man fühle sich hier geborgen und es ist familiär, aber die Stammgäste sind sukzessiv veraltet. Neue Gäste zu gewinnen sei schwierig. Spottbillige Pauschalangebote („Ballermann“) wolle man in Rauris nicht bieten, da könne kein Privatvermieter mehr mithalten. Solche Angebote in Konkurrenzgebieten hungern nach Ansicht der Privatzimmer vermietenden Mutter die Rauriser Vermieter aber mit der Zeit aus. Rauris müsse versuchen, seine Qualitäten, z.B. die schöne Natur, das modernisierte Familienschigebiet, besser zu vermarkten. Die 25jährige Rauriserin ist gegen den Bau eines Rauriser Gletscherschigebietes, Gletscher sollen nicht einfach dafür aufgegeben werden, weil sie ohnehin zurückgehen. Sie will in Rauris auch keine neuen Feriendörfer. Rauris solle Rauris bleiben, sie wolle gar nicht, dass in Rauris mehr los sei. Es gebe aber auch sehr gute Pläne, wie z.B. die Sonnblickarena.

Zur Schulbildung und später zur Arbeit verließ die Hotelkauffrau wie viele ihrer ehemaligen SchulkollegInnen das Tal. Im Tal selbst gebe es wenige Möglichkeiten, sich berufsspezifisch weiterzubilden, das sei aber generell ein Problem vieler Täler. Männer zogen „durch die Bank“

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weg. Nur die blieben im Tal, die eine Familie gründeten, ein einziger Schulkollege und mehrere Schulkolleginnen.

Die 25jährige Rauriserin ist sehr gern in der Natur und beobachtet das Wetter. Es habe sie schon als Kind fasziniert, dass man in Rauris riechen könne, wenn sich das Wetter ändere. Die Luft rieche dann anders. Sie kann sich an einen besonders starken Föhnsturm erinnern. Föhne seien an sich aber üblich, Rauris sei ein Föhntal. Lokale Regenschauer sind im Tal sehr häufig. Lawinen gibt es weniger im Haupttal, eher im Seidlwinkeltal und am Osthang des Schigebietes. Allerdings sei nach Auskunft der Mutter noch nie jemand im Schigebiet von einer Lawine gefährdet gewesen. Ende Juni 2006 habe nach starkem Regen im Gebiet Bucheben - Hüttwinkel eine Mure eine Brücke zerstört. Die Rauriser Ache selbst sei nicht gefährdet, weil saniert und von der Feuerwehr regelmäßig geräumt, viel mehr die Nebenbäche. 2003 sei auf Höhe Bruderhof die Rauriser Straße drei Meter hoch von einer Mure verschüttet worden, auch zwei Autos wurden erfasst. Es sei niemand gestorben. Als Bergler sei man jedoch gewohnt, dass etwas passieren könne. Man sei mit der Gefahr aufgewachsen. Jeder wisse, dass man nach starkem Regen gefährliche Plätze meiden müsse. Man sehe ja, dass der Boden aufgeweicht sei. Es seien Murensperren gebaut worden, in Rauris versuche man, dort anzusetzen, wo der Keim des Übels sei. Aber man wolle in Rauris deshalb nicht alles zubetonieren.

In Rauris merke man Anzeichen eines Klimawandels. Die Anzahl der heißen Tage im Sommer hat sich nach dem Empfinden der 25jährigen Rauriserin nicht geändert, aber sie seien noch heißer geworden. Während es in ihrer Kindheit im Sommer Höchsttemperaturen zwischen 20 und 23 Grad gab, seien heute 30 Grad warme Sommertage keine Seltenheit mehr. Die seit mehr als 40 Jahren in Rauris lebende Mutter findet nicht, dass jetzt alles extremer wurde. Sie erinnert sich an den besonders kalten Winter 1976/77 mit minus 27 Grad. 1979 seien im Mai alle Rosenknospen nach heftigem Frost erfroren. Kalte Phasen, kurze Sommer, regnerische Sommer, alles habe sie auch früher schon im Tal erlebt, in gewissen Abständen komme das wieder.

Nicht ein Teil von Rauris sei Nationalpark, nein, Rauris ist Nationalpark. Nach Meinung der Mutter solle sich Rauris auf den „Sanften Tourismus“ konzentrieren. Rauris sei mit seiner langen Goldbergbautradition lebendige Geschichte („Güldenes Städtchen“). Auf diese Merkmale solle man auch die Werbung aufbauen. Nach Meinung der Mutter solle man Rauris als Familienschigebiet bewerben. Die 25jährige Tochter hält letzteres für problematisch, man müsse die gesellschaftliche Entwicklung der Familien (Scheidungsraten) auch im Auge behalten.

Zu Flattach hat die 25jährige Rauriserin keinen Kontakt, verweist aber auf die Besiedelungsgeschichte von Rauris, die vom Süden erfolgte.

3.2.3 35jährige Rauriser Pädagogin

Die 35jährige Rauriserin ist in einem anderen Bundesland aufgewachsen. Weil sie einmal eine gewisse Zeit auf einer Alm verbringen wollte, bewarb sie sich während ihres später

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abgebrochenen Studiums um einen Ferienjob als Sennerin im Rauriser Tal. Sie bekam den Job und arbeitete zwei Sommer lang hier.

Zum ersten Mal sah sie von der Großglockner Hochalpenstraße Richtung Rauriser Tal. Ihre ersten Eindrücke von Rauris: idyllisch, abgeschieden, schwer erreichbar, und ein bisschen zurückgeblieben.

Auf der Alm lernte sie käsen und den Umgang mit Tieren, die Almsommer waren sehr arbeitsreich und lang. Besonders schätzte sie dort die fachliche Unterstützung einer 80jährigen Frau, die wenige Jahre später ihren 50. Almsommer feierte. Diese Frau habe ein enormes praktisches Wissen gehabt, wie man mit ganz einfachen Mitteln auf Themen reagieren könne.

In dieser Zeit lernte sie auch ihren späteren Mann, einen Rauriser, kennen und lieben. Weil sie aber keine Wochenendbeziehung wollten, brach sie ihr Studium im entfernten Bundesland ab, zog zunächst ins Bundesland Salzburg und arbeitete dort als Pädagogin. Sehr schwierig war es für sie, einen Arbeitsplatz im Pinzgau zu finden. Sie schrieb zahllose Bewerbungen, schließlich fand sie doch eine Stelle als Pädagogin, in einem für sie neuen Bereich. Sie hatte damals das Gefühl, diese Stelle müsse sie jetzt annehmen, sonst kriege sie da herinnen nie wieder einen Job. Als sie im Pinzgau den Job bekam, zog sie nach Rauris zu ihrem nunmehrigen Mann und pendelte mit dem Auto täglich zur Arbeit aus dem Tal. Anfangs bildete sie noch Fahrgemeinschaften, später fuhr sie wegen beruflicher Autofahrten allein mit dem Auto.

Zur fachlichen Qualifikation für ihre neue Arbeit absolvierte sie berufsbegleitend einige pädagogische Ausbildungen. Eine dieser Weiterbildungen war damals für sie eher eine Notlösung, weil die von ihr zunächst geplante Weiterbildung berufsbegleitend von Rauris aus nicht möglich war. Sie hätte dazu täglich nach Salzburg-Stadt pendeln müssen. Es sei ein Manko, ganz typisch für das Innergebirg (die Gaue südlich des Passes Lueg, also Lungau, Pongau und Pinzgau), dass es viele Bildungsangebote hier nicht gebe und von Rauris in die Stadt Salzburg müsse man mit mindestens 1,5 Stunden Fahrzeit rechnen, andere größere Städte liegen noch weiter entfernt. Wenn man in Rauris mit Familie, Beruf, Bauernhof gebunden sei, sei es wirklich schwierig, an Ausbildungen zu kommen. Fernstudien findet sie sehr mühsam, weil gerade auch die Gruppe der Studierenden wichtig sei, um dranbleiben zu können und nicht schon nach dem Schwinden der ersten Motivation abzubrechen.

Im Rahmen eines Praktikums fand sie nach einigen Jahren eine neue Stelle in einem von Rauris etwa 25 km entfernten Ort – wieder in einem für sie neuen pädagogischen Tätigkeitsfeld. Nach zwei Jahren Arbeit in diesem Beruf gebar sie ihr erstes Kind. Seither ist sie zu Hause in Karenz. Sie hofft jedoch, irgendwann wieder einmal an diese Stelle zurückzukehren. Ihr Dienstverhältnis ist jedenfalls noch aufrecht.

Als sie nach Rauris zog, war sie anfangs irritiert, weil viele Leute viel über sie wussten, aber nicht umgekehrt. Jetzt sei ihr das aber klar, Rauris sei ein kleiner Ort, jeder kenne jeden und eine

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einzelne Person, die öfter wo auftauche, falle auf. Sie hatte das Gefühl, dass sie im Tal gut aufgenommen worden sei, die Rauriser können die Leute so sein lassen, wie sie sind. Bis jetzt sei sie mit dem, was sie hier gelebt habe, noch nicht so sehr auf Widerstand gestoßen. Es sei eine Stärke der Rauriser, dass Zugereiste, vorwiegend Frauen, im Tal sehr viel bewegen können. Die zugezogenen Frauen selbst würden das unterschiedlich erleben. Sie kenne einige, die immer das Gefühl haben, gegen Windmühlen zu kämpfen und so irrsinnig viel Kraft bräuchten. Sie selber erlebe es so, dass sie Sachen hinsetze und wenn es Leute brauche, die das mittragen, finden sich diese. Wenn es eine Sache sei, die sie für sich alleine lebe, passe das für sie auch. Sie habe nicht das Gefühl, dass sie sich erst sehr viel freischaufeln müsse, um ihre Individualität hervorkehren zu können.

So gründete sie zum Beispiel in Rauris einen Chor, rasch meldeten sich engagierte Mitglieder. Sie selber sah das immer auch ein wenig als soziales Projekt, es sangen auch sehr viele zugezogene Frauen mit, für die der Chor ein erster Schritt in die Gesellschaft war. Später waren auch Männer im Chor, die aber berufsmäßig wieder wegzogen oder nicht so viel in Rauris sind. Die Chormitglieder hatten auch eine gute Gesprächsbasis für Frauenthemen, alle waren in ähnlichen Situationen – ähnlich alt und in ähnlichen Lebenssituationen (Partnerschaft, kleinen Kindern, Hausbau etc.). Der Chor gestaltet vor allem kirchliche Feste mit, er bestehe immer noch, sie selbst sei aber nicht mehr dabei und habe neue Herausforderungen gesucht. Sie lebe eine gewisse Zeit lang etwas intensiver und koste es in allen Facetten aus, dann sei es genug und sie brauche etwas Anderes.

Sie engagiert sich auch im Bildungsbereich im Ort. Sie fand es unbefriedigend, wenn externe Vortragende nur zu einem Vortrag in den Ort kommen. Wichtiger sei ihr die Vernetzung zwischen jenen im Ort, die irgendeine kreative Technik besonders gut können (z.B. Filzen) mit Menschen im Tal, die das gerne lernen möchten. Wenn ReferentInnen im Ort selber wohnen, seien sie nach dem Vortrag oder Seminar nicht wieder aus dem Tal draußen, sondern auch danach noch für Fragen oder Vertiefung der erlernten Techniken greifbar. Solche bereits von ihr veranstalteten Kurse seien recht gut angenommen worden.

Im Pfarrbrief initiierte die Rauriserin die Seite „Lebenszeichen“, auf der sich RauriserInnen mit eigenen Texten vorstellen können. Die meisten wollen diese Texte auch mit ihrem Namen veröffentlichen. Das sei schon ein toller Schritt, wenn sich jemand mit ganz persönlichen Gedanken so im Ort hinstellen wage. Man werde auf seine Texte dann auch von den Leuten angesprochen. Mittlerweile kommen RauriserInnen von sich aus und trauen sich mit ihren Texten an die Öffentlichkeit. Dass so eine Seite gerade im Pfarrbrief erscheine, liege an einer ihrer Grundeinstellungen: Es sei ihr wichtig, das zu nutzen, was vor Ort vorhanden sei. Ressourcenorientierung sei ihr etwas total Wichtiges.

Die überwiegende Mehrheit der TeilnehmerInnen an den beiden letztgenannten Initiativen, aber auch bei anderen Veranstaltungen, wie z.B. Schreibwerkstätten, seien Frauen. Es gäbe zwar sehr

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viele männliche Kursleiter, aber ein Großteil der TeilnehmerInnen seien Frauen, Frauen seien hier eher die Konsumierenden. Sie fragt sich, was die Hemmschwelle der Frauen sei, sich einfach auch auf eine nächste Stufe zu trauen, nicht dienen, indem sie daran teilnehmen.

Eine weitere Idee von ihr war das „Rauriser Gold“, eine Wertkarte, die in mehr als 60 Betrieben im gesamten Rauriser Tal eingelöst werden kann und die der Abwanderung der Kaufkraft entgegenstehe. Jeder Gutschein weise die Menschen auch darauf hin, welche Angebotsfülle und welche Qualität im Tal vorhanden seien. Große Gruppen von Gastronomie, Handel, Gewerbe, Dienstleistung und Direktvermarktern seien hier zusammengefasst. Sie fand Leute, die diese Idee verwirklichen halfen und die Wertkarte werde sehr gut angenommen.

In Rauris gebe es mehr zugezogene Frauen als Männer. Häufiger wolle der Mann nicht aus Rauris ausziehen und die Partnerinnen ziehen dann nach Rauris. Sie kennt aber auch sehr viele, die aus Rauris wegziehen. Das hänge viel mit Bildungsmöglichkeiten und dem Arbeitsmarkt zusammen. Die Intelligenz wandere ab, Menschen mit höherer Ausbildung als Matura fänden hier am Arbeitsmarkt kaum etwas. Und vorher sei es natürlich auch schon notwendig, dass diese Menschen nach Salzburg, Innsbruck, Graz, Wien oder München zur Schulbildung gehen. Dort würden sich dann für viele andere Perspektiven eröffnen. Sie hört immer wieder von Menschen, die über Jahre am Stück weg waren, dass ihnen Rauris danach zu eng sei. Sie würden zwar gern ihre Familie und Freunde im Tal besuchen, aber sie möchten nicht mehr ganz nach Rauris ziehen, weil sie ihren Freundeskreis und ihren Job, den sie in irgendeiner Stadt gefunden haben, nicht aufgeben möchten.

Rauris sei ein irrsinnig schönes Tal, sie schätze die Landschaft sehr. Die Winter seien hier noch richtige Winter, die unter die Haut gingen: schöne, heftige, lange, kalte Winter. Der Tourismus im Tal war für sie, die aus einem Gebiet zuzog, in dem es keinen Tourismus gab, eine spannende neue Erfahrung. Sie schätze auch, dass sich Veranstaltungen wie zum Beispiel die „Rauriser Literaturtage“ über 36 Jahre hier halten konnten. Und dass man auch als Zugezogene „Sein’s“ verwirklichen könne.

Als Schwierigkeiten im Ort sieht sie den fehlenden Anschluss an Bildungsmöglichkeiten und die geringe Auswahl an Jobs. Sie persönlich erlebe es so, dass ihr Job sehr anspruchsvoll und vom Kollegenteam sehr bereichernd sei. Aber sie habe das Gefühl, dass sie ihn auf keinen Fall aufs Spiel setzen dürfe, so was kriege sie nie wieder. Würde sie ihn verlieren, glaubt sie, dass sie vom Anspruch her eine Ebene tiefer gehen müsste.

Das Negativ-Malen und Jammern bei Tourismusversammlungen stört sie. Die Zahlen würden es belegen, der Tourismus sei rückläufig und da hänge jeder Mensch im Tal herinnen daran. Aber es ginge den Menschen trotzdem noch nicht so schlecht, dass sie sagen würden: „Jetzt muss sich wirklich etwas ändern.“ Das Reiseverhalten habe sich geändert. Stammgäste, die wirklich 30 Jahre im gleichen Ort Urlaub machen, gebe es immer seltener. Vermieter müssten eigeninitiativ werden.

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Es reiche nicht, zu fragen „Und wer bringt uns die Gäste?“. Jeder solle seine Möglichkeiten, z.B. im Privatzimmerbereich, voll ausschöpfen und die Frage umdrehen: „Und, welche Gäste bringst du nach Rauris?“ Das würde auch im Bereich der Kooperation viel mehr bringen. Dass der Geschäftsführer der Rauriser Tourismus GmbH von außen komme, sei ein guter Weg. Man müsse alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit der derzeitige Heimalmlift am Leben bleibe. Denn ohne Lift wäre der Wintertourismus nur mehr sehr eingeschränkt möglich, es gäbe dann nur mehr ein bisschen Langlaufen und ein bisschen Schneeschuhwandern.

Sie ist gespannt, ob der Trend wirklich wieder „Zurück zur Natur“, zum Wandern, gehe. Wandern sei ja nicht nur für Menschen ab 50, sondern auch für junge. Wenn die geplanten Ferienhäuser gebaut würden, würden diese neuen Gästebetten hoffentlich auch einen Impuls für die Region bringen. Das Projekt „Sonnblickarena“ ist ihrer Meinung nach grundsätzlich eine sinnvolle Idee - ein neues Gebäude mit allen möglichen Trainingseinrichtungen und Hallenbad. Die RauriserInnen sollten sehr begründete, fundierte Projekte miteinander umsetzen und nicht so sehr defizit-orientiert denken.

Dem Ausbau eines Gletscherschigebietes in Kolm-Saigurn würde sie kritisch gegenüber stehen. Man höre immer wieder, dass allein die Hochalmbahnen mindestens 500 zahlende Gäste täglich mehr bräuchten, damit das Rad wirtschaftlich rund laufen würde. Für eine eventuelle Gletscherbahn müsste man schon ein tolles ausgefeiltes Projekt mit evt. vielen Investoren von außen haben, damit das Gletscherschigebiet wirtschaftlich überleben könnte. Sie wisse auch nicht, ob die Zeit dafür nicht schon vorbei sei, vom Land her gebe es derzeit einen Neubaustopp. Ihr würde es besser gefallen, wenn man mit bestehender Struktur noch machen könne.

Die 35jährige Rauriserin habe sich noch wenig mit dem Thema „Klimawandel“ auseinandergesetzt. Das Wetterobservatorium am Sonnblick habe ausbetoniert werden müssen, weil angeblich der Gipfel aufgetaut sei, die Gletscher gingen zurück. Im Tal habe es in den letzten Jahren enorme Auswirkungen durch heftige Naturerscheinungen gegeben (Föhnstürme, Überschwemmungen, Lawinen usw.), auch das falle unter das Schlagwort „Klimawandel“. Sie wisse nicht, woraus man schließe, dass auch früher einmal der Gletscher schon weiter oben gewesen sein müsste, damit habe sie sich noch nicht so genau beschäftigt. Nichtsdestotrotz verlange es ein bewusstes Nachdenken über den Umgang mit Energie bzw. fossilen Brennstoffen und über die ganze Wegwerfgesellschaft.

Die seit einigen Jahren in Rauris lebende Frau kann sich an den Föhnsturm von 2002 erinnern, dieser brachte den Wäldern auch durch den anschließend stark gestiegenen Borkenkäferbefall viele Schäden. Erst vor kurzem sei zwischen Rauris und Wörth wieder eine größere Mure abgegangen. Lawinen kämen in diesem Graben eben. Und dass der Wildbach (Gaisbach?) manchmal mehrmals jährlich komme und dann wieder fünf Jahre nicht, sei einfach so.

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Irgendwann habe er den Schuttkegel hier aufgeschüttet und das sei halt mit der Besiedelung dieses Gebietes auch noch nicht abgeschlossen.

Flattach kennt die 35Jährige gar nicht, sie empfindet den Alpenhauptkamm als rechte Barriere.

3.2.4 65jährige Rauriser Wirtin

Die gebürtige Rauriserin wuchs mit mehr als 15 Geschwistern auf einem Bauernhof auf. Sie wuchsen zwar arm auf, aber das sei überall so gewesen. Ihr Vater kannte sich mit Kräutern und Hausmitteln sehr gut aus, Medikamente vom Arzt kannte sie in ihren ersten Lebensjahren nicht. Sie hält jetzt noch sehr viel von Kräutern und anderen Naturheilmitteln. Ihr Vater war auch ein guter Wetterbeobachter Sie sei immer schon sehr wissbegierig gewesen, habe sich für Geschichte interessiert und sei ein begeisterter Naturmensch, halte jetzt noch viel von Kräutern und anderen Naturheilmitteln, sei viel gewandert und gereist. Besonders im Hüttwinkel und im ganzen Sonnblickgebiet sei ihr Herz. Weit über hundert Mal sei sie am Sonnblick gewesen, häufig als Wanderführerin mit Gästen.

Als sie 14 war, starb ihr Vater und die Mutter stand allein mit so vielen Kindern da. Alle Kinder halfen mit, und wer mit der Schule fertig war, musste selber verdienen. Sie wäre gerne Lehrerin geworden, ihre eigene Lehrerin setzte sich bei der Mutter auch dafür ein. Aber die Mutter sagte, dass sie kein Geld für ihre Ausbildung hätten und dass die Ausbildung der Söhne wichtiger sei als die ihrer Töchter. Heute denkt die Rauriser Wirtin oft, dass ihre Mutter mit dieser Ansicht wirklich Recht hatte. Ihre Familie konnte sich keinen Knecht leisten, deshalb machte die Rauriserin nach der ihrem Pflichtschulabschluss keine LehrerInnenausbildung, sondern Arbeiten, die sonst üblicherweise Männer erledigten: sie arbeitete im Kuhstall und zog Holz. Es habe sie aber geprägt und stark gemacht.

Bald verdiente sie als geschickte Sennerin auf einer Rauriser Alm durch die Verpflegung von Filmteams und Ornithologen so viel, dass sie damit die Berufsausbildung ihres jüngsten Bruders zahlen konnte. Ein guter Schafhirte, der für sie auf der Alm wie ein Vaterersatz war, half ihr dabei. Sie erzählte auch eine heitere Episode dieses Hirten, der noch einmal zurück auf die Alm ging, als er oben seine Noten für die Musikprobe im Tal vergaß. Damals habe es sogar in Bucheben noch eine eigene Musikkapelle gegeben. Am liebsten wäre sie Sennerin geblieben, wenn das ein Ganzjahresjob gewesen wäre.

In ihrer Jugendzeit half die Rauriserin im Winter neben ihrer Arbeit am Bauernhof auch in Rauriser Gasthäusern aus. Im Tourismus wurden Arbeitskräfte gesucht, was für sie, die keinen Beruf erlernte, ein Vorteil gewesen sei. Fast zehn Jahre lang arbeitete sie als Kellnerin außerhalb des Tals. Sie heiratete, hatte selber fünf Kinder und baute mit dem, was sie sich während dieser Zeit ersparte, einen Gasthof in Rauris. Im Lauf der Jahre stockte sie die Bettenzahlen auf mehr als

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60 Betten auf. Die Wirtin bezeichnet sich selbst als Pionierin des Fremdenverkehrs in Rauris. Ihre ersten Gäste folgten ihr von ihrem früheren Arbeitsplatz und ihre besten Gäste seien über Jahre Menschen mit Behinderung gewesen, die in Gruppen aus den Niederlanden, später auch aus Deutschland, kamen. Wenn sie von der Geschichte von Rauris erzähle, geführte Wanderungen anbiete und traditionelle Küchenspezialitäten aus der Region koche, komme das bei den Gästen sehr gut an. Einige ihrer Kinder sind mittlerweile ebenfalls im Tourismus tätig.

Bis in die Mitte der 1990er Jahre lief das Geschäft zufriedenstellend. Dann sei der Einbruch gekommen. Das Tal sterbe, weshalb sie todunglücklich sei. Sie sei weit herumgereist, aber ihre Heimat habe das schönste Tal überhaupt. Rauris habe früher sehr viel Tourismus gehabt, doch jetzt sei es weit hinter andere Orte zurückgefallen. Sie kenne mehrere Tourismusunternehmen in Rauris, die nur mehr am Hungertuch nagen würden. Sie selber bekomme viele Gäste nur, weil sie gratis ganztägig selber Reiseleitungen mache. Darüber hinaus hätten auch viele andere Unternehmen große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Rauris habe keinen Bäcker mehr, keinen Metzger, keinen Schneider. Insgesamt seien 16 Unternehmen ausgesiedelt. Und das zermürbe sie. Grund für diese großen Probleme ist ihrer Meinung nach, dass es zu keinem Ausbau der Schigebiete im Bereich Kolm oder zumindest Richtung Gasteiner Tal (Zwei- oder Drei-Täler-Verbindung) gekommen ist.

Dass man im Juni noch bis Kolm mit Schiern herunterfahren könne, sei keine Seltenheit. Weil Niederschläge sowohl von Norden als auch von Süden kämen, gäbe es dort besonders viel Schnee. Sie selbst habe deshalb immer für ein Schigebiet im Bereich Kolm plädiert und tue es immer noch. Jetzt sollen die Rauriser Tourismusbetriebe für die Beschneiungsanlage im Hochalm-Schigebiet einen „Schneeschilling“ zahlen. In den letzten zehn Jahren sei dieses Schigebiet auf künstliche Beschneiung angewiesen gewesen. Das sehe sie nicht ein, denn im Kolm-Gebiet gäbe es Schnee genug für ein Schigebiet und die Tourismusunternehmen könnten den „Schneeschilling“ auch nicht mehr verkraften.

Seit den 1950er Jahren gab es mehrere Erschließungspläne. Sie selber habe sehr für die Verwirklichung dieser Pläne gekämpft, allerdings habe die Politik versagt. Der erste ihr bekannte Plan wurde im Bodenhaus geschmiedet. Das Bodenbauer-Haus sei ein beliebtes Ausflugsziel gewesen. Unter anderem reisten der bulgarische König und Grafschaften mit einem Zug durch den Imhofstollen von Gastein nach Kolm. Dieser Stollen war in der Bergbauzeit errichtet worden und transportierte ursprünglich das Gasteiner Silber und Rauriser Gold. Um 1950 hätten die damaligen weitblickenden Wirtsleute des Bodenbauer-Hauses, die Familie Seidl, mit einigen ihrer vermögenden Gäste, dem bulgarischen König und dem Ölscheich Aga Khan (der III.?) ein Schigebiet mit Badeanstalt im Bereich Kolm geplant. Aber eine Lawine zerstörte 1951 das alte Bodenhaus, die Seidls zogen weg und der Ölscheich investierte nicht mehr in Kolm. Ein Liftgutachter machte Ende der 1960er Jahre ein Erschließungsgutachten für das Schigebiet in Rauris im Bereich Wörth – Lercheggalm – Stanz-Scharte – Kolm. Er schlug eine Tälerverbindung

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zwischen Kärnten (Schareck), Gastein und Rauris vor. Danach gab es gab noch zwei weitere Gutachten (eines Ende der 1970er Jahre, eines in den 1980er Jahren), die zwar geologisch unterschiedlich waren, aber zu ähnlichen Ergebnissen gekommen seien. Die Rauriserin hat diese Gutachten aufbewahrt.

Landeshauptmann Haslauer sagte der Wirtin in seiner Amtszeit (1977-1989 Landeshauptmann von Salzburg) zu, die Aga-Khan-Ideen zu verwirklichen, wenn auch ohne Badeanstalt. Aber leider sei Landeshauptmann Haslauer allzu früh gestorben. Im Gemeinderat hat die Rauriser Wirtin mehrere Anträge für den Bau eines neuen Schigebietes gestellt und Unterschriften der Gewerbetreibenden gesammelt. Zumindest der Ausbau des Schigebietes zwischen Rauris und dem Gasteiner Tal - zwischen Bucheben und Gastein im Bereich Schlossalmgebiet – Stanz-Scharte – versprach ihr der Rauriser Bürgermeister. Optimistisch erweiterte sie darauf hin ihren Hotelbetrieb Mitte der 1990er Jahre nochmals.

Die späteren Salzburger Landeshauptleute Katschthaler (1989-1996 Landeshauptmann von Salzburg) und Schausberger (1996-2004 Landeshauptmann) hätten eine neue Schigebietserschließung in Rauris verhindert. Sie hätten die Zukunft im sanften Tourismus gesehen. Der Rauriser Bürgermeister habe sich dieser Meinung dann auch angeschlossen, und so wurde kein neues Schigebiet Richtung Kolm gebaut. Rauris brauche den Nationalpark, aber ein Schigebiet im Bereich Kolm hätte nach Ansicht der Rauriser Wirtin nur einen geringen Eingriff in die Natur erfordert und es würde auch die Orte Bucheben und Wörth wirtschaftlich wieder beleben. Aber in Rauris würde alles verhindert. Sie sage Ja zum Nationalpark, aber Gletscherschigebiete seien trotzdem möglich. Auch in Kärnten habe man den Mölltaler Gletscher politisch ermöglicht.

Um 2000 habe sie auch mit dem Liftbetreiber am Mölltaler Gletscher, Heinz Schultz, gesprochen. Er hätte in Rauris sofort investiert, wenn er von der Gemeinde Rauris die Zustimmung erhalten hätte. Diese kam aber nicht und so investierte er das für Rauris vorgesehene Geld in ein anderes Schigebiet.

Seit Jahrzehnten ist die Rauriser Wirtin auch öffentlich tätig. Sie war bereits jahrelang in Fraktion und der Frauenbewegung politisch aktiv und arbeitete im sozialen Bereich sowie bei vielen Festen mit. Dennoch musste sie gegen großen Widerstand der Männer ihrer Partei kämpfen, um in den 1980er Jahren als erste Frau Gemeinderätin zu werden („Weibln gehören hintern Herd!“). Sie habe aber so erfolgreich gearbeitet, dass bei der nächsten Wahl auch die anderen Parteien Frauen auf ihre Listen setzten. Der Krach mit der ÖVP wegen des Gletscherschigebietes veranlasste sie, mit einer eigenen Liste zu kandidieren, mit der sie auf Anhieb drei der insgesamt 19 Rauriser Mandate gewann. Sie hätte auch gute Chancen auf den Bürgermeistersessel gehabt, aber das habe ein Komplott der ÖVP verhindert.

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Jahrzehntelang war sie auch Mitglied des Alpenvereines, die Forderung der jetzigen Leiterin nach Leinenpflicht für Hunde findet sie aber übertrieben. So dürfe man nicht vorgehen, auch der Nationalpark habe umdenken müssen, die Rauriser seien hier die Vorbilder.

Sie hielt und hält auch immer wieder öffentliche Reden, auch Grabreden. Früher seien Grabreden nur bei Männern üblich gewesen, egal, ein Mann viel getaugt habe oder nicht. Bei Frauen gab es keine Grabreden, die Rauriser Wirtin sei so reingestoßen worden und hielt in Rauris in den 1970er Jahren als Frau erstmals auch eine Grabrede für eine Frau. Danach hielt sie bei vielen Frauen Grabreden.

Als sie Sennerin war, hatten sie auf der Alm Schafe, herunten im Kessel Rinder. Vor der „Kleinen Eiszeit“ seien auch weiter oben Kuhweiden gewesen, der Name „Kühkar“ oberhalb der Feldereralm erinnere heute noch daran. Dann seien diese Weiden wieder vergletschert. Als sie Mitte der 1950er Jahre auf der Alm war, lagerten sie im Sommer in der Schneerinne oberhalb der Feldereralm ihr gewildertes Fleisch. Diese Rinne sei laut ihrem Schafhirten ein kleiner Gletscher gewesen. In den letzten Jahren sei er deutlich kleiner geworden. Die Bergbaustollen seien wieder ausgeapert. Die Moräne sei zurückgegangen. Als sie 15 Jahre alt war, sei das Gletschertor irrsinnig groß gewesen, jetzt sei es ganz klein.

Das Wetterbeobachten habe sie von ihren Eltern und vom Schafhirten gelernt. Letzterer erkannte an der Verfärbung des Kupferkessels einen Wetterumschwung. Die 65jährige Rauriserin erinnert sich an einige Wetterextreme: 1951 sei ein Lawinenjahr gewesen, auch das alte Bodenhaus wurde zerstört. 1955 schneite es im Juli sehr viel, eine Lawine oberhalb der Feldereralm tötete damals 30 Schafe.

3.2.5 Rauriser Bauernpaar (beide 80)

Die 80jährige Rauriserin ist bei Verwandten aufgewachsen, weil sie ein lediges Kind war. Als sie sechs Jahre alt war, zog sie mit ihrem Vater auf den mehrere Jahrhunderte alten Bauernhof, den dieser in den 1930er Jahren kaufte. Nach der Schule machte sie das Pflichtjahr beim Schüttbauern, wo sie aber nicht wie geplant Haushaltsarbeiten lernte, sondern in erster Linie schwere Feldarbeiten verrichten musste, z.B. händisch mähen. Als lediges Kind sei sie eine billige Arbeitskraft gewesen. Nach diesem Pflichtjahr wollte sie nicht daheim bleiben, sondern half der Köchin auf einem anderen Rauriser Bauernhof und lernte so kochen.

Der 80jährige Rauriser hatte zehn Geschwister und erlebte das Ende der 1920er Jahre und den Beginn der 1930er Jahre als furchtbar schlechte Zeit. Es gab kein Wasser und kein elektrisches Licht im Haus. Mit 18 musste er einrücken, war drei Jahre lang im Krieg, auch in Russland. In Rauris mussten Frauen und alte Männer die Arbeit machen, über hundert Rauriser seien im Krieg gefallen.

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Der Rauriser sei in der Schule einer der Besten gewesen. Seine Frau meinte, er hätte leicht eine weitere Schule geschafft, aber sie habe ihn als Bauern gebraucht. Sie selber hätte als Kind lieber alles andere als Bäuerin werden wollen. Krankenschwester wäre ihr Traumberuf gewesen, aber sie habe den Hof ihres Vaters weiterführen müssen. Bei Krankheiten ihrer Kinder habe sie sich später aber immer zu helfen gewusst, beispielsweise mit alten Hausmitteln wie Ziegenbutter. Auch keine andere ihrer Schulkolleginnen wollte Bäuerin werden, viele wären gerne Schneiderin, Köchin oder Lehrerin geworden. Tatsächlich haben die meisten dann geheiratet, einige haben auch Bauern geheiratet, die anderen sind Hausfrauen geworden. Heutzutage sei es ein Fehler, dass Frauen einen Beruf hätten, durch den sie nicht auf den Mann angewiesen seien. Deshalb gebe es jetzt auch so viele Scheidungen.

Seit einem Kriegsurlaub waren die beiden miteinander befreundet. Weil sie ein lediges Kind war und nach dem Erbrecht nicht automatisch erben hätte können, heirateten die beiden unmittelbar nach dem Krieg. Die Rauriserin wurde volljährig erklärt und ihr schwer kranker Vater übergab ihnen den Hof. Die Jugend der Rauriserin sei zwar schwarz gewesen, aber sie habe einen guten Mann geheiratet und nun seien sie schon mehr als 60 Jahre verheiratet. Die beiden konnten sich keine Dienstboten leisten, auch die Frau mähte. Seit Ende der 1950er Jahre vermieteten sie auch einige Gästezimmer. Sie haben sehr viele Stammgäste und benötigen auch heute noch keine Vermittlung durch den Fremdenverkehrsverein. Eine bayrische Familie, ihre besten Gäste, kämen bereits seit 50 Jahren zu ihnen auf Urlaub, jetzt zu den Kindern des Rauriser Ehepaares. Nun biete die Familie Frühstück und Ferienwohnung. Man merke, dass die deutschen Gäste auch sparen. Aber ihre Gäste kämen nach wie vor, es seien Pensionisten mit regelmäßigem Einkommen oder auch Familien mit Kindern.

Die Rauriserin besitzt eine Rauriser Tracht und ist Mitglied des Trachtenvereines. Heute koste so eine Tracht etwa 60.000 Schilling. Sie trage sie bei Begräbnissen, zu Fronleichnam und zu Bauernhochzeiten. Mit ihr seien zwischen 25 und 40 Frauen im Trachtenverein aktiv, großteils ältere Frauen. Junge Frauen würden die Tracht häufig von ihren Müttern erben. Alleine könne man diese Tracht nicht anziehen, eine andere Frau helfe dabei.

Der 80jährige Rauriser war nie als Perchte unterwegs, das sei während seiner Jugendzeit – während des Krieges - in diesem Ortsteil nicht so üblich gewesen.

Am liebsten sei das Rauriser Ehepaar daheim, nur einige Male bereisten sie die Herkunftsstädte ihrer Gäste. Da hätten sie verstanden, warum die Leute nach Rauris kommen. Hier sei es ruhig, die Luft sei besser. Man kenne einander, grüße einander – im Gegensatz zur Stadt. Auf die Frage, was ihnen in Rauris nicht so gut gefalle, antworteten die beiden, dass sie nicht schimpfen wollen. Die Gemeinde habe Schulden, aber das habe jede Gemeinde. Der Bürgermeister sei gut und tue was er könne.

Früher habe man in Rauris auch Getreide angebaut, es sei viel mehr Arbeit als heute gewesen, aber weil man noch keine Gäste hatte, hatte man dafür auch noch Zeit – und man kaufte fast nichts. Jetzt gäbe es keine Selbstversorger mehr. Holz wurde früher über die Rauriser Ache transportiert.

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Es habe wieder Interessenten am Goldbergbau in Rauris gegeben, allerdings müsse dazu giftiges Zyanid verwendet werden, und deshalb habe man es in Rauris nicht zugelassen. Da hätte ganz Rauris vergiftet werden können.

In ihrer vom Enkelsohn verfassten Hofchronik ist auch ein Lawinenunglück von 1884 erwähnt. Als die 80jährige Rauriserin noch ein Kind war, erzählte ihr eine damals fast 90jährige Rauriserin davon: in der Nacht sei eine Lawine vom Hofberg (Wörth – Eingang Seidlwinkeltal?) heruntergekommen und habe einen Bauernhof zerstört, die fünf BewohnerInnen seien dabei getötet worden.

Während der Kindheit des 80jährigen Raurisers gingen zwischen Rauris und Bucheben (Mitterberg (?)) Lawinen ab, die Hirsche töteten. Die Jäger erlaubten der Familie des Raurisers, das Hirschfleisch zu essen.

In der Erinnerung des Rauriser Ehepaares wurde das Bodenhaus 1953 von einer Lawine zerstört.

An das große Hochwasser von 1965, 1966 können sich die beiden erinnern. Ein Haus sei zerstört worden, auch die Steinbrücke. In Wörth seien Keller überschwemmt worden, u.a. gab es Schäden beim Andrelwirt und im Geschäft.

Aber so viele Katastrophen wie jetzt habe es nicht gegeben. Jetzt seien viele Tiere ausgestorben oder es gäbe viel weniger, z.B. kämen nur mehr halb so viele Schwalben, es gäbe weniger Fliegen, viel weniger Bienen zum Befruchten der Obstbäume. Ob das mit der Erderwärmung zu tun habe, wisse er der 80jährige Rauriser nicht. Manche sagten, es hänge mit der „Atomgeschichte“ zusammen, meinte seine Frau.

2002 gab es einen Sturm, bei dem sehr viel Wald zerstört wurde. Seither gebe es auch Borkenkäferbefall. Immer wieder gebe es Stürme mit Saharastaub, der das Schmelzen der Gletscher beschleunige.

3.2.6 85jährige Rauriser Bäuerin

Die Bäuerin sei auf einem Rauriser Bergbauernhof in einer gläubigen, friedlichen Familie aufgewachsen. Es sei damals eine schlechte Zeit gewesen, sie hatten wenig Geld. Aber sie seien zufrieden und bescheiden gewesen. In ihrer Kindheit und Jugend war für die gebürtige Rauriserin Weihnachten immer das Schönste, darauf haben sie und ihre vier Geschwister sich immer besonders gefreut, obwohl sie wenige Geschenke bekamen. Über den Umbruch 1938, als Hitler kam, war sie froh, es sei ihnen besser gegangen, weil sie Kinderbeihilfe bekamen. Leider Gottes sei nachher aber der Krieg gekommen. Als sie jung war, war Krieg, und die Jugendlichen des Ortes feierten keine Feste. Aber danach wurden samstags oder sonntags viele Feste gefeiert, z.B. Heimkehrertänze.

Nach Schulabschluss bis zu ihrer Hochzeit war sie mehr als 15 Jahre lang als Milchmesserin unterwegs, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Tagsüber arbeitete sie am elterlichen Bauernhof. Im

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Sommer prüfte sie auch die Milch auf den Almen. Dort war meist nur eine Sennerin, manchmal auch noch ein Viehhüter. Nach der Arbeit spielte sie mit der Sennerin Karten oder sie unterhielten sich. Sie sei gern Bäuerin gewesen. Wenn sie es sich aussuchen hätte können, wäre sie aber gerne nach der sechsjährigen Volksschule weiter in eine Schule gegangen. Das sei damals aber nicht möglich gewesen, ihre Familie habe dazu das Geld nicht gehabt und sie hatte mehrere Brüder, keine Schwester, am Hof. Da musste sie waschen, bügeln, flicken und stopfen, der Mutter helfen. Und in der Landwirtschaft helfen.

Ihr Mann arbeitete im Baugewerbe in Rauris, gemeinsam bewirtschafteten sie einen kleinen Bergbauernhof. Als ihr Mann tödlich verunglückte, war sie mit ihren drei minderjährigen Kindern allein. Es sei für sie schwer gewesen, ihre Geschwister halfen ihr, besonders in der Landwirtschaft. In ihrer Familie folgten weitere tragische Todesfälle.

Vor etwa 15 Jahren zog sie in eines der Rauriser Altenheime. Verwandte übernahmen ihre Landwirtschaft. Im Vergleich zur Zeit, in der sie die Landwirtschaft bewirtschaftete, sei jetzt viel mehr maschinell bewirtschaftet. Heute seien nicht mehr alle Almen, die sie in ihrer Zeit als Milchmesserin kontrollierte, bewirtschaftet. Die Bocksteinhütte (vom Lechnerhäusl aus erreichbar) sei beispielsweise total zerfallen. Ob dort noch Vieh oben sei oder ob sie verwaldet sei, wisse sie nicht.

Im Altenheim fühle sich hier sehr wohl. Sehr oft gehe sie spazieren, häufig zum Friedhof neben der Kirche. Aus gesundheitlichen Gründen ist sie nicht gern auf Reisen, bleibt viel lieber zu Hause. Hier könne sie ja in der frischen Luft gehen. Auch früher fuhr sie kaum weg, war meist am Hof. Zum Einkaufen fuhr sie nur nach Wörth, dort hätten sie alles gekriegt. Früher habe es dort drei Geschäfte gegeben, jetzt gebe es nur mehr eines.

Im Vergleich zu ihrer Jugendzeit sei das Auffälligste, das sich in Rauris verändert habe, der Wohlstand. Blumenschmuck habe auch sie damals schon auf ihrem Hof gehabt, in ihrem Garten hatte sie so schöne Blumen und Gemüse, das immer gut gedieh. Auch Kartoffeln baute sie selber an. Lift gab es früher keinen, man musste selber hinaufgehen. 1980 sei der Lift gebaut worden. Jetzt sei es selbstverständlich, dass man mit dem Lift fahre. Sie selber fuhr nicht Schi, aber alle ihre Brüder waren gute Schifahrer, sie fuhren in Wörth. Tourismus gab es damals wenig, häufiger Sommerfrischler als Wintergäste.

In Rauris gebe es nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten (Friseure, Verkäuferinnen, Baugewerbe, Tourismus, Landwirtschaft), viele würden auspendeln, z.B. nach Zell am See oder auch nach Salzburg. Viele Junge würden zu Arbeit und Studium wegziehen, z. B. nach Wien.

In Rauris gehe es den Leuten so gut und sie denkt, es werde auch ganz gut weitergehen. Wirtschaftlich werde der Ort in Zukunft vom Tourismus leben, im Winter von Schifahrern, und von der Landwirtschaft.

Früher war es in Rauris – vom Autolärm her gesehen – ruhiger. Sie selber habe nie den Führerschein gemacht, alle ihre Brüder schon. Von den Frauen in ihrem Bekanntenkreis machte nur eine einzige Schwägerin den Führerschein. Das sei früher weniger für Frauen gewesen. Frauen

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waren Beifahrerinnen – wenn sie neben Kinderbetreuung und Arbeit am Bauernhof/ im eigenen Gastbetrieb noch Zeit dazu hatten. Im Vergleich zu heute hätten die Frauen früher immer sehr einfach und bescheiden gelebt, so seien sie aufgewachsen. Aber sie seien mit dem zufrieden gewesen, was sie hatten. Über die heutigen Frauen könne sie nicht urteilen.

Sie kann sich an die Überschwemmung im Seidlwinkeltal im Sommer 1966 erinnern, sie sah, wie ein Haus mitgerissen wurde. Die Bewohner konnten sich retten, aber Haus und Inventar wurden zerstört.

Vom Klimawandel habe sie gehört, dass die Sommer heißer und weniger würden, weil das Ozonloch immer größer werde. Noch, glaubt sie, habe das weniger Auswirkungen auf Rauris.

Der Nationalpark sei mehr ein Vorteil für Rauris, für den Tourismus.

3.2.7 15jähriger Rauriser Hauptschüler

Beide Elternteile des 15jährigen Raurisers sind berufstätig. Besonders schöne Kindheitserlebnisse waren seine Aufenthalte auf einer Rauriser Alm. Er ist kein Mitglied eines Rauriser Vereines, aber Mitglied eines auswärtigen Sportvereines. In seiner Freizeit betreibt er viel Sport, nimmt auch an vielen Wettbewerben teil. Sein Lieblingsplatz in Rauris ist das Jagdgebiet seiner Familie auf einem Rauriser Berg. Sehr gut gefällt ihm in Rauris das sportliche Angebot, dass die Leute freundlich zueinander sind und einander grüßen. Nicht so gut gefällt ihm, dass Rauris für Jugendliche sehr konservativ ist, wenig für Jugendliche da ist. Eher würden neue Wanderwege gebaut (von denen es ohnehin schon genug gäbe) als dass etwas für Jugendliche getan werde. Der 15jährige Rauriser wird nach der jetzt abgeschlossenen Hauptschule eine Sportschule mit Internat besuchen, will sportlich möglichst erfolgreich sein und dort Matura machen. In Rauris gibt es seiner Meinung nach nicht viele Berufschancen, das beginne schon damit, dass man Berufsschulen und Höhere Schulen außerhalb des Tales besuchen müsse mit zumindest einer halben Stunde Fahrzeit je Richtung. Ob er später einmal gern in Rauris daheim sein will, weiß er noch nicht. Er will einmal schauen, wohin es ihn treibe. Aber in Rauris ist er aufgewachsen und er ist das Leben am Land gewöhnt und kann sich eigentlich nichts Schöneres vorstellen. Schade findet er, dass das Jugendtreffhaus von Größeren demoliert wurde und danach daraus Wohnungen gebaut wurden. Vom Klimawandel hat er schon gehört, allerdings versteht er darunter, dass eine neue Eiszeit komme, davon lasse er sich aber nicht beeinflussen.

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3.2.8 30jähriger Rauriser Handwerker

Der gebürtige Rauriser erzählt als besonders schönes Kindheitserlebnis von der Goldwaschweltmeisterschaft in Rauris, bei der er einen Titel errang. Insgesamt waren damals etwa 250 TeilnehmerInnen bei dieser Rauriser Veranstaltung, Rauriser, aber auch viele internationale Gäste. Nach der Weltmeisterschaft kamen einige Gäste mehrere Jahre lang hierher auf Urlaub, jetzt sind diese Kontakte abgeflaut. Als er Kind war, hatte fast jedes Rauriser Kind Goldwaschen als Hobby, mittlerweile ist das Interesse der Einheimischen am Goldwaschen abgeflaut. Heute waschen in Rauris hauptsächlich Touristen Gold. Im Seidlwinkeltal oder in der Kitzlochklamm ist sich der Rauriser sicher, dass man auch heute noch Gold findet, aber eben nur sehr kleine Stücke. Wirtschaftlich rentabel ist die Goldsuche nach Ansicht des 30jährigen Raurisers hier nicht mehr. Ein Goldwäscher erzählte ihm, dass man heute hochgiftige Laugen einsetzen müsste, damit ein Goldbergbau hier wirtschaftlich rentabel sein könnte. Als Kind war er mit seinem Opa an den ehemaligen Bergbaustätten von Rauris.

Von den zirka 60 MitschülerInnen in Rauris, sie waren damals ein besonders starker Jahrgang, blieben höchstens 15 oder 20 in Rauris, zwei Drittel zogen weg. Wer studiert hat, blieb auswärts, hat nur die Möglichkeit, diese Qualifikation in der Stadt zu nutzen. Zum Urlaub kommen viele ehemalige Schulkollegen wieder nach Rauris. Der 30jährige Rauriser trifft sie ab und zu beim Schifahren. Nur ein kleiner Prozentsatz derer, die außerhalb des Tales arbeiten, pendelt täglich von Rauris, der Großteil wohnt dann auch außerhalb des Tales. Denn von Rauris fährt man eine halbe Stunde mit dem Auto in die nächsten größeren Ortschaften Zell am See und St. Johann. Seine Schulkollegen, die im Ort blieben, sind LKW-Fahrer, übernahmen den Bergbauernhof ihrer Eltern oder arbeiten im Gastgewerbe.

Während seiner Lehrzeit pendelte der Rauriser mit Bus oder Mitfahrgelegenheit aus dem Tal. Nach dem Bundesheer fand er in seinem erlernten Beruf Arbeit in einem Rauriser Tourismusunternehmen.

Rauris ist für den 30jährigen Rauriser ein relativ netter ruhiger Ort, die Ruhe – ohne Durchzugsverkehr – schätzt er besonders. Der Ort ist von Touristen nicht überlaufen, man hat hier noch seine stillen Plätze.

Der Handwerker ist Mitarbeiter des Roten Kreuzes Rauris, sie sind auch öfter mit der Bergrettung gemeinsam unterwegs. Zur Finanzierung ihrer Rotkreuzstelle veranstalten sie jährlich ein zweitägiges Sommerzeltfest. Das Rote Kreuz rückt auch oft aus, z.B. zum Florianifest der Feuerwehr, zum Jubiläum der Rauriser Goldgräber, zur Blasmusik. Wenn ein Verein ein Fest veranstaltet, rückt der ganze Ort aus, da wird gemeinsam gefeiert. Im Ort gibt es auch Sportvereine (Sportclub, Fußballvereine, Eisschützenvereine), die Feste veranstalten, um damit auch ein bisschen zu verdienen. Viele Leute sind Mitglied nur eines Vereines, wenn man in dem

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engagiert ist, hat man mit einem Verein genug zu tun. Im Roten Kreuz arbeiten genau so auch Frauen mit, auch die Feuerwehr hat weibliche Mitglieder, die Bergrettung ist ein reiner Männerverein. Bei den Eisschützen sind mehr ältere Mitglieder. Bei der Feuerwehr gibt es junge Buben, die auch bei Wettkämpfen mitmachen. Jugendliche, deren Eltern in einem Verein sind, werden häufiger auch Vereinsmitglieder. Aber im Großen und Ganzen ist es schwierig, Jugendliche für ehrenamtliche Vereinstätigkeit zu gewinnen. Viele wollen gar nicht zu einem Verein gehen, wenn sie nicht bezahlt werden, wollen einfach Freizeit haben und nicht irgendwo gebunden sein.

Im Gegensatz zu seiner Elterngeneration sind Frauen seiner Generation selbständiger, wollen etwas dazuverdienen, damit man auf Urlaub fahren könne. Seine Mutter war zwar, als ihre Kinder größer waren, auch wieder erwerbstätig, aber nur, damit die Schulden vom Hausbau abbezahlt werden konnten, auf Urlaub fuhr sie nie. Heute hingegen ist nach Meinung des Rauriser Handwerkers eine Urlaubsreise pro Jahr Standard.

In der Hotellerie muss sich etwas ändern, damit wieder mehr Gäste nach Rauris kommen. Das Schigebiet ist im Vergleich zu anderen klein. Derzeit kommen im Winter vor allem Familien mit kleinen Kindern auf Schiurlaub, großteils aus Deutschland, auch aus den Niederlanden. Viel machen eine Woche Urlaub, das Rauriser Schigebiet hat nach Einschätzung des Raurisers weniger Tagesgäste. Die Gäste fahren Alpinschi, sind Langläufer, machen Schitouren, Schneeschuhwanderungen, fahren Schlitten oder machen Pferdeschlittenfahrten Diese Gäste kommen großteils nur im Winter, im Sommer reisen sie z.B. ans Meer. Im Sommer kommen sehr viele Senioren und spazieren oder machen kleine Touren. Künstliches Beschneien ist sehr teuer, man sorgt dafür, dass am Anfang der Saison eine kleine Grundbeschneiung da ist. Zu Weihnachten, zum Hauptgeschäft, will man hier Schnee haben, im Frühjahr, für den Sonnenschilauf, ist es nicht mehr so nötig.

In Jahren, in denen zu Weihnachten noch kein Schnee liegt, wird das Gletscherschigebiet diskutiert. Rauris ist ein richtiges Föhntal – Richtung Sonnblick ist der Wind nach Aufzeichnungen noch stärker. Wegen starker Winde und Lawinen wäre es nach Meinung des Raurisers eine schwierige Investition, dort ein Schigebiet zu bauen. Außerdem glaubt er, dass man im Nationalpark sowieso keine Möglichkeit hat, zu bauen. Der Rauriser glaubt nicht, dass ein Gletscherschigebiet das ist, was die Rauriser nach vorne bringe. Auch der Anreiseweg sei zu weit.

Weil Rauris ein typisches Föhntal ist, nehmen auch im derzeitigen Rauriser Schigebiet die Windstärken mit zunehmender Höhe zu. Deshalb muss man bereits im derzeitigen Rauriser Schigebiet an einigen Tagen die Bahnen ab 1700 m Seehöhe wegen zu starken Windes sperren. Würde man das Gletscherschigebiet erschließen, seien viel stärkere Windprobleme zu befürchten.

Am Nationalpark gefällt ihm, dass dadurch die Landschaft erhalten bleibt. Der Mensch dringt immer weiter in Gebiete vor, irgendwo sind seiner Meinung nach die Grenzen aber erreicht. Heute gibt es sicher Wanderer, die sich den Nationalpark ansehen wollen. Von einem Kollegen weiß er, dass dort absolutes Flugverbot für Helikopter gilt. Der Rauriser Handwerker findet das gut, weil

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das so ein geschützter Landschaftsteil ist, wo das Wild oder die Geier noch ihre Ruhe haben. Er glaubt aber nicht, dass ein Tourist heute nur wegen des Nationalparks nach Rauris kommt. Wer von den Grundbesitzern im Nationalpark nicht nach seinen Vorstellungen bebauen darf, schimpft über den Nationalpark. Viele haben aber mit dem Nationalpark einen Kompromiss gefunden, man darf z.B. zu einer bewirtschafteten Hütte hinfahren, aber in einer verträglichen Form. Andere sind froh, dass ein Nationalpark da ist, damit es so bleibt.

Es gab auch früher schon warme Winter, das hat sein Opa erzählt. Allerdings erreicht man nach Erfahrungen des 30jährigen Handwerkers die nötigen Minusgrade für künstliche Beschneiungen viel schwieriger. Aufgrund der Aufzeichnungen war es in Rauris früher kälter. Das führt er auf die durch den Treibhauseffekt bewirkte Erwärmung zurück. Wenn es wärmer wird, wird die Beschneiung schwieriger, und es gibt auch weniger Naturschnee. Ohne Schnee wäre das für Rauris katastrophal, weil die Gastwirte keine Wintergäste, keine Schifahrer, mehr bekommen würden. Auch die ca. 50 Liftangestellten hätten keine Arbeit. Er weiß nicht, was Rauris ohne Schnee machen würde, ob sich eine Therme oder ein anderer Bau für Rauris rentieren würde. Er glaubt, dass es fast nicht machbar ist. Als Wohnort wird Rauris nach Ansicht des 30jährigen Vaters auch in Zukunft attraktiv bleiben, weil es immer schwieriger wird, eine gute Wohnqualität zu finden. Im Tourismus kann es schon sein, dass wieder ein paar Zimmer dazugebaut werden. Sein Sohn wird vielleicht irgendwo eine höhere Schule besuchen, später irgendwo studieren. Ob er in Rauris bleibt, wird ihm überlassen sein.

Soviel Schnee wie im Winter 2005/2006 hat es in den letzten 29 Jahren in Wörth nicht gegeben. Seine älteren Nachbarn haben ihm erzählt, dass es früher genauso Winter mit fast keinem Schnee gab. Durch die Achenregulierung gibt es in Rauris mehr Hochwasserschutz. Der Großvater hat dem 30jährigen Rauriser vom Hochwasser von 1965 erzählt, bei der ihr Haus überschwemmt worden sei. Ansonsten sei damals aber noch wenig verbaut gewesen. Die Bäche der Seitentäler, auch im Gebiet der Hochalmbahn, sind in den letzten Jahren mit großen Murenbrechern verbaut worden.

Der 30jährige Rauriser war noch nie in Flattach und kennt den Ort auch nicht.

3.2.9 60jähriger Rauriser Lehrer

Der vor mehr als 30 Jahren als Lehrer nach Rauris Gezogene wuchs in der Nähe des Rauriser Tales auf. Seinen ersten Eindruck von Rauris bekam er, als er das Vieh seines elterlichen Bauernhofes ins Raurisertal, bis zum Bodenhaus, trieb. Nach seinen schönen Anfangserlebnissen

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in Rauris befragt, erzählt der Rauriser von schönen Erlebnissen mit den vielen anderen auch sehr jungen KollegInnen, die mit ihm damals ins Tal zogen bzw. an der Schule unterrichteten. Damals war in den Lokalen sehr viel los, das ist nach Ansicht des Rauriser Lehrers stark zurückgegangen. Heute sitzt nur selten jemand am Stammtisch, das gesellige Beisammensein ist stark zurückgegangen. Hauptgrund dafür ist seiner Meinung nach, dass bis zu 70 % der Beschäftigten auspendeln, auch Fernseher und Computer dürften eine kleine Rolle spielen. In den letzten Jahrzehnten hat es nach Ansicht des Rauriser Lehrers ging die Zahl der Beschäftigungssituation im Tal stark zurück. Beispielsweise gebe es statt früher zwei jetzt keinen einheimischen Bäcker mehr usw. Früher waren viele Einheimische, speziell Mädchen, im Tourismus tätig. Heute seien viele ausländische Kräfte als Saisoniers im Tourismus tätig. Dieser Rückgang an Beschäftigungsmöglichkeiten wirkt sich auch negativ auf das Vereinsleben im Tal aus. Weil Rauris fast keine Gewerbebetriebe habe und überhaupt keine Industriebetriebe habe die Gemeinde wenig Steuereinnahmen, Rauris rangiere hier im letzten Zehntel aller Salzburger Gemeinden.

Das besonders Positive an Rauris seien seine wunderbare Landschaft und die historische Substanz. Besonders letzteres nützte Rauris seiner Meinung nach noch zu wenig für den Tourismus. Gerade im Tourismus solle man die Besonderheiten von Rauris besonders bewerben – Rauris könnte mit seinen historischen Substanzen noch viel mehr punkten. Die in Rauris herausgegebenen historischen Bücher („Rauriser Ortschronik“) sind ein Beitrag dazu, man könnte auch verschiedene Themenwege anlegen (Wasserweg, Goldweg, Mineralienweg, Sagenweg, Knappenweg usw.). Teilweise gebe es dazu jetzt schon Ansätze, die aber in ein Gesamtkonzept eingepasst werden müssten. Die wunderschönen Täler und Wanderungen, die Tier- und Pflanzenwelt, Wasserfälle etc., das Sonnblickobservatorium, das alles seien weitere Besonderheiten, die man noch viel stärker propagieren müsste.

Auch der Nationalpark biete nach Ansicht des Rauriser Lehrers eine touristische Chance, wenngleich der Unterpinzgau hier vernachlässigt worden sei. Wenigstens sei das „Geierhaus“ in Wörth geplant. Das wäre für die Infrastruktur und das Leben dieses Ortsteils sehr wichtig, in dem derzeit ein Gastronomiebetrieb nach dem anderen reduziere bzw. schließe.

Auch das Rauriser Brauchtum hänge teilweise mit dem Bergbau zusammen, das Tal habe auch Einzigartiges, wie z.B. die Schnabelperchten, zu bieten. Für Brauchtum habe die Bevölkerung nach Ansicht des Rauriser Lehrers schon etwas übrig, auch die Jugend. Es gehöre zur Ehre jedes jungen Burschen, ab 18 Jahren wenigstens ein paar Mal bei den „Schiachperchten“ (Krampussen) mitzugehen. Ihre Maske schnitzen sie selbst. Was das Brauchtum betrifft, sei der Stolz der Frauen ihre wunderschöne Tracht.

Der 60jährige Rauriser erinnert sich an einige Wetterextreme, z.B. die große Lawine in den 1980er Jahren in Kolm-Saigurn vom Hocharn, im Mai waren damals noch meterhohe Wände. Er weiß vom Hochwasser und den Vermurungen 1932 im Ortsteil Wörth, und von den beiden Hochwassern von 1965 und 1966, die vor seiner Rauriser Zeit passierten. Vor einigen Jahren hat auch der Teufenbach im Bereich Bucheben zwei Mal die Straße vermurt. Auch in Wörth gab es um 2000 eine Überschwemmung. Die Bruderhof-Lawine kam regelmäßig ins Tal. Jetzt wurde

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dort ein großer Schutzwall errichtet. Schäden gab es, abgesehen von extremen Vermurungen wie damals in Wörth und bei den Hochwässern 1965 und 1966 nicht. Die Seitenbäche seien aber sehr massiv verbaut worden (Wildbachverbauung), sonst wäre es immer wieder sehr kritisch geworden. Der Rauriser Lehrer weiß auch von der Lawine, die 1951 das alte Bodenhaus zerstörte, um 1970 gab es seines Wissens nach noch einmal eine große Lawine im Raum Bucheben.

Der 60jährige Rauriser meint, es sei schwierig zu sagen, ob der Klimawandel Ursache für dieses oder jenes Ereignis sei. Aber er hat den Eindruck, dass die Extreme stärker wurden. Als Beispiel führt er den Schlechtwettereinbruch im Juni 2006 an, einen kurzen Kälteeinbruch habe es früher um diese Zeit auch immer wieder einmal gegeben, aber er kann sich nicht daran erinnern, dass es wie 2006 drei Wochen hindurch um diese Jahreszeit so extrem kalt war. Die Höchsttemperaturen sind in Rauris seinem Empfinden nach in den letzten Jahren angestiegen.

In den letzten drei Wintern habe es genug Schnee für Alpinpisten gegeben, teilweise vor Weihnachten aber wenig. Er ist überzeugt, dass auf diese fetten Jahre auch magere kommen werden. Es habe immer einen Rhythmus mit drei, vier guten Jahren, auch in den 1980er- und 1990er-Jahren, und danach ein paar mageren Jahren gegeben. Auf wenig Schnee reagiere Rauris mit Schneekanonen. Und man müsse höhere Gebiete nützen, so weit es gehe, auch im Bereich Langlauf – von der Talloipe zwischen Rauris und Wörth bis zur schneesichersten Loipe in Kolm-Saigurn. Das sei zwar 20 Kilometer von Rauris entfernt, aber es sei wunderschön und wem der Sport etwas wert sei, fahre hin.

Der 60jährige Lehrer ist ein strikter Gegner eines möglichen Gletscherschigebietes im Rauriser Tal. Seiner Meinung nach bringe es wesentlich mehr, wenn man die historische Substanz des Tales stärker bewerben würde. Ein Gletscherschigebiet würde seiner Meinung nach dem Ort heraußen nicht viel mehr als Durchzugsverkehr bringen. Man dürfe die Gletscher hier nicht mit anderen, z.B. dem Kitzsteinhorn, vergleichen. Letzterer sei viel größer, liege direkt im Haupttal (Salzachtal) und habe verkehrsgeographisch eine ganz andere Ausgangslage als das Raurisertal, wo man das ganze Tal zurückfahren müsste und einen riesigen Zubringer hätte, dazu müsse man auch noch die Föhnlage im Raurisertal bedenken.

Flattach kennt der Rauriser Lehrer nicht.

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3.2.10 70jähriger Rauriser Lokalpolitiker

Der gebürtige Rauriser erzählt kein besonders schönes Kindheitserlebnis, seine Jugendzeit sei sehr schwer gewesen. Seine ersten zehn Lebensjahre waren für ihn ganz schön, auch wenn der Schulweg beschwerlich war und im Winter eineinhalb Stunden in eine Richtung dauerte. Sieben Jahre lang besuchte er die einklassige Volksschule. Mit zehn Jahren kam er von seinen Eltern weg, weil diese sich trennten. Bis achtzehn wuchs er bei zwei Bauern auf, sein Vater musste die ersten Jahre für ihn zahlen. Er hatte viel Arbeit und schlechten Verdienst. Sein Vater wurde 1933, durch die 1000-Mark-Sperre, arbeitslos, und konnte nicht mehr für seinen Sohn weiterzahlen. Nach dem Umbruch 1938 wurde er Holzarbeiter, machte den Führerschein. Kurze Zeit später musste er einrücken. Anfang Mai 1945 kam er vom Krieg nach Rauris heim, war Kraftfahrer und später im Baugewerbe tätig. Während seiner Zeit als Lokalpolitiker wurde der Kindergarten gebaut, der Bau des zweiten Altersheimes vorbereitet und viele Straßen asphaltiert. Damals wurden vier oder fünf Pflegebetten bewilligt, zehn wurden tatsächlich gebaut, das sei heute aber auch zu wenig. Derzeit seien etwa 40 Menschen im Altersheim.

Der Tourismus und gute landwirtschaftliche Betriebe machen Rauris aus Sicht des Lokalpolitikers so lebenswert. Sein Lieblingsplatz im Tal ist daheim. Der Rauriser ist in einigen Vereinen aktiv. Der Seniorenbund veranstalte z.B. Ausflüge und Weihnachtsfeiern, habe etwa 220 Mitglieder, mehr Frauen als Männer, der Kameradschaftsbund habe etwa 500 Mitglieder, der Eisschützenverein schieße im Sommer auf Asphalt, im Winter auf Eis und habe etwa 100 Mitglieder. Der Verschönerungsverein habe einen Spielplatz errichtet und betreibe das Rauriser Schwimmbad.

In Rauris gebe im Jahreslauf einige Feste, z.B. Bauernherbst, die Rauriser Literaturtage, Sommerfeste, Feste auf Almen. Besondere Rauriser Bräuche sind die „Schiachperchten“ und „Schnabelperchten“. Diese Bräuche werden von Jungen auch weitergeführt. Die ganze Ausrüstung einer Schiachpercht koste etwa 20.000 Schilling (Pelze, Schellen, geschnitzte Maske).

In den 1970er und 1980er Jahren habe sich der Fremdenverkehr gut entwickelt. In dieser Zeit gab es auch ein Jahr mit dem Nächtigungsrekord von 450.000. Die Lifte der Hochalmbahnen wurden vor 1970 gebaut. Winter- und Sommertourismus hätten sich damals die Waage gehalten. Heute habe Rauris etwa 100.000 Nächtigungen weniger. Rauris habe ziemlich viele Tages- und Wochenpendler. Beschäftigungsmöglichkeiten im Tal bieten Baugewerbe und Tourismus. Landwirtschaften seien meist Nebenerwerbsbetriebe, die Bauern arbeiten zum Teil beim Lift o.ä.

Rauris habe seit 1945 ein leichtes Bevölkerungswachstum, viele Junge würden in Rauris bauen. Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung von Rauris zeigte er sich skeptisch, ob der Bau von 50 kleinen Häusern und deren anschließende Vermietung in Rauris richtig zum Tragen kommen (Ferienwohnanlage?).

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 52

Im Gegensatz zu früher seien Frauen heute überall mehr eingebunden, z.B. gebe es in der Schule jetzt viel mehr Lehrerinnen, früher mehr Lehrer. Auch in der Gemeindepolitik seien Frauen tätig.

Sein Lieblingsplatz im Tal ist daheim.

Flattach kennt er nur dem Namen nach. Es habe Bestrebungen gegeben, eine Verbindung mit Flattach zu machen, aber der 70jährige Rauriser glaubt kaum, dass das in nächster Zeit passiere. Rauris sei flächenmäßig eine große Gemeinde, auch für den Nationalpark. Der Nationalpark bringe für Rauris keine Nachteile, für den Tourismus bringe der Nationalpark Wandermöglichkeiten.

Momentan gehe der Gletscher zurück, die Meinungen gingen auseinander, ob der Klimawandel dies verursache. Er sei zu wenig vom Fach und wisse nicht, wie erst man das Thema nehmen müsse.

1966 habe das Hochwasser im Gemeindegebiet 23 Brücken zerstört. 1976 gab es einen besonders schneereichen Winter.

3.2.11 90jähriger Rauriser Bauer

Der gebürtige Rauriser erzählt von seiner Jugendzeit, in der er überhaupt kein Geld hatte, weil alle Bauern sehr arm gewesen seien und die Zeit ziemlich schlecht war. Heute lebe er schön und sei froh, dass er diese Zeit erlebte, weil er jetzt umso zufriedener sei. Er sei aber auch damals sehr zufrieden mit allem gewesen, er habe nichts anderes gekannt. Alles war knapp, auch das Essen. Als Bub lernte er kochen, das sei eine leichtere Arbeit gewesen und die Großen, die Eltern, waren stärker und arbeiteten draußen. Er habe früh anfangen müssen zu arbeiten, musste oft von der Schule daheim bleiben, im Wald und auf der Alm arbeiten. Mit 13 Jahren konnte er schon melken, Käse und Butter machen. Sonntags mussten sie in die Kirche gehen und beichten. Für den mitheimgebrachten Beichtzettel bekam er ein Honigbutterbrot oder Honigkrapfen, das sie sonst das ganze Jahr nicht bekamen. Sonntag nachmittags mussten sie immer in den Wald gehen und Äste sammeln. Erst ab 18 durfte er fortgehen. Sonntags trafen sich die Jugendlichen, saßen zusammen, spielten Karten, musizierten und tanzten. Weil sie kein Geld hatten, gingen sie zum Wassertrog hinaus Wasser trinken, dann wieder ins Tanzlokal hinein zum Tanzen. Er spielt selbst seit seiner Schulzeit Musikinstrumente und brachte sich das selbst bei.

1937 musste er einrücken, nach dem Einmarsch Hitlers wurde sein Soldatendienst um ein Jahr verlängert, dann brach der Krieg aus und er musste an verschiedene Fronten. Im Krieg bekam er Malaria, unter der er auch nach dem Krieg jahrelang litt. Seine Notfallmedikamente hatte er immer dabei. Eine Rauriserin erzählte ihm später von einem einfachen Hausmittel, dem täglichen Butterbrot. Das esse er täglich, und er habe nun schon viele Jahre nichts mehr von der Malaria gespürt.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 53

Während des Krieges übernahm er den Hof seiner Eltern, die Wirtschaft fiel zusammen, weil alle Söhne des Hofes in den Krieg ziehen mussten. Seine aus einem anderen Bundesland stammende Frau lernte er während eines Heimaturlaubs kennen, sie stammte nicht aus der Landwirtschaft, aber er habe ihr Sennerei und Brauchtum des Ortes gezeigt und sie habe wunderbar gelernt. Nach dem Krieg mussten sie alles wieder aufbauen. Das Geld sei knapp gewesen, durch Musizieren bei Bauern oder auf Almen verdienten seine Frau und er Geld dazu. Sie dichteten auch viele Gstanzln selber. Noch heute musizieren die beiden viel miteinander. Die Musik sei ihre Freude, die habe sie bei der vielen schweren Arbeit aufgerichtet. Für eine Zeit lang vergaßen sie so ihre Sorgen. Einer seiner Grundsätze: Du musst immer vorwärts schauen und nie zurück.

Touristen gab es damals nur wenig, aber auf den größeren Bauernhöfen gab es viele Leute, der Schüttbauer (Seidlwinkeltal) hatte damals zum Beispiel 24 Dienstboten. Damals sei noch Getreide angebaut worden: Hafer, Roggen, Weizen. Man arbeitete großteils händisch und hatte kaum einen Tag frei. 1946 kaufte er sich den ersten Motormäher, später auch eine Raupe zum Heumachen und die erste Waschmaschine. Anfang der 1960er Jahre kaufte er sich den ersten Traktor, baute eine Seilbahn und später eine Straße zu seinem Hof. Der Rauriser Bauer reparierte kaputte Maschinen großteils selber, leitete auch bereits während seiner Kriegsurlaube Strom zum Hof.

Anfang der 1960er Jahre hatten sie die ersten Urlaubsgäste, großteils Angestellte aus Deutschland. Heute sei es schwierig, einen Gast zu erhalten, aber damals blieben die besten Gäste einen ganzen Monat lang. Einige Gäste wanderten sehr viel, später machten die Gäste auch Autoausflüge, andere saßen nur auf den Liegestühlen am Hof. Der Rauriser Bauer metzgerte damals selber, seine Frau kochte für die Gäste. Bis 1980 hatten sie in den drei Ferienwohnungen immer Gäste. Die Zahl der Sommergäste ging zurück, im Winter hatten sie zuwenig Platz, ab und zu mussten sie selber draußen im Heu schlafen.

Er übergab den Hof der nächsten Generation. Diese hat den Bauernhof auf Mutterkuhhaltung umgestellt. Heute gebe es Straßen, die man früher nicht hatte, und man könne man fast alles maschinell bearbeiten, der Bauer habe sehr wenig Arbeit.

Der heute 90jährige Rauriser kann sich an eine Lawine von 1947 erinnern, die vom Wetterstein, vom Schwarzenkopf herunter kam. Weil es viel schneite und der Schnee so weich war, fürchtete er Lawinengefahr und fuhr vom Ortskern in Rauris rasch heim. Dass in diesem Gebiet Lawinengefahr besteht, wusste er aus häufigen Erzählungen seines Vaters. Jener erzählte von einer großen Lawine im Jahr 1896, die beim Schütter die Brücke zerstörte. Sein Vater habe ihn und seine Geschwister gewarnt, beim Schulweg darauf aufzupassen, schnell durchzugehen, wenn es geschneit hat. Diese Lawine komme nur alle 50, 60 Jahre einmal. 1947 zerstörte diese Lawine seine Mühle im Seidlwinkeltal. Er baute sie dort nicht mehr auf, stattdessen baute er eine neue Mühle direkt am Hof, zuerst mit Wasserrad, später elektrisch angetrieben.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 55

4 Themenspezifische Ergebnisse

4.1 SOZIALISATION

4.1.1 Kindheitserinnerungen

Alle RauriserInnen und FlattacherInnen ab 65 Jahren berichten von einer kargen Kindheit, dass ihre Familien wenig Geld hatten, dass sie weite Fußmärsche zu Schule und Kirche bewältigten. Sie mussten früh arbeiten. Insgesamt sei ihre Kindheit und Jugendzeit in den 1920er- bis 1940er Jahren eine schlechte Zeit gewesen. Das war für die meisten der Befragten aber damals einfach so, sie waren damals damit zufrieden. Besonders schwierig waren Kindheit und Jugendzeit für die Frau, die ein lediges Kind war, für eine, deren Vater während ihrer Kindheit starb und für den Mann, dessen Eltern sich während seiner Kindheit trennten. Dennoch erinnert sich etwa die Hälfte der Ab-65-Jährigen an besonders schöne Kindheits- und Jugenderlebnisse: eine Frau ist stolz darauf, bereits als Vorschulkind mit ihrem Vater aufs Schareck gegangen zu sein, für eine andere waren Weihnachten ihre schönsten Kindheitserlebnisse.

Auch eine 45jährige Befragte half als Kind am Bauernhof viel mit. Der 45jährige Befragte erinnert sich an seine sorgenfreie Kindheit, mit Freude über Ferien ohne Pflichten. Alle jüngeren Befragten erzählen nicht, dass sie während ihrer Kindheit und Jugendzeit viel mitarbeiten mussten, sie erinnern sich auch nicht an eine karge, arme Kindheit mit langen Fußmärschen zur Schule. Sie wurden – im Unterschied zu den älteren Befragten – auch nach ihren Hobbys befragt, diese sind z.B. Mountainbiken, Schifahren, Schwimmen. Bis auf eine erzählten alle gebürtigen FlattacherInnen und RauriserInnen bis 45 Kindheits- und Jugenderlebnisse, die sich in der Natur in Rauris und Flattach ereigneten (Almerlebnisse, Spielen im Wald und in alten, leerstehenden Bauernhäusern, Schifahren). Eine 35jährige Flattacherin beeindruckte in ihrer Kindheit besonders, als zu Ostern einmal ein Meter Schnee lag. Nur eine 16jährige Flattacherin erzählt kein schönes Kindheitserlebnis, denn es sei nichts besonderes, wenn man immer hier wohne.

Die Befragten bis 45 Jahre haben im Durchschnitt deutlich weniger Geschwister (ein bis zwei) als die älteren Befragten, eine ältere Befragte hatte mehr als 15 Geschwister. Nur eine Mutter eines Ab-45-Jährigen war Hausfrau, mehr als die Hälfte hatte Bauern und Bäuerinnen als Eltern. Von Müttern der Bis-45-Jährigen war bzw. ist etwa ein Drittel Hausfrau, nur wenige Eltern dieser jüngeren Befragten sind Bauer bzw. Bäuerin.

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4.1.2 Erste Eindrücke vom Tal

Fünf der insgesamt 25 Befragten zogen im Lauf ihres Lebens nach Rauris bzw. Flattach. Gründe für den Zuzug waren der Umzug der Familie (1 Person), Heirat eines Talbewohners (1), ein im Tal gefundener Arbeitsplatz (2), Heirat eines Talbewohners und hier gefundener Arbeitsplatz (1). Alle fünf geben an, sehr gut von den einheimischen RauriserInnen und FlattacherInnen aufgenommen worden zu sein. Eine Rauriserin, die einen Talbewohner heiratete, fühlt sich auch noch nach mehr als 40 Jahren, in denen sie selber im Tal wohnt, nicht als „Rauriserin“ anerkannt. Ihre Tochter fühlte sich, obwohl im Tal aufgewachsen, erst richtig zugehörig, seit sie den Rauriser Dialekt selber zu sprechen anfing. Zwei Zugezogene wohnten vorher in Nachbargemeinden und kannten ihre spätere Wohngemeinde schon von Kindheit an. Eine Zugezogene lernte das Tal im Urlaub kennen, eine während ihres Ferialpraktikums. Der erste Eindruck der damaligen Praktikantin von Rauris war, dass es idyllisch, aber weit abgeschieden sei. Sie fühlt sich in Rauris anerkannt.

4.1.3 Feste, Brauchtum, Vereine

In beiden Tälern berichten die Befragten von regem Vereinsleben. In Flattach werden von den Befragten folgende Vereine genannt: Perchtengruppe, Schuhplattler, Trachtenkapelle, Bergrettung, Feuerwehr, Seniorenbund, Pensionistenverband, Schiverein, Tennisclub, Hegering (Jagd) sowie als Veranstaltungen Schlittenrennen, Feuerwehrfest, Schirennen, Fraganter Kirtag. Von den Flattacher Frauen bis 45 ist nur eine in einem Verein aktiv. Als Gründe, nicht Vereinsmitglied zu sein, nannten sie mangelndes Interesse am derzeitigen Angebot, an Vereinstätigkeit generell und Zeitmangel. Alle befragten Flattacher SeniorInnen sind Vereinsmitglieder. Bei den Flattacher Männern ist das umgekehrt: bis auf einen Bis-45-Jährigen ist nur einer in keinem Verein aktiv, alle anderen sind Sportvereins- bzw. Bergrettungsmitglieder.

Bis auf einen Mann sind alle Rauriser und Flattacher Über-45-Jährigen in Vereinen tätig, alle befragten Senioren sind in Seniorenbund und/ oder Pensionistenverband, viele auch in weiteren Vereinen, wie z.B. dem Kameradschaftsbund, aktiv.

In Rauris sind alle Befragten, auch Frauen, zumindest in einem Verein aktiv oder nehmen zumindest an Festen (Feste der Rauriser Vereine, Bauernherbst, Almfeste), Brauchtumsveranstaltungen (Schnabelperchten, Rauriser Krampuslauf – Schiachperchten) oder den Rauriser Literaturtagen teil. Die befragten RauriserInnen sind Mitglieder folgender Vereine: Alpenverein, Chor, Dritte-Welt-Gruppe Taxenbach, Frauenbewegung Rauris, Kameradschaftsbund, Privatzimmervermieter, Seniorenbund, Bergrettung, Feuerwehr, Rotes Kreuz, Einsschützenklub, Sportclub, Fußballvereine, Schiclub, Goldgräberverein, Trachtenverein, Talmuseum Rauris, Verschönerungsverein.

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In Flattach wird der Zustand des Fußballplatzes von mehreren Befragten bemängelt, einer fordert generell eine bessere Förderung der Vereine durch die Gemeinde.

Nach Ansicht eines befragten Vereinsobmannes ist es in Rauris schwierig, Jugendliche zu ehrenamtlicher Vereinsmitgliedschaft zu motivieren. Nach Einschätzung eines älteren Raurisers ist das gesellige Beisammensein in Rauris (vor allem in Stammtischen) sehr zurückgegangen. Hauptgrund dafür ist seiner Meinung nach der immer größer gewordene Anteil der Auspendler. Medien wie Fernsehen und Computer dürften ebenfalls eine Rolle spielen.

4.1.4 Lieblingsplatz im Tal

14 der 25 Interviewten wurden nach ihrem Lieblingsplatz im Tal befragt. Für etwa ein Drittel ist das ihr Daheim, alle anderen genannten Lieblingsplätze sind Seitentäler, Berge oder bestimmte Almen in Rauris bzw. Flattach. Nur eine Befragte hat keinen Lieblingsplatz im Tal, das Tal ist ihr zu klein.

4.1.5 Beteiligung am öffentlichen Leben im Tal

Von den befragten FlattacherInnen sind zwar – vor allem Männer - in Vereinen aktiv, es gibt eine Person, die ein politisches Amt inne hatte. Alle befragten RauriserInnen (bis auf die 14- bzw. 15Jährigen) sind Vereinsmitglieder, drei der Befragten waren im Gemeinderat politisch tätig oder leiten eine öffentliche Einrichtung, eine Person initiierte und leitete mehrere lokale Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialprojekte.

4.1.6 Kurzcharakterisierung des Tales

Nur den Flattacher Jugendlichen wurde die Frage gestellt, wie sie jemandem, der Flattach noch nicht kenne, diesen Ort vorstellen würden. Dazu kamen folgende Antworten: „Jeder kennt jeden. Jeder weiß alles von jedem. Es ist nichts Besonderes (lacht), es ist halt nur Flattach, ganz klein. Man fährt halt eine halbe Stunde, bis man in etwas Größeres, zum Beispiel Spittal, kommt.“ (16jährige Flattacherin)

„Ich komme aus dem Mölltal (...) von Bergen umgeben, aus einem ziemlich kleinen Ort, (...) wo fast jeder jeden kennt. (lacht). Das gibt es in der Stadt nicht, wo jeder jeden kennt.“ (14jähriger Flattacher)

4.2 EINSCHÄTZUNG DER DERZEITIGEN LAGE IM TAL

4.2.1 Positiv im Tal

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Die Gemeinschaft, dass (fast) jeder jeden kenne und grüße, die gegenseitige Hilfsbereitschaft und die schöne Natur mit den Bergen – das sind sowohl für die Befragten beider Täler jene Merkmale, die ihr Tal so lebenswert machen. Viele RauriserInnen und FlattacherInnen schätzen auch die sportlichen Möglichkeiten.

Eine Rauriserin schätzt besonders, dass Bräuche im Tal gehegt und gepflegt werden. Und sie schätzt, dass man beim Bau von Schutzmaßnahmen vor Extremwetterereignissen nicht alles zubetoniere. Zwei Rauriser heben die Ruhe im Tal besonders hervor, man hat noch seine stillen Plätze, es gibt keinen Durchzugsverkehr. Ein Rauriser schätzt neben der wunderbaren Landschaft auch die historische Substanz.

Eine andere Rauriserin schätzt die heftigen, kalten Winter und – auf kulturellem Gebiet - die Rauriser Literaturtage, die es hier immerhin seit über 36 Jahren gibt. Positiv an Rauris ist ihrer Meinung nach auch, dass auch Zugereiste, vorwiegend Frauen, im Tal sehr viel bewegen können.

Dass jeder jeden kenne, betrachten einige Befragte aber nicht nur als Vorteil, es kann auch ein Nachteil sein.

4.2.2 Negativ im Tal

Auf die Frage, was ihnen in ihrem Tal weniger oder nicht gefalle, antworteten jeweils mehrere Befragte beider Täler, dass es zu wenige Bildungsmöglichkeiten vor Ort gibt. Die Entfernung zur nächsten größeren Stadt wird vor allem von jüngeren Befragten als Nachteil gesehen, besonders wegen schlechter öffentlicher Verbindungen (Flattach). Probleme im Tourismus angesichts der gesunkenen Nächtigungszahlen und die geringen Beschäftigungsmöglichkeiten im Tal wurden nur von RauriserInnen genannt. Befragte beider Täler ab 70 antworteten auf die Frage nach Problemen im Tal ausweichend oder gar nicht.

Flattach:

- Das Tal ist ihr zu eng. (HFW14)

- Alte Leute reden schlecht über jüngere und wissen alles. (HFW16)

- Es ist schwierig, in Flattach etwas zu ändern, Ideen und Tatendrang werden leider häufig schlecht geredet. (HFM40)

- Dass jeder jeden kennt, hat auch Nachteile (Tratsch). (HFW35)

- Beschränkte Schulbildungsmöglichkeiten im Tal. (HFW35)

- Dass Jugendliche, wenn sie in der Stadt etwas unternehmen wollen, weit fahren müssen, aber nicht so mobil sind. (HFW35)

- Jugendliche fahren zum Fortgehen in die Stadt, Flattach hat vermutlich zu wenig Angebot (HFW45)

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- Es gibt nicht so viele Sachen, wo man einkaufen gehen kann. Du musst schon weit fahren. (HFM14)

- Schlechte Busverbindung und fehlende Zugverbindung. (HFM18)

- Vereine werden von Gemeinde vernachlässigt, Sportanlagen für Einheimische, z.B. Fußballplatz, müssten saniert bzw. Angebot verbessert werden. (HFM45)

Rauris:

- In Rauris ist wenig los. (HRW14)

- Rauris ist für Jugendliche sehr konservativ, für Jugendliche gibt es zu wenig – „Mir kommt vor, sie bauen lieber ein paar Wanderwege mehr“ (HRM15)

- Tourismus – starker Rückgang der Nächtigungszahlen. (HRW25)

- Negativ-Malen und Jammern bei Tourismusversammlungen angesichts des Nächtigungsrückganges statt Setzen gezielter Maßnahmen. (HRW35)

- Starker Rückgang der Nächtigungszahlen und große wirtschaftliche Schwierigkeiten der Tourismusunternehmen, aber auch anderer Unternehmen im Tal. (HRW65)

- Fehlende Bildungsmöglichkeiten (HRW35)

- Geringe Auswahl an Jobs. (HRW35)

- Wenig Beschäftigungsmöglichkeiten, viele pendeln aus oder ziehen schon zur Ausbildung (Studium) weg. (HRW85)

- Zu wenige Beschäftigungsmöglichkeiten, vor allem zu wenig qualifizierte Arbeitsplätze. Das ist auch problematisch für das Vereinsleben, das gesellige Zusammensein ging vor allem aufgrund des gestiegenen AuspendlerInnenanteils stark zurück. (HRM60)

4.3 BILDUNG UND WIRTSCHAFT

4.3.1 Berufswahl/ Schulwahl

Berufe liefern Vorgaben für die individuelle Entwicklung von Fähigkeiten, beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung und sind wesentlicher Teil der Biografie (vgl. Beck/ Brater/ Daheim 1980: 233; Mikl-Horke 2000: 458ff). Bei den Befragten aus Rauris und Flattach gibt es große Unterschiede zwischen dem zuerst erlernten und dem oder den später ausgeübten Berufen. Viele ältere Befragte, alle Frauen und ein Großteil der Männer ab 60, konnten ihren Wunschberuf nicht erlernen. Ihre Eltern trafen die Schul- und Berufswahl. Viele – jüngere und ältere - Befragte beider Täler erlernten einen Beruf, übten diesen danach aber nur kurz oder gar nicht aus, wechselten Berufsfelder und arbeiteten auch außerhalb der Täler.

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Der Großteil der Mütter der Befragten ab 60 waren Bäuerinnen (7 von 11), eine Wirtin (HFW70), eine war eine Magd, die nicht heiraten durfte (HRW80), zwei waren Hausfrauen. Auch der Großteil der Väter dieser Befragten waren Bauern (3 von 5), einer war Schneider (HFM75), einer Jäger und Zimmermann (HRM70). Auch in den Berufen der Befragten spiegelt sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft (Mechanisierung, starker Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft – vgl. auch Bauer 1997, Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007) deutlich wider. Während der Großteil der älteren Befragten auf Bauernhöfen aufwuchs und/ oder auch selbst als Bauer oder Bäuerin arbeitete, haben die Befragten bis 45 nichtbäuerliche Berufe.

Auffällig ist auch der starke Einfluss von Geschlechterrollen auf Schul- und Berufswahl sowie auf die spätere Berufslaufbahn (vgl. Haller/ Höllinger/ Gomilschak 1999). Die befragten Jugendlichen und deren SchulkollegInnen besuchen großteils nach der Hauptschule in Obervellach bzw. Rauris weiterführende Schulen außerhalb des Tales, entweder als TagespendlerInnen oder im Internat (Gymnasien, HTL, landwirtschaftliche und andere Fachschulen). Befragte junge Mütter beider Täler finden das jeweilige Bildungsangebot nicht ausreichend. Es gibt – nach Ansicht der befragten Jugendlichen beider Täler, aber auch einiger älterer Befragter, nur wenige Lehrplätze in den Tälern. Während viele Mädchen Friseurinnen oder Verkäuferin lernen wollen oder nach der Hauptschule eine Schule für wirtschaftliche Berufe oder eine Schule für Kindergartenpädagogik besuchen, möchte eine befragte 14jährige Flattacherin Mechanikerin lernen.

Mehrere befragte FlattacherInnen und RauriserInnen lebten und arbeiteten zumindest einige Jahre außerhalb des Tales, auch in anderen Bundesländern oder einem anderen Land. Die Flattacher Befragten erzählten immer wieder von jenen Ortsbewohnern, die als Mehrtagespendler im Baugewerbe tätig sind (z.B. im Tunnelbau in der Schweiz). Sie würden hier gut verdienen und mit dem Ersparten in Flattach den Hausbau für ihre Familie finanzieren. Der Bau der Eisenbahnstrecke, später der Kraftwerksbau und jetzt der Mölltaler Gletscher brachten bzw. bringen nach Aussagen der Flattacher Befragten Beschäftigung ins Tal. FlattacherInnen beurteilen ihre beruflichen Möglichkeiten im Tal optimistischer als die Rauriser Befragten. Diese weisen auf den Rückgang von Unternehmen und Beschäftigungsmöglichkeiten im Tal hin, insbesondere von qualifizierten Stellen. Das führen sie auch den rückläufigen Tourismus zurück.

Eine Rauriser Befragte findet, dass „die Intelligenz abwandert“, viele ziehen schon zum Studium aus dem Tal und finden später Arbeit an ihrem Studienort oder in anderen Städten. Von den SchulkollegInnen eines 30jährigen Raurisers zogen z.B. etwa zwei Drittel aus dem Tal aus. Im Urlaub besuchen sie Rauris wieder. Nur ein Befragter aus Rauris zog aus beruflichen Gründen ins Tal - vor Jahrzehnten. Hingegen zogen zwei befragte Frauen und ein Mann in den letzten zehn Jahren aus beruflichen Gründen (wieder) nach Flattach.

Die jüngeren Befragten, vor allem die Jugendlichen, trafen oder treffen die Schulwahl vorwiegend selbst. Neun von zwölf Befragten ab 45 erzählten hingegen, dass sie nicht die Schule besuchen oder den Beruf erlernen konnten, der sie interessierte. Als Hauptgrund dafür nannten die

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Befragten, dass ihre Eltern zuwenig Geld dafür hatten. Je eine ältere Rauriserin und Flattacherin erzählte von den Berufen ihrer Brüder. Diese machten, trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage ihre Familien, Berufsausbildungen, sie selber nicht. Als sie die Pflichtschule absolviert hatte, verdiente beispielsweise eine heute 65jährige Rauriserin so viel, dass ihre Mutter damit die Lehre eines Bruders finanzieren konnte. Ihre Mutter vertrat die Ansicht, dass die Ausbildung der Söhne wichtiger sei als die der Töchter. Die heute 65jährige Frau, die ohne Ausbildung später im Gastgewerbe arbeitete und sich als Wirtin selbständig machte, findet auch heute noch, dass das eine kluge Ansicht ihrer Mutter war. Fünf Befragte mussten schon vor ihrem 14. Lebensjahr in der Landwirtschaft arbeiten und teilweise auch sehr schwere körperliche Arbeiten verrichten.

4.3.2 Wirtschaft im Tal und Pendeln

Die befragten RauriserInnen und FlattacherInnen erinnern sich an die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Täler zurück. Die Eltern aller Rauriser Befragten ab 35 waren Bauern bzw. Bäuerinnen, auch die Eltern der ab 45jährigen befragten FlattacherInnen waren großteils zumindest nebenberuflich in der Landwirtschaft tätig. Die Landwirtschaft hat sich nach Aussagen der Befragten in beiden Tälern durch die Motorisierung stark verändert, die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft ging stark zurück (HRM90, HRW80, HRW85).

Die Befragten ab 65 Jahren beider Täler berichteten von den vielen langen Fußmärschen zur Schule, in die Kirche, um eine Hebamme zu holen oder zum Einkauf. Viele Befragte hatten kaum Geld, der Großteil der Lebensmittel und alltäglichen Produkte wurde selbst hergestellt. (HRM90, HRW80, HRW85, HRM60, HFW70). Von ihren Eltern bzw. erfahrenen anderen älteren Menschen ihrer Umgebung lernten viele Befragte, Hausmittel aus der Natur (vor allem aus Kräutern) gegen Erkrankungen von Mensch und Tier einzusetzen, zumal es gar keinen Arzt im Tal gab und die Leute auch zu wenig Geld für andere Medikamente hatten (HRW35, HRW65, HRW80, HRW90, HFW85). Eine Befragte half immer wieder in ihrer Verwandtschaft und in der Nachbarschaft Frauen bei Geburten, sie wäre selbst gerne Hebamme geworden. Eine gelernte Hebamme erreichte die Gebärende, besonders in schneereichen Wintern, oft erst nach der Geburt. (HFW85, HFW80).

Im Lauf der Jahrzehnte (vor allem ab den 1960er Jahren) wurden viele Straßen errichtet. Der Verkehr nahm zu und der Pendelradius weitete sich weit über die Grenzen der Täler aus. Rauris wird von den BewohnerInnen immer noch als ruhiges Tal geschätzt (HRM30), auch in Flattach wird die Ruhe geschätzt (HFW85), das hohe Verkehrsaufkommen Richtung Glescherschigebiet sei aber eine negative Begleiterscheinung für die Anrainer (HFM45).

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Sowohl Rauris und Flattach sind heute Auspendlergemeinden, d.h. es gibt weniger Arbeitsplätze als Erwerbstätige am Wohnort (vgl. Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007, Kap. 3.2.). Die befragten FlattacherInnen beurteilen die wirtschaftliche Entwicklung des Tales seit Mitte der 1990er Jahre durchwegs positiv. Der Tourismus hat nach Ansicht der Flattacher Befragten erst durch den Ausbau des Gletscherschigebietes 1996 großen Aufschwung bekommen (HFM35, HFW40, HFM40, HFW70, HFM14, HFM45, HFM80). „Wir haben auf das richtige Pferd gesetzt“ meinte z.B. ein 45jähriger Flattacher, der mit seinem Unternehmen im Baugewerbe auch davon profitiert. Flattach sei durch das Gletscherschigebiet und die vielen Auspendler wirtschaftlich stärker als die Nachbargemeinden (HFW35) (siehe auch Kap. 4.6). Für zwei Flattacher Befragte (HFM40, HFW35) war dies auch der Grund, nach jeweils über einem Jahrzehnt Erwerbstätigkeit im Ausland wieder nach Hause zurück und hier ein Unternehmen zu gründen oder zu übernehmen. Viele Flattacher Auspendler arbeiten im Bau in der Schweiz oder in Deutschland und finanzieren mit ihrem Einkommen den Hausbau für ihre Familie in Flattach. Dennoch seien auch aus Flattach Menschen weggezogen, eine Flattacherin fasste in kurzen Worten die Hauptgründe für den Auszug zusammen: „Wegen der Liebe oder dem Beruf“ (HFW45).

Rauris verbuchte nach Aussagen der befragten RauriserInnen in den 1970er und 1980er Jahren Nächtigungsrekorde (HRM70, HRW65), ab den 1990er Jahren gingen die Nächtigungszahlen zurück. Nach Einschätzung aller befragten RauriserInnen hat sich die wirtschaftliche Lage in ihrem Tal im Lauf der letzten Jahre verschlechtert, auch wenn nicht alle diese Situation krank jammern wollen (HRW35). Die Nächtigungszahlen seien zurückgegangen, es gebe immer weniger Stammgäste. Es gebe im Tal auch weniger Beschäftigungsmöglichkeiten und Unternehmen als z.B. in den 1970er und 1980er Jahren - und es gebe viele Pendler (HRM60). Es ziehen auch viele weg, beispielsweise sind etwa zwei Drittel aller Schulkollegen des 30jährigen Raurisers (HRM30) aus dem Tal gezogen. Sie kommen später nur mehr zum Urlaub ins Tal.

Die befragten Flattacher, die in der Gemeinde selbst Arbeit gefunden haben, sind froh, nicht pendeln zu müssen und Zeit für ihre Familien oder mehr Freizeit zu haben (HFM40, HFM45). Der positive Aspekt des Auspendelns sei jedoch das hohe Einkommen, das die – großteils männlichen – Pendler nach Flattach bringen (HFM75, HFW35, HFM45). An der Erziehungs- und Hausarbeit beteiligen sich die Mehrtagespendler nach eigenen Aussagen bzw. nach denen der befragten Angehörigen weniger als die vor Ort erwerbstätigen Männer (HFM75, HFW16, HFW40, HFW45). Ein mehrtagespendelnder Mann einer Befragten beteiligt sich während seiner freien Blöcke daheim sehr an Erziehungs- und Hausarbeit (HFM35). Die Pendler in die Schweiz oder nach Deutschland würden zwar auch im Tal Arbeit finden, aber bei weitem nicht so viel verdienen (HFM45, HFM75). Frauen wollen nicht so weit pendeln wie Männer, weil ihnen „sonst nichts übrig bliebe, als ihre Kinder bei der Oma zu lassen“ (HFW35). Mehrere befragte Frauen waren vor den Geburten ihrer Kinder in anderen Bundesländern oder im Ausland erwerbstätig (HFW35, HFW45, HFW70, HRW65), danach im Tal selbst.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 63

In beiden Tälern machen sich die BewohnerInnen über die wirtschaftliche Zukunft ihres Tales Gedanken, ihre Vorschläge werden in Kapitel 15 (Zukunft des Tales) zusammengefasst.

4.4 ZUKUNFTSFRAGEN

4.4.1 Persönliche Zukunft

Die Frage, wie sie sich ihre persönliche Zukunft vorstellen, wurde nur Befragten unter 30 Jahren gestellt. Eine befragte Flattacherin und ein befragter Flattacher würden später gern hier leben und arbeiten (HFW16, HFM14, der sich vorstellen kann, dass er durch den Aufschwung mit dem Mölltaler Gletscher hier später auch Arbeit findet). Die anderen zwei Flattacher Befragten wollen wegziehen (HFW14: „Ich war ja schon die ganze Kindheit da.“, HFM18).

Von den befragten Raurisern will eine wegziehen, weil ihr in Rauris zu wenig los ist (HRW14). Der 15jährige Rauriser weiß es noch nicht, aber er sagt: „Schauen wir einmal, wo es mich hintreibt. Rauris ist halt sicher, Rauris ist: da bin ich aufgewachsen. Wenn ich jetzt in der Stadt bin, habe ich nach ein paar Tagen genug, weil ich das Land einfach gewöhnt bin und ich kann mir selbst eigentlich nichts Schöneres vorstellen.“

4.4.2 Zukunft des Tales

Die Hälfte der befragten FlattacherInnen macht Vorschläge für die Zukunft des Tales, die das Gletscherschigebiet betreffen: die Zusammenarbeit der Gletscherbahn mit der Region und mit dem Tourismus vor Ort solle verbessert werden (HFM40), das Gletscherschigebiet solle ausgebaut werden (HFW70, HFM80). Von den befragten FlattacherInnen kamen weitere Vorschläge für die Zukunft ihres Tales. Sie betreffen einerseits den Tourismus, fordern andererseits aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der FlattacherInnen selbst:

- Forcierung des Sommertourismus: mit einem Gletscherschigebiet, in dem man auch im Sommer Schi fahren kann, mit der Kühle der Berge, um der ganz großen Hitze z.B. der Städte im Sommer zu entfliehen, mit der Markierung leichterer Wanderwege als Ergänzung zur Raggaschlucht, einem Minigolfplatz usw. Viele Angebote würden auch von Einheimischen gern genutzt werden. (HFW40)

- Ausbau des Mountainbike-Radwegenetzes (HFW35)

- Die Wegbeschreibungstafeln müssten eine größere Schrift haben (HFW35)

- Blumenschmuck zur Ortsbildverschönerung (HFW35)

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- Mehr Angebote für junge Leute und Familien, die mehr Action am Ort wollen, aber auch Angebote für Ältere, z.B. vernünftige Langlaufloipen, Schiwandern, Skating, Bau von Alpin- Jugendbahnen für Tagesausflügler - als Erweiterung des Winterangebotes (HFW40, HFM40)

- Man muss etwas für Einheimische tun, Angebote, die aber auch Gäste nutzen können, z.B. ein Hallenbad bauen, den Sportplatz und andere sportliche Einrichtungen verbessern, Vereine stärker fördern (HFM45)

- Neugestaltung der Gartenanlage von Volksschule und Kindergarten (HFW40)

- In Flattach soll mehr für Jugendliche gemacht werden als nur der Erhalt des Spielparks, der ohnehin eher Kinder interessiere (HFW16). Zwei Jugendliche könnten sich ein Jugendzentrum vorstellen (Stichwort jedoch von Interviewerin vorgegeben) (HFW14, HFW16).

- Flattach soll größer werden, mit Kino, Elektrowarengeschäft und anderen Geschäften (HFM14). Flattach hat für einen kleinen Ort viele Firmen, wenn man will, kann man aber schon noch mehr Arbeitsplätze schaffen (HFM18)

Die 14jährige Flattacherin möchte nicht, dass an Flattach etwas geändert wird. Einem älteren Menschen gefalle es hier besser, er mag die Ruhe. Sie selber will jedoch aus Flattach wegziehen. Die 85jährige Flattacherin ist skeptisch, ob es in Zukunft immer so gut bleibe, denn man lebe heute in einem Schlaraffenland, es werde sehr viel weggeworfen.

Vier Befragte erzählten, dass sie der Gemeinde konkrete Vorschläge machten (HFW35, HFW40, HFM40, HFM45). Aber die Gemeinde habe ihre Ideen nicht aufgegriffen, vor allem mit dem Einwand, dass die Gemeinde wegen der hohen Kosten für das Gletscherschigebiet zuwenig Geld habe. Dabei würden viele dieser Ideen gar nicht so viel kosten, die Innovationsbereitschaft müsse von der Gemeinde stärker gefördert werden, fordern diese Befragten.

In Rauris gab es vor einigen Jahren ein Jugendzentrum, das jedoch von Jugendlichen zerstört wurde. Die 14jährige Rauriserin (HRW14) will kein neues Zentrum mehr, das würde wieder kaputt gemacht werden. Es solle sich lieber jeder selber etwas suchen. Der 15jährige Rauriser findet den Ort für Jugendliche sehr konservativ, eher würden neue Wanderwege gebaut werden, als dass für Jugendliche etwas getan würde. Das Projekt „Sonnblickarena“ (Trainingseinrichtungen und Hallenbad für Trainingsgruppen aus Leistungssport, Spitzensport, aber auch Infrastruktur für Gäste des Tales und Menschen der Region) wurde von zwei Rauriserinnen als sehr positiver Zukunftsplan für Rauris bezeichnet (HRW25, HRW35). Der Heimalmlift solle erhalten bleiben, denn ohne ihn sei Wintertourismus in Rauris nur mehr sehr eingeschränkt möglich (HRW35). Allerdings spreche das kleine Schigebiet vor allem Familie mit kleinen Kindern an, weshalb der 30jährige Rauriser Gastronomie und Hotellerie auffordert, ihr Angebot zu ändern, damit mehr Gäste kommen. Aus Sicht der 65jährigen Wirtin gehe es den

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Rauriser Tourismusbetrieben wegen sinkender Nächtigungszahlen sehr schlecht. Die Tourismusbetriebe könnten den Zuschuss für den Lift („Schneeschilling“) kaum mehr zahlen (HRW65). Die 35jährige Rauriserin fordert statt dem Krank-Jammern und der wehmütigen Erinnerung an vergangene Nächtigungsrekorde bei Tourismusversammlungen ein Umdenken. Jede/r Vermieter müsse sich fragen, was er/ sie bieten könne, welche Gäste er/ sie nach Rauris bringen könne (HRW35, HRM30). Es gebe sehr viele Unternehmen in Rauris, was z.B. die Karte „Rauriser Gold“ deutlich mache. Und man müsse akzeptieren, dass es immer weniger Menschen gibt, die als Stammgäste immer wieder am selben Ort Urlaub machen wollen (HRW35).

Die 65jährige Wirtin findet, dass die Erschließung eines Gletscherschigebietes Richtung Kolm-Saigurn (es gab bereits mehrere konkrete Erschließungspläne), unbedingt notwendig sei, damit Rauris im Tourismus überlebensfähig sei. Hier könne man ein größeres, schneesichereres Schigebiet erschließen. (HRW65). Andere befragte RauriserInnen (HRM60, HRM30, HRM35) sind gegen ein Rauriser Gletscherschigebiet oder zumindest skeptisch: Rauris sei ein Föhntal (HRM30), ein mögliches Rauriser Gletscherschigebiet liege am Ende des Tales und würde großen Pendlerverkehr durch das gesamte Tal verursachen (HRM60). Außerdem bräuchte man einen sehr finanzkräftigen Investor (HRM35).

Rauris solle seine Werbung und sein Angebot vor allem auf die historische Substanz, das historische Bergbaudorf konzentrieren, damit könne man sich von anderen Anbietern unterscheiden (z.B. durch Themenwege, HRM60; HRW25 und deren Mutter).

4.5 KLIMAWANDEL

4.5.1 Wetterextreme

Alle Befragten haben durch ihren Beruf oder ihre Hobbys – und ihre Kindheitserlebnisse in den Tälern - einen starken Bezug zur Natur ihrer Täler. In ihren Hobbys (Schifahren, Radfahren, Wandern, Schwimmen...) oder im Beruf selbst sind sie wettergebunden (z.B. Straßenbauer: HRM70, Lawinensprenger: HFM75, im Tourismus Erwerbstätige: HFM40, HFW70, HFM80, HRW25; Bauer/ Bäuerin: HFW85, HRW35, HRW80, HRM80, HRW85, HRM90, Liftwart: HRM30). Entsprechend interessiert sind die Befragten auch am Thema Wetter.

Dass sich jüngere Befragte an weniger Wetterextreme erinnern hängt mit der kürzeren Lebenszeit zusammen. Manche haben aber von bestimmten Wetterextremen gehört, vor allem aus Erzählungen ihrer Großeltern (HFW14, HFM14, HFM40, HRM30). Auch einige ältere Befragte haben von ihrer Eltern- oder Großelterngeneration von Wetterextremen gehört. Sie sind z.B. von ihren Eltern vor konkreten lawinengefährdeten Stellen gewarnt worden und lernten, das Wetter

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hinsichtlich Lawinen-, Muren- oder Hochwassergefahr zu beobachten (HFM75, HRW90, HRW80, HRW25).

Als sie auf das Thema „Wetterextreme in ihrem Tal“ angesprochen wurden, wirkten keiner bzw. keine Befragte besorgt. Die Befragten beider Täler erzählten, dass Lawinen- und Murenschutzbauten errichtet wurden, sie fühlen sich sicher (HFW35, HFM45, HRW25, HRM30, HRM60). Kleinere Muren- oder Lawinenabgänge, die dennoch vor kommen, sind nach Ansicht der Befragten aber nichts Außergewöhnliches (HRW25, HRW35, HFW85). Beispielhaft das Zitat der befragten 35jährigen Rauriserin: „Ich denke, die Lawine, wir leben in diesem Graben, und die kommt halt. Auch dass dieser Wildbach manchmal mehrmals jährlich kommt und dann wieder fünf Jahre nicht. Ich denke mir, das ist. Punkt. Weil irgendwann hat er den Schuttkegel da aufgeschüttet und der hat halt nicht mit der Besiedelung dieses Gebietes aufgehört, sondern er schüttet halt weiter auf.“ (HRW35)

Nur wenige Befragte erinnern sich an konkrete Jahreszahlen oder nennen exakte (klein)geografische Bezeichnungen (wie heißt ein bestimmtes kleines Bächlein, wie ein bestimmter Bergrücken etc.) Auch eine Einschätzung der Gesamtschadenshöhen ist aufgrund der vagen Erinnerungen nur schwer durchführbar. Nur ein Befragter konnte sich beispielsweise daran erinnern, wie viele Brücken beim Rauriser Hochwasser 1966 zerstört wurden (er war damals in der Bauabteilung der Gemeinde tätig). An einzelne Schäden oder Todesfälle können sich hingegen viele Befragte erinnern (HFW70, HRM75, HFM80, HRW65, HRM80 und HRW80, HRW85, HRM90). Ein 60jähriger Rauriser war der einzige Befragte, der Fotos von Wetterextremen aufbewahrte. Sie sind Teil seines großen Fotoarchivs zur Geschichte seines Tales. In Flattach erinnern Felsbrocken in privaten Gärten, im Kurierdorf und neben dem Wollinitzbach an das Murenunglück von 1966.

Nur eine der vier befragten Flattacher Jugendlichen erinnert sich an selbst erlebte Wetterextreme: Hagel im Sommer 2006, große Hitze 2004 und an einen Bach, der hinter ihrem Elternhaus öfter Hochwasser hatte und einmal auch einen Teil des Nachbarhauses wegriss. Wie der Bach heißt und in welchem Jahr dies passierte, konnte die 16jährige Flattacherin aber nicht sagen. Aus Erzählungen von Erwachsenen wissen die zwei 14Jährigen, dass es einmal „einen starken Regen gab“ (HFW14) bzw. ein Murenunglück, an das auch noch ein Stein erinnert, der damals im jetzigen Garten seiner Eltern liegen blieb (HFM14). Wildbach- und Lawinenverbauung würden Flattach nun vor Wetterextremen schützen (HFW35, HFM45). Schneemassen sind dem 40jährigen Flattacher als Kind vermutlich auch deshalb so groß vorgekommen, weil er selbst noch so klein war (HFM40). Am Thema Wetter und Klima ist er jetzt mehr interessiert als früher, weil er nun im Freizeitgeschäft tätig ist.

Das Hochwasser von 1966 kennen die später geborenen Flattacher Befragten aus Erzählungen (HFW14 – nur vage Beschreibung; HFW35, HFM40, HFM14, HFM45).

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Alle befragten FlattacherInnen über 45 erinnern sich an mehrere Wetterextreme, die sie im Lauf ihres Lebens in Flattach erlebten. Alle diese Wetterextreme wurden im Rahmen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ aufgrund der Aufzeichnungen in anderen Quellen bereits in die Unwetterchronik aufgenommen (Auer et al. 2007):

- 1935, August: Möll-(?)Hochwasser (HFM75)

- 1950/51: In diesem Winter war es bis Weihnachten aper. Danach schneite es viel, es gab viele Lawinenabgänge und auch Tote (HFW70)

- 1975: Staublawine in Innerfragant (HFW85)

- Ohne genaue Jahresangabe: Mehrere Vermurungen in Innerfragant. Weil eine große Mure die Weideflächen für ihre Kühe großteils zerstörten, mussten die 85jährige Flattacherin und ihr Mann die Tiere verkaufen und führten die Landwirtschaft nur mehr im Nebenerwerb weiter (HFW85).

- 1965 und 1966, keine Monatsangaben: Hochwässer (HFW85)

- 1966: Mure, bei der drei Menschen starben, und Wiederaufbau mit Hilfe des Bundesheeres (HFW45, HFM75, HFM80)

- 1966, November: Hochwasser (HFM75)

Die Rauriser Befragten können sich an folgende Wetterextreme erinnern:

- Ohne Jahresangabe: Immer wieder starke Föhnstürme in Rauris (HRW25)

- Ohne Jahresangabe: während der Kindheit des 80jährigen Raurisers gingen zwischen Rauris und Bucheben (Mitterberg?) Lawinen ab, die Hirsche töteten (HRM80).

- Ohne Jahresangabe: Lawinen in Seitentälern (Seidlwinkeltal, Osthang des Schigebietes – dort seien aber noch nie SchifahrerInnen gefährdet gewesen) (HRW25)

- Ohne genaue Jahresangabe („vor ein paar Jahren“): Mure auf Höhe Bruderhof, die die Rauriser Straße drei Meter hoch verschüttete und dabei auch zwei Autos erfasste (HRW25)

- Bruderhoflawine kommt regelmäßig ins Tal (HRM60, HRW35)

- Vor einigen Jahren Vermurung des Teufenbaches im Bereich Bucheben: an zwei Stellen wurde die Straße vermurt (HRM60)

- 1884: in der vom Enkelsohn der Familie in der Landwirtschaftsschule verfassten Hofchronik wird eine Lawine in diesem Jahr erwähnt. Aus Erzählungen einer während ihrer Kindheit sehr alten Frau soll eine Lawine von Hofberg (Wörth, Eingang Seidlwinkeltal?) einen Bauernhof zerstört haben, dabei sollen fünf BewohnerInnen gestorben sein. (HRW80)

- 1932: Vermurung in Wörth (HRW60)

- 1947: Lawine vom Wetterstein, vom Schwarzenkopf (?): der 90jährige Rauriser fuhr rascher heim, er kannte die Lawinengefahr, weil ihn sein Vater am Schulweg immer davor warnte.

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 68

Diese Lawine komme nur alle 50, 60 Jahre einmal, 1947 zerstörte sie eine Mühle am Beginn des Seidlwinkeltales (HRM90).

- 1951: Lawine zerstörte altes Bodenhaus (HRW65; in der Erinnerung der 80jährigen Rauriserin war das 1953, HRW80)

- 1955, Juli: viel geschneit; Lawine oberhalb der Feldereralm tötete 30 Schafe (HRW65)

- 1965 und 1966: HRM60; Hochwasser, ein Haus wurde zerstört, auch eine Steinbrücke, in Wörth wurden Keller überschwemmt, Schäden beim Andrelwirt und im Geschäft (HRW80); Sommer 1966: Überschwemmung im Seidlwinkeltal, bei der sie ein Haus sah, das mitgerissen wurde (HRW85); Das Hochwasser von 1966 hat 23 Brücken zerstört (HRM70).

- Um 1970: große Lawine im Bereich Bucheben (HRM60)

- 1976: besonders schneereicher Winter (HRM70)

- 1976/77, Winter: Tiefsttemperatur lag einmal bei minus 27 Grad (Mutter von HFW25)

- 1979, Anfang Mai: dreißig Zentimeter Schnee und starker Frost (Mutter von HFW25)

- 1980: Große Lawine in Kolm-Saigurn (HRM60 sammelte viele Fotos dazu)

- um 2000: Überschwemmung in Wörth (HRM60)

- 2002: Föhnsturm im Gebiet des „Wostlbauern“, anschließend stark gestiegener Borkenkäferbefall mit vielen Schäden und riesige Erdrutsche (HRW35); Dieser Föhnsturm sei aus dem Süden gekommen und habe Saharastaub mitgebracht. Er habe in ganz Rauris große Schäden in Wäldern angerichtet. Erst danach habe es in Rauris Borkenkäferbefall gegeben („So einen Sturm habe ich noch nie erlebt“ HRW80).

- 2005 (?): Föhnsturm, der auf der linken Seite des Lifthanges alle Bäume wegriss (HRW14)

- Winter 2005/06: In Wörth hat es in den letzten 29 Jahren nie so viel Schnee gegeben wie in diesem Winter (HRM30)

- 2006, Ende Juni: Starker Regen in Bucheben/ Hüttwinkel, in dessen Folge eine Mure eine Brücke zerstörte (HRW25)

- 2006: Mure zwischen Rauris und Wörth (Höhe Daxbacher) (HRW35)

In den letzten Jahren seien, und das ist nach Ansicht des 80jährigen Ehepaares aus Rauris viel schlimmer als die Lawinen-, Muren- oder Hochwassergefahr, viele Tiere ausgestorben. Es gebe weniger Schwalben, weniger Fliegen und Bienen. Als Ursache vermutet die Frau die „Atomgeschichte“, ihr Mann weiß nicht, ob die Erderwärmung mit diesem Rückgang der Tiere zusammenhänge. (HFW80, HFM80)

4.5.2 Klimawandel

Nur ein Befragter (HRW14) gab an, noch nie etwas vom Klimawandel gehört zu haben, alle anderen Befragten haben zumindest schon einmal etwas über den Begriff gehört, z.B. über Schule (HFW14) oder Medien (HFM14, HFW35). Ein Befragter (HRM15) glaubt, dass der

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Klimawandel heute bedeute, dass es viel kälter werde, also eine neue Eiszeit komme. Die anderen Befragten verbinden mit dem Begriff „Klimawandel“ Erwärmung und Wetterextreme:

- Rückgang der Gletscher in Rauris und Flattach: selbst mitverfolgt von drei Befragten (HFM40, HFW70, HRW65), von weiteren acht Personen auch genannt (HFW35, HFW85, HFM14, HFM18, HFM45, HFM75, HRW35, HRM70)

- Auftauen der Gipfel (Permafrostzone) (HRW35)

- Heftige Naturerscheinungen (Föhnstürme, Überschwemmungen, Lawinen...) (HRW35, HFW35), Zunahme von Wetterextremen, z.B. lang anhaltender Kälteeinbruch im Juni 06 (HRM60), Übergänge zwischen sehr heißem Sommer und Winterkälte fehlen (HFM45), Anstieg der Höchsttemperaturen im Sommer (HRM60, HRW25, HRW85, HRW16, HFM18)

- Rückgang der Artenvielfalt (HRW80, HRM80)

- Weniger und kürzer Schnee im Winter (HFW45, HFW85, HFM18) und warme Winter (HRM30)

Für einen Befragten sind solche beobachteten Phänomene Anzeichen eines Klimawandels (HFM14), andere sind sich über diese Zusammenhänge unsicher (HRM60, HRM70), für drei Befragte sind das „natürliche Schwankungen“ (HFW85, Mutter von HRW25, HRM30). Eine Befragte vermutet, dass die heißeren Sommer Folgen des größer werdenden Ozonlochs seien (HRW85). Der Rückgang des „Mölltaler Gletschers“ habe nichts mit dem Klimawandel zu tun, sondern sei Folge des Staumauerbaus hinter dem Gletscher (HFW70). Kein/e Befragte/r sieht einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen Klimaänderungen und menschlichem Verhalten (insbesondere nicht HFW70). Zwei Befragte fordern in dieser Thematik ein bewusstes Nachdenken über den Umgang mit Energie und fossilen Brennstoffen und über die Wegwerfgesellschaft (HRW35) oder betrachten im Zusammenhang mit der Klimawandeldiskussion die starke Umweltbelastung (Autos, Flugverkehr usw.) als Problem (HFM45).

Welche Folgen haben diese mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebrachten Beobachtungen für Rauris und Flattach?

Die 14jährige Flattacherin weiß nicht, ob der Klimawandel für Flattach Bedeutung hat (HFW14). Andere Befragte glauben, dass er Auswirkungen haben wird: Einige Flattacher Befragten orten Schwierigkeiten für das Gletscherschigebiet wegen des Rückgang des Gletschers und der zunehmenden Notwendigkeit, künstlich zu beschneien. Letzteres verursache auch hohe Kosten (HFW35, HFM40, HFM75). Andere FlattacherInnen glauben hingegen, dass ihr Gletscherschigebiet in Zukunft eher davon profitieren würde, wenn in niederen Lagen wegen wärmerer Winter weniger Schnee liege. (HFW70, HFW16, vgl. auch Kap. 18). Es gibt viele Leute, die speziell im Sommer gern in die Berge fahren, um hier der ganz großen Hitze zu entgehen, das sei eine Chance für den Sommertourismus in Flattach (HFM40). Allerdings

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 70

bezweifelt ein Jugendlicher, ob die Menschen dann wirklich gerade nach Flattach fahren würden, weil es in der Nähe keine Seen gäbe (HFW16).

Rauris reagiere auf wenig Schnee zwar mit Schneekanonen (HRM60, HRW65, HRM30), das sei eine große finanzielle Belastung, vor allem für die Tourismusunternehmen (HRW65). Warme Winter habe es auch schon früher gegeben, aber jetzt seien sie ein Problem, wenn es dann zu warm zum Beschneien ist. Ohne Schnee sei der Wintertourismus in Rauris aber schwierig bzw. sehen die Befragten derzeit wenig alternative Angebote (HRW25, HRW35, HRW65, HRM30).

4.5.2.1. Jugendliche und Klimawandel

Von den befragten 6 Jugendlichen haben alle vier Flattacher schon einmal vom Klimawandel gehört. Zwei konnten auch genauere Aussagen dazu machen. Die Rauriser 14Jährige hat noch nie vom Klimawandel gehört, der 15jährige Rauriser schon – aber er hat gehört, dass eine neue Eiszeit komme. Auch die Melker Jugendumfrage kam zum Ergebnis, dass SchülerInnen eher wenig über das Thema Klimawandel wissen (Frischauf/ Kögel/ Wallner 2006).

In der Jugendumfrage im Rahmen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ (BG/ BRG Zell et al. 2007) werden mögliche klimaschützende Aktivitäten der Jugendlichen untersucht. In einer österreichweiten Internetumfrage erzielten österreichische Jugendliche hohe Werte beim konkreten umweltfreundlichen Handeln. Für neun von zehn Befragten ist Trennen und Vermeiden von Müll fester Bestandteil des Alltags geworden. Fast drei Viertel aller via Internet befragten 14- bis 24jährigen ÖsterreicherInnen achten im Alltag oft oder sehr oft auf sparsamen Energie- und Wasserverbrauch und vermeiden es, Dosen in Getränken zu kaufen. Etwa die Hälfte gibt an, oft oder sehr oft biologisch angebaute Lebensmittel zu kaufen (ÖIJ 2004).

In den qualitativen Interviews mit Oral-History-Schwerpunkt wurden insgesamt 6 Jugendliche (2 aus Rauris, 4 aus Flattach) zu ihrem persönlichen Klimaschutzbeitrag befragt. Alle befragten Jugendlichen duschen häufiger als zu baden. Die Herkunft der Lebensmittel ist manchen egal, manchen nicht. Dem sportwettkämpfenden Rauriser Jugendlichen ist die Herkunft der Lebensmittel besonders wichtig. Kühles oder warmes Zimmer im Winter, Erdbeeren auch im Winter, Hefte aus Recyclingpapier – ein Teil der befragten Jugendlichen verhält sich in diesen Punkten klimaschützend, die anderen nicht. Alle Jugendlichen trinken auch Dosengetränke. Es ist kein typisches Antwortmuster in Zusammenhang mit dem Wissen über Klimawandel, Geschlecht, Ort oder Alter der Jugendlichen erkennbar – allerdings ist das Ergebnis auch nur als Pretest für die Jugendumfrage zu werten (siehe Tabelle 4).

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Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Band 1 Ergebnisse 71

Tabelle 4 Klimaschutzverhalten von Jugendlichen – Pretestergebnis für Jugendumfrage

0 Ich komme meist mit dem Auto zur Schule/ Arbeit. ODER 6 Ich gehe meist zu Fuß zur Schule/ Arbeit oder komme per Rad, Bahn oder Bus.

6 Ich dusche häufiger. ODER 0 Ich bade häufiger.

2 Die Herkunft der Lebensmittel ist mir egal. Hauptsache, sie schmecken und sind günstig.

ODER

1 une. 3 Ich mag lieber Biolebensmittel aus der Region und Fair-Trade-Lebensmittel.

2 Im Winter heize ich mein Zimmer lieber weniger, dafür ziehe ich mich wärmer an.

ODER

1 une. 3 Im Winter heize ich mein Zimmer lieber wärmer, damit ich keinen dicken Pulli anziehen muss.

3 Ich esse nur heimische Freilanderdbeeren. ODER 3 Ich esse auch im Winter gerne frische Erdbeeren.

0 Ich trinke keine Dosengetränke. ODER

1 une, 1 ng.

4 Ich trinke auch Getränke in der Dose.

2 Mir ist es wichtig, dass meine Schulhefte aus Recyclingpapier sind.

ODER

1 ng. 3 Mir ist es egal, ob meine Schulhefte aus Recyclingpapier sind.

Legende: ng. Frage nicht gestellt, une. Befragte/r kann sich weder für eine noch für andere Antwort entscheiden, andere Zahlen: absolute Häufigkeit der Antworten.

Quelle: Pretest für die Jugendumfrage (BG/BRG Zell am See et al. 2007)

Auffällig in Tabelle 4 ist, dass alle befragten Jugendlichen auf ihrem Schulweg oder ihrem Weg zur Lehrstelle autofrei unterwegs. Ob sie dieses klimaschützende Verhalten auch in späteren Lebensjahren beibehalten wollen, wurde hier nicht gefragt. Zumindest in ländlichen Gebieten Österreichs dürfte ein hoher Anteil der 18jährigen Jugendlichen aufs Auto umsteigen. Selbst eine Untersuchung unter städtischen Jugendlichen ergab, dass zumindest knapp die Hälfte aller 13- bis 17Jährigen hauptsächlich mit dem Auto fahren will (Dortmund, vgl. Groß 1998). Im ländlichen Raum dürfte dieser Anteil wesentlich höher sein, da die Mobilitätschancen von Jugendlichen vor allem vom Wohnort, von den Entfernungen zu täglichen Zielen sowie vom Fahrzeug-, Führerschein und Zeitkartenbesitz abhängen. Für die meisten der 15- bis 25Jährigen fällt nach Groß/ Freyer (2001) in diesem Alter die grundlegende Entscheidung, wie sie ihre Mobilität für den Rest ihres Lebens organisieren wollen. Groß/ Freyer (2001) fordern deshalb, dass Jugendliche in politische Mobilitätsentscheidungen mit einbezogen werden sollten. Jugendgerechte öffentliche Verkehrsangebote können dazu beitragen, dass Jugendliche nicht „so schnell wie möglich mit Erreichen des 18. Lebensjahres durch den Führerschein- und/ oder Pkw-Besitz vollwertiges Mitglied in der ‚Autogesellschaft’ werden wollen“ (Groß/ Freyer 2001)

4.6 NATIONALPARK UND GLETSCHERSKIGEBIET

Das Gletscherschigebiet brachte, so die einheitliche Ansicht aller Flattacher Befragten, dem Ort einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Gab es früher nur während einer kurzen Saison Sommergäste, würden, seit das Gletscherschigebiet ganzjährig geöffnet ist, nun rund ums Jahr Gäste kommen (HFW35, HFM40, HFW45, HFW70, HFW85, HFM45, HFM75, HFM80).

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Entsprechend seien viele Tourismusunternehmen und neue Arbeitsplätze entstanden. Das Gletscherschigebiet bringe aber nicht nur den BewohnerInnen der Gemeinde Flattach selbst Vorteile, sondern dem ganzen Bundesland (HFW70). Und es müsse nach Ansicht einiger Befragter wegen der vielen Gäste erweitert werden. Wegen der unter Naturschutz gestellten Gebiete, wie Kleinfragant oder Richtung Sonnblick, würden Erweiterungsbewilligungen jedoch immer wieder verhindert (HFW70, HFM80). Als Nachteile werden das stark gestiegene Verkehrsaufkommen zwischen Flattach und dem Gletscherschigebiet gesehen (HFM45), und dass die Gemeinde Ideen und Projekte der GemeindebewohnerInnen ablehne, weil sie dafür wegen ihrer Investitionen rund um das Gletscherschigebiet (Straßenerhaltung) zu wenig Geld habe (HFW35, HFM45, HFM75). Alle befragten Jugendlichen, einige befragte jüngere Erwachsene bzw. deren Kinder und Jugendliche nutzen das Freizeitangebot des Gletscherschigebietes auch selbst regelmäßig zum Schifahren oder Snowboarden (HFW14, HFW16, HFM14, HFM18, HFM40, HFW45).

Einige Flattacher Befragte schätzen die landschaftlich geschützten Gebiete, wie die Kleinfragant (HFM45, HFW85). Kein/e Flattacher Befragte/r wünscht aber, dass Flattach Nationalparkgemeinde werde. Einige Jugendliche besuchten mit ihren Schulklassen Einrichtungen des Nationalparks oder nahmen an deren Programmen teil (z.B. Mallnitz; HFW14, HFW16, HFM14) und fanden diese Angebote auch gut. Aber einen Nationalpark in der eigenen Gemeinde möchten sie dennoch nicht – dieses Angebot gebe es ohnehin in umgebenden Orten (HFM18).

In Rauris ist die Zustimmung zum Nationalpark hoch. Er sei auch ein wichtiger touristischer Faktor, viele würden wegen der schönen Natur kommen (HRW25, HRW65, HRW85, HRM60, HRM70). Nur ein befragter Rauriser meint, dass Touristen weniger wegen des Nationalparks hierher kommen, aber er schätzt es, dass durch den Nationalpark die Landschaft erhalten bleibe, es im Tal noch stille Plätze gibt (HRM30). Ein befragter Jugendlicher findet, dass man in Rauris lieber noch neue Wanderwege bauen würde (von denen es ohnehin schon genug gäbe), anstatt etwas für Jugendliche des Ortes zu investieren (HRM15).

Das derzeitige Schigebiet in Rauris wird von den RauriserInnen als Familienschigebiet beschrieben (HRW14, HRW25, HRW35, HRW65). Viele ehemalige RauriserInnen kämen zum Familienschiurlaub wieder in ihre alte Heimat zurück (HRM30). Ob die Bewerbung als Familienschigebiet wirklich so vorteilhaft ist, stellt die 25jährige Rauriser Hotelkauffrau (HRW25) angesichts gesellschaftlicher Veränderungen (immer weniger Familien) in Frage. Eine befragte Jugendliche fährt zum Schifahren lieber in ein größeres Schigebiet (HRW14). Weil die Winter öfter bis nach Weihnachten schneearm sind, wird künstlich beschneit. Das sei aber sehr kostspielig (HRM30). Für viele Tourismusbetriebe sei nach Aussagen der Rauriser Wirtin (HRW65) die Mitfinanzierung der Beschneiung („Schneeschilling“) angesichts der sinkenden Nächtigungszahlen eine zu große wirtschaftliche Zusatzbelastung. Zusätzlich sei die Beschneiung

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wegen der Föhntallage und der oft zu warmen Temperaturen technisch oft gar nicht möglich (HRM30).

Ein neues Schigebiet mit mehr Schneesicherheit zu erschließen würde nach Ansicht einer Rauriser Befragten die Lösung vor allem für die Wintertourismusprobleme im Rauriser Tal bringen (Schneesicherheit, größeres Schigebiet, Belebung der Orte des Tales). Vor Jahrzehnten habe es bereits die ersten Erschließungspläne in den Gebieten Kolm-Saigurn und Richtung Gasteiner Tal gegeben (HRW65). Durch solche Erschließungen könnten Zwei- oder Drei-Täler-Schaukeln entstehen, der Nationalpark wäre kaum beeinträchtigt (HRW65). Andere befragte RauriserInnen stehen solchen Projekten skeptisch bis ablehnend gegenüber: Nach Ansicht der 35jährigen Rauriserin, die selbst auch im Tourismus tätig ist, seien dafür viele Investoren von außen notwendig, damit ein derartiges Projekt wirtschaftlich überleben könnte. Ob es mit dem Nationalpark vereinbar sei, müsse ebenfalls geprüft werden. (HRW35). Zwei Befragte (HRM30, HRW60) glauben, dass das Gebiet um Kolm für ein Schigebiet schlecht geeignet sei, weil es noch stärkere Winde gebe (Rauris ist ein Föhntal) und die Lawinengefahr dort größer sei. Durch das Schigebiet am Ende des Tals entstünde für die Orte des Tales enormer Durchzugsverkehr, aber die beiden Rauriser sind skeptisch, ob sie auch Vorteile durch ein solches Schigebiet hätten.

4.7 BEZUG ZUM ANDEREN TAL

Die Befragten beider Täler kennen das jeweils andere Tal nicht und haben überhaupt keinen Bezug dazu. Der Alpenhauptkamm wird als Barriere erlebt (HRW35). Ein einziger Flattacher (HFM80) ging einmal zu Fuß über den Sonnblick von Flattach nach Rauris. Die Großmutter der mittlerweile selbst schon 85jährigen Flattacherin erzählte, dass sie als junge Frau über Kolm-Saigurn und das Rauriser Tal zum Getreidejäten ins Salzburger Land ging (HFW85). Von Süden aus sei Rauris ursprünglich auch besiedelt worden, weiß die 25jährige Rauriserin aus dem Geschichteunterricht (HRW25). Es gab im Lauf der letzten Jahrzehnte einige Pläne, ein Schigebiet auf Salzburger Seite, z.B. im Bereich Kolm-Saigurn zu errichten und dieses an das Schigebiet des Mölltaler Gletschers anzuschließen, allerdings dürfte es derzeit keine Realisierungsvorhaben dazu geben (HRW65, HRM70, HFM75, HFW70).

In Rauris wurde nur 4 von 12 Befragten die direkte Frage nach dem Bezug zum anderen Tal gestellt.

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5 Quervergleiche

5.1 TÄLERVERGLEICH RAURIS – FLATTACH

Die Kindheitserinnerungen der erwachsenen Befragten beider Täler unterscheiden sich wenig voneinander: frühe Mitarbeit, vor allem in der Landwirtschaft dominierten. Die jugendlichen Befragten beider Täler verbringen ihre Freizeit gerne mit Freunden, treiben Sport (FlattacherInnen auch am Mölltaler Gletscher), sind gerne in der Natur.

In beiden Tälern berichten die Befragten von einem regen Vereinsleben, an dem sich in Flattach die befragten Männer beteiligen, nicht jedoch die erwerbstätigen Frauen. In Rauris sind auch alle interviewten Frauen Vereinsmitglieder oder besuchen zumindest Vereinsfeste im Ort. Drei befragte RauriserInnen waren in der Lokalpolitik tätig, eine weitere Rauriserin initiierte mehrere lokale Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialprojekte.

In beiden Tälern schätzen die Befragten, dass (fast) jeder jeden kenne, man einander grüße, hilfsbereit sei. Diese Vertrautheit wird – vor allem von jüngeren Befragten – gleichzeitig aber auch als Nachteil empfunden (Tratsch). Sowohl in Rauris als auch in Flattach schätzen die Befragten die schöne Natur, viele auch die sportlichen Möglichkeiten. In Rauris schätzen die Befragten darüber hinaus besonders ihre im Tal besonders gepflegten Bräuche (z.B. Schnabel- und Schiachperchten), dass es keinen Durchzugsverkehr gibt und die historische Substanz.

Als Schwierigkeiten beider Täler wurden von jeweils mehreren Befragten die geringen Bildungsmöglichkeiten im Tal genannt. Besonders von jüngeren Befragten beider Täler wurde die große Entfernung zu einer nächsten größeren Stadt als Nachteil gesehen und dass im Tal zuwenig los sei.

Nur in Rauris wurden als Schwierigkeiten des Tales genannt: (1) Tourismusprobleme angesichts gesunkener Nächtigungszahlen, sowie (2) geringe Beschäftigungsmöglichkeiten im Tal. Vor allem gebe es wenig qualifizierte Stellen.

Nächtigungsrekorde habe es in Rauris in den 1970er und 1980er Jahren gegeben (HRM70, HRW65), seither gingen die Nächtigungszahlen zurück und stagnieren (HRW25 und deren Mutter, HRW65).

Die befragten FlattacherInnen beurteilen die wirtschaftliche Entwicklung ihres Tales seit Mitte der 1990er Jahres sehr positiv. Der Tourismus hat nach Ansicht der Flattacher Befragten erst durch den Ausbau des Gletscherschigebietes großen Aufschwung bekommen. Entsprechend schätzen die interviewten FlattacherInnen ihre beruflichen Möglichkeiten im Tal optimistischer ein als die Rauriser Befragten. Die Zunahme des Verkehrs zwischen Flattach und dem Schigebiet wird von einem Flattacher Befragten als Nachteil empfunden (HFM45). Die Gemeinde Flattach habe wegen der hohen Investitionen für das Gletscherschigebiet (Straße) wenig Geld (HFM75), das sei

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auch die Begründung der Gemeinde, mit der sie auch Vorschläge der Befragten zur Gemeindeentwicklung blockiere (HFW35, HFW40, HFM40, HFM45).

Mehrere befragte FlattacherInnen und RauriserInnen lebten und arbeiteten zumindest einige Jahre lang außerhalb ihres Tales. Sowohl Rauris als auch Flattach sind Auspendlergemeinden, d.h. es gibt weniger Arbeitsplätze als Erwerbstätige am Wohnort (Volkszählung 2001, ST.AT ISIS-Datenbank, vgl. Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007). In den qualitativen Interviews waren es aber vor allem die Flattacher Befragten, die auf ihre besonderen Pendler hinwiesen, die im Baugewerbe im Ausland tätig sind, vor allem im Tunnelbau in der Schweiz. Dort würden sie sehr gut verdienen. Das Ersparte investieren sie nach Aussagen der Befragten in Flattach, wo sie z.B. den Hausbau für ihre Familie damit finanzieren (HFM40, HFW35, HFM75).

In Rauris wiesen die Befragten stärker auf jene hin, die schon zum Studium aus dem Tal ziehen und nach Abschluss des Studiums außerhalb des Tales wohnen und arbeiten. Die „Intelligenz“ wandere ab (HRM60) und komme nur mehr im Urlaub wieder in ihre alte Heimat (HRM30).

In Flattach können sich zwei von vier, in Rauris einer von zwei befragten Jugendlichen vorstellen, später in ihrem Heimattal zu leben. Die FlattacherInnen sehen die Zukunft des Tales eng mit dem Tourismus rund um den Mölltaler Gletscher verknüpft. Die Vorschläge beziehen sich auf die Erweiterung des touristischen Angebotes (z.B. Forcierung des Sommertourismus) und auf Angebote, die den BewohnerInnen auch direkt nutzen (z.B. Sportplatzerneuerung, Jugend- und Vereinsförderung). Kein/e Flattacher Befragte/r wünscht sich, dass Flattach Nationalparkgemeinde wird. Der Grundtenor: Flattach habe als Besonderheit das Gletscherschigebiet, eine schöne Natur gebe es dennoch und Nationalparkgemeinden gebe es ohnehin in der Umgebung (HFM18, HFM40, HFW70, HFM80).

In Rauris fordern einige Befragte ein Umdenken im Tourismus. Alle Rauriser Befragten wollen, dass Rauris auch in Zukunft Nationalparkgemeinde ist. Aber das allein reiche nicht aus, im Tourismus wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Eine Befragte macht sich schon seit Jahrzehnten für die Erschließung eines neuen Schigebietes im Bereich Kolm-Saigurn oder eines Gletscherschigebietes, mittels Tälerschaukel mit dem Gasteiner Tal und/ oder dem Mölltaler Gletscher verbunden, stark (HRW60). Ihrer Meinung nach bringe das die Lösung für die Tourismusprobleme des Ortes, beeinträchtige den Nationalpark minimal und biete mehr Schneesicherheit. Andere Befragte sehen diesen Vorschlag skeptisch bis ablehnend (HFM30, HFW35, HFM60), und schlagen andere touristische Aktivitäten vor (z.B. verstärkte Vermarktung der historischen Substanz).

Alle Befragten haben entweder durch ihren Beruf (z.B. im Tourismus, in der Landwirtschaft) oder über ihre Hobbys (Schifahren, Radfahren, andere Sportarten im Freien) einen unmittelbaren Bezug zur Natur ihrer Täler. Kein Befragter reagiert besorgt auf das Thema „Wetterextreme im

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Tal“. Sie erinnern sich an einzelne Wetterextreme, vor allem Muren und Lawinen, in Rauris auch an Föhnstürme. Allerdings betrachten die Befragten das Leben mit diesen Naturgefahren in ihren Tälern als etwas, womit man hier zu leben gelernt habe – und sie fühlen sich dank Lawinen- und Murenschutzbauten sicher.

Das Wetterextrem, an das sich am meisten FlattacherInnen erinnern können, war die Mure von 1966 (ohne Stichwort seitens der Interviewerin von 6 von 13 Befragten genannt). An dieses Ereignis erinnern im Ort auch einige Gedenksteine. In Rauris erinnern sich am meisten Befragte an die Hochwässer von 1965 und 1966 (4 von 12 Befragten). Damals sind nach Angaben des 70jährigen Raurisers, der damals in der Gemeinde Bauarbeiten durchführte, 23 Brücken zerstört worden. Die genaue Liste der Wetterextreme, an die sich die Befragten beider Täler erinnern, finden Sie in Kap. 4.5.1).

Klimawandel wird von der Mehrzahl der Befragten beider Täler mit Erderwärmung und Wetterextremen in Verbindung gebracht. Am häufigsten erwähnt wurden der Rückgang der Gletscher (von 3 von 12 RauriserInnen bzw. 6 von 13 FlattacherInnen genannt) sowie der Anstieg der Höchsttemperaturen im Sommer (von 4 RauriserInnen und 1 Flattacher genannt). Für einige Befragte sind solche Schwankungen

5.2 GENDERVERGLEICH

Im Englischen wird sprachlich zwischen ‚sex’, dem biologischen Geschlecht, und ‚gender’, dem sozialen Geschlecht, unterschieden. Mit Gender sind die gesellschaftlichen Geschlechterrollen gemeint, die Vorstellungen und Erwartungen, wie Frauen und Männer sind bzw. sein sollen. Geschlechterrollen ändern sich im Lauf der Zeit und sind innerhalb und zwischen den Kulturen sehr unterschiedlich. (Pimminger 2001: 14)

Um einen besseren Einblick in die Genderrollen der beiden Täler zu bekommen, werden in diesem Kapitel die Antworten auf einige direkte Fragen nach Genderrollen ausgewertet (vgl. folgende Fragen des Leitfadens in Kap. 2.1: Berufstätigkeit der Mutter, Beteiligung des Vaters an Kindererziehung und Haushalt in der Ursprungsfamilie, in der selbst gegründeten Familie oder – bei den befragten Jugendlichen - als Zukunftsvorstellung). Darüber hinaus beschreibt dieses Kapitel die unterschiedlichen Antworten von Frauen und Männern auf andere Interviewfragen.

5.2.1 Beruf und Familie

In erster Linie zeigt sich bei der Berufswahl in den vorliegenden Interviews ein Generationsunterschied: während bei den heute Ab-60-Jährigen die Eltern entschieden, welche Berufe ihre Söhne und Töchter erlernen sollen, trafen die jüngeren Befragten die Berufswahl selbstbestimmter. Allerdings wird in den Interviews auch ein starker Einfluss von Genderrollen auf die Schul- und Berufswahl und auf die spätere Berufslaufbahn (vgl. Haller/ Höller/

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Gomilschak 1999) sowohl bei älteren als auch bei jüngeren RauriserInnen und FlattacherInnen (vgl. auch Kap. 4.3) deutlich:

Auch wenn ein Großteil der Männer ab 60 auch nicht selbst ihre Berufswahl treffen konnte, bemühten sich offensichtlich die Eltern darum, zumindest ihren Söhnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Die gute Ausbildung ihrer Töchter war nachrangig. Beispielsweise erzählten zwei Frauen (HRW65 und HFW85), dass ihre Brüder sehr wohl gute Berufsausbildungen machten, sie selber aber – als Töchter – nicht. HRW65: Ich hätte gern Lehrerin studiert, meine Lehrerin, die Frau Schulrat Stüber (?) ist zwei Mal zu der Mama gekommen und hat gesagt: “Lass’ das Dirndl studieren, die kann gut mit Kindern umgehen und das wäre die richtige Lehrerin.” Da hat die Mama gesagt: “Ja, was glaubst denn, die Dirndln, die heiraten dann eh weg und die Buam, die müssen einen Beruf haben und nicht die Dirndln.”

Jüngere befragte Frauen aus beiden Tälern beschreiben hingegen, dass sie – ähnlich wie die befragten jungen Männer der Täler – gute Ausbildungen machen wollen. Die Aussagen einer jungen Rauriserin zeigen aber, dass alte Rollenbilder weiterhin fortleben. Sie spürt einen großen Druck seitens ihres Vaters und anderer Leute im Ort, eine Familie in Rauris zu gründen. Sie selber will aber einen bestimmten Beruf ausüben, aber dafür gibt es im Tal kein Arbeitsangebot. HRW25: Es ist eher gern gesehen, dass Frauen zu Hause bleiben und sich nicht in die geschäftlichen Sachen einmischen. Das ist jetzt auch noch so. Die Frau ist für den Haushalt zuständig. Es ist zwar nett, wenn sie etwas dazu verdient.... I: Hat das auf die Ausbildung der Frauen einen Einfluss? HFW25: Nein. Das wird gefördert. Man will ja mit dem Kind angeben. (...) Es sollte schon einen guten Beruf lernen. Es gibt da zwei verschiedene. Dass man sagt: ‚O.k. mein Kind soll erfolgreich sein, soll auch den Job ausüben, soll es nicht so haben wie ich.’ Die andere Seite: ‚Es ist gut, wenn es etwas gelernt hat, weil ein Mann möchte ja keine blöde Frau haben.’

Die Berufswünsche bzw. der derzeitige Lehrberuf der befragten jungen Mädchen (HRW14, HFW14, HFW16) konzentrieren sich nicht auf die besonders häufigen weiblichen Lehrberufe3 - allerdings kennen alle drei Freundinnen aus ihrem jeweiligen Tal, die solche Berufe erlernen oder erlernen wollen.

Die Aussage einer anderen jungen Rauriserin bringt die Einstellungen ihrer 14jährigen Rauriser Mitschülerinnen auf den Punkt:

3 Bei Mädchen zeigt sich – im Gegensatz zu den Buben – eine Konzentration auf nur wenige Lehrberufe. Beispielsweise lernte im Bundesland Salzburg im Jahr 2004 etwa ein Drittel aller weiblichen Lehrlinge einen dieser drei Berufe: Bürokauffrau (13,6 %), Friseurin (11,8 %) und Einzelhandelskauffrau im Lebensmittelhandel (10,2 %). Hingegen arbeiten nur 24,9% aller männlichen Lehrlinge in den drei häufigsten Lehrberufen Kraftfahrzeugtechniker (9,9%), Elektroinstallateur (8,8%) und Koch (6,3%) (vgl. Schmidt 2006: 9).

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HRW14: Wir haben bei den Mädchen zwei Gruppen. Die einen sind sehr auf die Familie orientiert, die anderen möchten Karriere machen. Bei den Burschen glauben alle, zuerst braucht man eine ‚gescheite Arbeit’.

Die Mütter der ab-60-jährigen Befragten hatten im Schnitt mehr Kinder als die Befragten selbst. Der Großteil dieser Frauen hatte deutlich mehr Kinder als die nächste Generation – eine Mutter hatte sogar 11, eine 17 Kinder. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft wirkte sich besonders belastend für Bäuerinnen aus (vgl. Bauer 1997: 225ff). Das folgende Zitat verdeutlicht, dass sie zunehmend auch außerhalb der Hauswirtschaft tätig waren, nicht nur, wenn wie hier, der Vater sehr früh starb. Von Interessensvertretungen (z.B. Landwirtschaftskammer) wurde die Bäuerin als Hoffnungsträgerin, die den Strukturwandel aufhalten bzw. ausgleichen könne, gesehen (Bauer 1195: 223) – auch dieses Bild der Bäuerin hat die Mutter der befragten Rauriserin (HRW65) hier transportiert: HRW65: Und da hat sich meine Mutter (...) wahnsinnig geärgert, weil sie hat keine Kinderbeihilfe für die ganzen Kinder und da hat eine burgenländische Bäuerin und eine Tiroler Bäuerin furchtbar geschimpft, dass das Bäuerin-Sein so ein anstrengender Beruf ist und eh nichts herausschaut, nur die Arbeit (...) Dann hat die Mama gesagt: “Jetzt hört euch aber auf! Jetzt schämt’s euch. Wenn ich noch einmal auf die Welt käme, ich würde wieder Bäuerin. Gibt es denn was Schöneres, als mit den Viechern tun?” Sie hat selber die Hendl gezogen, sie hat selber die ‘Faklan’ [=Ferkeln], ein ‘Faklan’ um die andere, die Pferde, Rösser und, und, und. “Und Kinderbeihilfe kriegt Ihr auch noch? Ich habe 17 Kinder aufgezogen ohne Kinderbeihilfe. Da ist zum Sparen gewesen, da habe ich oft nicht gewusst, was ich meinen hungrigen Kinder auf den Tisch stelle. Und ihr zur guten Zeit tät’s jetzt schimpfen und jammern. Jetzt hört’s aber auf, jetzt schämt’s euch!” Da war das Thema gleich erledigt, da hat sie sich wahnsinnig geärgert. Weil Bäuerin sein ist ein harter Beruf, das wissen wir, aber ein schöner.

Ohne medizinische Versorgung durch einen Arzt im Ort setzten ältere Rauriserinnen (HRW65, HRW80) Hausmittel und im Tal wachsende Heilkräuter zur Behandlung kranker Angehöriger ein. Dieses Wissen lernten sie von ihren Eltern oder von anderen erfahrenen älteren Menschen. Auch ein älterer Mann (HRM90) erzählte davon, dass er erfolgreich Hausmittel gegen Krankheiten einsetzte.

In Flattach gab es keine Hebamme. Ihre Anreise dauerte besonders im Winter manchmal so lange, dass sie zu spät zu Geburten kamen. Von solchen Situationen erzählten drei FlattacherInnen (HFW85, HFM70, HFM80). In solchen Situationen leisteten erfahrene Frauen aus der Nachbarschaft oder Verwandtschaft Geburtshilfe: HFW85: (...) Da sind oft, wie es oft in einem Dorf ist, sind oft Notfälle, habe ich auch müssen gehen als Hebamme. I: Ach so? Da hilft man sich so gegenseitig aus. HFW85: Man hat ja keinen Tau beim ersten Kind, man hat keinen Tau. Da hat meine Schwester, die hat früher geheiratet wie ich, auch nach dem Krieg und da hat sie das erste Kind gekriegt, dann wollte ich schon ‚aussi’ gehen bei der Tür, wollte ich schon. Hat die Hebamme

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gesagt: „Bleib da, was ist wenn ich wen brauche.“ Gut, dann bleibe ich da. Jetzt bin ich doch bei jedem allein dabei gewesen. I.: Die Schwester hat fünf Kinder gehabt und da sind sie bei jedem Kind dabei. Und die andere, die Hebamme ist die auch dabei. HFW85: Nachher ist sie gekommen, wenn alles vorbei ist, aber sie hat es nie erwartet. I: (...) Haben Sie schon Erfahrung gehabt. Und bei anderen Frauen? HFW85: Auch, einige. I: Haben die anderen schon die Hebamme gerufen, aber bis die gekommen ist. HFW85: Bis die gekommen ist, ist halt oft zu spät.

Die befragten Väter ab 60 waren nur in Notsituationen bei Geburten dabei – wie im folgenden Fall (ähnlich siehe z.B. auch HFM80): I: Waren Sie bei der Geburt von einem Kind dabei, war das damals? HFM75: Beim ersten halb, halb. (...) Im Dezember auf die Welt gekommen ist, hat es Schnee gehabt, (...) jetzt muss schauen. Die Hebamme kommt da nicht ‚eini’ in den Graben. Keine Straße, nichts ‚eini’ gegangen. Jetzt musst schauen, dass du ein Ross kriegst, dass ich die Hebamme holen kann. So halb, halb bin ich dabei gewesen.

Die jüngeren Väter (HFM45, HFM40, HRM30) wurden leider nicht danach befragt, ob sie bei den Geburten ihrer Kinder dabei waren. Zwei dieser Väter (HFM45, HFM40) betonen, sich aktiv an der Kindererziehung zu beteiligen, der andere (HRM30) wurde nicht direkt danach gefragt. Die befragten Frauen beider Täler begannen meist, im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit oder dem öffentlichen Engagement auch über Kinderbetreuung ausführlich zu sprechen (z.B. HFW35, HFW45, HRW25, HRW35, HFW70, HRW65). Männer sprachen über Kinderbetreuung häufiger nur, wenn sie direkt danach gefragt wurden (Ausnahmen HFM40, HFM45).

Pfau-Effinger (1996: 471) unterschied verschiedene geschlechterkulturelle Modelle bzw. Geschlechterarrangements in westeuropäischen Gesellschaften. Die Bandbreite hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung von Frauen reicht nach dieser Typisierung vom Hausfrauenmodell der Versorgerehe (Der Mann ist als Alleinverdiener mit einem Familieneinkommen erwerbstätig, die Frau ist primär für den privaten Haushalt zuständig; Idee der privaten Kindheit) bis zum egalitär-individualistischen Modell, das auf der Idee der umfassenden und vollzeitigen Integration beider Geschlechter in die Erwerbsarbeit beruht.

Etwa die Hälfte der Rauriser und Flattacher Befragten (junge und alte, Frauen und Männer) vertritt das Hausfrauenmodell der Versorgerehe. In dieser sind Frauen in erster Linie für Kinderbetreuung und Haushalt zuständig, ihre berufliche Tätigkeit ist eher eine Teilzeitarbeit, mit der das Familieneinkommen des vollzeitbeschäftigten Partners aufgebessert wird. Eine ältere Rauriserin und ein befragtes älteres Rauriser Ehepaar vertritt sogar die Ansicht, dass Frauen keinen Beruf erlernen sollten – denn berufstätige Frauen seien wirtschaftlich unabhängiger und würden sich eher scheiden lassen.

Während ältere befragte Frauen vor allem angaben, zur Sicherung der Grundversorgung ihrer Familie erwerbstätig zu sein (Nahrung, Wohnung, Kleidung), haben sich nach Bauer (1997:228ff) und Buchinger/ Gödl (1992) die Arbeits- und Lebensperspektiven von Frauen geändert.

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Ein 30jähriger Rauriser sieht die Entwicklung so: I: (...) Wenn Sie ein bisserl vergleichen, die Elterngeneration und Ihre Generation, gibt es da Unterschiede, was Frauen und Männer machen, beruflich gesehen, jetzt. Dass man sagt, ja in Ihrer Generation sind die Frauen mehr berufstätig, als in der älteren Generation in Rauris? HRM30: Ich glaube schon, dass die Zeit das so bestimmt hat, dass jetzt die jüngeren Frauen eigentlich eher, wenn die Kinder etwas älter sind, dass die auch schon ein bisserl selbständiger sind, dass die wie ... Weil sie einfach sagen, sie braucht das Geld, sie will neben was verdienen, damit man es sich gut gehen lassen kann, damit man in Urlaub fahren kann. Im Gegensatz zu meiner Mutter, hat zwar auch nach den Kindern noch einmal gearbeitet, aber rein nur, damit sie die Schulden vom Haus abzahlen haben können, damit sie. Sie ist z.B. überhaupt nie in Urlaub gefahren oder was. Ist früher die Zeit gar nicht so gewesen und heute ist das, einmal im Jahr Urlaub fahren, dass ist Standard.

Bei der anderen Hälfte der Befragten beteiligt sich auch der Partner um Kinder und Haushalt, wenn auch deutlich weniger als die Frau. I: Sie haben vorher erzählt, dass Sie ihren Bekanntenkreis haben in Flattach, wo die Männer in der Schweiz arbeiten und Sie sind froh, dass Sie eigentlich nicht so regelmäßig pendeln. Sie haben Familie, Kinder, haben Sie die Kinder auch gewickelt einmal wie sie klein waren, haben Sie sich da beteiligt? HFM45: Auf alle Fälle, ich war eigentlich, alles habe ich gemacht. Hintern geputzt, gewickelt, alles, schlafen gegangen auf Nacht, bin ich immer gegangen mit den Kindern duschen, Haare waschen, das habe immer ich gemacht. Die Kleine lässt sich immer nur von mir jetzt noch die Haare waschen. Ich muss sehr aufpassen, ist sehr empfindlich, das ja nichts in die Augen kommt, kein Wasser. Was das an betrifft, das hat eigentlich schon immer funktioniert, das habe ich gern gemacht. I: Wie war das, wie Sie klein waren, hat Ihr Vater manche Sachen gemacht? HFM45: (...) Ich kann mich da jetzt nicht mehr erinnern, wie das mit dem Wickeln war. Ich weiß nur eines, eines hat er nicht mögen, wenn Kinder in die Hose gemacht haben, das hat er absolut nicht mögen. Also das weiß ich, da ist er eher davongegangen, oder ‚aussi’ gegangen, so lange sie in die Hose gemacht haben. Aber sonst hat er immer mit den Kindern, das weiß ich noch genau, was unternommen, spazieren gegangen. Ich weiß noch, zum Millstättersee einmal ‚obi’ gefahren und so eine Bootsrunde. Früher hat man es nicht so gehabt auch nicht. Ist ganz ein einfacher Verdiener gewesen. Von dem her muss ich sagen, man hat sich das Geld müssen genau einteilen und er hat trotzdem für die Kinder auch was ‚aussa’ geschlagen.

Eine Halbe-Halbe-Aufteilung von Familienarbeit und Erwerbsarbeit gab bzw. gibt es in keiner befragten Familie.

Während alle befragten Männer vollzeiterwerbstätig sind4, sind nur drei von acht befragten Frauen vollzeiterwerbstätig5, die anderen reduzieren zumindest ihre Erwerbsarbeitszeit zugunsten 4 (oder es nach Abschluss der Ausbildung sein wollen bzw. vor der Pensionierung waren) 5 (oder es nach Abschluss der Ausbildung sein wollen bzw. vor der Pensionierung waren)

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der Familienarbeit oder sind deshalb über einen längeren Zeitraum gar nicht erwerbstätig. Dennoch ist unsicher, ob dieses Ergebnis die These von Hakim (1997, 2000) stärkt, wonach nur eine Minderheit von Frauen erwerbsarbeitszentriert sei, die Mehrheit der Frauen hingegen entweder Familie und Haushalt an die erste Stelle setze oder Haushalt, Kinder und Erwerbsarbeit verbinden wolle. Nach Hakim (1997, 2000) sind die Einstellungen von Männern viel homogener erwerbsarbeitszentriert. Hakims These wurde heftig diskutiert und kritisiert6. Insbesondere blieb bei Hakim (1995) die Frage offen, ob Frauen diese Entscheidung wirklich frei von institutionellen Zwängen treffen können. Die ökonomische Lohnschere zwischen Frauen und Männern verschärfe sich nach Thurner/ Stranzinger (1996) außerhalb ökonomischer Zentralräume, mangelnde Kinderbetreuungseinrichtungen und traditionelle Denkmuster führten zu einer deutlich niedrigen Zahl erwerbstätiger Frauen. Auch neuere Beschäftigungszahlen der beiden Täler zeigen diese – im Bundesvergleich und im Vergleich zur Männererwerbsquote niedrige Frauenerwerbsquote in beiden Tälern (vgl. Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr 2007).

Das zeigen auch Aussagen einiger Frauen beider Täler. Für zwei befragte Flattacher Mütter jüngerer Kinder (HFW35, HFW45) war oder ist es schwierig, geeignete Kinderbetreuung zu finden: für die selbständige Flattacherin passen die Betreuungszeiten einer Nachmittagsbetreuung an der Volksschule nicht zu ihren Arbeitszeiten.

Für die befragten jüngeren Rauriser Frauen lassen sich Beruf und Familie auch deshalb schwer miteinander vereinbaren, weil es im Ort wenig Jobmöglichkeiten gibt, vor allem fehlen nach Meinung der Befragen höher qualifizierte Arbeitsplätze im Tal.

Der Großteil der befragten Frauen beider Täler war in der Jugendzeit auch außerhalb des Ortes berufstätig. Auch die zwei Frauen, die im Tal blieben, waren als Sennerin (HFW85) oder Milchmesserin (HRW85) außerhalb ihres elterlichen Bauernhofes berufstätig. Nach der Geburt ihrer Kinder blieben die Mütter7 beider Täler aber im Tal berufstätig. Nur eine Mutter eines Befragten pendelt beruflich aus dem Tal (HFM14). Einige Mütter waren nach der Geburt ihrer Kinder länger in Karenz bzw. Hausfrauen (Mutter von HFW16 und HFM18, HFW45, Frau von HFM75, HRW35).

Hingegen waren oder sind viele Männer auch als Väter8 außerhalb des Tales erwerbstätig (Vater von HFW16, Vater von HRW25, Ehemann von HFW35, HFM75). Die beiden befragten jüngeren Flattacher Väter (HFM40, HFM45) schätzen es sehr, dass sie – im Gegensatz zu vielen wochenpendelnden Vätern des Tales – auch im Tal arbeiten und sich so mehr um ihre Familie und Kinder sorgen können.

Kein befragter Mann schilderte Probleme, Beruf und Familie vereinbaren zu können –die befragten Frauen zwischen 25 und 40 erzählten aber von sich aus, dass sie Schwierigkeiten haben, Beruf und Familie zu vereinbaren:

6 vgl. z. B. Procter/ Padfield 1999, Mc Rae 2003a und 2003b. 7 Befragte Mütter, Mütter oder Ehefrauen der Befragten 8 Befragte Väter, Väter oder Ehemänner der befragten Frauen

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Die 25jährige Hotelkauffrau (HRW25) spürt z.B. starken sozialen Druck durch ihren Vater, aber auch von anderen im Tal, jetzt doch selbst eine Familie zu gründen. Sie selbst möchte aber einen qualifizierten Beruf ausüben (den es ihrer Einschätzung nach im Tal aber nicht gibt) und nicht nur Hausfrau sein.

Die 35jährige Pädagogin (HRW35) ist nach der Geburt ihrer Kinder in Karenz und hofft, irgendwann doch wieder in ihren Beruf zurückkehren zu können. Von Rauris aus seien bestimmte Ausbildungen nur schwer erreichbar. Durch Kinder und ihren Partner mit Bauernhof ist sie aber nicht so mobil, um z.B. für eine Ausbildung regelmäßig in eine größere Stadt zu pendeln.

Die 35jährige Gewerbetreibende (HFW35) wurde schwanger, als sie sich gerade selbständig machte. Ihre Kinder wuchsen quasi im Geschäft auf. Eine an der Volksschule geplante Nachmittagsbetreuung passt zeitlich auch nicht zu ihrem Betreuungsbedarf. Spezielle Ausbildungswünsche für ihre Kinder wird sie nicht verwirklichen können, weil es in Flattach kein entsprechendes Angebot gibt – und sie als Berufstätige ihre Kinder nicht so häufig in einen größeren Ort, z.B. nach Obervellach, chauffieren könne.

Die 45jährige Kassierin (HFW45) war etwa zwanzig Jahre lang nach der Geburt ihrer Kinder nur Hausfrau: I: Sie haben dann zu Arbeiten aufgehört, bei der Geburt vom ersten Kind oder? HFW45: Ich hab dann zum Arbeiten aufgehört und war eigentlich für mein Kind da. Habe auch meiner Mama geholfen, und was halt ist in der Landwirtschaft, da hilft man dann. Ich bin dann daheim geblieben bei den Kindern. I: Und das war ganz klar für Sie, wenn Sie Kinder kriegen, dass Sie dann beruflich einfach. HFW45: Ja, ja. Wo hätte ich die Kinder hingetan? So einfach ist das nicht. Ja. Es war einfach, wenn du Kinder hast, dann musst du auf die Kinder schauen auch. I: Und Ihr Mann ist arbeiten gegangen auswärts? HFW45: Ja, im Ort.

Beruf und Familie sehr gut miteinander vereinbaren können hingegen die Eltern des befragten 14jährigen Schülers (HFM14). Sie haben sich bewusst für den Wohnort Flattach entschieden, weil hier die Großeltern die Kinder betreuen können. Beide Elternteile pendeln zur Arbeit aus dem Tal aus.

5.2.1.2. Öffentliche Tätigkeiten

Vereine, Kommunalpolitik, Wirtschaft, Maschinen und Wirtshausbesuch waren nach Bauer (1997: 212) im ländlichen Geschlechterrollenmodell der 1950er Jahre typische Männersache, der weiblichen Lebens- und Interessenswelt wurden hingegen Haushalt, Schule, Gesundheit, die Ereignisse und Rituale um Geburt, Heirat und Tod zugeordnet. Dieses Modell habe sich seither aber auch im ländlichen Raum Salzburgs gewandelt. Das wird auch von den Rauriser Befragten bestätigt. In Rauris waren bis auf eine Befragte (HRW14) alle, Männer und Frauen, in Vereinen aktiv. Bei einigen taltypischen Bräuchen (Schnabelperchten, Krampuslauf mit speziell geschnitzten Masken) dürfen in Rauris zwar nur Männer mitwirken (HRM60) und das Tragen der

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Rauriser Tracht sowie eine Mitgliedschaft im Trachtenverein ist Frauen vorbehalten (HRW80), aber in vielen anderen Vereinen sind Frauen und Männer aktiv (HRM30), z.B. bei der Rettung. An Schreibwerkstätten und Kreativitätsveranstaltungen (z.B. des katholischen Bildungswerkes) nehmen mehr Frauen als Männer teil (HRW35). Leitungspositionen würden aber wesentlich häufiger von Männern besetzt, Frauen seien häufiger Teilnehmerinnen und trauen sich nach Einschätzung der 35jährigen Rauriserin (HRW35) seltener Leitungsaufgaben zu. Diese Rauriserin initiierte selbst bereits einige wirtschaftliche, soziale und bildungspolitische Initiativen im Tal, die sehr erfolgreich waren bzw. sind.

Eine andere befragte Rauriserin schildert ihren Weg von der im Hintergrund ehrenamtlich Tätigen hin zur ersten Frau, die im Tal in ein politisches Amt gewählt wurde. Erstmals hielt sie als Frau öffentliche Reden, beispielsweise auch die ersten Grabreden für Frauen. Auf diesem Weg wurde sie mit vielen Vorurteilen, vor allem von Talbewohnern, konfrontiert. Es gelang ihr, zumindest einige der Barrieren zu überwinden, die ihr in den Weg gelegt wurden (HRW65).

In Flattach sind zwar waren alle befragten Männer Vereinsmitglieder, aber deutlich weniger Frauen (nur HFW14 und die Frauen ab 60).

5.3 ALTERSVERGLEICH

Die Befragten beider Täler ab 60 Jahren berichten von einer kargen Kindheit in der wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ihre Familien hatten wenig Geld, als Kinder mussten sie weite Fußmärsche machen und früh am elterlichen Bauernhof mitarbeiten. Nur drei von elf dieser älteren Befragten wuchsen nicht auf einem Bauernhof auf. Drei der vier Befragten ab 75 waren im Zweiten Weltkrieg Soldaten. Etwa die Hälfte aller Befragten ab 60 konnte sich dennoch an schöne Kindheits- und Jugenderlebnisse zurück.

Die jüngeren Befragten (bis 40) erlebten ihre Kindheit großteils sorgenfrei. Einige ihrer Hobbys, wie Schifahren (mit Lift) oder Mountainbiken gab es in der Kindheit der älteren Befragten in diesen Tälern noch gar nicht. Nur wenige Ältere fuhren in ihrer Jugend auch selbst Schi (HRW65, HFM75), und das bis in die 1970er Jahre auch ganz ohne Lifte. Gemeinsam ist älteren und jüngeren Befragten beider Täler eine große Verbundenheit mit der Natur: während allerdings die Älteren seit früher Jugend auf Alm, im Hof und im Wald am elterlichen Bauernhof arbeiteten, gehörten für viele jüngere Befragte das Spielen in der Natur zu den schönsten Kindheitserinnerungen.

Die älteren Befragten hatten häufig mehr Geschwister und auch selbst mehr Kinder als die Befragten bis 45. Nur ein älterer Befragter absolvierte eine höhere Schule (HRM60), die anderen schlossen die Volksschule ab, einige danach noch eine Lehre. Zu Fuß gingen die Älteren in die Volksschule ihres Tales, häufig auch bis zu eineinhalb Stunden je Richtung, und ein Ausflug mit dem Bus war eine Besonderheit (HRW65, HRM80, HRM90, HFM75, HFW85). Die jüngeren befragten RauriserInnen besuch(t)en nach der Volksschule die Hauptschule im Tal, die FlattacherInnen die Hauptschule in Obervellach – und danach absolvierten sie eine Lehre oder eine weitere, höhere Schule.

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In Rauris sind bis auf eine Befragte alle, auch die jüngeren Befragten Vereinsmitglieder, in Flattach sind nur einige jüngere in keinem Verein aktiv.

Älteren Befragten sagten wesentlich häufiger als junge, dass es ihnen im Tal gefällt. Besonders schätzen sie die schöne Landschaft und die Ruhe. Auch die jüngeren Befragten schätzen die Landschaft, weiters Sportmöglichkeiten.

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6 Zusammenfassung und Ausblick

Die Ergebnisse der qualitativen Interviews zeigen zum einen Parallelen zwischen beiden untersuchten Tälern mit zeitgeschichtlich ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen bis in die 1960er Jahre: die befragten älteren Menschen beider Täler wuchsen großteils in der Landwirtschaft auf und erlebten im Lauf ihres Lebens Beginn und Entwicklung des Tourismus in ihren Gemeinden. Ähnlich sind die Entfernungen zu größeren Städten und die Notwendigkeit des Pendelns, z.B. um eine höhere Bildung zu absolvieren. Von beiden Tälern aus gibt es viele, vor allem männliche Auspendler. Das wird von den befragten RauriserInnen stärker als Belastung erlebt als von den FlattacherInnen. Die heute unterschiedliche wirtschaftliche Situation wird anhand der Interviews ebenfalls sehr deutlich: viele befragte RauriserInnen beschreiben eine Stagnation oder einen Rückgang des Tourismus in ihrem Tal und schlagen Maßnahmen vor, die dem Tourismus im Tal, und damit auch der Zahl der Arbeitsplätze, wieder einen Aufschwung bescheren könnten. In Flattach sind die meisten Befragten mit der wirtschaftlichen Entwicklung seit Errichtung der Standseilbahn Mitte der 1990er Jahre sehr zufrieden. Auch in Flattach gab es einige Befragte, die konkrete Vorschläge für die zukünftige Entwicklung ihres Tales machten.

Alle älteren, aber auch ein Großteil der jüngeren Befragten fühlen sich stark mit ihrem Tal verbunden, sie leben gerne hier. Als Jugendliche waren dennoch die meisten der befragten Älteren zumindest vorübergehend beruflich außerhalb des Tales tätig, wollten einmal weg. Ähnlich sind die Einstellungen der jüngeren Befragten: auch von ihnen wollen viele zumindest für ein paar Jahre einmal wegziehen, einige könnten sich aber durchaus vorstellen, später wieder im Tal zu leben und arbeiten.

Wetterextreme haben die Befragten beider Täler, Älteren und Jüngere, Frauen und Männer, erlebt. Besorgt sind die RauriserInnen und FlattacherInnen deshalb aber nicht. In beiden Tälern glauben die Befragten, dass man hier – in ihrem Tal nahe dem Alpenhauptkamm – im Lauf der Jahrhunderte mit solchen Gefahren leben lernte. Außerdem habe man genug bauliche Vorkehrungen getroffen, um große Schäden zu vermeiden. Ein Großteil der Befragten bezweifelt, ob diese Wetterextreme Anzeichen eines Klimawandels sein können. Viele Befragte haben wenige Informationen über den Klimawandel. Am sensibelsten betrachten die befragten RauriserInnen und FlattacherInnen den Wintertourismus. Viele FlattacherInnen glauben, dass sie mit ihrem Gletscherschigebiet profitieren, wenn viele niedriger gelegene Schigebiete Schneemangel leiden würden. In Rauris machen sich einige Befragte bereits Gedanken, wie man angesichts der Schwierigkeit, Kunstschnee für das Schigebiet des Tales zu machen, dennoch Wintertourismus bieten könnte.

In den Interviews wurden deutliche Genderunterschiede sichtbar. Besonders bei älteren Befragten gab es große Unterschiede in der Berufs- und Schulwahl und der damit verbunden Förderung durch das Elternhaus. Männer durften eher längere Ausbildungen absolvieren als Frauen. Bei den

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jüngeren Befragten zeigen sich diese Unterschiede nicht mehr so deutlich. Die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung sollen nach Meinung sowohl ältere als auch jüngere Befragte beider Täler aber Frauen tragen. Die geringe Zahl der Arbeitsplätze, vor allem höherqualifizierter Berufe, im Tal und die Notwendigkeit des Auspendelns gehen mit einer niedrigen Frauenerwerbsquote einher. Jene befragten Frauen, die Beruf und Kinderbetreuung miteinander verbinden wollten, schafften das nur dank Unterstützung der Großeltern.

Die hier ausgewerteten Interviews hatten in erster Linie explorativen Charakter. In Ansätzen bereits erfolgt ist in diesem Bericht eine Gegenüberstellung mit anderen interdisziplinären, überwiegend quantitativen Daten, die im Rahmen des Projektes „A Tale of Two Valleys“ zusammengestellt und ausgewertet wurden: mit der sozio-ökomischen Analyse von Habsburg-Lothringen/ Vetters/ Aumayr (2007), der Zusammenstellung von Wetterextremereignissen beider Täler (Auer et al. 2007), dem Bericht über Klimapotentiale für den Tourismus in beiden Tälern (vgl. Auer et al. 2006a, Auer et al. 2006b) und zur Landnutzungsveränderung (vgl. Granica/ Proske 2007).

Dabei zeigte sich, dass sich viele Ergebnisse der hier ausgewerteten qualitativen Interviews mit den Ergebnissen der anderen Projektberichte, die ja auch aus anderen Quellen stammen, decken. Im weiteren Projektverlauf werden diese Quellen noch ausführlicher miteinander verglichen. Ergänzt werden die Ergebnisse der vorliegenden Studie später auch noch durch eine quantitative Umfrage, die besonders die Genderrollen, Einstellungen zu Umwelt und Klima im Allgemeinen sowie zum Risikoverhalten im speziellen umfassen werden.

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