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Zu Entwicklungsschwierigkeiten hoch begabter Kinder und Jugendlicher in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt Erfahrungen und mögliche Lösungswege BMBF PUBLIK

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Zu Entwicklungsschwierigkeiten hoch begabter Kinder und Jugendlicher in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt Erfahrungen und mögliche Lösungswege

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Impressum

HerausgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)Referat Öffentlichkeitsarbeit53170 Bonn

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oder telefonisch unter derRufnummer 01805-BMBF02 bzw. 01805-262302Fax 01805-BMBF03 bzw. 01805-2623030,24 DM/Min

E-Mail: [email protected]: http://www.bmbf.de

GestaltungBSMG Worldwide Deutschland, München

DruckereiDruckerei Plump, Rheinbreitbach

StandAugust 2001

Gedruckt auf Recyclingpapier

Bildnachweis:Photodisc

Zu Entwicklungsschwierigkeiten hoch begabter Kinder und Jugendlicherin Wechselwirkung mit ihrer Umwelt Erfahrungen und mögliche Lösungswege

Dr. Barbara Schlichte-Hiersemenzel

Ein Erfahrungsbericht Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bmbfFebruar 2001

1 Einleitung 3

2 Hochbegabung, Zahlen und normale Entwicklungsbedürfnisse 7

2.1 Zum Begriff Hochbegabung 82.1.1 Zu Diagnostik und Häufigkeit 82.1.2 Zahlen aus alltäglichen Lebensbereichen 9

und individuelles Recht auf Förderung

2.2 Besondere Gaben und normale Entwicklungsbedürfnisse 9

2.3 Den Erwartungen entsprechen oder abweichen? Der Konflikt zwischen Zugehörigkeits- und Entfaltungsbedürfnis 11

3 Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt 13

3.1 Erfahrungen mit der Umwelt – drei Beispiele 143.1.1 Sabine 143.1.2 Till 163.1.3 Peter 19

3.2 Entwicklungsknick durch Schule? 21

3.3 Ausgrenzung und Entwertung 23

3.4 Strukturen und Verhaltensmuster des Umfeldes 27

4 Zwischen Anlass und Lösungsweg 31

4.1 Anlass zu Beratung oder Psychotherapie 324.1.1 Beratungsbedarf der Eltern 334.1.2 Unterstützungsbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen 37

4.2 Lösungswege 404.2.1 Wege für die Kinder und Jugendlichen 404.2.2 Wege für die Eltern 424.2.3 Zusammenarbeit mit der Schule 434.2.4 Aufgreifen der Beispiele: Erfahrungen von Peter, Sabine und Till 44

4.3 Anforderungen an die Schule 46

5 Vorsorge 49

Anhang 52

Danksagung und Anmerkung 52

Literatur 52

Autorin 52

12 / 3

Einleitung

Hochbegabung wird im gesellschaftlichen Selbst-verständnis weitgehend mit einer Bevorzugungdurch das Schicksal gleichgesetzt. Von Kindern, diemit außergewöhnlichen Gaben auf die Welt kom-men, wird angenommen, dass sie beste Vorausset-zungen haben, ihr Leben gut zu bewältigen. Lebens-wege hoch begabter Menschen zeigen jedoch,dass dies nicht generell der Fall ist. Auch für hochbegabte Kinder und Jugendliche kann es im Laufeihres Heranwachsens, wie für andere Kinder undJugendliche auch, zu Entwicklungsschwierigkeitenkommen, die Außenhilfe erforderlich machen.

Ihre außergewöhnliche Begabung bedeutetfür die betroffenen Kinder in unserer Gesell-schaft eine Lebensrealität, die per se bestimmteBesonderheiten aufweist. Sie spielen in der Ent-stehungsdynamik von Entwicklungsschwierig-keiten in Wechselwirkung zwischen Kind undsozialer Umwelt eine wesentliche Rolle.

Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es,Schwierigkeiten, die in charakteristischer Weiseim Zusammenhang mit Hochbegabung auftretenkönnen, in ihrer Dynamik besser verstehbar zu

machen und damit zu einer Umgangsweise bei-zutragen, die Störungen nicht fixiert, sondernabfangen hilft. Sie beruhen auf Erfahrungen auslangjähriger beratender und psychotherapeuti-scher Arbeit mit hoch begabten Kindern, Jugend-lichen und ihren Eltern aus etwa dreihundert Fa-milien und mit hoch begabten Erwachsenen. DasAlter der Kinder und Jugendlichen lag zwischenzwei und siebzehn, überwiegend zwischen fünfund fünfzehn Jahren, das Alter der Erwachsenenzwischen einundzwanzig und einundvierzig Jah-ren. Zwei Drittel bis drei Viertel der Konsultatio-nen durch Familien waren durch Jungen veran-lasst, nur eine Minderheit durch Mädchen. Fürdie hoch begabten Erwachsenen, deren Anzahlallerdings sehr viel geringer war, kehrte sichdiese Relation um. Die Methodik zur Erfassungder beschriebenen seelischen Vorgänge setztesich zusammen aus biographisch orientierterund tiefenpsychologisch fundierter Anamnese-und Befunderhebung und entsprechenden Bera-tungs- und Therapieformen; die Analyse der ak-tuellen Situation der Kinder und Jugendlichen in

Einleitung

Sie ist nicht gestört, sondern intelligent, sagt derKinderpsychiater, ich soll sie fördern, aber dieLeute gucken mich schon ganz komisch an deshalb.(die Mutter eines Mädchens in der 2. Klasse)

Wenn ich was lernen will, muß ich von meinenFreunden weg, wenn ich bei meinen Freundenbleibe, ist es so langweilig.(ein Junge in der 5. Klasse vor der Frage, einenJahrgang zu überspringen)

Familie, Kindergarten und Schule erfolgte unterentwicklungspsychologischen und familienmedi-zinischen Gesichtspunkten, in vielen Fällen gabes Kontaktgespräche mit Erzieherinnen, Lehre-rinnen und Lehrern, z. T. gemeinsam mit Kindund Eltern, in Einzelfällen auch Besuche in Kin-dergarten und Schule.

In Abschnitt zwei wird der Begriff Hoch-begabung, wie er hier verwendet wird, umris-sen. Einige Zahlen aus dem alltäglichen Umfeldvon Kindern verdeutlichen Besonderheiten derLebenssituation hoch begabter Kinder undJugendlicher, die bereits allein durch ihre unge-wöhnliche Begabung bedingt sind. Es wird dieBedeutung der hohen Begabung innerhalb derGesamtpersönlichkeit beschrieben unter Bezugauf ganz normale Entwicklungsbedürfnisse inKindheit und Jugend. Daraus wird der zentraleKonflikt abgeleitet, der die Entwicklung hochbegabter Kinder und Jugendlicher schwer beein-trächtigen kann.

Der dritte Abschnitt beschreibt häufig vor-kommende Interaktionen zwischen hoch begab-

tem Kind und familiärer und außerfamiliärer Um-welt mit ihren Auswirkungen auf Verhaltenswei-sen und Selbstkonzept des Kindes oder Jugend-lichen. Es werden mit Beispielen typische struktu-relle und personale Konstellationen inLebensfeldern hoch begabter Kinder und Jugend-licher dargestellt, die auf ihre Entwicklung in cha-rakteristischer Weise störend einwirken können.

Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mitSchwierigkeiten, die Eltern veranlassen, Hilfe fürsich und ihre hoch begabten Kinder zu suchen:Schwierigkeiten können in Abstufungen von Ent-wicklungsauffälligkeiten bis hin zu bedrohlichenStörungen vorkommen und verschiedene Vorge-hensweisen erfordern. Es werden die Beispieleaus Abschnitt zwei aufgegriffen und Erfahrungenmit Lösungswegen aufgezeigt, die im Zusammen-wirken von Beratung oder Psychotherapie undVeränderung im Umfeld des Kindes bestehen.

Im letzten Abschnitt erfolgt ein Ausblick aufMöglichkeiten der Vorsorge, die helfen können,ernste Entwicklungsstörungen für hoch begabteKinder und Jugendliche zu vermeiden.

4 / 5Einleitung

26 / 7

Hochbegabung,

Zahlen und normale

Entwicklungsbedürfnisse

2.1 Zum Begriff Hochbegabung

Es gibt außergewöhnlich hohe Begabung aufvielen verschiedenen Gebieten. Hier wird derBegriff verwandt für eine außergewöhnlich hoheallgemeine intellektuell-kreative Begabung, dieeine spezifische Art der Welterfassung bedeu-tet. Sie ist u. a. gekennzeichnet durch eine sehrschnelle Auffassungsgabe, hohe Lern- und Dif-ferenzierungsfähigkeit, kreative und eigenstän-dige Verarbeitung auch komplexer Phänomeneauf verschiedenen Ebenen, frühen Spracherwerbauf hohem Niveau, ausgeprägte Vorrangigkeitdivergenten Denkens, rasches Durchschauenvon Zusammenhängen, Finden und Erfinden un-gewöhnlicher Gedankengänge und eine urtüm-liche Freude, sich geistig zu tummeln.

2.1.1 Zu Diagnostik und Häufigkeit

Erkannt werden können diese Fähigkeiten durcheine gezielte Anamnese- und Befunderhebung,wobei als Hilfsmittel sehr häufig standardisierteIntelligenztests eingesetzt werden. Zur Einfüh-

rung in Fragen von Definition und Diagnostikwird auf die Broschüre »Begabte Kinder findenund fördern« des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung, BMBF, verwiesen (Neuauf-lage 1999); eine aktuelle Übersicht über ver-schiedene wissenschaftlich angewandte Bega-bungsmodelle, Diagnostikverfahren u. a.Forschungen zur Hochbegabung findet sich beiHolling 1998, »Forschung und Förderung vonKindern und Jugendlichen im Bereich der Hoch-begabung«, Gutachten im Auftrag des BMBF(Holling, H. u. Kanning, U. P., Hochbegabung:Forschungsergebnisse und Förderkonzepte,Hogrefe Verlag, Göttingen 1999).

Als ein üblicher Grenzwert in Testverfahrenfür die Zuordnung zu »hoch begabt« gilt einProzentrang von 98 und höher. Das bedeutet,dass von 100 Kindern der gleichen Altersgruppenur zwei in den getesteten intellektuellen Fähig-keiten gleich gute oder bessere Ergebnisse er-reichen. Unter der ebenfalls üblichen Annahmeeiner Normalverteilung der Intelligenz in derBevölkerung wird die Häufigkeit von verschie-den hoher Intelligenz in einer Normalvertei-lungskurve deutlich.

Hochbegabung, Zahlen und normale Entwicklungsbedürfnisse

Die Normalverteilung der Intelligenzquotienten Etwa 2 % der Bevöl-kerung haben einenIntelligenzquotientenvon 130 oder höher.Das bedeutet, dass esin der BundesrepublikDeutschland etwa300.000 hoch begabteKinder und Jugendli-che bis zum Alter von 18 Jahren gibt.

0,13 %

Prozent der Fälleund Abschnitteder normalen Kurve

–4 –3 –2 –1 0 +1 +2 +3 +4

55 70 85 100 115 130 145

0,13 %2,14 % 2,14 %

13,59 % 13,59 %34,13 % 34,13 %

2.1.2 Zahlen aus alltäglichen Lebens-bereichen und individuelles Recht auf Förderung

In einem Jahrgang einer vierzügigen Grundschu-le mit einer Klassenstärke von ca. 25 Schülerin-nen und Schülern sind durchschnittlich zweihoch begabte Kinder zu erwarten, in der gesam-ten Grundschule dieser Größe acht, in einemmittelgroßen Kindergarten mit 150 Plätzen drei.

In einer mittelgroßen Kinderarztpraxis wer-den – ausgehend von einer durchschnittlichenErkrankungshäufigkeit – in einem Quartal etwazwanzig hoch begabte Kinder und Jugendlichezu allgemeinen Konsultationen gesehen. Weite-re fünf bis zehn sind es, die im gleichen Zeitraumzu Früherkennungsuntersuchungen und anderenVorsorgemaßnahmen zum Kinderarzt kommen.

Eine Wohnumgebung müsste von einhundertanderen Kindern einer ähnlichen Altersgruppebevölkert sein, damit ein hoch begabtes Kind beizwanglosen Kontakten in seiner Nachbarschaftauch nur ein einziges anderes Kind mit ähn-lichen Fähigkeiten, die Welt zu erfassen, treffenkönnte.

In diesen Zahlen kommt eine Lebensrealitätfür hoch begabte Kinder zum Ausdruck, die Ver-einzelung bedeutet: Auf ähnliche Kinder, Kinder»gleicher Wellenlänge«, treffen sie in ihrernatürlichen Umgebung kaum. Auch wenn voneinem Grenzwert von z. B. 4 % statt 2 % ausge-gangen wird – eine scharfe Trennlinie ist nichtvorhanden – kommen hoch begabte Kinder nurvereinzelt vor. Dies spielt eine Rolle in der Dyna-mik von Störungen und ihrer Verarbeitung. Esspielt auch eine Rolle für die Erfahrung, die Be-rufsgruppen, die sich der Entwicklung, Gesund-heit, Ausbildung und Erziehung von Kindern undJugendlichen widmen, damit sammeln können.

Für die individuelle Hilfe bei Entwicklungs-schwierigkeiten ist es jedoch unerheblich, wieviele hoch begabte Kinder und Jugendliche esgibt und wie viele von ihnen Behinderungen inihrer Entwicklung erleiden. Die Werte, denenunsere Gesellschaft verpflichtet ist, geben derfreien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzel-nen ausdrücklich einen grundlegenden Stellen-wert (Grundgesetz Artikel 2). Zu den besondersschutzwürdigen Belangen von Kindern undJugendlichen heißt es detaillierter im Kinder-und Jugendhilfegesetz (§ 1): »Jeder junge Menschhat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklungund auf Erziehung zu einer eigenverantwort-lichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.«Bei Gefährdung dieser Ziele tritt unsere Gesell-schaft in die Verantwortung ein, »junge Men-schen in ihrer individuellen und sozialen Ent-wicklung zu fördern«. Der gesellschaftliche Kon-sens, der hinter einer solchen Regelung steht,gilt für alle Kinder und Jugendlichen, auch fürhoch begabte: Auch für sie gilt das Recht aufFörderung sowohl in ihrer individuellen als auchin ihrer sozialen Entwicklung.

2.2 Besondere Gaben undnormale Entwicklungs-bedürfnisse

»Was wir zu lernen haben, ist s0

schwer und doch so einfach und klar:

Es ist normal, verschieden zu sein.«

Richard von Weizäcker, 1993

Kinder, die mit außergewöhnlichen geistigenGaben geboren werden, sind in einem wesent-lichen Teil ihres Selbst anders als die meisten.Bezogen auf ihre außergewöhnliche Begabung

8 / 9Hochbegabung, Zahlen und normale Entwicklungsbedürfnisse

bilden sie eine Minderheit. Ihre Bedürfnissenach individueller Entfaltung und sozialer Zuge-hörigkeit entsprechen jedoch denen der Mehr-heit, sie sind »ganz normale« Kinder.

Dennoch entsteht zwischen einem hoch be-gabten Kind oder Jugendlichen und seiner sozia-len Umgebung oft ein Spannungsfeld, in demdie Umgebung Forderungen stellt, diese hoheBegabung »einfach mal beiseite zu lassen«, docheinmal »ganz normal, wie die anderen« zu sein.

Dies kann ausdrücklich geschehen oder indi-rekt durch normierendes Selbstverständnis einersich nicht hinterfragenden Mehrheit. Dabei ist»normal« nicht definiert, sondern drückt einesubjektive oder gruppenkonforme Vorstellungaus.

In seinen basalen Bedürfnissen nach Ent-faltung und Zugehörigkeit ist ein hoch begabtesKind ganz normal.

Das, worin es sich so ausgeprägt unterschei-det, beiseite zu lassen, ist jedoch nicht einfacherfüllbar. Der Grund liegt darin, dass die hohegeistige Begabung der Kinder untrennbar verwo-ben ist in die Gesamtheit ihres Selbst. Für denMenschen haben seine geistigen Fähigkeiten für das eigene Dasein und den Umgang mit derWelt eine zentrale Bedeutung. Dies gilt auch fürhoch begabte Kinder, die gerade mit weit über-durchschnittlichen geistigen Fähigkeiten ihr Le-ben antreten. Ihre besondere Begabung ist nichtirgendetwas Zusätzliches, das aus ihrer Begeg-nung mit der Welt ausgeklammert werden könn-te. Es ist im Gegenteil ein nicht herauslösbarerBestandteil ihres Seins. In allen Vorgängen, indenen sich hoch begabte Kinder die Innen- undAußenwelt aneignen, werden sie geleitet vonihrer geistigen Lebendigkeit, die untrennbar mitihrem emotionalen und leiblichen Dasein ver-bunden ist. Im Wesen des Menschen liegt es,

dass diese Bereiche nicht getrennt sind undohne Schaden für den ganzen Menschen auchnicht getrennt werden dürfen. Während ein all-gemein anerkannter Grundsatz in Kindergartenund Schule das Hinwirken darauf ist, die kogni-tive Entwicklung der Kinder Hand in Hand gehenzu lassen mit der emotionalen, kann es geradeunter Vorgabe dieser Ziele zu paradoxen Auswir-kungen auf hoch begabte Kinder kommen. ImBestreben, ihre ganzheitliche Entwicklung zufördern, wird oftmals ihr altersunübliches intel-lektuelles Bedürfnisniveau vernachlässigt odersogar gezielt ausgegrenzt. Eine solche normie-rende Haltung mit einseitiger Betonung emotio-naler und sozialer Entwicklungsziele lässt diegeistigen Bedürfnissen dieser Kinder so sehraußer Acht, dass dies ihre ganzheitliche Ent-wicklung eher gefährdet als fördert.

Wenn die geistigen Gaben hoch begabterKinder sich nicht vorwärts entwickeln dürfenvon da aus, wo sie nun einmal sind, sondern ih-nen Rückwärts-»Entwicklung« auf eine fiktiveAltersnorm abverlangt wird, kann mit der Zeitein großer Teil ihrer geistigen Vitalität abge-bremst und damit auch die emotionale, sozialeund sogar körperliche Entwicklung behindertwerden. Dass geistige Nahrung für ein hoch be-gabtes Kind ganzheitliche Entwicklung fördert,lässt sich sehr einfach beobachten: eine intel-lektuelle Herausforderung erfüllt das Kind mitFreude, die Augen strahlen, der Körper richtetsich auf. Die Welt, auch die unmittelbare sozia-le Umgebung, wird zur Welt der Integration und nicht der Ausgrenzung.

Ein Spannungsfeld mit Normierungsforde-rungen kann in allen sozialen Bereichen vonKindheit und Jugend auftreten. Für hoch begab-te Kinder entsteht ein solches Spannungsfeldfast zwangsläufig, wenn ihre hohe Begabung

sich ganz altersunüblich zeigt und von Erwartun-gen, Haltungen und Handlungsflexibilität ihrerUmwelt erheblich abweicht. Es muss damitnicht ebenso zwangsläufig zu Störungen kom-men, aber eine größere Verschiedenheit zwi-schen Kind und Umwelt erfordert größereAnstrengungen in Anpassungsprozessen. Einkonstruktiver Anpassungsprozess ist dabei nichtein einseitiges Sichfügen des Kindes in Vor-gegebenes, sondern die laufende Neu- undWeiterentwicklung eigener Umgehensweisen in Begegnungen mit der Innen- und der Außen-welt, sowohl für das Kind als auch für die Men-schen seiner Umwelt.

2.3 Den Erwartungen ent-sprechen oder abweichen? Der Konflikt zwischen Zugehörigkeits- und Entfaltungsbedürfnis

Die Vereinzelung und das Abweichen vom Übli-chen kann ein hoch begabtes Kind je nach Artund Verhalten seiner Umwelt und auch abhängigvon den eigenen seelischen Möglichkeiten ver-schieden erleben: kaum, deutlich, als Anreiz, alsBelastung oder auch als Leid.

Wenn die körperliche, seelische oder geisti-ge Konstitution eines Kindes in hohem Maße zuden Erwartungen, Strukturen und Handlungsmög-lichkeiten seiner Umwelt passt, kommen beideSeiten gut miteinander zurecht. Die Entwicklungdes Kindes und gegenseitige Anpassungspro-zesse verlaufen dann in einer Weise, in der Be-dürfnisse des Kindes ausreichend gut erfüllt undKonflikte konstruktiv gelöst werden können –Voraussetzungen, dass Lebensfreude ein tragfä-higes Element der kindlichen Persönlichkeit wird.

Wenn Anlagen und Entfaltungsdrang desKindes und die Möglichkeiten der Menschen inseiner Umgebung zu sehr voneinander abwei-chen, wenig zueinander passen, können zweigrundlegende menschliche Bedürfnisse, Sich-entfaltenwollen und Dazugehörenwollen, in demKind in einen schwerwiegenden Konflikt mitein-ander geraten und seine Entwicklung erheblichstören.

Das Bedürfnis, dem eigenen Entfaltungs-drang folgen zu wollen, bedeutet, im Selbst be-reitliegende Möglichkeiten an der Außenwelt zuerproben und sich und die Welt zu gestalten aufdem Weg zu Individualität und Autonomie. DemBedürfnis nach Zugehörigkeit zu folgen, heißt,sich in Übereinstimmung mit anderen Menschenzu bringen, Gemeinsamkeit mit anderen alsGruppe zu erleben und eigenes Verhalten daraufzu richten, von anderen verstanden und emotio-nal akzeptiert zu sein. Beide Bedürfnisse ver-sucht das Selbst eines Kindes in Einklang zubringen, damit beide bestmöglich erfüllt wer-den. Dies geschieht in allen Entwicklungspha-sen, mit verschiedenen Akzenten in früher Kind-heit, Latenzzeit, Pubertätszeit und Adoleszenz.Es besteht dabei eine Abhängigkeit vom Verhal-ten der Umgebungspersonen und von einemsehr frühen Alter an »ein Bedürfnis nach Teilungvon emotionalen und kognitiven Zuständen inBezug auf die Welt« (Dornes, Die frühe Kindheit,1997). »Teilung« ist hier zu verstehen als »mit-einander erleben«.

Dieses Bedürfnis, den eigenen Zustand le-bendig gespiegelt und freudig aufgegriffen zusehen, haben Kinder, die ganz altersunüblichegeistige Fähigkeiten haben, genauso wie ande-re. Sie drücken sich zunächst wie alle Kinder un-befangen in der ihnen eigenen Art und Weiseaus, wie in der selbstverständlichen Gewissheit,

10 / 11Hochbegabung, Zahlen und normale Entwicklungsbedürfnisse

dass die anderen so sind wie sie selbst. Da zuihrer Art aber unabdingbar ihre außergewöhn-lichen geistigen Gaben gehören, entsprechensie oft nicht den üblichen altersbezogenen Er-wartungen ihrer Umgebungspersonen. Eine un-flexible Umgebung geht auf unerwartete Signa-le nicht ein, so dass es für das hoch begabteKind zu einem irritierenden Mangel an Antwortkommen kann, zu einer »Verweigerung der Tei-lung mentaler Zustände«, die lang dauernd nach-haltige Beeinträchtigungen hervorrufen kann.Eine solche Verweigerung der Teilung mentalerZustände bedeutet eine Verweigerung der Zuge-hörigkeit, eine Ausgrenzung, und spielt für dasEntstehen von Entwicklungsschwierigkeitenhoch begabter Kinder eine wesentliche Rolle.Spätere Verweigerungshaltungen der Kinder undJugendlichen scheinen oft erst eine Antwort zusein auf ihre Erfahrung der Verweigerung durchdie Umwelt.

Da Zugehörigkeit unabdingbar ist für ein ba-sales Sicherheitsgefühl im Leben, kann niemandganz darauf verzichten, erst recht nicht ein Kindmit noch ungefestigter Persönlichkeit. Daherversucht ein Kind die Bedingungen seiner Um-welt für Zugehörigkeit und Akzeptanz möglichstzu erfüllen, u. U. unter `Verzicht´ auf die Erfül-

lung anderer Bedürfnisse, wenn sie sich mit die-sem einen, dem Zugehörigkeitsbedürfnis, nichtmehr vereinbaren lassen. Es handelt sich jedochnicht um einen freiwilligen Verzicht, sondern umeine seelische Zwangslage, in der Angst bewäl-tigt werden muss. Diese Angst, meist unbewusst,entsteht durch den unlösbar erscheinenden Kon-flikt zweier Grundbedürfnisse des Selbst.

Für hoch begabte Kinder heißt dies, dass sieversuchen, ihre offenbar unwillkommene hoheBegabung zu verstecken, sie kleiner zu machenoder selbst nicht mehr wahrzunehmen. Auchdiese Vorgänge laufen nur partiell bewusst ab.Das Unterdrücken eines essenziellen Selbstan-teils kostet aber viel Kraft, die dann für die sons-tige Lebensbewältigung fehlt. Diesen Energie-verlust spüren Kinder, auch wenn sie ihn nichtanalysieren können. Sie entwickeln Symptome,die auf die innere Not hinweisen und typischsind für anhaltende Fehlforderungen. Auch hie-rin, mit ihrer Reaktion auf anhaltende Fehlforde-rungen, reagieren hoch begabte Kinder ganznormal.

Dies kann in verschiedenen Entwicklungs-phasen in familiären und außerfamiliären Bezie-hungssystemen auf verschiedene Weise sicht-bar werden.

312 / 13

Interaktionen zwischen

hoch begabtem

Kind und Umwelt

»Müssen wir, weil die Schildkröte

einen sicheren Gang hat, die Flügel

der Adler beschneiden?«

(Edgar Allan Poe, 1809 –1849)

In den Gesprächen mit Hilfe suchenden Elternund Kindern fällt immer wieder auf, dass auf denhoch begabten Kindern und Jugendlichen beisehr unterschiedlichen Biographien sehr ähnli-che behindernde Erfahrungen mit der sozialenUmwelt lasten. Behindernde Einstellungen undHaltungen der Umwelt zu ihrer hohen Begabungmüssen als ein wesentlicher Faktor angesehenwerden, wenn eine ausgeglichene Persönlich-keitsentwicklung hoch begabter Kinder gefähr-det ist. Auch wenn es andere Faktoren im Um-feld oder in den individuellen Möglichkeiten desKindes gibt, die für die Entstehung von Störun-gen wirksam sein können, darf die hohe geistigeBegabung nicht außer Acht gelassen werden.Sie muss in ihrer Bedeutung für die Entwick-lungsdynamik erkannt und in Lösungswege ein-bezogen werden.

3.1 Erfahrungen mit der Umwelt – drei Beispiele

3.1.1 Sabine

Sabine kommt mit ihrer Mutter in die Beratung,als sie erst vierdreiviertel Jahre alt ist. Sie ver-hält sich anfangs sehr schüchtern, hört aber auf-merksam zu und ergänzt oder kritisiert die Anga-ben ihrer Mutter hin und wieder. Die Mutterberichtet, Sabine sei seit einiger Zeit sehr stillgeworden, wirke bedrückt, schrecke nachts imSchlaf hoch und sähe oft traurig aus. Eigentlichhabe das schon kurz nach Beginn des Kindergar-

tenbesuchs begonnen und die Eltern hätten eszunächst nur auf die Umstellung zurückgeführt.Jetzt machten sie sich aber zunehmend Sorgen.Früher sei Sabine meistens lebhaft und ver-gnügt gewesen, habe sich so mit vielen Themenund Vorgängen beschäftigt, wie man es in ihremAlter noch nicht erwarten würde; mit großerAusdauer und voller Eifer habe sie sich Kennt-nisse über Buchstaben und Zahlen angeeignetund könne schon etwas schreiben und lesen. Sie sei auch sonst sehr verständig in allem, was ihr begegnet, würde schnell begreifen und küm-mere sich gern und umsichtig um die beiden jün-geren Geschwister, ohne dass die Eltern das er-warteten. Ihre vielen Fragen hätten ihre Elternihr immer beantwortet und sie in ihrem Wis-sensdurst und in ihrer Phantasie nicht gebremst.Das sei zwar von den Großeltern immer wie-der kritisiert worden, Sabine selbst habe abereine gute Beziehung zu den sonst sehr zuge-wandten Großeltern und nur gelacht, wenn siemeinten, Buchstaben könne sie doch noch garnicht verstehen: »Doch, kann ich, jetzt schreibich mal ›Oma‹«. Inzwischen habe sie aber anihren sonst geliebten Beschäftigungen immerweniger Interesse und gehe nur noch ungern inden Kindergarten. Gespräche mit den Erziehe-rinnen hätten zu keinem Ergebnis geführt, dortwürde Sabine als »liebes Mädchen« angesehen,es laufe alles unauffällig. Nachdem Konsultatio-nen beim Kinderarzt keinen Anhalt für eine kör-perliche Erkrankung ergeben hätten und vieleelterliche Versuche ihrer Tochter nicht wieder zuihrer alten Fröhlichkeit verhelfen konnten, woll-ten die Eltern nun der Frage nachgehen, ob dieVeränderung vielleicht mit einer besonders ho-hen Begabung zusammenhänge. Sie waren vomKinderarzt auf eine solche Möglichkeit aufmerk-sam gemacht worden und begannen, sich Vor-

Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

würfe zu machen, dass sie für eine glücklicheEntwicklung ihrer Tochter vielleicht etwas ver-säumt hätten.

Während der Konsultation geht Sabine auf-merksam auf Fragen und Angebote ein, ihreniedergeschlagene Stimmung hellt sich auf. Siehat eine sehr gewandte sprachliche Ausdrucks-weise, entdeckt den Solartaschenrechner in derSchreibunterlage und probiert ihn aus. Die em-pathische und offene Atmosphäre ermutigt sie;sie benennt alle Zahlen, die sie eintippt, und er-zählt, dass sie auch schon alle Buchstaben undihren Namen schreiben könne. Während desGesprächs mit ihrer Mutter über biographischeDetails schreibt und malt sie und schaltet sichspontan ein: »Aber im Kindergarten zeige ichdas nicht.«

Im Verlauf weiterer Gespräche wird deut-lich, dass Sabine im Kindergarten Zurückwei-sung erfuhr, als sie am Anfang ihr Interesse amSchreiben und Lesen bekundete. Nach Einschät-zung der Mutter sei dies wohl nicht unfreundlicherfolgt, aber mit der sehr unbeweglichen Hal-tung, dass das erst für Schulkinder das Richtigesei. Im Kindergarten solle gespielt werden.

Kommentar zu Sabine

Sabine passte sich äußerlich an, sie fügte sichals »liebes Mädchen«; innerlich aber litt sie un-ter dem Zwiespalt, den Besuch des Kindergar-tens als gut für sich auffassen zu sollen – wiees offenbar der Intention der Erwachsenen ent-sprach –, ihr ganz wesentliches Bedürfnis nachweiterer geistiger Entfaltung aber zurückhaltenzu müssen. Sie erfüllte die äußeren Erwartun-gen, während sie den Selbstanteil der alters-unüblichen Begabung zu verstecken begann.Obwohl ihre geistigen Interessen zu Hause nicht

behindert wurden und die Eltern liebevoll undaufmerksam mit ihr umgingen, hatte die Ein-schränkung im Kindergarten eine sehr hohe Be-deutung: Gerade ihre sozialen Fähigkeiten, ihreSensitivität für die Bedürfnisse und Grenzen deranderen führten zu einem Übergewicht einseiti-ger Anpassung an eine Gruppensituation, vonder doch alle offensichtlich eine Förderung er-warteten. Die Zurückdrängung ihrer geistigenFähigkeiten, deren Entfaltung zuvor Freude undpositives Selbstgefühl bedeutet hatten, führteallmählich zu depressiver Verstimmung mit Her-absetzung von Selbstwertgefühl und Lebens-freude. Während Sabine familiäre Belastungs-faktoren – eine hohe psychosoziale Anforderungdurch die aktuelle berufliche Aufgabe ihresVaters, die große Beanspruchung ihrer Mutterdurch die beiden jüngeren Geschwister, immerwieder einmal normierende Einflussnahme aufihre altersunübliche Wissbegierde durch dieGroßeltern – seelisch gut ausbalancieren konn-te, brachte die Einschränkung in der Gruppen-situation des Kindergartens sie ernsthaft ausdem Gleichgewicht. Sie hatte wie andere Kinderauch das Bedürfnis, dazuzugehören und sich sozeigen zu können, wie sie ist. Sie musste abererleben, dass sie ihre eigentliche Art, ihre Weltzu erfassen, nicht entfalten, ihren mentalenZustand in Bezug auf die Welt hier nicht teilendurfte. Da sie im Gegenteil Akzeptanz nur dannerfuhr, wenn sie sich selbst reduzierte auf dasMaß der anderen, der meisten, stellte sie mitgroßer Anstrengung ihr eigentliches Entfal-tungsbedürfnis hinter ihr Zugehörigkeitsbedürf-nis zurück und entwickelte eine Scheinlösung,die den erspürten Erwartungen ihrer Umweltentsprach: »Ich möchte es so machen wie alle.«Diese hohe Anpassungsbereitschaft und dasZurückhalten ihres Entfaltungsdranges kostete

14 / 15Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

so viel innere Kraft, dass ihre Vitalität darunterlitt. Es entsprach ihrem Naturell, mit »leisen«Symptomen die Last des Konflikts auf sich zunehmen, so dass im Kindergarten nicht wahrge-nommen wurde, wie sehr ihre Bedürfnisse zukurz kamen.

3.1.2 Till

Till war bei der Erstkonsultation erst knapp vierJahre alt; er war von seiner Mutter telefonischmit den Worten angemeldet worden, dass derKinderarzt meinte, Till sei wohl sehr begabt, siefände das aber gar nicht; Till fange nur schonmit Buchstaben und vor allem Zahlen etwas an,aber sonst sei alles ganz normal. In der Konsul-tation berichtet sie, dass Till eigentlich ein sehrlebhaftes Kind sei, er interessiere sich für ganzvieles und sei leicht ungeduldig, wenn er demnicht nachgehen könne; er sei aber konzentriertund ausdauernd in der Aneignung neuer Kennt-nisse und behalte alles gleich. Er mache sicheigene Gedanken über Nachrichten aus demWeltgeschehen, über das Leben der Menschenund über Vorgänge in der Natur und wolle schonrichtig darüber diskutieren. Das sei für die El-tern oft sehr anstrengend. Im Kindergarten be-vorzuge er lebhaftes Toben im Freigelände undeigenständiges Buddeln und Bauen, mit den Kin-dern aus seiner Gruppe mache er wenig. In derGruppensituation sei er zunehmend unange-passt, reagiere aggressiv mit körperlichen At-tacken auf andere Kinder, fange auch zu Hausean, die jüngere Schwester und die Eltern mittenaus dem Spiel heraus zu beißen oder zu kneifen.Den Eltern komme er, wenn sie darüber nach-dächten, doch ziemlich unglücklich vor; seit erden Kindergarten besuche, scheine er sich mitsich selbst nicht mehr auszukennen und unter

den starken Schwankungen seiner Stimmungauch zu leiden.

Während der Konsultation ist Till zunächstsehr beobachtend und abwartend, dann vollerDrang, sich mitzuteilen. Er greift geistige Anre-gungen begierig auf, teilt seine Einfälle dazumit. Aufforderungen, deren Sinn ihm nicht deut-lich werden, widersetzt er sich; zum Mitmachenist er bereit, wenn Sinn und Zweck ihm erläutertwurden.

In der Familie bestanden Begrenzungen fürTills lebhaftes Bedürfnis, sich mitzuteilen undNeues zu erfahren, durch eine hohe beruflicheBeanspruchung des Vaters mit wenig Zeit für dietäglichen Abläufe, durch die Veränderungen derFamiliensituation nach Geburt der Schwestermit Auslastung der Mutter durch die beidenlebhaften Kinder sowie eine ökonomische Ein-engung, seit die Mutter nicht mehr berufstätigwar. In der Erziehung ihrer Kinder waren dieEltern sich einig, dass Konflikte strikt ohne Ge-walt gelöst werden müssten. Angesichts derzunehmenden Aggressivität ihres Sohnes seien sie nun »mit ihrem Latein am Ende«.

Zum nächsten Gespräch wurde die Muttervon der Erzieherin aus Tills Kindergartengruppebegleitet, die sich schon Gedanken über ihn ge-macht hatte. Sie schilderte Tills Verhalten imKindergarten sehr achtsam und mit Interesse aneiner guten Lösung. Ihr sei aufgefallen, dass Tillin vielem unglaublich weit sei, er könne es mitLeichtigkeit mit den Kindern aufnehmen, diedemnächst in die Schule kämen, er sei bestimmtnicht ausgelastet. Unter den älteren Kindern seiein Mädchen, mit dem Till sich angefreundethabe; mit ihr spiele er auffallend ausgeglichenund phantasievoll, ihre Vorschläge könne erleicht akzeptieren, während er den Kindern ausseiner Gruppe zu weit voraus sei.

Im weiteren Verlauf wurden Tills unbefrie-digte Bedürfnisse nach geistiger Anregung imKindergarten aufgegriffen; er blieb integriert inseine Jahrgangsgruppe, wurde aber regelmäßigin Aktivitäten der Vorschulkinder einbezogen,und sein aggressives Verhalten verlor sich nachkurzer Zeit.

Eine Wiedervorstellung erfolgte drei Jahrespäter. Till war jetzt sieben Jahre alt und ging indie erste Klasse. Nach anfänglich großer Zufrie-denheit und Freude an der Schule gab es ernsteAnzeichen ähnlicher Unausgeglichenheit wiefrüher. Aus der Zwischenzeit wurde berichtet,dass Till trotz des Antrages der Eltern und derEmpfehlungen des Kindergartens und der Schul-ärztin nicht frühzeitig in die Grundschule aufge-nommen worden war. Er war am Stichtag nochnicht sechs Jahre alt gewesen und noch kleinerals die meisten anderen zukünftigen Erstklässler.Obwohl er die Untersuchung bei der Schulärztinund in der Schule gut gemeistert habe, habe dieSchulleiterin die frühe Einschulung abgelehntmit Hinweis auf zu erwartende Schwierigkeitenin der sozialen Anpassung, u. a. weil er körper-lich noch sehr klein sei. Die Einschulung einJahr später sei dann aus Sicht der Eltern längstüberfällig gewesen, und sie seien erleichtertgewesen, dass Till mit großer Freude seineSchulzeit angetreten habe. Auf Befragen erzähltTill, was ihm alles Spaß mache in der Schule –es sind das Pausengeschehen, das Miteinanderin der Klasse und das Beobachten der verschie-denen Lehrerverhaltensweisen. »Der Unterrichtist langweilig, da lern ich gar nichts.« Nach Aus-kunft der Klassenlehrerin sei Till in der Schulerelativ gut angepasst, er störe nicht, aber er zei-ge auch keinen Eifer, z. B. genauer schreiben zulernen. »Das mach ich, wenn es interessanterwird«, erklärt er während der Konsultation; hier

schreibt er auf Aufforderung zunächst lustlosund ungelenk seinen Namen, dann sehr viel kon-zentrierter und flüssiger Zahlen zwischen ein-hundert und tausend und ein Fremdwort, das erauf einem Buchdeckel entdeckt. Till inhaltlichherausforderndere Aufgaben zu geben, lehntedie Schule mit dem Hinweis ab, er müsse ersteinmal können, was jetzt für alle dran sei. Diesbedeute, sauber und ordentlich schreiben zuüben mit den üblichen Texten ohne herausfor-dernde Inhalte.

Kommentar zu Till

Till erlebte in seiner Familie eine akzeptierendeAtmosphäre und ausreichenden Freiraum fürseine altersunüblichen Bedürfnisse, ohne dassseine Eltern sich trotz seiner offensichtlichenFähigkeiten seiner außergewöhnlichen Bega-bung bewusst waren. Sie wollten gern, dassalles »normal« sei. Erst die Verhaltensschwie-rigkeiten nach Beginn der Kindergartenzeitmachten sie aufmerksam. Im Kindergarten er-lebte Till zu wenig Möglichkeiten für die Entfal-tung seiner geistigen Interessen in Gemein-schaft mit den anderen Kindern, was ihm aberimplizit durch Eltern und Erzieherinnen in Aus-sicht gestellt worden war: »Der Kindergarten istgut für dich, es gibt viele andere Kinder, mit de-nen zusammen du etwas machen kannst.« Tat-sächlich stellte er schnell fest, dass er bei kei-nem Kind aus seiner Gruppe auf die für ihn sowesentlichen Interessen ein Echo fand. »Dieanderen konnten noch nicht einmal richtig spre-chen, ich konnte mich nicht unterhalten.« Seinebesondere Art, die Welt zu erfassen, konnte ernicht teilen und geriet zunehmend unter Span-nung. Die von außen vermittelte Botschaft »Dasist gut für dich« und sein inneres Erleben »Das

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ist nicht gut für mich« waren nicht in Überein-stimmung zu bringen. Er erfand zunächst auseigener Kraft eine Lösung: seinen angestautenEntfaltungsdrang, sein Bedürfnis nach Bewe-gung für seinen Geist, verlagerte er auf körper-liche Aktivität und konnte durch Austoben imFreigelände und Umsetzen seiner Kreativität imBuddeln und Bauen für eine begrenzte Zeit imGleichgewicht bleiben. Auf Dauer war dies nichtmöglich, und seinem Temperament entspre-chend brach der innere Druck sich in aggressi-vem Verhalten Bahn. Der abrupte Wechsel zwi-schen guter Selbststeuerung und aggressivenDurchbrüchen drückte seinen Bedürfniskonfliktaus: Till wollte dazugehören und brachte einehohe Bereitschaft und Ausdauer mit, die Art deranderen mehr gelten zu lassen als sich selbst,konnte aber, als es immer enger wurde für seineSelbstbedürfnisse, manchmal »nur noch um sichbeißen«. Er litt darunter (»Es ist alles durchein-ander und ich will das gar nicht«), konnte esaber ohne Außenhilfe nicht mehr ändern. Einglücklicher Umstand für Till war, dass seine »lär-mende« aggressive Verhaltensänderung im Kin-dergarten nicht Abwehr und Disziplinierungs-maßnahmen hervorrief, sondern dass seineBedürfnisse erkannt und flexibel aufgegriffenwurden. So konnte er nach einer nur kurzen Zeitschwierigen Verhaltens – eines Verhaltens, dasleicht zu weiteren ausgrenzenden Reaktionender Umwelt führen kann – wieder ins Gleichge-wicht kommen und auch das für ihn eigentlichüberflüssige letzte Kindergartenjahr bis zur Ein-schulung gut bewältigen.

In der zuständigen Grundschule stießen El-tern und Kind dann auf Einstellungen und Struk-turen, die seinen besonderen Fähigkeiten undBedürfnissen von vornherein Abwehr entgegen-setzten: Die Einschulungsbestimmungen wurden

hinsichtlich seines Alters rigide gehandhabt,obwohl das Schulrecht andere Möglichkeitenzugelassen hätte; einseitig wurde der Blick aufmögliche künftige soziale Anpassungsschwie-rigkeiten gerichtet und nicht auf die Chance,einem besonders begabten Kind Entfaltungs-raum zu geben; es wurde ein körperliches Krite-rium überbewertet – kleiner als die anderen –das sich für viele Menschen ihr Leben lang nichtändert; dass auch in sog. Jahrgangsklassennicht alle Kinder gleich groß sind, dass Till aberkörperlich sehr drahtig war, wurde vernachlässigt.Tills Eltern erlebten all dies als Signal, dass sienicht viel von der Schule zu erwarten hätten,und konnten auch tatsächlich nichts gegen dieEntscheidung ausrichten.

Für Till war die Erkenntnis, dass er entgegenseinen Erwartungen und Bedürfnissen im Unter-richt gar nichts lernte, eine Enttäuschung, die erzunächst sehr eigenständig bewältigte. Er fand,ähnlich wie im Kindergarten, andere Ziele, aufdie er seine Lernenergie richten konnte: Er stürz-te sich ins Miteinander in der Klassengemein-schaft, wo er die verschiedenen Eigenheiten derKinder und ihre Beziehungen untereinander sehrgenau wahrnahm. Dies gelang ihm auch aufdem Schulhof. Hier traf er seine Kindergarten-freundin wieder und fand eine positive Spiege-lung, die ihn stützte; wieder konnte er seineGedankenwelt mit ihr teilen.

Im Unterricht konnte er seiner Langeweiledadurch entgehen, dass er das Lehrerverhaltenbeobachtete und dafür in Gedanken eine Eintei-lung erfand. Eine Zeitlang gelang es ihm, sosein Bedürfnis nach geistiger Herausforderungzu stillen. Die zu stark normierende Haltung derSchule und ihre Ablehnung, seinen Bedürfnissenauch ohne Einhaltung des üblichen Weges ent-gegenzukommen, erschöpfte jedoch allmählich

seine inneren und äußeren Möglichkeiten zumAusgleich, so dass es erneut zu Stimmungs-schwankungen mit Aggressivität kam. In derSchule, die er weiterhin mit der Aussicht aufLernen verband, konnte er sich noch ausreichendkontrollieren; die Grenze der Fehlforderung – inBezug auf Aufgabenstellung und Herausforderungwar es anhaltende Unterforderung, infolgedes-sen aber Überforderung durch Langeweile,durch Wartenmüssen, Frustration und Selbst-reduzierung – war jedoch erreicht und zeigtesich zu Hause, wo er sich des Rückhalts sichersein konnte.

3.1.3 Peter

Peter war 14 Jahre alt, als er mit seinen Elternzu einer ersten Konsultation kam. Die Eltern wa-ren voller Sorge und alarmiert durch Peters Ver-änderung: Er falle – körperlich sichtbar – immermehr in sich zusammen. In den letzten Wochensei er fast apathisch geworden, reagiere aufDrangsalierungen durch andere Jugendliche inder Schule und in der Nachbarschaft kaum noch,habe jede Lebensfreude verloren und wolle amliebsten tot sein. Peter sei früher ein sehr aus-geglichenes Kind gewesen; er sei durch eineschnelle Auffassungsgabe und große Ausdauerbei vielfältigen Interessen, sicheres Erfassensozialer Zusammenhänge, frühes und sehr diffe-renziertes Erlernen der Sprache und unglaublichschnelles und komplettes Lesenlernen in den ers-ten Wochen nach der Einschulung aufgefallen.Kurze Zeit später habe er die Lust an der Schuleverloren, sei unkonzentriert und unsicher gewor-den und habe Kopfschmerzen und Magenbe-schwerden bekommen. Es stellte sich heraus,dass er zunächst voller Lernfreude und Eifer sei-ne Kenntnisse in den Unterricht eingebracht hat-

te, damit aber das Konzept der Lehrerin durch-einander brachte und als »Störer« immer wiederwährend der Unterrichtsstunden vor der Klas-senzimmertür auf dem Flur stehen musste. DieIntervention seiner Eltern war ohne Erfolg. VonMitschülern wurde er als Streber gehänselt, aufdem Nachhauseweg verbal getriezt und körper-lich attackiert. Seine früheren Fähigkeiten undseine Freude daran drohten verloren zu gehen.Die Eltern hatten Rat gesucht in einer Institu-tion, die Erfahrung mit besonders begabten Kin-dern hatte. Die dort durchgeführte testpsycholo-gische Untersuchung ergab für Peters intellek-tuelle Fähigkeiten einen Prozentrang von über99. Die Eltern, beide in sozialen Berufen undauch in ihrer Gemeinde sozial sehr engagiert,scheuten sich jedoch, »besonders« zu sein undmit seiner Lehrerin über die außergewöhnlicheBegabung ihres Sohnes zu sprechen. Sie warenratlos, wie sie ihn an ihrem Heimatort außer-halb der Schule fördern könnten, und fürchtetenweitere Diskriminierung in der Nachbarschaft,in der Peter ohnehin schon isoliert war. Ein Zu-fall führte zu einem Lehrerwechsel. Die neueKlassenlehrerin wandte sich Peter mit Verständ-nis und Interesse zu, akzeptierte seinen großenVorsprung gegenüber den anderen in der Klasseund schritt bei Hänseleien ein. Peter blieb zwarin der Beziehung zu seiner Klasse vorsichtig, er-lebte aber die weiteren Grundschuljahre nichtmehr als Bedrängnis, sondern »nur ziemlichlangweilig«. Mit Übergang in die Orientierungs-stufe stellten sich Ausgrenzung und Triezereiendurch die Klassenmehrheit wieder ein. Peterversuchte den Vorschlägen seiner Eltern zu fol-gen und die Feindseligkeiten nicht zu beachtenund beschreibt dies im Nachhinein so: »Ichmusste meine Gefühle dabei auslöschen.« Seineschulischen Leistungen konnte er trotzdem auf

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einem sehr hohem Niveau halten, er fand aberdie Anforderungen zu gering und sehr langwei-lig. Seine soziale Situation besserte sich aufdem Gymnasium nur vorübergehend, als er sichfür kurze Zeit mit einem Mitschüler anfreundenkonnte. Dieser Mitschüler zog jedoch bald weg,die Drangsalierungen durch eine starke Gruppein der Klasse, geduldet von der Mehrheit, fingenwieder an, jetzt zwar kaum noch mit körper-lichen Attacken, aber durch Ausgrenzungen undHerabsetzungen, insbesondere wenn sichtbarwurde, dass er immer noch Interesse am Lernenund Leisten hatte. Peter erlebte, dass dieses Ver-halten der Klassenmehrheit von Seiten der Lehr-kräfte einseitig auf »seine mangelnden sozialenFähigkeiten« zurückgeführt wurde; er fühlte sichungeschützt und sehr verletzt durch Bemerkun-gen, er sei doch so intelligent, er müsse sich dochbehaupten können. Er begann an sich zu zwei-feln und zu glauben, es müsse etwas Schlim-mes an ihm sein, dass er so behandelt würde.Schließlich waren seine Kräfte erschöpft, seineLeistungen in der Schule ließen nach, er hattejede Aufmerksamkeit und Lernmotivation verlo-ren, verfiel in Apathie und zog Schultern undKopf immer mehr ein, als müsse er sich ducken.Seine Eltern hatten vergeblich Gespräche mitden Lehrkräften geführt, fürchteten weitereNachteile für Peter, wenn sie sich noch stärkerfür ihn einsetzten, und suchten Hilfe außerhalbder Schule.

Kommentar zu Peter

Peter hatte unbefangen seine Freude am Lernenund Leisten zunächst auch in der Schule gezeigt.Dies hatte ihm die Entwertung als Streber inseiner Klasse eingebracht, Hänseleien undDrangsalierungen durch Mitschüler waren bald

an der Tagesordnung, ohne dass die Lehrerindiesem Ausstoßungsprozess der Gruppe ent-gegenwirkte. Im Gegenteil musste sich die Klas-se noch in ihrer Haltung bestätigt sehen durchdas herabsetzende Disziplinieren von Peter, des-sen Fähigkeiten nicht gewürdigt und einbezogenwurden, sondern zur Ausgrenzung aus der Ge-meinschaft führten. Als sein Leiden an dieserSituation durch Schulunlust, psychosomatischeBeschwerden und Verlust der Lebensfreudesichtbar wurde, suchten seine Eltern Beratungaußerhalb der Schule, nachdem sie zuvor vonder Lehrerin mit ihrem Schutzbegehren für Peterabgelehnt worden waren. Mit dem Ergebnis –einer brillanten Begabung ihres Kindes – bliebensie jedoch allein. Ihr eigenes starkes sozialesEngagement hinderte sie nun daran, »Peter her-auszustellen«, obwohl sie die Haltung der Lehre-rin und die Aggressionen in der Klasse gegenihn als großes Unrecht empfanden. Sie konntennicht offensiv für die Beachtung von Peters Be-gabung und seine Förderung in der Klassenge-meinschaft eintreten, sondern fürchteten eherweitere Herabsetzungen für ihn in der Schuleund für die ganze Familie in Nachbarschaft undFreundeskreis. Hier hatten sie es ohnehin schonaufgegeben, über Peters Begabung zu sprechen;sie hatten Neid gespürt und die missgünstigeUnterstellung erlebt, sie würden Peter auf be-sondere Leistungen trimmen. Peter versuchtewie seine Eltern, durch Stillhalten einigermaßendie quälende Situation auch in den weiterenSchuljahren zu überstehen. In dem Konflikt zwi-schen Zugehörigkeitsbedürfnis und Entfaltungs-bedürfnis verzichtete sein Selbst auf Zugehörig-keit. Dabei fand er eine seelische Notlösung,mit der er das schmerzliche Erleben nicht mehrwahrnehmen musste: seine »Gefühle auslöschen«.Eine Zeitlang konnte er so wenigstens den An-

teil seiner Persönlichkeit behaupten, der ihmüber gute Schulnoten ein Minimum an Anerken-nung gab: seine intellektuelle Begabung. Dassdies die ganzheitliche Entwicklung seiner geisti-gen, emotionalen und leiblichen Bedürfnisse be-drohte, wurde so lange nicht von außen wahrge-nommen, wie er gute Schulleistungen erbrachte.Im Gegenteil erlebte er, dass in der Schule seineIntelligenz noch zur Herabsetzung im sozialenKonflikt benutzt wurde (»Du bist doch so intelli-gent, du musst dich doch durchsetzen«), so dasser sich auch damit schließlich als unzureichend,als schlimm und schlecht und ohne Wert erleb-te. Die Erschöpfung seiner Kompensationskräftezeigte sich in Verlust der Lebensfreude und inLeistungsabfall, seine Körperhaltung signalisier-te, welche Last und Bedrohung auf ihm lag undwie lebensmüde er geworden war.

3.2 Entwicklungsknick durch Schule?

In unserer Gesellschaft gibt es keine andere ge-setzliche Verpflichtung, die Zeitstruktur, Inhalte,soziales Umfeld und Zukunftsperspektiven desEinzelnen vergleichbar lange und so zwingendbestimmt wie die Schulpflicht. Die Errungen-schaften der öffentlichen Schule – grundlegen-des Lernen und Bildung für alle Kinder, weitge-hend unabhängig von Informationsmöglichkeitenund ökonomischer Lage ihrer Eltern – könnensich für einen Teil der hoch begabten Kinder undJugendlichen umkehren in eine Beengung ihresweit- und schnellschrittig vorwärts strebendenGeistes. Sie können sogar ganz verloren gehen,wenn hoch begabte Kinder und Jugendliche inder Schule – weitgehend zufallsabhängig – aufStrukuren und Personen stoßen, die in viel zu

hohem Maße ihre besonderen Lernbedürfnissenicht achten und nicht beantworten. Die Erfah-rung aus Beratung und Psychotherapie zeigt,dass das Hinwirken auf eine Veränderung im Er-leben und Verhalten des einzelnen Kindes oderJugendlichen und seiner Eltern einer Sisyphos-Arbeit gleichen kann, wenn Wesentliches an derschulischen Situation, in die sie tagtäglich zu-rückkehren müssen, unverändert bleibt. Dahergerät die Schule bei Fragestellungen zu Entwick-lungsschwierigkeiten hoch begabter Kinder undJugendlicher ganz besonders ins Blickfeld.

Verläufe von Entwicklungsjahren hoch be-gabter Kinder ähnlich denen von Peter, Sabineund Till ließen sich in großer Zahl aneinanderreihen. Trotz unterschiedlicher familiärer Situa-tion, Biographie und Persönlichkeitsstruktur desKindes wird so häufig und in fast identischerWeise von Eltern und Kind der Beginn der Schul-zeit als Weichenstellung für einen Entwicklungs-knick erlebt, dass dies als Hinweis auf ursäch-liche Zusammenhänge genommen werden muß.Die immer wieder zu beobachtenden Schwierig-keiten dürfen daher nicht als ein rein individu-elles Problem des hoch begabten Kindes undseiner Familie angesehen werden, die Rahmen-bedingungen und Strukturen des Sozialisations-raumes Schule und Einstellungen der darin wir-kenden Personen sind vielmehr ganz wesentlichdaran beteiligt.

Zwar sind die frühen Prägungen im primärenUmfeld der Familie von grundlegender Bedeu-tung für die Art und Weise, in der Kinder undJugendliche spätere Lebensabschnitte bewälti-gen. Ihre Persönlichkeitsentwicklung ist mitBeginn der Schulzeit jedoch noch längst nichtabgeschlossen, sondern weiter im Werden. IhrSelbstwertgefühl, ihr Selbstkonzept und ihr Ver-halten sind daher in den vielen folgenden Jah-

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ren ihres Heranwachsens sehr abhängig auchvom schulischen Umfeld.

Schon im Kindergarten kann es ähnliche Er-fahrungen geben wie in der Schule – eine Grup-pe mit Zufallszusammensetzung, eine Institutionmit pädagogischer Kompetenz, aber mangelndenKenntnissen über die Minderheit der hoch be-gabten Kinder – jedoch in weniger machtvollerBedeutung. Im Kindergarten ist prinzipiell nocheine Freiwilligkeit gegeben, Eltern und Kinderwissen das, notfalls muss man da ja nicht hin.

In die Schule aber muss man. Es gibt nachunseren Gesetzen keine Alternative für die be-sonders prägenden Kinder- und Jugendjahre,kein Entkommen, auch wenn die Schule quält,für Eltern wenig Handlungsspielräume und keinegrundsätzliche Entscheidungsfreiheit, auchwenn sie ihr Kind durch die Schulsituation nach-haltig geschädigt sehen. Die Schule als mächti-ge staatliche Institution mit Zugriff auf alle Kin-der für viele Jahre ist neben der Familie daswichtigste und ein unausweichliches Sozialisa-tionsfeld in den Entwicklungsjahren. Geradedadurch haben ihre Strukturen und ihr sozialesKlima ein unvergleichbar großes Gewicht inihren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche.Dies macht hohe Erwartungen von Eltern anbesondere Sorgfalt und Kompetenz der Schuleverständlich. Der Zwang zum jahrelangen Ab-sitzen von Zeit (»… sinnlos, ich musste mich injeder Stunde zügeln und weit unter meinenMöglichkeiten bleiben«, Markus, 17 J.) kann inhoch begabten Kindern und Jugendlichen Ohn-machtsgefühle auslösen, die bis zur inneren und äußeren Abkehr von Schule und Gesell-schaft führen können. Vertrauen, dass die Schul-pflicht auch eine Pflicht der Schule zur Förde-rung der Verpflichteten einschließe, kann völligschwinden.

Die weitreichende Verantwortung der Schu-le und die Dynamik, die die Haltung zu einemeinzelnen Kind für die ganze Gruppe entfaltet,wird im Beispiel von Peter deutlich: Die Klas-senlehrerin der ersten Schuljahre verleugnetedie individuellen Bedürfnisse eines Kindes, des-sen besondere Fähigkeiten sie störend erlebte.Sie reagierte mit Disziplinierungsmaßnahmen,wo Einfühlung und Lernbereitschaft ihrerseitserforderlich gewesen wären. Es ist vorstellbar,dass sie durch ein Kind wie Peter verunsichertwar, und dass eine so außerordentliche geistigeKapazität eines so jungen Kindes Angst aus-löste – auch Eltern, die sich sehr bemühen, ihrhoch begabtes Kind zu verstehen, beschreiben,dass ihnen die hohe Begabung manchmal Angstmache. Mit der Maßnahme, Peter wiederholt imUnterricht vor die Tür zu schicken, wenn seineaußergewöhnlichen Kenntnisse und Denkweisenihr Konzept störten, vermittelte sie über das äu-ßere Geschehen hinaus an Peter und die Klassenoch andere Botschaften. An Peter: »Deine Ga-ben sind hier unerwünscht/Dich wollen wir hiernicht haben.« An die Klasse: »Wer anders ist,fliegt raus/Jemanden wie Peter kann man ruhigausgrenzen.« Sie unterstützte damit den Aussto-ßungsprozess, der in der Klasse begonnen hatte.Die Klasse hätte in dem destruktiven Gruppen-geschehen ebenso Hilfe gebraucht wie Peter,um einen wichtigen Wert unserer Gesellschaft,den Schutz für Minderheiten, zu lernen und zuintegrieren statt auszugrenzen. Die Chance, indiesem Konflikt einen konstruktiven Lernprozessfür alle Beteiligten in Gang zu setzen, wurdenicht genutzt. Es wurde im Gegenteil der Weg indestruktive Interaktionen mit gebahnt, die sichschließlich verselbständigten: Die Hänseleienverletzten Peter; sein Versuch, sie als nicht sobedeutend zu erleben, führte zur Eskalation bis

zum regelrechten Bullying (aus dem Englischen»to bully« = schikanieren, drangsalieren; ent-spricht dem Mobbing im Beruf). Vor all denschmerzlichen Empfindungen konnte er sichschließlich nur noch retten, indem er seine »Ge-fühle auslöschte«. Bei einem solchen Vorgangdringt die eigentliche seelische Not oft nichtnach außen; es kann jedoch zu Verhaltenswei-sen kommen, die als arrogant ausgelegt werdenoder störrisch oder bizarr erscheinen. Ähnlichesgeschah bei Peter, dessen angst- und schmerz-abwehrendes Verhalten der Klasse neuen An-lass bot, ihn zu drangsalieren. Es entstand einTeufelskreis. Wenn dies im SozialisationsraumSchule geschieht, brauchen beide Seiten Hilfe:der Einzelne und die Gruppe. Die Verantwortungdafür liegt bei den Erwachsenen und der Institu-tion Schule, zu deren Auftrag auch die Förde-rung der Persönlichkeitsentwicklung und der so-zialen Verantwortung gehört.

3.3 Ausgrenzung und Entwertung

Unabhängig von den individuellen Umständenzieht sich durch die Berichte fast aller Ratsu-chenden die Erfahrung von Ausgrenzung undEntwertung.

Eine Entwertungstendenz liegt oft einfachals Nichtbeachten vielen Haltungen und Ein-stellungen der Umwelt gegenüber den Bedürf-nissen oder schon allein gegenüber der bloßenExistenz eines hoch begabten Kindes zugrunde,auch wenn dies nicht immer beabsichtigt wird.Gerade hoch begabte Kinder und Jugendlichemit hoher Sensitivität für ihr Umfeld spüren diesdennoch und reagieren darauf, auch wenn eineEntwertung nur sehr subtil verläuft. Nach außen

fällt häufig erst eine starke Reaktion auf, mitder sich hoch begabte Kinder und Jugendlicheschließlich zur Wehr setzen, wie es bei Sabine,Till und Peter der Fall war. Wenn die zuvor vonaußen erfolgten schädigenden Einwirkungendurch andere nicht wahrgenommen werden,wird die Reaktion leicht allein vermeintlichenindividuellen und interpersonalen Defiziten deshoch begabten Kindes oder Jugendlichen zuge-schrieben. Sehr häufig wird ein angeblichesHinterherhinken des Sozialverhaltens als Ursa-che für Schwierigkeiten herangezogen, ohne dassdefiniert ist, was im Einzelnen unter adäquatemSozialverhalten verstanden wird. BestimmteVerhaltensweisen, die oft erst als Reaktion aufmangelnde Entfaltungsmöglichkeiten auftreten,werden als individuell unzureichendes Sozialver-halten bezeichnet und immer wieder zur Begrün-dung benutzt, wenn schulische Fördermaßnah-men wie frühe Einschulung, Überspringen einerKlasse, Teilnahme am Unterricht höherer Klassen,besondere Aufgabenstellungen o. Ä. aus eherallgemein ablehnender Haltung versagt werden:»Wir wollen keine Privilegien schaffen«; »Damithaben wir keine Erfahrungen«; »Er/Sie musssich auch erst mal anpassen«.

In der psychotherapeutischen Explorationmit intensivem Einlassen auf die Persönlichkeitdes Kindes stellt sich das Geschehen häufigsehr viel anders dar. Viele Kinder und Jugendli-che haben eine Kette ausgrenzender Reaktionendurch die Mehrheit in sozialen Guppen erlebt.Sie durchschauen oftmals die Mechanismen vonEntwertung oder Unterwerfungsverlangen undhaben den Entschluss gefasst, dass es unterdiesen Umständen klüger sei, sich herauszuhal-ten. Gibt es jedoch rechtzeitig, bevor das Sich-heraushalten eine Grundhaltung wird, Möglich-keiten, in einer Gruppe Offenheit und positive

22 / 23Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

Antwort auf sich zu erleben, können hoch be-gabte Kinder und Jugendliche sich mit ihren Fä-higkeiten einbringen und ein innengesteuertes,andere respektierendes soziales Verhalten zei-gen, das keine Reglementierung von außenbraucht.

Zum Rückzug können entwertende Haltun-gen schon in der Familie führen, wenn Eltern mitder Herausforderung durch ein hoch begabtesKind überfordert sind und Wissbegierde, Fragenund Eigenständigkeit ihres Kindes zu rasch ab-wehren – durch Nichtbeachten, durch abweh-rende Gestik und Mimik, durch Wegnehmen vonBüchern oder Gegenständen, mit denen sich dasKind nach ihrer Vorstellung (noch) nicht beschäf-tigen sollte, durch Ironisieren der ernsthaftenInteressen des Kindes oder durch strikte Vor-schriften mit Abschneiden eigentlicher Bedürf-nisse: »Er wollte schon Buchstaben und Zahlenlernen, aber wir haben das verhindert; er solltelieber klettern.«

Hier kommt zwar eine gute Absicht derEltern hinsichtlich der motorischen Entwicklungund Erfahrung ihres Kindes zum Ausdruck. Esschwingt jedoch auch eine unausgesprocheneBotschaft mit: »Du sollst die Bedürfnisse, die duhast, nicht haben/Du sollst nicht so sein, wie du bist«, die in dem Kind eine große Verunsiche-rung seines Selbstgefühls auslösen kann.

Andere typische Entwertungen, oftmals ausdem nahen Umfeld der Familie, von Verwandten,Nachbarn oder Freunden geäußert, sind z. B. eineabtuende Haltung oder die Bemerkung »So einaltkluges Kind«, wenn ein Kind sich sprachlichausdrückt wie ein gebildeter Erwachsener. Eskönnen auch andere Kommentare sein, die sichmissbilligend auf Fähigkeiten des Kindes bezie-hen, die als nicht altersangemessen beurteiltwerden. Entwertend kann vom Kind auch der

Druck erlebt werden, sich gruppenkonform zuverhalten, wenn dabei die eigenen Bedürfnissezu weitgehend aufgegeben werden müssen.

Rückzug und Missbilligung im Ausdruck vonErwachsenen können dem Kind die Botschaftvermitteln, es sei so nicht richtig. Eine ähnlicheWirkung kann der befremdete Ausdruck im Ge-sicht eines anderen Kindes haben, dem sich dashoch begabte Kind in zunächst unbefangenemMitteilungsbedürfnis nähert. Ein Dreijährigerberichtete enttäuscht von Kontaktversuchen imKindergarten: »Ich habe von Ionen erzählt, aberdie anderen wollen davon nichts wissen und sa-gen, ich bin doof, Ionen gibt es gar nicht.« DasSelbstverständnis, mit dem gleichaltrige Kinderdas zu Fremde abwehren, wenn sie die angebo-tene Mitteilung noch nicht verstehen, kann beidem hoch begabten Kind Unsicherheit auslösen,ob es selbst »richtig« ist. Erlebt ein Kind solcheReaktionen sehr häufig, aber zu wenig positiveSpiegelung, kann dies tief gehende Verunsiche-rung auslösen. Die Erfahrung, im Ausdruck desGegenübers immer wieder Befremden als Ant-wort auf sich zu sehen, kann zu Fremdheit sichselbst gegenüber führen.

Eine Studentin beschreibt dies rückblickend:»Ich habe immer geglaubt, ich sei verkehrt, weil… die anderen waren immer in der Mehrheit.«

Eine Lehrerin, die sich Gedanken über einachtjähriges Kind ihrer Klasse machte, drücktees so aus: »Seine Sprache passt zu Erwachse-nen, die finden das aber altklug, seine Gestaltpasst zu Kindern, die aber seine Ausdruckswei-se noch nicht verstehen – so kann er nirgendsrichtig landen.«

Um dazuzugehören und nicht das quälendeGefühl des Fremd- und Verkehrtseins spüren zumüssen, halten manche hoch begabten Kinderihre eigentlichen Entfaltungsbedürfnisse und ihr

Denkvermögen schließlich so sehr aus ihremVerhalten nach außen heraus, dass ihre Bega-bung nicht mehr leicht erkennbar ist. Ob undwann dies geschieht, hängt in hohem Maße vonder individuellen Sensitivität ab, die z. B. beiSabine groß war, und von der Summe undSchwere der vorausgegangenen entwertenden und ausgrenzenden Erfahrungen sowie von kom-pensatorischen Kräften in der Familie und demweiteren sozialen Umfeld des Kindes oderJugendlichen.

Forderungen, sich zurückzunehmen, geradein den ersten Schuljahren, in denen die Lehrerinoder der Lehrer für Kinder zum wichtigstenMaßstab wird, können einen nachhaltigen Ein-fluss auf die gesamte Schulzeit des Kindes ha-ben. Solche Forderungen können ausdrücklicherfolgen oder indirekt durch die Art der Unter-richtsgestaltung: Das Sichmelden übersehen;sehen, aber nicht drannehmen; »Ich weiß, dassdu‘s kannst, aber dich nehm ich nicht mehrdran«; »Du musst auch mal warten«; »Du musstdich auch mal anpassen!«. Für ein hoch begab-tes Kind, das mit Freude lernt und dies auchzeigen will, können solche Signale sehr verlet-zend sein, denn es wartet ja nicht »mal«, son-dern schon dauernd darauf, dass sein Geist her-ausgefordert wird. Ein hoch begabtes Kind oderhoch begabter Jugendlicher passt sich nicht»mal« an, sondern muss in seiner Vereinzelungs-situation oft schon von klein auf im sozialenUmfeld eine weit höhere Frustrationstoleranzleisten als die Mehrheit, für die viel öfter vielesbesser »passt«.

Diese Einstellungen, die an der Lebensrea-lität hoch begabter Kinder und Jugendlicher oftweit vorbeigehen, können umso mehr gegen dieeigene Person gerichtet erlebt werden, als einhoch begabtes Kind in einer durchschnittlich

großen Schulklasse ohnehin vereinzelt ist undseine Erfahrungen oft mit niemandem teilenkann. »Mich wollen sie alle nicht.« Hoch begab-te Kinder sind in Gefahr, schon sehr früh in ihrerSchulzeit einsam zu werden.

Auch gut gemeinte Lehrersignale könneneine ausgrenzende Doppelbotschaft enthalten:Ein hoch begabtes Kind, das der Klasse weitvoraus ist, bekommt seinen Fähigkeiten ent-sprechend besondere Aufgaben und darf – odermuss? – für sich allein arbeiten, während dieKlasse übt. Wiederholt sich dies häufig und wird die Arbeit des Kindes nicht wieder in denUnterricht einbezogen, wird die positive Bot-schaft »Du bist schon so gut, du bekommstschon mehr« überdeckt von einer negativen: »Du bist zu gut, halt dich raus«. Wenn dieseBotschaft schließlich in das Verhalten des Kin-des Eingang gefunden hat – es hält sich heraus– löst diese Anpassungsleistung statt Aner-kennung nun wiederum Verhaltenskritik von Sei-ten des Lehrers aus: »Du könntest dich mehrbeteiligen«, und neue Versagungen: »Wenn dunicht zeigst, dass du so gut bist, kann ich auchnichts für dich tun.« Aus der Sicht des Kindesoder Jugendlichen wird jetzt, oft Jahre nach derprägenden Grundschulzeit, die Befolgung derersten Forderung, die bereits die eigentlichenLernbedürfnisse zurückwies, zum Anlass, dassseine Sehnsucht nach Herausforderung und Zu-gelassensein erneut zurückgewiesen wird. Die-se Zusammenhänge werden von Lehrern derspäteren Klassen oft nicht verstanden, es wirdnur der momentane Ausschnitt gesehen und dieLast des Konflikts erneut einseitig dem hochbegabten Kind oder Jugendlichen aufgebürdet.Wieder liegt es »nur« an ihm: »Du brauchst dochnur zu zeigen, was du kannst.« Die Kinder undJugendlichen können ihr Inneres jedoch nicht

24 / 25Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

einfach nur mechanisch umschalten, nachdemihnen lange, oft jahrelang, verwehrt wurde, sichzu zeigen. Es geht erst recht nicht, wenn aus-grenzende und widersprüchliche BotschaftenVertrauen erschüttert und Erfahrung verhinderthaben.

Neben den ausgrenzenden Signalen werdenauch geradezu feindselige berichtet: Hoch be-gabte Schülerinnen und Schüler werden gezieltvor der Klasse herabgesetzt, sie werden zumSündenbock, Fehler werden überbewertet undgegen ihre gesamte Person gekehrt: »Du sollstdoch so intelligent sein …«, ihre intellektuellenFähigkeiten werden funktionalisiert und gleich-zeitig ironisiert und entwertet – es entstehendesintegrierende Doppelbotschaften. Die Bega-bung wird so von den ganzheitlichen Bedürfnis-sen ihres Selbst abgetrennt.

Es fällt auf, dass ein »Sich-weg-machen«gehäuft bei hoch begabten Schülerinnen undSchülern in der 5./6. Klasse auftritt, in denspäteren Jahren der Latenzzeit. Diese Kinderzeigen ernste Anzeichen von Resignation in einerEntwicklungsphase, in der Freude am Zuwachsintellektueller Fähigkeiten und das Sichmessenin der Gruppe als wesentlich für die Persön-lichkeitsentwicklung gelten. Sie zügeln dieseBedürfnisse bis zur Unkenntlichkeit, nachdemsie schon so viel Vergeblichkeit – auch vergeb-liches Warten – leisten mussten.

Die Latenzzeit, etwa vom 7. bis 12. Lebens-jahr, ist gekennzeichnet durch »… eine großespontane Lernfreude sowohl in intellektuellerals auch in sportlicher Hinsicht und … eine op-timistische Grundhaltung« (Horn, G.: Kindheitund Phantasie, Entwicklungsphasen im Spiegelinnerer Bilder, Pabst Science Publishers 1998, S. 270). »Die Weisheit des Grundplanes fügt esso, dass das Kind zu keiner sonstigen Zeit derar-

tig bereit ist, schnell und begierig zu lernen,groß zu werden im Sinne der Übernahme vonVerpflichtungen, Disziplin und Leistung, als amEnde der Periode der expansiven Phantasie«(Erikson, E. H.: Jugend und Krise, 1981, S. 125,zitiert nach Horn, wie oben).

In krassem Gegensatz dazu steht es, wennhoch begabte Kinder ihre Lernbegierde, Selbst-steuerung und Leistungsbereitschaft geradezuzum Verschwinden bringen. Das Gravierendedieses Verhaltens konträr zu gesunden Entwick-lungsimpulsen wirft ein Licht darauf, welch ho-her Druck auf der Seele dieser begabten Kinderlastet.

Verhalten und Äußerungen hoch begabterKinder und Jugendlicher zeigen, wie konflikt-haft mit der Zeit die eigenen hervorragendenGaben besetzt sein können:Einige schreiben mit Absicht schlechte Noten,um zu sein wie die anderen.

Andere übernehmen die sie einengendenStrukturen und Vorgänge im Unterricht als rich-tig, obwohl sie ihnen fast »die Luft abschnüren«.Sie rechtfertigen auch grobe Herabsetzungenund sind schließlich gewillt, zufrieden zu seinmit Mittelmäßigkeit oder sich schon privilegiertzu fühlen, wenn die Schule ihnen auch nur diekleinste Herausforderung gibt.

Ein Fünftklässler erlebte, wie in der Klassedurch Bullying, ähnlich wie bei Peter, ein ande-res hoch begabtes Kind in die Enge getriebenwurde, und wollte mit seiner Leistungsfreudenicht mehr sichtbar werden: »Wenn ich jetzteine Eins schreibe, freue ich mich nur ganz lei-se, sonst sagen die anderen Streber zu mir.«

Ein anderer Neunjähriger war nicht mehr imEinklang mit seiner ursprünglichen Lern- undLeistungsfreude, konnte dem Konformitätsdrucknicht mehr standhalten und wandte den Druck

gegen sich selbst: »Ich hasse mich, weil ich esnicht schaffe, so zu sein wie die anderen.«

Auch eine erst Achtjährige konnte ihre Be-gabung nicht mehr als etwas Positives erleben,auch sie hatte viel Missgunst und Ausgrenzungerfahren und zog einen sich selbst ablehnendenSchluss: »Ich will nicht schlau sein, alles gehtkaputt.«

Mädchen neigen in größerer Zahl zum Rück-zug als Jungen, die eher in aggressiverer Formauf ihre Notlage aufmerksam machen. Mädchenreagieren häufiger angepasster und werden als»lieb« angesehen wie Sabine. Ihr Anteil unter denKonsultationen im Schulalter machte nur ein Vier-tel bis ein Drittel der betroffenen Kinder und Ju-gendlichen aus, während die Jungen bei weitemin der Mehrzahl waren. Unter den Kindern, derenEltern es bei einer telefonischen Beratung bewen-den ließen oder einen bereits vereinbarten Kon-sultationstermin wieder absagten, überwogendagegen die Mädchen, die Relation Mädchen zuJungen kehrte sich etwa um. Dies wirft die Frageauf, ob auch die Eltern der Mädchen am liebstenwollten, dass ihre Töchter »nicht schlau« wären.Unter den hoch begabten jungen Erwachsenen,die für sich selbst therapeutische Hilfe suchten,hatte sich die Relation ebenfalls umgekehrt, diejungen Frauen waren in der Überzahl. Es erscheintnotwendig, rechtzeitig mehr Aufmerksamkeit undFörderung gezielt für hoch begabte Mädchen be-reitzuhalten, damit nicht u. U. ihre jahrelangeduldende Überanpassung den Weg in konfliktbe-dingte Leiden junger Frauen bahnt.

Drei hoch begabte Studentinnen im Rückblick

»Ich war immer eine gute Schülerin, begriffschnell, aber die Schule war wie ein Klotz am

Bein, es ging nicht tief genug; ich hatte andereGedanken, aber es war nie jemand da, mit demich das hätte teilen können.«

»Ich habe mich dabei sozusagen wegge-schlossen, um etwas möglichst unbeschadetüber mich ergehen zu lassen und möglichst we-nig verletzt zu werden; ich fühlte mich wie tot,verkrampft, versteinert – diese Gefühle habe ichaber nicht so bewusst wahrgenommen bzw.habe ich versucht, sie zu ignorieren, also michnoch mehr ›wegzupacken‹, ›auszuschalten‹«.

»In der vierten Klasse fing es an, ich habemich die ganze Schulzeit unwohl gefühlt, aberdas hat niemand richtig ernst genommen … ichhab immer gewünscht, es muss doch jemandgeben wie mich.«

3.4 Strukturen und Verhaltens-muster des Umfeldes

Wie bei anderen Kindern haben Strukturen undVerhaltensmuster von Personen in ihrem UmfeldEinfluss auch auf die Entwicklung hoch begabterKinder.

Die Vereinzelung für hoch begabte Kinderwird durch die gesellschaftliche Entwicklung hinzur Kleinfamilie mit relativ wenigen Kindern inder Wohnumgebung von Familien verstärkt. Jeweniger Kinder insgesamt da sind, desto un-wahrscheinlicher wird es, dass ein hoch begab-tes Kind in seiner natürlichen Umgebung auf einanderes ähnliches Kind trifft, das seine Bedürf-nisse erwidert. Hoch begabte Kinder und Ju-gendliche müssen daher schon in jungen Jahreneine Vorstellung entwickeln, große räumlicheund zeitliche Distanz zu Menschen zu überbrü-cken, denen sie innerlich nah sein können, mitdenen sie ihr Erleben der Welt teilen und im

26 / 27Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

Miteinander ein Empfinden festigen können,dass es in Ordnung ist, so zu sein wie sie.

Tief beglückende, selbstwertstärkende Erfah-rungen im Miteinander, »jemanden wie mich« zu treffen, hatten die Rat suchenden hoch begab-ten Kinder und Jugendlichen jahrelang fast nuraußerschulisch machen können. Dabei ist derZugang zu einem der wenigen Förderkurse imRahmen des öffentlichen Bildungswesens meistnur für Jugendliche möglich, die ihre hohe Bega-bung im Schulalltag gut zeigen können. Jüngerehoch begabte Kinder und `underachiever´ (Schü-lerinnen und Schüler, deren mäßige oderschlechte schulische Leistungen ihr Potenzialnicht widerspiegeln) finden eine solche Grup-penerfahrung fast nur über Selbsthilfeorganisa-tion von Eltern. Erlebt man Kinder und Jugendli-che in solchen Kursen, kann man wahrnehmen,wie sehr sie das Miteinander ohne Zügelungs-und Verstellungsdruck, die Sicherheit, sich un-eingeschränkt mit all ihren besonderen geisti-gen Gaben und Interessen zeigen zu dürfen, ohneauf Befremden oder Abwehr zu stoßen, stimu-liert und verändert. Gemeinschaftliches Lernenauf hohem Niveau bedeutet lustvolle und ganz-heitliche Entfaltung ihres Selbst, ernsthaft undspielerisch zugleich. Eltern berichten, dass ihreKinder davon oft wochen- und monatelang zehrenund die Normierung und Frustration im Schulall-tag wieder besser verkraften können.

In der Alltagsumgebung fehlt diese Erfah-rung für hoch begabte Kinder und Jugendliche inzu hohem Maße. Hoch begabte Erwachsene,auch wenn sie in Kindheit und Jugend nie durchEntwicklungsschwierigkeiten aufgefallen waren,beschreiben die schmerzliche Entbehrung: »Ichhab immer den Wunsch gehabt, dazuzugehören,aber ich fand früher schon immer, wenn mananders war als die anderen, hatte man keine

Freunde, aber wenn man sich anpasste, war esso langweilig. Selbst hatte ich oft das Gefühl,für die anderen gar nicht vorzukommen.« – »Ichhab dann viel außerhalb der Schule gemacht –die Schule lief eher so nebenher.«

Die Erfahrung, »vorzukommen« und den ei-genen Bedürfnissen gemäß mit anderen zusam-men lernen zu dürfen, darf nicht allein dem außer-schulischen Raum überlassen bleiben. Eltern, dieeine Förderung ihrer Kinder in der Schule einfor-dern, hören immer wieder und zu rasch von Leh-rerinnen und Lehrern oder Vertretern von Schul-behörden eine Empfehlung, die berechtigte Er-wartungen an die Schule den Eltern und Kindernzurückgibt. Verantwortung wird abgeschoben:»Tun Sie doch etwas für sie/ihn am Nachmittag!«

Es gibt jedoch kaum gesellschaftlich aner-kannte flächendeckende Einrichtungen, in denenhoch begabte Kinder und Jugendliche am Nach-mittag zusammenkommen und gezielt in ihrenFähigkeiten gefördert werden können, wie es fürsportlich und musikalisch sehr begabte Kinder inSportvereinen und Musikschulen möglich ist.Eltern berichten, dass sie solche Einrichtungensehr vermissen, die ihnen helfen würden, demEntfaltungsbedürfnis ihres Kindes Rechnung zutragen. Sie sind zu sehr auf sich selbst zurück-geworfen, oftmals haben sie nicht die persön-lichen, zeitlichen und ökonomischen Ressourcen,außerschulische Fördermöglichkeiten zu findenund zu bezahlen, und sie fühlen sich mit derHerausforderung, ein hoch begabtes Kind großwerden zu lassen, von der Gesellschaft alleingelassen. Die Mutter, der ein Kinder- undJugendpsychiater die Förderung ihrer Tochternahe gelegt hatte (1. Eingangszitat), erlebte sichin einer völlig anderen Lage als ihre Nachbarinmit einem sportlich sehr begabten Sohn: »Siewusste immer, wohin mit ihm, er wurde geför-

dert, das war gar kein Problem. Wenn ich För-dermöglichkeiten für meine Tochter suche, rea-gieren die Leute, als spinne ich.«

Für ein Kind mit einer außerordentlich hohenallgemeinen intellektuell-kreativen Begabungkann sich die schulische Unterforderung schonaufgrund der Stundenplanstruktur sehr vielanders darstellen als für Kinder mit vorrangigsportlicher oder musikalischer Spitzenbegabung.Die Schule ist ein äußerst wichtiger sozialerRaum und verlangt einen hohen zeitlichen Ein-satz für Anwesenheit und Hausaufgaben, der imUmfang dem Arbeitstag erwachsener Arbeitneh-mer entspricht. Dieses hohe Maß an gebunde-ner Zeit gibt dem Mangel an Entfaltungsraumbesonderes Gewicht. Während im Laufe einerSchulwoche Sport und Musik nur in ein bis dreiSchulstunden unterrichtet werden und ein ein-seitig hoch musikalisches oder sportlich spitzen-begabtes Kind also nur wenige Wochenstundeneinen Unterricht u. U. weit unter seinem Bedarfhinnehmen muss, können für allgemein hoch be-gabte Kinder tagtäglich mehrere Stunden miteinem Anforderungsniveau zusammenkommen,das nicht Herausforderung und Förderung be-deutet, sondern ein Übermaß an Langeweile undFrustration. Wenn die Schule nicht differenziert,wird trotz Schulpflicht und vorgegebener Stun-denplanstruktur die Zuständigkeit für Mängel`delegiert´. Sie wird dem einzelnen Kind aufge-bürdet, das sich in einer Ausweglosigkeit zwi-schen seinen sozialen und seinen geistigen Be-dürfnissen erleben kann (s. 2. Eingangszitatoben Seite 4). Für die Eltern eines hoch begab-ten Kindes oder Jugendlichen, die innerhalb derElternschaft genauso vereinzelt sind wie ihrKind in der Klasse, sind Einflußmöglichkeitenauf schulische Abläufe gering. Außerschulischist es vielen Eltern kaum möglich, durch ein

Nachmittagsprogramm in Eigeninitiative für ihrKind nachzuholen und auszugleichen, was inleeren täglichen Schulstunden versäumt unddurch offene oder unausgesprochene schädlicheSignale bewirkt wurde. Hoch begabte Kinder to-lerieren zudem keine dauernde Verplanung amNachmittag, wenn sie schon die Schulstundenfremdbestimmt im Übermaß erlebt haben; siebrauchen freie Zeit für ihre kreative Gedanken-welt in selbstbestimmtem Tun.

Langeweile kann krank machen. Unterfor-derung gilt als einer der stärksten Stressorenmit negativen Auswirkungen auf emotionaleStabilität und Persönlichkeitsentwicklung. »Dieeinschlägige Stressforschung ist zu der Auffas-sung gelangt, dass Monotonie, Bewegungsar-mut, sozialer Kontaktmangel, Informations-defizite, Unterforderung und Inaktivität zu denStressoren gehören, die einen Menschen amstärksten belasten sowie seine Persönlichkeitund seine Gesundheit erheblich deformierenkönnen« (Karl Hecht, »Unterforderung überfor-dert«, in »Gesund im Streß«, 1994). Erkenntnis-se, die aus der Erwachsenen- und Arbeitsweltstammen, lassen sich auf Kinder, Jugendlicheund die Schule übertragen. Ein anhaltendesÜbermaß an Langeweile und Unterforderung inder Schule beeinträchtigt die betroffenen Kinderund Jugendlichen über die Unterrichtsstundenhinaus und kann ihnen in schädigender Weiseauch die Energie für die Zeit außerhalb derSchule nehmen – die Unterforderung überfor-dert ihre Kräfte. Sie kann so zu einem gravieren-den Mangel an Entfaltungs- und Erfahrungs-möglichkeiten in ihrem gesamten Dasein führen.

Über diesen Mechanismus kann Schule fürhoch begabte Kinder und Jugendliche zu einerEinrichtung werden, die ihnen Lernen und Wei-terkommen verweigert, die einengt und Angst

28 / 29Interaktionen zwischen hoch begabtem Kind und Umwelt

macht und sie hindert, in der gleichen Zeit in der für sie richtigen Weise die Welt zu erfassen,zusammen mit anderen, die ihnen antworten.Abwehr gegen eine solche Einengung kann um-gekehrt zur Verweigerung auf Seiten der hochbegabten Kinder und Jugendlichen führen, imschulischen Rahmen noch mitzuarbeiten oderüberhaupt noch zur Schule zu gehen. Dies ver-stärkt wiederum ihren Mangel an Erfahrung undengt ihre Persönlichkeit und oft auch ihre außer-schulischen Aktivitäten weiter ein. Die Entwick-lung ihres Begabungspotenzials, die Ausbildungeines positiven, realitätsgerechten Selbstkon-zepts und sozialer Kompetenz sind gefährdet.

Förderung hoch begabter Kinder und Jugend-licher gehört daher originär in die Schule, geradeweil diese in den Entwicklungsjahren eine so zen-trale Bedeutung für Zugehörigkeit und Integrationhat. Aus Gründen der Chancengleichheit gehörtneben die Angebote freier und privater Schulträ-ger diese Förderung mehr als bisher in die öffent-liche Schule »vor Ort«, verankert in Struktur, Be-reitwilligkeit und Inhalten. Schule kann dann ih-rem doppelten Auftrag zur Wissensvermittlungund zur Persönlichkeitsentwicklung auch für hochbegabte Kinder und Jugendliche nachkommen.Auch für sie wird Schule dann zu einem Ort, andem sie ihre geistigen Bedürfnisse und ihre Artder Welterfassung mit anderen teilen können.

Normierungsdruck lastet auf hoch begabtenKindern und Jugendlichen oft mehrfach. Auchihre Eltern stehen häufig unter dem Normierungs-druck verschiedener eigener sozialer Beziehungs-systeme und finden manchmal nirgends Ermuti-gung. Dann kann ein Erwartungsdruck leichtdurch sie an ihr Kind weitergegeben werden, sichunauffällig zu verhalten und Begabung und Lern-bedürfnisse nicht zu zeigen. Auch wenn dies nichtbewusst geschieht, wird der Druck des sozialen

Umfeldes für das Kind doppelt wirksam. Das kanndazu führen, dass das Kind, das von seinen ElternStärke ersehnt, sich auch von ihnen im Stich ge-lassen fühlt und die Beziehung zwischen Elternund Kind sehr beeinträchtigt wird.

Wie in der Schule ist auch sonst im privatenwie im öffentlichen Raum die Wirkung von behin-dernden Strukturen eng verknüpft mit Behinde-rungen durch Haltung und Einstellung von Perso-nen. Kenntnisse über hoch begabte Kinder, dasses sie überhaupt gibt und dass sie neben alters-üblichen auch ganz altersunübliche Entwicklungs-bedürfnisse in sich vereinen, sind immer noch zuwenig verbreitet und akzeptiert, sowohl in der Öf-fentlichkeit als auch bei direkt betroffenen Bezug-spersonen.

Eltern sind kaum auf ihre Aufgabe vorberei-tet, Rat und Hilfe finden sie oft nur nach langwie-riger, zermürbender und von Diskreditierung be-gleiteter Suche. »Es ist schrecklich, wenn mandas eigene Kind nicht richtig versteht und nichtweiß, wer einem weiterhelfen kann.«

In den Ausbildungswegen für Berufe, die mitder Entwicklung von Kindern zu tun haben – Erzie-herinnen, Lehrerinnen und Lehrer, Psychologinnenund Psychologen, Ärztinnen und Ärzte – kam bis-her die Minderheit hoch begabter Kinder kaumausdrücklich vor. Angehörige der betreffendenBerufsgruppen sind auf wenige Fortbildungsange-bote angewiesen, wenn sie ihre Kompetenz er-weitern wollen. Unkenntnis und Mangel an Erfah-rung können sich in Haltungen und Vorgehens-weisen niederschlagen, dieEntwicklungsschwierigkeiten für hoch begabteKinder und Jugendliche noch verschärfen können.Eltern und Kinder sind bei Problemen jedoch an-gewiesen auf kompetente Hilfestellungen, mitdenen Fehlentwicklungen verhindert oder abge-fangen werden können.

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Zwischen Anlass und

Lösungsweg

Im folgenden Abschnitt werden wiederkehrendeBeobachtungen unter unterschiedlichen Blick-winkeln zusammengefasst; sie wurden in Bera-tung und Psychotherapie und in Seminaren fürEltern und verschiedene Berufsgruppen gewon-nen, die mit hoch begabten Kindern und Jugend-lichen umgehen. Die Aufmerksamkeit gilt, ohnedass ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht,der Vielfalt von Erscheinungsformen, die auf dieNöte hoch begabter Kinder und Jugendlicherund Schwierigkeiten ihres Umfeldes hinweisen.

Oftmals führen erst Auffälligkeiten dazu,dass hoch begabte Kinder und Jugendliche inihrem Potenzial erkannt werden; eine Reihegleichzeitiger psychischer und somatischerSymptome, die üblicherweise als Überforde-rungssymptomatik erscheinen, können bei ihnendann eher als Unterforderungssymptomatik an-gesehen werden und müssen zu entsprechen-den Lösungswegen führen.

Da die Elternsorgen überwiegend die Schul-jahre ihres Kindes betrafen, zentrieren sich diefolgenden Abschnitte auf diese Zeit. Sinngemäßsind jedoch die früheren Jahre, insbesonderedie Kindergartenzeit, einbezogen.

4.1 Anlass zu Beratung oder Psychotherapie

Die Initiative, Rat und Hilfe zu suchen, ging inder überwiegenden Anzahl der Fälle allein vonden Eltern hoch begabter Kinder und Jugend-licher aus. Oft kam der Anstoß von Ärztinnenund Ärzten, in zunehmender Häufigkeit von Lehrerinnen und von Erzieherinnen im Kinder-garten.

Zum Anlass wurden Auffälligkeiten und be-unruhigende Veränderungen, die im Befinden

und Verhalten des Kindes oder Jugendlichen inseinem Umfeld bemerkt worden waren.

Zu Hause hatten Eltern anhaltende oder gra-vierende Beeinträchtigungen an ihrem Kindwahrgenommen: Verstimmungen verschiedenerArt von Reizbarkeit und allgemeiner Lustlosig-keit bis hin zu völligem Verlust der Lebensfreu-de; Ängste, allein zu sein; Verhaltensauffällig-keiten von zunehmender Aggressivität bis zuvölligem Abblocken. Es war Schulunlust oderSchulangst entstanden und immer größer ge-worden. Zu Hause gab es endloses Gestreite.Sehr häufig hatten die Kinder psychovegetativeStörungen wie Schlafstörungen, Kopf- oderBauchschmerzen, Durchfall, ständige Mattigkeit.Manchmal waren Störungen wie Tics, Bettnäs-sen oder Nägelkauen aufgetreten oder die Kin-der litten seit der Schulzeit unter Migräne.

Die Sorge der Eltern galt auch einer zuneh-menden Isolierung des Kindes, das keine Freun-de hatte oder Hänseleien ausgesetzt war, odereiner großen Anspannung, die sich zwischenEltern und Kind entwickelt hatte und in der sichAlltagserfordernisse nicht mehr konfliktfrei be-wältigen ließen. Besonders alarmiert warenEltern durch tief depressive Verstimmungen undZeichen von Lebensüberdruss ihres Kindes mitÄußerungen, nicht mehr leben zu wollen.

In fast allen Fällen bestanden schon längereZeit Probleme mit der Schule, große Frustrationdes Kindes über kleinschrittigen Unterricht, dievielen Wiederholungen und den Mangel anLernerfahrungen; die Eltern waren mit verschie-denen Klagen der Schule über das Verhalten desKindes konfrontiert, es würde aktiv stören, wer-de zum Klassenclown oder neige zu aggressivenAusbrüchen gegenüber anderen in der Klasse.Oder das Kind würde sich zurückziehen und indie Verweigerung gehen, es reagiere immer we-

Zwischen Anlass und Lösungsweg

niger auf Angebote oder Druck. Oder es war zuausgeprägtem Leistungsabfall oder zu völligerLeistungsverweigerung gekommen mit Gefähr-dung der Versetzung oder dem Risiko des Schul-verweises. Schulstress wurde als Belastung fürdie ganze Familie erlebt und konnte ein solchesAusmaß annehmen, dass alle anderen Lebens-bereiche beeinträchtigt wurden.

Es kam vor, dass Leistungsabfall und Verhal-tensstörungen zur Sonderschulüberprüfung einesKindes, zur Inanspruchnahme einer Erziehungs-beratungsstelle oder zu Untersuchungen in derKinder- und Jugendpsychiatrie geführt hattenund hierbei erstmals die hohe Intelligenz einesKindes festgestellt und die Eltern auf spezifischeBeratungsmöglichkeiten verwiesen wurden.

Oder es war für ein Kind der Verdacht aufAufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit oderohne Hyperaktivität aufgetreten, ohne dass dieDiagnose fachärztlich verifiziert werden konnte,und die Frage, ob die motorische Unruhe oderUnaufmerksamkeit mit geistiger Unterforderungzusammenhängen könne, wurde zum Beratungs-anlass.

Überwiegend bestanden die Veränderungenim Rückblick der Eltern schon eine ganze Zeitlang. In manchen Fällen wollten Eltern einfachklären, ob es normal sei, wie ihr Kind sich ver-halte, und wie sie seine Entwicklung fördernkönnten. In den meisten Fällen aber gaben be-sorgniserregendes Befinden des Kindes oderJugendlichen oder belastende Ereignisse, meis-tens in der Schule, den Ausschlag, Außenhilfezu suchen.

4.1.1 Beratungsbedarf der Eltern

In fast allen Fällen bestand ein großer Informa-tionsbedarf der Eltern zu Hochbegabung allge-

mein, zu Fördermöglichkeiten innerhalb undaußerhalb des öffentlichen Schulwesens, zuschulrechtlichen Fragen, zu Kontaktmöglichkei-ten für Kinder und Eltern in ähnlicher Lage undein Klärungsbedarf zu den Eigenheiten und Ver-haltensweisen des eigenen Kindes und zu Leit-bildern, wie sie mit ihrem Kind und der hohenBegabung umgehen könnten. Viele Eltern erleb-ten die Erkenntnis, dass ihr Kind eine unge-wöhnlich hohe Begabung und altersunüblicheEntfaltungsbedürfnisse haben könnte, als Um-wälzung für ihre bisherige Maßstäbe und ihresoziale Orientierung und suchten Hilfe, ein neuesGleichgewicht zu finden.

Fast immer wurde die Schulsituation von denEltern als Ursache erlebt, wenn es ihrem Kindschlecht ging; sie wollten, dass ihr Kind wiederglücklicher und die Belastung für die Familiewieder geringer würde und dass ihr Kind seinefrühere Lern- und Leistungsfreude wiederge-wänne. Eine einseitig leistungsorientierte For-derungshaltung der Eltern gegenüber ihrem Kindkam nur sehr vereinzelt vor. Bestnoten in derSchule waren bis auf wenige Ausnahmen für dieEltern eher sekundär. Eltern konnten sich jedochverunsichert fühlen in ihrer Haltung zu schuli-schen Leistungen; sie hatten eigentlich dasGefühl, dass ihr Kind zu hohen Leistungen fähigwäre, wussten aber nicht mehr, in welchemMaße sie gute Schulleistungen erwarten durf-ten, und erlebten einen Konflikt, in dem Leis-tungsbejahung als Gegensatz zu Liebe- und Für-sorgeempfindungen erschien.

Bei fast allen Eltern schulpflichtiger Kinderund Jugendlicher forderten drängende Problemeaufgrund der Schulsituation Beachtung. Elternbrauchten Ermutigung, sich bei Lehrerinnen undLehrern überhaupt noch einmal mit ihrem Anlie-gen für ihr Kind zu Wort zu melden; sehr viele

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hatten das Gefühl, dass sie sich gegenüber derInstitution Schule nur schwer behaupten konn-ten. Sie hatten unbewegliche oder auch herab-setzende Reaktionen erlebt und fürchteten –wie die Eltern im Beispiel von Peter –, weitereVersuche würden ihrem Kind eher schaden alsnützen. Viele waren auf Unkenntnis, Unwillig-keit und auch auf falsche und irritierende Aus-künfte getroffen.

Auf Mangel an Kenntnis stießen Eltern inder Schule auch dann, wenn ihr Kind zu den»underachievern« gehörte, den »Minderleistern«,deren schulische Leistungen weit unter ihrem Be-gabungspotenzial liegen. Sie fühlten sich abge-speist mit Sätzen wie »Hochbegabte sind Einser-schüler«. Für die Eltern wie für die Kinder und Ju-gendlichen selbst war es nicht leicht zuverstehen, wieso sie trotz vorhandener Begabungnicht lernen oder die geforderten schulischen Lei-stungen erbringen konnten. Während die Elternkompetente Hilfe von den pädagogisch ausgebil-deten Lehrkräften erhofften, sahen sie sich uner-wartet vor der Aufgabe, ihrerseits in der Schuleverständlich zu machen, dass ihr Kind in Bezugauf das Herausforderungsniveau unterfordert undnicht überfordert war.

Ein Teil der Eltern hatte eine konstruktive Zu-sammenarbeit mit der Schule erlebt. Die Mehr-heit jedoch fühlte sich im Laufe ihres Einsatzesvon der Schule ebenso frustriert und verunsichertwie ihr Kind. Ihre Hoffnung, Hilfe innerhalb desSchulwesens zu finden, schwand. Viele wolltensich Vertretern der Schule nicht mehr anvertrau-en; nur vereinzelt hatten Eltern den schulpsycho-logischen Dienst in Anspruch genommen. Siefürchteten, dass ihre Angaben nicht vertraulichbehandelt würden, und dass die Verantwortungfür die Schwierigkeiten einseitig ihrem Kind undseiner Familie zugeschrieben würde.

In vielen Fällen bestand ein Beratungsbedarfder Eltern zu allgemeinen Entwicklungs- und Er-ziehungsfragen, wenn unerwünschtes oder unver-ständliches Verhalten des Kindes auftrat, wenndies überwertig wurde, wenn Konflikte nichtmehr miteinander geregelt werden konnten. Inmanchen Fällen waren Gespräche in Erziehungsberatungsstellen vorangegangen,ohne dass die Eltern die ungewöhnliche Bega-bung ihres Kindes in die Probleme einbezogen sa-hen und sich verstanden gefühlt hatten.

Wie Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrernund anderen Erwachsenen passierte es auchEltern leicht, dass die frühe Verständigkeit unddie kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten ihresKindes sie gleichsam verleiteten, dies unbewusstmit einem inneren Bild eines bereits älteren Kin-des und einer Erwartung von insgesamt größererReife zu verbinden. Diese Erwartungen an emo-tionale und soziale Fähigkeiten konnten dem Er-fahrungsumfang des Kindes weit vorauseilen,wurden seinen tatsächlichen Lebens- und Ent-wicklungsjahren nicht gerecht und riefen dadurchmanche Konflikte erst hervor. Ein Verhalten einesKindes oder Jugendlichen, das durchaus alters-und situationsgerecht sein konnte, wurde alsRückstand erlebt.

Die Suche der Eltern nach adäquaten Ent-wicklungswegen für ihr Kind kann sehr erschwertwerden, wenn eine solche Fehlerwartung auch inder Schule vertreten wird: Nach dem Übersprin-gen eines Jahrgangs war das Verhalten einesKindes zunächst disziplinierter und lernzentrierterals in der neuen Klasse üblich; als bald der Kennt-nisrückstand aufgeholt war, machte der Schülerimmer öfter bei klassenüblichen Albereien undunterrichtsfremden Beschäftigungen mit. Die Leh-rerin beklagte dies und konfrontierte die Elternmit der Forderung: »Er muss zurück in die vorige

Klasse!« und begründete: »Er benimmt sich jetztwie die anderen!« Die soziale Anpassung an Ver-haltensweisen der neuen Klasse wurde bei demhoch begabten Kind als unreifer gewertet als ge-nau dieses Verhalten bei den anderen in der Klas-se, die zudem durchschnittlich ein bis zwei Jahreälter waren.

Was verstanden werden muss – von Eltern,Lehrerinnen und Lehrern und Angehörigen ande-rer Berufsgruppen, die mit Entwicklung, Erziehungund Ausbildung von Kindern und Jugendlichen be-fasst sind –, ist eingefangen in der bekanntenGrafik des Töpfchen-Kindes, das über die Einstei-n’sche Formel nachdenkt.

Das Selbst des hoch begabten Kindes umfassteine außerordentlich weite Spanne: Sein leib-liches Dasein entspricht dem Altersüblichen, seinGeist bewegt sich bis in Bereiche, die auch vielenErwachsenen unvertraut bleiben, seine emotiona-len und sozialen Bedürfnisse sind von beidem

nicht zu trennen. Diese weite Spanne muss dasKind halten und behalten dürfen, um sich umfas-send und ganzheitlich zu entwickeln. Die dazu er-forderliche seelische Kraft ist umso größer, jemehr die Umwelt das Kind normierend einengenoder die weite Spanne spalten will. Die Aufgabeder Eltern und anderer, die Verantwortung für dasWohl des Kindes haben, besteht darin, dieseWeite zu erfassen, sie von außen zu schützen undzu stützen, sie zusammen mit dem Kind auchselbst emotional zu leisten und ihr Handeln ent-sprechend zu gestalten: vom fürsorglichen Be-treuen und Begleiten bis hin zum Zulassen vonFreiräumen, die primär nicht in ihrer Vorstellunglagen. Bestrebungen, am einen Pol (»Nun geh erstmal klettern … geh erst mal in einen Sportverein…«) oder am anderen (»Du bist doch so intelli-gent, du musst doch …«), die Selbstbedürfnissedes hoch begabten Kindes zu sehr zu beschneidenoder in Gegensatz zueinander zu setzen, gefähr-den eine gesunde Entwicklung. Sie beruhen aufUnkenntnis und Fehlerwartungen und führen zukonflikthaften Interaktionen zwischen Umweltund Kind, die zu einseitig das Kind zum Symptom-träger machen.

Eltern konnten sich sehr belastet und schuld-beladen fühlen, wenn sie ihr Kind nicht verstan-den oder so erschöpft waren, dass ihr Umgangmit ihrem Kind immer angespannter wurde undsich ihre Beziehung miteinander immer mehr ver-schlechterte. Auch »normal gute« Eltern konntenin eine Überforderungssituation geraten durch diehohe Herausforderung, einem besonders begab-ten Kind gerecht werden zu sollen ohne Leitbilderund Unterstützung oder Wohlwollen von außen,oftmals aber unter dem Druck von Unverständnisund Fehlzuschreibungen in ihrem Umfeld, und dasSystem Familie drohte zu dekompensieren.

Zwischen Anlass und Lösungsweg 34 / 35

Das denkende Töpfchen-Kind Quelle unbekannt

Manche Konflikte der Eltern erschlossensich erst im Laufe einer längeren therapeuti-schen Beziehung, insbesondere wenn es um einErleben ging, das mit ihren eigenen Prinzipienoder Idealen nicht im Einklang stand und mitSchamgefühlen einhergehen konnte. Zu denschwierigsten Erfahrungen der Eltern gehörterückblickend ihre Trauer darüber, ihr Kind nichtfrüher richtig erkannt zu haben und ihm nichtgerecht geworden zu sein.

Ein häufig beobachtetes Phänomen war dasBestreben von Eltern, den Anschein eines sog.elitären Anspruchs zu vermeiden. Für diese El-tern gehörte zu ihren Überzeugungen und in ihreLebensgestaltung ein hohes Engagement fürsoziale Gerechtigkeit, das ihrem Empfinden, ihreigenes Kind brauche für seine Entfaltung eherunübliche Wege, entgegenstand. Der gesell-schaftliche Konflikt um Chancengleichheit undElitebegriff lastete unvermittelt auf den einzel-nen Eltern und ihrer Beziehung zu ihrem hochbegabten Kind. Diese Last konnte für die Elternzu einer Blockierung ihrer Handlungsfähigkeitführen oder zu einer aggressiv erscheinendenForderungshaltung, wenn die Verunsicherung zugroß geworden war. Sie konnte Eltern insbeson-dere darin behindern, dass sie offensiv genugfür die Bedürfnisse ihres Kindes einstanden undsie auch der Schule gegenüber sicher genugzum Ausdruck brachten. Die Last des Konfliktskonnte ebenfalls dazu führen, dass Eltern ihrKind bewusst oder unbewusst veranlassten, sichund seine Begabung zu verstecken, um nicht alsden anderen »voraus« zu erscheinen.

Äußerst konflikthaft konnte es für Elternsein, wenn ihr Kind Suizidgedanken geäußerthatte; Suizidalität ihres Kindes war für Eltern ei-ner der tiefsten Schrecken, die sie erlebten. ZurBewältigung ihrer Angst benötigten sie in einer

solchen Situation selbst ein Höchstmaß anOrientierungshilfe, um adäquat auf ihr Kind rea-gieren zu können. Nicht immer trauten sie sich,in ihrem persönlichen Umfeld darüber zu spre-chen, sie fühlten sich einsam und manchmalauch in ihrer Partnerschaft nicht ausreichendgestützt. Dann konnten erst im Schutz der Bera-tungs- und Therapiesituation die Selbstmordäu-ßerungen ihres Kindes zur Sprache kommen.

Vereinzelt waren Eltern von Vermutungenbeunruhigt, dass psychische Störungen von derhohen Intelligenz ihres Kindes herrührten. NachUntersuchungen des Zentralinstituts für Seeli-sche Gesundheit in Mannheim sind ursächlicheZusammenhänge von sehr hoher Intelligenz mitschwerwiegenden psychiatrischen Störungenjedoch nicht belegt. Es wird für einen Teil derhoch begabten Kinder von einer erhöhten Sensi-bilität mit Ausbildung von psychischen und so-matischen Symptomen und Verhaltensauffällig-keiten ausgegangen; hohe intellektuelle Bega-bung wird aber auch diskutiert als Schutzfaktor,d.h., sie kann helfen, Störungen zu bewältigen.Für psychische Störungen allgemein haben hochbegabte Kinder und Jugendliche grundsätzlichähnlich häufig eine Disposition wie andere Kin-der (nach Schmidt, H. M.: Hochbegabung – einRisikofaktor für psychische Krankheit? In: Mün-chener Medizinische Wochenschrift 134, 1992,S. 511–513). Allein in Bezug auf die Mager-sucht, Anorexia nervosa, sprechen die genann-ten Untersuchungen für eine Häufung unterhoch begabten Mädchen.

Im Falle schwerwiegenderer Störungen hochbegabter Kinder oder Jugendlicher waren mitden charakteristischen, begabungsbezogenenKonfliktkonstellationen auch andere Faktorenaus Anlagen und Umfeld des Kindes in stärkererWeise verquickt. Einflüsse aus Biographie und

Verhaltensweisen der Eltern und ihre Umge-hensweise mit ihrem Kind sind ganz wesentlichfür die Entwicklung des Kindes und seine Le-bensbewältigungsstrategien. Sie konnten eben-so wesentlich an einer Störung beteiligt seinund erforderten dann die Bereitschaft der Elternzur Mitarbeit in einem länger dauernden thera-peutischen Prozess. In einzelnen Fällen warenEltern wenig dazu bereit; sie wollten ihren An-teil heraushalten und Ursachen einseitig bei ih-rem Kind oder außerhalb der Familie, vorrangigder Schule, sehen; sehr vereinzelt kam es des-halb zum Abbruch der Therapie ihres Kindes.

Bei einer kleinen Gruppe von Eltern stand im Vordergrund ihr Verlangen nach Bestätigung,dass eigentlich alles ganz »normal« sei; dasKind sollte sich nur besser anpassen lernen. DieEltern scheuten sich, die besondere Begabungihres Kindes und die Verantwortung, die sieselbst für die Entfaltung seiner Gaben hatten, zu akzeptieren. Dahinter standen Ablehnung die-ser nicht gewünschten Anforderung in ihremLeben, durch die sie sich selbst sozial in eineRandsituation gebracht sahen, und ihre Furcht,das eigentlich Erforderliche nicht leisten zu kön-nen. Väter tendierten häufiger zu dieser Haltungals Mütter. Ein Teil dieser Eltern konnte neueSichtweisen im Laufe der Beratung zulassen,andere zogen sich jedoch zurück und wolltenkeine weiteren Beratungs- oder Psychotherapie-termine wahrnehmen.

In den weitaus meisten Fällen aber warendie Eltern zu Änderungen ihrer eigenen Betrach-tungs- und Verhaltensweisen bereit; dann konn-ten im Falle weniger tief gehender Störungenschon Information und das Besprechen der indi-viduellen Lebensumstände oder wenige thera-peutische Sitzungen bewirken, dass sie ihr Kindwieder mit anderen Augen sahen und die Pro-

bleme anders erlebten: »Früher haben wir nurgedacht: Kann er nicht sein wie alle? Jetzt kön-nen wir unseren Sohn viel besser so nehmenwie er ist, er kann ruhig anders sein als diemeisten. Vieles hat sich dadurch schon ent-spannt bei uns.«

4.1.2 Unterstützungsbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen

Entwicklungsschwierigkeiten, Störungen undLeid hoch begabter Kinder und Jugendlicher ka-men in vielfältiger Weise und sehr individuellzum Ausdruck, lassen aber auch charakteristi-sche Konfliktbereiche und ähnliche Reaktions-weisen erkennen.

Fast alle Kinder und Jugendliche hatten zumindest zeitweise körperliche Symptome wie psycho-vegetative Regulationsstörungen,psycho-motorische Auffälligkeiten, Tics u. Ä., die als Körpersprache für seelische Nöte ver-standen werden konnten. Diese Zeichen wurdenvon den hoch begabten Kindern und Jugend-lichen in der Beratungs- oder Therapiesituationwenig betont; es bestand fast immer die Ten-denz, sie gering zu bewerten oder abzutun,insbesondere wenn sie sich dafür schämten.Spontan am häufigsten angegeben wurdenKopfschmerzen, vorwiegend von Kindern oderJugendlichen, die unter Migräne litten.

Mit ihrer Schulsituation waren nur sehrwenige der hoch begabten Kinder und Jugend-lichen zufrieden; weitaus die meisten waren ge-langweilt, unzufrieden, irrititert oder regelrechtunglücklich. Schon sehr junge Kinder erfasstenihr Dilemma mit der Schule: Sie hatten oft schonkurze Zeit nach der Einschulung bemerkt, dasssie in der Schule ja gar nichts lernten, begriffenaber, dass sie trotzdem viele Jahre dorthin müs-

Zwischen Anlass und Lösungsweg 36 / 37

sen. Sie konnten dies sehr tief gehend als Ge-walt an ihrem Leben erleben und in Depressionund Resignation fallen.

Ein großes Gewicht hatten Hänseleien undTriezereien durch andere Kinder und Jugendli-che, die überwiegend in der Schule, manchmalauf dem Schulweg, seltener in der Nachbar-schaft stattfanden. In der Schule war ein Aus-weichen kaum möglich. Schon sporadische An-griffe und Herabsetzungen machten vielen hochbegabten Kindern und Jugendlichen zu schaffen;kam es zu wiederholtem oder andauerndemHänseln oder zu regelrechtem Bullying, littendie Betroffenen sehr darunter. Das Angst- undAnspannungsniveau war hoch, behinderte spon-tanes, unbefangenes Verhalten in der Schule undmachte die Kinder und Jugendlichen dadurchnoch angreifbarer. Zu Hause konnten große Reiz-barkeit oder resignativer Rückzug die Folge sein.

Ähnliche oder noch stärkere Beeinträchti-gungen wurden erlebt, wenn wiederholte undstarke Ungerechtigkeiten, Entwertungen oderFeindseligkeiten von Lehrerinnen oder Lehrernausgingen. Solchen Verhaltensweisen von Lehr-kräften können eigene unreflektierte Konfliktezugrunde liegen, die ausagiert werden an Kindernoder Jugendlichen, die allein aufgrund ihrer ho-hen Begabung Angst und Neid auslösen. Bei den Kindern und Jugendlichen wiederum konntedieses Lehrerverhalten so nachhaltige Ohn-machtsgefühle hervorrufen oder alle Selbstbe-hauptungskräfte so sehr in einer Kampfsituationbinden, dass sie in keiner schulischen Aktivitätmehr einen Sinn sahen und Anstrengungsbereit-schaft für Unterrichtsinhalte nicht mehr mobili-sieren konnten.

Zeitweise erlebte die Mehrheit der Kinderund Jugendlichen auch ihre häusliche Situationals belastend, wenn es zu größerer Anspannung

und Disharmonie in der Beziehung zu ihren Eltern,seltener auch zu den Geschwistern, gekommenwar. Insgesamt aber fühlten sich die meistenhoch begabten Kinder und Jugendlichen in ihrerFamilie ausreichend geborgen, die Konflikte stell-ten dieses Gefühl nicht grundsätzlich in Frage.

Für eine kleinere Gruppe der hoch begabtenKinder und Jugendlichen war es dagegen zu ei-ner tiefen Krise in der Beziehung zu ihren Elterngekommen, der primär familiäre Störungspro-zesse zugrunde lagen und die durch kritischeschulische Entwicklung, Pubertätseintritt oderandere Schwellensituationen verschärft wurden.Je stärker Störungen in der Schule und im Leis-tungsverhalten des Kindes das Familienklimadominierten, desto resignierter oder verzweifel-ter konnten die Kinder und Jugendlichen wer-den. Nachdem sie sich schon in der Schule mitihren Lern- und Entfaltungsbedürfnissen alsnicht richtig und als ausgeschlossen vorkamen,schienen sie dann auch noch den Rückhalt beiihren Eltern zu verlieren. Stimmungs- und Ver-haltensstörungen konnten so eskalieren.

Verhaltens-, Kommunikations- und Stim-mungsstörungen waren bei sehr vielen der Kin-der und Jugendlichen beobachtbar, bei einerMinderheit sehr ausgeprägt bis hin zu anmaßen-dem oder dissozialem Verhalten, Kommunika-tionsblockaden oder tief depressiven Reaktio-nen. Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühlsreichten von beginnender Verunsicherung bis hinzu schweren Selbstwertstörungen und der Ent-wicklung eines negativen Selbstbildes. Gedan-ken, nicht mehr leben zu wollen, am liebsten totsein zu wollen, waren bei einem Teil der hochbegabten Kinder und Jugendlichen aufgetreten,in einzelnen Fällen kam es auch zu konkretenSuizidvorstellungen und -handlungsansätzen,entweder in Zusammenhang mit einer als hoff-

nungslos erlebten Schulsituation oder als Reak-tion auf schwere Störungen in der Beziehung zuden Eltern. Diese Gedanken wurden fast niespontan geäußert, sondern mussten erfragt wer-den; sie brachten zum Ausdruck, wie müde die-se begabten Kinder und Jugendlichen des Le-bens geworden waren, das sie führen mussten.Dahinter war erkennbar, wie sehr sie sich nacheinem glücklicheren Leben sehnten, nur aus ei-gener Kraft keinen Weg mehr dahin sahen.

Sehr deutlich konnte bei fast allen hochbegabten Kindern und Jugendlichen in der Inter-aktion mit ihnen das Verlangen nach geistigerLebendigkeit wahrgenommen werden. GeistigeHerausforderung in der Beratungs- oder Thera-piesituation wurde oft erst verhalten, dann mitunübersehbarem Vergnügen aufgenommen, lös-te Einfallsreichtum, Mitteilungsbereitschaft,differenzierte Verbalisierung, Wortwitz, belebteGestik und Mimik sowie Freude aus.

In verschieden starker Weise, aber bei fastallen Kindern und Jugendlichen wahrnehmbar,war das Bedürfnis, zu verstehen, was eigentlichmit ihnen vorging. Viele durchschauten Zusam-menhänge kognitiv sehr klar, waren aber den-noch emotional so verunsichert, dass sich ihrRepertoire an Verhaltens- und Reaktionsmög-lichkeiten eingeengt hatte. Die Basis für ihrSelbstwertgefühl war schmal geworden, Offen-heit für sich und die Welt war verloren gegan-gen, in wenigen Fällen war Zuflucht genommenworden zu einer Haltung intellektueller Über-heblichkeit.

Schwer verständlich ist für hoch begabteKinder und Jugendliche selbst, für ihre Eltern,Lehrerinnen und Lehrer die Tatsache, dass siegenauso von Aufmerksamkeits- und Wahrneh-mungsstörungen, von Legasthenie oder Hyperak-tivität u. a. betroffen sein können wie Kinder mit

weniger hoher Begabung. Die Diskrepanz zwi-schen schnellem Begreifen, anspruchsvollerGedankenwelt und Verbalisierungsfähigkeit aufder einen Seite und erheblichen Einschränkun-gen beim Lesen, Schreiben oder der psycho-mo-torischen Steuerung auf der anderen Seite er-scheint bei hoch begabten Kindern und Jugend-lichen leicht als besonderer Widerspruch. DieGegensätzlichkeit ist so sehr erwartungswidrig,dass Umfeld und die betroffenen Kinder undJugendlichen selbst dazu neigen, nur noch eineSeite – die Begabung oder die Einschränkung –gelten zu lassen. Sie geraten in große Verunsi-cherung und unter hohen Kompensationsdruck:»Wenn ich so was habe, kann ich nicht begabtsein./Wenn ich begabt bin, kann ich nicht solcheFehler machen.« Der Druck wird von außenverstärkt, wenn Eltern, Lehrerinnen und Lehrerdavon ausgehen, dass z. B. unzureichende Leis-tungen, für die Schreiben und Lesen erforder-lich sind, an Faulheit und mangelnder Anstren-gungsbereitschaft lägen, und nicht erkennen,mit welchen Einschränkungen der sensomotori-schen Integration und welchen Verwirrungenüber sich selbst diese Kinder zu kämpfen haben.In fast jeder Schulstunde wird geschrieben, wirdKonzentration und Bewegungskontrolle verlangt;Benotungen in einem Schulfach fallen oft wegender Schriftform oder Unaufmerksamkeit schlech-ter aus, als es den Kenntnissen entspräche, Ver-sagensangst kann zu einem Grundgefühl werdenund das Bewusstsein von eigenen Stärken völligüberlagern. Differenzierende Diagnostik ist er-forderlich, um adäquate Förderung zu erreichenund die Kinder und Jugendlichen von quälenderEntwertung und Selbstentwertung zu befreien.Ein Zweitklässler mit einer Schreibschwächehatte rasch verinnerlicht »Wer nicht schreibenkann, ist dumm!« und traute sich nichts mehr zu.

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4.2 Lösungswege

Die vorliegenden Erfahrungen zeigen, dass eineReihe von Konflikten und Störungen zwischenKind und Umwelt durch das Zusammentreffenvon außergewöhnlich hoher geistiger Begabungund normierender Umwelt verursacht werden.Allgemein unterliegen Entstehung und Ausmaßvon Entwicklungsschwierigkeiten vielen ver-schiedenen Einflussfaktoren wie individuellerKonstitution, familiärer Prägung, bisherigen Er-fahrungen, aktuellen Lebensumständen, verschie-denen psychosozialen Beziehungsnetzen, sozio-ökonomischen Bedingungen, situativen Faktorenu. a., die sich wechselseitig beeinflussen.

Welche Bedeutung im Einzelfall die hohegeistige Begabung eines Kindes oder Jugend-lichen für die gesamte Dynamik von Auffällig-keiten oder Störungen hatte, war unterschied-lich. Beteiligt war sie immer. Oft genug wurdesie zum Stein des Anstoßes, sie war wesentlichfür die Reaktionen auf das Umfeld und Teil derBewältigungskräfte. Die Lösungswege warensehr individuell bestimmt durch die Erfahrungenund die aktuelle Situation von Kind, Eltern undweiterem Umfeld. Es gab aber auch hier Ge-meinsamkeiten.

Das Kind als Symptomträger konnte nichtalleiniger Adressat von Beratung oder Therapiesein. Kinder und Jugendliche waren oftmals nurder Indikator für gestörte Interaktionen oder einkrank machendes Umfeld. Die beiden wichtigs-ten Sozialisationsfelder für Kinder und Jugend-liche, die Familie und die Schule, mussten ge-nauso im Blickfeld bleiben und einbezogen wer-den. Einbeziehung der Eltern, selten andererFamilienmitglieder, war der Regelfall; bis aufganz vereinzelte Ausnahmen war der erste Bera-tungskontakt ohnehin durch die Eltern erfolgt.

Einbeziehung von Schule (oder Kindergarten)durch direkten Kontakt konnte nur für eine Min-derheit der Ratsuchenden erfolgen. Immer aberwar ein indirektes Einbeziehen durch Ernstneh-men der realen Außenbedingungen möglich.

Innerhalb des Gefüges Kind – Familie –Schule zeigten sich unterschiedlich zuzuordnen-de Konfliktebenen und graduelle Unterschiedein der Schwere der Probleme. Sie erfordertenverschiedene Vorgehensweisen, die von sachin-formations-orientierter begrenzter Beratung bishin zu intra-psychisch zentrierter, längerfristigangelegter Psychotherapie reichten. Eine Be-grenzung entweder auf reine Sachinformationoder allein auf intra-psychische Vorgänge inner-halb therapeutischer Sitzungen war nur für ei-nen kleineren Teil der Ratsuchenden sinnvoll.Der größere Teil hatte einen Bedarf an beidem.

4.2.1 Wege für die Kinder und Jugendlichen

Für den Umgang mit den hoch begabten Kindernund Jugendlichen spielt das Erfassen und Ak-zeptieren ihrer außergewöhnlichen geistigenGaben eine zentrale Rolle. Ihre exzellenten kog-nitiven und verbalen Fähigkeiten, ihr großer Ein-fallsreichtum oder ihr divergentes Denken dür-fen nicht von vornherein kategorisiert, einge-engt oder gar pathologisiert werden, auch wennsie in einer Weise eingesetzt werden, die wieein ausweichendes Intellektualisieren wirken.Die Freude, offen oder sehr verhalten, die hochbegabte Kinder und Jugendliche am Spiel mitGedanken und Sprache haben – z. B. Fragenoder Aussagen wortwörtlich aufzufassen, mitVerdrehungen, paradox oder dicht neben dereigentlichen Sinnebene zu beantworten, ihrGegenüber mit Fehlantworten zu testen, assozi-

ativ das Thema zu wechseln u. a. – muss aufge-griffen und erwidert werden als Antwort aufeinen essenziellen Anteil ihres Selbst. In der Be-ratungs- oder Therapiesituation darf sich nicht das gleiche Abwehren – der gleiche Ausdruckvon Anzweifeln oder Unerwünschtheit in Spra-che, Gestik oder Handlung – wiederholen, dasdie Kinder und Jugendlichen als Reaktion aufihre geistigen Fähigkeiten sonst so häufig erfah-ren hatten und das für die Entstehung ihres Lei-densdrucks wesentlich war. Auch die von ihremUmfeld zu häufig ausgedrückte Aufforderung,anstelle der Entfaltung ihrer geistigen Bedürf-nisse »erst mal« oder »lieber« anderes zu tunund zu wollen, wäre bei Wiederholung in derberatenden oder therapeutischen Beziehungschädlich. Der Weg zur ganzheitlichen Entwick-lung verläuft entgegengesetzt. Erst die Antwortauf ihre geistigen Bedürfnisse, das Teilen ihresmentalen Zustandes in Bezug auf die Welt, lösthoch begabte Kinder und Jugendliche aus Ein-engung und Leid und setzt emotionale, sozialeund physische Kräfte frei.

Ziel muss Geltenlassen und Erweitern sein,nicht Werten und Ersetzen. Durch positive Spie-gelung ihrer geistigen Befähigung, eingebettetin die Empathie für den ganzen Menschen, kannin der Interaktion mit den hoch begabten Kindernoder Jugendlichen dieser bisher in ihrer Außen-welt so unwillkommene Selbstanteil befreit wer-den vom Versteckt- und Verleugnetsein oder mussnicht mehr einseitig zum Schutzschild werden.

Zugewandtes, einfaches Benennen von Fä-higkeiten und Verhaltensweisen, in denen ihreungewöhnliche Begabung zum Ausdruck kommt,kann eine unmittelbar entlastende Wirkung aufdie hoch begabten Kinder und Jugendlichen ha-ben. Es kann die Last der Verunsicherung ihresSelbstgefühls sichtlich von ihren Schultern neh-

men, und sie können dann emotional und selbstphysisch wahrnehmen, was sie rational oft längsterkannt haben: dass klein machende Fremdzu-schreibungen oft mehr zu tun haben mit ihremGegenüber als mit ihnen selbst.

Über dieses Vorgehen konnte sich das Selbst-erleben vieler hoch begabter Kinder und Jugend-licher aus der Identifizierung mit falschen Zu-schreibungen wieder lösen. Belastende und ver-wirrende Vorstellungen wandelten sich; Abwehroder Fehlgewichtung ihrer Begabung in ihremSelbstkonzept konnte einem unbefangenerenSelbstverständnis, einem Sich-selbst-Verstehen,weichen.

Eine ähnliche Wirkung auf die realitätsge-rechte Integration ihrer außergewöhnlichenBegabung in ein positives Selbstkonzept konntedas diagnostische Mittel eines Intelligenztestshaben. Die Durchführung begabungsdiagnosti-scher Testuntersuchungen konnte dazu verhel-fen, dass die so außergewöhnlich hoch begabtenKinder und Jugendlichen ihre Gaben überhauptwieder wahrnahmen, sie positiv erlebten und ihrAufgewecktsein gerade bei komplexeren Auf-gaben ihr Selbstvertrauen stärkte. Durch Testskonnte ihnen bewusst werden, dass Schwierig-keiten mit der Umwelt nicht auf etwas Schlim-mem an ihnen selbst beruhten, sondern z. B.darauf, dass sie vieles schneller und anders er-fassen konnten als die meisten anderen in ihrerUmgebung und vieles in ihrem derzeitigen Um-feld, z. B. gerade in der Schule, nur wenig zuihnen und ihren Gaben passte. Es konnte neuesSelbstbewusstsein wachsen, Wissen um sichselbst, und damit Selbstvertrauen und Zuver-sicht, neue Wege zu finden.

Auf spezifisches therapeutisches Vorgehen,wie es im Falle von Suizidalität und anderensehr ernsten Störungen erforderlich war, kann

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hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Inallen Fällen aber zielte die beratende und thera-peutische Arbeit mit hoch begabten Kindern undJugendlichen und ihren Eltern ab auf eine Ver-änderung des Bedingungsgefüges für die Entste-hung von Entwicklungsproblemen und das Lei-den daran. Die individuelle Erarbeitung neuerBetrachtungsweisen und Stärkung von Stärkenkonnte wirksam unterstützt werden, wenn einekrank machende Situation in ihrem Lebensall-tag, sei es in der Familie oder in der Schule,günstig beeinflusst werden konnte. Änderungenäußerer Bedingungen machten individuellesÄndern manchmal überhaupt erst möglich.

4.2.2 Wege für die Eltern

Ein zentraler Bestandteil aller Beratungs- undTherapiearbeit waren Beratung oder begleitendeBehandlung der Eltern. In manchen Fällen standsie zeitweise im Vordergrund oder war alleinschon hilfreich. Manche Eltern waren nach lan-ger Suche, vielen Irrwegen und Eskalation vonProblemen verzweifelt und am Ende ihrer Kräfte,sie brauchten Trost, Rat und neue Hoffnung.Würdigung ihrer Ausdauer und ihres Einsatzesfür ihr Kind gehörte dazu, gerade wenn kompe-tente Hilfen vor Ort, in Schule oder Kindergarten,nicht zu finden waren. Trotz mancher Fehlwegeund Unvollkommenheiten waren es letztlich fastimmer die Eltern, die oft weitere Anstrengungenund weite Wege auf sich nahmen und nicht auf-gaben, Außenhilfe zu suchen, auch wenn siemanchmal ihren eigenen Anteil in einem Verän-derungsprozess (noch) nicht oder nicht leicht lei-sten konnten oder andere eigene Probleme Hilfean anderer Stelle erforderten.

Wenn Eltern die hohe Begabung und beson-dere Entfaltungsbedürfnisse ihres Kindes mit

großer Ambivalenz erlebten, konnte eine Reiheseparater Elterngespräche erforderlich werden.Widersprüchliche Gefühle zu verarbeiten, sichan Informationsmaterial heranzuwagen, bisherigeWege in Frage zu stellen und ein neues Gleich-gewicht zu finden, brauchte Zeit. Die Bewältigungihrer Ambivalenz war für das Selbstverständnisdes Kindes von großer Bedeutung. Wenn dieEltern klarer mit den Bedürfnissen ihres Kindesund Schwierigkeiten im Umfeld umgehen konn-ten, trug dies auch zu größerer Sicherheit ihresKindes bei. Problematische Außenbedingungenkonnten dann besser toleriert werden.

Ähnlich wie für die Kinder und Jugendlichenerwies es sich auch für die Eltern als hilfreich,mit ihnen ausführlich über die Kennzeichen be-sonders hoher Begabung und ihre Bedeutung zusprechen. Entlastend waren Beratung und Anlei-tung, für sich selbst und auch Dritten gegenüberdie Fähigkeiten und Entwicklungsbedürfnissedes Kindes einfach so zu beschreiben, wie siewahrgenommen werden können. Dies half, denBegriff der Hochbegabung zu entmystifizierenund die Unbefangenheit der Eltern zu stärken.

Bei vielen Eltern wurden durch die Ausein-andersetzung mit der hohen Begabung ihres Kin-des eigene lebensgeschichtliche Erfahrungenangerührt. Für manche Eltern war die Erkenntnis,dass sie selbst wohl auch so ein Kind gewesenwaren, mit Erschütterung verbunden; manchmalentstand große Trauer um unerkanntes Potenzialund nicht erlebte Chancen. Mütter waren häufi-ger betroffen als Väter. Dies berührt Fragennach einer geringeren Aufmerksamkeit und För-derung für hoch begabte Mädchen in Gesell-schaft und Bildungswesen, die auch gegenwär-tig aktuell sind. Die elterlichen Gefühle konntenin Beratung oder Psychotherapie meist aufge-griffen werden, ihre Bewältigung förderte einen

bejahenden Umgang der betroffenen Eltern mitihrem hoch begabten Kind.

Eine Sondersituation in der Beratung von El-tern hoch begabter Kinder und Jugendlicher istdie ausschließliche Beratung am Telefon, z. B.wenn Eltern noch nicht entschieden sind, ob sieeinen persönlichen Beratungstermin vereinbarenwollen. Hier stehen oftmals das Auffangen eineshohen emotionalen Drucks der Ratsuchenden,Zuhören und Verständnisvermitteln an ersterStelle. Weiter sind sachliche Information undAufzeigen weiterer Hilfen und Vorgehensmög-lichkeiten erforderlich. Darüber hinausgehendeindividuelle Beratung muss jedoch sehr begrenztbleiben, da die persönliche Gesamtsituationtelefonisch nicht ausreichend erfassbar ist.

4.2.3 Zusammenarbeit mit der Schule

Während in den ersten Lebensjahren im We-sentlichen das familiäre Umfeld für die Persön-lichkeitsentwicklung eines Kindes prägend ist,kommen später die Institutionen Kindergartenund Schule dazu – Letztere lebensbestimmend fürsehr viele Jahre, in denen sich die Persönlich-keit des Kindes und Jugendlichen weiter aus-bildet.

Die Bedeutung der Schule war als Teil desBedingungsgefüges für Entwicklungsschwierig-keiten hoch begabter Kinder und Jugendlicheraußerordentlich groß. Rigide versagende undentwertend bleibende Verhältnisse in der Schulekonnten individuelle psychotherapeutische Arbeitblockieren oder Ergebnisse wieder in Frage stel-len. Umgekehrt klangen Symptome und Leidens-druck rascher ab und eine positive Entwicklungwährend einer längeren Psychotherapie bahntesich leichter an und blieb stabiler, wenn sich pa-rallel zum individuellen Ansatz auch das schuli-

sche Umfeld positiv veränderte. Schon kleine,aber verlässliche Änderungen, die ihre Bedürf-nisse würdigten und aufgriffen, stimulierten neueZuversicht in den manchmal sehr hoffnungslosgewordenen Kindern und Jugendlichen.

In einzelnen Fällen konnte beobachtet wer-den, wie eine veränderte schulische Umgebung,akzeptierend und intellektuell herausfordernd,die ganzheitliche Entwicklung hoch begabterKinder und Jugendlicher fördern kann. Entfal-tungsraum für ihre Begabung und Anerkennungkonnte alle anderen Persönlichkeitsseiten sti-mulieren. Die Kinder und Jugendlichen erschlos-sen sich neue Bereiche, für die sie vorher keiner-lei Initiative hatten, im intellektuellen, musischen,sportlichen und sozialen Bereich, und gewannenSicherheit und Selbstvertrauen. Manchmal wardazu ein Schulwechsel erforderlich. Von Bedeu-tung war immer, wenn eine Bullying-Situationbeendet wurde und ein anderes schulischesKlima gegenseitiges Geltenlassen der verschie-densten Stärken und Schwächen der Schülerin-nen und Schüler ermöglichte.

Lehrerinnen und Lehrer können nicht wie dieEltern regelmäßig in Beratung oder Psychothera-pie eines hoch begabten Kindes oder Jugend-lichen eingebunden werden. Durch tagtäglicheInteraktionen im Unterricht und das allgemeineKlima, das in ihrer Schule geschaffen wird, wir-ken sie jedoch nachhaltig auf das Befinden derKinder und Jugendlichen ein. Es erwies sich invielen Fällen als hilfreich, Kontakt zur Schuleaufzunehmen und neue Kommunikationswegezwischen Eltern und Lehrerinnen zu bahnen. Da-bei konnten öfter gegenseitige pauschalierendeSchuldzuweisungen (»Es liegt alles an der Schu-le«/»Es liegt alles am Elternhaus«) abgebaut undZusammenarbeit gefördert werden für ein Kindin Nöten. In anderen Fällen war dies jedoch

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nicht möglich oder wurde von der Schule, manch-mal auch von den Eltern, nur sehr zögernd zuge-lassen.

Insgesamt aber konnte ein direkter Kontaktmit Lehrerinnen und Lehrern in der Schule oderErzieherinnen im Kindergarten zunehmend häufi-ger hergestellt werden und zu entwicklungsför-dernden Veränderungen in der Umwelt des hochbegabten Kindes oder Jugendlichen beitragen.Dies erfolgte mit Einverständnis und unter Ver-mittlung der Eltern, die Kinder und Jugendlichenkonnten fast immer darin einbezogen werden.Trotz Einverständnis erfordern die schutzwürdigenBelange der Betroffenen vorsichtiges Abwägen,damit nicht Mitteilungen einseitig und stigmati-sierend zu Lasten von Kind und Eltern ausgelegtwerden oder die Schule die bei ihr liegendeschulrechtliche und pädagogische Verantwor-tung an außerschulische Instanzen delegiert. Inpathologisierender Weise geschah dies im Falleeines Jungen, dessen Eltern einen Antrag aufÜberspringen einer Klasse für ihn gestellt unddas Gutachten einer Therapeutin beigefügt hat-ten. Die Schule lehnte nach längerer Verzöge-rung die Entscheidung ab und begründete u. a.:»Das Schreiben von … ist für die Bewertung inSachen des o. a. Antrages nicht ausreichend. Ein klinisches Gutachten mit konkreten Bewer-tungen und Therapieanweisungen bzw. Hinwei-sen für die Arbeit mit NN in der Schule fehlthier.« (Netzwerk-Informationen Nr. 14, Januar2000. Förderung von Hochbegabten in den Schu-len. Hrsg. Reinhard Eicke.) Hier rechtfertigte dieSchule eine Verweigerung schulischer Förder-maßnahmen, indem sie etwas forderte, wasnicht den Bereich der Schule betrifft, nämlich»Therapieanweisungen«. Ihre eigene pädagogi-sche Zuständigkeit und Kompetenz stellte siejedoch nicht zur Verfügung.

Anders als in diesem Beispiel gab es immerwieder auch ermutigende Erfahrungen in derZusammenarbeit mit Schulen und hohen Einsatzeinzelner Lehrerinnen und Lehrer, das eigeneRepertoire zu erweitern, um ungewöhnlich be-gabte Schülerinnen und Schüler besser zu för-dern als bisher. Lehrerinnen und Erzieherinnenermöglichten Austausch und Verständigung,teils telefonisch, teils im Beratungstermin ge-meinsam mit den Eltern oder in Schule oder Kin-dergarten. Eine solche Kooperation wurde füreinen Jungen in einer dritten Grundschulklassezur wesentlichen Hilfe. Seine hohe Begabungwar erst über eine Sonderschulüberprüfung undeine kinderpsychiatrische Untersuchung aufge-fallen. Auch er zeigte unzureichendes Arbeits-und schwieriges Sozialverhalten. Hier reagiertedie Schule jedoch ganz anders. Ungünstige Aus-wirkungen der Familiensituation und ein drohen-der Abstieg in der Schullaufbahn konnten da-durch abgefangen werden, dass die Klassenleh-rerin und ein Lehrer bereit waren, dem Jungenherausfordernde Aufgabenstellungen zu geben,ohne darauf zu bestehen, dass er zuvor anDurchschnittsaufgaben das übliche Arbeitsver-halten entwickelt hatte. An der höheren Anfor-derung konnte sich seine Begabung zeigen undwurde zum Ansatzpunkt für positivere Wechsel-wirkungen zwischen dem begabten Jungen undseinem Umfeld.

4.2.4 Aufgreifen der Beispiele: Erfahrungen von Peter, Sabine und Till

Peter

Mit der Schule von Peter war eine direkte Kom-munikation nicht möglich. Für ihn schien es zu-nächst überhaupt keine Entwicklung zu geben,

die Bullying-Situation änderte sich kaum, seineHoffnungslosigkeit blieb lähmend, das Angebotdirekter Kontaktaufnahme mit der Schule löstebei Peter und seinen Eltern Angst vor weitererFeindseligkeit aus. Im Laufe mehrerer Gesprä-che mit ihm über seine Begabung, über Alters-übliches und Altersunübliches, über das An-spruchsniveau des Schulstoffes und die Bean-spruchung durch die Konflikte mit der Klasseschien Peter aufzumerken und Hoffnung zuschöpfen. Die Einschätzung, er könne sicher das Überspringen einer Klasse bewältigen, er-schien ihm verlockend und erschreckend zu-gleich. Entscheidend war neben der Geborgen-heit in der therapeutischen Beziehung schließ-lich die ganz banale Erkenntnis, dass er sichdurch Überspringen, auch wenn sich sonst nichtsänderte, zumindest ein Jahr an Langeweile undHänselei ersparen und mit der gewonnenen Zeit etwas tun könnte, was ihn wirklich interes-sierte.

Auch seine Eltern konnten ihre Ängste, sichzu exponieren, überwinden, der Springantragwurde gestellt, gleichzeitig fiel die Entschei-dung für einen Schulwechsel. Seine Schule be-fürwortete den Antrag; seine Eltern hatten je-doch den Eindruck, das geschähe nicht wirklich,um Peter zu fördern, sondern eher, um das Pro-blem loszuwerden. Die aufnehmende Schulewar trotz seiner zuletzt sehr schlechten Schul-noten aufgeschlossen für Peters Begabung undseine Lernbedürfnisse. Peter überwand seinegroße Angst vor dem entscheidenden Gesprächin der neuen Schule und dem Abschied von sei-ner alten Klasse, der er ausdrücklich persönlichseinen Entschluss mitteilen wollte. Alle Schwie-rigkeiten waren damit nicht bewältigt, aber eswar eine wichtige Weichenstellung erfolgt, diePeters Selbstregulierungskräfte wieder freileg-

te. In telefonischer Rückmeldung berichteten dieEltern, dass Peter wieder aufrechter gehe.

Sabine

Auch für Sabine war eine äußere Veränderungganz wesentlich für ihre seelische Balance undihr Selbstwertgefühl. Sie konnte vorzeitig aufge-nommen werden in eine Schule, die bereits Er-fahrung mit der Förderung hoch begabter Kindergesammelt hatte. Mit der Einschulung war siewie ausgewechselt, vergnügt, ausgeglichen undoffensiver; die Hoffnung der Eltern erfüllte sich:»Wir haben unser fröhliches Kind wieder«. ImLaufe der Zeit zeigte sich zwar, dass nicht alleErwartungen an die Schule realisierbar warenund immer wieder Gespräche zwischen Elternund Lehrerin erforderlich waren, damit Sabineausreichende Herausforderungen bekam. Abermit der Enttäuschung, dass die Aufgaben nichtso richtig schwer waren wie erwartet, konnteSabine besser zurechtkommen als mit der Be-schränkung in der Kindergartenzeit. Eine neuer-liche Verunsicherung ihres Selbstgefühls, diedurch Zusammenwirken ihrer großen Anpas-sungsbereitschaft und der einseitigen Vorgabeihrer Lehrerin entstanden war, konnte sie mittherapeutischer Hilfe gut bewältigen: »Wir ler-nen jetzt die Fünf«, hatte die Lehrerin angekün-digt; Sabine berichtete dies in trauriger Stim-mung. »Wir« stimmte, sie fühlte sich zur Klassezugehörig; »wir« stimmte aber auch nicht, Sabi-ne konnte die Fünf längst und lernte sie nichtjetzt erst. Ihr Wissen um sich selbst passte nichtzur Aussage der Lehrerin. Sabine geriet in einenKonflikt, den viele hoch begabte Kinder in denersten Schulwochen erleben: sich zugehörig zufühlen und zu sein wie die anderen, um denPreis, das, was längst zu ihrem Selbstverständ-

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nis gehörte, »vergessen« zu müssen und jetztneu zu »lernen«, oder ihr realitätsgerechtes Be-wusstsein von sich zu behalten, die Fünf oderanderes schon zu können, damit aber vom »Wir«ausgeschlossen zu sein. Immer wieder berichtenEltern, dass ihre Kinder nach der Einschulunglängst sicher erworbene Fähigkeiten aufgebenund sich dem Stand der Klasse und dem Anfor-derungsniveau der Lehrerin anpassen – unterVerlust von Selbstsicherheit und Lebensfreude.Für Sabine war wesentlich, dass ihre Lehrerinsich auf ein Gespräch über Bedürfnisse hoch be-gabter Kinder einließ, sensibler wurde und ihrundifferenziertes Vorgehen modifizierte. Sie gabSabine aus dem gleichen Bereich, in dem dieKlasse Grundkenntnisse erlernte, vertiefte Auf-gabenstellungen, bei denen sie sich anstrengenmusste und auch Neues lernte. Schule machteSabine wieder Freude.

Till

Wie Till die Unterforderung im Unterricht weiterverkraftet, bleibt noch offen. Er ist seit einigerZeit körperlich zappelig und sehr unruhig, ohnedass in fachärztlicher Untersuchung die Diagno-se »Hyperaktivität« gestellt werden konnte. Esscheint eher so, dass sein Geist bei anhaltenderUnterforderung unruhig wird, es verlangt ihnnach Bewegung, sein Körper drückt dies aus. Ineinem außerschulischen Ferienkurs mit hohemNiveau und schnellschrittigem Lerntempo hatteer keine Zappelprobleme, sondern war konzen-triert bei der Sache. »Meine Lehrerin hätte michsehen sollen – oder die von der zweiten Klas-se!« Stärkere Herausforderung kann unbestimm-te Unruhe hoch begabter Kinder zum Verschwin-den bringen; dies kann im Schulalltag erprobtund beobachtet werden. Ein rasches Springen

von der ersten in die zweite Klasse streben sei-ne Eltern für Till an, zumal er eigentlich ein Jahrfrüher hätte eingeschult werden sollen unddurch die späte Einschulung sein begabungsbe-dingter Vorsprung zu seinem Jahrgang noch ver-stärkt wurde. Für Till gibt es noch einen Anreiz,eine Klasse zu überspringen: neue Lehrerinnenund einen Lehrer. Das, was im Allgemeinen fürjüngere Schulkinder als belastend angesehenwird, zu viele verschiedene Lehrerinnen undLehrer und häufiger Wechsel, erweist sich fürhoch begabte Kinder oftmals als hilfreich: Ande-re Lehrerpersönlichkeiten erleben sie manch-mal als einzige neue Anregung für ihren Geist,wenn der Schulstoff so langweilig ist.

4.3 Anforderungen an die Schule

Dass sich der Forschungsdrang hoch begabterKinder und Jugendlicher auf Gebiete ausdehnenkann, die primär dafür im Unterrichtskonzeptnicht vorgesehen sind, trägt dazu bei, dass einungewöhnlich begabtes Kind auch erfahreneLehrerinnen und Lehrer verunsichern kann. Kränk-barkeit durch hoch begabte Schülerinnen undSchüler sowie Ängste vor ungewohnten Wegensind oft groß. Fortbildung und Ermutigung sinderforderlich – Ermutigung, sich herausfordern zulassen zu mehr Kreativität in der Unterrichtsge-staltung und dazu, die schulrechtlich gegebenenMöglichkeiten zu nutzen, Wege auch einmalquer zum Üblichen zu beschreiten, um unüblichbegabte Kinder zu fördern.

Für Lehrerinnen und Lehrer, die jahrelangauf Jahrgangsübliches ihres Erfahrungsbereichseingestellt sind, kann es außerhalb ihrer Vorstel-lung liegen, wie sehr abweichend vom Üblichen

die geistige Kapazität und das Lernbedürfnis ei-nes hoch begabten Kindes tatsächlich sein kön-nen. So kommt es immer wieder dazu, dass eineaus Sicht der Lehrerin »besondere« Aufgaben-stellungen für ein unterfordertes Kind von die-sem immer noch als »Pippifax« angesehen wird.Ohne gute Kenntnis, Wahrnehmung und Hand-lung laufen Aktionen und Reaktionen aneinan-der vorbei, häufig nach ähnlichem Muster.

Eine Lehrerin hatte sich besondere Mühegegeben und sich eine Aufgabe überlegt, die fürdie Klasse noch gar nicht in Frage kam; sie siehtsie als anspruchsvoll und herausfordernd an.Das hoch begabte Kind freut sich bei der An-kündigung auf eine wirkliche Herausforderung,seine Erwartung und Lernbereitschaft wird aufeinem sehr hohen Niveau aktiviert, passend zuseinem Potenzial. Schließlich, wenn die Anfor-derung immer noch zu gering ist und die Fähig-keit des Kindes nicht trifft, sind beide enttäuscht:das Kind über die zu einfache Aufgabe und dasnicht gehaltene Versprechen (eine »passende«Aufgabe), die Lehrerin über die freudlose Reak-tion des Kindes, das als zu anspruchsvoll undundankbar erlebt werden kann.

Die Herausforderung für die Lehrerin oderden Lehrer besteht darin, sich mit ihrem Aufga-benkonzept auf ein immer höheres Niveau vor-zuarbeiten, bis sie die Kapazität eines hoch be-gabten Kindes wirklich treffen und kennen ler-nen. Dem muss dann durch Fordern und FördernRechnung getragen werden. Passivität ist schäd-lich – wie im Falle eines Schülers, den sein Leh-rer trotz der Erkenntnis, der Junge könne denMathematikstoff des ganzen Schuljahres in einerWoche lernen, ein Jahr lang durch die Mathe-matikstunden dümpeln ließ, ohne ihm differen-zierend begabungsgerechte Aufgaben zu stellen.Er tolerierte lediglich »heimliche« Beschäftigun-

gen, mit denen der Schüler den Leerlauf zu fül-len suchte. Neben die quälende Langeweile tratnoch die quälende Botschaft »Für dich haben wirnichts«, die umso schädlicher ist, als sie zu ei-ner Doppelbotschaft gehört, deren anderer Teilheißt: »Du musst trotzdem pflichtbewusst hier-her kommen und die Schule ernst nehmen«.Durch aktive Gestaltung herausfordernder Inhal-te jedoch kann die Aufgabe der Schule, sowohlWissen zu vermitteln als auch die Persönlich-keitsentwicklung zu fördern, auch für ein sol-ches Kind erfüllt werden.

Wenn immer alles zu leicht ist, behindertdie Schule hoch begabte Kinder und Jugendli-che darin, wichtige Ich-Funktionen wie Anstren-gungsbereitschaft und Lerntechniken zu ent-wickeln. Ursprüngliche Lernfreude kann verlorengehen und die tief befriedigende Erfahrung,durch Anstrengung weiterzukommen, kann nichtgemacht werden. Der Mangel an Erfahrung, einevon außen gestellte Aufgabe nicht gleich undleicht zu können, kann dazu führen, dass hochBegabte als Kinder, Jugendliche und Erwachse-ne durch ungewohnte Anforderungssituationenin Schule und anderen Lebensbereichen so ver-unsichert werden, dass sie zurückschrecken undnicht wissen, wie sie einer solchen Situationbegegnen können. Hoch begabte Kinder und Ju-gendliche können bei »schwierigen« Hausaufga-ben und anderen ungewohnten Aufgaben, ohnedass der inhaltliche Anspruch besonders hochsein muss, regelrecht in Verzweiflung geraten;sie können sich kein Bild machen über tatsäch-lich erforderliche Schritte, die sie so auch nichttun können. Das praktische Wissen vom Um-gang mit Anforderungen, die nicht mit einemSchritt erfasst werden können, ist nur vage, unddas Selbstvertrauen, neue Fertigkeiten entwi-ckeln zu können, kann gering bleiben.

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Eine hoch begabte sechsunddreißigjährigeFrau, beruflich sehr erfolgreich, dennoch imSelbstvertrauen unsicher, erinnert sich: »Nureinmal hatte ich richtig Freude an der Schule –ich war immer sehr gut –, aber da hatten wireine neue Lehrerin und ich musste mich richtiganstrengen!«

Der Anspruch an Schule erscheint oft hoch,gerade auch durch hoch begabte Kinder und Ju-gendliche und ihre Eltern. Lernen und an heraus-fordernden Aufgaben wachsen zu wollen, er-scheint jedoch richtig und wünschenswert. Esentspricht dem Auftrag der Schule, der umsoeher eingefordert werden kann, als sie unaus-weichlich ist: Auch für hoch begabte Kinder undJugendliche gilt die Schulpflicht. Kommt es zuEntwicklungsschwierigkeiten in Wechselwir-

kung mit der Umwelt, erfordert dies Bewälti-gungsanstrengungen aller Beteiligten. Indivi-duell, durch die einzelnen Eltern und ihre Kinder,geschieht dies oft mit Hilfe von Beratung undPsychotherapie. Wie gezeigt werden konnte,reicht dies nicht aus, wenn nicht Ursachen imweiteren Umfeld der Kinder und Jugendlichenabgebaut werden. Hier ist in erster Linie dasSystem Schule gefordert.

Darüber hinaus ist es eine gesellschaftlicheAufgabe, besondere Begabungen zuzulassen.Die Fähigkeit hoch begabter Kinder und Jugend-licher, mit ihrem eigenständigen kreativen Geistoft schon in sehr jungem Alter neue Lösungenfür lange bestehende Probleme der Welt zu er-denken, sollte dem einzelnen Kind oder Jugend-lichen und der Gesellschaft nicht verloren gehen.

5Vorsorge

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Vorsorge

Vorsorgen ist besser als Heilen. Hochbegabungist keine Krankheit; Vorsorge für eine gesundeEntwicklung hoch begabter Kinder und Jugend-licher, gegen krank machende Einflüsse ausihrem Umfeld, ist jedoch erforderlich. Ansätze,behindernde Bedingungen zumindest abzumil-dern, lassen sich aus den vorliegenden Erfahrun-gen ableiten, auch wenn manche Fragen zu Wir-kungszusammenhängen, gerade im Spannungs-feld von Elternhaus und Schule, offen sind.

Erforderlich sind ganz allgemein eine besse-re Information und ein offeneres Klima in derÖffentlichkeit.

Für Berufsgruppen mit Kompetenz für dieEntwicklung von Kindern und Jugendlichen mussder Erwerb von Kenntnissen über Hochbegabungund ihre Erscheinungsformen und über konstruk-tive Interaktionsmuster in Aus- und Fortbildungintegriert werden.

Speziell im ärztlichen und im pädagogischenBereich können und müssen die vorhandenenStrukturen mehr als bisher genutzt werden, umaltersunübliche Fähigkeiten und Entwicklungs-bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zu er-kennen und zu würdigen und geeignete Wegefür eine gesunde Entwicklung aufzuzeigen.

Im ärztlichen Bereich sind dies vor allem dieFrüherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 unddie schulärztlichen Untersuchungen, zu deneninsgesamt fast alle Kinder gesehen werden. Ge-zielte Aufmerksamkeit für Zeichen einer hohenBegabung und für beginnende Einengung derEntwicklung sowie Verständnis und Beratungbei haus- und kinderärztlichen Konsultationenkönnen Eltern schon im Kleinkindalter ihres hochbegabten Kindes von Normierungsdruck entlas-ten und darin unterstützen, auch altersunübli-che Entwicklungsbedürfnisse ihres Kindes inFürsorge zu akzeptieren und zu vertreten. Emp-

fehlungen für eine frühe Einschulung wären ofthilfreich, damit die Schulzeit für hoch begabteKinder ihrem Lernbedürfnis entsprechend früherbeginnen könnte.

In Kindertagesstätten, dem oft ersten insti-tutionalisierten Umfeld in Gleichaltrigengrup-pen, können Erzieherinnen mit Kenntnissen vonaltersunüblichen Entwicklungsbedürfnissenhoch begabter Kinder frühen Ausgrenzungser-fahrungen entgegenwirken. In gewährendemund akzeptierendem Klima können sie dasSelbstwertgefühl der Kinder stärken, den Elternkönnen sie aufgrund ihrer Beobachtungen wert-volle Hinweise geben.

Fachleute in Beratungsstellen »vor Ort«, ins-besondere in Erziehungsberatungsstellen, brau-chen mehr Kenntnisse über hoch begabte Kinderund Jugendliche und ihre Bedürfnisse, um beiEntwicklungsschwierigkeiten eines Kindes/Ju-gendlichen daran zu denken, dass zu den Ursa-chen auch eine Fehlforderung durch normieren-de Einengung geistiger Bedürfnisse und anhal-tende Unterforderung gehören kann. Sie müssenSchwierigkeiten richtig deuten lernen, um einemhoch begabten Kind oder Jugendlichen und sei-nen Eltern in der Beratung gerecht zu werden.

Eine Schlüsselrolle kommt dem öffentlichenBildungswesen zu und den Kenntnissen und demVerhalten von Lehrerinnen und Lehrern, nichtnur für die sehr prägenden ersten Erfahrungenmit Schule und schulischem Lernen, sondernauch in späteren Schuljahren, in der Latenzzeit,Pubertät und Adoleszenz. Entwicklungsphasen-typische Reifungsprozesse dürfen nicht durcheine lähmend oder konträr wirkende Schulsitua-tion behindert werden. Erkenntnisse aus derStressforschung über emotionalen Stress durchUnterforderung müssen Beachtung finden, auchin den Schulen. Kenntnisse über hoch begabte

Kinder und der Einsatz von Fördermaßnahmendürfen weniger dem Zufall überlassen bleibenals derzeit noch, um mehr Kinder, auch in denGruppenprozessen in der Klassengemeinschaft,vor demotivierenden und persönlichkeitsent-wertenden Erfahrungen und Fehlentwicklungenzu bewahren. Ängstlichem und feindseligemLehrerverhalten sollte mit beziehungszentrierterFortbildung so begegnet werden, dass neue Lö-sungswege für bestehende Probleme gefundenwerden können. Verantwortung für krank ma-chende Bedingungen in Gesellschaft und Schul-

wesen darf nicht dann delegiert und individuali-siert werden, wenn vorgegebene Strukturen unddas soziale Klima Probleme erzeugen. Kompe-tente Beratung für Lehrer, Kinder und Elternmuss innerhalb des Schulwesens, z. B. durchspezifische Beratungseinrichtungen für Hochbe-gabtenfragen, verfügbar sein.

Mehr Mut, ungewöhnlich begabte Kinderund Jugendliche durch ungewöhnliche Wege zufordern und zu fördern, würde Lernfreude erhal-ten und Schule zu einer persönlich und sozialstärkenden Erfahrung machen.

Vorsorge 50 / 51

»Na ja«, antwortete Fräulein Honig (Matildas Lehrerin, Anm. d. Verf.),»es ist nur eine Vermutung, aber ich will dir sagen, was ich mir ge-dacht habe. Solange du in meiner Klasse warst, hast du nichts zu tungehabt, hast um nichts kämpfen müssen. Dein Verstand ist dabei vorlauter Langeweile geradezu verrückt geworden. Es muß in DeinemKopf wie wild geblubbert und gekocht haben, und es haben sich ein-fach unermeßliche Kräfte angesammelt, die kein Ziel und keinen Sinngehabt haben. Irgendwie muß es dir gelungen sein, diese Kraft durchdeine Augen zu schießen und sie Gegenstände bewegen zu lassen.Aber jetzt hat sich die Lage geändert. Du bist in der obersten Klasseund du hast es mit Kindern zu tun, die mehr als doppelt so alt sind wiedu. Du brauchst also all deine Geisteskräfte für die Schule. Dein Ver-stand ist zum erstenmal richtig gefordert, muß sich anstrengen undwird in Bewegung gehalten, und das ist großartig.«

(Roald Dahl, Matilda. 1998)

Anhang

Danksagung und Anmerkung

Allen hoch begabten Kindern, Jugendlichen und Erwach-senen und den beteiligten Eltern gilt hier mein ganz herz-licher Dank; sie haben mich mit großem Vertrauen an ih-ren Schwierigkeiten und Entwicklungen teilnehmen lassenund mir so ermöglicht, ihre Bedürfnisse und ihre seeli-schen Prozesse zu verstehen. Mein Dank gilt auch ihrerZustimmung, Äußerungen über ihre Erfahrungen und Ent-wicklungsverläufe wiederzugeben.

Namen und biographische Details in den Fallbeispie-len und Zitaten sind so weit verändert, dass die Identitätder Beteiligten geschützt bleibt; wesentliche Aussagensind davon nicht berührt.

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Autorin

Dr. med. Barbara Schlichte-Hiersemenzel• Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeuti-

sche Medizin• Selbständig in eigener Praxis für Psychotherapie mit

Schwerpunkten für Musikermedizin und Entwicklungs-problematik allgemein hoch begabter Kinder, Jugend-licher und Erwachsener, Hannover

• Seit vielen Jahren hat es sich für die Autorin in Vorträ-gen und Fortbildungsseminaren für Ärztinnen und Ärzte,Erzieherinnen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer bewährt,das oft als sehr kompakt erlebte Attribut »hoch begabt«zu öffnen und so zu sprechen, dass »hoch« eine nähereBeschreibung von »begabt« wird – entsprechend dersprachlichen Gepflogenheit, mit der z. B. von einemhoch musikalischen Kind gesprochen oder geschriebenwird. Vorbehalte, die sonst durch den geschlossenenBegriff und die starke Betonung auf »hoch« aktiviertwerden, bleiben milder und das Interesse an Differen-zierung steigt. Dies wird mit der Übernahme diesesSprachgebrauchs in die Schriftform auch hier ange-strebt.

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