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Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Silvia Stiller, Jan Wedemeier
Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) | 2011ISSN 1862-4944 | ISSN (Internet) 1862-4952
Report Nr. 16
HWWI Policy
Korrespondenzadresse:Dr. Silvia StillerHamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)Heimhuder Str. 71 | 20148 HamburgTel +49 (0)40 34 05 76 - 660 | Fax +49 (0)40 34 05 76 - [email protected]
HWWI Policy ReportHamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)Heimhuder Str. 71 | 20148 HamburgTel +49 (0)40 34 05 76 - 0 | Fax +49 (0)40 34 05 76 - [email protected] | www.hwwi.orgISSN 1862-4944 | ISSN (Internet) 1862-4952
Redaktion:Thomas Straubhaar (Vorsitz)Michael BruningerSilvia Stiller
Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) | Februar 2011Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes oder seiner Teile ist ohne Zu-
stimmung des HWWI nicht gestattet. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen,
Mikroverfilmung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die
Reihe wird in Deutschland gedruckt.
HWWI Policy Report Nr. 16
Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Silvia Stiller, Jan Wedemeier
unter Mitarbeit von Julia Faltermeier, Bjrn Felkers und Julia Nerenberg
Studie des HWWI im Auftrag der Handelskammer Hamburg und der Europischen Bewegung Deutschland (EBD), mit freundlicher Untersttzung des Auswrtigen Amtes
Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) | 2011
4 HWWI Policy | Report Nr. 16
M a g a z i n f r A u e n p o l i t i k u n d g l o b a l e W i r t s c h a f t s b e z i e h u n g e n
business & diplomacy
Arbeitsgemeinschaft NorddeutscherIndustrie- und Handelskammern
Handels- und WirtschaftsbroBotschaft der Republik Lettland
in der Bundesrepublik Deutschland
Vertretungdes Landes
Schleswig-Holsteinbeim Bund
Handels- und WirtschaftsbroBotschaft der Russischen Fderation in der Bundesrepublik Deutschland
Die Sponsoren der Studie:
Die ideellen Untersttzer der Studie:
Die Medienpartner der Studie:
Premiumpartner
Partner PartnerPartner Partner
52011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Vorwort aus Berlin
Der Ostseeraum hat das Potenzial, sich zu einer der florierendsten, in-novativsten und wettbewerbsfhigsten Regionen auf unserem Kontinent zu entwickeln. Dabei kommt der Zusammenarbeit im Ostseerat, dessen Grnd-ung 1992 auf eine deutsch-dnische Initiative zurckgeht, eine Schlsselrollezu. Ging es anfangs vor allem darum, nach dem Fall der Mauer einen Beitrag zur berwindung des Ost-West Gegensatzes zu leisten, so frdert der Ostsee-rat heute sehr aktiv und effizient die wirtschaftliche, politische, kulturelle und umweltpolitische Kooperation zwischen den Ostseeanrainern. Im Juli 2011 bernimmt Deutschland den Vorsitz im Ostseerat. Wir wol-len whrend unserer Prsidentschaft die besondere Rolle der Ostseeregion beim Zusammenwachsen Europas herausstellen. Dabei steht die Rolle der Eu-ropischen Union im Vordergrund, denn mit dem Beitritt Polens, Litauens, Lettland und Estlands zur EU im Jahr 2004 ist die Ostsee nahezu vollstndig zum EU-Binnenmeer geworden. Ein wichtiges Ziel wird sein, den Ostseerat enger in die Umsetzung der EU-Ostseestrategie einzubinden. Damit sollen die rund 100 Millionen Menschen, die im Ostseeraum leben, nher zusammen-rcken und vom Ausbau der Infrastruktur, dem nachhaltigen Schutz der Um-welt und einer wachsenden Wirtschaft profitieren. Zugleich wird es darauf ankommen, eine umfassende Einbeziehung Russlands in die Aktivitten des Ostseerats sicherzustellen und weiter zu frdern. Konkret hat sich die Bundesr-egierung vorgenommen, Beitrge zur praktischen Zusammenarbeit auf den Gebieten Meeres- und Umweltpolitik zu leisten. Fr Deutschland hat der Ostseeraum heute wie in der Vergangenheit eine groe handelspolitische Bedeutung. Dies gilt nicht nur fr die Ksten-lnder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg, fr die die Ostseeanrainer zunehmend wichtige Handelspartner darstellen. Die Vertiefung dieser Beziehungen liegt auch deshalb im deutschen Interesse, weil unser Land als europisches Drehkreuz vom Ausbau der Verkehrs- und Ener-gienetze ebenso profitiert wie von einer Verbesserung der Sicherheit in der Schifffahrt oder der Bekmpfung der grenzberschreitenden Kriminalitt. Die vorliegende Studie zur makrokonomischen Bedeutung des Ost-seeraumes in der Europischen Union hat umfangreiches Material zur sozio-konomischen Lage zusammengetragen. Es ist ihr gelungen, den zu er-wartenden Strukturwandel in der Region hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zutreffend darzustellen und zu analysieren und den Ak-teuren in Wirtschaft und Politik die sich daraus ergebenden Chancen und Po-tenziale aufzuzeigen. Sie leistet damit einen wertvollen Beitrag fr das Zusam-menwachsen in der Ostseeregion.
Dr. Werner Hoyer
Staatsminister
Auswrtiges Amt
6 HWWI Policy | Report Nr. 16
Vorwort aus Brssel
Gnther Oettinger
Energiekommissar
Europische Kommission
Durch die europische Brille betrachtet ist die Ostsee seit der Erweite-rung 2004 nahezu ein Binnenmeer geworden. Acht der neun Anrainer sind Mitgliedstaaten der Europischen Union. Trotz zahlreicher Unterschiede in wirtschaftlicher, kologischer und kultureller Hinsicht bilden die Ostseean-rainer einen Binnenraum und sind in vielfltiger Weise eng miteinander verbunden. Die regionale Zusammenarbeit hat hier deshalb eine ganz beson-dere Bedeutung und besitzt Modellcharakter fr andere europische Regionen. Noch aber ist das Potenzial nicht ausgeschpft. Die Ostsee als Handelsraum kann auf eine lange Geschichte zurck-blicken. Mit der Grndung der Hanse erreichten der Handel und die Entwick-lung der Stdte eine Bltezeit. Mit dem Ende der Teilung der Region haben die Ostseeanrainer heute wieder die Chance, an diese Erfolgsgeschichte an-zuknpfen und die Region durch Handels- und Wirtschaftsprojekte noch enger miteinander zu verzahnen. Die Europische Kommission hat in ihrer EU-Strategie fr den Ost-seeraum brigens der ersten spezifischen Regionalstrategie erkannt, dass sie diesen Prozess mit einem integrierten Ansatz untersttzen kann. Ziel der Strategie ist es, die Anstrengungen verschiedener Akteure auf unterschiedli-chen Ebenen aufeinander abzustimmen. Schwerpunkte zur Zusammenarbeit sind dabei: nachhaltige Umwelt, Bemhungen zur Steigerung des Wohlstands, bessere Infrastruktur und Frderung der Sicherheit. Beispielhaft ist die regionale Zusammenarbeit im Energiebereich. 2008 wurde auf Initiative und unter Vorsitz der Europischen Kommission eine hochrangige Gruppe ins Leben gerufen, der Dnemark, Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, Litauen, Polen, Schweden sowie Norwegen als Beo-bachter angehren. Diese hat einen Verbundplan fr den Energiemarkt im Ostseeraum (Baltic Energy Market Interconnection Plan) ausgearbeitet, das heit einen umfassenden Aktionsplan fr Energie-Verbindungsleitungen und Marktverbesserungen sowohl fr Strom als auch fr Gas. Hauptziel ist es, die relative Isolierung der baltischen Staaten im Energiebereich zu beenden und sie in den umfassenderen EU-Energiemarkt zu integrieren. Mit dem europischen Energieprogramm zur Konjunkturbelebung konnten erste Infrastrukturmanahmen gefrdert werden, die die Anbin-dung der baltischen Staaten an den europischen Energiemarkt verbessern. Dazu zhlen etwa Stromleitungen zwischen Schweden und Litauen und zwi-schen Estland und Finnland. Auch Unternehmungen zum Ausbau von Off-shore-Windenergie wie etwa das gemeinsame Projekt von Dnemark, Polen, Schweden und Deutschland konnten gefrdert werden. Die im November 2010 vorgelegte Mitteilung zu Infrastrukturprioritten stellt fest, dass der Ausbau von Strom- und Gasverbindungen im Ostseeraum weiter besondere Aufmerk-samkeit verdient. Der Ostseeraum kann sich zu einer Modellregion fr Innovationen aller Art entwickeln, zum Beispiel im Bereich erneuerbare Energien. Um dieses Po-tenzial auszuschpfen, wird es darauf ankommen, Synergien und Koopera-tionsmechanismen verstrkt und gezielt zu nutzen. Die vorliegende Studie bietet dafr eine klare und wichtige Orientierung.
72011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Vorwort aus Berlin
Fr uns Deutsche reicht die Ostsee bis an den Bodensee. Denn die Bedeu-tung des Ostsee-Handels geht weit ber die Norddeutsche Tiefebene hinaus: Baden-Wrttemberg und Bayern sind auf Lnderebene die grten Exporteure in den Ostseeraum mit Ausfuhrzahlen, die jeweils im zweistelligen Milliar-denbereich liegen. Die vorliegende Studie gibt validierte und einleuchtende Argumente dafr, Nutzen und Chancen einer vertieften Ostsee-Kooperation aus gesamtdeutscher Sicht zu betrachten. Die Bundesregierung setzt diese Maxime seit langem um und hat ihr Engagement im Rahmen der Ostsee-Kooperation immer ber die deutschen Anlieger-Lnder hinaus verstanden und vorausschauend als wichtiges Ele-ment gesamteuropischer Politik angelegt. Das verdient hchste Anerken-nung, weckt aber auch groe Erwartungen an die im Juli beginnende Prsi-dentschaft Deutschlands im Ostseerat. Ich bin mir sicher, dass das federfhrende Auswrtige Amt die deutsche Ostseerats-Prsidentschaft er-folgreich gestalten wird. Dass wir im Innovationsraum Ostsee vor groen Herausforderungen stehen, die wir nur gemeinsam lsen knnen, belegt die Studie eindrucksvoll. Am Beispiel Ostsee-Kooperation wird deutlich, was grenzberschrei-tendes, den Handel selbstverstndlich einschlieendes zivilgesellschaftliches Engagement zu leisten imstande ist: Die Hanse geht auf ein Netzwerk orga-nisierter Interessensgruppen zunchst der Kaufleute, spter der Stdte rund um die Ostsee zurck, und auch hinter den Erfolgsgeschichten der neu-deutschen Cluster in Wissenschaft oder Wirtschaft, von denen in der Studie die Rede ist, stehen Akteure der Zivilgesellschaft. Wir sind der Handelskammer Hamburg sehr dankbar dafr, dass sie ge-meinsam mit unserem institutionellen Partner Auswrtiges Amt das Ham-burgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) zu dieser Studie beauftragt hat. Europas Integration mit einer przisen Ostseebrille zu betrachten, hat sich mit Blick auf das hchst informative und profunde Ergebnis wirklich ein-drucksvoll gelohnt. Unser Dank gilt gleichermaen den vielen Untersttzern aus Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Als Prsident der Europischen Bewegung Deutschland (EBD) mit ber 200 Mitgliedsorganisationen der deutschen Zivilgesellschaft, die sich ganz bewusst als Netzwerk beschreibt und damit auch die grte europapolitische Denkfabrik in Deutschland bildet, finde ich besonders die gelebte zivilge-sellschaftliche Kooperation, die sich auch in der Autorenschaft der Studie wiederspiegelt, beispielhaft und richtungsweisend. Die wissenschaftlichen Analysen werden ergnzt durch persnliche Perspektiven von Experten aus den Europischen Bewegungen in Finnland, Lettland und Deutschland. Die vorliegende Studie soll aber nicht fr sich allein stehen. Vielmehr legt sie den Grundstein fr ein dichtes Partnernetzwerk aus Unternehmen, Insti-tutionen und Verbnden, die Potenzial und Herausforderungen des Ostsee-raums frhzeitig erkannt haben und beides nachhaltig beeinflussen mchten. Als Mit-Initiator dieses Ostsee-Netzwerks freut sich die Europische Bewe-gung Deutschland darauf, die Studienergebnisse mit ihren Partnern in Deutschland und Europa zu diskutieren und gemeinsame neue, krftige Im-pulse fr die Zukunft des Ostseeraumes zu setzen.
Dr. Dieter Spri, Minister a. D.
Prsident der Europischen
Bewegung Deutschland
8 HWWI Policy | Report Nr. 16
Vorwort aus Hamburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
bereits zur Hansezeit war Hamburg der westlichste Ostseehafen und sdlichste skandinavische Hafen. Damals wie heute gibt es viele wirtschaftli-che Verflechtungen Hamburgs im Ostseeraum. Die Studie richtet ihren Fokus auf die fr Hamburg besonders wichtigen Themen. Die Rolle von Stdten als Impulsgeber im Ostseeraum wird in einem Ka-pitel der Studie bearbeitet. Hamburgs Stdtepartnerschaft zu St. Petersburg kommt vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur der wissenschaftliche und kulturelle Austausch beider Metropolen belebt den Ostseeraum, sondern auch wirtschaftlich besteht ein enges Handelsband. Der Hafen St. Petersburgs ist ber die Ostsee der russische Zugang zu den nrdli-chen Mrkten. Hamburg ist fr diesen Zugang eine wichtige Verkehrsdreh-scheibe. Die baltischen Tigerstaaten weisen im dritten Quartal 2010 einen Zu-wachs zu bis 39 Prozent im Containerumschlag ber den Hamburger Hafen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf. Eine grere wirtschaftliche Dynamik des Ostseeraums lsst sich in Zahlen kaum aufzeigen. Dieses heutige Wachs-tum steht aber unter dem Vorzeichen des demografischen Wandels, wie die Studie eindrucksvoll belegt. Whrend die sdlichen Ostseeanrainer eine teil-weise dramatische Bevlkerungsabwanderung zu erwarten haben, sollen einige skandinavische Stdte um bis zu 22,5 Prozent wachsen. Die Wissensme-tropole Hamburg ist mit allen Ostseeanrainern eng verbunden und wird sich wie zum Beispiel mit dieser Studie bei der Bewltigung der Herausforderun-gen stark engagieren. Fr die Metropolregion Hamburg wird die Fehmarnbelt-Querung fr den engen Austausch mit skandinavischen Unternehmen und Hochschulen bahn-brechend sein. Schon heute besteht in Europa ein makroregionaler Wettbe-werb um die klgsten Kpfe. Mit einer exzellenten Verkehrsinfrastruktur werden die Wege zueinander krzer und die Vernetzung von Unternehmen und Hochschulen leichter. Die fnf Studiensponsoren zeigen neben der Ver-netzung von Wirtschaft und Wissenschaft, die vorausschauende Grundhal-tung der hanseatischen Kaufmannschaft. Ich danke den Sponsoren und insti-tutionellen Untersttzern der Studie, weil ohne sie dieses Werk und das neu entstandene Netzwerk nicht mglich gewesen wren.
Dr. Karl-Joachim Dreyer
Vizeprses der
Handelskammer Hamburg
92011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Zur Bedeutung des Handels mit dem Mare Balticum
3 Demografie und Arbeitsmarktintegration
4 Innovationsraum Ostsee
5 Stdte als Impulsgeber fr die Entwicklung des Ostseeraums
6 Literatur
Inhalts-verzeichnis
10
14
16
26
33
40
51
10 HWWI Policy | Report Nr. 16
Zusammenfassung
Die Ostseeanrainer Dnemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lett-land, Litauen, Polen, Russland und Schweden sind eine vielfltige Staatenge-meinschaft mit hohem Integrationspotenzial entlang der Binnengrenzen der Europischen Union (EU) und mit Russland. In den acht EU-Lndern mit direk-tem Zugang zur Ostsee leben rund 147 Mio. Menschen, was 29 % der EU-Be-vlkerung entspricht. Diese Staaten erwirtschaften 29,3 % des Bruttoinlands-produkts (BIP) der EU-Staaten, was ihre konomische Bedeutung fr den europischen Wirtschaftsraum belegt. Die vorliegende Studie analysiert die Entwicklungsperspektiven der Ostseeregion aus unterschiedlichen Blickwin-keln. Sie bildet die Ausgangssituation, die Potenziale, aber auch die zuknfti-gen Herausforderungen ab. Schwerpunkte der Analyse sind der Handel im Mare Balticum, demografische Trends, die Innovationsfhigkeit der Lnder im Ostseeraum und die konomische Bedeutung der Ostsee-Stdte.
Ein wesentliches Element der grenzberschreitenden Integration in der EU ist der Austausch von Gtern, wobei die Ostseeanrainer wichtige Handels-partner sind. Im Jahr 2009 exportierten sie Gter im Wert von 725 Mrd. Euro, was einem Anteil von 33 % an den Exporten innerhalb der EU entspricht. Im Jahr 2009 bezogen die Staaten mit direktem Zugang zur Ostsee 30 % aller EU-Importe und damit Gter im Wert von 993 Mrd. Euro. Auch die deutschen Bundeslnder weisen intensive Handelsbeziehungen mit dem Ostseeraum auf. Keines der Bundeslnder fhrt weniger als 6 % der Exporte in diese Region aus und bezieht dort einen mindestens so hohen Anteil seiner Importe. Diese Handelsbeziehun-gen entwickeln sich expansiv. So sind die Exporte und Importe der nord-deutschen Bundeslnder mit den Ostseeanrainern zwischen 2002 und 2009 deutlich gestiegen. Der Handel Mecklenburg-Vorpommerns hat sich mehr als verdoppelt und fr Hamburg um etwa 40 % zugenommen. Fr Ruland spielt zudem St. Petersburg als Ostseehafen eine besondere Rolle, weil der Hafen die zentralen Mrkte Russlands mit der EU verbindet.
Der gesellschaftliche Umgang mit den zuknftigen demografischen Ent-wicklungen stellt die Lnder im Ostseeraum vor groe Herausforderungen. Nicht nur der Rckgang der Bevlkerung sowie des Erwerbspersonenpoten-zials in weiten Teilen dieser Region, sondern vor allem die Alterung der Ge-sellschaft und auch der Arbeitskrfte, erfordert vorausschauendes Handeln. In den Ostseeanrainern (ohne Russland) waren im Jahr 2009 67 Mio. Menschen erwerbsttig. Dies entspricht 30,9 % aller Erwerbsttigen in der EU. Seit 1999 ist die Zahl der Arbeitspltze in diesen Staaten um 6,1 % gestiegen, was den tendenziell steigenden Arbeitskrftebedarf in diesem Wirtschaftsraum ver-deutlicht. Grundlegend fr die Sicherung der konomischen Leistungsfhig-keit der Region ist deshalb auch zuknftig eine ausreichende Verfgbarkeit von Arbeitskrften. Gemeinsame Aktivitten der Ostseeanrainer zur Verbes-serung der grenzberschreitenden Arbeitsmarktintegration stellen eine wichtige Handlungsoption zum Umgang mit dem demografischen Wandel und der Gefahr des Arbeitskrftemangels dar. So werden sich die Rahmenbe-dingungen fr die Arbeitsmarktintegration in der EU am 1. Mai 2011 weiter verbessern. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die ffnung des
112011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
deutschen Arbeitsmarktes auswirken wird. Exemplarisch sind hier die grenz-berschreitende Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlssen sowie der Ausbau der grenzberschreitenden Verkehrsinfrastruktur, zum Beispiel die Fehmarnbeltquerung, zu nennen. Weitere Potenziale ergeben sich aus der besseren Integration von Frauen und lteren Personen in den Arbeitsmarkt oder durch Stdtepartnerschaften, wie der zwischen St. Petersburg und Ham-burg.
Eine wichtige Voraussetzung dafr, dass sich der Ostseeraum zuknftig im globalen Standortwettbewerb behaupten kann, ist die Sicherung seiner technologischen Leistungsfhigkeit und Innovationskraft. Grundlegend hier-fr sind eine breite Wissensbasis und die Fhigkeit der Bevlkerung, Innova-tion zu adaptieren. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang unter an-derem, dass Dnemark, Estland, Finnland, Litauen und Schweden bei dem Anteil tertirer Abschlsse oberhalb des EU-Durchschnitts liegen. In diesen Lndern haben 26 % (Litauen) bis 31 % (Finnland) ein entsprechendes Bildungs-niveau. Sehr gute Ansatzpunkte fr die Nutzung der Potenziale der Wissens-wirtschaft bietet zudem die bereits weit fortgeschrittene Spezialisierung auf wissensintensive Dienstleistungen und forschungsintensive Industrien in zahlreichen Regionen des Ostseeraums. Allerdings zeigt sich sowohl hin- sichtlich der Forschungs- und Entwicklungs-Kapazitten, der Wissensinten-sitt im Produktionsprozess sowie der Innovationen weiterhin ein Aufholbe-darf der Lnder im stlichen Teil des Ostseeraums.
Insbesondere die Stdte im Ostseeraum bieten gute Voraussetzungen fr Innovationen und die Expansion der Wissenswirtschaft. Denn in diesen Std-ten sind Forschungseinrichtungen, Universitten und hoch qualifizierte Ar-beitskrfte konzentriert, welche die Basis fr den wissensbasierten Struktur-wandel darstellen. Ferner werden die raumstrukturellen Entwicklungs- prozesse im Ostseeraum zunehmend von der Urbanisierung geprgt. Die Be-vlkerung und die Produktion sind in weiten Teilen des Ostseeraums in we-nigen Stdten konzentriert, insbesondere in den Baltischen Staaten. In Vilnius leben 25 % der nationalen Bevlkerung, in Riga sind es 31,7 % und in Tallinn sogar 38,9 %.
Aufgrund ihrer tragenden Bedeutung fr die sozio-konomische Ent-wicklung des Ostseeraums ist die Zukunftsfhigkeit der Ostseestdte wichtig fr die Sicherung der Wettbewerbsfhigkeit der ganzen Region. Auch die lndlichen Regionen knnen in ihrer Entwicklung von dynamischen Stdten profitieren, deren Wirtschaftskraft sich auf ihr Umland positiv auswirkt. Die Zukunft der Ostsseeregion hngt deshalb im hohen Mae davon ab, welche Lsungsanstze die urbanen Zentren fr die demografischen Herausforde-rungen finden, wie sich der wissensbasierte Strukturwandel dort vollzieht und wie ihre Integration in die Weltwirtschaft voranschreitet. Diese Trends bringen Herausforderungen, aber auch Chancen und Potenziale mit sich. Diese knnen die Lnder im Ostseeraum fr ihre Zukunft gewinnbringend nutzen. Das zielgerichtete Zusammenwirken der Menschen sowie die gemeinsame Ausrichtung sozio-konomischer Strategien unter Bercksichtigung der rumlichen Beziehungen und Besonderheiten in dieser Region sind eine wichtige Voraussetzung hierfr.
12 HWWI Policy | Report Nr. 16
Executive Summary
The Baltic Sea area is a diverse region consisting of Denmark, Estonia, Finland, Germany, Latvia, Lithuania, Poland, Russia and Sweden. There is a high integration potential along the internal borders of the European Union (EU) as well as with the Russian economy. The eight EU countries have a popu-lation of 147 Million people which is a share of 29 % of the total EU population. These states produce 29 % of the EU GDP indicating their importance for the whole European economic area.
The study at hand analyses the development perspectives of the Baltic Sea region. It deals with the current situation and potentials as well as with future challenges. Thereby this study puts its focus on trade in the Baltic Sea area, demographic trends, capacity for innovations and the economic impact of the cities in this region.
The international division of labour and trade are essential for the cross-border integration of EU states. It is a fact that a high share of total EU trade is related to the states in the Baltic Sea area. Exports from this region amount-ed to 725 Milliards Euro in the year 2009 which is one third of the total intra-EU exports. In the same year, the value of goods imported by the states in the Baltic Sea area was 993 Milliards Euros. The sixteen German Federal States account for a relatively large share of this trade. They import and export at least 6 % of their total trade from the Baltic Sea area. This share has increased remarkably during the last years. For example, the trade between Mecklen-burg-Western Pomerania and the Baltic Sea region has almost tripled be-tween 2002 and 2009. And trade from the Free and Hanseatic City of Ham-burg with this area increased at a rate of about 40 % within this period of time. Furthermore, the port of St. Petersburg plays an important role for Rus-sia, since the port is a trading bridge to the EU as well as to the rest of the world.
Demographic changes constitute a big challenge for the future develop-ment of the countries in the Baltic Sea region. Within the next decades, popu-lation as well as labour supply will sharply decrease in many regions of this area. At the same time the average age of the population and of the people at employable age will increase. Currently, there are about 67 Million people em-ployed in the EU Member States located at the Baltic Sea area. This is a third of all the employed persons in the EU. The demand for labour is growing and the number of jobs increased by 6.1 % since 1999. However, for the maintenance of economic power, measures for coping with potential negative effects of the demographic change should already be implemented by now. Among these, the stabilisation of labour supply is of utmost importance. One important step forward is Germanys labour market integration in May 2011. Joined initiatives of the states for improving cross-border labour market integration could con-tribute to this objective. Another opportunity are town twinnings as the twin-ning agreement between St. Petersburg and Hamburg. The mutual recogni-tion of vocational education and training as well as the improvement of cross-border infrastructure for example the Fehmarnbelt fixed link are
132011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
further adequate measures. Moreover, better labour market integration of women and senior citizens opens up potential for labour supply.
The states in the Baltic Sea area will only be competitive if they develop their knowledge-based economies and innovations. It is to stress that the po-pulation share of highly qualified people in Denmark, Estonia, Finland, Lithu-ania and Sweden is already above the EU average. In these countries 26 % (Lithuania) to 31 % (Finland) of the population have a tertiary education. Posi-tive development perspectives can also be expected from the advanced spe-cialisation in knowledge-intensive branches, especially in the western part of the Baltic Sea region. However, the younger EU Member States still have to improve their innovative capacities.
The cities in the Baltic Sea are focal points of economic growth offering favourable conditions for the expansion of knowledge-based economic activi-ties. This goes back to the fact that research institutions, universities and highly qualified workers are concentrated in urban areas. These location con-ditions constitute the basis for fostering structural change. Altogether, spatial developments in the Baltic Sea region are marked by ongoing urbanisation. This is already advanced in large parts of the region, especially in the Baltic States. Vilnius has a share of 25 % of the national population, in Riga this share is 31.7 % and it is 38.9 % in Tallinn.
To sum up, the competitiveness of cities is of overall importance for suc-cessful socio-economic development of the states in the Baltic Sea area. How-ever, also rural areas can profit from successful economic development of ci-ties due to manifold interregional relationships. Development potentials of the Baltic Sea area therefore crucially depend on the readiness of urban centres to deal with demographic challenges, to promote knowledge-based structural change and to foster further integration in the world economy. This opens up opportunities as well as challenges for future development. States in the Baltic Sea area should jointly act to cope with them, taking into account spatial pe-culiarities of the region.
14 HWWI Policy | Report Nr. 16
1 | Einleitung
Die Ostseeanrainer Dnemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lett-land, Litauen, Polen, Russland und Schweden stellen eine vielfltige Staatenge-meinschaft dar. Diese bildet einen spezifischen Wirtschafts- und Lebensraum mit hohem Integrationspotenzial entlang der Binnengrenzen der EU und mit Russland. Die Lnder mit Zugang zur Ostsee gehren mit Ausnahme Russlands der EU an und umfassen mit rund 147 Mio. Menschen 29 % der EU-Bevlkerung. Diese Staaten erwirtschaften 29,3 % des BIP der EU-Staaten. Damit ist diese Region ein bedeutsamer Wirtschaftraum in Europa, dessen spezifische Struk-tur und Historie zahlreiche Entwicklungschancen erffnen. Die besondere Bedeutung des Ostseeraums in Europa ist auch Gegenstand der Ostseestrate-gie der EU, welche die Europische Kommission im Jahr 2009 beschlossen hat. Eckpfeiler dieses Ansatzes sind die Verbesserung der Umweltbedingungen, der Sicherheit, des Wohlstandsniveaus sowie der Erreichbarkeit der Ost-seelnder. Dabei umfasst die Strategie einen Aktionsplan mit 80 Projekten, die zum Teil bereits angelaufen sind. Beispiele fr entsprechende Projekte sind die Um-wandlung der Ostseeregion in eine Modellregion fr saubere Schifffahrt, Be-wertung der lokalen Effekte des Klimawandels, die Beseitigung von Hin-dernissen fr den Binnenmarkt im Ostseeraum und die Entwicklung einer gemeinsamen Innovationsstrategie der Ostseeanrainer (vgl. Kommission der Europischen Gemeinschaften 2009). Es ist hervorzuheben, dass die EU mit diesem Konzept erstmals eine derart umfangreiche Strategie auf Ebene einer Makroregion entwickelt hat. Die Europische Kommission betont ferner die Bedeutsamkeit der regionalen Zusammenarbeit der Akteure im Ostseeraum fr den Erfolg der Ostseestrategie. Bei der Entwicklung von Strategien ist generell zu bercksichtigen, dass sich die Rahmenbedingungen fr die sozio-konomische Entwicklung des Ostseeraums in den nchsten Jahrzehnten verndern werden. Der fortschrei-tende Strukturwandel zu Dienstleistungs- und Wissensgesellschaften, Inno-vationen, die Intensivierung der weltwirtschaftlichen Gter- und Arbeits-marktverflechtungen, die zunehmende Integration der Ostseeanrainer sowie der demografische Wandel werden wesentlichen Einfluss auf die Region neh-men. Diese Trends bringen Herausforderungen, aber auch Chancen und Poten-ziale mit sich. Diese knnen die Lnder im Ostseeraum fr ihre Zukunft gewinnbringend nutzen. Das zielgerichtete Zusammenwirken der Menschen sowie die gemeinsame Ausrichtung sozio-konomischer Strategien unter Bercksichtigung der rumlichen Beziehungen und Besonderheiten in dieser Region sind wichtige Voraussetzungen hierfr. Im Folgenden werden unterschiedliche Facetten und Besonderheiten des Ostseeraums dargestellt, um die Ausgangssituation, die Potenziale, aber auch die zuknftigen Herausforderungen fr die Region abzubilden. Dabei wird auf die Bedeutung des Handels im Ostseeraum (Kapitel 2), die Herausforderungen demografischer Vernderungen (Kapitel 3), Perspektiven der Region als Inno-vationsraum (Kapitel 4) und die tragende Rolle der Ostseestdte als Impulsge-ber fr die Entwicklung des gesamten Ostseeraums (Kapitel 5) eingegangen. Die engere regionale Abgrenzung des Ostseeraums umfasst dabei fr Deutschland die Bundeslnder Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklen-
Vorteile der Nhe nutzen
152011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Abbildung 1
burg-Vorpommern, fr Polen die nrdlichen Woiwodschaften Zachodniopo-morskie, Pomorskie, Warminsko-Mazurskie und Podlaskie sowie St. Peters-burg und Kaliningrad fr Russland. Die restlichen Ostseelnder flieen aufgrund ihrer geografischen Gegebenheiten in ihrer Gesamtheit in die Ana-lyse ein (vgl. Abbildung 1).
Bialystok
Daugavpils
Danzig
Gteborg
Hamburg
Helsinki
Kaliningrad
Kaunas
Kiel
Klaipeda
Kopenhagen
Lbeck
Malm
Odense
Riga
Rostock
St. Petersburg
Stockholm
Stettin
Tallinn
Tampere
Tartu
Turku
Vilnius
Aarhus
Deutschland
Weirussland
Russland
Dnemark
Regionen im Ostseeraum
Finnland
Schweden
Norwegen
Lettland
Litauen
Estland
PolenQuelle: HWWI.
16 HWWI Policy | Report Nr. 16
2 | Zur Bedeutung des Handels mit dem Mare Balticum
Schon zur Zeit der Hanse von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 17. Jahr-hunderts ermglichte der Seeverkehr den intensiven Handel von Gtern zwi-schen den Regionen mit Zugang zur Ostsee. Wegen der Vorteile beim interre-gionalen Austausch von Gtern war die Lage an der See oder an einem Fluss ein wichtiger Faktor fr die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt. Die fortschreitende weltwirtschaftliche Integration erffnet auch zuknftig fr die Hafenstandorte im Ostseeraum besondere Potenziale, unter anderem fr die maritime Wirtschaft und den mit ihr verbundenen Wirtschaftszweigen. Die Intensivierung des Handels und Transportkostenvorteile verstrken ten-denziell die rumliche Konzentration wirtschaftlicher Aktivitten zugunsten von Standorten in der Nhe des Meeres (vgl. Ott et al. 2010). Empirischen Schtzungen zufolge nehmen die Transportkosten bei einer Verdoppelung der Entfernung zwischen zwei Regionen um 20 bis 30 % zu (vgl. WTO 2004). Dieser Zusammenhang liefert eine Begrndung dafr, dass inter-nationale Handelsbeziehungen tendenziell umso intensiver sind, je geringer die Entfernungen zwischen den Handelspartnern sind. Das erklrt unter an-derem, warum fr die EU-Staaten der innereuropische Handel den auer-europischen Handel dominiert (vgl. Gromann et al. 2006) und die Ostseean-rainer untereinander intensive Import- und Exportbeziehungen unterhalten. Weitere Grnde fr die intensive Verflechtung sind unter anderem die rum-liche Nhe, die historische Verbundenheit der neuen Bundeslnder mit den osteuropischen Lndern, die traditionellen Wirtschaftsverflechtungen der Hansestdte und der gemeinsame europische Wirtschaftsraum. Die Ostseeanrainer sind wichtige Handelspartner fr die EU-Mit-gliedsstaaten. Im Jahr 2009 exportierten sie in andere EU-Lnder Gter im Wert von 725 Mrd. Euro, was einem Anteil von 33 % der Exporte innerhalb der EU entspricht. Zuzglich des Extra-EU-Handels betrug dieser Anteil 34 % oder insgesamt 1,1 Bio. Euro (alle Angaben jeweils ohne Russland). Insgesamt wur-den im Jahr 2009 von den Ostseeanrainern Gter im Wert von 993 Mrd. Euro importiert (davon 28 % aus Nicht-EU-Lndern), was 30 % der Gesamteinfuhr der EU-Lnder ausmacht. Zum Vergleich: Der Anteil der EU-Mittelmeeranrai-ner (Griechenland, Frankreich, Spanien, Slowenien, Malta, Zypern und Italien) betrug 25 % an den EU-Exporten und 29 % der EU-Importe.
Potenziale fr Hafenstdte durch fortschreitende Integration
Intensive Handelsverflechtungen im Ostseeraum
172011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Die Geschichte des Ostseeraums
Im Mare Balticum herrschte selten Kampf um die Vorherrschaft auf See, sondern immer nur Kriege um die Ksten. Die Ostsee war immer mehr ein die Anrainer verbindendes Meer als ein trennendes. Seetransport war und ist billiger, bequemer und schneller als der Weg zu Lande. Auch heute gibt es noch keine durchgngige Autobahn entlang der Ostseekste. Nur selten haben fremde Flotten berhaupt nur hollndische und englische eine stets kurze Rolle in der Ostsee gespielt. Kein Ostseeanrainer war je eine Seemacht, sieht man von der Wikingerzeit ab. Die gemeinsame Geschichte des Ostseeraumes beginnt mit dem Erstarken des dnischen Knigreichs, das seit dem frhen Mittelalter auch Norwe-gen und Island umfasste, und seiner Ausdehnung: Neben Sdschweden wurden Gotland und auch das heutige Estland erobert. Bei dieser Erobe-rung erhlt Dnemark der Legende nach den Dannebrog, die lteste immer noch existierende Nationalflagge der Welt: Als Knig Waldemar II beim Versuch Tallinn zu erobern, in groe Bedrngnis geriet, fiel er auf die Knie, bat Gott um ein Zeichen und versprach, sein Heer taufen zu lassen. Gott lie die Fahne mit dem weien Kreuz auf rotem Grund vom Himmel flat-tern, und die Dnen siegten. Das weie Kreuz auf rotem Grund ist heute noch das Wappen der Stadt Tallinn. Damals war der grte Gegner Dnemarks kein feindliches Knigreich, sondern die Hanse. Sie gilt als die verbindende Kraft im Ostseeraum, dies ist aber nur bedingt richtig: Keine dnische Stadt gehrte der Hanse an, und Dnemark war ihr groer Widersacher im Ostseeraum. Unter der Fhrung der Dnen vereinte die Kalmarer Union (13971523) fr eine kurze Zeit die Knigreiche Dnemark, Norwegen, Schweden sowie Teile Finnlands und Estlands, die zur schwedischen Krone gehrten, zu einer Union. Ihr faktisches Ende markiert das sogenannte Stockholmer Blutbad an schwedischen Aufstndischen 1520. Die Flucht des spteren Knigs Gustav Eriksson Wasas auf Schneeschuhen von Stockholm nach Mora und sein siegreicher Feldzug gegen die Dnen fhrten zur Neugrn-dung des schwedischen Reiches.Der Sieg Wasas hat bedeutende Konsequenzen fr Europa. Zu bankrott, um ein Darlehen der Stadt Lbeck zurckzuzahlen, beschliet Wasa unter dem Einfluss seiner Berater, die Gter der katholischen Kirche zu enteignen und zum Protestantismus berzutreten. Die Folge: Schweden wird evangelisch im Dreiigjhrigen Krieg rettet dies vielen deutschen Protestanten das Leben.Mit dem Groen Nordischen Krieg (17001720) erscheint das russische Za-renreich an der Ostsee, dessen Bedeutung mit der Eroberung der baltischen Provinzen Estland und Livland sowie Riga, spter auch Kurland und schlielich 1814 Finnland bis zum Ende des 1. Weltkrieges immer strker wird. 1918 hat sich die Situation im Ostseeraum erheblich verndert: Finn-land, Estland und Litauen sind selbststndige Staaten, Lettland entsteht aus Sdlivland, Kurlan, Riga, Lettgallen und Semgallen. Deutschland ver-liert Gebiete an Polen, Danzig wird Freie Stadt unter Verwaltung des Vlkerbundes. Dnemark vergrert sein Territorium bis vor die heutige Grenze bei Flensburg. Nach Ende des 2. Weltkrieges wird die Ostsee in ein Gebiet unter der Sowjet-
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macht und der NATO geteilt. Die drei baltischen Staaten und Nordost-preuen gehen in der Sowjetunion auf, Polen und die sptere DDR werden sozialistische Republiken. Finnland wird zur auenpolitischen Neutralitt gezwungen und auch Schweden bleibt neutral. Dnemark und spter die Bundesrepublik werden NATO-Mitglieder. Der eiserne Vorhang, der nun-mehr die Ostsee teilt, hat auch zur Folge, dass Deutsch als gemeinsame Verkehrs- und Gelehrtensprache rund um das Binnenmeer abgelst wird: vom Russischen im Osten, vom Englischen im Westen.Der Zusammenbruch des Sowjetsystems 1989 und die damit verbundene Selbststndigkeit der drei Baltischen Staaten, die auenpolitische Hand-lungsfreiheit Finnlands und der bergang zu einem demokratischen System in Polen ermglichen die Erweiterung der EU im Ostseeraum: 1995 zunchst um Finnland und Schweden, 2004 um die brigen Anrainer mit Ausnahme der Russischen Fderation. Die Ostsee ist faktisch ein EU-Bin-nenmeer geworden.
RA Ernst Johansson
Prsident der Deutsch-Nordischen Juristenvereinigung und Vizeprsident der Europa-Union Deutschland. Er vertritt die Europische Bewegung Schleswig-Holstein im Vorstand des
Netzwerks Europische Bewegung Deutschland.
Deutschland nimmt im Ostseehandel eine herausragende Stellung ein. Es exportierte im Jahr 2009 Gter im Wert von 75 Mrd. Euro in den Ostseeraum und importierte von hier Gter im Wert von 70 Mrd. Euro. Fr die meisten Ostseeanrainer ist es der wichtigste Beschaffungs- und Absatzmarkt, wobei sich innerhalb Deutschlands regionale Schwerpunkte feststellen lassen. Ta-bellen 1 und 2 zeigen die Bedeutung des wertmigen Ostseehandels fr die deutschen Bundeslnder. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thringen weisen die intensivsten Handelsverflechtungen mit den Ostseeanrainern auf. Sie beziehen dort 12,7 % (Niedersachsen) bis 50,3 % (Brandenburg) ihrer Im-porte. Ein Fnftel der Exporte Brandenburgs, Sachsen-Anhalts und Schleswig-Holsteins geht in die Ostseeregion. Mecklenburg-Vorpommern setzt hier sogar 26,5 % seines Auenhandels ab. Brandenburg und Sachsen-Anhalt handeln verhltnismig viel (Ausfuhr und Einfuhr) mit Polen und Russland. Schleswig-Holstein ist vor allem aufgrund der geografischen Nhe zum Knigreich mit Dnemark wirtschaftlich eng verflochten. Dies trifft auch auf Mecklenburg-Vorpommern zu, das 31,7 % seiner Importe aus Dnemark bezieht und dort 27,2 % seiner exportierten Gter absetzt. Und auch Schweden, mit einem Anteil an den Exporten Mecklenburg-Vorpommerns von 27,6 %, ist ein wichtiger Handelspartner fr dieses Bundesland Aber auch Bundeslnder mit grerer rumlicher Distanz zur Ostsee, wie Bayern und Baden-Wrttemberg, weisen ausgeprgte Handelsverflechtun-gen mit dem Ostseeraum auf. Dies ist unter anderem auf die hohe Ausfuhr der sddeutschen Bundeslnder in der Automobilindustrie zurckzufhren. Die Tabellen 1 und 2 zeigen, dass keines der Bundeslnder weniger als 6 % der Ex- beziehungsweise der Importe an die Ostseeanrainer ausfhrt beziehungs-weise aus diesen bezieht.
192011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
BW BY BE BB HB HH HE MV
Exporte in den
OstseeraumMio. 10 735 10 683 1 463 2 080 655 2 430 4 254 1 342
Anteil Dnemark % 14,2 10,9 6,7 8,8 14,2 20,5 11,3 27,2
Anteil Estland % 1,1 1,7 0,8 0,8 2,3 0,8 1,1 0,3
Anteil Finnland % 9,8 9,9 4,1 4,5 6,7 5,7 7,7 4,2
Anteil Lettland % 0,9 1,0 0,9 0,8 1,5 1,5 1,0 0,6
Anteil Litauen % 1,6 1,8 5,2 0,9 1,4 1,0 1,5 1,4
Anteil Polen % 29,0 31,0 30,7 62,3 40,9 30,1 34,9 21,0
Anteil Schweden % 18,9 21,0 11,8 7,1 18,8 13,2 18,3 27,6
Anteil Ruland % 24,6 22,9 39,8 14,8 14,2 27,2 24,2 17,7
Anteil des Ostsee-
raums an dem
Export des
Bundeslandes
% 8,6 8,6 13,9 19,5 6,1 7,8 9,9 26,5
NI NW RP SL SN ST SH TH
Exporte in den
OstseeraumMio. 7 664 16 554 2 945 971 2 516 2 012 2 924 1 124
Anteil Dnemark % 17,6 14,7 13,6 6,0 10,9 12,5 44,7 12,2
Anteil Estland % 1,2 0,9 1,0 0,5 0,6 0,8 1,8 0,9
Anteil Finnland % 7,7 7,6 9,0 8,1 4,6 4,4 5,9 5,2
Anteil Lettland % 1,3 0,7 0,9 0,3 1,4 0,8 0,8 2,8
Anteil Litauen % 1,7 1,5 1,8 1,3 1,1 1,3 1,4 1,6
Anteil Polen % 31,4 34,9 36,5 35,8 49,7 57,3 18,0 42,7
Anteil Schweden % 18,7 17,1 17,3 21,5 11,3 9,6 16,2 13,4
Anteil Ruland % 20,5 22,5 20,0 26,5 20,5 13,3 11,1 21,2
Anteil des Ostsee-
raums an dem
Export des
Bundeslandes
% 13,5 11,9 8,4 8,7 12,9 19,6 19,5 12,5
Quellen: Statistisches Bundesamt Deutschland (2010); Berechnungen HWWI.
Exporte der Bundeslnder in den Ostseeraum 2009
Bundeslnder
Tabelle 1
Hamburg handelt 7,8 % seiner Im- und Exporte (ohne reine Hafenum-schlge) mit dem Ostseeraum. Hierbei fhrt Hamburg insbesondere Gter nach Dnemark (31,9 % des Gewichts und 20,5 % des Werts), Schweden (19,7 % des Gewichts und 13,2 % des Werts), Polen (32 % des Gewichts und 30,1 % des Werts) und Russland (4,6 % des Gewichts und 27,2 % des Werts) aus. Umgekehrt importiert Hamburg die grten Mengen, gewichts- und wertmig, aus Po-len (ca. 527 Mio. t und 1,1 Mrd. Euro) und Russland (ca. 4,1 Mrd. t und 1,5 Mrd. Euro). Hierbei werden vor allem hochwertige Gter im Containerhandel mit der ehemaligen Hauptstadt Russlands St. Petersburg sowie Rohstoffe mit Vyborg und Vysotsk umgeschlagen. Abbildung 2 und 3 zeigen die Entwicklung des wertmigen Handels zwischen den Bundeslndern im Ostseeraum und den Ostseeanrainern im Zeitverlauf von 2002 bis 2009. Dabei ist fr Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ein deutlicher Rckgang der Im- und Exporte zwischen den Jahren 2008 und 2009 im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise zu erken-nen, whrend nur Hamburgs Importe leicht rcklufig waren.
20 HWWI Policy | Report Nr. 16
Tabelle 2
Abbildung 2
BW BY BE BB HB HH HE MV
Importe aus dem
OstseeraumMio. 6 734 10 542 1 394 5 615 1 420 4 206 3 823 1 364
Anteil Dnemark % 9,5 6,2 8,8 3,4 20,9 13,4 11,4 31,7
Anteil Estland % 0,9 0,4 0,3 0,1 0,6 0,5 0,5 0,8
Anteil Finnland % 10,5 4,0 5,4 2,8 6,8 4,5 6,8 12,5
Anteil Lettland % 0,5 0,7 0,2 0,1 0,9 0,4 0,5 0,8
Anteil Litauen % 1,4 1,0 1,4 0,6 0,9 4,3 1,2 3,9
Anteil Polen % 32,7 26,3 62,9 21,6 26,8 25,2 41,7 29,2
Anteil Schweden % 24,1 8,9 17,7 1,9 20,5 15,1 17,8 10,4
Anteil Russland % 20,3 52,5 3,4 69,5 22,6 36,7 20,1 10,8
Anteil des Ostsee-
raums an dem
Import des
Bundeslandes
% 6,2 9,6 16,3 50,3 13,1 7,8 6,5 39,7
NI NW RP SL SN ST SH TH
Importe aus dem
OstseeraumMio. 7 808 15 406 2 248 1 043 2 486 4 314 5 492 975
Anteil Dnemark % 17,7 15,4 13,6 3,7 7,1 1,6 44,6 12,0
Anteil Estland % 0,9 0,4 0,4 0,3 0,2 0,2 0,4 0,6
Anteil Finnland % 7,9 9,5 4,8 1,3 2,8 1,0 12,9 2,3
Anteil Lettland % 0,7 0,6 0,4 0,2 0,6 0,2 0,2 0,8
Anteil Litauen % 1,8 1,7 0,8 0,7 0,8 0,8 1,8 3,2
Anteil Polen % 40,7 36,5 28,9 24,4 38,0 13,7 7,9 37,1
Anteil Schweden % 12,9 14,7 14,9 26,7 6,0 3,8 22,3 8,7
Anteil Russland % 17,4 21,2 36,2 42,7 44,6 78,7 9,8 35,3
Anteil des Ostsee-
raums an dem
Import des
Bundeslandes
% 12,7 10,4 10,1 10,8 17,9 46,7 32,2 16,9
Quellen: Statistisches Bundesamt Deutschland (2010); Berechnungen HWWI.
Importe der Bundeslnder aus dem Ostseeraum 2009
Bundeslnder
Insgesamt ist der Export und Import aus den genannten Bundeslndern in die und aus den Ostseeanrainern zwischen den Jahren 2002 und 2009 ge-stiegen. Dabei hat der Handel Mecklenburg-Vorpommerns im Export am strksten zugenommen. Hamburgs Handel ist im betrachteten Zeitraum um mehr als 35 % gestiegen. Insgesamt entwickelt sich der Handel der drei betra-chtenden Bundeslnder parallel verlaufend zu dem Ostseehandel Deutsch-lands.
Expansive Entwicklung des Ostseehandels
0
50
100
150
200
250
300
350
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
Ind
ex 2
00
2=
10
0
Exporte in den Ostseeraum
Hamburg
Schleswig-Holstein
Mecklenburg-Vorpommern
Deutschland
Quellen: Statistisches Bundesamt Deutschland (2010); Berechnungen HWWI.
212011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Abbildung 3
Eine wichtige Determinante der zuknftigen Entwicklung der Handels-beziehungen im Ostseeraum ist die Entwicklung der nationalen Bruttoin-landsprodukte, weil diese das Handelsvolumen beeinflussen. Die Wachstums-perspektiven sind in den einzelnen Lndern der Ostsee unterschiedlich. So wird 2011 Finnlands reales BIP einer IMF-Prognose zur Folge um 2 % steigen. Ebenso liegt die Wachstumsprognose fr Deutschland bei 2 %, whrend fr die Baltischen Staaten ein jhrliches Wachstum von mehr als 3 % erwartet wird. Das strkste Wachstum wird hingegen fr Polen und Russland prog-nostiziert, deren konomien bis 2011 voraussichtlich um 3,7 und 4,3 % wachsen werden. Fr das Welthandelsvolumen prognostiziert der IMF bis 2011 eine Wachstumsrate von 7 % und im Durchschnitt von 2012 bis 2015 eine Wachs-tumsrate von 6,9 % (vgl. IMF 2010). Hiervon werden auch die Ostseeanrainer profitieren, die insgesamt eine gute Entwicklungsbasis aufzeigen. So wchst beispielsweise das Exportvolumen von Estland in der Prognose bis 2011 um durchschnittlich 10 % und Deutschlands Exportvolumen um 9 % (vgl. OECD 2010). Die Zunahme des Handels im Ostseeraum wird eine weitere Expansion des Seefrachtverkehrs nach sich ziehen, weil Schiffe hier eine hohe Bedeutung als Verkehrstrger haben. So lag beispielsweise der Anteil des Seegterverkehrs in Estland im Jahr 2008 bei 84 %, in Lettland bei 89 % und in Litauen bei 67 % (vgl. Bundesamt fr Gterverkehr 2009). Die Expansion des Seehandels stellt wachsende Anforderungen an den Umweltschutz und setzt gleichzeitig An-reize fr Innovationen. So knnen neue Technologien im Seeschifffahrts-verkehr entwickelt und eingesetzt werden, die das sensible Binnenmeer Ost-see schtzen. Es gibt bereits zahlreiche Initiativen zum Schutz der Umwelt (vgl. Box 1), unter anderem im Rahmen der EU-Ostseestrategie. So soll zum Beispiel die Ostseeregion in eine Modellregion fr saubere Schifffahrt umgewandelt und die Verringerung des Nhrstoffeintrags in die Ostsee auf ein vertretbares Niveau gesenkt werden (vgl. EU 2010). Dies reduziert einerseits die Umwelt-belastungen im Ostseeraum, aber auch die Wettbewerbsfhigkeit der Schiff-fahrt, was zu Verschiebungen im Modal Split also der Verteilung des Gteraufkommens auf die unterschiedlichen Verkehrsmittel fhren knnte.
Seefrachtverkehr auf Wachstumskurs
0
50
100
150
200
250
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
Ind
ex 2
00
2=
10
0Importe aus dem Ostseeraum
Hamburg
Schleswig-Holstein
Mecklenburg-Vorpommern
Deutschland
Quellen: Statistisches Bundesamt Deutschland(2010); Berechnungen HWWI.
22 HWWI Policy | Report Nr. 16
Box 1
Umweltfreundliche Schiffe
Zahlreiche Hfen darunter Danzig (Gdask), Gteborg, Hamburg, Klaipeda, Riga, Tallinn und Stockholm haben sich zu einer World Ports Climate Initiative
(WPCI) zusammengeschlossen. Diese verfolgt das Ziel, Treibhausgas-Ausste in
den Hfen zu verringern und damit die Luftqualitt zu verbessern. Vor allem
Kreuzfahrtschiffe, die auch im Hafen Licht, Wrme und Stromquellen aller Art fr
die Passagiere zur Verfgung stellen, verursachen Emissionen, Vibrationen und
Lrm. Bisher bekommen die Schiffe die notwendige Elektrizitt grtenteils durch
die Schiffsmotoren mit Schwerl am Liegeplatz geliefert. Dies veranlasste die EU
im Jahr 2007 zu einer Empfehlung fr die Einrichtung von umweltfreundlicherer
Landstromversorgung mit elektrischen Anschlssen, die verhltnismig
gerusch- und vibrationsarm sind. Im Ostseeraum sind Gteborg und Lbeck Vor-
reiterhfen, die bereits diese Form von Stromversorgung forcieren. Der Hamburg-
er Hafen bernimmt ebenfalls eine Vorbildfunktion, weil umweltfreundliche
Schiffe ab 2011 geringere Hafengebhren bezahlen sollen (vgl. Tiedemann 2010).
Und auch Kiel arbeitet an der Umsetzung und Installierung dieser Technik.
Die Hafengemeinschaft von Le Havre, Antwerpen, Rotterdam, Bremen und Ham-
burg fordert auerdem die Entwicklung eines einheitlichen Environmental Ship
Index (ESI) zur Klassifizierung von Schiffen ber ihre Emissionen (vgl. World Ports
Climate Initiative 2010a). Gegenwrtig drfen Schiffe in Schwefel-Emissions-Kon-
trollzonen (SECA) keinen Kraftstoff mit mehr als 1,0 % Schwefelgehalt verwen-
den. Die Nord- und Ostsee sind weltweit die einzigen SECA Fahrgebiete. In allen
anderen Gewssern gilt ein Grenzwert von 3,5 %. Die Internationale Seeschiff-
fahrts-Organisation (IMO) hat dabei im Rahmen des Marpol-Abkommen den
Grenzwert fr Schwefelgehalt in den Kontrollzonen auf 0,1 % herabgesetzt, um
das kosystem der Nord- und Ostsee zu schtzen.
Das ab 2015 gltige Abkommen kann allerdings zu einer Transportverlagerung
auf den Landverkehr fhren, da wesentliche Mehrkosten fr den Einsatz von
ldestillaten in der Schifffahrt erwartet werden. Das Institute fr Seeverkehr-
swirtschaft und Logistik (ISL) (2010) rechnet aufgrund dieser Entwicklung mit
einer jhrlichen Verlagerung von 600 Tausend Einheiten fr den Ostseeraum, die
vom Seeverkehr auf den Lastkraftwagen umgeschlagen werden. Die Landrouten
aus Westeuropa nach Russland und ins Baltikum stellen bereits heute eine Konkur-
renz zum Seeverkehr dar, deren Position sich im Zug des zu erwartenden Kosten-
anstiegs fr den Seefrachtverkehr verbessert. Alternativ zum Grenzwert 0,1 %
schlgt das ISL eine Reduzierung des maximalen Schwefelgehaltes auf 0,5 % vor,
was die Transportkostenrelation der unterschiedlichen Verkehrstrger nur un-
wesentlich verndern wrde.
Fr die Struktur der maritimen Logistik ist die Hub-and-Spoke-Strategie im europischen Fahrtgebiet bedeutsam. Die grten Hfen Europas, Antwer-pen, Rotterdam und Hamburg, fungieren als Hubs fr den Ostseeraum. Von dort werden die Gter mit Feederschiffen weiter zu kleineren Hfen ver-frachtet. Dies sind Schiffe, die als Zubringer nach festen Fahrplnen fahren, whrend ber lngere Distanzen grere Schiffe eingesetzt werden. Auf diese Weise lassen sich Grenvorteile beim Transport realisieren, weil durch den Transport grerer Gtermengen die durchschnittlichen Transportkosten sinken. Zudem reduziert sich die Transportzeit fr die groen Schiffe, weil sie
Containerumschlag im Hub-and-Spoke-Seeverkehr
232011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
nicht jeden Hafen anlaufen mssen. In der Ostsee ist die Hub-and-Spoke-Stra-tegie auch erforderlich, weil viele der kleineren Hfen im Fahrtgebiet nicht ber die notwendigen Gegebenheiten dafr verfgen, dass groe Container- und Tankschiffe einlaufen knnen. Hamburg hat in dieser Hub-and-Spoke-Strategie eine besondere Bedeu-tung fr das Mare Balticum, da hier viele Gter aus Sdostasien umgeladen und zusammengestellt werden. So transportiert Hamburg in der intermodalen Transportkette etwa 26 % der Gter im Seefeederverkehr, 54 % mit dem LKW und 19 % mit der Eisenbahn weiter (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2010). Der Hamburger Hafen ist der zentrale Gterumschlagsplatz Deutsch-lands fr den berseeverkehr. Dabei profitiert die Hansestadt Hamburg vor allem von der Entwicklung des Umschlags mit Containern. So nahm der Con-tainersierungsgrad beim Transport von Stckgtern von 71 % in den 1990er-Jahren auf 97 % im Jahr 2009 zu. Abbildung 4 zeigt die Position Hamburgs im Containerhandel im Weltmastab (Platz 15). Im Jahre 2009 wurden in etwa 7 Mio. Container in Hamburg umgeschlagen. Dies ist im Vergleich mit Singa-pore, dem grten Containerhafen der Welt, etwa 3,5 mal kleiner, aber im Ver-gleich zu St. Petersburg etwa 5 mal grer (vgl. Abbildung 5).
0
5
10
15
20
25
30
Mio
. TEU
Umschlag der Top-20 Containerhfen
2005
2008
2009
Quellen: HPA (2010); Berechnungen HWWI.
Abbildung 4
Abbildung 5
-200
-150
-100
-50
0
50
100
150
200
250
300
0
200
400
600
800
1 000
1 200
1 400
1 600
1 800
2 000
%Tsd. TEU
Containerumschlag von Ostseehfen mit > 10 Tsd. TEU
Absolut 2005
Absolut 2008
Absolut 2009
Vernderung 2005-2009
Quellen: HPA (2010); Berechnungen HWWI.
24 HWWI Policy | Report Nr. 16
St. Petersburg ist der grte Containerhafen im direkten Fahrtgebiet der Ostsee. Hier wurden im Jahre 2009 in etwa 1,3 Mio. Container umgeschlagen. Nach der russischen Stadt, die die zweitgrte Stadt Russlands nach Moskau ist, befindet sich Gteborg auf Platz 2. Der Hafen von Gteborg hat verschiedene Standortvorteile gegenber dem Hafen Stockholms. Der Hafen ist ganzjhrig eisfrei und kann schnell von Schiffen aus Rotterdam und Hamburg ange-fahren werden, ohne dass diese durch den Nord-Ostsee-Kanal oder um Norddnemark durch den Skagerrak fahren mssen. Zudem liegt Gteborg, welche die zweitgrte Stadt Schwedens mit einem Einzugsgebiet von etwa 1 Mio. Menschen ist, an einem Eisenbahnknotenpunkt, von dem aus Stock-holm, Malm, Kopenhagen und Oslo erreichbar sind. Das grte Wachstum unter den Containerhfen der Ostsee im Zeitraum von 2005 bis 2009 hatte Danzig zu verzeichnen (+244 %). Im Jahr 2009 war dies ein Plus von 170 609 Containern. Danach folgt Lbeck mit einem Plus von 18 %. Jedoch sind beide Hafenstandorte von einem niedrigeren Ausgangsniveau aus gewachsen, was ihre hohen Wachstumsraten erklrt. Die Stadt der Sieben Trme war dabei vor allem auf den Handel mit Papier und Zellulose aus Finn-land, Schweden und Russland spezialisiert. Zudem werden diese drei Lnder und das Baltikum von Lbeck aus mit Roll-on/Roll-off-Fhren angefahren. Wenn man jedoch die Entwicklung 2008 bis 2009 betrachtet, so hat Lbeck hier einen Verlust von 82 722 Standardcontainern zu verzeichnen, was einem Rckgang von ber 33 % entspricht. Aus diesem Grund hat die Hamburger Hafen Logistik AG (HHLA) ihr seit 2002 betriebenes Containerterminal in Lbeck wieder aufgegeben und die Containerzugverbindung zwischen den beiden Hansestdten eingestellt (vgl. Behling 2009). Im Zeitraum von 2008 bis 2009 verzeichnete die Hansestadt Hamburg mit ihren Hauptfahrtgebieten einen starken Rckgang im Zuge der Wirt-schafts- und Finanzkrise. Dabei ist der Containerumschlag des Hafens Ham-burg mit dem Fahrtgebiet Ostsee am strksten eingebrochen (-44 %). Die Ver-besserung der Weltkonjunktur zeigt bereits im Jahr 2010 positive Effekte auf den Welthandel mit entsprechenden Impulsen fr die Hafenstandorte. In Hamburg hat sich der Seegterumschlag in den ersten neun Monaten des Jah-res 2010 relativ stark erholt. So verzeichnete der Hafen fr diesen Zeitraum ein Umschlagplus von 8 %. Damit lag das Septembervolumen um 10 % hher als im Vorjahr. Insbesondere im Containerverkehr mit Russland (+15 %), Polen (+19 %) und dem Baltikum (+39 %) war der Handel hher als im Vorjahresquartal. Die Europische Kommission implementiert derzeit eine Initiative zur Strkung des Kurzstreckenseeverkehrs im Rahmen der europischen Verkehrs-politik (vgl. Europische Kommission 2001 und 2009). Dabei wird in einem 14-Punkteplan unter anderem die Harmonisierung der Richtlinien im inter-modalen Verkehr angestrebt. Hiervon sollen auch die Ostseeanrainer mit ihrer langen Kstenlinie profitieren. Dabei sollen neue Linien zwischen klei-neren Hfen, aber auch zwischen den Hubs und den kleineren Hfen, entste-hen und ausgebaut werden. Durch diese Manahmen sollen andere Verkehrswege wie Eisen- und Autobahnen entlastet werden. Diese Strate-gie zur Entwicklung dieses Transportwegs ist von hoher Relevanz fr die Ver-besserung der infrastrukturellen Bedingungen im Ostseeraum, weil es dort bisher relativ wenige landseitige Verbindungen zwischen den Lndern gibt. Zudem wird die Infrastruktur in der Region durch Groprojekte, wie beispielsweise die feste Querung des Fehmarnbelts, weiter verbessert (vgl. Box 2). Entsprechende Infrastrukturmanahmen verbessern die Rahmenbedin-
Strkung des Kurzstreckenseeverkehrs
Containerhandel expandiert wieder.
Standorte fr Containerhfen
252011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Box 2
Fehmarnbeltquerung verbindet
Ende 2008 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und Dnemark ein
Abkommen ber eine feste Fehmarnbeltquerung. Anfang 2011 hat die dnische
Regierung beschlossen, den Bau eines Tunnels gegenber einer Brcke fr den
Schienen- und Straenverkehr zwischen der Insel Fehmarn in Schleswig-Holstein
nach Lolland in Dnemark zu bevorzugen. Durch den Bau der festen Querung soll
die Nord-Sd-Achse im transeuropischen Verkehrsnetz erschlossen werden. Die
Kosten fr das Projekt werden auf 5,6 Mrd. Euro veranschlagt. Dabei wird Dne-
mark nicht nur die gesamten Kosten fr die Errichtung des Tunnels tragen, sondern
auch fr die Hinterlandanbindungen auf dem kniglichen Hoheitsgebiet (ca. 4,8
Mrd. Euro). Deutschland finanziert die Kosten fr die Anbindung in Schleswig-
Holstein (vgl. Deutscher Bundesrat 2009). Dabei sollen die jeweiligen Hinterland-
anbindungen 4-spurig fr den Straenverkehr und 2-spurig fr den elektrifizierten
Schienenverkehr ausgebaut und geschaffen werden. Mit dem Bau der Land-
verbindung wird die Reisezeit von Hamburg nach Kopenhagen von 4,5 auf 3,5
Stunden reduziert. Die grenzberschreitende Arbeitsmarktintegration zwischen
Deutschland und Dnemark und damit das Pendlerpotenzial werden durch die
feste Querung tendenziell positiv beeinflusst. Entscheidende Impulse werden
allerdings nur bei einer signifikanten Verlagerung von Wohngebieten und Arbeits-
pltzen in Richtung Fehmarnbelt erwartet (vgl. Barten et al. 2006). Gegenwrtig
sind die unmittelbar betroffenen potenziellen Quellregionen relativ dnn besie-
delt. Die deutschen Bundeslnder haben unterschiedliche Positionen zu dem Pro-
jekt. So befrchtet Mecklenburg-Vorpommern einen Beschftigungsrckgang an
den Standorten mit einer Fhrroute nach Schweden. Schleswig-Holstein hinge-
gen sieht den Bau als Mglichkeit, sich als Drehscheibe zwischen den Regionen
Kopenhagen / Malm und Hamburg zu positionieren. Dabei geht Dnemark von
einem Wohlfahrtsgewinn von etwa 402 Mio. Euro ber eine Laufzeit von 50
Jahren aus (vgl. Economics Aps und Prognos AG 2004).
gungen fr die wirtschaftlichen Aktivitten und die grenzberschreitende Integration. In zahlreichen Regionen im Ostseeraum gibt es auch zuknftig Investitionsbedarf in die Verkehrsinfrastruktur, um die Erreichbarkeit zu ver-bessern. Hierzu gehren beispielsweise die Eisenbahnquerverbindungen fr den Gterverkehr in einem Ost-West-Korridor von Frankreich ber Deutsch-land, Polen und das Baltikum nach Russland sowie in einem Nord-Sd-Korri-dor (Rail Baltica) von Tallinn in Estland nach Warschau in Polen (vgl. BAG 2010, Europische Kommission 2001, 2007).
26 HWWI Policy | Report Nr. 16
3 | Demografie und Arbeitsmarktintegration
8,4
8,4
7,0
6,9
5,2
2,8
2,6
1,3
-3,4
-6,5
-8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10
EU 27
Schweden
Finnland
Deutschland
Polen
Dnemark
Estland
Lettland
Litauen
Russland
%
Vernderung der Erwerbsttigenzahl von 1999 bis 2009
Quellen: Eurostat (2010); OECD (2010); Berechnungen HWWI.
von 2000 bis 2009
Abbildung 6
In den Ostseeanrainern (ohne Russland) waren im Jahr 2009 67 Mio. Menschen erwerbsttig. Dies entspricht 30,9 % aller Erwerbsttigen in der EU (vgl. Eurostat 2010). Seit 1999 ist die Zahl der Arbeitspltze in diesen Staaten um 6,1 % gestiegen (vgl. Abbildung 6), was den tendenziell steigenden Arbeits-krftebedarf in diesem Wirtschaftsraum verdeutlicht. Ausnahmen von dieser Entwicklung stellen lediglich Russland und Litauen dar. Die Ausstattung mit Arbeitskrften ist fr die zuknftige konomische Entwicklung des Ostsee-raums ein zentraler Faktor. Diese ist eng mit der Vernderung der Bevlke-rungszahl im erwerbsfhigen Alter verknpft, die im Zuge der demografi-schen Vernderungen im Ostseeraum voraussichtlich in den kommenden Jahrzehnten abnehmen wird.
Abnahme der Bevlkerung im erwerbsfhigen Alter
Diese demografischen Vernderungen resultieren aus einem kontinuier-lichen Anstieg der Lebenserwartung, niedrigen Geburtenziffern und rum-lich differenzierten Wanderungsbewegungen (vgl. Tabelle 3). Die Fertilittsrate liegt in allen Ostseeanrainern unter dem Bestandserhaltungsniveau von durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau. Dnemark, Estland, Finnland und Schweden weisen eine hohe Fertilittsrate auf, die den EU-Durchschnitt (1,6) bertrifft. In den anderen Lndern liegt die Fertilittsrate zwischen 1,31 und 1,54. Mit nur 1,36 Kindern pro Frau ist die Fertilittsrate in Deutschland be-sonders niedrig (vgl. Tabelle 3). Dnemark, Deutschland, Finnland und Schweden weisen deutlich hhere Lebenserwartungen auf als die Lnder im stlichen Teil des Ostsee-raums. Dort ist die Lebenserwartung seit Beginn der 1990er-Jahre, insbeson-dere aufgrund verbesserter Umwelt-, Arbeits- und Ernhrungsbedingungen, jedoch kontinuierlich gestiegen. Sie nhert sich dem Niveau in den westlichen Staaten an. Im Jahr 2000 lag die Lebenserwartung bei der Geburt beispiels-weise in Estland bei 65,1 Jahren fr Mnner und bei 76,0 Jahren fr Frauen. 2009 waren die entsprechenden Werte 69,8 Jahre (Mnner) und 80,1 Jahren (Frauen). Schweden hat mit 81 Jahren im Durchschnitt beider Geschlechter die hchste Lebenserwartung.
272011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Tabelle 3
Abwanderungen stellen die Baltischen Staaten vor groe Herausforderungen
Neue Rahmenbedingungen ab 1. Mai 2011
Fertilittsrate Wanderungssaldo
2009 1998 2008
Mnner Frauen Mnner Frauen
Dnemark 1,84 74,3 79,0 76,5 80,8 120 502
Deutschland 1,36 75,4 81,2 77,3 82,5 1 223 305
Estland 1,62 65,1 76,0 69,8 80,1 -11 647
Finnland 1,86 74,1 81,0 76,5 83,1 80 566
Lettland 1,31 64,9 76,0 68,3 78,1 -30 457
Litauen 1,55 66,8 77,5 67,5 78,6 -46 272
Polen 1,40 69,7 78,0 71,5 80,1 -200 050
Russland 1,54 59,0 72,3 62,8 74,7 479 707
Schweden 1,94 77,4 82,0 79,4 83,4 351 418
EU 27 1,60 74,5 80,9 76,1 82,2 keine Angabe
Fr Deutschland Werte aus dem Jahr 2002
Estland: von 2004 bis 2008; Russland: von 2005 bis 2008
Fertilittsrate aus dem Jahr 2008; Lebenserwartung aus den Jahren 2002 und 2007
Quellen: Eurostat (2010); Statistisches Bundesamt Deutschland (2010); Berechnungen HWWI.
Demografische Indikatoren
Lebenserwartung bei der Geburt in Jahren
2000 2009
Wanderungsbewegungen sind ein wesentlicher Faktor der grenzber-schreitenden Arbeitsmarktintegration im Ostseeraum. Gleichzeitig tragen sie bei zu einer Differenzierung der demografischen Entwicklungsprozesse zwi-schen den Lndern. Whrend die Baltischen Staaten und Polen in den letzten zehn Jahren massive Abwanderungsverluste zu verkraften hatten, sind die Staaten im westlichen Teil des Ostseeraums Zuwanderungslnder. Das Wan-derungsmuster im Ostseeraum entspricht damit der Abwanderung aus Nied-rig-Lohnlndern in Lnder mit hheren Lhnen. Nach dem EU-Beitrittsvertrag knnen die EU-15-Mitgliedstaaten die vollstndige Freizgigkeit fr Arbeit-nehmer aus den Lndern, welche der Union 2004 beigetreten sind, maximal bis zum 1. Mai 2011 aussetzen. Deutschland ist eines der wenigen Lnder, welches die Fortsetzung der Beschrnkung vom 1. Mai 2009 bis 30. April 2011 beschloss. Fr Deutschland bedeutet dies, dass Staatsangehrige der jungen Mitgliedstaaten wie Zuwanderer aus Drittlndern dem Einwanderungsgesetz unterliegen und eine Arbeitserlaubnis bentigen. Die Rahmenbedingungen fr die Arbeitsmarktintegration in der EU werden sich am 1. Mai 2011 verndern, wenn die vollstndige Arbeitnehmer-freizgigkeit (und Dienstleistungsfreiheit) hergestellt wird. Zuwanderungspro-gnosen deuten darauf hin, dass aus den jungen EU-Mitgliedstaaten (ohne Bul-garien und Rumnien) bis zum Jahr 2020 jhrlich bis zu 240 000 Personen in die EU-15 zuwandern werden. Die Prognosen fr die Zuwanderung aus Bulgarien sowie Rumnien in diese EU-Lnder liegen bei jhrlich ca. 190 000 Zuwanderern bis 2020. In Deutschland knnte dabei der Migrationsbestand bis 2020 um ca. 1,8 Mio. Personen ansteigen, was einer jhrlichen Nettomigration von 175 000 Per-sonen entspricht. Dabei wird Deutschland allerdings voraussichtlich vergleichs-weise wenig von der Wanderung hoch qualifizierter Arbeitskrfte aus Osteuropa profitieren, die verstrkt in die USA und Grobritannien wandern (vgl. Brcker et al. 2009). So wandern seit 2006 insgesamt mehr polnische Arbeitskrfte nach Grobritannien als etwa nach Deutschland aus. Im Jahr 2009 hat sich allerdings die Migrationsprferenz der Polen, nach Grobritannien auszuwandern, zugun-sten Deutschlands verschoben (vgl. Iglicka 2010). Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die ffnung des deutschen Arbeitsmarktes im Mai 2011 auswirken wird.
28 HWWI Policy | Report Nr. 16
Herausforderung demografischer Wandel
Kaum eine Herausforderung fr die Zukunft ist in vielen Lndern lnger und intensiver diskutiert worden als der demografische Wandel. Mancher wrde sagen ohne eine klare Immigrationspolitik ist die Zukunft nicht zu meistern, andere versuchen der Frage mit einer Anhebung des Rentenal-ters und frheren Arbeitsbeginn zu begegnen. Doch sind das die einzigen Mglichkeiten?Im Ostseeraum gibt es tatschlich noch Lnder mit Geburtenzuwchsen! Gezielte Familienpolitiken, unter anderem mit Muttergehltern, Kin-dergrten und anderen Angeboten fr Familien, haben in vielen nrdli-chen Lnden und auch im Baltikum spannende Ergebnisse erzielt. Bei den Ostseeanrainern gibt es also verschiedenste Anstze und Schwerpunkte, doch welche sind die effektivsten? Welche passen am besten ins 21. Jahr-hundert? Natrlich gibt es nicht das eine und einzig richtige Rezept, doch sollten wir stets ber den eigenen Tellerrand schauen und versuchen, die besten Mglichkeiten zu finden und umzusetzen. Kaum einer wird bezweifeln, dass auch das Rentenalter angehoben werden muss, doch auch das ist nur ein Teil im komplexen Demografie-Puzzle. Wie gehen wir mit Migration um? Wollen wir eher eine EU-interne Immigration oder eine aus so ge-nannten Drittlndern? Und wie verhindern wir bei EU-interner Arbeitsmi-gration, dass am Ende nicht des einen Freud, des anderen Leid ist? Dann, wenn etwa durch ein gezieltes Abwerben von qualifizierten Arbeitskrf-ten in deren Herkunftslndern zum Beispiel Lettland immense Pro-bleme entstehen? Ich habe leider mehr Fragen als Antworten. Und trotzdem: Es bleibt zu hof-fen, dass viele aktive Brger, Unternehmen und Politiker europische Nachbarschaftsregionen wie rund um die Ostsee gerade in schwierigen Zeiten als Chance begreifen, voneinander zu lernen, grenzberschreitend Erfahrungen auszutauschen und wahre Partnerschaften zu entwickeln. Da kann auch das groe und reiche Deutschland noch vom kleinen, aber strebsamen Lettland lernen.
Andris Gobins
Prsident der Europischen Bewegung LettlandMitglied des Europischen Wirtschafts- und SozialausschussesMitglied im Kooperationsrat der lettischen Regierung und der
Organisierten Zivilgesellschaft in Lettland
Die Folgen der niedrigen Fertilittsraten und der Wanderungsverluste in den Baltischen Staaten und Polen in der Vergangenheit zeigen sich deutlich in der Bevlkerungsentwicklung von 1998 bis 2008 (vgl. Abbildung 7). Whrend Schweden ein Wachstum von 3,8 % verbuchen konnte, ist die Bevlkerungs-zahl in diesen Lndern zurckgegangen. In Deutschland hat sich die Be-vlkerungszahl mit einem Plus von 0,2 % nur wenig verndert. Insgesamt liegt der Ostseeraum aber hinsichtlich der Bevlkerungsdynamik unter dem EU-Durchschnitt (+3,5 %). Die demografischen Trends der letzten Jahre werden sich zuknftig fort-setzen. Dies bedeutet sowohl eine Vernderung der Bevlkerungszahl insge-
Vielerorts rcklufige Bevlkerungszahl
292011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
3,8
3,5
3,4
3,0
0,2
-1,4
-3,0
-3,7
-5,5
-6,2
10,4
4,1
5,4
4,3
-2,4
-2,9
-8,2
-4,9
-7,6
-9,6
-12 -8 -4 0 4 8 12
Schweden
EU 27
Dnemark
Finnland
Deutschland
Polen
Russland
Estland
Litauen
Lettland
%
Entwicklung der Bevlkerungszahlen
1998 bis 2008
Prognose 2010 bis 2030
von 2001 bis 2009
Quellen: Eurostat (2010); OECD (2010); Federal State Statistics Service of the Russian Federation (2010); Quellen: Berechnungen HWWI.
Abbildung 7
Alterung der Arbeitskrfte beeinflusst konomie
samt als auch eine Alterung der Bevlkerung. Eurostat prognostiziert lediglich fr Dnemark, Finnland und Schweden in den nchsten zwanzig Jahren eine deutliche Zunahme der Bevlkerung (vgl. Abbildung 7). Rcklufige Be-vlkerungszahlen betreffen vor allem die Staaten im stlichen Teil des Ostsee-raums, insbesondere Lettland (-9,6 %). Es ist jedoch zu bercksichtigen, dass fr die Ergebnisse der Bevlkerungsprognosen die Annahmen bezglich der zuknftigen Migrationssalden kritische Parameter sind. Wenn die Lnder, fr die eine abnehmende Bevlkerung prognostiziert wird, ihre Abwanderungen eindmmen knnen, wird der Bevlkerungsrckgang gebremst. Ob dies ge-lingt, hngt insbesondere davon ab, wie sich diese Lnder konomisch ent-wickeln werden, wie das Lohnniveau sich zuknftig darstellt und in welchem Mae dort zustzliche Arbeitspltze entstehen werden. Doch nicht nur die Zahl der Personen im erwerbsfhigen Alter wird rck-lufig sein. Ihre altersstrukturelle Zusammensetzung wird sich ebenfalls verndern. In der Tendenz verringert sich die Anzahl der Erwerbsfhigen un-ter 45 Jahren. Fr die stlichen Lnder wird diesbezglich eine Abnahme zwi-schen -7,9 und -24,3 % erwartet (vgl. Abbildung 8). Generell stellen der Rck-gang der erwerbsfhigen Bevlkerung und ihre Alterung eine Herausfor- derung fr die zuknftige konomische Entwicklung der Ostseelnder dar. Es gibt empirische Analysen, die einen negativen Zusammenhang zwischen dem Altern der Arbeitskrfte und der durchschnittlichen Produktivitt ins-besondere in industriellen Berufen vermuten lassen (vgl. Skirbekk 2008; Brsch-Supan et al. 2006). Dies wirkt sich negativ auf die Wettbewerbsfhig-keit der Unternehmen im Ostseeraum aus, wenn nicht Manahmen umge-setzt werden, welche die Produktivitt positiv beeinflussen knnen. Alternde Belegschaften erfordern ein an sie angepasstes Arbeitsumfeld, was auch le-benslanges Lernen einschliet. Die abnehmende Bedeutung von krperlicher Kraft im Berufsleben und die verbesserte Gesundheit sowie kognitive Fhig-keiten von lteren lassen dabei Raum fr neue Formen der Arbeitsorganisa-tion. Kontinuierliche Fortbildungsmanahmen, graduelle Reduzierung der
30 HWWI Policy | Report Nr. 16
1,4
-0,6
-4,1
-10,4
-15,6
-22,1
-17,9
-23,2
-22,6
-24,3
2,1
-6,6
-14,3
6,1
-6,4
1,0
-1,3
-0,8
-7,5
-1,8
10,4
5,4
4,3
4,1
-2,4
-2,9
-4,9
-7,6
-8,2
-9,6
-30 -25 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15
Schweden
Dnemark
Finnland
EU 27
Deutschland
Polen
Estland
Litauen
Russland
Lettland
%
Entwicklung der Bevlkerung nach Altersgruppen, 2010 bis 2030
15 - 44 Jahre
45 - 64 Jahre
Insgesamt
Quellen: Eurostat (2010); UN (2010); Berechnungen HWWI.Abbildung 8
Arbeitszeit und flexible Gehaltsmodelle sind nur einige Handlungsmglich-keiten, um sich an die verndernde Demografie anzupassen und von den vorhandenen Erfahrungen der lteren Arbeitskrfte zu profitieren.
Rckgang des Arbeitskrfteangebotes bremsen
Arbeitspendler frdern Flexibilitt
Zudem stehen den Ostseelndern Handlungsoptionen offen, um dem Rckgang des Arbeitskrfteangebotes entgegenzuwirken. Ein zentrales Hand-lungsfeld ist hierbei die Erhhung der Erwerbsbeteiligung in allen Altersklas-sen. Die durchschnittliche Erwerbsttigenquote liegt zwischen 76 % in Dne-mark und 58 % in Polen. Vor diesem Hintergrund sind relevante Manahmen auf Ebene der Unternehmen und des Staates solche Initiativen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Gegenwrtig gibt es hinsich-tlich der Erwerbsttigenquote bei Mnnern und Frauen erhebliche Unter-schiede zwischen den einzelnen Staaten (vgl. Abbildung 9). Die Ausnahme stellen die Baltischen Staaten dar. In diesen Lndern bestehen kaum Unter-schiede zwischen den Erwerbsttigenquoten von Mnnern und Frauen. Und Litauen ist das einzige untersuchte Land, in dem die Erwerbsttigenquote bei den Frauen mit knapp ber 60 % hher ist als bei den Mnnern. Besonders gravierende Differenzen gibt es hingegen in Polen und in Deutschland. Hier liegt die Erwerbsttigenquote bei den Frauen deutlich unter jener der Mnner. Hinsichtlich der demografischen Vernderungen ist es zu bercksichti-gen, dass der Ausbau der grenzberschreitenden Verkehrsinfrastruktur und eine Flexibilisierung der Arbeitsmrkte eine effizientere grenzberschrei-tende Arbeitsmarktintegration ermglichen. Dabei erffnet auch das Pendeln ber nationale Grenzen hinweg Potenziale, Fachkrftemangel und regionalen Mismatch auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen. Grenzpendeln frdert die Beziehung zwischen den einzelnen Regionen und strkt die Mobilitt und Flexibilitt des Arbeitskrfteangebots in Grenzregionen. Entscheidend ist da-bei auch die Verbesserung der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bil-dungsabschlssen (vgl. Box 3). Zuwanderer aus dem Ausland werden aufgrund ihrer nicht anerkannten Abschlsse hufig unter ihrem Quali-
312011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
Abbildung 9
50 55 60 65 70 75 80
Polen
Litauen
Lettland
Estland
EU 27
Finnland
Russland
Deutschland
Schweden
Dnemark
%
Erwerbsttigenquote, 2009
Insgesamt
Frauen
Mnner
Quellen: Eurostat (2010); OECD (2010); Berechnungen HWWI.
von 2008
Arbeitsmarktintegration durch Grenzpendeln
fikationslevel beschftigt, so dass ihre Potenziale nicht effizient genutzt werden. Obwohl es immer noch Grenzhemmnisse zwischen den Staaten im Ost-seeraum gibt, haben sich in den letzten Jahren einige Regionen durch steigen-de Pendlerzahlen hervorgetan. Zu nennen sind hier zum Beispiel Sonderjt-land-Schleswig (Snderjylland-Schleswig) fr Deutschland und Dnemark, die Europaregion Tornedalen zwischen Finnland und Schweden und vor allem die resund (resund) Region im schwedisch-dnischen Grenzraum (vgl. Bal-tic Sea Parliamentary Conference 2009). Das Beispiel der resund Region ver-deutlicht, dass die berwindung von administrativen Hindernissen und die Schaffung von Verkehrsverbindungen einen wichtigen Beitrag zur erfolgrei-chen grenzberschreitenden Arbeitsmarktintegration leisten knnen (vgl. Statistics Denmark 2010). Zur Arbeitsmarktintegration zwischen Dnemark und Schweden hat die im Juli 2000 fertig gestellte resundbrcke zwischen Kopenhagen und Malm mageblich beigetragen. Die Zahl der Pendler von Schweden nach Dnemark hat sich im Jahr 2008 gegenber 1997 fast verneunfacht (vgl. Abbildung 10). Im Jahr 2007 pendelten tglich ca. 18 500 Personen zwischen Dnemark und Schweden. 96,6 % von diesen Personen leben in Schweden und haben ihren Arbeitsplatz in Dne-mark. Dennoch sind 37 % der Pendler Dnen und 40 % Schweden. Dies ist da-rauf zurckzufhren, dass die Immobilienpreise in Schweden wesentlich nie-driger als in Dnemark sind. Zudem sind die Arbeitskrftenachfrage und das Lohnniveau auf der dnischen Seite hher. Durch die demografische Entwick-lung wird sich dieser Trend noch verschrfen, weil die Alterung der Be-vlkerung im dnischen Teil der resund Region schneller voranschreitet. Laut Tendens resund (2010) wird sich die Zahl der Pendler in dieser Region bis 2025 auf ber 40 000 erhhen.
32 HWWI Policy | Report Nr. 16
Box 3
Baltic Education: Frderung grenzberschreitender Arbeitsmarktintegration
Die Arbeitsmarktintegration in der EU wird nach wie vor durch Grenzhemmnisse,
welche die Mobilitt des Faktors Arbeit behindern, geprgt. Ein besonders be-
deutsames Hindernis hierfr stellt neben mangelnden Sprachkenntnissen und
kulturellen Unterschieden die fehlende grenzberschreitende Anerkennung von
Berufsabschlssen der Arbeitsmigranten dar. Angesichts des demografischen
Wandels und der Gefahr eines hieraus resultierenden Fachkrftemangels hat die
Intensivierung der grenzberschreitenden Arbeitsmarktintegration eine hohe
Bedeutung fr den Ostseeraum. Hiermit befasste sich das vom Hanse-Parlament
initiierte und von der EU finanzierte Leonardo Da Vinci Projekt Baltic Education,
welches zur Verbesserung der Bedingungen fr die Wanderung von Arbeitskrften
im Ostseeraum beitrgt und die Reduktion von Intra-EU-Mobilittshemmnissen
untersttzen soll. An der Pilotphase des Projekts waren die Ostseeregion mit den
Stdten Gdansk, Hamburg, Pori und Vilnius beteiligt. Das vom Hanse-Parlament
in Zusammenarbeit mit dem HWWI entwickelte ECVET-System (European Credit
System for Vocational Education and Training) fr Menschen mit Berufsausbil-
dung im Ostseeraum basiert im Wesentlichen auf einer Bewertung von Kern- und
Zusatzqualifikationen sowie der Einfhrung eines Referenzberufes, welcher die
optimalen Qualifikationen des jeweiligen Berufes beschreibt. Zudem wurden Ver-
fahrensregeln fr die internationale Anerkennung von beruflichen Bildungsab-
schlssen erarbeitet. Dieses Modell zur gegenseitigen Anerkennung von Berufs-
bildungsabschlssen trgt den unterschiedlichsten Ausbildungskulturen und
-berufen im Ostseeraum Rechnung. Die Berufsausbildung wird durch die hier
beschriebenen Ergebnisse adquat angesprochen, weil insbesondere eine inhaltli-
che Angleichung aller beruflichen Rahmenlehrplne nicht mglich und eine Uni-
formierung der Ausbildungsberufe nicht wnschenswert ist.
Abbildung 10
100
200
300
400
500
600
700
800
900
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Ind
ex 1
99
7=
10
0
Entwicklung der Pendlerzahl zwischen Schweden und Dnemarkvon 1997 bis 2008
Dnemark nach Schweden
Schweden nach Dnemark
Quellen: Statistics Denmark (2010); restats (2010); Berechnungen HWWI.
nur Personen der 102 Gemeinden stlich des Groen Belts und in den 33 Gemeinden Sdschwedens
332011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
4 | Innovationsraum Ostsee
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Polen
Lettland
Deutschland
EU 27
Litauen
Schweden
Dnemark
Estland
Finnland
%
Bevlkerung zwischen 15 und 64 nach Bildungsstufe 2009
Tertirbereich Sekundarstufe II und Post-Sekundarbereich
Vorschule, Primrbereich und Sekundarstufe I keine Angabe
Quellen: Eurostat (2010); Berechnungen HWWI.
Daten fr Russland nicht verfgbar
Abbildung 11
Technologische Leistungsfhigkeit ist die Basis der Wettbewerbsfhigkeit des Ostseeraums
Schlsselressource Wissen
Die Ostseeregion ist auch im globalen Mastab ein bedeutendes konomi-sches Kraftzentrum. Neun Prozent des globalen Bruttosozialproduktes werden in dieser Region erwirtschaftet. Allein fr die Bundesrepublik be-trgt der Handel innerhalb der Ostseeregion zehn Prozent und ist damit bedeutender als der mit den Vereinigten Staaten und mit Japan zusammen.Der konomische Erfolg beruht ganz besonders auf der weit berdurch-schnittlichen Innovationsfhigkeit der Region. Mit ber 100 Universitten und Forschungsinstituten, die in der Regel sehr gut vernetzt sind, ist in der Ostseeregion ein Innovationsraum von globaler Bedeutung entstanden. Und das hat Geschichte: In dieser Region haben Nikolaus Kopernikus,
Die Sicherung seiner technologischen Leistungsfhigkeit und Innova-tionskraft ist eine wichtige Voraussetzung dafr, dass sich der Ostseeraum zuknftig im globalen Standortwettbewerb behaupten kann. Die Ausprgun-gen dieser Faktoren hngen ihrerseits unter anderem von der Verfgbarkeit qualifizierter Arbeitskrfte und den Forschungs- und Entwicklungsttig-keiten ab. Dnemark, Estland, Finnland, Litauen und Schweden schneiden hinsichtlich des Anteils tertirer Abschlsse (hhere Fach- und Berufsausbil-dung, hhere Fachschule, Fachhochschule, Universitt oder Hochschule) im Vergleich zur EU berdurchschnittlich gut ab (vgl. Abbildung 11). In diesen Lndern haben 26 % (Litauen) bis 31 % (Finnland) ein entsprechendes Bildungs-niveau. Polen und die Baltischen Staaten haben unter den Ostseestaaten den grten Anteil der Bevlkerung mit einem Abschluss der Sekundarstufe II. Litauen weist mit 82,1 % den hchsten Anteil an Bevlkerung mit entweder einem Abschluss der Sekundarstufe II/Post-Sekundarbereich oder einem tertiren Abschluss (vgl. Abbildung 11) auf.
34 HWWI Policy | Report Nr. 16
Tycho Brahe, Carl von Linn, Immanuel Kant, Sren Kierkegaard, Niels Bohr und viele andere gelebt und geforscht, und es ist kein Zufall, dass hier seit 1901 alljhrlich die Nobelpreise vergeben werden.Wenn Bildung die wichtigste Innovationsressource ist, dann hat die Ost-seeregion exzellente Voraussetzungen im globalen Wettbewerb. Das zeigt PISA, und dies haben alle internationalen Untersuchungen der letzten Jahre immer wieder besttigt. Genauso profitiert die Region davon, dass ber alle nationalen Grenzen hinweg das Gefhl, in einem gemeinsamen Kooperationsraum zu leben, schon seit Hanse-Zeiten fest verankert ist. Das beste Beispiel fr diese selbstverstndliche und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit ist zweifelsohne die resund Region, die sich zu einem weltweit bedeutendem Technologiezentrum im Gesundheitsbereich ent-wickelt hat. Daneben gibt es innovative Zentren im Bereich der Informa-tionstechnologien und der Nanotechnologie. Aber auch die klassischen maritimen Technologien haben immer noch einen hohen Stellenwert in der Region, und in den Schifffahrtsdienstleistungen ist die Ostseeregion nicht nur mit der weltgrten Containerreederei gut aufgestellt.
Rainder Steenblock
Schleswig-holsteinischer Umweltminister a. D.Er vertritt DIE GRNEN im Vorstand
des Netzwerks Europische Bewegung Deutschland.
Hohes Potenzial gut ausgebildeter Fachkrfte
2,2
2,3
6,8
4,9
7,0
10,1
6,4
5,5
6,2
27,2
27,2
24,9
28,3
33,1
35,5
41,2
43,9
47,8
0 10 20 30 40 50 60
Lettland
Litauen
Polen
Estland
EU 27
Deutschland
Finnland
Dnemark
Schweden
%
Anteil der wissensintensiven Branchen an der Beschftigung insgesamt 2008
Verarbeitendes Gewerbe in der Spitzen-und mittleren Hochtechnologie
Wissensintensive Dienstleistungen
EU 27, Polen und Schweden 2007; Daten fr Russland nicht verfgbar
Quellen: Eurostat (2010); Berechnungen HWWI.Abbildung 12
Die Bildungsindikatoren zeigen, dass in allen Ostseelndern ein hohes Potenzial gut ausgebildeter Menschen vorhanden ist. Eine deutlichere Diffe-renzierung zwischen den Lndern gibt es bezglich des Beschftigungsanteils der wissensintensiven Dienstleistungsbranchen und der forschungsintensi-ven Industrien. Diese Wirtschaftszweige sind ihrerseits wichtig fr die Adap-tion von Innovationen und den wissensbasierten Strukturwandel. Sie haben gegenwrtig in Polen sowie in den Baltischen Staaten einen wesentlich gerin-geren Beschftigungsanteil als zum Beispiel in Schweden (vgl. Abbildung 12), wo er 54 % betrgt.
352011 | Silvia Stiller, Jan Wedemeier Zukunft Ostseeraum: Potenziale und Herausforderungen
FuE-Investitionen in einigen Lndern auf sehr hohem Niveau
aber Aufholbedarf im stlichen Teil des Ostseeraums
Tabelle 4
Innovationsindikatoren
Innovation
European Scoreboard
BIP-Anteil der FuE-Aufwen-
dungen
Anteil FuE-Personen an den
Erwerbsttigen
Patente pro 100.000
Einwohner
Anteil HRST an den
Erwerbsttigen
2009 2008 2007 2007 2009
Platzierung % % %
EU 27 - 1,9 1,5 11,7 42,1
Schweden 2 3,8 2,4 29,8 51,2
Finnland 3 3,7 3,0 25,1 52,5
Deutschland 4 2,6 1,7 29,1 47,5
Dnemark 6 2,7 2,4 19,4 53
Estland 13 1,3 1,4 1,7 49,2
Polen 26 0,6 0,7 0,4 36,4
Litauen 27 0,8 1,2 0,2 45,3
Lettland 30 0,6 0,9 0,8 43,3
Russland - 1,0 1,1 0,2 -
33 Lnder im Vergleich
Human Resources in Science and Technology
von 2005
Quellen: Eurostat (2010); HWWI.
Die differierenden Voraussetzungen fr Innovationen spiegeln sich auch in den Indikatoren im internationalen Innovationsvergleich wider. Unter den ersten 10 Lndern im European Innovation Scoreboard befinden sich mit Schwe-den (Platz 2), Finnland (Platz 3), Deutschland (Platz 4) und Dnemark (Platz 6) gleich vier Osteeanrainer (vgl. Tabelle 4). Estland, das seine Kapazitten fr Forschung und Entwicklung (FuE) in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, ist bereits auf Platz 13 zu finden. Polen, Litauen und Lettland sind hingegen im Lndervergleich auf den hinteren Rngen platziert.
Die Reihung im European Innovation Scoreboard entspricht im Wesentlichen dem Ranking der Lnder hinsichtlich des BIP-Anteils der FuE-Ausgaben. Dieser betrgt in Schweden 3,8 %, in Finnland 3,7 %, in Dnemark 2,7 % und in Deutschland 2,6 %. In Estland flieen 1,3 % des BIP in FuE. Die weiteren Lnder im Ostseeraum investieren hingegen mit Ausnahme Russ-lands (1,0 %) mit weniger als 1 % des BIP noch vergleichsweise wenig in ihre FuE-Kapazitten. Positiv ist hervorzuheben, dass mit Schweden und Finnland bereits zwei EU-Lnder mehr als 3 % des BIP fr FuE verwenden. Die Realisierung dieses Wertes in allen EU-Lndern ist ein strategisches Ziel von Europa 2020. Diese Strategie hat der Europische Rat im Juni 2010 verabschiedet, wobei die Frderung von Forschung und Innovationen sowie Bildung Schwerpunkte darstellen. Entsprechend der FuE-Investitionen lassen sich rumliche Disparitten fr den Anteil der Erwerbsttigen, die in der Wissenschaft und technischen Funktionen ttig sind, feststellen. Hinsichtlich dieses Indikators sind die Unterschiede zwischen den Lndern im westlichen und stlichen Teil des Ostseeraums jedoch deutlich geringer als bei den FuE-Aufwendungen. Gegenwrtig variieren die Innovationserfolge zwischen den Ostsee- anrainern erheblich (vgl. Tabelle 4). Schweden, Finnland, Dnemark und
Erfolgreiche Erfinder im Ostseeraum
36 HWWI Policy | Report Nr. 16
Ostseeregionen profitieren von Face-to-Face-Kontakten
Gesundheitswirtschaft: Grenzbergreifende Clusterbildung
Deutschland gehren zu den fhrenden Erfindern in Europa und erreichen eine Patentintensit