4
Deutsche Börse AG Media Relations Mergenthalerallee 61 65760 Eschborn Postanschrift 60485 Frankfurt am Main Telefon +49-(0) 69-2 11-17854 Fax +49-(0) 69-2 11-11501 Internet deutsche-boerse.com E-Mail social-media@ deutsche-boerse.com Mythos „zentrale Überwachung“ in fragmentierten Märkten Es schien wie ein spektakulärer Fall von internationalem Insiderhandel: Ein europäischer Finanzdienstleister hat Kenntnis eines großen Kundenkaufauf- trags in einer Aktie und erwirbt daraufhin eine Position für den Eigenhandel. Der Kundenkauf erfolgt im Land A, der Kauf für das eigene Buch erfolgt im Land B. Nachdem der Preis gestiegen ist, verkauft der Eigenhandel umgehend die zuvor eingegangene Position gewinnbringend wieder. Bei einem Treffen internationaler Aufsichtsbehörden, kam dieser grenzüber- schreitende Fall zur Sprache. Präsentiert wurde er von einem Systemanbieter für sogenannte cross-market-fähige Überwachungssoftware. Eine automati- sche Analyse der Daten, die von unterschiedlichen europäischen Handelsplatt- formen stammten und die das System des Herstellers verarbeitet, hatte diesen Fall aufgedeckt. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Die Falluntersuchung durch eine Instanz mit aufsichtsrechtlichen Befugnissen, einschließlich einer Befragung des Fin- anzunternehmens ergab, dass das Überwachungssystem das Handelsgesche- hen nicht korrekt wiedergeben konnte. Die eingespeisten Daten im Hinblick auf das vermeintliche Eigenhandelsgeschäft im Vorfeld und in Kenntnis der Kundenorder erwiesen sich als falsch. Tatsächlich handelte es sich um zwei unabhängig voneinander ausgeführte Kundentransaktionen. Was war passiert? Die automatische Kennzeichnung der elektronischen Order als Kunden- oder Eigenhandel war nicht richtig. Außerdem stimmte die zeitli- che Reihenfolge der Ordereingaben nicht mit den Einstellzeiten in den beiden Handelssystemen überein. Zugegeben, es handelte sich bei verwendeten Datenströmen nur z.T. um die originären Daten aus den Handelssystemen. Dennoch zeigt der Fall die Schwierigkeiten auf, die zu erwarten wären, wenn Handelsdaten aller Han- delssysteme in ein zentrales Überwachungssystem eingespeist werden müss- ten, um sich ein Gesamtbild des Handels machen zu können. Einige Aufsichtsbehörden und europäische Gremien vertreten folgende The- sen: Ohne überwachungstechnische Zentralisierung aller Handelsdaten fehle das Gesamtbild und marktfragmentierungsbedingter Missbrauch bliebe unentdeckt. Mit zentral vorliegenden Handelsdaten, ließe sich so „spielen“, dass neuartiges Verhalten aufgespürt werden kann, das auf „grenzüber- schreitende“ Marktmanipulation hinweist (unterschiedliche Jurisdikti- onen/Märkte).

Zentraleüberwachung d.doc

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zentraleüberwachung d.doc

Deutsche Börse AG

Media Relations

Mergenthalerallee 61

65760 Eschborn

Postanschrift

60485 Frankfurt am Main

Telefon

+49-(0) 69-2 11-17854

Fax

+49-(0) 69-2 11-11501

Internet

deutsche-boerse.com

E-Mail

social-media@

deutsche-boerse.com

Mythos „zentrale Überwachung“ in fragmentierten Märkten

Es schien wie ein spektakulärer Fall von internationalem Insiderhandel: Ein

europäischer Finanzdienstleister hat Kenntnis eines großen Kundenkaufauf-

trags in einer Aktie und erwirbt daraufhin eine Position für den Eigenhandel.

Der Kundenkauf erfolgt im Land A, der Kauf für das eigene Buch erfolgt im

Land B. Nachdem der Preis gestiegen ist, verkauft der Eigenhandel umgehend

die zuvor eingegangene Position gewinnbringend wieder.

Bei einem Treffen internationaler Aufsichtsbehörden, kam dieser grenzüber-

schreitende Fall zur Sprache. Präsentiert wurde er von einem Systemanbieter

für sogenannte cross-market-fähige Überwachungssoftware. Eine automati-

sche Analyse der Daten, die von unterschiedlichen europäischen Handelsplatt-

formen stammten und die das System des Herstellers verarbeitet, hatte diesen

Fall aufgedeckt.

Der Teufel steckt jedoch im Detail. Die Falluntersuchung durch eine Instanz

mit aufsichtsrechtlichen Befugnissen, einschließlich einer Befragung des Fin-

anzunternehmens ergab, dass das Überwachungssystem das Handelsgesche-

hen nicht korrekt wiedergeben konnte. Die eingespeisten Daten im Hinblick

auf das vermeintliche Eigenhandelsgeschäft im Vorfeld und in Kenntnis der

Kundenorder erwiesen sich als falsch. Tatsächlich handelte es sich um zwei

unabhängig voneinander ausgeführte Kundentransaktionen.

Was war passiert? Die automatische Kennzeichnung der elektronischen Order

als Kunden- oder Eigenhandel war nicht richtig. Außerdem stimmte die zeitli-

che Reihenfolge der Ordereingaben nicht mit den Einstellzeiten in den beiden

Handelssystemen überein.

Zugegeben, es handelte sich bei verwendeten Datenströmen nur z.T. um die

originären Daten aus den Handelssystemen. Dennoch zeigt der Fall die

Schwierigkeiten auf, die zu erwarten wären, wenn Handelsdaten aller Han-

delssysteme in ein zentrales Überwachungssystem eingespeist werden müss-

ten, um sich ein Gesamtbild des Handels machen zu können.

Einige Aufsichtsbehörden und europäische Gremien vertreten folgende The-

sen:

Ohne überwachungstechnische Zentralisierung aller Handelsdaten

fehle das Gesamtbild und marktfragmentierungsbedingter Missbrauch

bliebe unentdeckt.

Mit zentral vorliegenden Handelsdaten, ließe sich so „spielen“, dass

neuartiges Verhalten aufgespürt werden kann, das auf „grenzüber-

schreitende“ Marktmanipulation hinweist (unterschiedliche Jurisdikti-

onen/Märkte).

Es bedürfe der zentralen Datenhaltung und -analyse, um den zunehmenden

Herausforderungen der Marktaufseher, etwa durch die Zunahme des compu-

Page 2: Zentraleüberwachung d.doc

Deutsche Börse AG

Media Relations

Mergenthalerallee 61

65760 Eschborn

Postanschrift

60485 Frankfurt am Main

Telefon

+49-(0) 69-2 11-17854

Fax

+49-(0) 69-2 11-11501

Internet

deutsche-boerse.com

E-Mail

social-media@

deutsche-boerse.com

Es bedürfe der zentralen Datenhaltung und -analyse, um den zuneh-

menden Herausforderungen der Marktaufseher, etwa durch die Zu-

nahme des computergenerierten Handels, Herr werden zu können.

„Einer sieht und kann daher alles“: Dieses Argument leuchtet zumindest im

ersten Gedankengang ein und könnte Vorteile bringen.

Es gibt jedoch neben sachlicher Kritik auch erhebliche wirtschaftliche und

rechtlichen Unwägbarkeiten (Zuständigkeit, Datenschutz, unterschiedliche

Rechtssysteme, Kosten) und es stellt sich die Frage, ob die theoretischen Vor-

teile einer zentralen Überwachung die Unwägbarkeiten bei der technischen

Umsetzung und die zu erwartenden Auswirkungen auf die betroffenen Han-

delsplattformen rechtfertigen.

Eine idealtypische Überwachung benötigt zunächst die Daten, die heute schon

für Untersuchungen genutzt werden (Transaktionen, Aufträge und Quotes,

Daten über den einstellenden Handelsteilnehmer/Händler incl. individuelle

Identifikationsnummern, sowie entsprechend granulare „Zeitstempel“ über den

Zeitpunkt der Einstellungen, Löschung und Änderungen von Ereignissen im

Handelssystem). Um eine Überwachung mittelfristig gewährleisten zu können,

muss zusätzlich aber noch einiges mehr an Information hinzu kommen, wie

etwa die verschlüsselten Angaben pro Order/Quote über den ursprünglichen

Ordererteiler (Mensch) oder „Originator“ (Maschine).

Wo aber liegen die Grenzen einer „big picture“ Lösung. Alle Märkte? Inklusive

aller OTC-Transaktionen? Falls Fragmentierung die Überwachung so gefährdet,

wäre es – ketzerisch gefragt – dann nicht gleich besser ein einziges, europäi-

sches Orderbuch zu schaffen?

Die technische Implementierung eines zentralen Überwachungssystems wäre

außerdem vom kleinsten gemeinsamer Nenner im Hinblick auf die Konsistenz,

Granularität und Ausgestaltung der Daten bestimmt. Das Handelssystem mit

den aufsichtsrechtlich schwächsten Grundparametern würde somit die Über-

wachung bestimmen. Eine Alternative dazu wären zentrale aufsichtsrechtliche

Vorgaben an die Art der Datenqualität in Handelssystemen, was zur Folge hät-

te, dass die Betreiber bei der Einführung neuer Versionen ihrer Systeme an die

technischen und zeitlichen Vorgaben der Aufsicht gebunden wären. Das zent-

rale Überwachungssystem müsste bei der Modifikation eines jeden Handels-

systems den neuen Anforderungen angepasst werden. Andernfalls könnte ja

keine zentrale Überwachung gewährleistet werden. Die Einführung einer neu-

en Version des Handelssystems müsste zurückgestellt werden – ein Horror-

szenario für alle Betreiber von Börsen und Handelsplattformen.

Page 3: Zentraleüberwachung d.doc

Deutsche Börse AG

Media Relations

Mergenthalerallee 61

65760 Eschborn

Postanschrift

60485 Frankfurt am Main

Telefon

+49-(0) 69-2 11-17854

Fax

+49-(0) 69-2 11-11501

Internet

deutsche-boerse.com

E-Mail

social-media@

deutsche-boerse.com

Eine Zentrallösung würde außerdem hohe Kosten verursachen. Unabhängig

von der immensen Speicherkapazität, werden aufwendige Adapter benötigt,

um alle Daten lesen und die unterschiedlichen Marktmodelle abbilden zu

können. Hierbei wäre die Fragmentierung der „Akteure“ (fehlende eindeutige

Identifizierung der natürlichen und juristischen Personen) noch nicht geheilt.

Es sollte zunächst akribisch hinterfragt werden, was denn beim zentralen

„Spielen mit allen Handelsdaten“ überhaupt herauskommen soll.

Einer sieht alles. Es fragt sich nur: Was? Ein Erkenntnisgewinn ist bedingt

durch eine adäquate Fragestellung und nicht durch die zentrale Verfügbarkeit

von Daten.

Untersuchen wir die These, wonach der „moderne“ schnelle Handel nur zent-

ral adäquat überwacht werden kann.

Bei der Überwachung stellt die Geschwindigkeit in den heutigen Systemen

letztendlich „nur“ eine technische Herausforderung dar. Alle Ereignisse der

Handelssysteme, müssen in den Überwachungssystemen ebenso abgebildet

und nachvollzogen werden können.

Zweifellos hat der automatisierte Handel den Markt verändert. Tagesvolatilität

kann im Markt zunehmen und die Reaktionszeiten auf preisrelevante Ereignis-

se entsprechend abnehmen. Wenn Volatilität aus ordnungspolitischen Grün-

den in Grenzen gehalten werden soll, können Marktmodelle analysiert und

durch europaweite Vorgaben geändert werden (z.B. Mikro-Auktionshandel).

Natürlich hat dies mit der Handelsüberwachung nichts zu tun, sondern mit

der Marktstruktur.

Grundprinzip einer Handelsüberwachung ist es den Zusammenhang von Ur-

sache und Wirkung im Handel nachzuvollziehen. Dazu muss das Handelsge-

schehen so erfasst werden, dass möglichst engmaschig die bestimmenden

Komponenten (Akteure) standardisiert für die einzelnen Märkte vorliegen.

Hier ist anzusetzen, bevor die europaweite Überwachungszentraleinheit ge-

bastelt wird.

Entwicklung einheitlicher Standards (funktional/technisch), die typi-

sierte Überwachungsanfragen/antworten ermöglichen (dezentral, aber

automatisierte cross-market Überwachung).

Page 4: Zentraleüberwachung d.doc

Deutsche Börse AG

Media Relations

Mergenthalerallee 61

65760 Eschborn

Postanschrift

60485 Frankfurt am Main

Telefon

+49-(0) 69-2 11-17854

Fax

+49-(0) 69-2 11-11501

Internet

deutsche-boerse.com

E-Mail

social-media@

deutsche-boerse.com

Obligatorische elektronische Identifikation des ursprünglichen Order-

erzeugers (Mensch, Computer, Strategie) pro Order/Quote, ohne per-

sonenbezogene Daten zu offenbaren. Dies soll neben juristischen Per-

sonen (Einführung LEI) auch für natürliche Personen gelten.

Bei automatisierten Handelsstrategien muss gelten, dass die Algo-

rithmen, deren Historie und deren Wirkung im Markt auch nachträg-

lich identifizierbar bleiben.

Regulatorisch abzustimmen sind die Analysemethoden, die miss-

bräuchliche Handelsszenarien aufdecken sollen.

Es ist Zeit, dass die Überwachung, die internationale Interdependenzen der

Märkte und Produkte berücksichtigt. Jedoch anzunehmen, dass aufgrund

fragmentierter Daten (und Märkte), ein Erkenntnisgewinn nur möglich sei,

wenn alles in einen Topf geworfen wird, ist falsch und auch wirtschaftlich

nicht zu vertreten. Auf den Eintopf kann verzichtet werden, wenn die Überwa-

chungssysteme genauso vernetzt sind, wie die zu überwachenden Marktplät-

ze.

©2012 Michael Zollweg, Carl-Frederik Scharffenorth