56

Zug der Herrscher

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zug der Herrscher
Page 2: Zug der Herrscher

Nr. 1772

Zug der Herrscher

Die Handelsfürsten auf Borrengold -eine Entscheidung bahnt sich an

von Hubert Haensel

Millionen von Galaktikern kamen in die kleine Galaxis Hirdobaan, rund 118 Millio-nen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Ihr einziges Ziel: Sie wollten Imprint-Wa-ren kaufen, wollten den »Zauber der Hamamesch« spüren. Als die BASIS im Som-mer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kommando von Perry Rhodanvor der Galaxis eintrifft, wird die Besatzung ebenfalls mit dieser Situation konfrontiert.

Dann geht ein Funkspruch durch ganz Hirdobaan; alle Galaktiker können ihn emp-fangen. Sein Inhalt: »Es gibt Imprint-Waren für alle – kommt zu den Containerwel-ten.« Tausende von Raumschiffen starten zu acht Containerwelten. Dort bekommenalle Süchtigen einen merkwürdigen Würfel mit zwölf Zentimetern Kantenlänge. SeineWirkung ist verheerend: Alle Betroffenen verschwinden spurlos … Einige vonRhodans Begleiter werden unfreiwillig mit den Würfeln konfrontiert. Sie werden zuPhasenspringern und finden sich in einem unbekannten Kosmos wieder: in Endred-des Bezirk.

Perry Rhodan sieht nur einen Ausweg aus der Misere: Er muß die Hamameschund ihre Herrscher mit Gewalt dazu zwingen, den dreißig Millionen Galaktikern wie-der die Freiheit zu schenken. Ein Weg in diese Richtung ist der ZUG DER HERR-SCHER …

Page 3: Zug der Herrscher

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Der Terraner sieht nur noch einen militärischen Ausweg.Bremse - Ein Prospektor vom Volk der Stuuhr versucht seinen Geschäften nachzugehen.Deliga - Eine Sydorrierin in Nöten.Coram-Till - Der Cryper entwickelt sich zu einem wertvollen Verbündeten.Karon von Omgenoch - Ein Handelsfürst mit eindeutigen Absichten.

1.

»Du bist frei und kannst gehen, wohin duwillst. – Und jetzt verschwinde endlich!«

Der letzte Satz, hastig und ungehaltenhervorgestoßen, veranlaßte den aus tiefemSchlaf aufgeschreckten Stuuhr zu einemknappen Blinzeln. Er registrierte, daß dieenergetische Absperrung seiner Zelle in sichzusammenfiel – ein grellweißes Flirren hingin der Luft wie von Myriaden explodieren-der Sternschnuppen –, aber er dachte nichtdaran, deshalb schon aufzuspringen. Sollteder Hamamesch doch kommen und ihn ho-len.

Nbltsgndpfrdbrms hatte eine ganze Reihevon Rechnungen mit dem Händlervolk zubegleichen. Ausgiebig massierte er seineknackenden Fingergelenke und streckte dieStummelflügel. Das dabei entstehende unan-ständige Geräusch war jedem Hamameschzutiefst zuwider.

»Raus hier!« keuchte der Gefängniswär-ter. »Deine Strafe ist beendet.«

Ein Zehner und fünfzehn Hi-Tage Läute-rung. Wegen grober Mißachtung allgemein-gültiger Geschäftsgebräuche. Mit anderenWorten: Er hatte den Vertrag für sein Pro-spektorenraumschiff einem Hamamesch umdie Kiemen geschlagen, bis das Händler-Sie-gel zersplittert war. Und er würde es wiedertun. Weil diese Halsabschneider sogar ihretreuen Kunden bis aufs Blut aussaugten. Siebesaßen das Monopol für High-Tech, des-halb glaubten sie, sich alle Schandtaten er-lauben zu dürfen.

Nbltsgndpfrdbrms' Zorn war mit jedemTag gewachsen, und es gab kaum Unange-nehmeres als einen wütenden Stuuhr. Ermachte genau da weiter, wo er vor 45 Hi-

Tagen aufgehört hatte – das heißt, er schaff-te es lediglich, dem Hamamesch einen Stoßzu versetzen; ihm mit Zinsen und Zinseszin-sen allen Ärger zurückzuzahlen war unmög-lich.

Mehrere Tentakelarme peitschten heranund wickelten sich um die Handgelenke desStuuhr. Er hatte den schwebenden Roboternicht gesehen. Sein Fehler. Mit unwidersteh-licher Gewalt zerrte die Maschine ihn hoch,bis seine Füße gerade noch über den Bodenschleiften.

»Es ist also wahr«, spottete der Hamame-sch, »Stuuhr nehmen niemals Vernunft an.«

Vergeblich versuchte Nbltsgndpfrdbrms,nach dem Kerl zu treten. Er schaffte esnicht, weil der Roboter sich jäh in Bewe-gung setzte.

»Wenn du so weitermachst, sehen wir unsbald wieder«, prophezeite das Fischgesicht.

»Hoffentlich …« Weiter kam der Stuuhrnicht. Er hatte genug damit zu tun, seinenSturz abzufangen. Bäuchlings landete er vordem Gebäude.

»Ich gebe dir einen guten Rat«, rief derHamamesch aus sicherer Distanz. »Haltedich künftig an das Gesetz!« Er stutzte, alsder Prospektor sich fluchend zu seiner vol-len Größe von gut drei Metern aufrichtete,ein schwarzer Koloß mit übergroßem Kopf,nervös zuckendem Saugrüssel und sechsmuskulösen Gliedmaßen. Ein scharfer Be-fehl holte den Roboter zurück, der sichschon abgewandt hatte.

»Feigling!« zischte der Stuuhr verächt-lich. »Aber selbst wenn du dich hundertmalhinter dem Klapperkasten versteckst, lasseich mich nicht bestehlen.«

Der Hamamesch sperrte das Fischmaulauf und schnappte dumpf nach Luft. »Dashätte ich beinahe vergessen«, ächzte er in

Zug der Herrscher 3

Page 4: Zug der Herrscher

gespielter Überraschung. »Daran bist duselbst schuld.«

Er warf dem Prospektor den Loo-Stick zu,der in Hirdobaan nicht nur einziges Hilfs-mittel für die Abwicklung des gesamtenZahlungsverkehrs war, sondern zugleichIdentitätsausweis. Als Siegelware war jederStick unverwechselbar und nicht zu fäl-schen.

Natürlich hatte der Hamamesch versucht,ihn zu betrügen. Bevor der Stuuhr jedochreagieren konnte, waren das Fischgesichtund der Roboter schon verschwunden.

»Ich kriege dich«, drohte der Prospektorzornig. »Irgendwann begegnen wir uns wie-der, dann sieh dich vor.«

*

Mommen galt als die bedeutendste Recy-cling-Welt des Mereosch-Oktanten. Giganti-sche Lagerflächen und ausgedehnte Kuppel-anlagen bestimmten das Bild der ansonstenschroffen, atmosphärelosen Welt.

Der Stuuhr stieß Laute der Zufriedenheitaus, als er immer noch Spuren von Verwü-stung entdeckte. Eine Meute wildgeworde-ner Viergliedriger, die sich Galaktiker nann-ten, hatte den Hamamesch gehörig zuge-setzt. Der Spuk war zwar längst vorüber,aber er empfand im nachhinein noch Sympa-thie für die Fremden, insbesondere für einenTerraner namens Tekener. Und das nichtnur, weil dieser ihm sozusagen als Entschä-digung mehrere Geräte seiner kostbarenTechnik übergeben hatte.

Ein Rudel Sourvants kam ihm entgegen,eine Traube von mindestens zwanzig enganeinandergepreßten Individuen. Als er dieArme ausbreitete, drängten sie einanderfurchtsam zur Seite. Ihre gallertartig weißeHaut schien noch fahler zu werden; die fla-chen Gesichter zeigten ohnehin nie eine Re-gung.

»Kommt mit!« herrschte Bremse dieSourvants an. Bremse – so hatten ihn dieTerraner genannt, einer Ähnlichkeit wegen.»Ich brauche euch.«

»Wir … werden erwartet«, antwortete einvielstimmiger Chor nahezu synchron.

Der Stuuhr mußte in die Hocke gehen, ummit den Sourvants, die gerade ein Drittel sei-ner Größe erreichten, auf einer Höhe zusein. Aus seinen Facettenaugen funkelte erdie vordersten vier oder fünf dieser Wesenan, die sich mit ihren extrem kurzen Armengegenseitig festhielten. Irgendwie waren sieimmer in Bewegung, ein unaufhörlichesDrängen und Schieben. Wie in einemWurmtopf.

»Wer erwartet euch?« fragte der Stuuhrbetont. »Hamamesch? Ihr sollt für sie arbei-ten?« Sourvants waren stets unterwegs; voneinem Ende Hirdobaans flogen sie zum an-deren, auf der Suche nach Arbeit, die außerihnen niemand tun wollte.

Ihre Haltung signalisierte ihm Zustim-mung.

»Die Fischköpfe müssen warten«, betonteNbltsgndpfrdbrms in abgehacktem, aberdurchaus korrekt moduliertem Hamsch. »Ichbrauche euch dringender für Aufräumarbei-ten!«

Ihr Widerspruch erstickte schon im An-satz. Die Sourvants würden es niemals wa-gen, einem Stuuhr zu widersprechen. Lieberschufteten sie doppelt so schnell, nur um esallen recht zu machen. Eigentlich warenWesen wie sie zu bedauern, aber vielleichtliebten sie gerade dieses Leben.

Das Rudel hatte Mühe, mit BremseSchritt zu halten. Mehrmals mußte er war-ten, bis sie wieder zu ihm auf schlossen.

»Die Bezahlung …« keuchten sie atem-los, schwiegen aber betreten, als er sie ent-geistert anstarrte.

»Wollt ihr mir einen Freundschaftsdienstabschlagen?«

In dem Moment fühlte Nbltsgndpfrdbrmssich selbst nicht wohl in seiner Haut. Schwä-chere einzuschüchtern war kein Kunststück.Eher hätte er den Sourvants gegen die Aus-beutung durch die Fischgesichter beistehensollen. Doch da er Mommen rasch verlassenwollte, durfte er sich keine Sentimentalitätleisten.

4 Hubert Haensel

Page 5: Zug der Herrscher

Schrott bestimmte inzwischen das Bild.Unmengen defekter und reparaturbedürftigerDinge des täglichen Lebens, angefangen vonden obskuren Sitzgestellen der Hamameschbis hin zu faustgroßen Schuppenbefeuchternund Parasitenzangen. Es war in der Tat er-staunlich, welche Berge gebrauchsunfähigerGüter innerhalb eines Oktanten zusammen-kamen. Der Stuuhr hegte den Verdacht, daßdie Hamamesch absichtlich Fehlerquellen inviele Geräte einbauten. Neuverkäufe undReparaturen erhöhten den Umsatz.

»Halsabschneider«, stieß er dumpf grol-lend hervor. Sofort wichen die Sourvantsfurchtsam zur Seite, aber er scheuchte sieunnachgiebig vor sich her.

Sein Prospektorenschiff stand nach wievor in Sektor Antas-III außerhalb der Kup-pelanlage, deren Gebäude sich wie exotischePilze gegen den nachtschwarzen Weltraumabhoben. Wegen umfangreicher Arbeiten anzwei Hamamesch-Beibooten war der Ener-gieschirm über dem Landefeld aktiviert. Erstaus der Nähe erkannte Bremse, daß die Bei-boote abgewrackt wurden. Eine Heerscharvon Robotern mit atomaren Schneidbren-nern fraß sich durch die Rümpfe wie Madendurch eine weiche Porrus-Frucht.

Der lange entbehrte Anblick seines Schif-fes ließ das Herz des Stuuhr schneller schla-gen und versetzte seine Stummelflügel inhektische Vibration. Niemals würde er dieFreiheit des Weltraums gegen die Zwängeplanetarer Schwere tauschen. Ein Leben ingeordneten Bahnen war langweilig, ihnlockte das Abenteuer, die Jagd nach denSchätzen des Alls.

Die KRRZBRNF war nur ein kleinerRaumer mit einer größten Länge von 25 Me-tern. Entfernt erinnerte sie an einen schlan-ken Wassertropfen, dessen dünneres Endeglatt abgetrennt worden war. Der gerundeteBug ging heckwärts in kantige Segmenteüber, die in Form eines langgezogenenAchtecks ausliefen. Auf zwei dieser flachenSegmente und eineinhalb Dutzend kurzenLandebeinen ruhte das Schiff, während derBug schräg aufwärts wies – für den Prospek-

tor Symbol vorwärtsstrebender Kraft undStärke, deshalb hatte er sich vor Jahrenspontan für dieses Schiff entschieden. Heutekonnte er den Vertrag nicht mehr rückgän-gig machen, selbst wenn er die Urkunde al-len Hamamesch um die Kiemen schlug. Ermußte sich damit abfinden, daß ihm die Zah-lungen die letzten schwarzen Haare vomKopf fraßen.

Ungeduldig drängten die Sourvants anein-ander. Einige von ihnen flüsterten in einemunbekannten Dialekt.

»Öffnen!« befahl Bremse.Nichts geschah.Ein neuer Defekt? Die Stimmidentifizie-

rung des Bordrechners war auf ihn justiert;niemand sonst konnte das Schiff betreten,zumindest nicht ohne Gewaltanwendung.

Die Sourvants begannen unruhig zu wer-den. Und wenn der Stuuhr sich nicht irrte,blickten einige Hamamesch-Techniker vonden Beibooten bereits interessiert herüber.

»KRRZBRNF«, er stieß den Namen wieeine Verwünschung aus, »ich verlange, daßdu die Hauptschleuse öffnest!« Täuschte ersich, oder reagierte endlich wenigstens derOptiksensor?

»Zugang kann nicht gestattet werden«,krächzte die mechanische Stimme. »Dazubedarf es einer Vollmacht des Leasing-Nehmers. Lediglich im Fall einer Pfändungwegen rückständiger Raten …«

»Halt's Maul!« keuchte Bremse. DieSourvants sollten nicht glauben, daß erknapp bei Loo war. Aber der Bordrechnerließ sich nicht beeinflussen.

»… wegen rückständiger Ratenzahlungbesteht die Möglichkeit, die Eignersequenzzu löschen. Dies geschieht zweckmäßiger-weise durch bestätigten Impuls auf Normal-frequenz. Die Bestätigung bedarf jedochzwingend des Hinweises, daß drei Zehner-Ra-ten rückständig sind. Fakultativ …«

Er war mit zwei Raten im Rückstand. We-gen der 45 Hi-Tage Läuterung. Aber dasbrauchte niemand zu erfahren; die Zeiten, indenen säumige Schuldner der Hamameschöffentlich bloßgestellt worden waren, gehör-

Zug der Herrscher 5

Page 6: Zug der Herrscher

ten zum Glück der Vergangenheit an. Mitder Faust schlug der Prospektor auf das Sen-sorfeld, ein probates Mittel zur Schnellrepa-ratur manchen Defekts.

»… können auch anderweitige Verbind-lichkeiten …«

Ein zweiter wuchtiger Schlag mit der fla-chen Hand. Nbltsgndpfrdbrms hatte fast dasGefühl, sich dabei das Gelenk gebrochen zuhaben, und die Sourvants drängten sich ent-setzt noch enger aneinander, ein unidentifl-zierbares Knäuel bleicher Gesichter, dochdie kompromittierende Stimme desBordrechners brach mitten im Wort ab.

»Warum gibst du dich erst jetzt zu erken-nen?« erklang es krächzender als vorher.

»Öffne die Schleuse!« befahl der Pro-spektor. »Andernfalls sprenge ich das ganzeSchiff in die Luft.«

»Nach Paragraph 17 des Vertrags liegt dieGefahr der Verschlechterung oder des zufäl-ligen Untergangs beim Leasing-Nehmer«,erinnerte der Computer. »Sollte eine Versi-cherungsprämie nicht pünktlich beglichenworden sein …«

Der Stuuhr hörte nicht mehr hin. Stattdessen scheuchte er die Sourvants in die en-ge Schleusenkammer. Ihm war klar, daß derBordrechner recht hatte. Die letzte Versiche-rungsprämie war nicht bezahlt. Wie hätte erdas auch tun können? Ihm fehlten 45 Tage.

Morgen, dachte Nbltsgndpfrdbrms. So-bald die Sourvants das Schiff aufgeräumthaben, gehe ich zum nächsten Loo-Maten.Danach wird alles anders.

*

Die Galaktiker, die wie ein Schwarm gie-riger Borramos auf Mommen eingefallenwaren, hatten die Lagerräume und die Zen-trale des Prospektorenschiffs in ein Trüm-merfeld verwandelt. Heute wie damals warder Boden übersät mit zertrampelten High-Tech-Bausteinen und abgerissenen Verklei-dungen.

Die Sourvants erwiesen sich als geduldigeHelfer, die akribisch selbst den kleinsten

Splitter aufsammelten. Was noch irgendwiebrauchbar erschien, versuchte der Stuuhrwieder richtig einzufügen.

Einen halben Tag später wirkte dasSchiffsinnere sauberer als je zuvor. Bremseerinnerte sich nicht, daß bei der Übergabedie Bildschirme und Konsolen ähnlich blankgewesen wären. Die stellenweise fehlendenVerkleidungen und die häßlichen Brandspu-ren von Strahlschüssen blieben Schönheits-fehler, wenngleich ohne praktische Bedeu-tung.

Mit einer flüchtig gemurmelten Dankes-formel scheuchte er die Sourvants aus demSchiff. Das Rudel schien erleichtert zu sein,endlich aus seiner Nähe verschwinden zukönnen. Nie zuvor hatte der ProspektorSourvants so hastig davonwuseln sehen; erfürchtete schon, daß die mindestens 20Beinpaare sich unlösbar ineinander verhed-derten.

Die folgenden Stunden verbrachte er mitder Auflistung aller vorhandenen Schäden.Die zwangsläufige Erkenntnis, daß seine Si-tuation zunehmend unerträglicher wurde,rief quälendes Unbehagen hervor. Er mußtedas Beste daraus machen. Daß er den Ver-trag nicht einfach stornieren konnte, hatteihm die Obrigkeit auf Mommen klarge-macht. Eine vorzeitige Auflösung war mithohen Abstandszahlungen verbunden, fürdie er nicht das nötige Kapital besaß. Alsoweiter auf den respektablen Erzfund hoffenund darauf, daß das Schiff nicht im Welt-raum verreckte. Die Absorber arbeiteten un-regelmäßig; einer der Kompensatoren desÜberlicht-Triebwerks war durch Brandein-wirkung verwüstet worden; der Bordrechnerzeigte ebenfalls erste Macken …

… und der Kühlraum für die Frischnah-rung kühlte nicht mehr, sondern triefte vonkondensierendem Wasserdampf, die eingela-gerten Lebensmittel waren von dichtemPilzrasen überzogen. Klebrig zerfallendesFleisch galt unter Stuuhr als Delikatesse,doch der Anblick der Kühlfächer ließ sogarNbltsgndpfrdbrms' an Kummer gewöhntenMagen rebellieren.

6 Hubert Haensel

Page 7: Zug der Herrscher

Sämtliche Speisen wanderten in den Ab-fallvernichter. Der Stuuhr litt Seelenpein.Immerhin verschleuderte er auf die Weiseeine achtbare Summe.

Er hatte gehofft, Mommen schnell verlas-sen zu können, doch in letzter Zeit hattensich seine Hoffnungen stets als trügerisch er-wiesen. Es wurde Zeit, daß er dem Schicksalnachhalf.

Den Loo-Stick fest in einer Hand, verließer das Schiff.

»Du erkennst mich wieder, Computer?«»Die Frage ist unlogisch und irrational.

Willst du wissen, ob aufgrund deiner gespei-cherten Hirnfrequenz, der Stimmlage oderder Handabdrücke eine zweifelsfreie Identi-fikation …«

Er hörte einfach nicht mehr hin.Die beiden Beiboote waren inzwischen

weitgehend abgewrackt, bis auf ihr stähler-nes Skelett und die Maschinenräume. Brem-se griff sich den ersten Techniker, der dasPech hatte, ihm über den Weg zu laufen.

»Die Kompensatoren sind vergeben«, er-widerte der Hamamesch auf die drängendeFrage.

»Ich benötige trotzdem einen davon –jetzt, sofort!«

Der Hamamesch hatte Angst, aber nochmehr als den Stuuhr fürchtete er seine Vor-gesetzten. Seine ablehnende Geste wirktewie die Trotzreaktion eines Kindes.

»In einem Zehner erwarten wir eine neueLieferung«, versprach er. »Du mußt dich bisdahin gedulden.«

»Ich denke nicht daran. Ich …« Plötzlichwaren sie von Robotern und Arbeitern, An-gehörigen verschiedener Völker, umringt.Die meisten trugen atomare Schneidbrenner,aber auch Laserschneider – Werkzeuge also,die dicke Stahlplatten mühelos durchtrenn-ten. Der Chitinpanzer eines Stuuhr war demnicht gewachsen.

»Ich bezahle für den Kompensator«,schnaubte der Prospektor verächtlich.

»In einem Zehner, nicht eher.«In der Menge fühlten sie sich stark. Nblts-

gndpfrdbrms war nicht so dumm, sich selbst

zu überschätzen. Mit zwei oder drei Arbei-tern hätte er es sofort aufgenommen, abernicht mit allen gleichzeitig und dazu mit denRobotern. Ärgerlich auf sich selbst, stieß erden Techniker von sich.

Sie starrten ihm hinterher, bis er denDurchgang zum Kuppelbau erreicht hatte.Freundlich gesonnen waren sie ihm nicht,zugleich aber froh, daß er sie in Ruhe ließ.Stuuhr galten nicht nur bei den Hamameschals äußerst reizbar und wurden ihrer Kraftwegen mit Samthandschuhen angefaßt. Daßman seinem Volk zudem eine gehörige Por-tion Hinterlist nachsagte, störte den Prospek-tor keineswegs. Besser überall furchtsam re-spektiert, als ein Leben wie die unterdrück-ten Sourvants zu führen.

Der Stuuhr fand etliche Klein-Basare, indenen Hamamesch qualitativ hochwertigeNahrungsmittel anboten – zu Preisen aller-dings, die ihm das Rüsselsekret eintrocknenließen. Erst nach längerer Suche stieß er ineinem abgelegenen Seitentrakt, zwischenBandstraßen und Schmelzöfen für Kunst-stoffe, auf einen Stelzmakalie, der sich eineigenes kleines Reich geschaffen hatte. Zwi-schen üppig wuchernden Pflanzen und bro-delnden Bottichen hockte das amorphe We-sen wie eine Spinne in ihrem Netz und war-tete auf Käufer. Die Preise waren niedrig –wahrscheinlich der Hauptgrund, weshalbsich nur ein paar zerlumpte Gestalten beiihm herumtrieben.

Der dunkelblaue, stumpfe Grundkörperdes Stelzmakalies formte ein Pseudo-Facettenauge von beachtlicher Größe. Zweiunterschiedlich lange Gliedmaßen grapsch-ten wahllos nach herumliegenden Gegen-ständen und präsentierten sie mit imperti-nenter Aufdringlichkeit.

»Du suchst Waren, bei mir bekommst dualles zu Spottpreisen.« Er benutzte einenSynthesizer, der die ansonsten viel zu leiseStimme mehrfach verstärkte. »Sieh dich um,Freund, nimm, was dein Herz begehrt! Allesist frisch, die Technik bestens in Schuß …«

Nbltsgndpfrdbrms winkte heftig ab. DerKerl redete entschieden zuviel und wirkte

Zug der Herrscher 7

Page 8: Zug der Herrscher

noch schleimiger als die Hamamesch. Daseinzig Interessante waren seine Preise, unddie wurden zweifellos durch das Umfeld be-stimmt. Es stank erbärmlich. Über denSchmelzöfen flirrte die Luft, und eine feineDunstschicht, wie Nebelhauch, senkte sichim Umkreis herab.

»Das ist hervorragendes Wachstumsklimafür die Pflanzen«, bemerkte der Stelzmaka-lie eilfertig, Bremses Blick folgend. »DieMokas sind saftig und«, der Synthesizer flü-sterte nur noch, »schmecken nach faulemFleisch – genau das richtige für einen hung-rigen Stuuhr.«

Als Pflanzgefäße dienten ausrangierte Öl-wannen; bis in fünfzehn Meter Höhe ragtenbizarr zusammengeschweißte Gitterwändeauf; das Erdreich wirkte auf den ersten Blickgranuliert und hart wie Beton, dennoch hin-gen riesige Mokas inmitten der üppig insKraut schießenden Ranken.

»Nur läppische zweihundert Loo dasStück. Das ist geschenkt.«

In der Tat. Der Verdacht des Stuuhrwuchs, daß gentechnisch erzeugte Hormonean dem Pflanzenwachstum mitwirkten.Trotzdem entschloß er sich, zwanzig derwohlschmeckenden Früchte zu nehmen.

»Fünftausend Loo«, verlangte der Stelz-makalie.

»Du hast dich verrechnet.«»Nein, nein«, plärrte der Synthesizer los.

»Wenn ich dir so viel verkaufe, kann ich an-dere Kunden nicht mehr bedienen. Dasbringt Einbußen mit sich.«

»Wo sind deine anderen Kunden? Mo-mentan sehe ich niemanden außer uns bei-den.«

»Oh, sie kommen später, sie …«»… sind vor mir geflohen«, unterbrach

der Stuuhr scharf. »Dreitausend Loo, mehrnicht. Dafür kaufe ich dir zusätzlich Fleischab.«

Das Frischfleisch entpuppte sich als Zell-kultur, die in den Bottichen wucherte, aberdaran störte Nbltsgndpfrdbrms sich nicht.Bei einem Gesamtpreis von 40.000 Loo er-hielt er nach einigem Hin und Her den Zu-

schlag.Der Stelzmakalie brachte einen handli-

chen Loo-Maten zum Vorschein, Bremsezog andächtig die Verschlußkappe von sei-nem Loo-Stick. Noch konnte er es sich an-ders überlegen und anstelle der Nahrungs-mittel technisches Zubehör anmieten, viel-leicht einen unterstützenden Sensor für denBordrechner oder eine bessere Feuerwarnan-lage für den Antriebssektor. Der Kompensa-tor wäre nicht ausgebrannt, wenn er das Feu-er frühzeitig bemerkt hätte.

»Keine Loo?« fragte der Stelzmakaliemißtrauisch. Vermutlich hatte er Erfahrungmit Kunden, die zögerten, den Loo-Matenzu benutzen.

»Für dich reicht's allemal«, versicherteder Stuuhr. Mit spitzen Fingern drehte erden Kommandoring in der Mitte des fünf-zehn Zentimeter langen Sticks. Im schmalenDisplay erschien die Anzeige für eine ge-wünschte Abbuchung.

Das untere Drittel des Stiftes bestand auseinem fünf Zentimeter langen Binärstecker,der neben einer Reihe verschieden breiterRingmuster eine Vielzahl ebenfalls ringför-miger Kerben und Erhöhungen aufwies. DieMuster bildeten den kodierten Kontostand,alles andere in einmaliger Konstellation denIdentitätsnachweis. Nbltsgndpfrdbrms muß-te nur den Stick in die dafür vorgeseheneÖffnung des Loo-Maten einführen und denabzubuchenden Betrag eintippen. Die Trans-aktion wurde dann von der Siegelware selbstvorgenommen, ein durchaus einfaches undgalaxisweit praktikables System.

Diesmal nicht. Das Display für die Konto-stands-Anzeige spielte verrückt. In wahnwit-ziger Geschwindigkeit wechselten Schriftund Zahlenbezeichnungen. Der Stuuhr dreh-te den Kommandoring bis zum Anschlag,ohne den Vorgang jedoch stoppen zu kön-nen.

»Probleme?« argwöhnte der Stelzmakalie.»Nein«, erwiderte der Stuuhr schroff.

»Warum?«ÜBERRANGSCHALTUNG! erschien ei-

ne leuchtendrote Schrift auf dem Display.

8 Hubert Haensel

Page 9: Zug der Herrscher

ZAHLUNGSVORGANG ZUNÄCHST AB-GEBROCHEN.

Der Kommandoring ließ sich nicht mehrdrehen. Im nächsten Moment zuckte derProspektor zurück und starrte entgeistert aufseine Hand, die eben noch den Stift gehaltenhatte. Dann erst drang ein gequältes Stöhnenüber seine verhornten Lippen. Auf derHandfläche entstand eine Brandblase.

»Du hast dein Konto überzogen«, sagteder Händler. Mit atemberaubender Ge-schwindigkeit raffte er die schon verkauftenWaren wieder an sich. Furcht vor einem wü-tend werdenden Stuuhr schien zumindest ernicht zu kennen.

»Laß die Waren da!« fauchte Nbltsgnd-pfrdbrms.

»Erst bezahlst du!« Der Händler zogsämtliche Gliedmaßen ein und schrumpftezu dem kleinen, amorphen Grundkörper zu-sammen. Wahrscheinlich hätte er sich inLuft aufgelöst, wenn ihm das möglich gewe-sen wäre.

Bremse begriff die Welt nicht mehr. Ausdem oberen Ende eines jeden Loo-Sticksragte ein zentimeterlanger Stift heraus, derleicht elektrisierende Impulse austeilte, so-bald der Kontostand in die roten Zahlen ab-rutschte. Er wußte, wie sich diese prickeln-den Stöße anfühlten, weil sie ihn mit schö-ner Regelmäßigkeit heimsuchten. Aber dies-mal war der Schlag überaus heftig gewesen,die Brandblase ließ sich nicht leugnen.

»Ein Defekt«, murmelte er entschuldi-gend. »Sogar Siegelware hält nicht ewig.«

Mit spitzen Fingern zog er den Stick zu-rück, danach war er sicher vor weiterenSchikanen.

Dennoch traf ihn fast der Blitz, als er überden Kommandoring die vom Loo-Mateneingespeisten Daten abrief. Der aktuelleKontostand wies ein Soll in Höhe von exakt2.200.728 Loo aus.

Sein Zorn auf die Hamamesch brannteplötzlich lichterloh.

Zwei rückständige Zehner-Raten warenmittels Vorrangschaltung abgezogen wor-den. Insgesamt 800.000 Loo.

Dagegen konnte er nichts unternehmen.Er mußte sich fügen, wenngleich mit beben-den Stummelflügeln.

Die nächste angezeigte Position trieb ihmjedoch den Schweiß aus allen Poren.

Vergeblicher Einsatz eines Reparatur-teams aus zwei Technikern und einem Spezi-al-Roboter. Verweigerung des Austauschseines defekten ÜL-Blocks durch den Kun-den, dafür nicht praktikable und gesetzwid-rige Aufforderung zum Siegelbruch: 120.000Loo.

Sein Saugrüssel begann heftig zu zucken.Nbltsgndpfrdbrms fühlte sich in dem Mo-ment wie vor einer Häutung. Ein schreckli-ches Gefühl …

… das durch den nächsten Text unerträg-lich wurde.

Kostenersatz für Urteilsfindung und Läu-terung, verschuldet durch eigenes Verhalten.Beinhaltet Unterkunft und Verpflegung für45 Hi-Tage: 735.000 Loo.

Standgebühr für ProspektorenschiffKRRZBRNF, Minimalbetrag: 650.000 Loo.

Bremse war am Ende seiner Selbstbeherr-schung angelangt. Das Guthaben war aufge-zehrt, ein beachtlicher Schuldenstand ange-häuft – dazu gab es gegen die Abbuchungper Überrangschaltung keine Widerspruchs-möglichkeit. Er war auf Gedeih und Verderbden fettwanstigen Hamamesch und ihren üb-len Geschäftspraktiken ausgeliefert.

Mit einer unkontrollierten Bewegung feg-te er den Loo-Maten beiseite. Das Kassenge-rät klatschte in einen der brodelnden Botti-che, im nächsten Moment wirbelte eine auf-fächernde Stichflamme Zellkulturen undNährflüssigkeit durcheinander.

Nbltsgndpfrdbrms nahm dies aber nurnoch am Rande seines Gesichtsfeldes wahr.Brüllend hatte er sich auf den Stelzmakaliegeworfen; er dachte nicht daran, auf dieNahrungsmittel zu verzichten.

Daß die offensichtliche Unerschrocken-heit des Händlers durchaus ihren Grund hat-te, begriff er viel zu spät. Da wälzte er sichbereits mit zuckenden Gliedmaßen am Bo-den; grelle Entladungen huschten über sei-

Zug der Herrscher 9

Page 10: Zug der Herrscher

nen Chitinpanzer.Innerhalb Hirdobaans gab es Zeugnisse

vieler fremdartiger Techniken, deren Her-kunft wohl nur Gomasch Endredde kannte.Der Stelzmakalie benutzte ein solches Re-likt, eine Mischung aus Prallschirm, Ther-mostrahler und umgepoltem Traktorfeld.

»Verschwinde!« tönte der Synthesizer.»Ich will dich nie wieder in meiner Nähe se-hen, Stuuhr!«

Vergeblich versuchte der Prospektor, sichfestzukrallen. Eine unsichtbare Faust stießund rollte ihn zwischen den Bottichen hin-durch bis an den Rand eines der Schmelzö-fen. Der Boden dort war glitschig und voneinem dünnen, stinkenden Schmierfilm be-deckt. Bremse hatte Mühe, sich aufzurich-ten.

Ausgerechnet jetzt kamen mehrere Hama-mesch. Der Anblick des sich im Dreck suh-lenden Stuuhr ließ sie innehalten, ihre Ge-sten drückten Schadenfreude aus. Doch alsder Prospektor sich zu seiner vollen Größevon drei Metern aufrichtete, hatten sie esplötzlich eilig, fortzukommen.

Der Stelzmakalie hangelte mit einer Viel-zahl von Pseudo-Gliedmaßen an seinenRankgittern in die Höhe. Von oben herabbedachte er den Stuuhr mit einer Flut unflä-tiger Beschimpfungen, doch sein hellesStimmchen wurde wegen der größer gewor-denen Distanz vom Synthesizer nicht mehrverstärkt.

Im allerletzten Moment bemerkte Bremsedie kaum wahrnehmbare Lichtbrechungrings um den Klein-Basar. Der Händler hattesich abgeschirmt.

Verächtlich rieb Nbltsgndpfrdbrms dieStummelflügel aneinander und produziertejenes Geräusch, das Hamamesch die Scha-mesröte ins Gesicht trieb und ihre Schuppenabstehen ließ, als litten sie unter Wasser-sucht. Den Stelzmakalie beeindruckte das inkeiner Weise. Er schien sich ausschütten zuwollen vor Lachen. Aus seinem Grundkör-per schob sich ein Auswuchs wie ein stuuhr-scher Saugrüssel hervor.

Wütend griff der Prospektor nach dem

nächstbesten Gegenstand, der sich als Wurf-geschoß mißbrauchen ließ – einer halbiertenMoka, die der Stelzmakalie zum Abfall ge-worfen hatte. Die Frucht zerplatzte in derLuft und zeichnete als zäher Brei die Umris-se des Schirmfelds nach.

»Hau endlich ab!« rief der Stelzmakalieaus sicherer Distanz. »Ich verkaufe dirnichts, verstehst du? Nichts, nichts, nichts…« Sein Stimmchen überschlug sich, undbeinahe hätte er den Halt verloren. Bremseachtete schon nicht mehr darauf. Für einenStuuhr gab es kaum Schlimmeres, als daßandere ihm ohne den nötigen Respekt be-gegneten.

Was hielt ihn noch auf Mommen außerdem Knurren seines Magens? Die Antwortwar einfach: nichts, nicht einmal sein argramponierter Stolz.

2.

Dreieinhalb Tix später verließ das Pro-spektorenschiff Mommen. Es gab keineGrenze zum Weltraum, keine noch so dünneLufthülle, deshalb aktivierte der Stuuhrschon in geringer Höhe das Impulstrieb-werk.

Etliche Tasterechos hingen über ihm –dickbauchige Hamamesch-Frachter undContainer voll Schrott. Mit wachsender Ge-schwindigkeit raste das kleine Schiff einemder Frachter entgegen.

»Distanz noch fünfhundert Kilometer!«meldete die blecherne Stimme desBordrechners. »Kollisionskurs!«

»Ausweichmanöver!« bestimmte Bremse,doch nichts veränderte sich – außer der Ent-fernung.

»Distanz dreihundertundfünfzig Kilome-ter. Aufprall in sechs Komma acht Inx. –Fehlfunktion!« plärrte die seelenlose Stim-me gleich darauf los.

Wie von einem Borramo gebissen, fuhrder Stuuhr herum. Seine Finger huschtenüber die Schaltpulte. Vergeblich versuchteer, die Blockierung der Automatik zu besei-tigen.

10 Hubert Haensel

Page 11: Zug der Herrscher

»Kollision in drei Inx!«Nur halb registrierte er, daß auf dem Mo-

nitor des Hyperfunkempfangs ein Hamame-sch erschien. Der Kerl redete ohne Punktund Komma" ein Schwall blubbernder Lau-te, die an Bremse abprallten wie Regentrop-fen an der Hülle der KRRZBRNF. Was erjetzt keinesfalls brauchte, das war ein dummdaherquatschender Hamamesch.

Riesengroß und bedrohlich wuchs derFrachter vor ihm auf, umschwärmt von Dut-zenden von Lastengleitern. Für den Bruch-teil einer Inx starrte Bremse in der Vergrö-ßerung in das aufflammende Abstrahlfeld ei-nes Geschützturms.

Hatten die Hamamesch den Verstand ver-loren? Sie würden es nicht wagen, auf einenStuuhr zu schießen, sie …

Sengend sprang die Lichtflut von denSchirmen. Ein gigantischer Feuerball schieninnerhalb der Zentrale zu explodieren, be-gleitet von Erschütterungen, die das kleineSchiff zu zerfetzen drohten.

Eine riesige blauschwarze Wand raste aufNbltsgndpfrdbrms zu – doch der vernichten-de Aufprall blieb aus. Ein heiseres Gurgelnquälte sich über seine Stimmbänder. AnsSterben dachte er noch lange nicht, trotz sei-ner desolaten finanziellen Situation. Er wür-de es den Hamamesch zeigen, diesen elen-den Halsabschneidern.

»Ausweichmanöver beendet!« meldeteder Bordcomputer. »Die geringste Distanzbetrug einhundertundzwanzig Meter zurTriebwerkssektion des Frachters.«

Bremses Beine knickten ein. Mühsamkämpfte er um einen festen Halt. Daß ausge-rechnet in dem Moment erneut die Visageeines Hamamesch auf dem Schirm erschien,trug nicht zu seinem Wohlbefinden bei.

Das Fischmaul bedachte ihn mit einerendlosen Reihe wüster Beschimpfungen, al-les Begriffe, die einem Prospektor längst inFleisch und Blut übergegangen waren. Nureiner war neu: »bleichhäutiger Galaktiker«.

»Sag das noch einmal«, unterbrach derStuuhr den Redeschwall. »Sag noch einmalGalaktiker zu mir, und ich stopfe dir die

Kiemen, bis du blau wirst.«Der Hamamesch ließ sich nicht zweimal

bitten. »Komm doch«, keuchte er erregt.»Ich fege dich aus dem Weltraum, du aufge-blasener, nichtsnutziger …« Nbltsgndpfrd-brms rieb die Stummelflügel aneinander. Ersah noch, daß der Hamamesch bleich wurde,gleichzeitig erlosch die Funkverbindung.

»Ein Anruf von Mommen, Zentralverwal-tung«, ließ der Computer wissen. »Ich legeauf den Schirm.«

»Untersteh dich«, protestierte der Stuuhr.»Du hast meine Antwort an den Frachterka-pitän aufgezeichnet – gib sie nach Mommendurch.«

Das kleine Schiff war um Haaresbreiteder Vernichtung entronnen. Was keineswegsan der mangelnden Zielsicherheit der Händ-ler gelegen hatte, sondern schlicht und ein-fach daran, daß die Kurskorrektur unmittel-bar vor der Feuereröffnung erfolgt war. DerStrahlschuß hatte die KRRZBRNF nicht ein-mal mehr gestreift.

»Höchste Beschleunigung!« befahl derStuuhr. »Wir gehen zum frühestmöglichenZeitpunkt in den Überlichtflug. Kurs: egal…« Nur weg von hier, hatte er hinzufügenwollen, doch eine Reihe flackernder Kon-trollen hinderte ihn daran.

»Computer, was soll der Quatsch?« stießer ungehalten hervor.

Sämtliche Funktionen der KRRZBRNFwurden vom Bordrechner beherrscht. ImNotfall konnte das Schiff den Sternend-schungel von Hirdobaan eigenständig durch-queren. Aber wirklich nur im Notfall, dachteder Prospektor, und selbst davon war ernicht mehr überzeugt. Zwischen den marki-gen Werbesprüchen der Hamamesch und derRealität klafften gewaltige Lücken. Seit eini-gen Zehnern traute er dem Bordrechnernicht einmal mehr zu, das Schiff ohne Über-wachung in einem Sonnenorbit zu halten. Erholte sich ungern heiße Füße.

»Was ist mit den Kontrollen?« mußte ernachfragen, bevor er eine quäkende Antworterhielt.

»Rückgang der Triebwerksleistung. Be-

Zug der Herrscher 11

Page 12: Zug der Herrscher

schleunigung noch maximal 60 Prozent desNormalwerts.«

»Fehlerquelle?«»Unbekannt. Keine weitere Aussage mög-

lich.«Wütend drosch der Stuuhr mit zwei Fäu-

sten auf die Konsole. »Wann erreichen wirendlich Übertrittsgeschwindigkeit?«

»In zwei Tix und fünf Rou.«Bremses angespannte Haltung erinnerte in

dem Moment an einen sprungbereiten Bor-ramo. Er kauerte auf dem vorderen Dritteldes Sessels, hatte die muskulösen Beine seit-lich nach hinten abgestemmt und den Körpernach vorne gebogen. Seine Hände kralltensich um den Rand der Konsole. Die spärli-che Beleuchtung zeichnete bizarre Reflexeauf seinen Chitinpanzer.

»Kurskorrektur!« forderte er. »ManuelleEingabe.«

Einzelne Segmente des Kontrollpults be-gannen aufzuleuchten. Die Finger des Stu-uhr hämmerten über die aktivierten Sensor-felder. Für wenige Augenblicke geriet Mom-men wieder in den Erfassungsbereich derOptiken.

»Warnung!« plärrte der Bordrechner.»Neuer Kurs zielt auf die Sonne.«

Eine Simulation verdrängte die Wiederga-be auf dem Hauptschirm. Die KRRZBRNFwurde dargestellt, wie sie, kleiner werdend,die Sonnenkorona tangierte und in einergrellen Explosion verglühte. Nbltsgndpfrd-brms tippte dennoch auf das Bestätigungs-feld.

»Bestätigung nicht akzeptiert. Erbitte be-richtigte Kursdaten.«

Das fiktive Ende des Schiffes erschien ineindrucksvolleren Bildern als zuvor. Deut-lich war zu sehen, wie die Hülle zu glühenbegann und sich verflüssigte; harte Strah-lung ließ Wände und Decks transparent wer-den, und dann blähte sich das Schiff in ei-nem vernichtenden Feuerball auf.

»Imposant«, bekannte der Stuuhr, »aberdennoch Kapazitätsverschwendung. Gib mireine Berechnung, wann wir bei Höchstbe-schleunigung in den Hyperraum übertreten.«

Die Simulation wiederholte sich. Dochdiesmal verschwand das Schiff vom Schirm,bevor es der Sonnenkorona zu nahe kam.

»Wieviel Zeit bis zum Übertritt?«»Unter Berücksichtigung der zunehmen-

den Gravitation eine Tix und fünf Rou. Ichweise darauf hin, daß der funktionsunfähigeKompensator …«

»Geschenkt!« Der Prospektor winkte hef-tig ab.

»… daß der funktionsunfähige Kompen-sator als Unsicherheitsfaktor berücksichtigtwerden muß. Die starke Gravitation kannFeldlinienstörungen verursachen, die sichnegativ auf den Übertritt auswirken und …«

»Ich will das Killam-System verlassen«,stieß Bremse ungehalten hervor. »Alles an-dere ist mir egal; keine Einwände mehr.«

Das Bild des explodierenden Schiffes sta-bilisierte sich auf dem Hauptschirm. DerStuuhr achtete nicht mehr darauf, ihm warschon früher aufgefallen, daß der Bordrech-ner hin und wieder versuchte, ihn zu mani-pulieren. Vermutlich ein Programmfehler,aber leider kein ausreichender Grund, umden Vertrag zu stornieren.

*

Der Übertritt war ungewöhnlich schmerz-haft. Bremse spürte ein langanhaltendes Zie-hen, bevor sich aus durcheinanderwirbeln-den Eindrücken und explodierenden Farb-kaskaden das Bild seiner gewohnten Umge-bung formte.

Das Prospektorenschiff hatte den Hyper-raum verlassen – irgendwo in Hirdobaan.

»Positionsbestimmung!« forderte er. Sei-ne Stimme klang belegt und ausgedörrt.Nicht nur die Nahrungsvorräte an Bord wa-ren vernichtet, auch Frischwasser gab esnicht mehr.

Eine unüberschaubare Sternenpracht fun-kelte auf dem Hauptschirm. Offenbar hatteder Überlichtflug nahe ans galaktische Zen-trum geführt. Die Ortungen zeigten mehrereSonnensysteme im näheren Umkreis.

Der Energiepegel war drastisch gesunken;

12 Hubert Haensel

Page 13: Zug der Herrscher

die Anzeigen der Speicherbänke standen beiknapp über fünfzig Prozent. Der Übertritt inden Hyperraum war wegen des ausgefalle-nen Kompensators nur mit deutlich erhöh-tem Energieaufwand möglich gewesen.

»Positionsbestimmung abgeschlossen«,meldete der Computer. »Wir stehen 300Lichtjahre vor der Grenze zum Buragar-Oktanten, zugleich 98 Lichtjahre von derZentrumszone entfernt.«

Das war kein gutes Gebiet. Bremsebrauchte nicht darauf zu hoffen, hier seineFinanzen sanieren zu können. Die Sonnenstanden zu dicht, ebenso die besiedeltenWelten. Asteroiden mit wertvollen Erzen,Mineralien oder gar Sternkristallen warenlängst aufgespürt worden; nur in den Rand-gebieten Hirdobaans, in denen die Einsam-keit begann, wartete noch das Glück aufProspektoren.

Der Stuuhr leitete eine Kurskorrektur ein.Gleichzeitig ließ er den Bordrechner nachPlaneten suchen, die mit großer Wahrschein-lichkeit Leben hervorgebracht hatten, abernoch nicht als besiedelt verzeichnet waren.Immerhin war sein Loo-Stick wertlos, solan-ge er den Sollstand nicht getilgt hatte.

Achteinhalb Lichtjahre bis zu einer klei-nen gelben Sonne mit sieben Planeten, zweidavon innerhalb der Biosphäre.

Unendlich lange Zeit verging bis zumEintauchmanöver. Selten zuvor hatte Brem-se soviel Ungeduld verspürt.

Die KRRZBRNF materialisierte knappüber der Ekliptik und stieß schräg auf WeltNummer Vier zu. Die Ortungen zeigten eineAtmosphäre mit hohem Stickstoffanteil undausgedehnte Wasserflächen.

»Energiepegel beträgt nur noch 27 Pro-zent«, meldete der Rechner. »Nach Landungund Start werden wir die Außenbereichenicht mehr anfliegen können.«

Wortlos starrte Bremse auf die Schirme,auf denen der blaue Planet größer wurde.Die Probleme mehrten sich. Eines würde erhoffentlich in Kürze lösen können, doch dieFrage, woher er das Kapital für eine neueFüllung der Speicherbänke nehmen sollte,

bereitete ihm Kopfzerbrechen.Die Ortung kam überraschend. Ein uni-

dentifiziertes Raumschiff glitt hinter derWasserwelt hervor und näherte sich auf Kol-lisionskurs. Erst nach einer Weile zeichnetendie Scanner. Es handelte sich um ein Patrus-kee-Schiff, stabförmig, 123 Meter lang und45 Meter dick.

Zwei handtellergroße gelbe Augen starr-ten den Stuuhr durchdringend an, als derHyperfunk ansprach. Der Patruskee schiendicht vor der Optik zu balancieren.

»Höre, Fremdling, der du diese göttlichunberührte Welt als Ziel deines schmutzigenRaumschiffs erwählt hast, daß du im Begriffstehst, großen Frevel zu begehen. Dies ist ei-ne Welt der silbernen Gottheit aus dem Zen-trum des Universums, ein Planet voll Lieb-reiz und nahe der Schöpfung …«

»Komm zur Sache, Prediger!« forderteBremse schroff. Patruskee galten als liebens-würdige Spinner, die jeden zu ihrer Gottheitzu bekehren versuchten.

Erschrecken zeichnete sich in den gelbenAugen ab. Für einen kurzen Moment wurdedas Gesicht des Patruskee inmitten desscheibenförmigen Körpers sichtbar.

»Kehre um, Prospektor!« rief der Patrus-kee salbungsvoll. »Lade nicht den Frevel aufdich, eine unberührte Welt mit deinenKrankheitskeimen zu verseuchen. Gehe indich und höre die Botschaft des silbernenGottes …«

»Ich bin in mich gegangen«, sagte Nblts-gndpfrdbrms kaum weniger akzentuiert,»aber ich höre nur meinen Magen knurren. –Ich habe Hunger und Durst, und ich denkenicht daran, den Fleischtöpfen dieser Weltfernzubleiben.«

Seine schroffe Art entsetzte den Prediger,der prompt gegen die Optik stieß.

»Hindert mich nicht an der Landung, oderich werde meine Waffen einsetzen!«

Eine Weile herrschte betretenes Schwei-gen. Bremse aktivierte ein schwachesSchirmfeld über der Bugsektion.

»Du verläßt den Weg zum Paradies!« riefder Patruskee flehentlich. »Wenn du auf die-

Zug der Herrscher 13

Page 14: Zug der Herrscher

ser unberührten Welt landest, wird der sil-berne Gott dich strafen.«

»Wenn ich lande, werde ich mir endlichwieder den Magen vollschlagen können. Dasist mein Paradies.«

»Patruskee-Schiff geht auf Kollisions-kurs!« meldete der Bordrechner.

»Ich lasse mich nicht aufhalten«, erklärteder Stuuhr. »Von niemandem. Ich schaltejetzt ab.«

»Warte!« kam es hastig hervorgestoßen.»Was ist noch? Wir haben alles gesagt,

was es zu sagen gibt.« Er streckte eine Handaus, um die Verbindung zu unterbrechen.

»Nicht abschalten!« schrie der Patruskeemit sich überschlagender Stimme. »Wir wol-len dir helfen.«

»Dann verschwindet aus meinem Kurs-vektor.«

»Wir sind bereit, dir die Nahrungsmittelzu geben, die du benötigst.«

Bremse schlug erregt mit den Stummel-flügeln, was ihm einen verweisenden Blickeintrug. Der Patruskee überging sein üblesBenehmen jedoch mit dem Großmut desje-nigen, der über den Dingen steht.

»Ich kann nicht bezahlen«, gestand derProspektor.

»Das war uns klar. Wisse, daß der silber-ne Gott die Geschicke aller Wesen lenkt; ge-he in dich, Stuuhr, dann wirst du seine Bot-schaft verstehen und ebenfalls danach han-deln.«

»Falls du mir raten willst, künftig meinenBesitz zu verschenken, vergiß es. Wenn duteilen willst, tu dir keinen Zwang an, aberlaß die Finger von dem, was mir gehört, dasist ohnehin denkbar wenig.«

Mit Ausnahme der High-Tech, die ich vonTekener erhalten habe, schoß es Bremsedurch den Sinn. Vielleicht sollte er versu-chen, einen Teil davon zur Deckung seinesDefizits zu verwenden.

»Wir schicken dir eine Versorgungsboje«,versprach der Patruskee. »Sie enthält ausrei-chend Nahrungsmittel für einen Zehner. Lei-der haben wir kein fauliges Fleisch an Bord,aber wenn wir gewußt hätten …«

»Mach dir darüber keine Gedanken, Pre-diger.«

Die Boje kam. Nbltsgndpfrdbrms hatte ei-nige Mühe, sie über eine der Ladeschleusenan Bord zu holen. Der Patruskee hatte nichtübertrieben, sie enthielt Vorräte für minde-stens einen Monat.

Wenige Lichtsekunden über der Wasser-welt änderte der Stuuhr den Kurs und ver-ließ das System der kleinen gelben Sonne.Das Stabschiff der Patruskee folgte derKRRZBRNF, bis diese kurz vor dem näch-sten Überlichtmanöver stand.

»Möge der silberne Gott mit dir sein«,war der letzte Gruß der Prediger. Unmittel-bar darauf verschwand ihr Raumschiff ausdiesem Kontinuum.

Das war auch der Zeitpunkt, in demBremse einen Datenspeicher in den Abfall-vernichter warf. Kein beliebiger Speicherwohlgemerkt, sondern einer, den die Patrus-kee ihrer Überlebens-Ration beigefügt hat-ten. Zwei Sequenzen hatte der Stuuhr abge-rufen – Dokumente über ein Paradies derNächstenliebe, schöne Worte, aber wenigWirklichkeit. Wunschvorstellungen, die nieWahrheit werden würden.

Er konnte die Hamamesch nicht lieben,diese üblen Geschäftemacher. Und warumsollte er ihnen duldsam begegnen? Sie wür-den ihn als Schwächling ansehen.

*

Die Grenzländerstation war eine giganti-sche Bastion im All, ein Gebilde aus sechsübereinandergestapelten, jeweils 500 Meterdicken Scheiben mit einem Durchmesservon 3,4 Kilometern. Zwischen den Scheibenwimmelte es von kleineren Raumschiffen;ein stetes Kommen und Gehen, das Löschenvon Ladung und die Übernahme neuerFracht. 238 Schiffe erfaßten die Automator-ter, doch mindestens ebenso viele standenim Schatten der Station, außerhalb des Or-tungsbereichs. Hinzu kamen die dickbauchi-gen Hamamesch-Pötte, zwischen 500 und1000 Meter lang, die über einen regen Pen-

14 Hubert Haensel

Page 15: Zug der Herrscher

delverkehr bedient wurden.Verglichen mit den gigantischen Dimen-

sionen der Plattformen, war Nbltsgndpfrd-brms' Prospektorenschiff ein Staubkorn.Beinahe bereute er es, MAGGANIS ange-flogen zu haben.

Auf allen Frequenzen herrschte regerFunkverkehr. Grenzländerstationen warenwie Adern, in denen das Leben von Hirdo-baan pulsierte. Sobald sie ausfielen, würdedas wirtschaftliche Imperium zusammenbre-chen.

Mit Schleichfahrt steuerte der Stuuhr seinSchiff den mittleren Plattformen entgegen.Den Peilstrahl hatte er inmitten des herr-schenden Chaos verloren. Geraume Zeit ver-ging, bis die KRRZBRNF endlich in einerwinzigen Bucht verankert war.

»Die maximale Liegedauer für ein Schiffdieser Größenordnung beträgt eineinhalbTix, die Abwicklungsgebühr ist im vorauszu entrichten.«

»Ich zahle in Form eines Tauschge-schäfts«, sagte der Stuuhr.

»Das ist nicht möglich. Ein Loo-Mat be-findet sich im Innenbereich der Druck-schleuse. Zur Begleichung der Gebühr blei-ben dir fünf Rou Zeit.«

»Mein Loo-Stick ist defekt«, log der Stu-uhr. »Ich benötige eine Direktabsprache.«

Loo-Sticks waren Siegelware und stamm-ten als solche aus dem Zentrum Hirdobaans.Es kam höchst selten vor, daß sie versagten,doch es war nicht auszuschließen.

»Der Vakuta Nigosch wird dich aufsu-chen. Bis dahin darfst du dein Schiff nichtverlassen.«

Bremse hatte lange überlegt, von wel-chem der galaktischen High-Tech-Geräte ersich trennen sollte, und hatte sich für dasHyperkom-Gerät entschieden. Dessen Funk-tion war eindeutig, die anderen Gegenständekonnte er noch immer nicht richtig einord-nen, und vielleicht steckte in ihnen mehr, alser momentan abzuschätzen vermochte.

Der Vakuta erschien unerwartet schnell.Er trug ein Diagnosegerät zur Aufdeckungvon Manipulationen bei sich. Zu allen Zei-

ten hatten findige Köpfe versucht, durchVeränderung der Saldostreifen oder derKennkerben auf bequeme Art Reichtum an-zuhäufen.

»Ein schöner Tag«, murmelte Nigoschund streckte auffordernd einen Arm aus.»Gib mir deinen Loo-Stick, Stuuhr.«

»Er ist nicht defekt, es gibt nur Problememit dem Kontostand.«

»Also hast du überzogen«, fauchte derVakuta mehrstimmig, indem er eine Viel-zahl seiner Körperventile als Membran be-nutzte. »Eine nicht unerhebliche Summe?«Seine Stimme begann dumpf zu schwingen,ein Ton, der dem Stuuhr Unbehagen bereite-te. »Du kennst die Bestimmungen. Unterdiesen Umständen die Dockingbucht einerGrenzländerstation zu belegen, wird alsStraftat geahndet.« Kaum merklich hatte ersich nach hinten in Bewegung gesetzt, alssuche er schon die Sicherheit des Schottes.

Bremse versuchte eine einladende Gesteund reichte dem Grenzländer den kleinenHyperkom. »Ich biete dir als Bezahlung die-ses Gerät an.«

»Was ist das?« Verständnislos drehte Ni-gosch das in den Regenbogenfarben schil-lernde Objekt. »Stammt es von den Fer-myyd?«

»Erstklassige High-Tech der Galaktiker«,prahlte der Stuuhr. »Sein Wert übersteigt beiweitem zehn Millionen Loo.«

Der Vakuta fand erst nach einigem Su-chen den seitlichen Druckpunkt, der denVerschluß öffnete. Ein winziger Bildschirmund eine Tastatur wurden sichtbar.

»Ein Kinderspielzeug«, vermutete Ni-gosch prompt. »Ausgestattet mit einem klei-nen Speicherchip zur Simulation. Was kannman in so einem winzigen Ding sonst schonunterbringen? – Ich biete dir eine halbe Mil-lion Loo dafür.«

»Halsabschneider«, schimpfte der Stuuhr.»Ich habe keine Almosen an Grenzländer zuverschenken.«

Der Vakuta verteilte die Gaskonzentrationin seinem Körperinnern, sein Kopf schiensich aufzublähen, und die Gesichtshaut zeig-

Zug der Herrscher 15

Page 16: Zug der Herrscher

te plötzlich eine lederartige Narbenstruktur.Deutlicher konnte er seine Verärgerungkaum zeigen.

»Nicht einmal mehr für eine halbe Milli-on«, zischelte er. »Auf MAGGANIS handeltniemand mit Spielzeug. Tut mir leid, dumußt die Liegegebühr anderweitig aufbrin-gen.«

Er hielt das Gerät dem Stuuhr wieder hin,schien dabei aber einige Tasten berührt zuhaben, denn der winzige Bildschirm leuchte-te plötzlich auf. Das Gesicht eines Hamame-sch erschien. Leicht neigte der Händler denKopf zur Seite, um mit einem Auge den Va-kuta zu fixieren.

»Was nun noch?« fragte er ungeduldig.»Was was?« erwiderte Nigosch verblüfft.Der Hamamesch vergaß, den Mund zu

schließen. »Ich habe eben einem Grenzlän-der lang und breit erklärt, daß unsere La-deräume am Ende der Aufnahmekapazitätangelangt sind. Für eure Lagerhaltung fühleich mich nicht verantwortlich.«

»Welches Schiff?« platzte der Vakutaheraus.

»Die HYPROL, aber …«Mehr war nicht zu hören. Mit allen drei

Daumenpaaren gleichzeitig hatte Nigoschden Bildschirm in die Ausgangslage zurück-gedrückt. Seine acht punktförmigen Augenrichteten sich auf den Stuuhr.

»Wie hast du das gemacht?« fragte er.»Die HYPROL ist einer der großen Frachteraus dem Buragar-Oktanten und liegt vor derStation auf Reede.«

»Zehn Millionen Loo, und das Geheimnisgehört dir, Vakuta. Ich sagte doch, das istHigh-Tech der Galaktiker – ein Hyperfunk-gerät.«

»Zu klein«, stellte Nigosch fest. »Viel zuklein.« Trotzdem siegte seine Neugierde.Abermals klappte er das Gerät auf und ließzwei Finger wahllos über die Tastatur hu-schen.

Ein Flirren überzog den Bildschirm, bevoreine Amplitude deutlicher wurde. Über-gangslos erschien danach ein Bild.

Nigosch hätte das Gerät vor Schreck bei-

nahe weggeworfen. Zwei Katzenaugen starr-ten ihn durchdringend an. Sie saßen über ei-nem großen Maul mit spitzen Reißzähnenund zwei über die Oberlippe aufragenden,mächtigen Hauern.

»Was willst du?« Der Fermyyd richtetesich auf den Hinterbeinen auf.

»Ich … ich bin ein Vakuta … und …«,stammelte Nigosch. Auf eine solche Begeg-nung war er nicht vorbereitet gewesen.Bremse stand plötzlich neben ihm und rißihm das Funkgerät aus den Fingern.

»Ein Stuuhr?« dröhnte der Fermyyd über-rascht.

»Wir brauchen deine Hilfe«, platzte derProspektor heraus. »Nigosch muß deine au-genblickliche Position wissen.«

Der Fermyyd fletschte die Zähne. »Wirhaben vor zwei Tix Garnach verlassen undbefinden uns im Anflug auf die KünstlerweltVondrasch. Aber jetzt …«

Diesmal klappte Bremse das Gerät abruptzu. Herausfordernd blickte er den Vakuta an,dessen Körper schlapp in sich zusammen-sackte. Nigosch ließ erstaunlich viel Gas ab.

»Vondrasch liegt 38 Lichtjahre von unse-rer Station entfernt«, stammelte der Vakuta.»Wieso … Wie konnten wir den Fermyydmit so einem kleinen Gerät empfangen?«

»Weil das Spitzentechnik vom Feinstenist. Für zehn Millionen Loo im wahrstenSinne des Wortes verschleudert.«

»Fünf Millionen«, keuchte Nigosch.Langsam blähte er sich wieder auf, seineKörperfalten glätteten sich knisternd.

»Zehn …«»Sieben …«»Ich muß nicht um eine hohle Tugnat feil-

schen. Andernorts reißt man sich um meineWaren.«

»Also gut. Siebeneinhalb Millionen, meinletztes Angebot – und dazu eine Informati-on, die dir vielleicht noch mehr einbringenwird.«

»Laß hören!«Der Vakuta wollte nach dem Funkgerät

greifen, doch Bremse zog es blitzschnell zu-rück. »Derart Wertvolles gibt man nicht aus

16 Hubert Haensel

Page 17: Zug der Herrscher

der Hand. Erst die Bezahlung, dann die Wa-re. Ein Hamamesch würde es nicht andersmachen.«

Ich habe von den Halunken gelernt, fügteer in Gedanken hinzu.

»Du kennst Rani von Buragar?« fragteNigosch, wahrscheinlich nur rhetorisch. Werin Hirdobaan kannte die Handelsfürstinnicht, die ihrem Oktanten zu hohem Anse-hen und Wohlstand verholfen hatte? Buragarwar der wohlhabendste der acht Bereiche.Der Vakuta fuhr prompt fort: »Nach zwan-zig Jahren Abstinenz ist die Fürstin im Be-griff, eine neue Handelskarawane in die Ga-laxis Offantol auszurüsten. Zwölf MillionenLichtjahre sind eine beachtliche Distanz.«

»Offantol«, überlegte der Stuuhr. »Ich ha-be den Namen schon gehört, aber ich weißim Moment nicht, was …«

»Die Heimat der Jaskill. Sie sind die Ur-heber der gläsernen Kunstobjekte, die sichals wahre Verkaufsrenner erwiesen haben.Innerhalb von Tagen stiegen damals diePreise auf das Dreißigfache. Und die Jaskillähneln dir.«

»Ich verstehe«, nickte der Stuuhr.»Zweieinhalb Millionen ist die Auskunft

doch wert, oder? Also – wir sind uns einig.«

*

»Buragar-Oktant, 26. Indir. Das Leben istein stetes Auf und Ab und wird von Zufäl-ligkeiten beherrscht. Ich habe nichts dage-gen, solange diese Zufälle Vorteile bringen.

Die Grenzländerstation liegt hinter mir,ebenso ein achttägiger Aufenthalt. So langehaben die Vakuta benötigt, einen für denÜberlichtantrieb meines Prospektorenschiffsgeeigneten Kompensator zu beschaffen. Neuist das Aggregat nicht mehr, und GomaschEndredde mag wissen, aus welchem anderenschrottreifen Kahn es ausgebaut wurde, aberdie Tests haben zufriedenstellende Funktio-nen ergeben.

Der Kompensator, die Liegegebühren unddie Installation waren alles andere als billig– ich werde wohl nie ein Guthaben ansam-

meln können, das mich den nächsten Tagenberuhigt entgegensehen läßt. Alles in allemhabe ich noch 1724 Loo auf dem Stick,mehr ist mir vom Verkauf der High-Technicht geblieben. Die anderen Aggregate ge-be ich trotzdem nicht her.«

»Übertritt in einer Rou«, meldete derBordrechner.

Der Stuuhr betrachtete das Heckpanora-ma. Die Grenzländerstation war längst imSternenmeer versunken.

»Ich hoffe, daß die Expedition nach Of-fantol einträglich sein wird«, sagte er.»Logbuchaufzeichnung NbltsgndpfrdbrmsEnde.«

Keine hektisch blinkenden Warnanzeigendiesmal, kein Aufheulen aus dem Maschi-nenraum, nicht einmal der Dehnschmerz,der in letzter Zeit den Übertritt in denHyperraum begleitet hatte.

»Zurückgelegte Distanz: 639 Lichtjahre«,meldete der Bordrechner nach einer Weile.»Kein neuer Defekt. Der Zielpunkt wurdeexakt erreicht.«

»Wir fliegen Garnach ohne weiteren Zwi-schenstopp an!« bestimmte Bremse.

Die Residenzwelt Rani von Buragars undzugleich das Handelszentrum von Buragarwar der fünfte Planet der gelben Sonne Vi-nousch, nahezu exakt im Mittelpunkt desOktanten gelegen. Das Prospektorenschiffmaterialisierte wenige Millionen Kilometervor der Bahn des äußersten, des 16. Planetenund drang mit einem Drittel der Lichtge-schwindigkeit tiefer in das System ein.

Die Aufforderung zur Identifikation kamprompt. Bremse setzte sein Feiertagsgesichtauf, obwohl ihn der stiere Blick des Hama-mesch auf dem Funkmonitor zu ganz ande-rem reizte. Der Bursche war jung, höchstenszwanzig Jahre, und er schien einen Stuuhrtatsächlich als seinesgleichen anzusehen.

»Prospektor Nbltsgndpfrdbrms an Bordder stolzen KRRZBRNF. Ich verlange, mitRani von Buragar zu sprechen.«

Das Fischmaul schnappte nach Luft. »Dakönnte jeder kommen«, protestierte der Ha-mamesch.

Zug der Herrscher 17

Page 18: Zug der Herrscher

»Um so besser. Also stell die Verbindungdurch.«

»Du bist avisiert?«»Natürlich.«Für einige Rou zeigte der Bildschirm nur

das Emblem von Buragar, bis endlich dasKonterfei eines weißschuppigen Hamame-sch erschien, vermutlich irgendein Vorge-setzter.

»Verbinde mich mit der Handelsfürstin!«rief der Stuuhr ungehalten, um dem zu er-wartenden Geschwätz zuvorzukommen.»Jede Verzögerung werde ich dir anlasten.«

»Rani von Buragar ist unabkömmlich.«»Dann sage ihr, ich werde es auch bald

sein. Ich bin gekommen, der Fürstin meineUnterstützung für den Flug nach Offantolanzubieten; mir ist bekannt, daß vor zwanzigJahren Stuuhr die Karawane begleitet undbeim Kontakt mit den insektoiden Jaskillwertvolle Dienste geleistet haben.«

Das waren Daten, die er erst auf derGrenzländerstation in Erfahrung gebrachthatte – vorher war ihm nicht einmal die Exi-stenz einer Galaxis namens Offantol bekanntgewesen. Auch hatte er erstmals Abbildun-gen der gläsernen Jaskill-Objekte gesehen:filigrane Kunstwerke, von fingerkuppen- bismannsgroß, die durch millionenfache Licht-brechung und ihr Farbenspiel faszinierten.Andere jedenfalls, ihn nicht; er war Realist,kein Träumer.

»Eine Kontrollkommission kommt zu diran Bord«, bestimmte der Hamamesch.

»Auf Garnach, nicht eher«, widersprachBremse. »Ich fliege die Residenzwelt an.Ruft mich, sobald Rani von Buragar oder ihrGemahl mit mir reden wollen. Ende.«

Das kleine Schiff beschleunigte und drangtiefer ins Vinousch-System ein. Die Ortun-gen zeigten einen regen Schiffsverkehr; imBereich von Garnach hatte sich eine ansehn-liche Flotte zusammengefunden.

Zweieinhalb Rou später hatte die KRRZ-BRNF beinahe drei Viertel der Lichtge-schwindigkeit erreicht und begann bereitsmit dem Bremsmanöver. Auf den Schirmenwuchs die Sichel des neunten Planeten for-

matfüllend an. Der Stuuhr erhielt eine Es-korte aus wendigen 100-Meter-Jägern. Ausdem Schatten des Planeten rasten sie heranund setzten sich neben und hinter ihn.

Er ignorierte die Schiffe. Obwohl ihreWaffensysteme aktiviert waren. Ein einzigerFeuerschlag mußte genügen, die KRRZ-BRNF aus dem All zu fegen.

Zwischen Garnach und der Expeditions-flotte herrschte reger Zubringerverkehr. ImOrbit der Residenzwelt wimmelte es vonBeibooten und Plattformen; sogar zweiDocks waren im Raum verankert.

Von einem der Jäger wurden die Koordi-naten für einen stationären Parkorbit über-mittelt.

»Akzeptiert«, sagte der Stuuhr. »Aber wobleibt der Rückruf von Rani von Buragaroder Kanzler Razano Omre?«

Seine Geduld wurde dennoch auf eineharte Probe gestellt. Nach einer Weile spiel-te er sogar mit dem waghalsigen Gedanken,eigenmächtig nahe Allopp zu landen.

Mittlerweile war der 27. Indir angebro-chen. Die Nacht senkte sich über die vierfin-gerige Landzunge mit der Hauptstadt, diejetzt als gleißendes Lichtermeer erstrahlte.Sternschnuppen gleich zogen Raumgleiterund Beiboote ihre Bahn.

Mehrere Dutzend Einheiten näherten sicheinem dickbauchigen Frachter, knapp drei-hundert Kilometer unter der KRRZBRNF.Das war die Gelegenheit, auf die Bremse ge-wartet hatte. Ein schwacher Korrekturschubder Hecktriebwerke genügte, das Prospekto-renschiff auf neuer Bahn dem Frachter zunähern.

Unvermittelt sprach der Hyperfunkemp-fang an. Das Logo der Handelsfürstin er-schien auf dem Monitor.

Nbltsgndpfrdbrms ließ sich bewußt Zeit,bevor er den Anruf entgegennahm. Um soenttäuschter reagierte er, als er nicht Ranivon Buragar oder ihren Kanzlergemahl, son-dern lediglich einen Sydorrier zu sehen be-kam. Ein Sklave – er dachte schon daran, dieVerbindung abzubrechen, doch der Sydorri-er reagierte schneller.

18 Hubert Haensel

Page 19: Zug der Herrscher

»Ich bin Clossan, Berater der Handelsfür-stin«, erklang eine stolze Stimme. Große,leicht hervortretende dunkle Augen mit lan-gen Wimpern in einem kantigen, knöchernwirkenden Gesicht musterten den Prospek-tor. »Ich bin bevollmächtigt, über dein An-liegen zu verhandeln, Stuuhr.«

Bremses Saugrüssel stülpte sich vor undoffenbarte flüchtig das rosafarbene Innen-fleisch mit glitzernden Spuren von Verdau-ungssekret.

»Nicht mein Anliegen«, berichtigte errauh, »sondern ein Bedürfnis der Handels-fürstin. Ich biete ihr meine Unterstützungbei den Verhandlungen mit den Jaskill an.«

»Stuuhr handeln niemals uneigennützig.Was verlangst du als Gegenleistung?«

»Verpflegung, eine ordentliche Instand-setzung meines Raumschiffs sowie Gewinn-beteiligung am Expeditionserlös entspre-chend meiner Wichtigkeit.«

»Zwei andere deines Volkes begleiten unsbereits.«

»Was sind schon zwei Stuuhr?« konterteder Prospektor. »Sie können nicht an vielenOrten gleichzeitig verhandeln.«

Der Sydorrier verzog die röhrenförmigeMundpartie zu einer Geste der Skepsis. »Duglaubst, ein Stuuhr mehr kann viel bewir-ken?«

»Mehr als hundert Hamamesch. Vergißnicht, daß wir körperlich den Jaskill äh-neln.«

Die Entscheidung des fürstlichen Beratersschien von vornherein festgestanden zu ha-ben, andernfalls hätte er nicht ohne weiteresZögern zugestimmt.

»Eine Gewinnbeteiligung wird jedochnicht Gegenstand unserer Vereinbarung«,fügte er hinzu. »Du hast der Handelsfürstinzu dienen, bis sie den Zweck der Expeditionfür erfüllt erklärt. Danach kannst du auf ei-gene Rechnung gläserne Kunstwerke eintau-schen. Ausreichend Verpflegung wird dirkreditiert und ist von deinem erzielten Ge-winn zurückzuerstatten.«

»Blieben noch die erforderlichen Instand-setzungen«, wandte Bremse ein. Eigentlich

hatte er erreicht, was er wollte. Wenn er mitden Laderäumen voll gläserner Kunstobjektenach Hirdobaan zurückkehrte, würde ihmder Verkaufserlös für einige Jahre ein gutesLeben ermöglichen.

»Für die Reparaturarbeiten gilt ebenfallsdas Erstattungsprinzip«, fügte der Sydorrierhinzu. »Ich werde dein Schiff auf DockZwei avisieren. – Hast du noch Fragen, Stu-uhr?«

»Wann brechen wir auf?«»Am zweiten Fir, das ist in fünf Tagen.

Du wirst dein Schiff an einen der Frachterankoppeln. Ich glaube nicht, daß es aus eige-ner Kraft zwölf Millionen Lichtjahre über-winden kann. Informationen erhältst durechtzeitig. Das ist alles.«

3.

Der Alarm kam überraschend.Die Ortungen der BASIS meldeten das

Auftauchen einer großen Flotte wenigeLichtstunden vor der GrenzländerstationSCHERMOTT. In weit auseinandergezoge-ner Formation fielen die Schiffe aus demHyperraum.

»Anflugvektor weist auf Queeneroch. Of-fenbar handelt es sich nicht um Einheitender Fermyyd. Ich wiederhole: keine Regen-bogenschiffe der Fermyyd.«

»Identifikation?« wollte Lugia Scinagrawissen.

»Bislang kein Kontakt. Aber drüben aufSCHERMOTT scheinen die Vakuta ganzschön nervös zu sein – sie funken auf gut ei-nem Dutzend der gebräuchlichsten Frequen-zen.«

In Abwesenheit von Perry Rhodan hatteLugia Scinagra die Führung der BASISübernommen. Seit beinahe dreißig Stundenwar sie ohne Schlaf, weil unablässig wichti-ge Meldungen aus allen Regionen Hirdo-baans eintrafen. Wie sie vermutete, bahntensich entscheidende Geschehnisse an. DerZug der Herrscher stand bevor, ein Treffender Handelsfürsten aller Oktanten.

Daß in dem Zusammenhang auch die ge-

Zug der Herrscher 19

Page 20: Zug der Herrscher

heimnisvollen Maschtaren genannt wurdenund sogar der göttliche Gomasch Endredde,war an sich nur logisch. Vielleicht bot sichendlich die Gelegenheit, die offenen Fragenzu klären, die sich seit dem Eintreffen derBASIS über der ausgeplünderten StationComa-6 am 5. Juni 1220 angesammelt hat-ten, eine ellenlange Liste.

»Es sind Crypers«, zirpte der Blue TalyzTyraz. »Ich empfange Bruchstücke ihres in-ternen Funk …« Er unterbrach sich und riefgleich darauf schrill: »Es ist Michael Rho-dan mit der MONTEGO BAY. Er hat es tat-sächlich geschafft, die Rebellen zu verei-nen.«

Die Stellvertretende Kommandantin nick-te nur knapp. Nichts anderes hatte sie erwar-tet.

Mehrere Stunden später wimmelte derRaum rings um das Trägerschiff von Or-tungsechos. Permanente Gefechtsbereit-schaft blieb angeordnet, Lugia Scinagrawollte nicht das geringste Risiko eingehen.Immerhin bestand die Gefahr, daß der eineoder andere Rebellenkapitän angesichts derriesigen BASIS durchdrehte.

Allein der diskusförmige Grundkörper desFernraumschiffs besaß einen Durchmesservon neun Kilometern und war drei Kilome-ter hoch. Fünfzehnhundert Meter dick warder umgebende Ringwulst, und unter Be-rücksichtigung des vorderen Zentralseg-ments sowie des Triebwerkssektors ergabsich eine imposante Gesamtlänge von 14 Ki-lometern. Was spielte es angesichts solcherAusmaße für eine Rolle, daß die BASIS im-mer öfter als fast schrottreif bezeichnet wur-de? Für Hamamesch und Crypers stellte siedennoch einen gewaltigen Machtfaktor dar.

Michael Rhodan und der Ertruser MarfinKinnor verzichteten darauf, mit der MON-TEGO BAY die BASIS anzufliegen, son-dern benutzten eine Transmitterverbindung.Der Rebellenführer Coram-Till traf kurznach ihnen ein. Moin-Art, früher sein Stell-vertreter, jetzt Berater, begleitete ihn.

»Erneuter dringender Anruf von SCHER-MOTT«, meldete Talyz Tyraz. »Der Oberste

Lagerherr ist in Sorge wegen der Rebellen-flotte. Er beruft sich darauf, daß nie eineGrenzländerstation angegriffen wurde.« DerBlue wiegte seinen Tellerkopf. »Na ja«, flö-tete er, »jedenfalls war es so, bevor die Im-print-Outlaws in Hirdobaan einfielen.«

»Sag ihm – ach was.« Lugia Scinagravollführte eine wegwerfende Handbewe-gung. »Der Vakuta soll sich nicht vor Furchtaufblähen. Seiner Station wird schon nichtsgeschehen.« Interessiert wandte sie sich Per-ry Rhodans Sohn und dem Ertruser zu.Gleichzeitig fixierte sie die Crypers. »Vorüber einer Woche erhielt ich die Nachrichtvon eurem Aufbruch nach Queeneroch. Of-fensichtlich war die Mission von Erfolg ge-krönt. Die Rebellen und wir ziehen also end-lich an einem Strang.«

»Wie man es nimmt«, sagte Kinnor.»Probleme?«»Nicht mehr.« Der Ertruser rieb sich die

Hände. »Schwierigkeiten sind dazu da, daßman sie beseitigt, und genau das haben wirgetan.«

»Sechs von sieben Crypers-Gruppen sindfür einen Überfall auf Borrengold vereint«,erklärte Coram-Till bedächtig. »Nur Dan-Sandin und seine Leute bleiben fern. Siewerden unser Vorhaben aber nicht behin-dern.«

Robert Gruener hatte vor wenigen Augen-blicken den kleinen Konferenzraum betre-ten. »Das ist gut«, bemerkte der »Vater« derComa-Androgynen an Stelle einer Begrü-ßung.

Seit dem Verschwinden seiner Roboter-Kinder von Coma-6 wirkte er noch mehr insich zurückgezogen als früher. Einige Besat-zungsmitglieder behaupteten inzwischen,Grueners Denken und Handeln sei aus-schließlich darauf ausgerichtet, die Andro-gynen wiederzufinden. Und sie spöttelten,daß er an einer Eingabe arbeite, Robot-Napping unter schwerste Strafe zu stellen.

»Ja?« fragte Lugia Scinagra knapp.Gruener fühlte sich unbehaglich unter ih-

rem Blick. Er zog den Kopf zwischen dieSchultern, druckste herum.

20 Hubert Haensel

Page 21: Zug der Herrscher

»Du störst«, sagte die Kommandantin freiheraus. »Ich bin momentan mit anderen Din-gen befaßt. Die Androgynen sind zweitran-gig.«

Gruener nickte deprimiert. »Ich – äh«,vergeblich versuchte er, die Lippen zu be-feuchten, »ich habe gehört, daß die Rebellenauf unserer Seite kämpfen werden.«

»Das stimmt«, bestätigte Michael Rho-dan. »Und du bist hier, weil du willst, daßwir auf deine Kinder Rücksicht nehmen.«

Grueners Augen weiteten sich in ungläu-bigem Erstaunen. »Woher weißt du … ichmeine, Gucky ist doch auf Schingo, und …«

»Deine Gedanken sind leicht zu erraten.«»Hm, ja.« Das klang keineswegs über-

zeugt. »Ich meine … Tyraz hat eben durch-blicken lassen, daß der erste Handelsfürstnach Borrengold aufgebrochen ist. DieNachricht ist brandaktuell. Das wollte ichnoch sagen. Vielleicht sind meine Androgy-nen …«

»Auf Borrengold?« Marfin Kinnor schüt-telte den Kopf. »Bestimmt nicht. Die ver-stauben in einem der leeren Schiffe, falls sienicht schon andernorts in ihre Bestandteilezerlegt wurden.«

In stummer Verzweiflung schüttelte Grue-ner den Kopf. Er raufte sich die Haare.

»Wir tun, was wir können«, versprachRhodan.

»Wenn der Zug der Herrscher inzwischenbegonnen hat, bleibt uns leider wenig Zeit«,fügte der Ertruser hinzu.

»Wo befindet sich mein Vater?« wollteRhodan wissen.

»Wir warten auf seine Befehle«, antwor-tete Lugia Scinagra. »Wenn sich nichts ver-ändert hat, hält Perry mit seinen Einheitenimmer noch auf Schingo die Stellung. Ichdenke, daß Atlan und Tekener nach wie vorim 13-Stunden-Rhythmus in ihren Zellen er-scheinen.«

»Exakt alle 13:01 Stunden«, korrigierteMichael Rhodan. Er wandte sich an die Cry-pers: »Falls eine eurer anderen Gruppen In-formationen besitzt, die den Phasensprin-gern helfen können, gebt sie uns.«

»Leider nein«, erwiderte Coram-Till.»Wir wissen nicht mehr, als ihr Galaktikerebenfalls herausgefunden habt. GomaschEndredde …«

»Vergiß den Kerl.« Heftig winkte der Er-truser ab. »Einer fiktiven Gottheit – oderwas er sonst sein mag – alle Missetaten indie Schuhe zu schieben, ist einfach.«

»In die Schuhe schieben?« fragte Coram-Till verwirrt. »Was meinst du damit?«

Der Translator hatte die Redewendung of-fenbar wörtlich ins Hamsch übersetzt. Alsogab es kein entsprechendes Synonym. Ver-geblich suchte Kinnor nach einer brauchba-ren Umschreibung.

»Vergiß es«, sagte er gleich darauf. »Warnicht so wichtig.«

»Gibt es wenigstens Neuigkeiten von Re-ginald Bull und den anderen Phasensprin-gern an Bord der CIMARRON?« erkundigtesich Michael Rhodan. »Ich meine, nachdemAtlan es geschafft hat, für kurze Zeit das Be-wußtsein zu erlangen, sollte man das auchvon den anderen Aktivatorträgern erwar-ten.«

Die Stellvertretende Kommandantin derBASIS schüttelte den Kopf. »In der Hinsichtmuß ich dich enttäuschen, Michael. Atlan istbisher der einzige, der es schafft, gegen En-de eines jeden Intervalls seine Handlungsfä-higkeit zurückzugewinnen. Der Smiler zeigtebensowenig Tendenzen zum Erwachen wieBull und seine überlebenden vier Begleiter –ihr Zustand ist unverändert. Sie erscheinenim gewohnten Rhythmus in ihren Kabinenan Bord der CIMARRON, und sie ver-schwinden wieder, ohne daß es möglich wä-re, sie aufzuhalten. Weder Paratronschirme,noch …«

»Genug«, wehrte Michael Rhodan ab.»Wieviel Zeit bleibt uns, bis auf Borrengoldalle wichtigen Köpfe Hirdobaans versam-melt sein werden?«

»Zwei, bestenfalls drei Hi-Tage«, antwor-tete Coram-Till und kam damit Lugia Scina-gra zuvor. »Ich schlage vor, daß unsere Flot-te zuerst Schingo anfliegt, um den Anscheinzu erwecken, als hätten wir alle Schiffe nur

Zug der Herrscher 21

Page 22: Zug der Herrscher

zum Ausbau und Erhalt der Stellungen aufdem Strafplaneten aufgeboten. Es erscheintmir vorteilhaft, vom Unternehmen Borren-gold so weit wie möglich abzulenken.«

Da niemand Einwände erhob, war der Ab-flug in den Ammach-Oktanten beschlosseneSache. Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren.

4.

»Niemand verläßt das Schiff, bevor dieArbeiten nicht restlos abgeschlossen sind.«

Die Arme vor den Chitin-Brustplattenüberkreuzt, baute der Stuuhr sich unter demZentraleschott auf – eine monströse Gestalt,die alle Hamamesch-Techniker um gut einehalbe Körperlänge überragte.

»Du hast die Anweisung selbst gehört,Stuuhr«, widersprach einer der Männer.»Keine weiteren Reparaturen; die Handels-karawane nach Offantol findet vorerst nichtstatt.«

Die Fischgesichter hatten viel geschafft,die von den Galaktikern angerichteten Ver-wüstungen im Schiff gehörten weitgehendder Vergangenheit an. Eigentlich hätteBremse zufrieden sein können – daß er ge-nau das seit wenigen Augenblicken nichtmehr war, lag daran, daß seine Hoffnungenwieder einmal wie eine überreife Moka-Frucht zerplatzt waren. Keine Expedition,das bedeutete zugleich das Ende der mitClossan getroffenen Vereinbarungen. Erwürde für die geleisteten Arbeiten im Dockbezahlen müssen.

»Wieviel?« hörte er sich selbst fragen. Ineinem Tonfall, der den Hamamesch eigent-lich eine Warnung sein sollte.

Die Techniker fühlten sich nicht wohl inseiner Nähe, das spürte er, sie hätten ihnschon vorher lieber aus der Distanz gesehen.Einer von ihnen umklammerte den Laser-schweißer so fest, daß seine Handschuppenfarblos wurden.

»Falls du von der Rechnung sprichst, diewird dir zugestellt.«

»Ich bezahle erst, wenn alle Arbeiten ab-geschlossen sind.«

»Wir haben den Befehl, sofort aufzuhö-ren.«

»Das ist euer Pech, nicht meines.«»Dann gib den Durchgang frei.«»Sobald mir zugesichert wurde, daß die

Bezahlung erst nach Abschluß der gesamtenInstandsetzung fällig wird.«

»Das müssen andere entscheiden.«»Bis dahin«, der Stuuhr verfiel in einen

lauernden Tonfall, »seid ihr meine Gäste.«Er hatte das Pflichtbewußtsein und die

Furcht der Techniker vor einer handgreifli-chen Auseinandersetzung richtig einge-schätzt. Schon eine halbe Stunde späterkonnte er mit Clossan reden. Der Sydorriergab sich Mühe, sich den Ärger nicht allzudeutlich anmerken zu lassen.

»Der Aufbruch der Handelskarawanewird sich verzögern«, erklärte er. »An unse-rer Vereinbarung ändert das nichts, soferndu bereit bist, die Handelsfürstin auch zu ei-nem späteren Zeitpunkt zu begleiten.«

»Wieviel später?«»Ein Zehner. Vielleicht.«»Einverstanden«, sagte der Prospektor.

»Unter der Bedingung, daß meine Verpfle-gung für diesen Zeitraum ergänzt wird. Aufeine zusätzliche elektronische Bestätigungverzichte ich ausnahmsweise. Ich denke, dasWort eines Sydorriers ist so gut wie jedesSchriftstück.«

Flüchtig wandte er sich von der Aufnah-meoptik ab. Die Techniker hatten die Zeitgenutzt, sich klammheimlich zu empfehlen;soeben glitt das Schott hinter ihnen zu. Ha-mamesch-Pack, dachte er, feige und hinter-hältig.

Dann wollte er von Clossan wissen: »Wasist geschehen, daß die Handelsfürstin ihrePläne ändert? Ich kann mir nichts Wichtige-res vorstellen …«

»Der Zug der Herrscher wird vorverlegt«,antwortete der Sydorrier und ließ eine Pausefolgen, die Bremse benötigte, um die Neuig-keit zu verdauen. »Maschtar Uwwen hat dieFürstin gestern aufgesucht und ihr mitgeteilt,daß der Zug der Herrscher unverzüglichstattzufinden hat. Am 16. Fir müssen alle

22 Hubert Haensel

Page 23: Zug der Herrscher

Handelsfürsten auf Borrengold eingetroffensein.«

Für den Stuuhr war die Nachricht einiger-maßen verwirrend. Regelmäßig alle sechsJahre fand ein Zug der Herrscher nach Bor-rengold statt – ein traditionelles Fest für Hir-dobaan, vor allem, weil nur dann Hamame-sch die Grenzen zwischen den Oktantenüberschreiten durften.

»Es gilt, Maßnahmen gegen die gefährli-chen Umtriebe der Galaktiker zu beschlie-ßen«, sagte Clossan. »Deshalb ist Eile gebo-ten.«

Das war eine Aussage, die der Stuuhr ak-zeptierte. Schließlich hatte er selbst allenGrund, die Fremden zu hassen, die sich wieVerrückte gebärdeten. Daran denken, daßsie ein wertvolles Vorkommen an Sternkri-stallen sinnlos vernichtet hatten, durfte ernicht, dann stieg alles wieder in ihm hoch,was er in den letzten Zehnern erduldet hatte,dann wäre er am liebsten mit bloßen Fäustenauf sie losgegangen.

Wahnsinn! Er hatte einmal versucht, sichmit ihnen zu messen, dabei jedoch den kür-zeren gezogen. Offenbar waren sie unter-schiedlich. Er dachte an den Terraner na-mens Tekener, der ihm sogar eine Entschä-digung verschafft hatte. Vielleicht ließensich an Terraner wie ihn Informationen zueinem angemessenen Preis verkaufen.

*

Tage zwischen Bangen und Hoffen folg-ten; ein unbegreiflicher Stillstand war einge-treten, der Flugverkehr zwischen Garnachund den im Orbit befindlichen Expeditions-schiffen weitgehend zum Erliegen gekom-men. Der vorverlegte Zug der Herrscher hat-te Rani von Buragars Pläne durcheinander-gewirbelt, denn als Handelsfürstin war siegezwungen, dem Treffen auf Borrengoldbeizuwohnen. Daß hinter den Kulissen neueVorbereitungen auf Hochtouren liefen, wur-de deutlich, als die dickbauchigen Frachterabdrehten und schlankere, schwerbewaffneteEinheiten über der Residenzwelt erschienen.

Bremse hatte sich inzwischen entschlos-sen, den Zug der Herrscher zu begleiten. Esgab viele Nicht-Hamamesch, die wie erdachten und eine Gelegenheit für gute Ge-schäfte witterten; das System der Sonne Vi-nousch avancierte zum Treffpunkt vonAbenteurern und Glücksrittern aus allenVölkern des Oktanten. Zuerst tauchten dieverschlungenen, stets im Bau oder in Repa-ratur befindlichen Raumer der Stelzmakaliesauf, wenig später zwei Stabschiffe der Pat-ruskee. Die Prediger nutzten die Gelegenheitund schickten ihre Botschaft von der silber-nen Gottheit auf allen Kanälen in den Äther.Sie bekehrten niemanden mit ihrem Ge-schwätz, nicht einmal jene Nischdrich, derenovale Rostschleuder unmittelbar nach demEnde des Überlichtfluges auseinanderzubre-chen begann. An der Rettungsaktion betei-ligten sich nahezu alle in der Nähe befindli-chen Schiffe.

Nicht der Stuuhr – er verfolgte das Ge-schehen lediglich auf den Schirmen. Abge-sehen davon, daß er wenig Lust verspürte,Nischdrich auf die KRRZBRNF zu holen,stand ihm der Sinn nicht nach spärlicherBeute. Er war überzeugt davon, daß dieNischdrich keine wertvollen Waren geladenhatten.

Am Morgen des elften Fir warteten be-reits siebzig Schiffe unterschiedlichster Bau-art darauf, dem Troß das Geleit zu geben.Weitere Einheiten würden zu ihnen stoßen,denn inzwischen hatte Rani von Buragar dieStationen ihres Zuges bekanntgegeben. DerTradition folgend, würde sie in jedem Ok-tanten einen Zwischenhalt einlegen und denFall der Grenzen zwischen den Oktantenund die Verbrüderung aller Hamamesch fürkurze Zeit demonstrieren. Auch die anderenHandelsfürsten flogen Borrengold nicht aufder kürzesten Route an. Allerdings hätteBremse sich nie darauf verlassen, daß eineÜberlichtetappe wirklich am festgelegtenZiel endete. Um »Belästigungen« durchCrypers auszuweichen, wurden Flugstreckenoft kurzfristig umprogrammiert.

Der vorverlegte Zug der Herrscher wurde

Zug der Herrscher 23

Page 24: Zug der Herrscher

in allen Oktanten als die Sensation des Jah-res verkauft. Die Medien quollen über vorimmer neuen Informationen; Teams selbstder unbedeutendsten planetaren Stationenbrachen wie eine Heimsuchung über Gar-nach und die übrigen bewohnten Welten desVinousch-Systems herein. Alles gierte nachSensationen; Reporter verstiegen sich zu denabsonderlichsten Mutmaßungen über Her-kunft und Absichten der Galaktiker; Archiv-material wurde neu aufgewärmt und ließ er-kennen, mit welch unglaublicher kriminellerEnergie die Fremden nach sogenannten Im-print-Waren gesucht hatten; dazwischenneuere Dokumentationen, Bilder von einerRaumschlacht über der Containerwelt Torre-sch, nicht einmal zwei Zehner alt, oder eineDokumentation über den StrafplanetenSchingo. Die Filme zeigten, daß es dort denFermyyd gelungen war, die Galaktiker inheftigen Gefechten zurückzuschlagen.Bremse hatte die Fremden kennengelernt,deshalb zweifelte er den Wahrheitsgehaltder Nachrichtensendung an. Ein Propagan-dafilm, der manche Wogen glätten sollte,mehr nicht.

Am zwölften Fir trafen zwei Regenbogen-schiffe der Fermyyd ein. Aus »zufällig« auf-gefangenen Funksprüchen zwischen demKommandanten der Schutztruppe und Kanz-ler Razano Omre erfuhr der Stuuhr, daß wei-tere Schiffe der Fermyyd bereitstanden, alsBeobachter und Wächter bei jedem Zwi-schenstopp.

Die Medien überschlugen sich endgültig,als die ersten Handelsfürsten nach Borren-gold aufbrachen. Ein grelles Kaleidoskopvon Momentaufnahmen verdrängte alle an-deren Ereignisse; Stimmen und Stimmungenwurden auf vielfache Weise eingefangen;Festtagstrubel beherrschte zumindest dieHamamesch. Kritische Bemerkungen wiedie von zwei Stuuhr, die einem Aufnahme-team ins Bild liefen, wurden rigoros abge-brochen.

»Verrückt«, stieß Bremse immer wiederim Selbstgespräch hervor. »Die spinnen, dieHamamesch.« Egal, welches der großen

Nachrichtennetze er abrief, Freude und Zu-versicht wurden auf derart plumpe Weisesuggeriert, daß er sich irgendwann fragte,wo der allumfassende gequälte Aufschreiblieb.

Das Volk feiert. Im Freudentaumel ver-stummen kritische Fragen.

Weshalb war der Zug der Herrscher vor-verlegt worden? Um von Problemen abzu-lenken, die nicht einmal mehr die Maschta-ren in den Griff bekamen? Gerüchte mach-ten die Runde, daß die Jondoron-Hama-mesch an allem schuld sein sollten, daß siedie Fremden mit geheimnisvollen Waren auseiner 118 Millionen Lichtjahre entferntenGalaxis nach Hirdobaan gelockt hatten.Nein, der Stuuhr glaubte nicht daran, daß dieJondoron allein dazu in der Lage gewesenwaren. Hinter all dem steckte etwas anderes.

Am Abend wurde aus dem benachbartenMereosch-Oktanten bekannt, daß AdromCereas mit großem Gefolge und unter riesi-gem Spektakel aufgebrochen war. Die Kom-mentatoren bescheinigten ihm die bisherbrillantesten Effekte. Ausgerechnet AdromCereas, der als grausam und bösartig galt,sonnte sich im Wohlwollen ganz Hirdo-baans.

Nicht einmal der Stuuhr konnte sich jetztnoch einer fiebernden Erwartung entziehen.Er schlief kaum, und wenn, dann schlecht,und er schreckte in unregelmäßigen Abstän-den hoch.

Ein halbes Tausend Raumschiffe odermehr hatten sich über Garnach eingefunden.Und immer noch trafen aus den anderen Ok-tanten neue Aufnahmeteams ein. Buragarwar das wohlhabendste Reich, entsprechendhoch lag die Erwartung, daß Besonderes ge-boten wurde.

Rani von Buragar, eine schlanke Schön-heit mit Halsschuppen von einmaliger roterFärbung, war mittlerweile auf allen Kanälenzu sehen. Sie hatte die Regierungsgeschäfteihrem Kanzlergemahl übertragen und sichkurz vor Mitternacht an Bord der AGGOSHbegeben, ihres1000-Meter-Luxus-Residenzschiffes für au-

24 Hubert Haensel

Page 25: Zug der Herrscher

ßergewöhnliche Anlässe. Interviews, abge-sehen von ein paar freundlichen Worten analle Völker ihres Oktanten, umging sie mitder ihr eigenen verbindlichen Art. Selbst derStuuhr kam nicht umhin, diese Hamameschzu bewundern. Begleitet wurde Rani vongroßem Hofstaat und nicht zuletzt ihren Sy-dor-Sklaven Clossan, Fenerod und Mylass.Bilder aus dem Innern der AGGOSH zeigteneine verschwenderische Pracht an edlenHölzern, Stoffen und Jaskill-Kunstwerken.

Nacht über der Hauptstadt Allopp. Aberauch Hunderte Raumschiffe, die noch vonder Sonne angestrahlt wurden und wieSternschnuppen in der Dunkelheit funkelten.

Sekundenlanges Atemholen; berauschen-des Schweigen auf allen Nachrichtenkanä-len; dazu das Konterfei der Fürstin. EineAura funkelnder Helligkeit umspielte ihrGesicht, verlieh ihr die Pracht einer schaum-geborenen Meeresgöttin – übernatürlich undfaszinierend, ein Anblick, der jedem Hama-mesch die Kiemen aufrichtete.

»Borrengold«, sagte die Handelsfürstin indem Moment, in dem die Uhren den Beginndes neuen Tages anzeigten, »Rani von Bura-gar kommt.«

Von Antigravfeldern getragen, stieg diemächtige AGGOSH majestätisch in die Hö-he. Die letzten Scheinwerfer erloschen, dasSchiff wurde von der Nacht verschluckt.

Irgendein Sprecher eines billigen Sendersverlieh seinem Unmut Ausdruck, doch mit-ten im Satz brach er ab. Dutzende Kilometerhoch über der Hauptstadt perlten plötzlichsilberne Blasen, sie entstanden wie aus demNichts, tropften über den Rumpf der AG-GOSH und regneten als dichter Vorhang ab.Ein Anblick, als hätte sich das Tor zu eineranderen Welt geöffnet. Dazwischen wuch-sen die Projektionen von Pflanzen in denHimmel, in einer imaginären Strömung wo-gende Blütenkelche. Gigantisch; keine derBlüten weniger als tausend Meter durchmes-send.

»… Sinnbild der Geburt allen Lebens ausden Tiefen der Ozeane, steigt die AGGOSHempor in die unendliche Weite des Raumes,

der den Hamamesch vor Urzeiten gegebenwurde …« Bremse hörte nicht mehr hin, dieSelbstbeweihräucherung der Händler warihm zuwider.

Immer noch erweckte die AGGOSH denEindruck, als tauche sie luftumsprudelt ausgroßer Meerestiefe auf. Doch die silbernenBlasen schwollen an und zerplatzten in ei-nem gigantischen Feuerwerk, das halb Gar-nach mit einer funkelnden Orgie von Lichtund Schatten überzog. Das Schauspiel ende-te, als die im Orbit wartenden 35 bewaffne-ten Begleitschiffe einen Kordon um die AG-GOSH bildeten.

»… es ist nicht zu glauben: viel Prunk, er-bauliche Lichteffekte, eine perfekt abge-stimmte Show, aber eben doch weitaus we-niger als erwartet. Was sollen wir sagen?Hochgesteckte Erwartungen wurden ent-täuscht, Fürst Adrom Cereas von Mereoscherweist sich in diesen Augenblicken als derungekrönte Herrscher … Doch nein, etwasscheint schiefgelaufen zu sein – wir habengeahnt, daß Fürstin Rani mehr bieten wollte…«

Die Stimme des Sprechers überschlugsich vor Erregung und brach krächzend ab.Andere redeten plötzlich wirr durcheinan-der. »Alarm auf allen Schiffen!« rief je-mand. »Hyperschockbeben. Das gesamteVinousch-System …«

Nbltsgndpfrdbrms erstarrte. Auch derBordcomputer seiner KRRZBRNF lösteAlarm aus.

Eine neue Sonne flammte auf. Heller alsVinousch selbst.

Nur den Bruchteil eines Gedankens späterein zweiter explodierender Stern. Wo ebennoch der Nachbarplanet gestanden hatte, ex-pandierte eine flammenumloderte Kugel-schale ins All und wechselte dabei die Farbevon strahlendem Weiß hin zu tiefem Purpur-rot.

Zeit, Panik zu empfinden, blieb dem Stu-uhr nicht. Er starrte auf die Bildschirme undspürte ein Gefühl unbeschreiblicher Erha-benheit, ein Empfinden, als gehöre ihmplötzlich alle Zeit des Universums.

Zug der Herrscher 25

Page 26: Zug der Herrscher

Sechzehn Welten waren nahezu zeitgleichzu Supernovae geworden, sechzehn sichlichtschnell ausdehnende Glutbälle bildeteneinen gigantischen Ring um die Sonne Vi-nousch.

Wie aus weiter Ferne erklang die Stimmeeines Sprechers. Der Hamamesch war zu-tiefst ergriffen und berichtete stockend denZuschauern, die nicht das Glück hatten, ausnächster Nähe Augenzeugen des unglaubli-chen Schauspiels zu sein.

»… in diesen Inx sind wir der Schöpfungdes Universums näher als je ein lebendesWesen. Es – es ist mit Worten nicht auszu-drücken, kein Bild, keine Beschreibungkann die Faszination wiedergeben; was wiedie Vernichtung eines Planeten begann, ent-puppte sich als kosmisches Spektakel, Ranivon Buragars wahrhaftig würdig. Damit hatdie Handelsfürstin erneut ihre Größe bewie-sen.

Der Zug der Herrscher beginnt würdevollund offenbart auf unnachahmliche Weise dieMöglichkeiten unserer Kultur. Möge denVerhandlungen auf Borrengold ein ebensoleuchtender Abschluß beschieden sein.

Die Wünsche aller Völker von Buragarbegleiten Fürstin Rani. Ich schweige jetztund werde mich ganz dem Genuß diesesgrößten Schauspiels hingeben, das Hirdo-baan je erlebt hat. Haltet uns die Treue undverfolgt den anschließenden Werbeblock,der neue Warenleistungen vorstellen wird.Zu erwerben sind die Güter schon heuteüber verschiedene Grenzländerstationen, de-ren Namen im Nachspann genannt werden…«

»Sei endlich still, Schwätzer!« stießBremse ungehalten hervor. »Dein Gequat-sche stört.«

Die ersten Glutbälle schienen einander zuberühren, ihre Farben veränderten sich. EinRegenbogen entstand schräg über Vinousch,gleich darauf ein zweiter. Ein wahrhaft erhe-bender Anblick – und eine logistische Mei-sterleistung, wenn man bedachte, daß dasLicht von den äußeren Welten schon vormehreren Tix abgestrahlt worden war.

Trotzdem hatten sich, vom Standort derFlotte aus gesehen, alle sechzehn Planetenauf die Inx genau gleichzeitig mit einerleuchtenden Aura umgeben.

Sechsunddreißig große Schiffe der Hama-mesch, zwei Fermyyd-Raumer und eine un-überschaubare Zahl kleiner Einheiten stie-ßen in ein flammendes Farbenmeer vor.

»Sie hat Adrom Cereas von Mereoschausgestochen«, murmelte der Stuuhr imSelbstgespräch. »Sie hat es tatsächlich ge-schafft.«

Ein leistungsstarker planetarer Hypersen-der überlagerte alle anderen. Die Wiederga-be auf dem Hauptschirm wechselte undzeigte ein Bild, das von einem Punkt hochüber der Ekliptik des Sonnensystems aufge-nommen wurde. Es zeigte die allmählichverblassenden Sphären. Wo sie sich nochüberlappten, bildeten Interferenzen eigen-tümliche Muster – riesige Schriftzeichen inder Sprache der Hamamesch:

Fürstin Rani von Buragar, für immer undewig.

5.

Sanft strich die fellbedeckte Hand überdas pockennarbige Gesicht, das selbst imZustand tiefer Bewußtlosigkeit hart und kan-tig wirkte. Die sonst unergründlichen, hell-blauen Augen waren geschlossen; es gabnicht den leisesten Hinweis darauf, daß dieLider sich irgendwann einmal wieder öffnenwürden.

Dennoch war Ronald Tekener wach. Alle13:01 Stunden. In einer anderen Welt. NachAussage des Arkoniden Atlan irgendwo imgalaktischen Zentrum Hirdobaans. Was im-mer dort geschah, Tek schien in jener Weltdurchaus handlungsfähig zu sein. Andern-falls wäre er nicht ziemlich ramponiert inseiner Zelle wieder aufgetaucht, mit einerBrandwunde im Gesicht und Hautabschür-fungen.

Ein sanftes Summen drang über Dao-Lin-H'ays Lippen. »Komm zurück«, flüster-te sie. »Das ist kein Zustand, Tek.«

26 Hubert Haensel

Page 27: Zug der Herrscher

Er hörte sie nicht. Und falls doch, gab eskeinerlei Reaktion. Sogar Gucky hatte nichtsespern können.

Dao-Lin-H'ay strich über Tekeners tief-schwarzes Haar. Wie gerne wäre sie mit ihmgegangen, um ihm dort beizustehen, wohiner in regelmäßigem Intervall verschlagenwurde. Aber der Weg war ihr verwehrt. Wiealle anderen war sie zur Hilflosigkeit undzum Abwarten verurteilt.

Ein Geräusch ließ sie mit katzenartigerGeschmeidigkeit herumfahren. Atlan hüstel-te unterdrückt, und hinter ihm betrat PerryRhodan den Raum und lächelte wissend.

»Schon gut«, sagte Atlan, ehe die Karta-nin zu einer Erklärung ansetzen konnte, »ichweiß, daß du unseren Freund pflegst unddich um ihn sorgst.«

Ein verhaltenes Grollen drang aus DaosKehle. Ihr Blick pendelte zwischen dem un-sterblichen Arkoniden und Tekener. Ihr waranzusehen, was sie dachte.

»Es liegt nicht an Teks Unsterblichkeit-schip«, begründete Atlan, »sondern an mei-nem Extrasinn. Auch Bully liegt im Zustandtiefer Bewußtlosigkeit. Ich bin wirklich dereinzige, der nach jedem Durchgang hand-lungsfähig wird, und diesmal wieder ein we-nig eher als beim letzten Intervall.«

»Du hast Tek noch nicht gefunden? Ichmeine, drüben …«

»Wir haben alles getan, was wir tun konn-ten, um ein Treffen herbeizuführen. Überkurz oder lang muß Ronald auf die Graffitistoßen, die unsere Treffpunkte bezeichnen.«

»Zumindest geht es ihm gut«, wandteRhodan ein. »Ich meine«, berichtigte er so-fort, als er Dao-Lin-H'ays Zusammenzuckenbemerkte, »sein Körper zeigt keine Mangel-erscheinungen. Er bekommt ausreichendNahrung.«

»… und er versteht es ausgezeichnet, sichin Schwierigkeiten zu bringen. Diesmal sindseine Wunden verheilt, doch was geschiehtwährend der nächsten Periode?« Die Karta-nin dachte an Indra Priatar Jonos, die nurnoch als Leichnam in der CIMARRON ma-terialisiert war, ein Zwischenfall, den sie als

eindringliche Warnung verstand.»Dreißig Millionen verschwundener Ga-

laktiker sind im unzugänglichen Zentrums-gebiet auf zwölf Himmelskörper verteilt«,erinnerte Atlan. »Ich würde viel dafür ge-ben, mit Tek zusammenzutreffen und mitihm gemeinsam die Rettung aller in die We-ge leiten zu können. Daß ich es schaffenwerde, davon bin ich überzeugt.«

»Hoffentlich nicht zu spät«, brachte Dao-Lin-H'ay hervor. »Nein, Atlan, ich machedir keinen Vorwurf, aber ich fürchte ernst-haft um Teks Leben. Gäbe es für mich einenWeg, ihm zu folgen, ich …«

»Dao-Lin-H'ay«, Rhodan legte der Karta-nin beschwichtigend seinen Arm um dieSchulter, »ich kann nachvollziehen, was Tekund dich verbindet, und ich weiß, wie dir zu-mute sein muß. Aber schlag dir aus demKopf, ihm zu folgen. Vorerst kann ich mirkeine besseren Helfer vorstellen als Atlanund Reginald Bull. Sie wissen genauer alsjeder von uns, was sie erwartet und wie siesich verhalten müssen, um ungeschoren zubleiben.«

Die Kartanin löste sich von RhodansHand und straffte sich. »Es tut mir leid«,sagte sie.

»Du mußt dich nicht entschuldigen«, ver-setzte der Terraner. »Wenn man einen ande-ren Menschen liebt und sich um ihn Sorgenmacht, ist das die natürlichste Sache desUniversums. Tek würde an deiner Stelle kei-nen Deut anders reagieren – und Atlan hatmich ausdrücklich gebeten, ihn hierherzu-bringen, einfach nur, weil er einen Freundsehen wollte.«

Dao-Lin-H'ay schaute ihm tief in die Au-gen. »Danke«, sagte sie nur.

Sie unterbrach sich, weil Rhodans Mini-kom ansprach.

»Rhodanos«, erklang Icho Tolots grollen-de Stimme, in der Lautstärke jedoch so weitherabgeregelt, daß sie den Ohren nicht mehrschmerzte, »vor wenigen Minuten ist eineFlotte von weit über tausend Schiffen außer-halb des Systems materialisiert.«

»Fermyyd?«

Zug der Herrscher 27

Page 28: Zug der Herrscher

»Queeneroch-Crypers!« dröhnte der Ha-luter. »Unter der Führung deines Sohnes. Erwird mit den wichtigsten Entscheidungsträ-gern zu uns vorstoßen.«

»Er soll eine Transmitterverbindung …«»Zu spät, Rhodanos. Du kennst deinen

Sohn, er hat seinen eigenen Kopf. Ein Bei-boot der MONTEGO BAY beschleunigt indiesem Moment zum Überlichtflug.«

*

Dreihundert Lichtjahre vom Zentrum Hir-dobaans entfernt, im Ammach-Oktanten, lagdie Sonne Demmyd mit ihrem einzigen Pla-neten, der Sturmwelt Schingo. Der Namehätte treffender nicht gewählt sein können,er bedeutete schlicht und einfach »Hölle«.

Schingo war eine karstige, gebirgigeWelt, mit karger Flora und Fauna. An dietausend weit verstreute bunkerartige Gebäu-dekomplexe aus Stein dienten den hier sta-tionierten Fermyyd als Kasernen und Ge-fängnisse. Das Innere bestand aus verwin-kelten Gängen bis hinab in subplanetare Tie-fen und würfelförmigen kleinen Zellen, injedem Komplex Zigtausende.

In zwei dieser Zellen, gut tausend Kilo-meter voneinander getrennt, waren Atlanund Ronald Tekener gefangengehalten wor-den. Einsatzkommandos hatten die beidenbefreit – leider vergebens. Seit der Erkennt-nis, daß Phasenspringer immer an dem Ortwieder auftauchten, an dem sie zum ersten-mal verschwunden waren, der Arkonide undder Smiler also stets in ihren Gefängniszel-len materialisierten, bestand auf Schingo eindauerhafter Brückenkopf der Terraner, ge-gen den die Fermyyd vergeblich anrannten.Obwohl Ferm-Kommandant Ten-Or-Toosich ständig neue Möglichkeiten einfallenließ, um die Galaktiker zu überlisten oder ih-nen zumindest das Leben schwerzumachen.

Bis zum 2. Oktober waren weitere Regen-bogenschiffe aus ganz Hirdobaan eingetrof-fen und schirmten Schingo in kleinerenPulks ab. Michael Rhodan hatte es sich den-noch nicht nehmen lassen, mit Ten-Or-Toos

Wachschiffen Katz und Maus zu spielen. Ineinem gewagten Metagrav-Manöver war dievergleichsweise kleine 35-Meter-Space Jetdicht über Schingo materialisiert und hattedie meisten Fermyyd-Raumer weit hintersich gelassen. Das Abwehrfeuer war in denSchirmfeldern des Beibootes verpufft.

»Die Fermyyd müssen noch viel lernen«,sagte Michael Rhodan, als er kurze Zeit spä-ter seinem Vater gegenüberstand.

Überheblich wirkte er dabei nicht. Ihmwar klar, daß die pantherartigen Fermyyd je-den Trick nur einmal zuließen. Bald würdendie Terraner tiefer in die Kiste greifen müs-sen, um ungeschoren an den Wachschiffenvorbeizukommen.

»Viele Hunde sind des Hasen Tod«,warnte Perry. Er sagte es leise, aber nichtleise genug, daß Icho Tolot die Bemerkungüberhört hätte. Der vierarmige Riese vonHalut lachte dröhnend los.

Coram-Till wußte Tolot inzwischen rich-tig einzuschätzen. Doch die Führer der ande-ren Crypers-Gruppen, die den Haluter ohne-hin schon mißtrauisch beäugt hatten, pralltenpanikerfüllt zurück. Ammor-Res riß seinenStrahler hoch. Das Abstrahlfeld zeigte aufden halbkugelförmigen Kopf des Riesen.Was Tolot dazu veranlaßte, in noch schal-lenderes Gelächter auszubrechen.

»Bist du verrückt?« keuchte Coram-Till.»Niemand zielt auf Verbündete.«

Das Grollen eines beginnenden Vulkan-ausbruchs konnte nicht lauter sein. Ammor-Res verstand nicht, was der Ambraux ihmzurief, er reagierte jedoch auf die einzigmögliche Weise, als Coram-Till ihn an-sprang, um ihm die Waffe aus der Hand zuschlagen. Der tödliche Glutstrahl streifte denHaluter noch und fraß sich hinter ihm in eineSteinwand.

Abrupt endete das Gelächter.»Hör auf, du hirnlose Tiefseekreatur!«

herrschte Coram-Till den Corri-Führer an.»Willst du, daß er dich umbringt?«

Tolot beugte sich nach vorne und stemmtedie Handlungsarme auf die angewinkeltenKnie. Auf die Weise brachte er seinen Schä-

28 Hubert Haensel

Page 29: Zug der Herrscher

del mit den drei rotglühenden Augen unge-fähr auf die Höhe des Crypers. Seine Stim-me war nur noch ein Wispern.

»Schreckhaft, aber ungestüm«, flüsterteTolot. »Aus den Crypers könnte ein aufstre-bendes Volk werden, falls ihr euch an-strengt.«

»Du jagst ihnen Angst ein, Großer«, er-klang eine helle Stimme hinter den Rebel-len. »Aber das merkst du natürlich nicht.«Gucky schüttelte den Kopf. »Statt dessentrampelst du wie ein Elefant quer durch denPorzellanladen.« Abwehrend riß er die Armehoch. »Nein, widersprich jetzt nicht. UnsereGäste sind ohnehin verschreckt genug.«

War es Zufall, daß Karan-Kan, der An-führer der Eramor-Crypers, sich umwandte,oder hatte er trotz des Nachdröhnens in sei-nen Gehörgängen Guckys Stimme gehört?Jedenfalls wirkte er sichtlich überrascht, daspelzige Wesen mit dem einzigen Zahn zu se-hen. Er war überzeugt davon, daß einen Au-genblick vorher niemand da gestanden hatte.

»Du hast recht, Karan-Kan«, sagte derKleine.

Woher kennt er meinen Namen?»Ich weiß noch mehr über dich, Herr über

30 Sonnensysteme und eine Milliarde Cry-pers. Du bist mit 150 Raumschiffen gekom-men, und dein Flaggschiff ist die MI-DOUN.«

»Wer bist du?« platzte Eramor heraus.Was der Pelzige von sich gegeben hatte, warwahr.

»Meine Freunde nennen mich Gucky, denRetter des Universums.«

»Hör auf mit dem Blödsinn!« sagte Rho-dan. »Was sollen die Crypers für einen Ein-druck von uns bekommen?«

»Den besten natürlich«, versicherte derIlt. »Nur den besten.« Er blickte Karan-Kandurchdringend an und schnalzte tadelnd mitder Zunge. »Wie kommst du bloß auf solchhanebüchenen Unsinn? Ich bin kein Sklave,und schon gar kein sprechendes Haustier.«

Der Gesichtsausdruck des Crypers spie-gelte Unmut, Erschrecken und Neugierde.

»Selbstverständlich kann ich deine Ge-

danken lesen«, fügte Gucky hinzu. »Aberkeine Sorge, die Intimsphäre meiner Freun-de bleibt gewahrt. – Und die Absicht, zurMIDOUN zurückzukehren, schlag dir lieberwieder aus dem Kopf. Zögerer und Zaudererhaben es noch nie geschafft, die Welt zuverändern.«

Der Ilt wußte, daß Karan-Kan zu jenengehörte, die ihr Fähnchen stets nach demWind richteten. Aber im Unterbewußtseindes Eramor-Crypers hatten noch Zweifel ge-nagt, ob es richtig gewesen war, sichCoram-Till und dem Fremden namens Rho-dan unterzuordnen.

Gucky teleportierte. Spätestens da wurdeKaran-Kan endgültig klar, daß die Galakti-ker mächtiger waren, als er angenommenhatte. Daß sich nur wenige Stockwerketiefer der Mausbiber feixend die Hände rieb,würde er nie erfahren.

Noch während Perry Rhodan die Crypersin die Tiefe der subplanetaren Anlage führte,begannen die Fermyyd mit Boden- und Luft-truppen einen neuen Angriff. Der Energie-schirm über der wuchtigen Gefängnisanlagebis hinüber zum hügeligen Vorgelände be-gann in einigen Sektoren aufzuglühen.Raumschiffe setzten die Pantherwesen je-doch nicht ein.

Trotz der heftigen Attacken war abzuse-hen, daß die Fermyyd auch diesmal denSchirm nicht knacken konnten. ZweieinhalbStunden lang rannten sie vergeblich gegendas Bollwerk an. Bis tief im Innern der An-lage war ein unaufhörliches dumpfes Grol-len zu vernehmen, begleitet von leichten Er-schütterungen des Felsgesteins. Aber abge-sehen vom Staub, der von den Decken rie-selte, und neuen Rissen im Mauerwerk, kames zu keinen Schäden.

»Die Fermyyd sehen sich im Zugzwang«,meinte Coram-Till. »Den Brückenkopf aufSchingo könnten sie vielleicht noch verkraf-ten, aber angesichts unserer Flotte von 1300Schiffen geraten sie in Gefahr, ihr Gesichtzu verlieren.«

»Und wann, deiner Meinung nach, wer-den sie losschlagen?«

Zug der Herrscher 29

Page 30: Zug der Herrscher

Der Ambraux kratzte sich die Schuppen.»Vermutlich nicht, bevor der Zug der Herr-scher Borrengold erreicht hat. Ten-Or-Toomuß die Flotte aus dem Demmyd-Systemvertreiben, er muß aber zugleich verhindern,daß wir ein neues Ziel suchen, womöglichBorrengold. Ich bin überzeugt davon, er zer-bricht sich seit unserer Ankunft den Kopf,wie er das alles in einer Muschelschale un-terbringen kann.«

»Nette Redewendungen habt ihr Cry-pers«, bemerkte Gucky, der wieder bei ihnenwar, und löste damit sogar bei den Crypersdas Äquivalent eines Lächelns aus. Nochlegten die Rebellenführer aus Queenerocheine gewisse Zurückhaltung an den Tag, diesich hemmend auswirkte. Auf einigen Ab-sprachen hatten sie bis zum Erbrechen her-umgekaut, auf Kleinigkeiten, wie der Iltfand. Die Crypers waren verkrampft, die Nä-he der Fermyyd machte sie nervös. Obwohlsie niemals bereit gewesen wären, das zuzu-geben. Sie glaubten nicht, daß die galakti-sche Technik dem massiven Ansturm dergefürchteten Fermyyd lange standhaltenwürde. Obwohl sie gleichzeitig in ihren Pla-nungen gerade auf diese Technik bauten.

Sie tagten fast zweihundert Meter tief un-ter der Oberfläche, in einem kahlen,schmucklosen Raum, dessen Wandverklei-dung aus einem undefinierbaren Materialteilweise von bleichem Pilzmyzel abge-sprengt worden war. Die Luft schmeckteschal und abgestanden, außerdem war sie sotrocken wie in einem uralten Grab. KeinWunder, daß die Crypers im wahrsten Sinnedes Wortes Beklemmung verspürten. Die fürsie ungewohnten und unbequemen terrani-schen Sitzmöbel fielen da schon nicht mehrins Gewicht.

»Uns läuft die Zeit davon«, erinnerteDao-Lin-H'ay. »Ich brauche wohl nicht zubetonen, wie außerordentlich wichtig einKonsens für alle Anwesenden ist.«

Tekener war kurz nach dem Eintreffen derRebellen wieder ins galaktische Zentrumverschlagen worden, mit ihm der ArkonideAtlan. Die Kartanin hoffte inzwischen, via

Borrengold einen Weg zu finden, wie sieTek beistehen konnte.

Caston-Pragama hustete gequält. FürGucky klang es wie der Klagelaut eines har-punierten Wales. In den Gedanken des be-tagten Solten-Crypers las er dessen Verwun-derung über den Hustenanfall.

Sogar Coram-Till atmete schwer und ließden Elan vermissen, mit dem er sonst zurSache ging. »Im Laufe der Jahre habe ichausreichend Informationen über Borrengoldzusammengetragen«, sagte er gedehnt. Zumwiederholten Male massierte er sich die kie-menartigen Öffnungen am Hals.

»Wichtige Informationen?« drängte Alas-ka Saedelaere.

Coram-Till blieb ihm die Antwort schul-dig. Triefäugig starrte er vor sich hin.

»Jetzt reicht's mir«, platzte Gucky heraus.»Sitzen wir hier, um einen Schlachtplan zuentwickeln, oder vertreiben wir uns die Zeitmit einem unverbindlichen Plauderstünd-chen? Jeder fühlt sich unwohl, aber keinergibt es zu. Dieser Raum ist mir nicht mehrgeheuer.«

»Wir haben überlappende Schirmfelderaktiviert«, sagte Julian Tifflor.

»Quatsch«, unterbrach der Ilt. »Ich redenicht von Technik, und schon gar nicht vonden Fermyyd.« Sein Blick streifte die Wandhinter Coram-Till, an der das Myzel in bi-zarren Strängen wucherte. »Der Pilz machtuns zu schaffen. Ich bin überzeugt, eineAnalyse würde beweisen, daß zumindest dieSporen Luftfeuchtigkeit binden, und dieCrypers reagieren besonders sensibel dar-auf.«

»Der Raum wurde auf mögliche Gefah-renquellen untersucht«, widersprach PerryRhodan.

»Meßgeräte können irren«, behauptete derIlt. »Mediker ebenfalls.«

Wie zur Bestätigung des Gesagten wurdeCaston-Pragama von einem jähen Er-stickungsanfall geschüttelt. Erst reiner Sau-erstoff und der Wasservorrat eines SERUNSbrachten die Symptome wieder zum abklin-gen.

30 Hubert Haensel

Page 31: Zug der Herrscher

Perry Rhodan ließ die Halle räumen.Die Crypers erholten sich nur langsam,

vor allem Caston-Pragama litt noch Stundennach der ersten Konferenz an Atemnot. Aberimmerhin machte niemand den GalaktikernVorhaltungen oder sprach gar von einerRückkehr nach Queeneroch.

Die zweite Zusammenkunft fand wenigspäter statt. Diesmal ging es Schlag aufSchlag. Coram-Till präsentierte informativesMaterial über Borrengold. Lage, Anordnungund Größe des Oktogons wurden diskutiert,des Treffpunktes der Handelsfürsten.Coram-Till zeigte die Schwachstellen in derVerteidigung auf, und anhand seiner Aussa-gen und der über Hyperfunk einlaufendenInformationen war sogar abzuschätzen, wiedie Kräfte innerhalb des Riffta-Systems ver-teilt sein würden. Tausend Regenbogen-schiffe allein bildeten keinen unüberwindba-ren Kordon.

Perry Rhodan plädierte dafür, alle verfüg-baren Kräfte in die Schlacht zu werfen. Erselbst wollte allerdings mit der ATLANTIS,der NJALA und zehn Kreuzern bei Schingozurückbleiben, solange das Problem derPhasenspringer nicht gelöst war.

Das Oberkommando über die gesamteEinsatzflotte fiel Michael Rhodan zu. Damitunterstanden ihm nicht nur die Schiffe derRebellen, sondern darüber hinaus 40 Kreu-zer und 100 Korvetten der BASIS.

Julian Tifflor würde von Bord der PER-SEUS aus die Landetruppen mit 10 Korvet-ten leiten. Und Arlo Rutan und seinen 300Ertrusern aus der Landetruppe fiel die Auf-gabe zu, das Oktogon zu stürmen. Icho To-lot stand mit der HALUTA zu Tifflors Un-terstützung bereit.

Viele Einzelheiten wurden festgelegt.Doch letzten Endes würde sich erst vor Ortentscheiden, ob die Planung Bestand hatte.

Atlan und Tekener waren inzwischen wie-der in ihren Verliesen aufgetaucht. Auf dieSekunde genau nach 13:01 Stunden.

Es dauerte vier Stunden, bis der Arkonidedas Bewußtsein erlangte, aber er konntenichts Neues berichten. Zu dem Zeitpunkt

provozierte Michael Rhodans startendeSpace-Jet einen neuen Angriff der Fermyyd.

Mit einem Irrsinnsmanöver durchbrachdie Space-Jet den Sperriegel der Regenbo-genschiffe und raste unbehelligt der Rebel-lenflotte entgegen.

Es blieb beim Patt im Demmyd-System.Die gelegentliche Annäherung einzelnerFermyyd-Einheiten und die daraus resultie-renden Geplänkel hatten wohl nur den Sinn,die Stärke und Entschlossenheit der Crypersherauszufinden. Ein unnötiges Spiel …

6.

Eine frische Brise kräuselte die Wassero-berfläche. In der Tiefe zwei Schatten, sche-menhaft und schnell, geschmeidig in ihrenBewegungen. Einer dieser Schatten löstesich vom Grund, stieg senkrecht in die Höheund schnellte sich inmitten einer schäumen-den Fontäne aus dem Wasser.

Lichtkegel glitzerten auf den Wellen.Dicht unter der Oberfläche zog Karon vonOmgenoch eine weitere Runde, bevor erabermals in der Beckenmitte auftauchte.

»Aus!« rief er mit schriller Stimme. »Wegmit den Scheinwerfern, sie stören!«

Ein Rudel Sourvants beeilte sich, dem Be-fehl nachzukommen. In rascher Folge erlo-schen die gleißenden Lichter. Nur einschwacher blauer Schimmer blieb – Karonliebte die blaue Dämmerung über seiner Re-sidenzwelt Riau.

»Verschwindet! Euch brauche ich jetztnicht mehr, ihr Pack. – Halt, nein, noch zweiPhiolen Parfüm ins Wasser!«

Ungeduldig wartete er darauf, daß dieDiener den Zusatz in die Strömung misch-ten. Der sanfte Wind trug ihm das angeneh-me Aroma zu, den Duft einer erregten Frau.Einen Moment lang schloß er die Augen undließ sich mit ausgebreiteten Armen treiben,bis er eine sanfte Berührung an den Rücken-schuppen spürte. Mossa war neben ihm auf-getaucht.

Flüchtig wuchs in Karon von Omgenochder Gedanke, daß es wichtiger sein könnte,

Zug der Herrscher 31

Page 32: Zug der Herrscher

die Gedenkstätte von Pendregge aufzusu-chen, als im Paarungsritual durch das Was-ser zu gleiten. Doch er verdrängte die unbe-wußte Mahnung sofort wieder. Geschäfteund Politik waren Sache der Kanzlerin Zir-rin und des Hofstaates, sie würden alles ar-rangieren. Bis zum Treffen auf Borrengoldblieben ihm noch einige Tage, die er mit sei-nen Mätressen zu verbringen gedachte. Erhatte gelernt, das Leben zu genießen –schlechte Zeiten kamen ganz von allein.

Mossas Duft vermischte sich mit demkünstlichen Aroma; gierig sog er die Erre-gung ein. In einer blitzschnellen Bewegungglitt Karon herum und zog das Mädchen mitsich in die Tiefe.

Ihre Schuppen waren weich und ge-schmeidig, das Grau wies eine Vielzahl fas-zinierender silberner Einschlüsse auf. Wäh-rend sie schwerelos durchs Wasser glitten,gingen Karons Hände auf Wanderschaft. Erspürte, daß Mossa unter seiner Berührung inzuckende Ekstase geriet, und es tat seinemSelbstvertrauen gut, zu spüren, wie dasMädchen sich enger an ihn preßte. Zucken-de, reibende Bewegungen – ein Spiel, dasdie Schuppen aufrichtete und ein schier un-erträgliches Prickeln unter der Haut erzeug-te. Hektischer die Schwimmbewegungen.Karon von Omgenoch streifte mit beidenHänden über die Leibesmitte der Partnerin,die Berührung war wie eine Explosion ausFeuer und Eis, doch im nächsten Momentglitt Mossa unter ihm hinweg.

Karons nachfassende Hände zuckten insLeere, er geriet auf den Beckenboden, stießsich ab und stieg in spiralförmiger Bewe-gung nach oben. Das Blut kochte in seinenAdern, er war schier von Sinnen, angeheiztvon Mossas Verführungskünsten, deren ab-ruptes Ende er nicht verstand. Sie hatte keinRecht, sich ihm zu entziehen. Falls es ihm inden Sinn kam, Mossa auf die trockenste Wü-stenwelt des Oktanten zu verbannen, wo sienach Wasser graben mußte, um nicht auszu-dörren, mußte sie gehorchen. In der Sonnewürde sie Zeit haben, darüber nachzuden-ken, welche Pflichten sie ihrem Handelsfür-

sten schuldig war.Prustend tauchte er auf. Mossa schwamm

keine fünf Meter von ihm entfernt. Aber sieschien ihn gar nicht zu bemerken, sondernstarrte blicklos an ihm vorbei.

»Karon von Omgenoch!« dröhnte einemarkante Stimme auf.

Der Handelsfürst fuhr herum. Dem Zornüber Mossas Verhalten folgten Erschreckenund gleich darauf Ernüchterung, als wäre jähalles geliebte Wasser aus seiner Nähe ver-schwunden.

Ein Hamamesch stand am sanft ansteigen-den Beckenrand. Karon registrierte, daß dieWellen seine Füße benetzten, zugleich rea-gierte er verärgert. Warum starrte er aufsWasser wie ein schuldbewußter Zögling?Das hatte er nicht nötig, nicht als»Hausherr« von Omgenoch. Ruckartig hober den Kopf.

Der überraschend erschienene Besucherwirkte ungewöhnlich schlank. Er trug eineeinteilige, bis zum Hals geschlossene hell-graue Kombination. Auf der linken Brustsei-te prangte das unverkennbare schwarze Em-blem mit den weißen Dreiecken und darüberder Maschthom, jener Gürtel, der Bewaff-nung und Steuerelemente in sich vereinte.

»Findest du es angebracht, angesichts derbevorstehenden Aufgaben nur deinemfleischlichen Vergnügen nachzugehen?«fragte der Maschtar. »Noch dazu auf derartprimitive Weise?«

Der lauernde Tonfall war Karon von Om-genoch nicht entgangen. Er fühlte sich er-tappt, doch das war ein Zustand, der nichtlange anhielt. Im nächsten Moment fragte ersich, wie er dem Maschtar gegenübertretensollte. Nackt, wie er sich in den Fluten tum-melte? Oder sollte er im Wasser bleiben undsich anhören, was der Maschtar zu sagenhatte, so, wie er es bei normalen Besuchernzu tun pflegte? Oder tat er besser daran, ihnzur Kanzlerin Zirrin zu schicken? Karonverwünschte wieder einmal alle Politik, diezu Winkelzügen und Zugeständnissenzwang. Das einzig Gute daran waren dieMacht und das Ansehen, das man genoß.

32 Hubert Haensel

Page 33: Zug der Herrscher

»Du hast mir erst vor wenigen Tagen an-gekündigt, daß der Zug der Herrscher vor-verlegt wird, Maschtar Morran.« Karons Ge-danken überschlugen sich. Der Kontaktraumbefand sich zwar nur eine Etage über ihm,dennoch hätte er nie erwartet, daß einMaschtar seine privaten Räume betretenwürde. »Mein Troß wird morgen starten unddie Gedenkstätte von Pendregge anfliegen,damit ich der Geschichte huldigen kann. Da-nach führt unser Kurs nach Borrengold …«

»Du bist ein Lebemann, Karon von Om-genoch, kein Hamamesch, der seine Pflich-ten kennt.« Der Fürst wollte protestieren,doch eine heftige Handbewegung desMaschtars verriet ihm, daß es besser war, zuschweigen. »Oft genug gehen die wichtig-sten Ereignisse spurlos an dir vorüber.Manchmal glaube ich – laß mich ausreden!–, das viele Wasser hat deine Gehirnzellenaufgeweicht. Borrengold liegt in deinem Ok-tanten, doch du bist dir der Gefahren nichtbewußt.«

»Du sprichst von den Galaktikern, Masch-tar Morran?« Karon roch immer noch denDuft der Erregung und konnte einen sehn-süchtigen Seitenblick auf Mossa nicht unter-drücken.

Warum mußtest du uns stören, Morran?zuckte es durch seinen Schädel. Warum?Habe ich nicht alles Nötige für den Zug derHerrscher veranlaßt?

Laut sagte er: »Keiner der Fremden wirdes wagen, im Riffta-System zu erscheinen.Sei unbesorgt, Maschtar, Probleme wird esnicht geben.«

»Gomasch Endredde ist anderer Ansicht.Du, Karon von Omgenoch, hast für ausrei-chende Sicherheit für Borrengold zu sor-gen.«

Der Fürst nickte schwach.»Das ist kein Spiel, und die Galaktiker

solltest du nicht unterschätzen«, donnerteder Maschtar. »Du haftest für die Sicherheitaller. Gomasch Endredde will es so.«

Der Maschthom, der zwölf Zentimeterbreite Gürtel, verfügte über etwa zweihun-dert kleine Sensorfelder. Als Morran mit

spitzen Fingern zwei dieser Felder berührte,ahnte der Handelsfürst Übles. Nahezugleichzeitig raste ein scharfer Schmerzdurch seinen Körper. Er glaubte noch, einAufschäumen des Wassers wahrzunehmen,dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Ein schwacher Lähmschock, nur als War-nung gedächt. Er konnte lediglich zwei oderdrei Inx ohne Besinnung gewesen sein, dennals die Umgebung wieder Gestalt gewann,tauchte Mossa eben erst neben ihm auf. DerMaschtar war verschwunden.

Mossas Fingerspitzen berührten sanft sei-nen Hals, glitten wie suchend abwärts …Karon stieß die junge Frau von sich.

»Verschwinde!« herrschte er sie wütendan. »Geh mir aus den Augen!«

Das Verlangen nach einer Paarung ohneFolgen war ihm vergangen. Der Schutz vonBorrengold hatte jetzt, wenngleich völligüberflüssig, Priorität. Und das war etwas,was er nicht mehr an Kanzlerin Zirrin dele-gieren durfte.

Der Maschtar besaß die Macht. Aber ir-gendwann nach dem Zug der Herrscher wür-de er, Karon von Omgenoch, vor allen Für-sten und vor Morran aufstehen und sagen:»Ich habe wie immer recht behalten. Es gabkeine Gefahr im Omgenoch-Oktanten.«

*

Die Residenzwelt Riau umkreiste dieblaue Sonne Kaihna als vierter von acht Pla-neten. Eine Wasserwelt ohne merkliche Jah-reszeiten, mit weit vereisten Polkappen undnur einem einzigen großen Kontinent na-mens Moleiir. Ansonsten erschöpfte sich dieLandmasse in unzähligen größeren und klei-neren Inselgruppen.

Was die eigene Wirtschaft anbetraf, wardiese Welt unbedeutend. Wenig Boden-schätze und als Haupterwerb Getreideanbauund Viehzucht, des durchaus kühlen Klimaswegen aber nicht gerade ein Exportschlager.

Als Fürstensitz hatte Riau ebenfalls keineTradition. Zu Zeiten von Karons Vater Qill-tom war Dampur Residenzwelt gewesen,

Zug der Herrscher 33

Page 34: Zug der Herrscher

heute galt Dampur nur noch als Handelskno-tenpunkt.

Karon hatte die Wasserwelt ausgewähltund die Duldung der Maschtaren dafür er-wirkt. Seine Liebe zum Wasser, die längstkrankhafte Züge aufwies, hatte ihm die Ent-scheidung aufgedrängt. Wasser bedeutetefür den gerade erst 34 Jahre alten Handels-fürsten den Quell des Lebens. Literweiseschüttete er es in sich hinein, sogar parfü-miert, und er badete bis zum Exzeß. Dasführte sogar so weit, daß er Besucher aus-schließlich in einem der vielen für unter-schiedliche Zwecke gestalteten Bassinsempfing; Verträge wurden im Bad abge-schlossen und Gesetze ohnehin nirgendwosonst erlassen.

Karons Palast thronte auf einem Korallen-riff südlich von Moleiir – eine gigantische,auf Stelzen stehende Anlage von vier Kilo-metern Länge und immerhin noch 400 Me-tern Breite. Schlanke Türme gruppiertensich um einen nicht allzu hohen, verwinkel-ten Zentralbau. Säulenhallen und reich deko-rierte Räume bestimmten das Bild. Ein Ter-raner hätte vermutlich die Türme als mina-rettartig und die Prunkgebäude als in mauri-schem Stil errichtet bezeichnet, sofern seineGeschichtskenntnisse überhaupt bis in daszweite Jahrtausend christlicher Zeitrechnungzurückreichten.

Unzählige Teiche, Seen und Bassins wa-ren in die Anlage integriert, Springbrunnenund künstliche Wasserfälle ergänzten diescheinbare Idylle, und wohin das Augeblickte, entdeckte es prächtige Wasserspieleund dazwischen liebevoll gepflegte Gärtenmit einem Zoo exotischer Tiere, deren Be-stand leider unaufhörlich erneuert werdenmußte, weil das rauhe Klima die nichtheimi-sche Flora und Fauna innerhalb kürzesterZeit umbrachte.

Eigenes Leben trug Riau nur noch in sehrbegrenztem Maß; ausschließlich insektoideFormen hatten sich durchgesetzt. Höherent-wickelte, zur Intelligenz neigende Arten wa-ren frühzeitig ausgerottet worden – ein Vor-gang, über den heute kein Hamamesch mehr

nachdachte. Es gab bescheidene Hinweise,daß das Volk der Stuuhr möglicherweisevon Riau abstammte, doch gab es keine kul-turellen Relikte, die diese These bestätigten.Falls Riau wirklich die Wiege der Stuuhrwar, mußten die großwüchsigen, schwarz-häutigen und reizbaren Insektoiden in einemsehr primitiven Entwicklungsstadium vonRaumfahrern innerhalb Hirdobaans ver-schleppt worden sein.

Das alles war Karon von Omgenoch je-doch längst nicht so wichtig wie ein wohl-temperiertes Badewasser oder jeden Tag neuaromatisierte Getränke. Wasser. Es war sch-lichtweg überall. Wenn er nicht wie üblichbadete oder sich anderen körperlichen Freu-den hingab, hielt Karon von Omgenoch sichin einem Arbeitszimmer auf, das dieser Be-zeichnung aber schlichtweg Hohn sprach.Einziges technisches Gerät war eineSichtsprechanlage, die ihm die Möglichkeitgab, die Kanzlerin oder die Dienerschaft zurufen. Ansonsten gläserne Wände ringsum,ein Röhrensystem, in dem nicht nur Seewas-ser und Luft in stetem Kreislauf perlten, son-dern auch vielfältiges Meeresgetier undPflanzen gefangen waren. Ein riesiges Pan-oramafenster erlaubte den Blick hinaus aufsRiff, zwischen dessen Korallenbänken dasMeer schäumend toste.

Das Blau der Abenddämmerung be-herrschte den Himmel in kräftigen Schattie-rungen; nur fern über dem Horizont glommnoch ein Streifen grelles Türkis. Der Windhatte aufgefrischt und peitschte Gischt zwi-schen die Fundamente der Türme.

Regungslos blickte Karon von Omgenochaufs Meer hinaus. Schon vor einigen Rouhatte Kanzlerin Zirrin den Raum betreten –er ließ sie warten, und sie wußte, daß siesein Schweigen nicht stören durfte.

Irgendwann hatte er genug von diesemSpiel. Es ging nicht um Macht, sondern dar-um, daß sie die einzige Frau innerhalb desPalastes war, die seiner Gier nach körperli-cher Nähe bislang widerstanden hatte.

Aufreizend langsam wandte Karon sichum, seine dickwülstigen Lippen schmatzend

34 Hubert Haensel

Page 35: Zug der Herrscher

vorgestülpt. Für Hamamesch-Begriffe hatteer einen überaus sinnlichen Mund, doch Zir-rin übersah seine Anzüglichkeiten.

»Alle Vorbereitungen für unseren Auf-bruch von Riau sind abgeschlossen?« fragteKaron scharf.

Seit zwei Tagen stand das ResidenzschiffKRAU startbereit. Eigentlich wartete dieKanzlerin nur noch darauf, daß Karon sichendlich von seinen Mätressen verabschiede-te, denn der Flug der Herrscher sollte auchAskese sein.

»Bevor wir nach Pendregge aufbrechen«,fuhr der Fürst fort, »will ich von dir wissen,ob eine Gefährdung durch Schiffe der Ga-laktiker zu befürchten ist.«

Ihr Duft veränderte sich, bekam einen in-tensiveren Beigeschmack von Ablehnungund Strenge. Zirrin blickte ihn durchdrin-gend an. Ängstigte Karon sich wegen eini-ger dahergelaufener Fremder, die sich auf-führten wie nach dem Genuß berauschenderGygox-Früchte?

Dein Charakter ist das Schlimmste an dir,dachte Karon gleichzeitig. Manchmal binich mir nicht sicher, ob ich wirklich deineLoyalität besitze.

Laut fügte er hinzu: »Mir liegt ausschließ-lich an der Sicherheit von Borrengold undder Delegationen aus den anderen Oktan-ten.«

Ihr Blick sprach Bände. Seit wann küm-merst du dich um das Wohlergehen ande-rer? fragte sie stumm.

»Maschtar Morran hat mich vor einer Tixaufgesucht«, platzte Karon von Omgenochheraus. »Er befahl, weitergehende Sicher-heitsmaßnahmen für Borrengold zu treffen.«

»Davon weiß ich nichts«, sagte Zirrinvorwurfsvoll.

»Jetzt bist du informiert. – Ich warte aufdeinen Bericht, Zirrin.«

Die hellvioletten Halsschuppen der Fraufärbten sich als Zeichen ihres Unmuts dunk-ler. »Alle uns bekannten Galaktiker-Schiffeinnerhalb des Omgenoch-Oktanten habensich über Linderie versammelt, insgesamtmehr als fünfhundert. Es ist nicht ersichtlich,

daß noch Gefahr droht. Gomasch Endreddehat die Fremden zu sich geholt.«

»Dennoch war der Maschtar bei mir, umüber Borrengold zu reden …«

»Du hast dich nicht im Kontaktraum auf-gehalten«, wandte Zirrin ein.

Der Handelsfürst versteifte sich. Spionier-te die Kanzlerin ihm nach? Wie" sonst sollteer ihre Bemerkung auffassen?

»Der Maschtar erschien, als ich im Badwar«, sagte Karon zornig. »Eine Ungeheuer-lichkeit!«

Zirrin schnappte nach Luft. Karon war nieim Bad allein, stets begleiteten ihn eine odersogar mehrere seiner Mätressen. Das bedeu-tete aber auch, daß Morran ihn sozusagen inflagranti ertappt hatte. Zirrin selbst wäre vorScham im Boden versunken.

»Deliga ist verantwortlich«, stieß sieschroff hervor. »Ihre Aufgabe ist es, dir jedeStörung fernzuhalten. Sie hat ihre Arbeitsträflich vernachlässigt.«

»Ich weiß nicht, ob sie den Maschtar …«,begann Karon, wurde aber prompt von Zir-rin unterbrochen.

»Nimmst du die Sydorrierin in Schutz?Das kann nicht sein. Sie hat einen Fehler be-gangen und muß bestraft werden.«

Deliga war seine persönliche Beraterin.Karon schätzte ihre weisen Ratschläge, fühl-te sich aber ihrer Klugheit unterlegen undkompensierte seine Minderwertigkeitsgefüh-le, indem er sie häufig mißhandelte und de-mütigte. Daß die Sydor-Sklavin stumm alleSchikanen erduldete, versetzte ihn mituntersogar in Raserei.

»Ruf Deliga her!« bellte er.Die Sydorrierin erschien sofort. Obwohl

sie sich Mühe gab, ihr Erschrecken zu ver-bergen, entging es Karons lauerndem Blickkeineswegs, daß sie flüchtig zusammen-zuckte. Deliga hatte wohl nicht erwartet, dieKanzlerin und den Fürsten gemeinsam zusehen.

»Du hast deine Pflichten verletzt!« keifteZirrin.

Die Sydor-Sklavin überragte beide Hama-mesch um mehr als Haupteslänge. Trotzdem

Zug der Herrscher 35

Page 36: Zug der Herrscher

– oder vielmehr gerade deswegen – gab siesich Mühe, nicht von oben herab zu schau-en. Sie wölbte die Leibesmitte noch weiternach vorne und krümmte den Nacken. Dielangen Wimpern deckten ihre dunklen Au-gen fast zu; ihr Blick wirkte trotzdem wederschamhaft noch wie ein Schuldgeständnis.

»Du hast mich kompromittiert«, versetzteKaron.

Die Sydorrierin war klug, eloquent undscheu, vor allem wußte sie, daß Widerspruchdie Hamamesch nur weiter reizen würde.Aber gerade dieses devote Verhalten brachteKaron noch mehr in Rage. Er gab die Schuldan seinem unbefriedigenden Treffen mitMossa inzwischen ausschließlich Deliga.

»Dein Herr wurde im Bad gestört«, stießdie Kanzlerin hervor. »Dafür sollte ich dichhinrichten lassen.«

Mit einer Hand strich Deliga über ihrenbronzefarbenen Knochenkamm, der sichüber den Kopf bis weit in den Nacken hin-zog. Sydorrier waren Luxussklaven und Sta-tussymbol, entsprechend ehrfürchtig wurdensie im allgemeinen behandelt. Die Kanzlerinwürde nicht wagen, sie zu töten.

Sydorrier hatten schon nach der Beendi-gung der Olkheol-Kriege vor 1200 Jahrenund den Friedensverträgen von Pendreggeein gewichtiges Wort in Hirdobaans Politikmitgeredet; es hieß sogar, daß die Hamame-sch diesen Friedensschluß und somit ihrÜberleben einzig und allein der Klugheit derSydorrier zu verdanken hatten. Aber werhörte das schon gerne?

»Du haßt mich, Kanzlerin«, sagte Deliga.»Glaub nicht, daß mir das in all den Zeh-nern, die ich auf Riau diene, entgangen ist.Du bist ungerecht zu mir, weil du meineKlugheit fürchtest.«

»Schweig!« befahl Zirrin.Aber Deliga ließ sich diesmal nicht das

Wort verbieten. Zu lange hatte sie die Lau-nen der Kanzlerin schon ertragen, die Schi-kanen, die ihr das Leben im Palast mit je-dem neuen Tag schwerer machten. Sydor-Sklaven galten als überaus scharfsinnig,stolz, unnahbar, ehrlich und treu; auf Riau

schienen die Hamamesch davon nichtswahrhaben zu wollen.

»Sag selbst, Zirrin, wie hätte ich einenMaschtar zurückhalten sollen?« fragte Deli-ga. »Das kann niemand.«

»Deine Aufgabe wäre es gewesen, Karonvon Omgenoch rechtzeitig zu informieren.«

»Rechtzeitig ist ein dehnbarer Begriff.«»Widersprich mir nicht, Sklavin. Ich has-

se es, wenn …«»Du suchst doch nur verzweifelt nach ei-

nem Grund, mir deine Überlegenheit zu be-weisen, Kanzlerin. Wie soll ich dir versi-chern, daß ich weder nach deiner Machtstrebe, noch daß es mir fern liegt, deineKompetenz anzuzweifeln? Du hast mir vonAnfang an keine Gelegenheit dazu gelassen,weil du mich haßt.« Trotz ihrer Erregunghatte die Sklavin sich nicht dazu hinreißenlassen, den Tonfall zu ändern. Ruhig undsachlich, als diskutiere sie lediglich über dennächsten Schneesturm auf Moleiir, so hattesie gesprochen.

Trotzdem hastete Karon auf sie zu. Erstdicht vor ihr blieb er stehen, sein kahlerSchädel rammte gegen ihren vorstehendenMund, und er umklammerte ihre Oberarmemit schmerzhaftem Griff. In einem Wutan-fall schüttelte er die Sydorrierin.

»Wann wirst du lernen, dich zu beneh-men?« keuchte er. »Es ist nicht Aufgabe derSklaven, störrisch und widerspenstig zusein. Ich werde mir überlegen, wie ich dichbestrafen kann.«

Deligas Kopf pendelte haltlos hin und her.Sie hatte bisher nicht erlebt, daß Karon sei-nen Zorn derart handgreiflich austobte.

»Du tust mir weh!« brachte sie stockendhervor.

Aber der Handelsfürst lachte nur. SeinGriff wurde härter.

»Du bist meine Sklavin, Deliga, mein Ei-gentum, mit dem ich nach Gutdünken ver-fahren kann. Vergiß das nicht!«

Er würde ihr die Arme brechen. Das spür-te sie. Der Schmerz ließ schon jetzt blutroteSchleier vor ihren Augen tanzen.

»Ich bin die Sklavin eines Schinders«,

36 Hubert Haensel

Page 37: Zug der Herrscher

hauchte sie, den Tränen nahe. »Sieh dichvor, Karon von Omgenoch! Wie leichtkönnte es geschehen, daß du eines Tages voreinem Scherbenhaufen stehst …«

»Du drohst mir?« Sein Griff löste sich,doch gleich darauf krachten seine Fäuste aufDeligas Brustkorb. Der Sydorrierin blieb dieLuft weg; mit unwiderstehlicher Gewaltwurde sie rückwärts katapultiert, und nochehe sie in der Lage war, den Sturz abzufan-gen, schlug sie der Länge nach hin.

Sofort war Karon über ihr. Breitbeinigstand er da, ein Koloß zum Fürchten, aberals Deliga schon glaubte, daß er erneut zu-schlagen würde, wich er zurück.

»Glaube nicht, daß ich jetzt einen anderenBerater nach Borrengold mitnehme«, stießder Handelsfürst hervor. »Du wirst in mei-ner Nähe bleiben, Deliga, und es wird mirein besonderes Vergnügen sein, dich zu kon-trollieren.« Er lachte schrill und blickte tri-umphierend die Kanzlerin an. »Ich verbietedir, dich zu waschen, solange der Zug derHerrscher dauert.«

»Nein«, wollte Deliga ausrufen, »alles,nur das nicht.« Sie konnte es nicht, brachtenur ein heiseres Krächzen hervor.

Karon war ein Sadist. Er traf sie damithärter als mit jeder körperlichen Züchtigung.Ausgerechnet er, der verrückt nach Wasserwar wie kein zweiter. Und Karon wußte, daßsie ähnlich empfand – er hatte sie einmal da-bei ertappt, wie sie heimlich in einem seinerBassins gebadet hatte, und er hatte sieschwer dafür bestraft.

Aber jetzt?Ich bringe dich um! schoß es der Sydor-

rierin durch den Kopf. Wenn du das wahrmachst, sollen deine Schuppen in der Wüsteverdorren.

7.

Die KRAU, Karon von Omgenochs Resi-denzschiff, beendete ihre Überlicht-Etappewenige Lichtsekunden außerhalb der ehema-ligen Planetenbahn.

»Warum ist die Direktbeobachtung nicht

in Betrieb?« keifte Karon. Er hielt ein dop-pelkelchiges Glas in der Hand, gefüllt mitunterschiedlich gefärbten Flüssigkeiten. So-bald sich beide Wassersorten vermischten,zog ein aufreizender Duft durch die Zentra-le. Der Handelsfürst trank hastig.

Deliga unterdrückte das gräßliche Bedürf-nis, sich zu kratzen. Ihre Gesichtshaut wurdezunehmend trockener und hatte zu juckenbegonnen. Vielleicht ein psychisches Pro-blem. Seit dem Zwischenfall im Palast undselbst jetzt, da Karons ungeteilte Aufmerk-samkeit dem Hauptbildschirm galt, hatte siedas Gefühl, daß er sie durchdringend mu-sterte. Das Gesichtsfeld eines Hamameschumfaßte immerhin ein Panorama von gut240 Grad.

Du kannst mich nicht ewig kontrollieren,schoß es ihr durch den Sinn. Das schaffst dunicht, Karon von Omgenoch!

Endlich stabilisierte sich das Panorama. Inder Schwärze des Weltalls drifteten fahleLichtpunkte. Sie wuchsen rasch zu unregel-mäßig geformten Asteroiden, den atmosphä-relosen Überresten des Planeten Pendregge.

Deliga glaubte, einen Hauch von Ewigkeitzu spüren, zwangsläufig die Folge ge-schichtlicher Irrtümer oder bewußter Fehlin-terpretationen. Nicht auf Pendregge warender umfassende Friede und die Aufteilungder Galaxis Hirdobaan beschlossen worden,sondern auf dem nur 2,3 Lichtjahre entfern-ten Planeten Borrengold. Denn geraume Zeitvorher hatten Hamamesch-Guerilleros Olk-heols Zentralplaneten Pendregge mit dem le-gendären Gegner vernichtet und damit dasEnde der Olkheol-Kriege eingeleitet. Trotz-dem war der Asteroidengürtel zur Gedenk-stätte erklärt worden.

»Unser Kurs weicht ab!« Karon schütteteden Rest des vermischten Getränks in sichhinein. Deliga sah, daß er zitterte. EinSchwall der Flüssigkeit quoll über seinewulstigen Lippen und färbte die prunkvolleUniform dunkel. »Sklavin«, er hielt ihr dasDoppelglas hin, »mehr davon. Aber diesmalweniger Korallenessenz. Du mischst dieFlüssigkeit schlechter als eine Anfängerin.«

Zug der Herrscher 37

Page 38: Zug der Herrscher

»Ich bemühe mich, alles richtig zu ma-chen«, beteuerte Deliga unterwürfig. Es ge-lang ihr wie immer perfekt, ihre Stimmenicht mit Emotionen zu belasten.

»Das genügt nicht«, versetzte der Han-delsfürst.

»Ich werde das Wasser zu deinem Wohl-gefallen mischen, Herr.« Die wenigenSchritte quer durch die Zentrale erschienenDeliga wie ein Spießrutenlauf. Jeder schiensie anzustarren, selbst das leiseste Gesprächwar plötzlich verstummt.

Was habe ich getan, daß Karon mich vorallen demütigt? Mit beiden Händen griff dieSydorrierin nach dem zerbrechlichen Glasmit dem gespaltenen Stiel. Gleichzeitig um-klammerte Karon von Omgenoch ihre Arme,sein Griff zwang sie in die Knie. Mühsamunterdrückte sie ein schmerzvolles Stöhnen.

»Zerbrich das Glas nicht!« warnte derFürst. Mit der freien Hand wischte er überihren Hals. »Deine Haut ist feucht. Du hastdich gewaschen?«

»Nein«, stammelte die Sydor-Sklavin.»Das würde ich nicht wagen.«

»Du hast einmal meine Befehle mißach-tet. Glaube nicht, daß ich das vergessen hät-te.«

Ihre Finger begannen taub zu werden,gleich würde ihr das Glas entgleiten, ein An-denken an Qilltom von Omgenoch. Die Fol-gen konnte sie sich ausrechnen.

»Deine Haut ist feucht«, behauptete Ka-ron von Omgenoch nachdrücklich. »Das ge-fällt mir nicht.« Seine Stimme klang gefähr-lich leise, nur noch ein Hauch von Flüstern.»Oder fürchtest du mich, ist das Angst-schweiß? Ja, du sollst mich fürchten, Deliga,denn ich bin der Fürst von Omgenoch. –Und jetzt bring mir endlich zu trinken! Ichverdurste.«

Früher war Karon noch umgänglicher ge-wesen, aber seit Maschtar Morran ihn aufge-sucht hatte, schien er sich selbst nicht mehrgut zu sein. Als er sie verächtlich zur Seitestieß, hatte Deliga Mühe, das Glas nicht fal-len zu lassen. Irgendwie schaffte sie es undwar sogar erleichtert darüber. Karon fühlte

sich ihr unterlegen, deshalb demütigte er sie.Und weil er Frauen ohnehin nur als Mätres-sen ansah, mit denen er nach Belieben um-springen konnte.

Deliga gab sich Mühe, das gewünschteAroma ins Wasser zu mischen. Der Geruchwurde derart intensiv, daß sie sich unwill-kürlich fragte, ob überhaupt jemand dieseBrühe trinken konnte. Karon von Omgenochkonnte es.

Als sie nach wenigen Minuten in die Zen-trale zurückkehrte, schwebte die KRAU aufder Höhe der Gedenkstätte. Starke Schein-werfer entrissen das monumentale Denkmalder Finsternis, vom Residenzschiff aus bil-dete sich eine flammende energetischeBrücke.

Karon von Omgenoch hatte seinen Raum-anzug angelegt, den Helm aber noch nichtgeschlossen. Ungeduldig wartete er darauf,daß Deliga ihm das Glas reichte.

»Du wirst unerträglich langsam, Sklavin«,warf er ihr vor. »Darüber reden wir, sobaldwir nach Riau zurückkehren.«

Sie verbiß sich eine Erwiderung und ver-neigte sich respektvoll.

Karon verließ das Schiff. Von künstlichenSchwerkraftfeldern gehalten, betrat er dieEnergiebrücke. Mit jedem Schritt wuchs sei-ne Gestalt. Eine optische Spielerei, die Ein-druck schinden sollte, für Deliga indes nurAusdruck seiner Geltungssucht. Bis er dasDenkmal erreichte, war er zur scheinbarenGröße von gut achtzig Metern angewachsenund ragte damit ebenso hoch auf wie dieStatue des unbekannten Kämpfers.

Karon von Omgenoch badete im Schein-werferlicht. Seine Stimme war in diesemAugenblick nicht nur überall im Oktanten,sondern auch in den benachbarten Handels-reichen zu hören. Er hielt eine flammendeAnsprache, eine Lobhudelei auf die Hama-mesch aller Zeiten im allgemeinen und dieErrungenschaften von Omgenoch im beson-deren. Deliga kannte jedes Wort im voraus,sie hatte die Rede für ihren Fürsten verfaßt.Siedendheiß überlief es sie, als Karon denText veränderte. Er mußte größenwahnsin-

38 Hubert Haensel

Page 39: Zug der Herrscher

nig geworden sein. Zwischen seinen plötz-lich so plump wirkenden Worten war einVergleich mit Gomasch Endredde herauszu-hören. Nicht umsonst trug er an den vierFingern jeder Hand schwere Siegelringe mitden von ihm selbst entworfenen Wappenund den Namen der anderen Oktanten. Ka-ron von Omgenoch gierte danach, Hirdo-baan unter seiner Führung zu vereinen.

Und dann reckte er die Arme in die Höhe,und von seinen Händen schossen irisierendeLichtstrahlen in den Weltraum hinaus. In-nerhalb kürzester Zeit stand er im Zentrumgleißender Helligkeit, während von Asteroidzu Asteroid starke Projektoren ein flirrendesLichternetz woben. Ein eindrucksvollesSchauspiel, doch Deliga erkannte darin nurÜberheblichkeit und Anmaßung.

*

Borrengold war der zweite von vier Pla-neten der gelben Sonne Riffta und im Mittel176 Millionen Kilometer von dieser entfernt.Wegen seiner Achsneigung von 27 Gradwies er extreme Jahreszeiten auf, das Klimawar nur in der Äquatorzone stabil. Ausge-dehnte Ozeane prägten das Bild, die Land-massen in Form großer Kontinente bedeck-ten knapp drei Zehntel der Gesamtoberflä-che.

Das Riffta-System galt für alle Zeiten alsSperrgebiet, Fermyyd in ihren Regenbogen-schiffen patrouillierten entlang der Grenzen.Mit Genugtuung registrierte Deliga, daß so-gar Karon von Omgenoch gezwungen wur-de, sich auszuweisen.

»Ich verlange, daß besondere Vorkomm-nisse ohne Verzögerung gemeldet werden«,forderte Karon den Ferm-Kommandantenauf. »Die Systemüberwachung ist für dieDauer der Zusammenkunft zu verdoppeln.Die Maschtaren wollen es so.«

Traditionsgemäß war die Omgenoch-Flot-te als erste im Riffta-System eingetroffen.Entgegen seiner ursprünglichen Absicht hat-te Karon den Troß um achtzehn schwerbe-waffnete Einheiten verstärkt. Diese Schiffe

verteilte er in einem weiten Orbit um Bor-rengold; gleichzeitig verbot er den Besat-zungen der Frachter die Landung. AuchFrachter waren mit Geschützen bestückt, dieim Ernstfall eine gewisse Abschreckung be-wirken konnten.

»Ich bin nicht bereit, Risiken einzuge-hen«, betonte Karon, als die Kanzlerin Ein-wände erhob. »Besser demonstrieren wir un-sere Stärke, bevor ich später als Verantwort-licher die abgestorbenen Korallen zugescho-ben bekomme.«

»Es wird nichts geschehen«, prophezeiteZirrin, »abgesehen davon, daß alle Händlergegen die Anordnung Sturm laufen werden.Gute Geschäfte darf man nicht einer über-triebenen Vorsicht opfern.«

»Das weiß ich selbst«, erwiderte Karonschroff. Herausfordernd wandte er sich derSydorrierin zu: »Hast du eine eigene Mei-nung zu dem Problem?«

Was immer die Sklavin äußerte: Ihr Di-lemma war, daß die entweder den Fürstenoder die Kanzlerin gegen sich aufbringenwürde. Die beiden waren keineswegs einHerz und eine Seele. Karon verstand nicht,daß es eine Hamamesch gab, die seinenplumpen Annäherungsversuchen derart hart-näckig widerstand, Zirrin hingegen sah inKaron weniger den Fürsten, sondern haupt-sächlich den Lebemann, der nichts andereswollte, als mit jeder ins Wasser zu gehen.Doch Intimitäten lagen ihr fern.

»Ich denke«, sagte Deliga vorsichtig,»daß Maschtar Morran hinreichende Gründehatte, über das übliche Maß hinausgehendeSicherheitsmaßnahmen für Borrengold zufordern.«

»Doch nur, weil einige Handelsfürsten ih-ren Streit untereinander nie vergessen kön-nen«, schwächte Zirrin ab. »Das ist keinGrund, die Handelshäuser von Omgenochvon profitablen Geschäften auszuschließen.«

»Sag's ihr!« herrschte Karon die Sklavinan. »Sag ihr, was wichtig ist.«

»Vielleicht beides«, meinte Deliga aus-weichend. »Sowohl die Fermyyd-Einheitenals auch unsere Wachschiffe sollten genü-

Zug der Herrscher 39

Page 40: Zug der Herrscher

gen, bei Auseinandersetzungen innerhalbdes Systems schlichtend einzugreifen.«

»Nein«, sagte Karon.Deligas schlanker Körper krümmte sich.

»Dann verhänge ein generelles Landever-bot«, riet sie. »Eine Ausnahme gilt nur fürdie Residenzschiffe der Fürsten. Damit wäredie Gleichheit der Mittel wiederhergestellt.«

»Das wollte ich vorschlagen«, betonteKaron von Omgenoch. »Du bestätigst alsomeine Überlegungen.«

Zirrin bedachte die Sydorrierin mit einemwütenden Blick. Natürlich waren der Kanz-lerin profitable Geschäfte wichtiger als dieBeachtung überzogener Vorsichtsmaßnah-men. Wortlos wandte sie sich um und ver-ließ die Zentrale.

»Diplomatie ist für dich ein Fremdwort«,herrschte Karon die Sklavin an. »WelchenGrund hattest du, der Kanzlerin zu wider-sprechen? Du hast Zirrin bis auf die Grätengekränkt.« Er winkte herrisch ab, als Deligazu einer Erwiderung ansetzte. »Schweig!Daß die Kanzlerin zürnt, ist deine Schuld.Du wirst sie um Verzeihung bitten.«

»Ich bin mir keiner Verfehlung bewußt«,widersprach die Sydorrierin.

Karon holte unbeherrscht zum Schlag aus,ließ den Arm jedoch im letzten Momentwieder sinken. Die KRAU tauchte soeben indie Atmosphäre des Planeten ein. Es gabWichtigeres zu erledigen …

*

Bremse verstand die Welt nicht mehr. Al-le sechs Jahre fand ein Zug der Herrscherstatt, die einzige Möglichkeit für Hamame-sch, die Grenzen anderer Oktanten zu über-schreiten und Handel nicht nur über dieGrenzländerstationen zu betreiben. Am Ran-de der Zusammenkunft der Fürsten wurdenstets beachtliche Geschäfte vorbereitet undsogar getätigt.

Und nun durfte lediglich das Residenz-schiff Rani von Buragars auf Borrengoldlanden, während dem gesamten Troß ein Or-bit in zwei Lichtsekunden Abstand zugewie-

sen wurde. In einem ersten hitzigen Aufwal-len der Gefühle drosch der Stuuhr mit denFäusten auf die Konsole vor sich ein.

Rani von Buragars Flotte gehörte zu denletzten, die eintrafen, verfügte aber über diemeisten Schiffe. Der Troß des Adrom Cere-as von Mereosch war nur wenige Stundenvorher angelangt und beanspruchte dement-sprechend einen Orbit fünftausend Kilome-ter näher an Borrengold – ein Eklat, wenn esdarum ging, die Gleichheit aller Fürsten un-ter Beweis zu stellen.

Gegen Ende des 16. Fir waren die Delega-tionen aller Oktanten über Borrengold ein-getroffen. Über Funk wurden mehr oderminder große Sticheleien und Anzüglichkei-ten ausgetauscht. Martosch von Grenchecktat sich mit Schimpftiraden hervor, aberauch die Jondoron-Hamamesch, die mit be-sonderer Lautstärke wohl davon ablenkenwollten, daß sie die Galaktiker nach Hirdo-baan geholt hatten.

Ziemlich rasch kam die Zusage von Bordder KRAU, daß Abordnungen aller Schiffeim Fährverkehr auf den Planeten geholt wür-den. Kanzlerin Zirrin höchstpersönlich for-derte die Namensnennung an. »… ich mußes nicht besonders betonen«, fügte sie hinzu,»aber dieser Zug der Herrscher ist wieder ei-ne Demonstration des friedlichen Zusam-menlebens. Gerade in einer Zeit, in derFremde wie -«

»… gierige Borramos«, platzte Bremse imSelbstgespräch heraus, aber Zirrin gebrauch-te einen anderen Vergleich.

»- blutsaugende Schuppenläuse in unüber-schaubarer Zahl auftreten, müssen wir Ha-mamesch uns einig sein.« Sie bemerkte ihrVersäumnis und fügte rasch hinzu: »Das giltnatürlich auch für alle anderen Völker Hir-dobaans.«

»… nur nicht für die Crypers«, murmelteBremse spöttisch. Er hatte keine Berüh-rungsängste, hatte in der Vergangenheitmehrere Begegnungen mit Rebellenschiffenunbeschadet überstanden und gönnte denHamamesch ihre streitbaren Widersacherdurchaus.

40 Hubert Haensel

Page 41: Zug der Herrscher

»Ich will ebenfalls nach Borrengold über-setzen«, gab er auf der eigens dafür geschal-teten Frequenz durch. »Nbltsgndpfrdbrmsauf der KRRZBRNF.«

»Ein Stuuhr?« antwortete eine Computer-stimme.

»Was sonst?« explodierte er. »Mein Na-me klingt hoffentlich nicht wie der eines Ha-mamesch.«

»Gib mir deine Peilung«, verlangte derComputer, den der verbale Ausfall nicht immindesten beeindruckte. »Die Koordinatendeines Schiffes wurden vermerkt«, folgte dieBestätigung. »Bereite dich vor zum Überset-zen, du wirst abgeholt.«

Dennoch mußte Bremse fast eine Tix langwarten, bis ein Raumgleiter längsseits ging.Das Schiff war überfüllt mit gespannt drein-blickenden, schwitzenden Angehörigen vie-ler Völker. Es mußten einige hundert sein,die wie Trockenmaden in einer Dose zusam-mengepfercht waren.

Als einziger Stuuhr verschaffte Bremsesich dennoch genügend Freiraum.»Versehentlich« trat er dabei zwei fettleibi-gen Hamamesch auf die Füße und wischteeinem dritten mit den Stummelflügeln überdie Wulstlippen. Es tat gut, zu sehen, wiedie Händler zurückwichen, das hob nach al-len Problemen das Selbstwertgefühl.

*

Borrengold – Nbltsgndpfrdbrms rekapitu-lierte in Gedanken alle Daten aus der Plane-tendatei des Bordrechners: von Fermyyd be-wachtes Sperrgebiet; keine Monde, extremeJahreszeiten. Der Tag mit 30 Tix warGrundlage für das Zeitmaß in Hirdobaan.Borrengold besaß vier große Kontinente, da-von der Doppelkontinent West-Akrama undOst-Akrama auf der Nordhalbkugel und Ok-muun und Staama auf der südlichen Hemi-sphäre.

Soweit die spärlichen offiziellen Anga-ben. Weithin bekannt war darüber hinaus,daß im Zentrum von Staama am südlichenPolarkreis das Oktogon stand, der Versamm-

lungsort der Fürsten. Dieses mächtige acht-eckige Bauwerk mit einem Durchmesservon 1800 Metern war wie Hirdobaan in achtBereiche unterteilt. In jedem Achtel des Ok-togons lebten annähernd tausend Hamame-sch als diplomatische Vertreter ihres Oktan-ten, die alle sechs Jahre anläßlich des Zugesder Herrscher abgelöst wurden.

Auch Angehörige anderer Völker hatte esnach Staama verschlagen. Angeblich siedel-ten sie außerhalb des Oktogons als Jäger undFallensteller, machten Tauschgeschäfte mitden Eingeborenen und belieferten die Hama-mesch mit Nahrungsmitteln. Das Oktogonbetreten durften sie nicht. Bremse vermute-te, daß gerade letztere Behauptung bewußtvon den Hamamesch ausgestreut wurde, umFremdwesen fernzuhalten. Ohnehin durftenwährend des Zuges der Herrscher nur ausge-suchte Raumschiffe anderer Völker Borren-gold anfliegen.

Staama präsentierte sich wolkenverhan-gen. Der Raumgleiter tauchte in ein dichtesSchneetreiben ein, das sich zum Blizzardmit hohen Windgeschwindigkeiten und hef-tigem Gewitter auswuchs. Ein Bildschirmder Außenbeobachtung unmittelbar über sei-nem Kopf versetzte Bremse in die glückli-che Lage, mehr von dem Geschehen außer-halb der Maschine mitzubekommen als an-dere Passagiere.

Eine schroffe Bergkulisse tauchte auf.Rauher Fels und grün schimmernde, mächti-ge Gletscher bestimmten das Bild. Daran an-schließend eine tiefverschneite Hügelland-schaft und fremdartige, scheinbar zu Eis er-starrte ausgedehnte Wälder.

Kurz darauf die gigantische Silhouette desOktogons, eine gewaltige Trutzburg inmit-ten der Winterlandschaft. Zweihundert Me-ter hoch und ebenso breit das äußere Acht-eck, nach oben sich konisch verjüngend –die Unterkünfte der Hamamesch. Darannach innen anschließend, die Parkzone, inder die hier stationierten Fischgesichterwährend ihrer sechsjährigen Isolationszeitlosen Kontakt untereinander hielten.

Und im Zentrum das gewaltige ebenfalls

Zug der Herrscher 41

Page 42: Zug der Herrscher

achteckige Oktodrom, das nur für den Zugder Herrscher geöffnet wurde. 300 Meter imDurchmesser, 150 Meter hoch und von ei-nem nochmals über 100 Meter aufragendenGeschützturm gekrönt. Der Anblick ließ denStuuhr allerdings zweifeln, ob dies wirklichdie einzige Geschützstellung für den Ernst-fall war; der Turm wurde zu offensichtlichzur Schau gestellt.

Rings um das Oktodrom bunkerartige Ge-bäude, die wohl den Nicht-Hamamesch desZuges und während der übrigen Zeit den aufBorrengold verbleibenden Hirdobaanern alsUnterkünfte dienten.

Der Raumgleiter landete nahe des Oktog-ons. Eine Roboterstimme erteilte Anweisun-gen, wohin die Passagiere sich zu wendenhatten.

Gleißender Sonnenschein lag über demMonumentalbau, obwohl schon leichtesSchneetreiben eingesetzt hatte. Am südli-chen Horizont, drohend unübersehbar, nä-herte sich die Gewitterfront wie eine un-durchdringliche Wand.

Die Temperaturen waren weit unter denGefrierpunkt gesunken. Eine beißende, un-angenehme Kälte zwang Bremse, hastig aus-zuschreiten. Daß neben ihm ein buntes Viel-völkergemisch ebenfalls auf die nächstender bunkerartigen Bauten zuströmte, warihm egal. Für einen Stuuhr fand sich selbstim größten Gedränge ausreichend Platz.

Bremse stürmte die erstbeste Halle, einBauwerk, das von den Ausmaßen her durch-aus mehreren Schiffen vom Typ der KRRZ-BRNF als Hangar dienen konnte. Die Luftim Innern war zum Schneiden, ein vielfälti-ger Mief aus Körperausdünstungen und demAroma der unterschiedlichsten Genußmittel.

In unmittelbarer Nähe des Eingangs kau-erten zwei vierbeinige Snucmors. Aus denHäusern der toxischen Meerschnecke, diesie sich auf die Ohren preßten, quoll gelberRauch. Der Stuuhr empfand den Gestank alsabscheulich, den Snucmors brachte er an-geblich die höchsten Wonnen.

Bremse ignorierte die beiden Vierbeiner,die zu den Minderheiten in Hirdobaan zähl-

ten und von denen es hieß, daß sie irgend-wann aus einem fernen Sternenreich zuge-wandert waren. Seltsamerweise besaßen dieSnucmors keinerlei Hinweise auf eine sol-che Herkunft, ihre Abstammung blieb imDunkel der Geschichte verborgen.

Ringsum wurde gefeilscht, verhandelt,diskutiert. Manches Gespräch verstummteabrupt, als der Stuuhr näher kam, dafür wur-de an anderen Stellen über ihn getuschelt.Bremse registrierte neugierige Blicke, dieihn abschätzend taxierten.

»Was hast du anzubieten, Prospektor? Ei-ne Handvoll Sternkristalle?«

Der Fragesteller war unwahrscheinlichdürr. Auf den ersten Blick erinnerte sein Äu-ßeres an einen Terraner, doch Bremse regi-strierte rasch die Unterschiede: Weder Teke-ner noch die anderen hatten diesen feinenFlaum im Gesicht, auch nicht kräftigere Fe-dern auf dem Schädel und bis weit in denNacken.

»Was wäre, wenn?« fragte der Stuuhr un-bewegt.

»Ich verfüge über eine Ladung High-Tech, deponiert auf einer Grenzländerstati-on. Modulbauweise für den Einsatz inSchiffstriebwerken …«

»Siegelware?«»Natürlich.«Bremse winkte gönnerhaft ab. »Vergiß es.

Daran bin ich nicht mehr interessiert.« Erließ den Dürren einfach stehen, der sich so-fort auf einen anderen möglichen Käuferstürzte.

Ein Signalton erklang. In den verschiede-nen Sektionen des Gebäudes entstandengroße Hologramme in einer Höhe, die vonallen Seiten aus gut eingesehen werdenkonnte.

Die Holos zeigten Wiedergaben aus demOktogon. Das Treffen der Handelsfürstenhatte begonnen.

8.

Demmyd-System, Ammach-OktantImmer noch standen die 1300 Rebellen-

42 Hubert Haensel

Page 43: Zug der Herrscher

schiffe wenige Lichtminuten außerhalb desSystems. Ferm-Kommandant Ten-Or-Toohatte nie zuvor eine derart große Streitmachtder Crypers gesehen. Ihm war klar, daß we-der die Ambraux-Piraten allein noch eineder anderen Gruppierungen aus Queenerochdie Mittel besaßen, eine solche Flotte aufzu-stellen. Das bedeutete, daß die Crypers sichzusammengeschlossen hatten – ein Ereignis,das er nicht einmal im Traum für möglichgehalten hätte.

Außerdem sympathisierten sie mit denGalaktikern. Frei nach dem Wahlspruch:»Der Feind meines Feindes ist meinFreund«.

Ten-Or-Too fragte sich, weshalb die Re-bellen nicht sofort seine Wachschiffe ange-griffen hatten. Mit dem Überraschungsmo-ment auf ihrer Seite hätten sie zweifellos ei-nige spektakuläre Anfangserfolge erzielenkönnen, obwohl sie der geballten Feuerkraftaus tausend Regenbogenschiffen letztlichWenig entgegenzusetzen hatten.

Warteten die Crypers auf weitere Verstär-kung? Dieser Gedanke ließ Ten-Or-Toonicht mehr los und bestimmte sein Handeln.Er entschloß sich, ihnen zuvorzukommenund seinerseits anzugreifen.

Verschlüsselt erging der Befehl an alleEinheiten. Die Regenbogenschiffe würdengleichzeitig beschleunigen, in den Hyper-raum gehen und zum Teil inmitten der Re-bellenflotte materialisieren. Das war die ein-zige Möglichkeit, schon mit dem ersten Feu-erschlag möglichst viele Cryper-Schiffe aus-zuschalten. Eine Computer-Simulation ver-setzte Ten-Or-Too in die Lage, verschiedeneSzenarien durchzuspielen. Er kam zu demErgebnis, daß 600 Regenbogen-Schiffe aus-reichten, die Crypers aus dem Weltraum zufegen.

Zehn Rou vor Beginn des Angriffs er-reichte ihn die Meldung, daß die Rebellen-flotte beschleunigte. Damit waren alle Hoch-rechnungen nutzlos geworden.

Die Crypers zogen sich mit Kurs auf denPerm-Oktanten zurück. Offenbar war es ih-nen gelungen, den Funkverkehr der Fer-

myyd zu entschlüsseln. Es erschien sinnlos,ihnen jetzt nachzusetzen.

Auf den Schirmen der Fernortung ver-folgte Ten-Or-Too, wie die Rebellen pulk-weise aus diesem Kontinuum verschwanden.Einige Schiffe der Galaktiker hatten sich ih-nen angeschlossen.

*

Grenzländerstation SCHERMOTT, zwi-schen Mereosch-Oktant und Buragar-Ok-tant, äußerste Station am Rande Hirdo-baans:

Zuerst wollte der Oberste Lagerherr Pher-mi die Nachricht nicht glauben, die einer derihm unterstehenden Lagermeister persönlichüberbrachte. Aber dann verließ er den Be-reich des Rotationsblocks, in dem technischeSchwierigkeiten aufgetreten waren, und ma-növrierte sich mit hektischen Gasstößen ausdem Bereich der künstlichen Schwerelosig-keit.

Vom nächstgelegenen Kontrollraum ausüberzeugte er sich mit eigenen Augen, daßdie Nachricht stimmte. Das riesige Träger-schiff der Galaktiker hatte Fahrt aufgenom-men und entfernte sich von SCHERMOTT.

Durch eine Unzahl von Ventilen ließPhermi Gas ab. Deutlicher hätte er seinefreudige Überraschung nicht zum Ausdruckbringen können.

»Wenn sie weg sind«, stieß er abgehackthervor, »wenn sie wirklich weg sind, wirdendlich der Handel wieder florieren.«

Die Verluste summierten sich inzwischenauf astronomische Höhen. Keine Frachterbe-satzung hatte sich mehr getraut, SCHER-MOTT anzufliegen, solange die verrücktenFremden in der Nähe auf Warteposition la-gen.

»Wir werden unsere Einnahmeausfälle nieaufholen«, bemerkte der Lagermeister wei-nerlich. »Hoffentlich sind nicht alle Hama-mesch auf andere Stationen ausgewichen.«

»Wir werden Tag und Nacht arbeitenmüssen«, pflichtete Phermi bei. »Und wirbrauchen eine großangelegte Werbekampa-

Zug der Herrscher 43

Page 44: Zug der Herrscher

gne.«Er unterbrach sich und blickte wieder un-

geduldig auf die Bildschirme. Die riesigeBASIS war selbst im Ortungsbild inzwi-schen zu einem winzigen Stern geworden.Irgendwann verschwand sie ganz.

»Ich wünsche mir, nie wieder einen Ga-laktiker zu sehen«, sagte der Oberste Lager-herr im Ton der Überzeugung. »Niemalswieder.«

9.

Karon von Omgenoch trug ein edles Ge-wand in dem von ihm bevorzugten grünenFarbton. Von den Schultern hing ein weitfallender Umhang, der als Schleppe überden Boden schleifte und Kanzlerin Zirrinzwang, mehrere Schritte Abstand zu halten.

Karon wirkte ausnahmsweise würdevoll.Das lag möglicherweise daran, daß er nichtwie gewöhnlich wegen jeder Frau die Augenverdrehte, vielleicht aber auch an dem vonihm selbst entworfenen Wappen von Omge-noch, das in glitzernder Fülle auf dem Um-hang prangte.

Mit respektvollem Abstand folgten dieSydorrierin Deliga und hinter ihr die Hama-mesch, die auserwählt worden waren, dienächsten sechs Jahre auf Borrengold zu ver-bringen.

Unter dem theatralischen Klang von Was-serhörnern zog die Omgenoch-Abordnung inden ihr zugeteilten Sektor des Oktogons ein:1014 Hamamesch und die Sydor-Sklavin.

Hoffentlich läßt Karon seine Flossen vonRani von Buragar, dachte Deliga. An Bordder KRAU war sie Zeugin eines Streitge-sprächs zwischen dem Fürsten und Zirringeworden. Karon hatte großspurig behaup-tet, daß keine Frau seinen weichen Schup-pen auf Dauer widerstehen könne. Zirrinhatte ihn daraufhin aufgefordert, mit Ranivon Buragar ins Wasser zu gehen – und erstwenn er das schaffe, würde sie ihre Haltungüberdenken.

Das Protokoll erforderte den Einzug vonden Unterkünften in die Parkzone in der

Reihenfolge des Eintreffens im Riffta-Sy-stem.

Das Stakkato der Wasserhörner hielt lan-ge an. Als der letzte Ton verwehte, begannder festliche Empfang im Parkbereich. Eineüppige Flora war aufgeboten, Pflanzen vonallen wichtigen Welten aus Hirdobaan, einegrünende und blühende Vielfalt, die ihres-gleichen suchte. Deliga roch das Aromamalphorischer Wasserschoten, sie sah diemannsgroßen Blütenstände der Rotmu-scheln, die von Wissenschaftlern nach wievor als Mittelding zwischen Tier und Pflan-ze eingestuft wurden.

Vorübergehend schloß Deliga die Augenund versuchte, den Frieden nachzuempfin-den, der für gewöhnlich über dieser pracht-vollen Parklandschaft lag. Es gelang ihr nurunvollkommen, denn der Trubel ringsumwar zu groß. Die ersten Handelsfürsten hat-ten die imaginären Grenzen innerhalb desOktodroms überschritten; je nach Naturellfiel die Begrüßung untereinander zurückhal-tend oder hektisch lautstark aus.

Deliga ärgerte sich darüber, daß nicht nurgroße Pflanzen zum Teil die Sicht versperr-ten, sondern auch pavillonartige Bauwerkeund zur optischen Auflockerung gestalteteniedere Mauern – andererseits waren Karonvon Omgenoch und seine Kanzlerin hintereiner wogenden Fläche mannshoher Blütenverschwunden, und das bedeutete vorüber-gehend das Gefühl von Freiheit. Nur einpaar Schritte entfernt lockten üppige Was-serschoten, deren Gelbgrün mehrere flacheWasserbecken überwucherte. ZerstäubendeFontänen benetzten den Rand der Pflanzen.

Die Sydorrierin genoß den feinen Sprüh-nebel, der ihr entgegenwehte. Unwillkürlichreckte sie den Hals, ließ die Feuchtigkeitüber ihr Gesicht rinnen … Eine schroffeHand riß sie zurück, eine Hand mit zweigroßen Siegelringen an jedem der vier Fin-ger. Karon! Bevor Deliga ihren Schrecküberwinden konnte, schlug er sie ins Ge-sicht.

»Ich lasse mich nicht hintergehen!« fuhrer sie an. »Ich habe dir das Wasser verboten,

44 Hubert Haensel

Page 45: Zug der Herrscher

also richte dich danach. Oder glaubst du«,seine Stimme wurde eisig kalt wie die Tem-peratur außerhalb des Oktogons, »daß Sy-dorrier für mich unersetzlich sind?« Er stießsie vor sich her, hinüber in den Grencheck-Be-reich. »Über die Folgen deines Verhaltensreden wir später.«

Deliga sah das spöttische Mienenspiel derKanzlerin, deren Haltung grenzenlose Über-legenheit ausdrückte. Neben Zirrin standMartosch, Herrscher des Grencheck-Oktan-ten, sein Lächeln wirkte verächtlich undneugierig zugleich. Aber Martosch war alseher mäßig intelligent verrufen, und die Ge-schicke seines Oktanten wurden im wesent-lichen von Ratgebern und Höflingen gelei-tet. Zwei weibliche Hamamesch standenhinter ihm: Glesitt und Bhenige, seine wich-tigsten Ratgeberinnen. Wenn Deliga sichnicht irrte, zog Martosch die Frauen jedemSydorrier vor. Deshalb empfand sie es alsbesonders erniedrigend, daß Karon das An-gebot machte, sie Martosch zu schenken,und Martosch schlichtweg ablehnte.

Du siehst, welchen Wert du hast, signali-sierte Zirrins Blick. Deine Klugheit hilft dirnicht weiter.

Deliga hielt sich zurück; ihr blieb keineandere Wahl. Karon, von der Kanzlerin häu-fig genug gegen sie aufgehetzt, konnte ihrdas Leben zur Qual machen. Obwohl Sydor-rier im allgemeinen sehr gut behandelt wur-den, stellte sich die Alternative einer Fluchtaus Omgenoch nicht. Deliga selbst hätte dasals Feigheit empfunden.

Fast eine Tix lang hörte sie zu, wie Mar-tosch mit ausschweifenden Worten von sei-ner Containerwelt Torresch berichtete undvon einer Raumschlacht zwischen Fermyyd-Einheiten und einer kleinen Flotte der Frem-den. Natürlich hatten die Fermyyd alle An-greifer besiegt.

Der Fürst verglich die Galaktiker mit denKschuschii, die vor etwa 800 Jahren ihreTechnik den Grencheck-Hamamesch über-lassen hatten. Die Kschuschii-Technik, da-von war Deliga überzeugt, war der vermut-lich wichtigste, offiziell aber stets geleugne-

te Grund für den schleichenden Niedergangder Handelsmacht Grencheck. Alle wichti-gen Geräte funktionierten nur innerhalb ei-ner speziellen Flüssigkeit aus Wasser undexotischem Öl und zeigten inzwischen deut-liche Ausfälle, ohne daß Reparaturen mög-lich waren. Martosch versprach sich insge-heim von den Galaktikern eine Belebungseiner maroden Wirtschaft.

Im Austausch solltest du Karon dieKschuschii-Flüssigkeit für seine Bassins zurVerfügung stellen, dachte Deliga bissig.Zum erstenmal stellte sie fest, daß ihr solcheGedanken, wie sie sonst wohl nur Hamame-sch hegten, Erleichterung verschafften.

Die hitziger werdende Diskussion – weilKanzlerin Zirrin hinsichtlich der erhofftenFortschritte durch Galaktiker-Technik ande-rer Meinung war – fand ein abruptes Ende.Auf der gegenüberliegenden Seite des Parksschien zwischen zwei Handelsfürsten ein of-fener Streit ausgebrochen zu sein. Die Kun-de verbreitete sich schneller als ein Meeres-beben. Jemand sprach von Mord und Tot-schlag.

»Das dürfen wir nicht zulassen«, platzteDeliga heraus. »Der Zug der Herrscher …«

»… würde in Gefahr geraten«, vollendeteZirrin schroff. »Das wissen wir auch ohnedeine ungebetene Feststellung.«

Rani von Buragar und Adrom Cereas vonMereosch waren sich an die Schuppen gera-ten. Allerdings spitzte sich die Situation erstzu. Von allen Seiten kamen Hamameschheran; die einen begierig darauf, einer hand-festen Auseinandersetzung beizuwohnen,die anderen eher besorgt und sich der Gefahrbewußt, die nach wie vor von den Galakti-kern drohte.

Adrom Cereas von Mereosch war ein bul-liger, mit 1,89 Metern fast cryperhaft großerHamamesch, der im Volk als grausam undbösartig verschrien war. Deliga dachte dar-an, daß Adrom Cereas hinter vorgehaltenerHand tatsächlich als Mörder bezeichnet wur-de. Es hieß, daß etliche seiner vielen Frauenauf rätselhafte Weise spurlos verschwundenwaren. Rund 70 Nachkommen hatte der

Zug der Herrscher 45

Page 46: Zug der Herrscher

Fürst gezeugt, überwiegend Bastarde, vondenen die Hälfte irgendwo untergetauchtwar, aber auch 30 durch Unfälle oder unge-klärte Ereignisse umgekommen waren. Un-ter diesen Umständen hatte Deliga es amHofe Karon von Omgenochs leidlich gut,obwohl Karon seinem Vorbild aus Mereoschnacheiferte. Was die vielfältigen Affären an-betraf, hatte er es durchaus schon geschafft.Keine sehr verlockenden Zukunftsaussich-ten.

Daß ausgerechnet der Skandal-Fürst Ranivon Buragar vorwarf, ihre Töchter Itta undSeriffi seien Bastarde und ihr Kanzlerge-mahl Razano Omre ein blinder Idiot, war dieunverschämteste Frechheit, die Deliga je ge-hört hatte. Adrom Cereas verstieg sich sogarzu der Lästerung, Rani habe Affären mit ih-ren drei männlichen sydorrischen Sklaven –eine Behauptung, deren Unsinn Deliga amschnellsten nachvollziehen konnte.

»Jeder kennt dich und dein nasses Ge-schwätz«, konterte Rani von Buragar. »Duwirst an deinem eigenen Gift zugrunde ge-hen; ich kann dich und deine Nachkommenwirklich nur bedauern.«

Der Fürst vollführte eine umfassende Be-wegung. »Hört ihr es?« rief er laut. »Sospricht ein enttäuschtes eitles Weib, das ge-hofft hatte, uns mit ihrem Prunk täuschen zukönnen. Am einfachsten wäre es gewesen,du hättest Garnach und überhaupt das ge-samte Vinousch-System gleich abgefackelt.«

»Bin ich dir so unbequem? Willst du mei-ne Mahnungen nicht mehr hören, AdromCereas?«

»Das Geschwätz eines größenwahnsinni-gen Weibes …«

»Du kannst die Niederlage nicht hinneh-men. Gesteh doch ruhig ein, was inzwischenohnehin jeder weiß, daß der Aufbruch mei-nes Trosses weitaus effektvoller vorbereitetwar als der Abflug deiner Schiffe. EinMann, der keine Niederlage hinnehmenkann, ist ein schlechter Wirtschafter. Daseinzige, was du fertigbringst, ist Kinder zeu-gen, aber nicht einmal das machst du rich-tig.«

Rani war zuweit gegangen. Das merktesie in dem Moment, in dem Adrom Cereas'Schuppen sich anlegten und sein Mund hek-tisch nach Luft schnappte.

»Schlammwühlerin!« fauchte er sie an.»Du faules Ei einer Cryper-Schlampe …«Mit bloßen Fäusten stürzte er sich auf sie,seine Finger verkrallten sich im Kragenauf-schlag ihrer Robe.

Rani dachte in dem Moment nicht daran,sich zur Wehr zu setzen, seinen Kräften wä-re sie ohnehin unterlegen. »Was willst dutun?« fragte sie ruhig, während er ihren Kra-gen enger zusammenzog. »Mich umbringenwie viele deiner Frauen? – Ich glaube nicht,daß die Maschtaren das dulden werden.«

Der Handelsfürst erstarrte mitten in derBewegung. Langsam schien er zu begreifen,daß Jähzorn nicht das probate Mittel war,seiner Widersacherin das Geschäft zu ver-miesen, daß er damit nur sich selbst schade-te. Zudem redete Karon von Omgenoch be-sänftigend auf ihn ein, und Kanzler Jesherversuchte auf Geheiß des greisen FürstenAdebis von Perm ebenfalls, ihn abzulenken.

»Wir sollten nicht streiten«, rief ausge-rechnet der an Freß- und Fettsucht leidendeFleischberg Fürst Jeschdean, »sondern dasvorbereitete Mahl gemeinsam genießen!«

Ob ihm wegen der zu erwartenden Köst-lichkeiten längst schon die Kiemen aus-trockneten oder ob er lediglich von der Rolleder Jondoron-Hamamesch in den bevorste-henden Gesprächen ablenken wollte, wußteniemand zu sagen.

*

Die Zeit verging schnell mit den unter-schiedlichsten Darbietungen. InsektoideAkrobaten, eine Magier-Gruppe, danach Il-lusionisten … Jeder Oktant war mit einerBesonderheit vertreten.

Schließlich wurde das Festmahl eröffnet.Fürst Jeschdean von Jondoron belagerte

die in Form eines achtarmigen Kraken ange-legte Tafel mit den erlesenen Leckerbissen,als hätte er seine Kinderstube in einer ausge-

46 Hubert Haensel

Page 47: Zug der Herrscher

trockneten Schlammpfütze genossen. Oderer war dem Verhungern wirklich schon sonahe, daß er wahllos in sich hineinstopfte,was gerade in seiner Reichweite lag.

Die anderen Herrscher gaben sich zurück-haltender, was aber keineswegs hieß, daßnicht Freundlichkeiten ebenso wie scharf-züngige Sticheleien ausgetauscht wurden.Die angespannte Lage innerhalb Hirdobaanstrug viel dazu bei. Hitzige Debatten über dasTreiben der Galaktiker waren das Hauptthe-ma bei Tisch. Gleichzeitig stopften die Ha-mamesch gelben Kaviar von Korallen-schwärmern, geröstete Algenschwämme undandere Köstlichkeiten in sich hinein. Ganzzu schweigen von den prickelnden Säftenund dem vergorenen, sündhaft teuren Mor-mus-Tran.

Während die anderen Berater zurückhal-tend abseits standen und darauf warteten,daß sie nach den Fürsten die schwebendeTafel stürmen durften, bekam Deliga allesaus nächster Nähe mit. Zirrin hatte ihr be-fohlen, zusammen mit den einfachen Die-nern für das Wohl der Hamamesch zu sor-gen – eine Arbeit weit unter ihrer Würde,die ihre Fähigkeiten bewußt herabsetzte. Zir-rin wollte die Sydorrierin demütigen, unddiesmal schaffte sie es auch. Deliga mußtesich viele abfällige Bemerkungen gefallenlassen.

Langsam rückte der Abend näher. DasOktodrom war nach wie vor geschlossen,noch hatte niemand einen Maschtaren zuGesicht bekommen. Erst mit Einbruch derDämmerung würden die Maschtaren er-scheinen.

Noch eineinhalb Tix bis dahin.Die Gardesoldaten zogen auf, ein farben-

prächtiger, imposanter Anblick. Nach altemRitual bezogen sie ihre Posten innerhalb derParklandschaft.

Singspiel-Soldaten! schoß es Deliga durchden Kopf. Die Wachen trugen Waffen unter-schiedlicher Technologien, manche Unikate,die frühere Besucher Hirdobaans zurückge-lassen hatten – Sinnbild der aufstrebendenWirtschaftsmacht der Hamamesch, zugleich

Beleg für die Vielfältigkeit der Handelsbe-ziehungen.

Die Fürsten hatten sich die Bäuche voll-geschlagen und gaben das Büffet für ihreBerater und Diener frei, die mit Heißhungernach den restlichen Köstlichkeiten griffen.

»Du nicht, Deliga!« bestimmte Zirrin.»Dräng dich nicht nach vorne, solange Ha-mamesch am Tisch stehen.«

»Aber – das sind Diener, die im Rang un-ter mir …«

»Sie sind Hamamesch, und selbst der nie-derste von ihnen könnte dir Befehle ertei-len.« Deligas verwirrter Blick veranlaßte dieKanzlerin zu einem Zusatz: »Natürlich nur,falls Karon von Omgenoch oder ich es zu-lassen. Wann wirst du das endlich verste-hen?«

Die Sydorrierin beherrschte sich. Sie hattesich ihr Leben lang beherrschen müssen.Was machte es schon aus, einige Rou mehroder weniger zu warten? Es war noch immergenügend da, daß sie von vielem kostenkonnte.

Andere Sydorrier blickten sie forschendan. Deliga konnte ihr Mitleid und zugleichihre stumme Aufforderung fühlen. Trotzdemblieb sie standhaft.

»Wir Hamamesch sollten unter uns blei-ben«, sagte jemand in allernächster Nähe.»Unsere Probleme könnten wir schnellerund besser in den Griff bekommen. Ich binder Meinung, Hirdobaan gehört nur uns Ha-mamesch.«

»Und die Fremden?«»Wir brauchen sie nicht.«»Wir brauchen aber ihre Technik.«»Das reden wir uns ein.«»Ohne Fremde in Hirdobaan wären wir

nicht das, was wir heute sind. Jedes neueVolk bringt uns einen Schritt weiter.«

Deliga hörte nur mit halbem Ohr hin. Siehaßte Vorurteile. Vor allem wollte sie nichtdaran glauben, daß es Völker gab, die besseroder schlechter waren als andere. Einzig undallein die Ausgangssituation war entschei-dend: Die einen wurden von der Natur ihrerHeimatwelt begünstigt, andere mußten sich

Zug der Herrscher 47

Page 48: Zug der Herrscher

gegen alle nur denkbaren Unbilden zurWehr setzen. Aber im Grunde war jedergleich, egal, ob er zwei Beine besaß odervier oder sich auf völlig andere Art fortbe-wegte. Entscheidend war ausschließlich dieMoral des einzelnen.

Fruchtknospen von Dampur – genußvollließ die Sydorrierin die flachen Samenkör-ner auf der Zunge zergehen. Auf nüchternenMagen hatten sie die Wirkung einerschwach bewußtseinserweiternden Droge.

Die Knospen weckten Deligas Träumevon einem Hirdobaan ohne Grenzen, von ei-ner Galaxis der Gemeinsamkeiten und desWohlstands. Im Grunde waren das wohlauch die Ziele der Crypers, doch mit denMitteln von Krieg und Zerstörung mußtendie Rebellen scheitern. Und bestimmt warensie keinen Deut weniger selbstlos als die Ha-mamesch.

Unangenehm trocken quollen die Samen-körner auf. Aus einem der Getränkespenderzapfte Deliga kristallhaltiges Quellwasservon Moleiir ab.

Eine Hand legte sich auf ihren Arm, undsie verschüttete die Hälfte der Flüssigkeit.Als sie aufschaute, blickte sie in das Gesichteines hochgewachsenen Gardesoldaten.

»Stell den Becher ab!« befahl er. »FürstKaron hat dir das Trinken verboten.«

Karon stand auf der anderen Seite der Ta-fel und musterte sie herausfordernd. UndZirrin neben ihm redete ohne sichtbare Re-gung auf ihn ein.

»Ein Irrtum«, vermutete die Sydorrierin.»Der Fürst kann nicht wollen, daß ich ver-durste, er …«

Der harte Griff des Soldaten zwang sie,den Becher loszulassen. Das restliche Naßschwappte über den Tischrand.

»Der Fürst verlangt, daß du Fürstin Ranivon Buragar zu ihm führst. Wie du dasschaffst, ist deine Sache, aber du wirst erstwieder Wasser trinken, wenn du den Auftragerledigt hast. – Hast du verstanden?«

Karon glaubte tatsächlich, sie für seineschmutzigen Ziele einspannen zu können,für die Befriedigung seiner niederen Bedürf-

nisse. Die dickwülstigen Lippen des Fürstenverzogen sich zu einem herausforderndenLachen.

Ausgerechnet Rani von Buragar. Ich bindes Todes, wenn ich es wage, die Fürstin inein Bassin zu locken, in dem Karon wartet.Obwohl – es gab einen Weg … Karon wußtegenau, warum er seine Sydor-Sklavin schi-kanierte.

Irgend etwas zerbrach in Deliga. Als hättesich ein Glühaal in ihren Eingeweiden fest-gebissen. Wie durch einen dichter werden-den Nebel hindurch nahm sie wahr, daß siehaltlos gegen den Tisch taumelte und mit ei-ner weit ausholenden Bewegung die Karaffezu Boden fegte.

Der Soldat wollte sie zurückhalten, dochsie stieß ihm einen der Splitter in den Leib –und in der gleichen Bewegung riß sie ihmden Thermostrahler vom Holster. Der Ma-gnetverschluß war leicht zu überwinden.

Du hast mich lange genug gequält, Ka-ron!

Mit beiden Händen, die Arme ausge-streckt, hielt sie die Waffe vor sich; das Ge-sicht des Fürsten schien über dem Lauf zutanzen; doch jäh explodierte es in grellenFlammenzungen.

Erneut berührten Deligas Finger den Aus-löser. Es war ganz leicht, sie empfand wederSkrupel noch Unbehagen dabei, lediglich ei-ne bisher nie gekannte Befriedigung. In derplötzlichen Stille ringsum waren ihre keu-chenden Atemzüge das einzige Geräusch.

Der Thermostrahler ruckte herum. Deligasah Zirrins erschrockenes Gesicht. Abweh-rend riß die Kanzlerin die Arme hoch, dochauch sie konnte ihrem Schicksal nicht ent-rinnen.

»Nie wieder«, keuchte Deliga, »nie wie-der wirst du mich quälen.«

Lähmendes Entsetzen lag über diesemBereich der Parklandschaft. Es verschaffteder Sydorrierin, die sich schluchzend herum-warf und floh, einen ausreichenden Vor-sprung.

»Sie hat Karon von Omgenoch getötet!«schrie jemand. »Laßt die Mörderin nicht ent-

48 Hubert Haensel

Page 49: Zug der Herrscher

kommen!«Fast gleichzeitig flammte ein Hologramm

hoch über der Festtafel auf. Das Bild desFerm-Kommandanten Ron-Er-Kan war auchin den anderen Bereichen der Parklandschaftin Überlebensgröße zu sehen.

»Höchste Alarmstufe für Borrengold!«tönte es überall. »Eine starke Rebellenflotteist in das Riffta-System eingedrungen. Siewird durch Kampfschiffe der Galaktiker ver-stärkt.«

10.

17. Fir – wenige Rou vor der Öffnung desOktodroms.

Tausend Regenbogenschiffe der Fermyydschirmten Borrengold und die im planeten-nahen Raum wartenden weniger gut bewaff-neten Schiffe ab. Alles war Routine. Ein-schläfernd.

Weit tasteten die Fernortungen in denOmgenoch-Oktanten hinaus. Schiffsbewe-gungen im Umkreis von fünfzig Lichtjahrenlösten Alarm aus, doch wurden nur Hama-mesch-Frachter eingepeilt, die dem Riffta-System zu nahe kamen.

Keine Spur von den Fremden, die in Hir-dobaan für Aufregung gesorgt hatten.

Doch urplötzlich Distanzalarm.Ein 200 Meter durchmessendes kugelför-

miges Raumschiff war innerhalb des Sperr-gürtels materialisiert. Mit hohen Beschleuni-gungswerten raste es Borrengold entgegen.

»Das sind Galaktiker!« rief Ron-Er-Kan.»Stoppen und aufbringen! Andernfalls ver-nichten!«

Die nächststehenden Regenbogen-Schiffestürzten sich auf den Eindringling. Sie eröff-neten das Feuer schon aus einer Distanz, ausder kaum Wirkungstreffer zu erzielen waren.

Der Eindringling aktivierte gestaffeltemehrdimensionale Schirmfelder. Das wardie einzige Reaktion.

Zehn Inx seit dem unverhofften Auftau-chen der Kugel. Mehrere Regenbogenschiffelagen jetzt auf Kollisionskurs. Ihr Sperrfeuerwurde heftiger. Ein Strukturriß entstand in

diesem Kontinuum; die Ortungsdaten verrie-ten dem Ferm-Kommandanten, daß die Waf-fenenergien über den Riß abgeleitet wurden,ohne das Schirmfeld nennenswert zu bela-sten.

Fünfzehn Inx … Noch keine weitere Or-tung. Ron-Er-Kan glaubte nicht, daß dieFremden so verrückt waren, sich mit nur ei-nem Schiff gegen eine Flotte von tausend zustellen. Obwohl …

»Hyperfunk-Kontakt!«Das schrecklich glatte Gesicht eines Ga-

laktikers erschien in der Wiedergabe. Ron-Er-Kan wußte bislang noch nicht, welcheMerkmale wichtig waren, damit man dieZweibeiner zuverlässig voneinander unter-scheiden konnte.

»Julian Tifflor an Bord der PERSEUS«,sagte der Fremde. »Ich empfehle dir, deineSchiffe zurückzuziehen.«

Der Fermyyd entblößte seine Reißzähne.Ein dumpfes Grollen drang aus seinem Sch-lund.

»Ich will nicht, daß Tausende von Fer-myyd sterben, nur weil ihr Kommandant un-einsichtig ist.«

»Schießt ihn ab!« fauchte Ron-Er-Kan.»Er darf keine Gelegenheit er …«

Das Wort blieb ihm im Rachen stekken.Masse- und Energieortung zeigten jäh einenanhaltenden hektischen Ausschlag. In diesenAugenblicken beendeten nicht nur einigewenige Raumschiffe ihren Hyperflug inner-halb des Sonnensystems. Den Daten nach zuurteilen waren es Hunderte, wahrscheinlichweit über tausend.

Ron-Er-Kan kannte kein Zaudern mehr.Nicht einer der Angreifer durfte nach Bor-rengold durchbrechen!

Er setzte eine Warnung an die Handels-fürsten ab; für mehr blieb keine Zeit. DieCrypers zeigten, daß sie nicht so lange zö-gerten wie die Galaktiker. Sie eröffneten oh-ne jede weitere Warnung das Feuer.

Und dann glaubte Ron-Er-Kan, daß dieHölle sich auftat, um ihn zu verschlingen.Die Ortungen zeigten wahnwitzige Werte.

Ein wahrhaft gigantisches Raumschiff ra-

Zug der Herrscher 49

Page 50: Zug der Herrscher

ste mit mehr als halber Lichtgeschwindig-keit dem zweiten Planeten entgegen. Mitseinen Ausmaßen übertraf es selbst Grenz-länderstationen. Ron-Er-Kan hatte von die-sem Giganten gehört, der bislang scheinbarbewegungsunfähig in einem AußenbereichHirdobaans gelegen hatte.

Kein noch so heftiges Abwehrfeuer würdediesen Koloß rechtzeitig stoppen können.Der Fermyyd begriff, daß tausend Regenbo-genschiffe allein niemals ausreichten, dieAngreifer zurückzuschlagen. Vielleicht wares ihm möglich, das Gros der Flotte einigeTage lang aufzuhalten; was danach kam,wagte er nicht zu denken.

»Möge der silberne Gott im Zentrum desUniversums uns gnädig gesonnen sein«, sag-te jemand in seiner Nähe laut.

»Halt den Mund!« fuhr Ron-Er-Kan ihnan. »Wir schaffen es, die Rebellen zurückzu-drängen, oder wir gehen kämpfend unter. –Ich hoffe auf Unterstützung aus ganz Hirdo-baan.«

Mit wahnwitzigen Beschleunigungswer-ten jagte Ron-Er-Kan das Flaggschiff zwi-schen die Reihen der Angreifer. Was inter-essierte es ihn, daß die Schirmfelder bis anden Rand des Zusammenbruchs belastetwurden? Energien zur Verstärkung der auf-tretenden Strukturrisse konnte er nicht ab-zweigen, die Geschützversorgung war wich-tiger.

Ein Raumer der Rebellen brach unter demkonzentrierten Feuer eines Regenbogen-schiffs auseinander. Während die Bugsekti-on über mehrere Achsen wirbelnd abdriftete,verglühte das Heck in einer heftigen Explo-sion. Nicht einmal die automatisch arbeiten-den Filter vermochten die grelle Lichtflutvon der Zentrale fernzuhalten. Gleich darauftauchte das Flaggschiff ein in die Ausläuferder verwehenden Glutwolke.

Schon weit entfernt raste der riesige, dis-kusförmige Koloß Borrengold entgegen.Niemand konnte dieses Schiff vernichten.

*

Nbltsgndpfrdbrms hatte sich mit derÜbertragung aus der Parkzone berieseln las-sen und dabei sogar flüchtig mit dem Ge-danken gespielt, sich Fürst Jeschdean vonJondoron zu greifen und ihn höchstpersön-lich zur Stornierung des Vertrags über dieKRRZBRNF zu zwingen. Aber so ver-lockend diese Vorstellung war, so gefährlichwar sie auch. Bremse war klar, daß er un-weigerlich sein Leben riskiert hätte; vermut-lich hätte er es nur mit Mühe geschafft, indie Nähe von Jeschdean vorzudringen.

Nach einiger Zeit entdeckte er ein vertrau-tes Gesicht: eine Sydorrierin – Deliga hießsie, wenn er sich recht entsann. Er erkanntesie, weil sie sich in Fürst Karons Nähe auf-hielt.

Mit Deliga hatte er sich verstanden; siebesaß mehr Geist und Intelligenz als eineHandvoll Hamamesch zusammen. Vor allemhatte sie eine Hilfsbereitschaft gezeigt, dieer sonst nirgendwo gefunden hatte, das aberkeineswegs nur deshalb, weil er ein Stuuhrwar. Deliga hatte sich schlicht und einfachebenfalls für die Geschichte der Residenz-welt Riau interessiert.

Sechs Zehner lag das inzwischen zurück.Bremse hatte sich damals längere Zeit aufRiau aufgehalten und war Hinweisen nach-gegangen, die ihn eigentlich zu Relikten sei-nes Volkes hätten führen sollen. Doch seineGrabungen waren vergebens gewesen, under hatte Riau um eine Enttäuschung reicherwieder verlassen.

Nebenbei entsann er sich, daß er der Sy-dorrierin versprochen hatte, mit ihr Kontaktzu halten. Weil er weiterhin beabsichtigte,auf archäologischen Spuren zu wandeln.

Und jetzt … War das noch die sanftmüti-ge Deliga, die er kennengelernt hatte, jeneSklavin, die lieber ihre letzten Loo geopferthätte, als andere leiden zu sehen? Kraftvollstieß sie dem neben ihr stehenden Gardesol-daten den unterarmlangen Splitter einer zer-brochenen Kristallkaraffe in den Leib undriß dessen Thermostrahler an sich.

Zeig's ihnen! dachte Bremse intensiv.Bring die vollgefressenen Kerle auf Trab!

50 Hubert Haensel

Page 51: Zug der Herrscher

Fürst Karon von Omgenoch starb schnell,vermutlich ohne zu begreifen, wie ihm ge-schah. Der Thermostrahl brannte sein halbesGesicht weg – und schon zielte Deliga aufZirrin. Die Robotkamera erfaßte das Ge-schehen in allen Details. Die Kanzlerin rißabwehrend die Arme hoch, ihr Gesicht spie-gelte Panik wider. Umsonst.

Dafür werden sie dich umbringen, Deli-ga. Du kannst der Rache der Hamameschnicht entkommen.

Die Sydorrierin warf sich herum, stießzwei völlig schockierte Diener zur Seite undschlug einem dritten den Strahler an denSchädel. Hinter ihr wich das Entsetzen lau-tem Gebrüll – aber unvermittelt wurden alleHologramme vom Abbild eines Fermyydüberlagert.

Eine starke Rebellenflotte und Schiffe derGalaktiker näherten sich! Das hatte ja kom-men müssen. Der Stuuhr ahnte, was das be-deutete – er hatte die Entschlossenheit einesRonald Tekener kennengelernt. Wo sonstbot sich Gelegenheit, aller Handelsfürstenund vielleicht sogar einiger Maschtaren hab-haft zu werden, wenn nicht auf Borrengold?

Das waren ketzerische Gedanken, aberNbltsgndpfrdbrms dachte sie gerne. Er hattenichts zu verlieren, andere Völker ebenso-wenig. Die einzigen, die ihre Macht einbü-ßen würden, waren die Hamamesch.

Die Bildwiedergabe wechselte erneut. Tu-multartige Szenen spielten sich rund um dieFesttafel ab; vergeblich versuchten beson-ders beherzte Hamamesch und Sydorrier, dieRuhe wiederherzustellen. Vor allem die Om-genoch-Abgesandten machten gegen dieSklavin Front.

Deliga floh zu den Unterkünften. MitSchüssen dicht über die Menge hinwegdrängte sie die Verfolger zurück.

Bremse hielt es nicht mehr an seinemPlatz. Keiner der Gaffer neben und hinterihm begriff, weshalb der Stuuhr plötzlichherumwirbelte und seine Fäuste schwang.Wer das Glück hatte, dem schmerzhaftenWirbelsturm zu entrinnen, fragte auch nichtlange nach dem Warum. Hauptsache, der

Prospektor kam nicht zurück.Im Laufe des Tages war das Schneetrei-

ben dichter geworden, inzwischen tobte derBlizzard über die Ebene mit dem Oktogon.Eiskörner peitschten Bremse entgegen,Schnee und Eis hatten sich fast kniehoch an-gesammelt, doch in den ungeschützten Be-reichen, in denen der Sturm anpacken konn-te, war das Gelände glattgefegt.

Düster und drohend, schier unüberschau-bar, ragte das Oktogon auf, schlaglichtartigvon Blitzen erhellt.

Bremse glaubte erkannt zu haben, daßDeliga in einen Bereich geflohen war, derseinem Standort nahe lag. Wenn es eineMöglichkeit gab, ihr zu helfen, dann würdeer sie ausnutzen.

Sein Blick wanderte zum Firmament em-por. Bald, davon war er überzeugt, würdendie ersten Rebellenschiffe über Borrengolderscheinen. Und mit ihnen die Galaktiker.Vielleicht sollte er versuchen, mit den Frem-den in deren Heimatgalaxis zu reisen. 118Millionen Lichtjahre – eine unvorstellbareEntfernung, dazu Raum für Abenteuer unddie Jagd nach Reichtum.

Mit einem heftigen Kopfschüttelnscheuchte er alle diese Gedanken beiseite.Suchend blickte er die endlos anmutendeFront des Oktogons entlang.

Täuschte er sich, oder zeichnete sich eini-ge hundert Meter voraus tatsächlich ein fahlerleuchtetes Viereck ab? Bremse begann zurennen, die eisige Kälte spürte er schon nichtmehr.

Ein Strahlschuß zuckte auf, vermischtesich mit dem irrlichternden Flackern einesBlitzes. Deliga hatte auf ihre Verfolger ge-schossen, sie aber verfehlt. Mehrere Solda-ten waren hinter ihr her, sie holten sichtlichauf. Dem Sturm hatten sie größere Kräfteentgegenzusetzen als die vergleichsweiseschlanke Sklavin.

Unvermittelt änderte die Sydorrierin dieRichtung. Offenbar suchte sie nur denWindschatten und hatte den Stuuhr nochnicht bemerkt, erst kurz darauf schlug sieeinen neuen Haken. Ihr Thermostrahler ziel-

Zug der Herrscher 51

Page 52: Zug der Herrscher

te auf Bremse; auf die kurze Distanz vonzwanzig Schritten konnte sie ihn kaum ver-fehlen.

»Deliga!« rief der Prospektor.»Verdammt, laß das!«

Er sah sie zusammenzucken. Hatte sie ihnerkannt? Immerhin hetzte sie weiter auf ihnzu.

»Nbltsgndpfrdbrms …« Sie war die einzi-ge, die sich Mühe gab, seinen Namen richtigauszusprechen. Ihre großen ausdrucksvollenAugen blickten ihn hilfesuchend an.

»Ich weiß, was geschehen ist!« rief er ihrentgegen.

Bevor Deliga begriff, was geschah, hatteBremse sie gepackt und zu Boden geschleu-dert. Mit einer Hand entriß er ihr den Ther-mostrahler.

Die Hamamesch kamen heran.»Sehr gut, Stuuhr«, lobte einer der Solda-

ten. »Die Mörderin wird ihre Strafe erhal-ten.«

»Natürlich verhelfe ich der Gerechtigkeitzum Sieg«, sagte Bremse. Er reichte demHamamesch die Waffe, aber dann ging allesblitzschnell.

Als das Fischgesicht Zugriff, rammteNbltsgndpfrdbrms ihm den Strahler in denLeib, gleichzeitig wirbelte er herum undschoß. Die beiden anderen Soldaten hattenkaum eine Chance; verletzt gingen sie zuBoden.

»Worauf wartest du?« herrschte Bremsedie Sydorrierin an. »Hau endlich ab!«

»Danke, Nbltsgndpfrdbrms.« Deliga ha-stete weiter, hinüber zu den Hangars, dierund um das Oktogon verteilt waren. Insge-samt fünfzig sogenannte Borrengleiter gabes, auf Prallfeldern schwebende, große Bo-dengleiter mit Platz für jeweils zwanzig Pas-sagiere. Sie hatten nur einen Fehler: Sie wa-ren unbewaffnet.

Bremse wußte, daß die Sydorrierin des-halb noch lange nicht in Sicherheit war. IhrFlug würde zweifellos registriert werden.

Wo blieben die Rebellenschiffe und dieGalaktiker? Hatten sie in den Fermyydüberlegene Gegner gefunden?

Den Strahler schleuderte der Stuuhr inweitem Bogen von sich. Ohne darüber nach-zudenken, was er tat, hastete er zum Okto-gon hinüber. Der Zugang, durch den dieSklavin geflohen war, stand noch offen.

Niemand stellte sich ihm in den Weg, alser in den äußeren Bereich eindrang. Viel-leicht konnte er gute Beute machen, ohnedaß man ihn in dem herrschenden Durchein-ander behinderte. Er war kein Dieb, aber erwar der Meinung, daß die Hamamesch ihmeiniges schuldeten.

Zurückblickend sah er einen Borrengleiterim Schneesturm verschwinden. Deliga flohnach Osten. Sie hatte es gerade noch ge-schafft, denn unmittelbar hinter ihr bautesich ein Schutzschirm über dem Oktogonund den angrenzenden Gebäuden auf. Damitwar klar, daß die Angreifer jeden Momentüber dem Kontinent erscheinen würden.

Bremse hastete weiter. Zwischen den Un-terkünften der Hamamesch und der Parkzo-ne stieß er auf einen Aufenthaltstrakt. Immernoch wurde das Geschehen im Oktogon inalle Bereiche übertragen.

Der Stuuhr verhielt seine Schritte, als ersah, daß das Oktodrom sich öffnete.

*

6. Oktober 1220 NGZ, 23 Uhr Standard-zeit.

Alles verlief nach Plan.Die ersten Schiffe der Crypers hatten den

Sperriegel der Fermyyd überwunden und nä-herten sich mit hoher Beschleunigung Bor-rengold. Hinter ihnen brannte der Weltraum.Lichtschnelle Thermostrahlen und Desinte-grator-Schüsse woben ein flirrendes Netz,dazwischen blähten sich Transformexplosio-nen wie neue Sonnen auf. Eine riesige Mate-rialschlacht Ungewissen Ausgangs hatte be-gonnen.

Mit dem Eintreffen der BASIS begann derAngriff auf Borrengold. Abgesehen von denRegenbogenschiffen der Fermyyd waren dieFrachter der Hamamesch im Planetenorbitkaum ernstzunehmende Gegner.

52 Hubert Haensel

Page 53: Zug der Herrscher

Julian Tifflor ignorierte die dickbauchigenPötte, als er mit der PERSEUS und zehn mitBodentruppen, darunter Arlo Rutans Ertru-sern, besetzten Korvetten auf geradem Flugdie Südhalbkugel Borrengolds anflog. Ver-einzelte Strahltreffer und Torpedoexplosio-nen konnten dem Paratronschirm nichts an-haben.

»Arlo Rutan fragt an, ob er Gefangenemachen soll«, meldete der Funker der PER-SEUS.

Tifflors Miene entgleiste prompt. »Gibdem Holzhacker zur Antwort …«

»Wem?«»Sag Rutan, daß ich für solche Spaße mo-

mentan nicht den Nerv habe. Er weiß hof-fentlich, was zu tun ist.«

Die Ortungen registrierten den Aufbau ei-nes Schirmfeldes über dem Oktogon.

»Veraltetes Modell«, lachte jemand.»Einige Impulssalven dürften genügen, dieProjektoren zu überlasten.«

Die PERSEUS tauchte in die äußere At-mosphäre ein – ein fallender Komet, dereinen gigantischen Feuerschweif hinter sichherzog. Die Korvetten folgten in langge-streckter Front, nur noch knapp zwanzig Se-kundenkilometer schnell. Dennoch würdeeine Druckwelle mit Orkanstärke über dieOzeane peitschen. Augenzeugen auf der Pla-netenoberfläche mußten den Eindruck ge-winnen, als zerplatze ein Komet.

Der Geschützturm im Zentrum des Okto-gons feuerte auf die PERSEUS. Die Strahl-bahnen wühlten zusätzlich die Atmosphäreauf, mehr nicht.

»Wenn die Hamamesch nichts anderes zubieten haben …«

Ziel der Landetruppen war es, das Okto-gon im Handstreich zu nehmen und die ver-sammelten Handelsfürsten gefangenzuset-zen. Nicht nur Julian Tifflor hoffte, bei demBlitzangriff auch den einen oder anderenMaschtaren dingfest zu machen.

Die Impulssalven der Kugelraumer ließendas Schirmfeld lodern.

»Leistungsabfall«, meldete die Ortung.»Die ersten Strukturrisse entstehen.«

*

Den Zusammenbruch des Schutzschirmesquittierten die Handelsfürsten und ihr Gefol-ge mit zunehmendem Entsetzen. Die Festge-sellschaft, der angesichts des kaltblütigenMordes an Karon von Omgenoch und seinerKanzlerin ohnehin das Feiern vergangenwar, begann sich aufzulösen. Jeder schiensich plötzlich in seinem eigenen Bereich amwohlsten zu fühlen.

Auf die Außenflächen des Oktodromswurden optische Sequenzen projiziert. Siezeigten Schiffe der Galaktiker hoch überStaama, doch unverkennbar im Landeanflugbegriffen. Den Beschuß hatten sie mit demZusammenbruch des Schirmfeldes einge-stellt.

Während die Kugelraumer langsam tiefersanken, öffnete sich das Oktodrom. Die auf-geregten Stimmen verstummten. Atemlose,beinahe andächtige Stille trat ein.

Und dann erschienen sie – alle neunMaschtaren, die Beauftragten des göttlichenGomasch Endredde. Selbst Bremse, der aufHamamesch nicht gut zu sprechen war,konnte sich einem ehrfürchtigen Staunennicht entziehen.

Die Maschtaren waren schlanker als Ha-mamesch und wirkten asketischer, das deut-lichste Unterscheidungsmerkmal aber warendie gelben Fleckenmale rund um ihre Au-gen. In der Wiedergabe schwenkte die Optikauf jeden von ihnen. Der Stuuhr konnte kei-ne Regung in den Gesichtern erkennen.

Jeder Maschtar wurde von drei Roboternflankiert, die auf Antigravkissen mehrereHandbreit über dem Boden schwebten. Dieannähernd zapfenförmigen Maschinen inden Farben Silber, Blau und Rost besaßenweder sichtbare Gliedmaßen noch Bewaff-nung.

Verborgene Lautsprecheranlagen übertru-gen die Stimmen der Maschtaren in alle Be-reiche des Oktogons.

»Willkommen auf Borrengold zum Zugder Herrscher. Die kleine Unpäßlichkeit

Zug der Herrscher 53

Page 54: Zug der Herrscher

sollte uns nicht über Gebühr beunruhigen…«

»Die Galaktiker werden in wenigen Rouneben dem Oktogon landen!« rief einer derFürsten dazwischen.

Der Sprecher der Maschtaren breitete be-ruhigend die Arme aus. Mit keiner Mieneließ er erkennen, daß ihn der Zwischenrufärgerte.

»Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Wirfordern alle Anwesenden auf, die Ruhe zubewahren und das Oktogon nicht zu verlas-sen. Hoffentlich zweifelt niemand daran,daß wir für aller Sicherheit sorgen können.«

Keiner wußte das jäh einsetzende dumpfeBrummen einzuschätzen, aber die Erschütte-rung des Bodens schien auf einen neuen An-griff hinzudeuten. Obwohl die Bildwieder-gabe nach wie vor nur die in höchstens fünf-zig Kilometern Höhe verharrenden Kugel-raumer zeigte.

Vor den Augen der überraschten Handels-fürsten begann sich die Parklandschaft zuverändern. Auf den Grenzen zwischen deneinzelnen Oktanten hob sich der Boden.Acht monströse Geschütztürme, jeder gutzweihundert Meter durchmessend, schobensich aus dem Untergrund empor.

Deckensegmente glitten zurück und er-laubten vorübergehend einen fast ungehin-derten Blick in den Himmel. Zu sehen war,daß sich ein neuer Schutzschirm über dasOktogon spannte.

Aus den Reaktionen der Hamameschglaubte Bremse zu erkennen, daß nicht ein-mal die Handelsfürsten von der verborgenenAnlage gewußt hatten.

Die Geschütztürme begannen zu feuern.Und die Galaktiker erwiderten den Beschuß.

Einer der Maschtaren – Bremse erkannteMorran XI. – beugte sich neben der inzwi-schen aufgelösten Festtafel über Karon vonOmgenoch. »Was ist geschehen?« dröhnteseine Stimme unverändert laut.

Wußte er es wirklich nicht? Bremse fragtesich, wo die Maschtaren bis eben gewesenwaren. Er fand keine zufriedenstellende Ant-wort.

Morran wurde schnell informiert – undschwor, daß er die Sydorrierin bestrafenwürde. Zusammen mit seinem robotischen»Dreigestirn« verließ er das Oktogon. Erstjetzt bemerkte Bremse, daß der neu aufge-baute Schutzschirm auch die Nebengebäudeumfaßte.

Maschtar Morran nahm die VerfolgungDeligas ebenfalls mit einem Borrengleiterauf. Bremses Hoffnung, daß die angreifen-den Galaktiker ihn irgendwie daran hindernwürden, erfüllte sich nicht. Die Fremden inden Kugelraumern schienen plötzlich genugeigene Sorgen zu haben.

Der Abendhimmel über Staama war zurFeuerhölle geworden. Überall auf dem Kon-tinent jagten mächtige Geschützstellungenden Angreifern tödliche Energien entgegen.

*

Julian Tifflor hatte nicht geglaubt, daß esso leicht sein würde, die Schirmfeldprojek-toren rings um den Versammlungsort derHandelsfürsten durch Überlastung zu zerstö-ren. Alles andere war danach ein Kinder-spiel.

Nur noch von Antigravfeldern getragen,sanken die PERSEUS und die Korvettentiefer.

Unvermittelt sprachen die Energieortun-gen an. Zugleich löste die HauptsyntronikAlarm aus.

»Was ist los da unten?« kam es über Funkvon einer der Korvetten.

Auf dem Kontinent waren leistungsstarkeKonverter angesprungen. In die Wiedergabeauf dem Hauptschirm wurden die Umrissevon Staama eingeblendet, blinkende Markie-rungen standen für jede Energieortung.

500 Ortungen – Julian Tifflor glaubte, derZahl nicht trauen zu dürfen.

Aber weitere Daten folgten.»Das sind Geschütztürme«, seufzte je-

mand. »Bis zu vierhundert Meter hoch, ander Basis dreihundert Meter durchmessend.Gewaltige Dinger mit schweren Thermo-und Desintegratorwerfern.«

54 Hubert Haensel

Page 55: Zug der Herrscher

An eine Landung war nicht mehr zu denken.Die Atmosphäre über Staama schien zu ko-chen, als die ersten Salven in die Paratron-schirme einschlugen und abgeleitet wurden.

»Das Feuer erwidern!« befahl Tifflor.Ihm stand eine zweite Überraschung be-

vor. Die Geschütztürme hatten sich in nahe-zu undurchdringliche Schutzschirme gehüllt– zumindest schwer zu überwinden für Im-pulsgeschütze. Und die Transformkanoneneinzusetzen verbot sich von selbst – nie-mand wollte den Kontinent in eine glühendeLavawüste verwandeln.

Immer mehr Geschützstellungen feuertenauf die PERSEUS und ihre Begleitschiffe.Der Feuerorkan drohte die Luft über demKontinent aufzuheizen.

Auch die BASIS, die inzwischen im OrbitPosition bezogen hatte, wurde angegriffen.Über Borrengold verteilt verwandelten wei-tere tausend Geschütztürme den Planeten ineine Festung, an der sich jeder Angreifer dieZähne ausbeißen mußte.

»Wir haben uns gründlich verkalkuliert«,kommentierte Arlo Rutan. »Ich versuchetrotzdem eine Landung.«

Als seine Korvette aus dem Verband aus-scherte, wurde sie zum lodernden Feuerball.Für Sekundenbruchteile sah es so aus, alswürde sie sich wie eine Nova aufblähen …

E N D E

Auch der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche wurde von Hubert Haensel ge-schrieben; er schildert die nächste Runde in der Auseinandersetzung zwischen Galaktikernund Crypers auf der einen und Hamamesch und Fermyyd auf der anderen Seite.

Dabei zeigt sich recht schnell, daß die Maschtaren manches As im Ärmel haben, mit demniemand rechnen konnte … Der Titel des Romans lautet:

ENTSCHEIDUNG AUF BORRENGOLD

Zug der Herrscher 55

Page 56: Zug der Herrscher

Computer: Der Tod der Sterne

Unsere Sonne brauchte einige Millionen Jahre, umaus einer interstellaren Gaswolke zu einem Stern zukontrahieren. Ihre Lebensdauer beträgt etwa zehnMilliarden Jahre, von denen bisher rund 4,5 MilliardenJahre vergangen sind. In etwa 5,5 Milliarden Jahrenwird ihr Wasserstoffvorrat erschöpft sein. Dann wirdsie zu einem Roten Riesen. Sie wird dann wahr-scheinlich für mehrere Millionen Jahre ein Roter Rieseoder gar ein Überriese sein. Man sieht an diesen Zah-len, daß die Zeitskala der Sternenentwicklung sehrlang ist. Die volkstümliche Meinung, daß die Sonneeines Tages die Erde verschlingt, ist richtig. Wenn siesich am Ende ihrer jetzigen, der uns bekannten Form,zu einem Roten Riesen ausdehnt, wird sie die Erdemit ihren äußeren Schichten regelrecht verschlingen.Zuvor wird aber die gewaltige Leuchtkraft alles organi-sche Leben zerstören.

Es gibt viele Unsicherheiten in der Theorie der Ster-nenentwicklung. Der Tod der Sterne, ihr endgültigesAus, ist nicht das kleinste Problem, mit dem sich dieWissenschaft befaßt. Sehr massereiche Sterne ster-ben wahrscheinlich gewaltsam in einer Supernovaex-plosion. Nach vielen Stadien des nuklearen Brennenswird der Kern instabil und bricht zusammen. Die äu-ßeren Schichten explodieren, es erfolgt ein plötzlicherund gigantischer Energieausbruch. Oft überstrahlt ei-ne Supernova für mehrere Tage die Leuchtkraft derganzen Galaxie, zu der sie gehört. Neutronen, diebeim Zerfall des Kerns entstehen, dringen nach au-ßen und können schwerere Elemente aufbauen. Dieäußeren Gasschichten werden weggeschleudert undbilden einen Supernovaüberrest, der für etwa 10.000oder mehr Jahre strahlt und Radiowellen aussendet.Der Kern bricht zusammen und kann zu einem ande-ren Überrest, einem Neutronenstern, werden. Ein sol-ches Objekt, das hauptsächlich aus Neutronen be-steht, besitzt einen charakteristischen Radius von(nur!) zehn Kilometern und weist eine unvorstellbareDichte auf. Ein Würfel davon, ein Kubikzentimeter,wiegt über zehn Millionen Tonnen! Der Neutronen-stern rotiert sehr schnell und kann als Radiopulsar be-obachtet werden. Es ist auch möglich, daß der Über-rest ein Schwarzes Loch wird, doch darüber weißman nichts Genaues.

Eine Supernova ist ein seltenes Ereignis. In unsererGalaxis leuchtet nur etwa alle 50 Jahre eine Superno-va auf. Daraus kann man schließen, daß die meistenSterne anders und friedlicher sterben. Für viele ist daswahrscheinliche Ende das eines Weißen Zwergs.Wenn das Kernbrennen aufgehört hat, ziehen sich dieReste zusammen und strahlen fortan ihre Wärme-energie ab. Ein typischer Weißer Zwerg hat etwa dieGröße der Erde, aber eine große Dichte. Der oben er-wähnte Würfel wiegt dann immerhin eine Tonne. DieMaterie ist dann schon entartet. Und die Oberflächen-temperatur beträgt 10.000 Grad. Sirius B, der nichtmit dem bloßen Auge sichtbare Begleiter des Sirius,ist ein solcher Stern. Es gibt eine Maximalmasse, dieein Weißer Zwerg haben darf. Wäre diese Masse grö-ßer, so würde aus ihm ein Neutronenstern oder gar

ein Schwarzes Loch. Diese kritische Masse beträgtetwa das 1,4fache der Masse unserer Sonne, so daßderen »endgültiges Ende« nicht das eines Neutronen-sterns sein kann. Für Sterne mit einer größeren Mas-se kann man das aber nicht einfach schlußfolgern,denn man weiß, daß viele Sterne während ihres Le-bens Masse verlieren. Rote Riesen geben Massedurch Sternwinde ab. Der Strahlungsdruck aus demInneren eines Sterns bläst beständig Bestandteile deräußeren Schichten ins All. Mirasterne und langperi-odische Veränderliche geben wahrscheinlich nach je-der Pulsation Masse ab. Es gibt auch eine Instabilitätbei Sternen, bei der eine Schale, die beträchtlicheMassemengen enthält, abgeschleudert wird. Dabeiwerden die tieferen Schichten freigelegt, und es bil-den sich Planetarische Nebel. Ein solcher Planetari-scher Nebel besteht aus einem sehr heißen Zentral-stern und einer kühleren, expandierenden Hülle. Mög-licherweise verschwindet die Hülle irgendwann ganz.Und der Zentralstem ist dann so abgekühlt, daß er einWeißer Zwerg werden kann. Auf diese Weise könntenSterne mit einer größeren Masse, als es die kritischeMasse von 1,4 Sonnenmassen ist, auf friedliche Wei-se sterben.

Zusammenfassend kann man sagen, daß vieletheoretische Gesichtspunkte der Sternenentwicklungihre Bestätigung durch Beobachtung gefunden haben.Trotzdem gibt es noch viele Unsicherheiten in denTheorien. Man weiß, daß mehrere Faktoren eine Rol-le spielen. Diese sind neben der Masse eines Sternsdie Rotation, die Magnetfelder, die Durchmischungder Elemente und die Masseverluste.

56 Hubert Haensel