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Mythos „zentrale Überwachung“ in fragmentierten Märkten
Es schien wie ein spektakulärer Fall von internationalem Insiderhandel: Ein
europäischer Finanzdienstleister hat Kenntnis eines großen Kundenkaufauf-
trags in einer Aktie und erwirbt daraufhin eine Position für den Eigenhandel.
Der Kundenkauf erfolgt im Land A, der Kauf für das eigene Buch erfolgt im
Land B. Nachdem der Preis gestiegen ist, verkauft der Eigenhandel umgehend
die zuvor eingegangene Position gewinnbringend wieder.
Bei einem Treffen internationaler Aufsichtsbehörden, kam dieser grenzüber-
schreitende Fall zur Sprache. Präsentiert wurde er von einem Systemanbieter
für sogenannte cross-market-fähige Überwachungssoftware. Eine automati-
sche Analyse der Daten, die von unterschiedlichen europäischen Handelsplatt-
formen stammten und die das System des Herstellers verarbeitet, hatte diesen
Fall aufgedeckt.
Der Teufel steckt jedoch im Detail. Die Falluntersuchung durch eine Instanz
mit aufsichtsrechtlichen Befugnissen, einschließlich einer Befragung des Fin-
anzunternehmens ergab, dass das Überwachungssystem das Handelsgesche-
hen nicht korrekt wiedergeben konnte. Die eingespeisten Daten im Hinblick
auf das vermeintliche Eigenhandelsgeschäft im Vorfeld und in Kenntnis der
Kundenorder erwiesen sich als falsch. Tatsächlich handelte es sich um zwei
unabhängig voneinander ausgeführte Kundentransaktionen.
Was war passiert? Die automatische Kennzeichnung der elektronischen Order
als Kunden- oder Eigenhandel war nicht richtig. Außerdem stimmte die zeitli-
che Reihenfolge der Ordereingaben nicht mit den Einstellzeiten in den beiden
Handelssystemen überein.
Zugegeben, es handelte sich bei verwendeten Datenströmen nur z.T. um die
originären Daten aus den Handelssystemen. Dennoch zeigt der Fall die
Schwierigkeiten auf, die zu erwarten wären, wenn Handelsdaten aller Han-
delssysteme in ein zentrales Überwachungssystem eingespeist werden müss-
ten, um sich ein Gesamtbild des Handels machen zu können.
Einige Aufsichtsbehörden und europäische Gremien vertreten folgende The-
sen:
Ohne überwachungstechnische Zentralisierung aller Handelsdaten
fehle das Gesamtbild und marktfragmentierungsbedingter Missbrauch
bliebe unentdeckt.
Mit zentral vorliegenden Handelsdaten, ließe sich so „spielen“, dass
neuartiges Verhalten aufgespürt werden kann, das auf „grenzüber-
schreitende“ Marktmanipulation hinweist (unterschiedliche Jurisdikti-
onen/Märkte).
Es bedürfe der zentralen Datenhaltung und -analyse, um den zunehmenden
Herausforderungen der Marktaufseher, etwa durch die Zunahme des compu-
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Es bedürfe der zentralen Datenhaltung und -analyse, um den zuneh-
menden Herausforderungen der Marktaufseher, etwa durch die Zu-
nahme des computergenerierten Handels, Herr werden zu können.
„Einer sieht und kann daher alles“: Dieses Argument leuchtet zumindest im
ersten Gedankengang ein und könnte Vorteile bringen.
Es gibt jedoch neben sachlicher Kritik auch erhebliche wirtschaftliche und
rechtlichen Unwägbarkeiten (Zuständigkeit, Datenschutz, unterschiedliche
Rechtssysteme, Kosten) und es stellt sich die Frage, ob die theoretischen Vor-
teile einer zentralen Überwachung die Unwägbarkeiten bei der technischen
Umsetzung und die zu erwartenden Auswirkungen auf die betroffenen Han-
delsplattformen rechtfertigen.
Eine idealtypische Überwachung benötigt zunächst die Daten, die heute schon
für Untersuchungen genutzt werden (Transaktionen, Aufträge und Quotes,
Daten über den einstellenden Handelsteilnehmer/Händler incl. individuelle
Identifikationsnummern, sowie entsprechend granulare „Zeitstempel“ über den
Zeitpunkt der Einstellungen, Löschung und Änderungen von Ereignissen im
Handelssystem). Um eine Überwachung mittelfristig gewährleisten zu können,
muss zusätzlich aber noch einiges mehr an Information hinzu kommen, wie
etwa die verschlüsselten Angaben pro Order/Quote über den ursprünglichen
Ordererteiler (Mensch) oder „Originator“ (Maschine).
Wo aber liegen die Grenzen einer „big picture“ Lösung. Alle Märkte? Inklusive
aller OTC-Transaktionen? Falls Fragmentierung die Überwachung so gefährdet,
wäre es – ketzerisch gefragt – dann nicht gleich besser ein einziges, europäi-
sches Orderbuch zu schaffen?
Die technische Implementierung eines zentralen Überwachungssystems wäre
außerdem vom kleinsten gemeinsamer Nenner im Hinblick auf die Konsistenz,
Granularität und Ausgestaltung der Daten bestimmt. Das Handelssystem mit
den aufsichtsrechtlich schwächsten Grundparametern würde somit die Über-
wachung bestimmen. Eine Alternative dazu wären zentrale aufsichtsrechtliche
Vorgaben an die Art der Datenqualität in Handelssystemen, was zur Folge hät-
te, dass die Betreiber bei der Einführung neuer Versionen ihrer Systeme an die
technischen und zeitlichen Vorgaben der Aufsicht gebunden wären. Das zent-
rale Überwachungssystem müsste bei der Modifikation eines jeden Handels-
systems den neuen Anforderungen angepasst werden. Andernfalls könnte ja
keine zentrale Überwachung gewährleistet werden. Die Einführung einer neu-
en Version des Handelssystems müsste zurückgestellt werden – ein Horror-
szenario für alle Betreiber von Börsen und Handelsplattformen.
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Eine Zentrallösung würde außerdem hohe Kosten verursachen. Unabhängig
von der immensen Speicherkapazität, werden aufwendige Adapter benötigt,
um alle Daten lesen und die unterschiedlichen Marktmodelle abbilden zu
können. Hierbei wäre die Fragmentierung der „Akteure“ (fehlende eindeutige
Identifizierung der natürlichen und juristischen Personen) noch nicht geheilt.
Es sollte zunächst akribisch hinterfragt werden, was denn beim zentralen
„Spielen mit allen Handelsdaten“ überhaupt herauskommen soll.
Einer sieht alles. Es fragt sich nur: Was? Ein Erkenntnisgewinn ist bedingt
durch eine adäquate Fragestellung und nicht durch die zentrale Verfügbarkeit
von Daten.
Untersuchen wir die These, wonach der „moderne“ schnelle Handel nur zent-
ral adäquat überwacht werden kann.
Bei der Überwachung stellt die Geschwindigkeit in den heutigen Systemen
letztendlich „nur“ eine technische Herausforderung dar. Alle Ereignisse der
Handelssysteme, müssen in den Überwachungssystemen ebenso abgebildet
und nachvollzogen werden können.
Zweifellos hat der automatisierte Handel den Markt verändert. Tagesvolatilität
kann im Markt zunehmen und die Reaktionszeiten auf preisrelevante Ereignis-
se entsprechend abnehmen. Wenn Volatilität aus ordnungspolitischen Grün-
den in Grenzen gehalten werden soll, können Marktmodelle analysiert und
durch europaweite Vorgaben geändert werden (z.B. Mikro-Auktionshandel).
Natürlich hat dies mit der Handelsüberwachung nichts zu tun, sondern mit
der Marktstruktur.
Grundprinzip einer Handelsüberwachung ist es den Zusammenhang von Ur-
sache und Wirkung im Handel nachzuvollziehen. Dazu muss das Handelsge-
schehen so erfasst werden, dass möglichst engmaschig die bestimmenden
Komponenten (Akteure) standardisiert für die einzelnen Märkte vorliegen.
Hier ist anzusetzen, bevor die europaweite Überwachungszentraleinheit ge-
bastelt wird.
Entwicklung einheitlicher Standards (funktional/technisch), die typi-
sierte Überwachungsanfragen/antworten ermöglichen (dezentral, aber
automatisierte cross-market Überwachung).
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Obligatorische elektronische Identifikation des ursprünglichen Order-
erzeugers (Mensch, Computer, Strategie) pro Order/Quote, ohne per-
sonenbezogene Daten zu offenbaren. Dies soll neben juristischen Per-
sonen (Einführung LEI) auch für natürliche Personen gelten.
Bei automatisierten Handelsstrategien muss gelten, dass die Algo-
rithmen, deren Historie und deren Wirkung im Markt auch nachträg-
lich identifizierbar bleiben.
Regulatorisch abzustimmen sind die Analysemethoden, die miss-
bräuchliche Handelsszenarien aufdecken sollen.
Es ist Zeit, dass die Überwachung, die internationale Interdependenzen der
Märkte und Produkte berücksichtigt. Jedoch anzunehmen, dass aufgrund
fragmentierter Daten (und Märkte), ein Erkenntnisgewinn nur möglich sei,
wenn alles in einen Topf geworfen wird, ist falsch und auch wirtschaftlich
nicht zu vertreten. Auf den Eintopf kann verzichtet werden, wenn die Überwa-
chungssysteme genauso vernetzt sind, wie die zu überwachenden Marktplät-
ze.
©2012 Michael Zollweg, Carl-Frederik Scharffenorth