2
48 IKZ-HAUSTECHNIK 22/2014 INTERVIEW EnEV 2014 Seit Anfang Mai 2014 gilt die neue Energieeinsparverordnung. Eine ihrer Forderungen ist die zweifache Mindestdicke für Wärmever- teilungs- und Warmwasserleitungen, die an die Außenluft grenzen. Erstmals wurde diese Klausel 2009 in die Verordnung aufgenom- men. Damit ist die Forderung nicht neu, trotzdem findet sie in der Praxis oftmals nicht die nötige Beachtung. Grund genug für die IKZ-HAUSTECHNIK nachzufragen, warum, wann und wo eine vorgeschriebene 200-%-Dämmdicke erforderlich ist. Patrice Demmerlé, Leiter Operations-Produktmanagement der Kolektor Missel Insulations GmbH, sowie Andreas Engel, Produktmanager Wärmedäm- mung, lieferten hierzu die Antwort. IKZ-HAUSTECHNIK: Die EnEV schreibt vor, an Außenluft grenzende Wärmevertei- lungs- und Warmwasserleitungen mit der doppelten Dämmdicke (200 %) zu dämmen. Warum diese strenge Vorgabe? Patrice Demmerlé: Es gibt in der EU den klar formulierten politischen Willen, den Energieverbrauch zu senken. Im Januar 2014 beispielsweise hat die EU-Kommissi- on den neuen Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 vorgestellt. Kern- ziel ist es, den Energieverbrauch um 30 % und die Treibhausgase um 40 % bis zum Jahr 2030 unter den Stand von 1990 zu sen- ken. Der Anteil Erneuerbarer Energien soll auf 27 % erhöht werden und weitere ehr- geizige Ziele für Energieeffizienzmaßnah- men sind in diesem Grundsatzpapier ent- halten. Deshalb muss jede Möglichkeit ge- nutzt werden, um Energieverluste dort zu verhindern, wo sie entstehen und beson- ders hoch sind. Gerade bei an Außenluft grenzenden Rohrleitungen können beson- ders in den kühleren und kalten Jahres- zeiten erhebliche Temperaturdifferenzen zwischen den Wassertemperaturen und der Außenluft auftreten. Deshalb die EnEV- Forderung: 200 % Dämmdicke. IKZ-HAUSTECHNIK: Wie stark reduziert diese Vorgabe Wärmeverluste gegenüber einer 100-%-Dämmung? Würden geringere Dämmdicken für diese Ziele nicht ausrei- chen? Andreas Engel: Die Energieeinsparung ei- ner 200-%- zu einer 100-%-Dämmung wird nicht, wie man annehmen könnte, verdop- pelt, aber der Wärmeverlust wird noch einmal deutlich reduziert. Dieses Einspa- rungspotenzial muss genutzt werden, um auch hier einen Beitrag zu den Zielen der EU zu leisten. Die EnEV 2014 wie bereits auch schon die EnEV 2009 sieht – wie Herr Demmerlé schon sagte – die 200-%-Däm- mung für an Außenluft grenzende Lei- tungen vor, weil eben dort der Verlust an Wärmeenergie am höchsten ist. IKZ-HAUSTECHNIK: Sind die betroffenen Leitungen genau definiert? Wann grenzt eine Leitung im Sinne der Vorschriften an Außenluft? Patrice Demmerlé: Dazu muss ich etwas ausholen. Für die Berechnung des Ener- gieausweises wird laut EnEV ein Gebäu- de in der Regel in Zonen unterteilt. Diese Bilanzmodelle umfassen mindestens die beheizten Räume und unter Umständen auch unbeheizte Räume innerhalb dieser Zonen. Unbeheizte Räume sind z. B. Haus- flure, kleine Räume ohne eigene fest in- stallierte Heizkörper etc. Daraus ergibt sich die thermische Hüllfläche, in der je- doch alle Rohrleitungen der Dämmpflicht der EnEV nach Anhang 5, Tabelle 1 un- terliegen, also 50 % bzw. 100 % zu däm- men sind. Die energetisch besonders un- günstige Situation außerhalb dieser ther- mischen Hülle, bei der die Rohrleitungen mehr oder weniger stark der Außenluft ausgesetzt oder sogar von Außenluft um- strömt werden, sind generell mit einer 200-%-Dämmung zu versehen. IKZ-HAUSTECHNIK: In welchen praktischen Einbausituationen müssen warmgehende Leitungen mit 200-%-Dämmdicke ge- dämmt werden? Andreas Engel: Typische Einbausituati- onen findet man z. B. in offenen Garagen und Tiefgaragen, Kellerräumen mit nicht verschlossenen oder nicht verschließbaren Öffnungen zur Außenluft und natürlich klassisch frei verlegte Rohrleitungen z. B. von einer zentralen Heizungs-/Warmwas- seranlage zu einem Gebäude. Um mögliche Anlagenschäden durch Frosteinwirkung zu vermeiden, sollte aber grundsätzlich geprüft werden, ob ein Sicherheitssystem an Rohrleitungen und Armaturen benö- tigt wird. IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Notwendigkeit sehen Sie in der Dämmung von Leitungen innerhalb der thermischen Gebäudehülle? Patrice Demmerlé: Hier besteht ein hohes Einsparpotenzial. Energie ist nur dort ef- fizient eingesetzt, wo sie punktgenau dem Nutzer zugutekommt. Das heißt z. B. am Heizkörper im bewohnten Raum. Ein durch schlecht gedämmte Leitungen erwärmter Schacht ist Energieverschwendung und birgt obendrein die Gefahr, dass Trinkwas- ser kalt sich auf über 25 °C erwärmt. Das bedeutet im Klartext: Legionellengefahr! IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Folgen können Abweichungen von den Vorschriften für Planer, Bauherren und Verarbeiter haben? Patrice Demmerlé: Die in der EnEV for- mulierten Ansprüche sind öffentlich-recht- Zu 200 % gedämmt Der Dämmstoffspezialist Missel informiert in einem Interview über die Umsetzung der neuen EU-Vorgaben. Patrice Demmerlé, Leiter Operations-Pro- duktmanagement: „Energie ist nur dort effizi- ent eingesetzt, wo sie punktgenau dem Nutzer zugutekommt.“

Zu 200 Prozent Gedaemmt

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Dämmung

Citation preview

Page 1: Zu 200 Prozent Gedaemmt

48 IKZ-HAUSTECHNIK 22/2014

INTErvIEwEnEV 2014

Seit Anfang Mai 2014 gilt die neue Energieeinsparverordnung. Eine ihrer Forderungen ist die zweifache Mindestdicke für Wärmever-teilungs- und Warmwasserleitungen, die an die Außenluft grenzen. Erstmals wurde diese Klausel 2009 in die Verordnung aufgenom-men. Damit ist die Forderung nicht neu, trotzdem findet sie in der Praxis oftmals nicht die nötige Beachtung. Grund genug für die IKZ-HAUSTECHNIK nachzufragen, warum, wann und wo eine vorgeschriebene 200-%-Dämmdicke erforderlich ist. Patrice Demmerlé, Leiter Operations-Produktmanagement der Kolektor Missel Insulations GmbH, sowie Andreas Engel, Produktmanager Wärmedäm-mung, lieferten hierzu die Antwort.

IKZ-HAUSTECHNIK: Die EnEV schreibt vor, an Außenluft grenzende Wärmevertei-lungs- und Warmwasserleitungen mit der doppelten Dämmdicke (200 %) zu dämmen. Warum diese strenge Vorgabe?Patrice Demmerlé: Es gibt in der EU den klar formulierten politischen Willen, den Energieverbrauch zu senken. Im Januar

2014 beispielsweise hat die EU-Kommissi-on den neuen Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 vorgestellt. Kern-ziel ist es, den Energieverbrauch um 30 % und die Treibhausgase um 40 % bis zum Jahr 2030 unter den Stand von 1990 zu sen-ken. Der Anteil Erneuerbarer Energien soll auf 27 % erhöht werden und weitere ehr-

geizige Ziele für Energieeffizienzmaßnah-men sind in diesem Grundsatzpapier ent-halten. Deshalb muss jede Möglichkeit ge-nutzt werden, um Energieverluste dort zu verhindern, wo sie entstehen und beson-ders hoch sind. Gerade bei an Außenluft grenzenden Rohrleitungen können beson-ders in den kühleren und kalten Jahres-zeiten erhebliche Temperaturdifferenzen zwischen den Wassertemperaturen und der Außenluft auftreten. Deshalb die EnEV-Forderung: 200 % Dämmdicke. IKZ-HAUSTECHNIK: Wie stark reduziert diese Vorgabe Wärmeverluste gegenüber einer 100-%-Dämmung? Würden geringere Dämmdicken für diese Ziele nicht ausrei-chen?Andreas Engel: Die Energieeinsparung ei-ner 200-%- zu einer 100-%-Dämmung wird nicht, wie man annehmen könnte, verdop-pelt, aber der Wärmeverlust wird noch einmal deutlich reduziert. Dieses Einspa-rungspotenzial muss genutzt werden, um auch hier einen Beitrag zu den Zielen der EU zu leisten. Die EnEV 2014 wie bereits auch schon die EnEV 2009 sieht – wie Herr Demmerlé schon sagte – die 200-%-Däm-mung für an Außenluft grenzende Lei-tungen vor, weil eben dort der Verlust an Wärmeenergie am höchsten ist.IKZ-HAUSTECHNIK: Sind die betroffenen Leitungen genau definiert? Wann grenzt eine Leitung im Sinne der Vorschriften an Außenluft?Patrice Demmerlé: Dazu muss ich etwas ausholen. Für die Berechnung des Ener-gieausweises wird laut EnEV ein Gebäu-de in der Regel in Zonen unterteilt. Diese Bilanzmodelle umfassen mindestens die beheizten Räume und unter Umständen auch unbeheizte Räume innerhalb dieser Zonen. Unbeheizte Räume sind z. B. Haus-flure, kleine Räume ohne eigene fest in-stallierte Heizkörper etc. Daraus ergibt sich die thermische Hüllfläche, in der je-

doch alle Rohrleitungen der Dämmpflicht der EnEV nach Anhang 5, Tabelle 1 un-terliegen, also 50 % bzw. 100 % zu däm-men sind. Die energetisch besonders un-günstige Situation außerhalb dieser ther-mischen Hülle, bei der die Rohrleitungen mehr oder weniger stark der Außenluft ausgesetzt oder sogar von Außenluft um-strömt werden, sind generell mit einer 200-%-Dämmung zu versehen.IKZ-HAUSTECHNIK: In welchen praktischen Einbausituationen müssen warmgehende Leitungen mit 200-%-Dämmdicke ge-dämmt werden?Andreas Engel: Typische Einbausituati-onen findet man z. B. in offenen Garagen und Tiefgaragen, Kellerräumen mit nicht verschlossenen oder nicht verschließbaren Öffnungen zur Außenluft und natürlich klassisch frei verlegte Rohrleitungen z. B. von einer zentralen Heizungs-/Warmwas-seranlage zu einem Gebäude. Um mögliche Anlagenschäden durch Frosteinwirkung zu vermeiden, sollte aber grundsätzlich geprüft werden, ob ein Sicherheitssystem an Rohrleitungen und Armaturen benö-tigt wird.IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Notwendigkeit sehen Sie in der Dämmung von Leitungen innerhalb der thermischen Gebäudehülle?Patrice Demmerlé: Hier besteht ein hohes Einsparpotenzial. Energie ist nur dort ef-fizient eingesetzt, wo sie punktgenau dem Nutzer zugutekommt. Das heißt z. B. am Heizkörper im bewohnten Raum. Ein durch schlecht gedämmte Leitungen erwärmter Schacht ist Energieverschwendung und birgt obendrein die Gefahr, dass Trinkwas-ser kalt sich auf über 25 °C erwärmt. Das bedeutet im Klartext: Legionellengefahr! IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Folgen können Abweichungen von den Vorschriften für Planer, Bauherren und Verarbeiter haben?Patrice Demmerlé: Die in der EnEV for-mulierten Ansprüche sind öffentlich-recht-

Zu 200 % gedämmtDer Dämmstoffspezialist Missel informiert in einem Interview über die Umsetzung der neuen EU-Vorgaben.

Patrice Demmerlé, Leiter Operations-Pro-duktmanagement: „Energie ist nur dort effizi-ent eingesetzt, wo sie punktgenau dem Nutzer zugutekommt.“

Page 2: Zu 200 Prozent Gedaemmt

22/2014 IKZ-HAUSTECHNIK 49

INTErvIEwEnEV 2014

liche Mindestanforderungen. Bei deren Nichteinhaltung hat der Gesetzgeber dras-tische Bußgelder vorgesehen. Unabhän-gig davon sind weitere Schutzziele zu be-achten, um ein nach VOB/B §13 bzw. BGB §633 mangelfreies Werk nach den aner-kannten Regeln der Technik zu sichern. Dazu gehört u. a. neben der Reduzierung der Schallübertragung und dem Schutz der Rohrleitungen vor Korrosion auch der Brandschutz.IKZ-HAUSTECHNIK: Wie wirkt sich die 200-%-Dämmung baulich aus, was müs-sen Planer beachten?Patrice Demmerlé: Überall dort, wo eine 200-%-Dämmung erforderlich ist, muss planerisch der Platzbedarf beachtet wer-den. So schreiben z. B. die Garagenverord-nungen der Länder auch unter gedämmten Rohrleitungen, Lüftungskanälen, Unter-zügen usw. eine lichte Raumhöhe von 2 m vor. An dieser Stelle wirkt sich eine gute Wärmeleitfähigkeit der Dämmung außer-ordentlich positiv auf den erforderlichen

Platzbedarf aus. Bei einer Rohrleitung mit einer Dämmung, die eine Wärmeleitfähig-keit = 0,035 W/(m · K) besitzt, bedeutet dies rund 18 bis 25 % Platzersparnis gegen-über einer Dämmung mit einer Wärmeleit-fähigkeit von = 0,040 W/(m · K). Bauliche Veränderungen sind durch größere Dämm-

dicken in der Regel nicht zu erwarten. Viel häufiger gibt es Platzproblem mit Lüftungskanälen in Tiefgaragen. Natür-lich müssen Pla-ner und Verarbei-ter auch in diesem Zusammenhang – wie bei allen ande-ren Anforderungen – Brandschutz, Bar-rierefreiheit usw. – werkvertragliche Anforderungen und gesetzliche Re-gelungen, hier also die EnEV 2014, ein-halten.IKZ-HAUSTECH-NIK: Gibt es spezi-elle Anforderun-gen an den Einbau von Ventilen, Ab-sperreinrichtungen etc.?Andreas Engel: Bei an Außenluft gren-zenden Leitungen sollten Ventile und andere Absperrein-richtungen mög-lichst vermieden werden. Ist dies nicht zu verhindern, sind auch Armaturen nach EnEV 2014 mit 200-%-Dämmung zu ver-sehen. Das ist sicher etwas aufwendiger, aber im Zusammenhang mit üblichen Spindelverlängerungen und einfachen, flexiblen Dämmplatten beispielsweise aus PE-Schaumstoff lösbar. Für das im Anla-genbau tätige Isolierhandwerk ist das täg-liche Praxis.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie wichtig ist eine lü-ckenlose Dämmung von Rohrleitungen, die an Außenluft grenzen?Andreas Engel: Um die Wärmeverluste tat-sächlich zu minimieren, ist in diesem Be-reich selbstverständlich auf eine lücken-lose Wärmedämmung besonders zu ach-ten. ■

Bilder: Kolektor Missel Insulations GmbH

Bereits seit der Novellierung der EnEV im Jahr 2009 müssen an die Au-ßenluft grenzende Wärmeverteilungs- und Warmwasserleitungen – wie hier in einer Tiefgarage – mit 200 % gedämmt werden.

Andreas Engel, Produktmanager Wärmedäm-mung: „Die EnEV 2014 sieht die 200-%-Däm-mung für an Außenluft grenzende Leitungen vor, weil eben dort der Verlust an Wärmeener-gie am höchsten ist.“