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Zürcher Festspiele 12.06.14 / Nr. 133 / Seite 74 / Teil 01 NZZ AG Zuhören ver- ändert Luigi Nonos Nachlass ist aufgearbeitet und in einem professio- nell betriebenen Archiv zugänglich. Dafür sorgt Nuria Schoen- berg Nono, die Tochter von Arnold und Gertrud Schoenberg Kolisch und Ehefrau des 1990 verstorbenen Komponisten. Zu Besuch im Archiv auf der Giudecca, der unscheinbarsten Inselgruppe Venedigs. Von Corinne Holtz Inzwischen ist es angesagt, auf der Giudecca zu wohnen. Die Kreativwirtschaft hält Einzug im Viertel der kleinen Leute. Wo einst Schiffswerften, Handwerksbetriebe und Fabriken brummten, ist es heute still. Stattdessen wurden Häuser renoviert, Kirchen profanisiert, Wohnungen eingerichtet. Man trifft am Quai mit Blick auf den Giudecca-Ka- nal Menschen, die Zeit haben. Flaneure beobach- ten das An- und Ablegen der Vaporetti, Einheimi- sche halten einen Schwatz, ein Filmteam baut seine Gerätschaft auf. Bis heute finden sich in der ersten Reihe, gegenüber den Zattere gelegen, Fisch- handlung, Metzgerei und Bäckerei. Auch Früchte und Gemüse werden mit mediterranem Gespür für Inszenierung feilgeboten. Ein paar Schritte davon entfernt, im Palazzo Foscari, ist seit 1993 das Archi- vio Luigi Nono zu finden. Es beherbergt den Nach- lass des Komponisten (darunter 22 000 Seiten Mu- sikmanuskripte und die Bibliothek mit über 13 000 Büchern) und ist dank sorgfältiger Katalogisierung zu einem Forschungszentrum von internationaler Bedeutung geworden. Heute kehrt die Besucherin der Wasserfront den Rücken, um das Archiv zu erreichen, und biegt in die Calle del Pistor ab. Die Mieten sind auch auf der Giudecca in die Höhe geschnellt, Archiv und Stiftung befinden sich seit 2006 im Innern der Insel. Die enge Gasse führt zum Campo San Cos- mo und schliesslich an ein vergittertes Tor, durch das man zum Kreuzgang des gleichnamigen Klos- ters gelangt. Es wird dunkler, die Schritte hallen, das Ohr ortet ein Deckengewölbe. Jedes Wispern wird vergrössert, jedes Wort ist Klang. Das passt zu Luigi Nonos Musikauffassung, die auf dem Leben im Stadtraum Venedig gründet. In den engen Gas- sen, die unvermittelt auf eine grosszügige Piazza führen; im Wettbewerb der Glocken, die in den unterschiedlichsten Stimmungen und Rhythmen konzertieren; in der Basilika San Marco, wo zuerst Aufführungen und später die Erforschung der mehrchörigen Musik für diesen Raum richtungs- weisend für Luigi Nono werden sollten. Dann steht man vor dem Eingang zum Archiv des unbekann- testen venezianischen Komponisten, das in der grandiosen «Sala delle Colonne» des Klosters untergebracht ist. Luigi Nono? Der Name sage ihm nichts, meinte der junge Mann an der Rezeption des Hotels, Vivaldi sei doch hier gewesen. Hoffnung Die Anekdote führt ins Herz des Vermittlungsauf- trags, dem sich Nuria Schoenberg Nono (die 1932 geborene Präsidentin von Archiv und Stiftung) verschrieben hat. Sie empfängt eben nicht nur For- schende, interessierte Laien und Theaterleute, son- dern regelmässig auch Schulklassen, und beginnt den Rundgang jeweils bei der Fotowand am Ein- gang. Luigi Nono im Gespräch mit Giorgio Napoli- tano, ehemaliger Mitstreiter der Kommunistischen Partei Italiens, Musikliebhaber und «einer der letz- ten kultivierten Politiker», wie sie betont. Der Fotograf blitzte in einer Loge des Teatro della Scala in Mailand, wo 1975 die Uraufführung des Musik- theaters «Al gran sole carico d’amore» stattfand. «Dass Nono Kommunist war, ist oft das einzige, was junge Menschen über ihn wissen», so seine Sachwalterin. Sie aber rät: «Forget politics. Denkt nicht an dieses Wort, denkt an menschliches Lei- den. Das ist es, was Nono ausdrücken wollte.» Das Leiden der Menschen in Diktaturen, in Berg- werken, in Fabriken, das jedoch am Ende seiner Werke stets aufgehoben werde durch die «Hoff- nung». Überraschend für Menschen, die Nono als linken Ideologen beschwören. Gegen die Instru- mentalisierung seiner Musik begann sich Nono in den 1980er Jahren aufzulehnen: Sein Werk würde allzu schematisch-ideologisch verstanden, seine musiksprachlichen Anliegen seien unterbewertet. Ist es angesichts wachsender Ungleichheit naiv, von «Hoffnung» zu sprechen? «Es sieht schlimm aus. Aber ich habe Hoffnung, wenn ich jeweils die ernsthafte Begeisterung junger Menschen nach einem Nachmittag im Archiv zu spüren bekomme. Sie haben etwas Wesentliches verstanden.»

Zuhören ver- ändert - Corinne Holtz · 2015. 2. 2. · Venedigs. V on Corinne Holtz Inzwischen ist es angesagt, auf der Giudecca zu wohnen. Die Kr eativwirtschaft hält Einzug im

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Page 1: Zuhören ver- ändert - Corinne Holtz · 2015. 2. 2. · Venedigs. V on Corinne Holtz Inzwischen ist es angesagt, auf der Giudecca zu wohnen. Die Kr eativwirtschaft hält Einzug im

Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

Seite 21

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Zuhören ver-ändertLuigi Nonos Nachlass ist aufgearbeitet und in einem professio-nell betriebenen Archiv zugänglich. Dafür sorgt Nuria Schoen-berg Nono, die Tochter von Arnold und Gertrud SchoenbergKolisch und Ehefrau des 1990 verstorbenen Komponisten. ZuBesuchim Archiv auf der Giudecca, der unscheinbarsten InselgruppeVenedigs. Von Corinne Holtz

Inzwischen ist es angesagt, auf der Giudecca zuwohnen. Die Kreativwirtschaft hält Einzug imViertel der kleinen Leute. Wo einst Schiffswerften,Handwerksbetriebe und Fabriken brummten, ist esheute still. Stattdessen wurden Häuser renoviert,Kirchen profanisiert, Wohnungen eingerichtet.Man trifft am Quai mit Blick auf den Giudecca-Ka-nal Menschen, die Zeit haben. Flaneure beobach-ten das An- und Ablegen der Vaporetti, Einheimi-sche halten einen Schwatz, ein Filmteam baut seineGerätschaft auf. Bis heute finden sich in der erstenReihe, gegenüber den Zattere gelegen, Fisch-handlung, Metzgerei und Bäckerei. Auch Früchteund Gemüse werden mit mediterranem Gespür fürInszenierung feilgeboten. Ein paar Schritte davonentfernt, im Palazzo Foscari, ist seit 1993 das Archi-vio Luigi Nono zu finden. Es beherbergt den Nach-lass des Komponisten (darunter 22 000 Seiten Mu-sikmanuskripte und die Bibliothek mit über 13 000Büchern) und ist dank sorgfältiger Katalogisierungzu einem Forschungszentrum von internationalerBedeutung geworden.

Heute kehrt die Besucherin der Wasserfrontden Rücken, um das Archiv zu erreichen, und biegtin die Calle del Pistor ab. Die Mieten sind auch aufder Giudecca in die Höhe geschnellt, Archiv undStiftung befinden sich seit 2006 im Innern derInsel. Die enge Gasse führt zum Campo San Cos-mo und schliesslich an ein vergittertes Tor, durchdas man zum Kreuzgang des gleichnamigen Klos-ters gelangt. Es wird dunkler, die Schritte hallen,das Ohr ortet ein Deckengewölbe. Jedes Wispernwird vergrössert, jedes Wort ist Klang. Das passt zuLuigi Nonos Musikauffassung, die auf dem Lebenim Stadtraum Venedig gründet. In den engen Gas-sen, die unvermittelt auf eine grosszügige Piazzaführen; im Wettbewerb der Glocken, die in denunterschiedlichsten Stimmungen und Rhythmenkonzertieren; in der Basilika San Marco, wo zuerstAufführungen und später die Erforschung dermehrchörigen Musik für diesen Raum richtungs-weisend für Luigi Nono werden sollten. Dann stehtman vor dem Eingang zum Archiv des unbekann-

testen venezianischen Komponisten, das in dergrandiosen «Sala delle Colonne» des Klostersuntergebracht ist. Luigi Nono? Der Name sage ihmnichts, meinte der junge Mann an der Rezeptiondes Hotels, Vivaldi sei doch hier gewesen.

HoffnungDie Anekdote führt ins Herz des Vermittlungsauf-trags, dem sich Nuria Schoenberg Nono (die 1932geborene Präsidentin von Archiv und Stiftung)verschrieben hat. Sie empfängt eben nicht nur For-schende, interessierte Laien und Theaterleute, son-dern regelmässig auch Schulklassen, und beginntden Rundgang jeweils bei der Fotowand am Ein-gang. Luigi Nono im Gespräch mit Giorgio Napoli-tano, ehemaliger Mitstreiter der KommunistischenPartei Italiens, Musikliebhaber und «einer der letz-ten kultivierten Politiker», wie sie betont. DerFotograf blitzte in einer Loge des Teatro della Scalain Mailand, wo 1975 die Uraufführung des Musik-theaters «Al gran sole carico d’amore» stattfand.«Dass Nono Kommunist war, ist oft das einzige,was junge Menschen über ihn wissen», so seineSachwalterin. Sie aber rät: «Forget politics. Denktnicht an dieses Wort, denkt an menschliches Lei-den. Das ist es, was Nono ausdrücken wollte.» DasLeiden der Menschen in Diktaturen, in Berg-werken, in Fabriken, das jedoch am Ende seinerWerke stets aufgehoben werde durch die «Hoff-nung». Überraschend für Menschen, die Nono alslinken Ideologen beschwören. Gegen die Instru-mentalisierung seiner Musik begann sich Nono inden 1980er Jahren aufzulehnen: Sein Werk würdeallzu schematisch-ideologisch verstanden, seinemusiksprachlichen Anliegen seien unterbewertet.

Ist es angesichts wachsender Ungleichheit naiv,von «Hoffnung» zu sprechen? «Es sieht schlimmaus. Aber ich habe Hoffnung, wenn ich jeweils dieernsthafte Begeisterung junger Menschen nacheinem Nachmittag im Archiv zu spüren bekomme.Sie haben etwas Wesentliches verstanden.»

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Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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Der Funke zündetFotografien erlauben, rasch in eine fremde Welteinzutauchen. Nono vor einer Wandtafel, Motiv-skizzen erklärend. Nono am Arbeitstisch mit Ent-würfen von Partituren. Er blieb über die Jahr-zehnte ein feingliedriger, schöner Mann. Ein paarSchritte weiter, am Anfang des Rundgangs durchdie in die Halle integrierte Ausstellung, bleibt derBlick an einem unerwarteten Dokument hängen.Eine dunkelhaarige junge Frau, diskret geschminktund sorgfältig gekleidet, saugt an einer Pfeife, dienicht richtig ziehen will. Die andere Hälfte derFoto, 1951 in «The Detroit News» erschienen, istabgeschnitten. Darauf zündet ein zigarettenrau-chender Galan seiner Dame ein Streichholz an.«Ich habe Zigaretten verachtet und das Aromaeiner eingerauchten Pfeife gemocht. Das ist langeher.» Nuria Schoenberg studierte in der Zeit, ausder die Fotografie stammt, an der Universitiy ofCalifornia in Los Angeles Medizin und wollte nachdem Bachelor-Abschluss an der School of Medi-cine weitermachen. Das wurde ihr wie den meistenMitstudentinnen mit der Begründung verwehrt,Frauen würden sowieso heiraten. Für eine unrenta-ble Studentin könne der Staat nicht jährlich meh-rere Tausend Dollar aufwenden. «Man kann dochbeides machen: heiraten und arbeiten», entgegnetesie, worauf das Gremium lachte.

Sie arbeitete anschliessend als Sekretärin ineinem Tennisclub und hatte in der ZwischenzeitLuigi Nono kennengelernt. 1954 fand in Hamburgdie konzertante Uraufführung von Arnold Schoen-bergs Oper «Moses und Aron» statt, anstelle Her-mann Scherchens stand Hans Rosbaud am Pult. ImGefolge Scherchens war ein junger Komponist ausItalien, der ihm bei der Herstellung der Partitur be-hilflich war und im Rahmen des musikhistorischeEreignisses Frau Schoenberg kennenlernen wollte.Diese wiederum war mit ihrer Tochter nach Ham-burg gereist und begrüsste den jungen Mann, dersich von Hans Heinz Stuckenschmidt, dem bedeu-tendsten Musikkritiker der Nachkriegszeit, emp-fehlen liess. Man sprach Deutsch, denn der ehema-lige Student der Jurisprudenz konnte seine Sprach-kenntnisse an den einschlägigen Orten neuerMusik, etwa in Darmstadt, regelmässig auffrischen.«Die Intensität war es, die uns bis zum Schluss ver-bunden hat. Wenn er mich anschaute und auf eineAntwort wartete, wusste ich, ich muss den Kontakthalten, der Frage auf den Grund gehen.»

Sie hatten beide ihren Lebensmenschen gefun-den. Ansichtskarten und Briefe wurden von Vene-dig und Los Angeles verschickt, eine erste Partiturkam in Kalifornien an. Das «Liebeslied» (1954) mitdeutschem Text von Luigi Nono ist Nuria gewid-met. Sie trifft auf eine konventionelle Notation unddie Vortragsbezeichnung «meta a bocca chiusa».Bereits dieser Hinweis stellt eine konventionelleTextausdeutung in Frage und enthält im Kern denspäteren Nono. Ausserdem verrät der sinnlicheUmgang mit Stimmen (Chor und Solostimmen)und Instrumenten (Harfe, Glockenspiel, Vibrafon,Pauke) unverkennbar den Komponisten italieni-scher Prägung. Schönheit, wie sie Nono vorzugs-weise in der homofonen Stimmführung seinerChöre entfaltet, kommt der hegelianischen Vor-stellung des Schönen als das «sinnliche Scheinender Idee» nahe. Texte sind den Tönen und Geräu-schen gleichgestellt, sie werden wie diese zu Klän-gen und im Erklingen zu etwas Drittem. Die Text-verständlichkeit rückt zugunsten der Idee des Texts

in den Hintergrund. «Erde bist du, Feuer Himmel,ich liebe dich», beginnt der Vers, der Zeugnis vonNonos stilsicherem Umgang mit der FremdspracheDeutsch ablegt und – wie die Musik – fern jederSentimentalität ist.

«Incontri » für 24 Instrumente (1955) ist eben-falls autobiografisch motiviert und versteckt dieBotschaft in einer streng konstruierten Komposi-tion. Nono benutzt hier erstmals seine Allintervall-reihe (a-b-as-h-g-c-fis-cis-f-d-e-es), die den Para-meter der Tonhöhe bestimmt. Diese Reihe gene-riert er aus zwei chromatischen Tonleiterhälften,indem er sie in gegensätzlicher Richtung ineinan-derschiebt. Dabei ist jeglicher motivische Rest ge-tilgt, stattdessen kommen die unterschiedlichenQualitäten der Intervalle zum Vorschein. Darausbaut der Komponist die Begegnung zweier Struk-turen, die als Spiegel der Begegnung mit Nuria undals Porträt des Paars gelten darf. Nuria SchoenbergNono greift zum Band mit Nonos Werkbeschrei-bungen und übersetzt die Passage: «Jede dieserzwei Strukturen ist autonom in sich selbst. Sieunterscheiden sich in der rhythmischen Konstruk-tion, im Tempo und der Instrumentierung, in derharmonischen Projektion und der Melodie. Aber:Zwischen diesen zwei Strukturen gibt es eine Be-ziehung mit konstanten Proportionen. So wie zweiWesen sich begegnen und in ihrer Begegnung ge-rade nicht eine Einheit bilden, sondern ein Hin undHer, eine Koexistenz, eine Symbiose.»

Gemeinsames EngagementDie Uraufführung von «Incontri» am Eröffnungs-konzert der Internationalen Ferienkurse für NeueMusik in Darmstadt war ein Wendepunkt in beiderBiografie. «Dieses Werk war mir gewidmet fürmeine Rückfahrt nach Europa», sagt sie und erin-nert sich an die Nebengeräusche des Umbruchs.«Ich gab vor, meinen Onkel besuchen zu wollen»(den charismatischen Geiger Rudolf Kolisch).Stattdessen traf sie Luigi Nono und verlobte sichmit ihm. Die Nachfeier des Eröffnungskonzertswar dann wie Hollywood: «Champagner floss undTrinksprüche machten die Runde.»

In Venedig wurde geheiratet und 1956 eineWohnung auf der Giudecca bezogen, «voll Luft,Sonne und Natur». Der Alltag allerdings war fürdie Menschen auf der Insel beschwerlich. EineApotheke, Schulen, Kinderkrippen, die Pflaste-rung der Strassen – dafür kämpfte man lange ver-geblich. Dank den seinerzeit erfolgreichen Linkenauf der Giudecca wurden die Lebensbedingungenbesser, auch der Ruf der «Arbeiterinsel», wo sichdie eingesessenen Venezianer früher nicht blickenliessen. Das junge Paar verband bei allen Unter-schieden eine politische Grundhaltung, die ihrer-seits in ein Engagement auf der Giudecca mündensollte. «Es war mehr Sozialarbeit als Politik».

Sie ging von Haustüre zu Haustüre und disku-tierte mit den Nachbarinnen über das neue Schei-dungsrecht, als 1969 eine knappe Mehrheit im Par-lament die Vorlage guthiess und das konservativeItalien Sturm lief. Er, seit 1952 Mitglied der Kom-munistischen Partei, initiierte Kulturprogrammean der jährlichen Festa dell’Unita und half, Ver-kaufsstände und Festbänke aufstellen. Man tausch-te in der Nachbarschaft Bücher und Schallplattenaus und verteidigte den Kunstanspruch, der sichplatter Agitation verweigert und seinerseits utopi-sches Potenzial freisetzt. Musik hat in Nonos Ver-ständnis die von Walter Benjamin beschworene

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«schwache messianische Kraft», alles zu ändern.An die Schattenseiten dieser Ehe ist im Rahmen

einer Begegnung nicht heranzukommen. Die Mu-sik werde immer den ersten Platz einnehmen, isteine von Luigi Nono überlieferte Äusserung. Auchwar der als einfühlsam geltende Mann und Freundberüchtigt für seine Zornesausbrüche. «Das Pianis-simo hat keinen Sinn, wenn es nicht auch das For-tissimo gibt», sagt Nuria Schoenberg Nono.

Der Mensch hinter «Prometeo»Der Mythos des Prometheus beschäftigte denKomponisten seit den 1950er Jahren. «Seit ich ihnkannte, wollte er eine Prometheus-Oper schreiben,in der sich eine Zusammenschau der gesamtenLiteratur niederschlägt.» Fast so alt war sein Anlie-gen, dass Musik «ohne einen Mussolini, Hitler oderPriester» funktioniert und den Raum von verschie-denen Orten her «entdeckt». Das Publikum wie-derum sitzt in der Mitte des Geschehens und«sucht sich selbst aus, was es hören will». Damitsollen die traditionellen Hierarchien fallen, die imklassischen Musikbetrieb von der Verschriftli-chung über die Interpretation bis zum HörerlebnisHerrschaftsstrukturen wirksam fortschreiben.

Auch das nächste Vermittlungsprojekt des Ar-chivs rüttelt an Festgeschriebenem. Interpretinnenund Interpreten erörtern ihren Zugang zu NonosMusik und ihren Spieltechniken, verraten Finger-sätze und Bogenstriche, kurz: geben Betriebs-geheimnisse preis – auf Youtube. Die 82-jährigeUrheberin der Idee baut weiter an der Zukunft.

Luigi Nonos «Prometeo. Tragedia del’ascolto» kommt am 2. Juli in derTonhalle Zürich zur Aufführung. Mehrere andere Veranstaltungenwidmen sich ebenfalls dem Komponisten und seinen Werken.