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Teil A: Ansprüche des Z gegen R und B A) Ansprüche gegen R I. Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Baugrundstücks „Holzweg 9“ aus Kaufvertrag (§ 433 I 1) Möglicherweise kann Z von R Übergabe und Übereignung des Baugrundstücks „Holzweg 9“ aus Kaufvertrag fordern (§ 433 I 1). 1. Dieser Anspruch entstand, wenn zwischen beiden ein Kaufvertrag über dieses Grundstück geschlossen wurde. a) Der Kaufgegenstand ist ein Grundstück. Daher bedurfte der Kaufvertrag der notariellen Beurkundung (§§ 125. 1, 313. 1). Dieses Formerfordernis wurde eingehalten. b) Ein Kaufvertrag setzt sich aus Angebot und Annahme zusammen (§§ 145 ff.). R gab keine eigene Willenserklärung ab. Die Willenserklärung des B könnte jedoch unmittelbar für sie wirken, wenn dieser als ihr Stellvertreter handelte (§ 164 I 1 bzw. III). aa) B gab eine eigene Willenserklärung ab und handelte somit nicht nur als Bote der R. bb) Des weiteren trat B ausdrücklich (§ 164 I 2 1. Alt.) im Namen der R (§ 164 I 1) auf, so daß er Z seine Vertretung auch offenkundig machte (§ 164 II). cc) Weiterhin müßte B innerhalb einer Vertretungsmacht gehandelt haben (§ 164 I 1). Hier kommt eine Vollmacht in Betracht (§ 166 II 1). 1

ZR HA Gutachten

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Page 1: ZR HA Gutachten

Teil A: Ansprüche des Z gegen R und B

A) Ansprüche gegen R

I. Anspruch auf Übergabe und Übereignung des

Baugrundstücks „Holzweg 9“ aus Kaufvertrag (§ 433 I

1)

Möglicherweise kann Z von R Übergabe und Übereignung

des Baugrundstücks „Holzweg 9“ aus Kaufvertrag

fordern (§ 433 I 1).

1. Dieser Anspruch entstand, wenn zwischen beiden ein

Kaufvertrag über dieses Grundstück geschlossen wurde.

a) Der Kaufgegenstand ist ein Grundstück. Daher

bedurfte der Kaufvertrag der notariellen Beurkundung

(§§ 125. 1, 313. 1). Dieses Formerfordernis wurde

eingehalten.

b) Ein Kaufvertrag setzt sich aus Angebot und Annahme

zusammen (§§ 145 ff.). R gab keine eigene

Willenserklärung ab. Die Willenserklärung des B

könnte jedoch unmittelbar für sie wirken, wenn dieser

als ihr Stellvertreter handelte (§ 164 I 1 bzw. III).

aa) B gab eine eigene Willenserklärung ab und

handelte somit nicht nur als Bote der R.

bb) Des weiteren trat B ausdrücklich (§ 164 I 2 1.

Alt.) im Namen der R (§ 164 I 1) auf, so daß er Z

seine Vertretung auch offenkundig machte (§ 164 II).

cc) Weiterhin müßte B innerhalb einer

Vertretungsmacht gehandelt haben (§ 164 I 1). Hier

kommt eine Vollmacht in Betracht (§ 166 II 1).

aaa) Diese muß durch ein einseitiges

empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft, hier in Form

einer Innenvollmacht (167 I 1. Alt.), erteilt werden

(§ 166 II 1).

(1) Abgabe: R bat N, eine schriftliche

Willenserklärung, in der sie B zum Verkauf des

1

Page 2: ZR HA Gutachten

Grundstücks „Holzweg 9“ Vollmacht erteilte, an B zu

schicken. Damit gab R eine Vollmachtserklärung ab.

(2) Fraglich ist jedoch, ob die Bevollmächtigung

wirksam wurde. Es handelt sich um eine

empfangsbedürftige Willenserklärung unter Abwesenden.

Diese wird erst mit ihrem Zugang wirksam (§ 130 I 1).

Die Vollmachtsurkunde wurde als Einschreiben

weggeschickt. Wann ein Einschreiben zugegangen ist,

ist umstritten.

Nach einer Ansicht geht das Einschreiben bereits mit

der Zustellung des Benachrichtigungszettels zu2.

Andere meinen, das Einschreiben gehe in dem Zeitpunkt

zu, in dem der Empfänger die Möglichkeit der

Kenntnisnahme hat3, regelmäßig am ersten Werktag nach

Einwurf des Benachrichtigungszettels4.

Demgegenüber wird auch die Ansicht vertreten, daß das

Einschreiben erst mit der tatsächlichen Aushändigung

zugeht5. Bei einem gescheiterten Zugang muß der

Absender einen erneuten Zustellungsversuch

unternehmen, wenn er seine Erklärung wirksam werden

lassen will6. In Anwendung der Grundsätze der §§ 162

I, 242 kann ein erneuter Zustellungsversuch

allenfalls bei einer arglistigen Vereitelung auf

Seiten des Empfängers entbehrlich sein7.

Die erste Ansicht ist abzulehnen, da mit dem

Benachrichtigungszettel der Empfänger – mangels

jeglichen Hinweises auf Absender und Inhalt8 - noch

keine Möglichkeit der Kenntnisnahme hat9.

Man könnte sagen, daß die dritte Ansicht im Gegensatz

zur zweiten Ansicht, dem Absender das Risiko

22 Flume S. 2343 3 Behn AcP 178 (1978), 527; Weber JA 1998, 598; Erman/Palm §

130 Rn 8; MüKo/Förschler § 130 Rn 13; Staudinger/Dilcher § 130 Rn 35; Larenz S. 422

44 Larenz, S. 4225 5 Franzen JuS 1999, 431; Soergel/Hefermehl § 130 Rn 10; Brox

S. 97; Hübner S. 309; Köhler S. 12866 Soergel/Hefermehl § 130 Rn 27; Brox S. 8877 BGH NJW 1998, 976, 97788 BGH NJW 1998, 976, 97799 Erman/Palm § 130 Rn 8

2

Page 3: ZR HA Gutachten

aufbürdet, daß der Empfänger die Abholung verzögert

oder gar unterläßt10. Dagegen berücksichtigt jedoch

die zweite Ansicht zu wenig das Interesse des

Empfängers. Am vorliegenden Fall ist dies erkennbar:

Gälte das Einschreiben bereits am ersten Werktag nach

Einwurf des Benachrichtigungszettels als zugegangen,

würde man zur Risikosphäre des B rechnen, daß die

Post einen Fehler machte und das Einschreiben schon

vor Ablauf der Sieben-Tage-Frist an den Absender

zurückschickte. Jedoch ist dies aus

Gerechtigkeitsgründen nicht vertretbar, da der

Absender den Übermittlungsweg wählt und daher auch

das Transportrisiko übernehmen muß11.

Die dritte Ansicht gibt darüber hinaus bei einem

gescheiterten Zustellungsversuch im Gegensatz zu der

Zugangsfiktion der anderen Ansichten dem Absender die

Entscheidungsbefugnis darüber, ob er an der nicht

zugegangenen Erklärung festhalten möchte, indem er

den Zugang wiederholt12.

Dieser Ansicht ist somit zu folgen. B wurde das

Einschreiben nicht ausgehändigt. Er mußte zwar mit

der von ihm erwünschten Vollmachtsurkunde rechnen,

jedoch kann man ihm nicht zum Vorwurf machen, daß er

erst am vierten Tag zur Post ging, da die

Vollmachtsurkunde nicht rechtzeitig zugehen mußte.

Damit kommt auch eine Zugangsfiktion nicht in

Betracht. R hätte aber mangels einer arglistigen

Vereitelung auf Seiten des B in jedem Fall eine

erneute Zustellung unternehmen müssen, um sich auf

einen wirksamen Zugang berufen zu können. Daher ist

die Vollmachtserklärung nicht zugegangen.

(3) Ergebnis: Da die Vollmachtsurkunde nicht zuging,

wurde die Bevollmächtigung nicht wirksam (§ 130 I 1).

bbb) Jedoch ist erwägenswert, ob sich die

Handlungsvollmacht des B, die er im Rahmen seiner

1010 Weber JA 1998, 5961111 Franzen, JuS 1999, 4311212 MüKo/Thiele § 130 Rn 27

3

Page 4: ZR HA Gutachten

Buchhaltertätigkeit bei R hat, nicht auch auf den

Verkauf der Grundstücke zur Betriebserweiterung

erstreckt (§ 54 I 2. Alt.). Die Befugnis zur

Veräußerung von Grundstücken muß einem

Handlungsbevollmächtigter aber besonders erteilt

werden (§ 54 II 1. Alt.). Dies war nicht der Fall.

Daher kann sich die Handlungsvollmacht des B nicht

auf den Grundstücksverkauf erstrecken.

ccc) Ergebnis: B hatte daher keine Vollmacht und

somit keine Vertretungsmacht.

dd) Ergebnis: Da B keine Vertretungsmacht hatte,

wirkt seine Willenserklärung nicht unmittelbar für R

(§§ 164 I 1 bzw. 164 III).

c) Da B als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelte,

ist der Kaufvertrag schwebend unwirksam und sein

Zustandekommen hängt von der Genehmigung der R ab,

die von B und Z als aufschiebende Bedingung gesehen

wurde, indem sie annahmen, R würde sie erteilen (§§

177 I, 158 I)13. R hätte sowohl dem B als auch dem Z

gegenüber genehmigen können (§ 182 I). R verweigerte

konkludent (§ 133, 157, 242) die Genehmigung

gegenüber Z, so daß der Kaufvertrag endgültig

unwirksam ist. Daher entstand kein Anspruch aus

Kaufvertrag.

2. Ergebnis: Folglich kann Z von R nicht die Übergabe

und Übereignung des Baugrundstücks „Holzweg 9“ aus

Kaufvertrag fordern (§ 433 I 1).

II. Anspruch auf Übergabe und Übereignung des

Baugrundstücks „Holzweg 7“ aus Kaufvertrag (§ 433 I

1)

Möglicherweise kann Z aber von R Übergabe und

Übereignung des Baugrundstücks „Holzweg 7“ aus

Kaufvertrag fordern (§ 433 I 1).

1313 Soergel/Leptien § 177 Rn 74

Page 5: ZR HA Gutachten

1. Dieser Anspruch entstand, wenn zwischen beiden ein

Kaufvertrag über dieses Grundstück geschlossen wurde.

a) Auch dieser Grundstückskaufvertrag wurde - wie

gesetzlich verlangt - notariell beurkundet (§§ 125.

1, 313. 1).

b) Z gab die zu einem Kaufvertrag nötige

Willenserklärung (§§ 145 ff.) ab.

c) R gab aber wieder keine eigene Willenserklärung

ab. Fraglich ist, ob B nicht hier als ihr

Stellvertreter handelte (§ 164 I 1 bzw. III).

aa) B gab auch hier eine eigene Willenserklärung ab.

bb) Das Offenkundigkeitsprinzip wurde auch wieder

gewahrt (§ 164 II).

cc) Als erforderliche Vertretungsmacht (§ 164 I 1)

kommt wieder eine Vollmacht (§ 166 II 1) in Betracht.

aaa) Hier erfolgte die Vollmachtserteilung (§ 166 II

1) durch Erklärung der R gegenüber B (Innenvollmacht)

(§ 167 I 1. Alt.).

bbb) Diese Bevollmächtigung ist jedoch nichtig, wenn

sie wie der Grundstückskaufvertrag eine notarielle

Beurkundung erfordert (§§ 125. 1, 313. 1 analog)14.

Nach dem Gesetzeswortlaut bedarf sie nicht der Form

des Rechtsgeschäfts, auf das sich die Vollmacht

bezieht (§ 167 II).

Dieser Grundsatz muß jedoch im Wege teleologischer

Auslegung durchbrochen werden, wenn die

Formvorschrift den Schutz des Vollmachtgebers

bezweckt, also hauptsächlich Warnfunktion hat. Dieser

Zweck wäre verfehlt, wenn der Vollmachtgeber mit

einer formfreien Bevollmächtigung eine Bindung

einginge15.

Eine Ansicht möchte daher generell die

Bevollmächtigung dem Formzwang unterwerfen, wenn dem

1414 Schlachter Jura 1996, 1971515 Musielak S. 404

5

Page 6: ZR HA Gutachten

Formerfordernis des Vertretergeschäfts Warnfunktion

zukommt16.

Eine andere Ansicht schreibt nur dann die Form vor,

wenn der Vollmachtgeber durch die Bevollmächtigung

rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise gebunden

wird wie durch das Vertretergeschäft selbst17.

Man könnte sagen, daß, wendet man die vage

Formulierung der zweiten Ansicht an, der

Rechtsverkehr mit einer gewissen Unsicherheit

belastet wird18. Jedoch läßt die Bevollmächtigung den

Vollmachtgeber nicht schon zwangsläufig schutzwürdig

erscheinen, da sie erst ermöglicht, ein

Verpflichtungsgeschäft mit Wirkung für und gegen den

Vollmachtgeber abzuschließen, und die Vollmacht in

der Regel noch widerrufen werden kann (§ 168. 2).

Zudem ist der Bevollmächtigte gehalten, bei der

Vornahme des Geschäfts die Interessen des

Vollmachtgebers zu wahren19. Um den Grundsatz der

Formfreiheit des § 167 II nicht auszuhöhlen20, ist

eine Differenzierung vorzuziehen. Nach der daher

zufolgenden zweiten Ansicht bedarf hier die

Bevollmächtigung der notariellen Beurkundung, wenn R

endgültig die Disposition über die Veräußerung des

Grundstücks aus der Hand gab. R erteilte dem B eine

unwiderrufliche Vollmacht. Der Vollmachtgeber wird

durch eine unwiderrufliche Vollmacht rechtlich und

tatsächlich in gleicher Weise gebunden wie durch den

Abschluß des Grundstückskaufvertrages selbst21. Dies

wird auch dann angenommen, wenn die Vollmacht, sei es

auch nur für eine geringfügige Zeit, unwiderruflich

ist22, hier für zehn Wochen.

1616 Flume S. 864 f.; Staudinger/Schilken § 167 Rn 2017 17 MüKo/Thiele § 167 Rn 20; Soergel/Schultze-v.Lasaulx, § 167

Rn 91818 Flume S. 8641919 Thiele S. 1362020 Rösler NJW 1999, 115021 21 RGZ 110, 319, 320; BGH WM 1971, 956, 957; Jauernig/Jauernig

§ 167 Rn 10 mwN; Soergel/Schultze-v.Lasaulx § 167 Rn 9 mwN; MüKo/Thiele § 167 Rn 18 mwN

2222 Soergel/Wolf § 313 Rn 32 6

Page 7: ZR HA Gutachten

(1) Entscheidend ist nur, ob die Vollmacht der R auch

zulässig unwiderruflich erteilt wurde.

Laut § 168. 2 ist die Vollmacht zwar grundsätzlich

widerruflich, jedoch kann die Vollmacht ausnahmsweise

unwiderruflich erteilt werden, wenn sich dies aus dem

ihr zugrundliegenden Rechtsverhältnis (Grundgeschäft)

ergibt.

So wird, vom Gesetzeswortlaut ausgehend, teilweise

verlangt, daß einer solchen Vollmacht ein

Rechtsverhältnis zugrunde liegen muß, das ihre

Unwiderruflichkeit rechtfertigt23. Der Sachverhalt

spricht ausdrücklich zwar nur von der

Bevollmächtigung, jedoch kann man davon ausgehen, daß

mit der Vollmachtserteilung konkludent (§ 133, 157,

242) ein Auftrag zwischen R und B vereinbart wurde (§

662), die Bevollmächtigung also nicht isoliert ist.

Strittig ist auch, ob die unwiderrufliche Vollmacht

vertraglich vereinbart werden muß24, oder ob ein

einseitiges Rechtsgeschäft ausreicht25. Diese Frage

kann in unserem Fall offengelassen werden, da R und B

sich über den Ausschluß eines Widerrufs einigten.

Des weiteren wird – jedoch in unterschiedlicher Weise

- zur Rechtfertigung der Unwiderruflichkeit auch ein

Interesse des Bevollmächtigten oder eines Dritten an

der Ausübung der Vollmacht verlangt, so daß das

Interesse des B an der Vornahme des

Grundstücksverkaufes nicht ausreichen könnte.

Einer Ansicht nach genügt irgendein fremdes Interesse

an der Vollmachtserteilung26.

Demgegenüber fordert eine andere Meinung, daß auf

Seiten des Vollmachtnehmers ein im Vergleich zum

Vollmachtgeber mindestens ebenbürtiges Interesse27,

23 23 Flume S. 880 f.; Palandt/Heinrichs § 168 Rn 6; Soergel/Schultze-v.Lasaulx § 168 Rn 26 mwN; MüKo/Thiele § 168 Rn 3; Jauernig/Jauernig § 168 Rn 6; aA Ennerccerus-Nipperdey S. 1144

2424 RGRK/Steffen § 168 Rn 32525 MüKo/Thiele § 168 Rn 82626 Ennerccerus-Nipperdey S. 11452727 Erman/Palm § 168 Rn 17 mwN; Staudinger/Wufka § 313 Rn 124 mwN

7

Page 8: ZR HA Gutachten

wenn nicht sogar ein Anspruch28 auf Vornahme des

Vertretergeschäfts vorliegen muß.

Der zweiten Ansicht ist zu folgen, da sich aus dem

Grundsatz der Widerruflichkeit folgern läßt, daß die

Unwiderruflichkeit wohlbegründet sein sollte, zumal

sie zu einer Beeinträchtigung der Privatautonomie des

Vollmachtgebers führt29. Hier soll die

Unwiderruflichkeit die Verhandlungsposition des B

stärken. Daran ist zwar B als Vertreter auch in

einem gewissen Maße interessiert, und seine Bitte um

die Erteilung einer unwiderruflichen Vollmacht bringt

dies auch zum Ausdruck, jedoch überwiegt insgesamt

das Interesse der R, ihr Baugrundstück vorteilhaft zu

verkaufen. Die Frage, ob ein gleichwertiges Interesse

ausreicht, oder ob ein Anspruch vorliegen muß,

braucht somit nicht beantwortet zu werden, da nach

beiden Ansichten der Ausschluß der Widerruflichkeit

hier unzulässig und damit unwirksam ist. Daher ist

eine notarielle Beurkundung der Vollmachtserklärung

vorerst nicht erforderlich.

(2) Ist die Unwiderruflichkeitsklausel unwirksam, so

erstreckt sich ihre Nichtigkeit nach einer Ansicht

nicht auf die ganze Vollmacht, wenn anzunehmen ist,

daß die Vollmacht auch als widerrufliche erteilt

worden wäre (§ 139).30

Eine andere Ansicht folgt dieser Meinung nur für die

Fälle, in denen die Vollmacht lediglich deshalb

unwiderruflich sein kann, weil ein Anspruch des

Bevollmächtigten auf die Vornahme des Geschäfts

besteht31.

B hatte keinen Anspruch auf die Vornahme der

Grundstücksveräußerung. Daher ist nach beiden

Meinungen die Vollmacht als widerrufliche

aufrechtzuerhalten.

2828 Flume S. 8792929 Staudinger/Schilken § 168 Rn 8; Flume S. 879 30 30 Rabel Zeitschrift für Ausländisches und Internationales

Privatrecht 1933, 799; Soergel/Schultze-v. Lasaulx § 168 Rn 283131 Flume S. 882

8

Page 9: ZR HA Gutachten

(3) Die als widerrufliche weiterbestehende

Bevollmächtigung könnte aber ausnahmsweise der

notariellen Beurkundung bedürfen, wenn sie R

rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise binden

würde wie der Grundstückskaufvertrag selbst32.

Insbesondere wird dies für die Fälle angenommen, in

denen die Nichtvornahme des Vertretergeschäfts

Nachteile für den Vertreter oder einen Dritten zur

Folge hat, in denen der Bevollmächtigte gegenüber dem

Grundstückserwerber weisungsgebunden ist oder vom

Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181) befreit

wurde33. Hier trifft keine dieser Ausnahmen zu.

Fraglich ist, ob R aus anderen Gründen endgültig

gebunden wurde. Die weite Distanz ihres Kurorts vom

Vertragsschauplatz hätte sie jedoch nicht von einem

Widerruf abhalten müssen. Auch die Annahme der

Unwiderruflichkeit der Vollmacht bewirkt nicht

zwangsweise die gleiche Bindung wie der

Grundstückskaufvertrag. Sie könnte nämlich über die

Widerruflichkeit ihrer Vollmacht aufgeklärt werden

und so ihren Entschluß zurückziehen. Daher ging R mit

der Bevollmächtigung keine so starke Bindung ein wie

mit dem Kaufvertrag selbst.

(4) Ergebnis: Somit ist die Vollmacht nicht

formbedürftig und damit wirksam (§§ 125. 1, 313. 1

analog).

ccc) Jedoch könnte die Vollmachtserteilung aufgrund

eines Formmangels des Grundgeschäfts nichtig sein (§§

125. 1, 313. 1 analog), wenn dieses eine endgültige

Bindung der R zur Grundstücksveräußerung mit sich

bringt. Dazu müßte sich insbesondere aus dem

Grundgeschäft die Unwiderruflichkeit der Vollmacht

ergeben34. Dies ist jedoch nicht der Fall35. Daher ist

3232 s. Teil A), A), II., 1., c), cc), bbb)3333 MüKo/Thiele § 167 Rn 18 f. mwN3434 Larenz S. 69; MüKo/Kanzleiter § 313, 42f.3535 s. Teil A, A), II., 1., c), cc), bbb), (1)

9

Page 10: ZR HA Gutachten

die Vollmachtserteilung nicht in analoger Anwendung

der §§ 125. 1, 313. 1 nichtig.

ddd) Ergebnis: B hatte somit für den Verkauf des

Baugrundstücks „Holzweg 7“ Vertretungsmacht.

dd) Ergebnis: B trat hier wirksam als Stellvertreter

der R auf, so daß seine Willenserklärung gegenüber Z

unmittelbar für R wirkt (§ 164 I 1 bzw. III).

c) Ergebnis: Folglich kam ein Kaufvertrag über das

Baugrundstück „Holzweg 7“ zwischen R und Z zustande.

d) Teilnichtigkeit (§ 139): Der Kaufvertrag könnte

aufgrund der Nichtigkeit des anderen Kaufvertrages36

unwirksam sein, wenn er mit diesem Kaufvertrag eine

Einheit bildet37 und nicht anzunehmen ist, daß er auch

ohne den anderen Kaufvertrag abgeschlossen sein

würde.

aa) Die getrennte Beurkundung läßt jedoch vermuten,

daß die Geschäfte keine Einheit bilden. Um diese

Vermutung zu widerlegen müßte mindestens eine der

Parteien gewollt haben, daß die beiden Verträge

miteinander stehen und fallen sollen38. Z wollte „am

liebsten“ auch das Nachbargrundstück „Holzweg 9“, um

ein noch größeres Bauprojekt verwirklichen zu können.

Jedoch ist daraus zu entnehmen, daß er sich auch mit

dem Grundstück „Holzweg 7“ zufrieden gäbe.

bb) Ergebnis: Daher ist keine rechtliche Einheit zu

bejahen, so daß der Kaufvertrag über das Grundstück

„Holzweg 7“ trotz der Nichtigkeit des anderen

Kaufvertrages wirksam ist.

e) Ergebnis: Daher entstand der Anspruch.

2. Er könnte aber durch eine rechtsvernichtende

Einwendung untergegangen sein. R war mit dem

Kaufpreis nicht einverstanden. Daher könnte der

Kaufvertrag durch eine Anfechtung ex tunc nichtig

3636 s. Teil A, A), I., 1., c)3737 Soergel/Hefermehl § 139 Rn 133838 Soergel/Hefermehl § 139 Rn 15 mwN

10

Page 11: ZR HA Gutachten

sein (§ 142 I). Diese setzt die Zulässigkeit, einen

Anfechtungsgrund (§§ 116 ff.) und eine

Anfechtungserklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner

Z (§ 143) innerhalb der Anfechtungsfrist (§§ 121 bzw.

124) voraus.

a) Fraglich ist, ob die Anfechtung durch den

Vertretenen zulässig ist.

Grundsätzlich kann der Vertretene nur bei

Willensmängeln des Vertreters anfechten (§ 166 I). B

irrte sich jedoch nicht.

Umstritten ist, ob der Vertretene auch bei eigenen

Willensmängeln anfechten kann39.

Als Anfechtungsgrund kommt jedoch nur ein Irrtum über

den Kaufpreis, ein unbeachtlicher Motivirrtum40, in

Betracht, so daß R den Kaufvertrag auch nicht

anfechten könnte und der Meinungsstreit nicht

ausgeführt werden muß.

b) Ergebnis: Daher bleibt der Kaufvertrag wirksam

(142 I 1), so daß der Anspruch nicht nachträglich

erloschen ist.

3. Ihm steht auch keine Einrede entgegen.

4. Ergebnis: Z hat somit gegen R einen Anspruch auf

Übergabe und Übereignung des Baugrundstücks „Holzweg

7“ aus Kaufvertrag (§ 433 I 1).

III. Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses in

Höhe von „50.000.- DM“ aus culpa in contrahendo

Möglicherweise kann Z wegen des entgangenen

Grundstücksgeschäfts „Holzweg 9“ überdies von R

Ersatz des negativen Interesses in Höhe von „50.000.-

DM“ aus culpa in contrahendo fordern.

1. Hierzu müßte dieser Anspruch entstanden sein.

39 39 Larenz S. 609; Pawlowski S. 380; MüKo/Thiele § 167 Rn 41; Palandt/Heinrichs § 166 Rn 10; Jauernig/Jauernig § 166 Rn; einschränkend BGHZ 51, 141, 148; aA Enneccerus-Nipperdey S. 1117; Flume S. 867 ff.

4040 Musielak S. 14511

Page 12: ZR HA Gutachten

a) Teilweise wird vertreten, daß eine Haftung des

Vertretenen neben der Haftung des Vertreters (§ 179)

nicht zulässig ist41. Eine Haftung aus culpa in

contrahendo wäre aber ohnedies abzulehnen, wenn Z

keinen Vertrauensschaden hätte.

In Betracht könnte ein Schaden aufgrund seines

fälschlichen Vertrauens auf die Gültigkeit des

Kaufvertrages über das Grundstück „Holzweg 9“ kommen.

Laut Z war aber das Vertrauen auf den Kaufvertrag

über das Grundstück „Holzweg 7“ Auslöser für die

Ablehnung des anderen Angebots. Dieser Kaufvertrag

ist jedoch gültig42. Daher entstand Z kein

Vertrauensschaden. Der oben erwähnte Meinungsstreit

kann somit unentschieden bleiben.

b) Ergebnis: Der Anspruch entstand somit nicht.

2. Ergebnis: Folglich kann Z von R nicht Ersatz des

negativen Interesses in Höhe von 50.000.- DM aus

culpa in contrahendo fordern.

B) Ansprüche gegen B

I. Anspruch auf Erfüllung oder Ersatz des positiven

Interesses (§ 179 I)

Möglicherweise kann Z aber von B wegen des

entgangenen Grundstücksgeschäfts „Holzweg 9“

Erfüllung oder Ersatz des positiven Interesses

fordern (§ 179 I).

1. Hierzu müßte dieser Anspruch entstanden sein.

a) B handelte als Vertreter ohne Vertretungsmacht.

b) R verweigerte auch konkludent (§ 133, 157, 242)

die Genehmigung (§§ 177 I, 158 I).

41 41 Frotz S. 118; RGRK/Steffen § 177 Rn 17; MüKo/Thiele § 177 Rn 46; aA Soergel/Leptien § 177 Rn 37; Erman/Palm § 178 Rn 28; Staudinger/Schilken § 177 Rn 24

4242 s. Teil A), A), II., 4.12

Page 13: ZR HA Gutachten

c) Fehlen anderer Nichtigkeitsgründe: Die mangelnde

Vertretungsmacht des B ist der einzige Grund, weshalb

der Kaufvertrag über dieses Grundstück nichtig ist.

d) B trat aber bei diesem Grundstücksgeschäft

ausdrücklich als Vertreter ohne Vertretungsmacht auf.

Daher kannte Z den Mangel der Vertretungsmacht43, so

daß eine Haftung des B aus § 179 ausgeschlossen ist

(§ 179 III 1 1. Alt.).

e) Ergebnis: Ein Anspruch entstand somit nicht.

2. Ergebnis: Z kann B nicht aus § 179 haftbar machen.

II. Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses in

Höhe von 50.000.- DM aus culpa in contrahendo

Möglicherweise kann Z jedoch von B wegen des

entgangenen Grundstücksgeschäfts „Holzweg 9“ Ersatz

des negativen Interesses in Höhe von 50.000.-DM aus

culpa in contrahendo fordern.

1. Hierzu müßte dieser Anspruch entstanden sein

a) Teilweise wird vertreten, daß eine Haftung des

Vertreters aus culpa in contrahendo neben einer

Haftung aus § 179 ausgeschlossen ist44. Diese Frage

kann offenbleiben, da Z gegebenenfalls mangels

Vertrauensschadens45 auch keinen Anspruch aus culpa in

contrahendo hätte.

b) Ergebnis: Ein Anspruch entstand somit nicht.

2. Ergebnis: Daher kann Z von B nicht Ersatz des

negativen Interesses in Höhe von 50.000.-DM aus culpa

in contrahendo fordern.

4343 Palandt/Heinrichs § 179 Rn 4 mwN44 44 Frotz, S. 55; MüKo/Thiele § 177 Rn 48; Soergel/Leptien §

179 Rn 13; RGRK/Steffen § 179 Rn 8; einschränkend Crezelius JuS 1977, 797 f.; aA Staudinger/Schilken § 179 Rn 20; Flume, S. 47

4545 s. Teil A, A), III., 1., a)13

Page 14: ZR HA Gutachten

Teil B: Ansprüche des T gegen R, L und/oder F auf

Zahlung des Kaufpreises eines Kleides in Höhe von

800.- DM und von Reizwäsche in Höhe von 500.- DM

A) Anspruch gegen R aus Kaufvertrag (§ 433 I 1)

T kann von R möglicherweise Zahlung der Rechnung in

Höhe von 1300.- DM aus Kaufvertrag (§ 433 I 1)

fordern.

I. Ein Anspruch entstand, wenn zwischen beiden ein

Kaufvertrag über diese Sachen (§ 90) zustande kam.

1. Hierzu müßte ein Angebot (§ 145 ff.) der R zu

einem Kaufvertrag vorliegen. Diese gab aber keine

eigene Willenserklärung ab.

a) R könnte jedoch nach dem Grundsatz der

gesetzlichen Mitverpflichtungsermächtigung (§ 1357 I

2) verpflichtet sein.

Laut dem Gesetzeswortlaut gilt dieser Grundsatz nur

bei Ehen. L war der Lebensgefährte der R.

Strittig ist, ob § 1357 I 2 auch bei eheähnliche

Lebensgemeinschaften entsprechend anzuwenden ist46.

L wohnte auch nicht getrennt von R, so daß eine

Verpflichtung der R auch nicht nach § 1357 III

ausgeschlossen ist. Jedoch kaufte er die Kleidung für

F und nicht für R, so daß es sich nicht um ein

erforderliches Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs

der Lebensgemeinschaft handelte. Daher wurde R auch

nicht gemäß einer analogen Anwendung des § 1357 I 2

verpflichtet. Somit kann der Meinungsstreit, ob §

1357 auch auf eheähnliche Lebensgemeinschaften

entsprechend anwendbar ist, offengelassen werden.

b) Die Willenserklärung des L könnte dennoch für R

wirken , wenn dieser als ihr Stellvertreter handelte

(§ 164 I 1).

aa) L gab die nötige eigene Willenserklärung ab.

46 MüKo/Wacke § 1357 Rn 14; aA Staudinger/Hübner/Voppel § 1357 Rn 25

14

Page 15: ZR HA Gutachten

bb) Desweiteren trat L ausdrücklich (§ 164 I 2 1.

Alt.) als Stellvertreter der Inhaberin R der „Kfz-

Reparaturwerkstatt Rosa Rostig“ auf, so daß er T

seine Vertretung auch offenkundig machte (§ 164 II).

cc) Ferner mußte L Vertretungsmacht haben (§ 164 I

1). In Betracht kommt eine Rechtsscheinvollmacht.

aaa) Es könnte sich hier um eine Duldungsvollmacht

handeln.

(1) Diese setzt voraus, daß R das Verhalten des L zum

fraglichen Zeitpunkt kannte, aber nicht dagegen

einschritt47. Wann dem Vertretenen zugestanden werden

kann, daß er wirksam einschritt, ist umstritten.

Eine Ansicht fordert, daß der Vertretene dem Dritten

gegenüber erkennbar macht, daß er das Handeln des

Vertreters nicht duldet48.

Der Gegenansicht genügt, wenn der Vertreter weiß, daß

der Vertretene sein Handeln nicht duldet49.

Man könnte sagen, daß in analoger Anwendung der §§

170 ff. eine Duldungsvollmacht, die auf ein dem

Dritten erkennbares Dulden begründet ist, nur bei

einem wiederum dem Dritten erkennbaren Verhalten des

Vertretenen verneint werden könne. Gegen diese

Analogie spricht jedoch, daß die Duldung nicht den

gleichen Erklärungswert wie die Kundgabe hat50. Der

Geschäftspartner kann sich nämlich im Gegensatz zur

Kundgabe nicht auf die Duldung verlassen51. Daher ist

der zweiten Ansicht zu folgen. R untersagte L weitere

Einkäufe. Somit schritt sie wirksam gegen das Handeln

des L ein.

(2) Ergebnis: Daher hatte L keine Duldungsvollmacht.

bbb) Es könnte jedoch eine Anscheinsvollmacht

bestehen52.

47 MüKo/Thiele § 167 Rn 3648 über Altmeppen S. 149: Canaris S. 14749 Altmeppen S. 149; Flume S. 85950 Altmeppen S. 149 f.51 Flume S. 85952 Palandt/Heinrichs § 173 Rn 13

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Page 16: ZR HA Gutachten

(1) Die Anerkennung des Instituts der

Anscheinsvollmacht ist jedoch umstritten.

Einerseits wird vertreten, daß durch die

Anscheinsvollmacht die gleichen Wirkungen wie bei

einer Bevollmächtigung ausgelöst werden53. Diese setzt

voraus, daß der Scheingeschäftsherr das vollmachtlose

Handeln seines Vertreters zwar nicht kannte, es aber

bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen müssen und

verhindern können. Der Geschäftspartner muß das

Verhalten des Scheinvertreters nach Treu und Glauben

(§ 242) mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin

auffassen, daß es dem Scheingeschäftsherrn bei

verkehrsmäßiger Sorgfalt nicht habe verborgen bleiben

können, er es mithin dulde54.

Die Gegenansicht läßt die Anscheinsvollmacht nur im

kaufmännischen Verkehr gelten, da dort schwer

durchschaubare betriebliche Organisationsstrukturen

und das Erfordernis des verzögerungsfreien Ablaufs

des Geschäftsverkehrs den Schutz des Dritten

fordern55. Ansonsten könnten aber an die Verletzung

von Sorgfaltspflichten nur Schadensersatzansprüche

gegen den Verpflichteten aus culpa in contrahendo56

oder eine Anwendung der §§ 177 ff. nebst

Genehmigungspflicht unter bestimmten Umständen57

geknüpft werden.

Hier kommt nur eine Anscheinsvollmacht im

kaufmännischen Verkehr in Betracht, so daß auch die

zweite Ansicht eine Anscheinsvollmacht anerkennen

würde. Fraglich ist aber, ob eine Anscheinsvollmacht

vorliegt.

53 Soergel/Schultze-v. Lasaulx § 167 Rn 30; Larenz/Wolf S. 928; Palandt/Heinrichs § 173 Rn 14; Erman/Palm § 167 Rn 7; RGRK/Steffen § 167 Rn 12

54 BGH LM § 167 Nr.4 Bl. 77355 Litterer S. 148; Medicus S. 64; Flume S. 834; Jauer

nig/Jauernig § 167 Rn 9; Staudinger/Schilken § 167 Rn 3156 Litterer S. 145; Jauernig/Jauernig § 167 Rn 9; Flume S. 834;

Medicus S. 65; Staudinger/Schilken § 167 Rn 3157 Peters AcP 179 (1979), 244

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Page 17: ZR HA Gutachten

(2) Zunächst müßte das vollmachtlose Vertreterhandeln

des L der R zurechenbar sein. Hierzu wäre nötig, daß

sie bei pflichtgemäßer Sorgfalt das Verhalten des L

kennen mußte und verhindern konnte58. Obwohl L ihr

diesmal versicherte, er werde künftig von solchen

Käufen absehen, hätte R mit einem erneuten

Vertreterhandeln rechnen müssen, da L sich auch schon

vorher ihren Mahnungen stets widersetzte. Sie hätte

dieses vollmachtlose Handeln auch trotz ihres

Kuraufenthaltes verhindern können. Sie hätte T nur

informieren müssen. Daher ist ihr das

Vertreterhandeln des L auch zuzurechnen.

(3) Des weiteren müßte der Rechtsschein einer

Bevollmächtigung bestehen, aufgrund dessen der Dritte

nach Treu und Glauben annehmen durfte, daß der

Geschäftsherr einverstanden sei59. L kaufte wiederholt

und über einen längeren Zeitraum bei T im Namen der

R. Neben dem bloßen Auftreten eines unbefugten

Vertreters müssen jedoch andere Umstände hinzutreten,

damit ein Rechtsschein begründet ist. Diese müssen in

der Regel von einer gewissen Dauer und Häufigkeit

sein60. R bezahlte stets die Rechnungen. Auch die

mehrfache Bezahlung von Rechnungen kann den

objektiven Rechtsscheintatbestand eines

Einverständnisses für gleichartige Geschäfte

ergeben61. Fraglich ist, ob die Geschäfte gleichartig

sind, denn normalerweise kaufte L vor allem

Arbeitsanzüge für die Kfz-Mechaniker bei T. Das Kleid

und die Reizwäsche gehören aber zur Privatkleidung.

Da L neben den Arbeitsanzügen aber auch gelegentlich

Kleider kaufte, konnte T entgegen den Aussagen des L

darauf schließen, daß L nicht nur für die Kfz-

Reparaturwerkstatt für R Einkäufe tätigte, sondern

nebenbei auch private Einkäufe über das Firmenkonto

58 Erman/Palm § 167 Rn 1859 Staudinger/Schilken § 167 Rn 3560 Erman/Palm § 167 Rn 1461 RGRK/Steffen § 167 Rn 17

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Page 18: ZR HA Gutachten

beglichen wurden. Somit konnte T auch bei diesem

Einkauf davon ausgehen, daß R damit einverstanden sei

und die Einkäufe bezahlen werde. Ein Rechtsschein

bestand daher.

T konnte daher auf die Bevollmächtigung vertrauen.

Eine allgemeine Prüfungsobliegenheit besteht nicht62.

Somit ist auch die Voraussetzung der Gutgläubigkeit63

erfüllt. Das Vertrauen war auch adäquat kausal für

den Abschluß des Kaufvertrages64.

(4) Ergebnis: Daher sind die Voraussetzungen der

Anscheinsvollmacht erfüllt.

ccc) Ergebnis: L hatte eine Rechtsscheinvollmacht und

damit Vertretungsmacht.

dd) Ergebnis: Die Willenserklärung des L gegenüber T

wirkt somit unmittelbar für R (§ 164 I 1 analog)65.

c) Ergebnis: Daher liegt ein Angebot der R vor.

2. Annahme: T nahm das Angebot auch an.

3. Ergebnis: Folglich kam ein Kaufvertrag über das

Kleid und die Reizwäsche zwischen R und T zustande,

so daß der Anspruch entstand.

II. Dieser ist auch nicht nachträglich erloschen.

III. Ihm steht auch keine Einrede entgegen.

IV. Ergebnis: T hat somit gegen R einen Anspruch auf

Zahlung der Rechnung in Höhe von 1300.-DM aus

Kaufvertrag (§ 433 I 1).

B) Anspruch gegen L aus § 179 I

Möglicherweise kann T auch von L Zahlung der Rechnung

in Höhe von 1300.- DM (Erfüllung) oder Schadensersatz

gemäß § 179 I fordern.

I. Hierzu müßte dieser Anspruch entstanden sein.

62 MüKo/Thiele § 167 Rn 5863 Staudinger/Schilken § 167 Rn 4364 Erman/Palm § 167 Rn 2165 s. Teil B, A), I., 1., b), cc), bbb), (1)

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Page 19: ZR HA Gutachten

1. Ob bei Vorliegen einer Anscheinsvollmacht eine

Haftung des Scheinvertretenen aus § 179 zulässig ist,

ist umstritten.

Nach einer Ansicht schließt die Anscheinsvollmacht

einen Vertretungsmangel und somit die Haftung des

Scheinvertreters aus66.

Eine vermittelnde Ansicht setzt für einen

Haftungsausschluß einen Anspruch des Scheinvertreters

auf Genehmigung voraus. An diesem fehle es aber bei

grob fahrlässigem Verhalten des Scheinvertreters. Nur

in diesem Fall könne der Geschäftspartner auch

wahlweise gegen den Scheinvertreter vorgehen67.

Demgegenüber wird teilweise vertreten, der

Geschäftspartner könne auch auf den nach den Regeln

der Anscheinsvollmacht gewährten Vertrauensschutz

verzichten und den Scheinvertreter aus § 179 haftbar

machen68.

Die zweite Ansicht ist abzulehnen, da dem

Geschäftsgegner nicht zugemutet werden kann

herauszufinden, ob der Scheinvertreter einen

„Anspruch auf Genehmigung des Geschäfts“ hat69.

Die erste Ansicht berücksichtigt zu wenig das

schutzwürdige Interesse des Geschäftspartners. Denn

auch die Möglichkeit der Streitverkündigung70 erspart

ihm nicht die Strapazen eines teuren und langwierigen

Prozesses gegen den Scheinvertretenen, wobei der

Erfolg aufgrund der ungünstigen Beweissituation im

Falle der Anscheinsvollmacht überdies sehr fraglich

ist71. Der Schutz des Geschäftspartners, der sowohl

durch die Anscheinsvollmacht wie auch durch die

Haftung des falsus procurator bezweckt wird, würde

66 OLG Hamm JuS 1971, 655; BGH NJW 1983, 1308, 1309; RGRK/Steffen § 167 Rn 19; Staudinger/Schilken § 167 Rn 44; Erman/Palm § 179 Rn 3; Soergel/Leptien § 179 Rn 367 Herrmann NJW 1984, 47268 Canaris S. 520; Prölss JuS 1985, 579; Crezelius ZIP 1984, 795;

Altmeppen S. 147; Larenz/Wolf S. 929; Pawlowski S. 39069 Altmeppen S. 13870 Erman/Palm § 179 Rn 3; BGH NJW 1983, 130971 Altmeppen S. 137; Prölss JuS 1985, 579; MüKo/Thiele § 167 Rn

62; Larenz/Wolf S. 929; Canaris NJW 1974, 455, 45619

Page 20: ZR HA Gutachten

sich so zum Nachteil für den Begünstigten auswirken72.

Daher ist der dritten Ansicht zu folgen. Der

Geschäftspartner kann also auf den Vertrauensschutz

im Falle der Anscheinsvollmacht auch verzichten und

so den vollmachtlosen Vertreter aus § 179 haftbar

machen. Jedoch kann er dann nicht mehr den

Vertretenen in Anspruch nehmen. Es bedeutete nämlich

ein venire contra factum proprium (§ 242), wenn er

zunächst die Nichtigkeit des Geschäftes und

anschließend seine Gültigkeit geltend machen würde73.

T könnte also anstelle der Verwirklichung seines

Anspruchs gegen R auch L aus § 179 I haftbar machen,

wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Bei einem Verzicht auf den Rechtsscheinschutz

durch T hätte L keine Vertretungsmacht (§ 179 I).

3. Man kann davon ausgehen, daß R die Genehmigung des

Vertrages verweigerte (§ 179 I).

4. T kannte den Mangel der Vertretungsmacht nicht und

hätte ihn auch nicht kennen müssen. Daher bestünde

kein Haftungsausschluß (§ 179 III 1).

5. L kannte den Mangel. Daher beschränkte sich die

Haftung nicht nur auf das negative

Vertrauensinteresse (§ 179 II).

6. Ergebnis: Da die Voraussetzungen einer Haftung aus

§ 179 I vorlägen, könnte ein solcher Anspruch bei

Verzicht auf den Rechtsscheinschutz durch T

entstehen.

II. Dieser würde auch nicht nachträglich erlöschen.

III. Ihm stünde auch keine Einrede entgegen.

72 Altmeppen S. 136; Pawlowski S. 390; Crezelius ZIP 1984, 791; Prölss JuS 1985, 579; MüKo/Thiele § 167 Rn 62; Canaris NJW 1991, 2628

73 Altmeppen S. 142 f.; Canaris S. 520 f.20

Page 21: ZR HA Gutachten

IV. Ergebnis: Folglich hat T wahlweise auch einen

Anspruch gegen L auf Zahlung der Rechnung in Höhe von

1300.- DM (Erfüllung) oder Schadensersatz gemäß § 179

I. Diese Haftung verdrängt eine Haftung des L aus

culpa in contrahendo.

C. Anspruch gegen F aus Kaufvertrag (§ 433 I 1)

T kann vielleicht auch von F Zahlung der Rechnung in

Höhe von 1300.- DM aus Kaufvertrag fordern (§ 433 I

1).

I. Ein Anspruch entstand, wenn ein Kaufvertrag

zwischen beiden zustande kam.

1. F gab aber weder selbst ein Angebot (§ 145 ff.)

ab, noch handelte L als ihr Stellvertreter (§ 164 I

1).

2. Ergebnis: Daher kam kein Kaufvertrag zwischen T

und F zustande, so daß kein Anspruch entstand.

II. Ergebnis: T kann folglich von F nicht Zahlung der

Rechnung in Höhe von 1300.- DM aus Kaufvertrag

fordern (§ 433 I 1).

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