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ZU HANS GRIMMS ERZBISCNOFSCHRIFT VON FRITZ K. RICHTER KURZ iiach dem zweit.cn Weltkrieg richtcte der Erzbischof voii Canterbury ciiic Radiobotschaft an das deutsclie Volk, die daiiii ubersetzt in viclcii deutschen lizeiizierteti Zeitwigen erschien, wo sie auch von dcin Sclirift- stcller Hans Griiniii geleseri wurde. Die Botschaft liatte folgeiidcii W ortlaut : Es ist wirklich nicht lciclit, das auszwprecheii, w;1s ausgcsproclicii wcrden muss, uiid es in dcr riclitigcn Art zu sagcii. Sic iind ich kiinnen die Ereignissc der dcutschcn Gcschichtc dcr letzteii seclis Jalirc uiid auch schon tlcr tiriiliercn Zeit ebensowcnig vcrgessen wie die Folgcii fiir gaiiz Eiiropa. Was gcschehcn ist, kaiin iiiclit niclir iingcschehen gcniacht wcrdcn. DiircIi dcn Ictztcli A h cines Stiickes wird niclit ein cinzigcs Wort der vorlicrgeliciiden Aktc aufgc- lioben, abcr dcr letzte Akt kaim die Uedcutung dcr friilieren Szcnen in ein andercs Licht sctzen, cr knnn zcigen, wie dcn KrSfteii dcs Boscii Einhalt getnn wird uiid wie sie durch den scliliessliclien Triuinpli des Gutcn iibcrwLiiidcn wurden. Ein grauenvoller Absdinitt der deutschcn Gcschichtc hat sein Endc gcfiindcn. Die Frage lautet jetzt fiir Sic wie fiir uns allc: Was wird die Zukunft briiigen? Ilir I)cutscliai uiid wir Englaiidcr miissen genieinsam niit andcreii Vdlkern vcrsuclien, ein iieues Kapitel der Gescliiclite zu schreibcn. Welchen Bcitrag wcrden Sic 31s Deutschc dazu liefern? Sic tiiiSgeii sagen, dass Ilnicn in1 Augenllick iiur cines geblicbcn ist: Lcid. Ich weiss sehr wohl, linter wic k s c r s t liartcii Uedingungen Sie jetzt leben miissen, abcr das gilt niclit nur fiir den Dcutschen. In deli Tagcn des Kricges trugen die deutscheii Arnieen Vcrwiistungcn in die LHnder Eurer Nachbarii. Als daiui die Bcfrciung knm, da litten sic nicht weniger als Ihr durch die unvcrineidlichen Folgen des schwereii Kingcns. Unsere Zivilisation ist schwer erschiittcrt, trotzdem abcr wird allcs Menschenmogliclic getan, iiin Freund wie Feiiid init den Not- weiidigkeiten dcs Lcbcns zii vcrselicn. Sie tnogeii es uiis glauben, dass wir hier in England dcn criistlichcn Wrinscli Iiabcn, dirsc Lciden so bald 31s niiiglich zu bcenden. Seicn Sie fcrncr iibcrzeugt, dass wir aufrichtig den Tag herbciwiinschcii, da Deutscliland wicdcr in die Gciiiciiiscliaft dcr Vdkcr aufgcnoiniiien werdcn kann. Das ist die erklartc Politik unsercs Landcs. Ilie britisclie Arnice wurdc die ‘Uefrciiingsariiicc’ genannt. Es war iinscr Zicl, nicht nur tins selbst wid LIIIS~I-C Alliicrten, sondcrn auch E L I C ~ ~ von den Mfchten des Biiscii zu befreien. Und icli frage nochmals: Was wird Eucr Bcitrag zum Wcrke der Zukunft sein? Entsclieidcnd dafiir wird sein dcr Geist, in dein Ihr an die Aufgabcn der Gegenwart iind dcr Zukunft heran- trctet - der Glaubc, der Euch leiten muss. Icli glaubc, id1 gche nicht felil, wenn ich annchme, dass bei Euch zur Zeit ein geistiges Vakuuni waltet. Es 198

ZU HANS GRIMMS ERZBISCHOFSCHRIFT

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ZU HANS GRIMMS ERZBISCNOFSCHRIFT

VON FRITZ K. RICHTER

KURZ iiach dem zweit.cn Weltkrieg richtcte der Erzbischof voii Canterbury ciiic Radiobotschaft an das deutsclie Volk, die daiiii ubersetzt in viclcii deutschen lizeiizierteti Zeitwigen erschien, wo sie auch von dcin Sclirift- stcller Hans Griiniii geleseri wurde. Die Botschaft liatte folgeiidcii W ortlaut :

Es ist wirklich nicht lciclit, das auszwprecheii, w;1s ausgcsproclicii wcrden muss, uiid es in dcr riclitigcn Art zu sagcii. Sic iind ich kiinnen die Ereignissc der dcutschcn Gcschichtc dcr letzteii seclis Jalirc uiid auch schon tlcr tiriiliercn Zeit ebensowcnig vcrgessen wie die Folgcii fiir gaiiz Eiiropa. Was gcschehcn ist, kaiin iiiclit niclir iingcschehen gcniacht wcrdcn. DiircIi dcn Ictztcli A h cines Stiickes wird niclit ein cinzigcs Wort der vorlicrgeliciiden Aktc aufgc- lioben, abcr dcr letzte Akt kaim die Uedcutung dcr friilieren Szcnen in ein andercs Licht sctzen, cr knnn zcigen, wie dcn KrSfteii dcs Boscii Einhalt getnn wird uiid wie sie durch den scliliessliclien Triuinpli des Gutcn iibcrwLiiidcn wurden. Ein grauenvoller Absdinitt der deutschcn Gcschichtc hat sein Endc gcfiindcn. Die Frage lautet jetzt fiir Sic wie fiir uns allc: Was wird die Zukunft briiigen? Ilir I)cutscliai uiid wir Englaiidcr miissen genieinsam niit andcreii Vdlkern vcrsuclien, ein iieues Kapitel der Gescliiclite zu schreibcn. Welchen Bcitrag wcrden Sic 31s Deutschc dazu liefern? Sic tiiiSgeii sagen, dass Ilnicn in1 Augenllick iiur cines geblicbcn ist: Lcid. Ich weiss sehr wohl, linter wic k s c r s t liartcii Uedingungen Sie jetzt leben miissen, abcr das gilt niclit nur fiir den Dcutschen. In deli Tagcn des Kricges trugen die deutscheii Arnieen Vcrwiistungcn in die LHnder Eurer Nachbarii. Als daiui die Bcfrciung knm, da litten sic nicht weniger als Ihr durch die unvcrineidlichen Folgen des schwereii Kingcns. Unsere Zivilisation ist schwer erschiittcrt, trotzdem abcr wird allcs Menschenmogliclic getan, iiin Freund wie Feiiid init den Not- weiidigkeiten dcs Lcbcns zii vcrselicn. Sie tnogeii es uiis glauben, dass wir hier in England dcn criistlichcn Wrinscli Iiabcn, dirsc Lciden so bald 31s niiiglich zu bcenden. Seicn Sie fcrncr iibcrzeugt, dass wir aufrichtig den Tag herbciwiinschcii, da Deutscliland wicdcr in die Gciiiciiiscliaft dcr Vdkcr aufgcnoiniiien werdcn kann. Das ist die erklartc Politik unsercs Landcs. I l ie britisclie Arnice wurdc die ‘Uefrciiingsariiicc’ genannt. Es war iinscr Zicl, nicht nur tins selbst wid LIIIS~I-C Alliicrten, sondcrn auch E L I C ~ ~ von den Mfchten des Biiscii zu befreien. Und icli frage nochmals: Was wird Eucr Bcitrag zum Wcrke der Zukunft sein? Entsclieidcnd dafiir wird sein dcr Geist, in dein Ihr an die Aufgabcn der Gegenwart iind dcr Zukunft heran- trctet - der Glaubc, der Euch leiten muss. Icli glaubc, id1 gche nicht felil, wenn ich annchme, dass bei Euch zur Zeit ein geistiges Vakuuni waltet. Es

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konnte nicht wundemehmen, wenn den1 so ware. Viele Jahre hindurch habt Ihr - als willige oder unwillige Werkzeuge - Euren Glauben aufeinen Mann, auf eine Lehre gesetzt. Das hat E U C ~ in den Abgrund gefuhrt. Eure Hingabe, Eure hochfliegenden Plane, Eure Ausdauer - das ist alles in nichts zerroimen. Was ist nun gcblieben? Ich denkc besonders an Eure Jugcnd, die niclits kennen geleriit hat als die Welt der Begeisterung, der Hingabe und des beinahc religioseii Fanatisnius - die Welt, die Hider ihr vorgaukclte. Jetzt steht diese Jugend an der Schwelle des Manncsalters, und alles, worm sie geglaubt hat, ist zerbrochun, die Welt liegt hoffnungslos vor ihr. Und so oder ahnlich steht es uni vide von Ihnen. In dcr Welt ist Unsicherheit und Furcht, Furcht vor Not, Furcht des einen vor dem anderen, Furcht vor der Atomenergie. Furcht beherrscht die Menschheit und wendet alles zum Bosen. Aber gerade weil Ihr jetzt als Nation machtlos seid, weil Ihr VOT,

neuem beginnen niiisst, daruin konnt Ihr, j a darum niiisst Ihr Euch entscheiden worauf Ihr in Zulrunft Euren Glauben griinden wollt.

Als Hans Grinim diese niit den1 29. November 1945 vermcrkte Botschaft des Erzbischofs Ias, fiihlte er sich aufgefordert, als Dcutsclier, mid zwar als ‘deutscher Deutscher’, wie cr gerne unterscheidet, ZLI antworten. Er hatte als junger Kaufniannslehrling in England und als kaufinsmiischer Angestellter in Siidafiika insgesaiiit fiinfzchn Jahre linter der englischcn Flagge gelebt. Er beherrsclit die cnglische Sprache, und er glaubt das englische Wesen besonders gut zu begreifen. Er ist ein ausgezeichneter Iknner der englischen Geschichte, und er ist ein grosser Bewunderer der gesamten englischen Nation. Er glaubt, dass ihr keine zweite an Grosse nahekomme- keine zweite ausser der deutschcn.

So setzte er sich gleich nach der Lektiire dicser Uotscliaft hin und antwor- tete dem Erzbiscliof schriftlich. Diese erste Antwort, jetzt gcgen 97 Druck- seiten iimfasscnd, beschiiftigte Grimni bis ins Jahr 1947. SIC bildct nun den ersten Ted der vier Antworten dcr ‘Erzbischofschrift’. Von 1947-48 schrieb er eine weitere Antwort, 3 8 Seiten lang, dcr 1948-49 die dritte, 32 Seiten lange, hinziigefiigt wurde, welclicr dic vicrte, letzte Antwort, auf 45 Druckseitcn folgte. Diese vier Antworten haben lange warten miissen, bis sie eincn Verleger fanden, aber dieses erscheint nun Grimiii wie eine Fiigung. Durch das vor lauter gefurchteten Verboten oder Benachteili- gungen erfolgte Zuriickhaltcn diescr Antwortcn, tragcn dieselben, nach Grimins Ansicht, ‘nicht melir wechsclnde Zufdligkeiten vor, wie sie sich in den Errcgtheiten nach cincni langcn Kriege stets ereignen niogcn, soiiderii sie tragen eine Kontinuitst vor; ein Zusamnicnhang tut sich auf in deni, was durch fun f Jahre niit uns Deutschen vorgenoniinen wid wider uns mid iiber uns weg an Zusaniniengelesenem, Zusammengeschriebenem und zusam- menerfindcnen Zeugnissen vorgebracht wurde und doch in den fiinf Jahren niemand 211 Nutzen je dienen wird, aber allen zum Sdiaden, der vielleicht schon eiri endgiiltigcr geworden ist’.

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Der Verlag, der diese uber fiinf Jahre hindiirch verfassten Antworten cndlich in cineni Band herausbringt, ist der Plcssc-Verlag in Gottingen. Das Buch ist ein ausscrordcntlichcr Buchcrfolg in Deutschland gewordcn. Die vierte Auflage ist bcrcits (Novcnibcr 1950) vcrgriffcn.

In] Folgeiiden sol1 der ‘KontinuitPt’ der vier Antwortcn nachgcgangcn wcrdcn. Es ist vicllcicht fiir die Gcsamtlialtung Grimms bezeichnend, dass er zunichst cinnial, bcvor cr antwortet, dic l’crson dcs Erzbischofs ctwas heruntcrrcisst. Obwohl ihni dicscr Erzbischof als ‘dcr liochste sichtbare Vertrcter englischen Gewisscns’ gilt, obwohl cr wisscn solltc, dass dieser Erzbischof nicht nur das Obcrhaupt der Hochkirche sondern auch cine der wichtigsten Gcstaltcn in der grosscn Iiitcrkomiiiiinionsbcwegu~ig zwischcn der Hochkirche, dcr griccliischkatholiscl~cn utid dcr altkatholischen Kirchen dcr Wclt ist, schreitct Griniiii zur durchaus u n r i c h t i p Feststcllung: ‘Uber die Haltung und die Handlungcn dcs hohcn Anitstrigers wihrcnd der Kriegsjahrc hattc ich aus auslindischcn Q~i~l lc i i iiii tcr andcrcni crfihrcn, er habc offcntlich crkliirt, liussland stellc cincn dcmokratischcn Staat dar und in Russland wcrdc das Christciituiii nicht vcrfolgt, und cr habc ausgc- sprochcn, chc fiinf Jahre nach dem Sicgc dcr cnglischcn Waffcn vcrflosscn scicn , diirfe kcin Fricde mit Dcutscliland gcschlossen wcrdcn, cine Zeit dcr Vcrgcltung sci nijtig nach allcm, was das dcutsclie Volk gctan habe, ehc cs wicdcr als freic Nation anerkannt wcrdcn konnc, und iiber die Vcrgcltung miissc cii Lustruni vcrgchcn.’

Diescs iibcr dcn Erzbischof Vcrnicrktc wirkt dcshalb so pciiilich und vcr- dirbt dcshalb dcni unterrichtctcn Lcscr das weitcrc Lcsen dicscr Schrift, wcil Grinini Iiicr sclirccklicli irrt und vcrwcchsclt. Er h h g t Ausscrungen dcs als ‘Rcd Dean of Cantcrbury’ bcriichtigtcn Dckniis von Cniitcrbury an den Erzbischof, dcr in Wahrhcit solchc oder zhnlichc von Grimni noticrten Ausspriichc nicnials vcrlautcn licss.

In dcr crstcn Antwort nun macht cs Hans Grinini ganz dcutlich, dass, seiner Ansicht nach, die Schuld a n England licgc. Diem habc Dcutschland zwci~nal angcgriffcn, 1914 und 1939. Es sci ihni, Hans Grinim, in jencii Jahren vor dcr Jahrhundertwendc, als cr l~aufinannslchrliiig in London war, schon aufgcfdlen, wic England zuiii Kricgc gegcn l~cutschland gcschiirt habc. Dic Zcituiigcn und Zcitschriften seien vollcr Hctzartikcl gcgcn die dcutschc Koiikurrciiz gewcscn, cine fcindsclige Stinimung habc sicli ininicr nichr brcit gemac-lit, fur die man in Ilcutschland gcwiss gleich Gchissiges niclit aufzubictcii hatte. Jcnc Hctzartikel, das wird bcsondcrs betont, seicn sclion vor dcni deiitschcn Flottcnbau und dcr Kriigcrdcpcsche des lcaiscrs gang und gibe gewesen.

Bcsondcrs herangezogen wird ein Aufsatz aus der Snturdny Review, vom I.

Februar 1896, in dcr es u.a. heisst: ‘Die Deutschen . . . sitid unscrc vor- bestimniten natiirlichen Nebenbuhler . , . Wire inorgen jedcr Dcutsche

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beseitigt, es gabe kein englisches Geschift, noch irgeiidein englisches Unter- nehmen, das nicht wuchse. Vcrschwinde jeder Englander morgen, die Deutschen hiitten im glciclien Verhiltiiis ihrcii Gewinn davon. Hier also wird dcr erste g-ossc Artenkampf der Zukunft sichtbar; hicr sind zwei wachsende Nationen, dic aufeinandcr driicken rund uni die Erde. Eine voii beiden ni u s s das Feld r%imen, cine von bciden w i r d das Feld raumen.’ Auf diesen Aufsatz, der Grinim wie cine Fanfare zuin Kricg gegen das damals vollig ununtcrrichtete Deutschland erscheint, greift cr gcrn zuruck. Er wird ilim fast wie zur Kriegserkliruiig sclber. Ganz abgeselien davon, dass dieser Artikel vollig privat in der Sntzirdny Review erschicn, also durchaus keine offizielle englische Stininiung kundtat, stinim t Grininis Ansicht uber dessen zeitliche Ungelegenheit garnicht. Er erschien a m I. Fcbruar 1896, das heisst mehr als drei Wochen i inch der Krugerdepcsche des deutschen Kaisers. Grimnis harnlloses Darstellen, als wiire ein solcher Artikel wie ein Blitz aus heitereni Himinel gekommen, wirkt, wie scine Verwechslung niit den Herren von Canterbury - recht naiv.

Die zweite Antwort beschiiftigt sich niit dcr iieuen Lage in Deutschland, besonders mit der Unierziehung. Dicse Umerziehung, so glaubt Grimrn, helfe deshalb nichts und niemandem, weil inan damit nur das todliche Gesteni in den deutschen Landen strafen wolle, niemals aber Europa in1 Auge habe. Durcb die Geschehen der Dinge nach dem Kriegsende werde dem Komniunismus Tur und Tor aufgetan, denn die Vermassung sei das neue grosse Ergebnis. Die Auslese der deutschcn Oberschiclit werdc ver- nichtet, Westdeutschland durch den Zuziig dcr elf Millionen Vcrarniten aus dem Osten nocli mehr veriiiasst, Familienlebcn vcrnichtet. Eine kleinliche Rachepolitik habe cingesetzt, und CI‘ crwalint die einzeliien zuni grosseii Ted tatsachlich stattgefiuidenen Gescliehen - er crwiihtit den Versuch, dass selbst das deutsche Marchen von jericr Rachepolitik nicht allein gelassen wurde. Auch das sol1 unierzogen werden. Wahrcnd so Grimni ein langes Sundenregister aufzieht - und nichts ist ja in der Tat leichter als eine Liste der Fehler, Versaumnisse und Irrtiitner aufzustellen, init dcncn die alliierte Politik gegenuber Deutschland voiii Jahr des Zusamnienbruchs bis 1950 belastet ist - nichts ist aber auch sinnloser, unniitzer! - erhebt er imnier mahnend und imnier wieder dcn Erzbischof anrufend (er ruft uber 250 Ma1 ‘Herr Erzbischof!’ aus!) seine Stimmc des Warnens: noch sei es nicht ZLI

spat, noch habe England Zeit, sich Ileutschland iiii Interesse Ganzeuropas zu nahern, denn die Rettung konne cbeii nur vori da herkommen, ‘wo sich Schiller-Goethe und Byron-Shakespeare in ihrer Wirkliclikeit wieder begegnen; sie vier allein konnen mit ihrcm Geiste bei der Vereinheitlichung Europas Pate stehen. Allen anderen Geistern irgendwo, und seien sie noch so beweglich und gewandt, fehlt der Umfang’.

In der dritten Antwort verbeisst sich Grinim noch mehr in das Thema, D

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wie man nun Deutschland behandle. Er kommt zu dem Schluss, dass der von den Alliicrten geschaffene deutsche Weststaat ein konstruierter Staat, einc bisher in diesem Unifaiig nocli nicht dagewcscne Diktatur sei. ‘Der inzwischeii beschlossene und von so gruiidverscliiedencii frcmden Willensrichtungen abhzngige Weststaat “Deutschland” ist eine Kon- struktion. Dcr Pnrlniiientnrisiiius diescs konstruicrten Staates saint seiner angcblicheri Dcmokratie und saiiit seiner angeblich frcien Aeusscrung der Volksnieinung auch in intenien Dingcn sind cine Konstruktion. - In dicsem konstruierten Staate sind nur bestinimte Parteien zugclasseii ; in dicsem konstruicrten Staate sirid die Wihlbarkeit und das Wahlrecht beschrinkt. - Die konstruicrtcn Bundeslinder diescs konstruicrten Staatcs liaben niclit einnial unbedingt freic Wisscnschaftler an ihreii UnivcrsitSten, dercn Rerufung und Wirksnnikcit a 11 e i n abhingc vom grosscn wisscnschaftlichen Konncn und scliopferi~chcr Leist ung, son- dern politisclic Genehmhcit gegenwirtiger und friiliercr Ucberzcugung ist auch fur sic Bcdingung geworden. - Es haiidelt sicli also bci dcm kon- struierten und suzerincn und angeblich dcmokratisch fiindicrtcii West- staate “Deutschlaiid” vorliufig iim eiii totalidrcs Staatsgebilde voii ciner Art, die cs noch nicht gegcbcn hat.’

Die einzelncn Tatsachen, die Hans Griniin gegen dcii Weststaat aufzu- briiigen weiss, niogen dem Einzclnen und vielleiclit sogar vieleii 17Ollig wohl begriindct erscheinen. Nur scheint cs doch, dass Hans Grimm nicht der Mann dazu ist, iibcr dicse cinzelncn Tatsachen zu klagen. Niir dcr 1i;ittc cin Recht dariibcr zu schreibcn uiid zu sprcchen, dcr auch damals sciiic Stimmc erhobcn hat, als cs in Deutschland nur cine Partci gab, n i i r eiii Ilenkcn, iiur ciri Gchorchen. Aber da ist Griniiii still gcwcsen, und von cinciii Protest ist nichts bckannt.

Vcrweist Grimni in der ersten Antwort die Englindcr auf ihre cigenc Schuld, zeigt er ihncn in dcr zweiten wie durch ein Vcrgrosserungsglnss die fdsche Politik, die sic nun mit Deutschland trcibcn, fuhrt cr ihncn in der drittcn das Produkt jencr Politik vor: die tollstc Diktatur, die cs j c gcgcbcii habe, so glaubt er in der viertcn Antwort zu wisscn, warmi man dcrart kleinliche Rache ubt, warum man Dcutschland danicderliilt, waruiii ma11 sich Deutschland nicht nilicrc. Dic Antwort dazu liabe Maurice Bardkhc, der riazifreundliclie Franzose, gcgeben: ‘. . . dass dcr I’rozcss, den niaii

Deutschland macht, cine ganz feste Grundlagc lint: dic Angst! Dcr Anblick dcr Ruinen vcrsctzte die Sieger in Panik. Die anderen m ii s s e n Unrecht haben. Sic 111 u s s e 11, denn, man bedenke iiur, wie die Welt aussihe, wenn die Dcutschen nicht die Ungeheuer wzren, als die man sie hinstellt. Wie schwer wurden dann diese (durch Bombenteppiche) zerstortcn Stzdte wiegen, diese tausende von Phosphorbomben.’

So gibt also Grimm am Endc seiner letzten Antwort dem iiber 250 Ma1

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angerufenen Erzbischof die klare Erwiderung : Unsereri Beitrag haben wir geliefert. England hat, aus Eifersucht zuerst, spltcr aus Angst, eine Verstandigung mit Deutschland vereitelt. Es liegt nunniehr alles an England.

Die Erzbischofschrift ist nicht nur Antwort und Angriff, sie ist auch eine apologetische Schrift. Ohne irgendwie im Gcringsten dazu aufgefordert zu werden, wirft Grimni die Frage des Antisemitismus auf. Es ist wahr, er schlnit sich der zchnten Novembeniacht, da n inn jiidisclie Heiligtiinier vemichtete, er scheint sich der Kaninieni und Lager zu schlnien, aber im gleichen Atenizuge noch fihrt er fort: ‘Deutsche und andere Menschen haben also schhesslicli geglaubt, niclit nur ein aufgetragencs Strafgericht vorzunehnien, sondern eine voni Schicksal, ja , von ihreni Gott her gewun- sclite Handlung zu erfiillen, so wie einst und ahnlicli in der fi.iihen Gcschichte das Judenvolk selbst solches meinte, wenn es i i x h Mosc V, Kap. 20, Vers I 3 und 16 handclte . . .’ Er fiilirt d a m jene rachediirstigen Zeilen gegen das Judentuni an, ohlie zu denkai, dass sie vor tausendcn von Jahren wohl geschrieben wurden, und dass die Christen das gleiche Buch als ihr heiliges Buch betrachten, also mit diesen Zeilcn ebenso belastet werden durften wie die Juden.

Diese Apologese Grinims versteigt sich ins Masslose, wenn er versucht, dem Erzbischof die Hitlerbewcgung klarzumachen. Nach Grinini habe sich jene Partei nur entwickelt, weil von England ails nichts geschah, uni Deutschland zu lielfen. Der Nntionalsozialisn~us sei im Anfang eine Unter- ofiziersbewegung gewesen, von aufgestorten Sollnen des alten liochge- bildeten Burgertums in die Macht getragen worden, niit zwei Feinden im Herzen: Komniunisnius und Ostjudentum, und niit einer Hoffnung im Herzen: Englands Freundschaft. Es sei iiii Anfang ein religioser Zug in jener Bewegung gewesen, den man bis spit in den Krieg hinein erkannt haben soll. In all den Jahren ihres Herrschens seien nur zwei unangenehme Fille vorgekommen: die Rohmrevolte und die zehnte Novembernacht - und Grinini Fihrt gleich fort: ‘Wenn man absieht von dieseni Schadcn und der Judenangelegenhcit, so geschah zwischen 1933 und 1939 irn inneren Staatsleben mehr fur Gesundheit und mehr fur Mutter und Kind und inehr fiir gegenseitige Volkshilfe als jenials, ja - man darf vielleicht sagen - als irgendwo.’ Diese Bewegung und ihr Griinder, so weiss Grinini, hatten bis zuletzt auf englisches Verstindnis gehofft, und als das niclit geschah, seien sie der Vermassung anheinigefallen. Am Ende dieser unaufgeforderten Entschuldigung und Erklzrung schwingt sich dann Grinini zu der folgenden Feststellung: ‘Dem Manne (Hitler) gedieh zum Fluche, dass er selbst nicht ausreichte, dass er keine zurechtweisende Hilfe fand und dass England oder die englischen Politiker ihn und Deutschland niissverstanden.’

Es ist gluckhcherweise ein Sturm des Aufruhrs in der deutschen Presse

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gegen dieses B L K ~ losgebrochen. Es wird von den fuhrenden Icritikern und von einem Grossteil der deutschcn akademischcn Jugend abgclehnt. Es wird empfiinden, dass Grinini das liecht hatte, dcm Erzbischof zii antworten - cs wird aber aucli empfimden, dass er sich das Recht in dein Augenblick verwirkt hatte, als er versuchte, die Lager und Kammern zu bagatellisiereri und den Nationalsozialisnius rein zu waschen.