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www.voestalpine.com Zukunft Wir nehmen die Zukunft in die Hand! Ausgabe 2016 voestalpine Magazin Fünf Länder, eine Zukunft? Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten Kreative Megacitys Wie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können Mission zum Mars Der Traum vom Leben auf dem Mars könnte wahr werden

Zukunft - voestalpine · wie Geburt und Tod, Umzug oder Beruf, einen neuen Freund kennen-lernen oder sich verlieben. Letzteres übrigens kann fast beiläufig und je-derzeit passieren

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voestalpine AG voestalpine -Straße 1 4020 Linz, AustriaT. +43/50304/15-0F. +43/50304/55-0www.voestalpine.com www.voestalpine.com

ZukunftWir nehmen die Zukunft in die Hand!

Ausgabe 2016 voestalpine Magazin

Fünf Länder, eine Zukunft?Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten

Kreative MegacitysWie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können

Mission zum MarsDer Traum vom Leben auf dem Mars könnte wahr werden

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„Wir nehmen die Zukunft in die Hand.“

Ihr Wolfgang Eder, CEO voestalpine AG

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie kennen das Gefühl vermutlich selbst: Angesichts der ständig schneller ablaufenden Veränderungen in un-serer Welt kann es schon einmal ein wenig schwierig werden, immer mit allen Themen Schritt zu halten. Die Welt ist mehr denn je im Wandel, permanent – und Wandel bedeutet stets neue Herausforderungen. Der englische Naturforscher Charles Darwin hat es sich einst zur Aufgabe gemacht, die laufenden Veränderun- gen des biologischen Lebens zu untersuchen. Von ihm stammt auch die Aussage „Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel“. Darwin rückt damit ins Bild, was wir gerne aus den Augen verlieren, was viele Menschen wohl am liebsten auch gar nicht wahrhaben möchten: dass der Wandel eine der wenigen verlässlichen Konstanten unseres Lebens darstellt. Dies bedeutet für uns als Konzern, aber auch für jeden Einzelnen, dass wir uns täglich den Heraus-forderungen der Veränderung stellen müssen – in wirt- schaftlicher, technologischer, aber auch gesellschaft-licher Hinsicht. Wie dieses Sichstellen aussehen kann, zeigen die Artikel unserer aktuellen Ausgabe von Zu- kunft. Sie spiegeln die Art und Weise wider, wie Tech-nologien unsere Welt verändern, und zeigen auch, welche Rolle kulturelle Unterschiede bei der Verbrei-tung und Akzeptanz neuer Techniken, neuer Tech- nologien spielen. Unsere Autorin Luciana Ferrando etwa berichtet vom Fortschrittsenthusiasmus Argen-tiniens. Zu den Eigenheiten des Landes gehört, dass technologischer Wandel dort mit besonders großer Begeisterung aufgenommen wird. Technologie wird in Argentinien als Verstärker kultureller Entwicklung begriffen und hat positiven Einfluss auf das Denken und Handeln der Menschen im Land, auch wenn da oder dort eingeschränkte Ressourcen dem Fortschritt im Wege stehen. Michael Lind, Mitbegründer der New America Foundation, fragt sich im Gespräch mit unserer Redaktion, ob zu viel Technologie vielleicht sogar gegen die Natur des Menschen ist, kommt aber zu dem Schluss, dass es im Prinzip darauf ankommt, was wir daraus machen. Und auch Paul Sullivan geht in seinem Essay der Frage nach, inwiefern techno-logischer Wandel unser Leben bestimmt und wie wir durch einen Wechsel der Perspektive Veränderung

auch als Chance begreifen können. Dabei eint unsere Autoren eine gemeinsame Sicht der Basis: Verände-rungen betreffen stets unsere Gesellschaft als Ganzes. Durch Zusammenarbeit nehmen wir den Wandel ge-meinsam in die Hand, begegnen wir ihm gemeinsam. Er lässt uns, wie die Autorin Louisa Preston beschreibt, sogar im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen greifen. So ist eine ganze Reihe internationaler Missio-nen derzeit bestrebt, die ersten Menschen Richtung Mars zu entsenden. Nicht wenige Wissenschaftler träu- men neben der Erforschung des roten Planeten sogar von seiner Besiedlung. Gerade solche Perspektiven sind geprägt von laufenden technologischen Innova- tionen und großen Visionen. Es sind diese Themen, die uns bei voestalpine besonders am Herzen liegen, uns faszinieren. Wir sollten die Innovationskraft der in dieser Ausgabe vorgestellten Menschen – besser viel- leicht noch ihren Innovationswillen – als Aufruf an uns alle verstehen, sich ihnen anzuschließen. Nur das bewusste Engagement jedes Einzelnen von uns wird diese Welt im positiven Sinne verändern.

Mit herzlichen Grüßen

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12 Die Macht der Veränderung Wie Wandel unser privates und berufliches Leben beeinflusst

16 „Ein Leben ohne Risiko ist nicht möglich“ Interview mit Wolfgang Eder

18 Unsere Zukunft Wie Menschen von voestalpine die Zukunft sehen

20 Industrie im Zeichen des digitalen Wandels Traditionelle Unternehmen suchen die Nähe zu jungen und dynamischen Ideenschmieden

22 Ideen, die uns weiterbringen Wir stellen aufgeweckte Gründer vor, die unsere Welt verändern wollen

Da sein Vorausdenken

30 Technologie Welche Rolle spielt sie bei der Lösung globaler Herausforderungen?

38 Fünf Länder, eine Zukunft? Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten

48 Volle Kraft voraus So funktionieren effiziente Kraftwerke der Zukunft

52 Kreative Megacitys Wie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können

56 Spezialisten sind unersetzbar Wir stellen vier Menschen aus dem Unternehmen vor

Neugierig bleiben

60 Mission zum Mars Der Traum vom Leben auf dem Mars könnte wahr werden

66 Lichtblicke aus dem Orbit Spektakuläre Aufnahmen der Erde vom Satelliten Suomi NPP

70 Wenn Essen Leistung steigert Können wir uns schlauer, gesünder und schöner essen?

74 Clevere Riesen Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen

76 Individualisierung des Alltags Wenn Dienstleistungen den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Inhalt

Veränderung: Voraus-

setzung für Fortschritt

und Verbesserung

— Seite 12

Technologie: drei

ganz unterschiedliche

Sichtweisen

— Seite 30

Spezialisten: vier

Mitarbeiter mit beson-

deren Fähigkeiten

— Seite 56

Ausgabe 2016

6 Unsere Welt Wie wird unsere Welt von morgen aussehen?

8 Mitwirkende Die Menschen, die dieses Magazin gemacht haben

8 Impressum

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Unsere WeltWie wird unsere Welt

von morgen aussehen?

Das sind die Orte, an

denen wir in dieser Aus-

gabe nachforschen.

Silicon Valley, USAVorbild ist das Silicon Valley: Um radikale Innovationen zu ermöglichen, suchen immer mehr Unternehmen die Nähe von Start-ups. Industrie im Zeichen des digitalen Wandels — Seite 20

Washington, D.C., USAIn Washington sprechen wir mit Autor Michael Lind über Technologie und ihre Rolle im Heute und Morgen.

„Es gibt kein Zurück“ — Seite 34

Americana, Brasilien Lara Baralhas aus Americana möchte neue Planeten kennenlernen. Unsere Zukunft — Seite 18

ArgentinienIn Argentinien spielen Roboter in der Bildung eine immer größere Rolle.Fünf Länder, eine Zukunft? — Seite 38

IslandUnsere Autorin Louisa Preston geht in der marsähnlichen Landschaft von Island mit dem Gründer des Besiedlungsprojekts Mars One spazieren. Mission zum Mars — Seite 60

Deutschland Wie sich mit Abwärme von Kraftwerken aus Brennstoff mehr Strom gewinnen lässt.Volle Kraft voraus — Seite 48

KeniaDie Vergasung von Biomasse eignet sich besonders für Länder wie Kenia, wo die Stromnetze schlecht ausgebaut sind.Volle Kraft voraus — Seite 48

Mumbai, IndienTool Houses bieten Flächen für Wohnraum und Produktionsbetriebe.Kreative Megacitys — Seite 52

MalaysiaMohammad Asadullah will Biomasse ver-gasen. Das braucht weniger Brennstoff als Kraftwerke mit Dampfturbine.Volle Kraft voraus — Seite 48

Japan Klischee oder Realität: Können auch tech-nische Dinge eine Seele haben?Fünf Länder, eine Zukunft? — Seite 38

Melbourne, AustralienBewohner hatten die Idee zur Little Library, einer Bibliothek, die die Benutzer selbst-ständig organisieren. Kreative Megacitys — Seite 52

Silicon Valley

Washington, D.C.

Deutschland

Melbourne

Kenia Malaysia

Mumbai

Americana

Japan

Island

Argentinien

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Impressum Mitwirkende

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Luciana Ferrando Journalistin (Deutschland)

Für ihren Beruf taucht Luciana Ferrando immer wieder in neue Welten ab – für Zukunft in die

der Technologie: In einem Artikel untersucht sie deren Akzeptanz in ihrer Heimat Argentinien,

in einem anderen in welcher Beziehung der Mensch zu ihr steht.

— Seite 32 —

Björn Lüdtke Redakteur (Deutschland)

Björn Lüdtke ist seit Beginn mitverantwortlich fürKonzept und Redaktion des Magazins Zukunft.

Die Spezialgebiete des freiberuflichen Fachjour-nalisten sind eigentlich Mode und Marketing. Für

voestalpine befasst er sich aber auch gerne mit Veränderung und Technologie.

— Seite 38 —

Louisa Preston Astrobiologin und -geologin (Großbritannien)

Louisa Preston, Astrobiologin und -geologin sowie TED Fellow, beschäftigt sich mit der Entdeckung

von Leben auf dem Mars und der Besiedlung von anderen Planeten und Monden durch den Menschen. Für das Magazin Zukunft nimmt sie

uns mit auf ihre Mission.— Seite 60 —

Chris Schinke Journalist ( Deutschland )

Zu Chris Schinkes Schwerpunkten gehören Themen rund um Technologie, Kino, Literatur

und Theater. Er lebt und arbeitet als freier Journalist in München. Für das vorliegende

Magazin hat Schinke einen Beitrag über kreative Megacitys verfasst.

— Seite 52 —

Impressum

Die Menschen hinter „Zukunft“

Veränderung ist Teil unseres Lebens – ohne sie gibt es keinen Fortschritt. Mit diesem Heft

wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird sich unser Leben verändern und welche

Rolle spielt dabei die Technik?

Von Argentinien bis Japan und von Kalifornien bis Australien: Wir haben unsere Reporter buchstäblich in jede Ecke der Welt

geschickt, damit sie uns von den spannendsten Veränderungen erzählen. Einen Teil der

Menschen, die an dieser Ausgabe von Zukunft mitgewirkt haben, möchten wir Ihnen auf

diesen Seiten vorstellen.

Mitwirkende

Raouia Kheder Journalistin und Radio-Moderatorin (Tunesien)

Raouia Kheder berichtet vor allem über Gesell-schafts- und Kulturthemen aus ihrem Heimatland Tunesien und dem arabischen Raum. In diesem

Heft untersucht sie, welchen kulturellen Stellen-wert Technologie in ihrem Land einnimmt.

— Seite 38 —

Paul Sullivan Autor und Fotograf (Deutschland)

Paul Sullivan ist Brite und lebt in Berlin. Seine Arbeit umfasst hauptsächlich Kultur-, Lifestyle-

und Reisethemen. Für diese Ausgabe von Zukunft nähert er sich dem Thema Veränderung und

Wandel in einem Essay.— Seite 12 —

Eigentümer und Medieninhaber: voestalpine AG

voestalpine - Straße 1 4020 Linz, Austria

Herausgeber:Peter Felsbach

Chefredaktion:Maria Reibenberger

T. + 43 / 50304 /15- 5432 [email protected]

Konzept und Redaktion:Barbara Ecker,

Anne Kammerzelt und Björn Lüdtke

Gestaltung:Sandra Stäbler

Druck:Kontext Druckerei GmbH

Spaunstraße 3 a 4020 Linz, Austria

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Da seinMenschen Halt und Sicherheit geben

Aufgrund unserer dezentralen Struktur können wir schneller agieren und reagieren. So sind wir für all unsere Anspruchsgruppen greifbar und versuchen,

ihre Bedürfnisse mit einem Höchstmaß an Flexibilität und Dynamik zu erfüllen. Wir packen Probleme an der Wurzel und lassen nicht locker, denn für

die Zukunft lohnt es sich zu kämpfen.

12 Die Macht der Veränderung

Wie Wandel unser privates und berufliches Leben beeinflusst

16 „Ein Leben ohne Risiko

ist nicht möglich“ Interview mit Wolfgang Eder

18 Unsere Zukunft

Wie Menschen von voestalpine die Zukunft sehen

20 Industrie im Zeichen des

digitalen Wandels Traditionelle Unternehmen suchen

die Nähe zu jungen und dynamischen Ideenschmieden

22 Ideen, die uns weiterbringen

Wir stellen aufgeweckte Gründer vor, die unsere Welt verändern wollen

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Da sein Da sein

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Die Macht der Veränderung

Text Paul Sullivan

Paul Sullivan über Wandel und wie er unser privates

und berufliches Leben beeinflusst

„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ — Heraklit von Ephesus

Der Wandel ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Das könnte man zumindest meinen, wenn man unsere Generation mit früheren vergleicht. Diese haben sicher nicht die schwin-delerregend schnellen technischen Umbrüche erlebt, die heute unseren Alltag verändern. In keiner früheren Kultur wurde „gesurft“, „gewischt“ oder „gescrollt“, so viel ist sicher, aber seit Anbeginn der Zeit hat fast jede Gesellschaft zu einem gewissen Grad intensiven Wandel und Verän-derung erfahren. Sogar in den angeb-lich so unbeweglichen vormodernen Gesellschaften fanden Umbrüche statt: religiöse Auseinandersetzungen und Stammeskriege, Überschwem-mungen und Kälteperioden, Aufruhr und Krankheitsepidemien und nicht zuletzt all die schrittweisen Entwick-lungen, die langsam aber sicher unse-ren heutigen Lebensstil begründeten.In Wahrheit ist Wandel ein grundle-gender Teil unseres Lebens und der menschlichen Natur. Schon Heraklit, der griechische Philosoph aus der Zeit vor Sokrates und einer der ersten, der sich mit dem Konzept von Wan-del beschäftigte, bestätigte dies mit seiner berühmten Aussage „Nichts ist so beständig wie der Wandel“. Zur Verdeutlichung fügte er hinzu: „Kein Mann steigt zweimal in denselben Fluss.“ Ob wir es mögen oder nicht, wir er- leben jeden Tag Veränderungen, egal ob es sich um kleinere, unwichtig erscheinende tägliche Ereignisse wie Änderungen im Busfahrplan, das Schließen eines Lieblingsgeschäftes, einen kleinen Lotteriegewinn handelt oder um einschneidende Ereignisse wie Geburt und Tod, Umzug oder Beruf, einen neuen Freund kennen-lernen oder sich verlieben. Letzteres übrigens kann fast beiläufig und je-

derzeit passieren und doch nachhalti-gen Einfluss auf unser Leben haben. Wir Menschen neigen dazu, Verän-derungen mit einer Mischung aus Furcht und Sehnsucht zu begegnen. Sie sind von Natur aus unvorherseh-bar und nicht selten mit einem Risiko behaftet. Wandel ist eine unsichtbare Macht, die unsere Welt immerwäh-rend beeinflusst. Mit der Zeit haben wir Menschen geschickt gelernt, mit dem Wandel klarzukommen – was die Grundlage für einen proaktiven Blick nach vorne ist. Das wiederum ist positiv für uns als Individuen, aber auch für unser berufliches Handeln und die Gesellschaft als Ganzes.

„Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.“

— Mahatma Gandhi

Wandel ist untrennbar mit der Vor-stellung von Fortschritt und Verbes-serung verbunden. Denn schließlich ist Letzteres nicht ohne ein gewisses Maß von Ersterem möglich. Es ist wohl keine Übertreibung, dass so-wohl die Gesellschaft als auch jeder Einzelne in sich den Wunsch trägt, sich weiterzuentwickeln und sich zu verbessern. Wir brauchen uns nur umzusehen: Die positiven Seiten von Wandel sieht man überall. Wir können uns heute eine Welt ohne Smartphones, MP3-Player oder Rei-sen mit dem Flugzeug nicht mehr vorstellen – und doch war das vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten noch völlig normal. Und wer hätte es sich damals träumen lassen, dass 3D- Drucker, fahrerlose Autos oder künst-liche Intelligenz bei medizinischen Diagnosen im Jahr 2016 zum Alltag gehören?Das Gleiche gilt für soziale Entwick-lungen. Einer der wichtigsten Fak-toren in unseren sich permanent wandelnden Gesellschaften ist die

Macht der Ideen, die ihrerseits im Laufe der Zeit Veränderungen erfah-ren. Unsere heutigen Demokratien, wenn auch nicht annähernd perfekt, sind hoch entwickelt und sie sind es aufgrund von bedeutenden sozialen Veränderungen in der Vergangenheit: der Abschaffung der Sklaverei, der Einführung des Wahlrechts für die Frau, der Bürgerrechtsbewegung und nicht zuletzt der Aufklärung und der industriellen Revolution. Auch heute noch finden solche Verän- derungen statt. So war der Klima-wandel vor zwei oder drei Jahrzehnten nicht mehr als ein Randthema, das von vielen Regierungen oder großen Unternehmen nicht ernst genommen wurde. Heute ist die Problematik in der Mitte der Gesellschaft angekom-men und wird auf beinahe allen Ebe-nen angegangen. Die komplizierte Kriegslage in Syrien und dem Nahen Osten löste eine der größten humani-tären Krisen der jüngeren Geschichte aus – vielleicht wiederholt sich hier Geschichte, aber die Situation bringt auch völlig neue Herausforderungen mit sich. Auch der Feminismus, der auf einer Jahrhunderte lang währenden Tradition der Befreiung der Frau be-ruht, bekommt seit Kurzem neuen Auftrieb aus dem Internet und den sozialen Medien. Das führt dazu, dass die männliche Vorherrschaft erneut infrage gestellt wird und sich Menschen auf allen Ebenen für eine Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen. All diese sich permanent ändernden Themen bieten den Men-schen und Regierungen die Gelegen-heit, zusammen positiven sozialen Wandel zu gestalten.Auch technischer Wandel kann heute zum Treiber für soziale Veränderung werden. So hat das Internet einen bisher nicht dagewesenen Zugang zu Information und Bildung ermög-licht (Wikipedia, YouTube, E-Lear-ning) und immer neue Apps liefern zum Beispiel Wetterinformationen für

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afrikanische Landwirte oder exakte Standortdaten für Erdbebenopfer. Social-Media-Plattformen wie Twitter, WhatsApp und Facebook haben nicht nur dabei geholfen, schnell und in großem Umfang Proteste oder Hilfe bei Massenfluchten zu organisieren, sondern haben die Welt auch näher zusammenrücken lassen. Über diese Plattformen stehen wir direkt mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt und haben so das Gefühl, dass auch weit entfernte und abge- legene Orte Teil unserer eigenen globalen Nachbarschaft sind.

„Überleben wird nicht der Stärkste, auch nicht der Intelligenteste, sondern der Anpassungs- und Wandlungsfähigste.“ — Charles Darwin

Auch wenn diese Themen universal scheinen, so haben sie selbstverständ- lich an verschiedenen Orten unter-schiedliche Wirkung: Die Flüchtlings-krise wird in Südamerika anders aufgenommen als in Europa; Europa spürt die direkten Folgen der Erder-wärmung anders als beispielsweise Bangladesch oder Kalifornien; der Neo-Feminismus westlicher Prägung wird in vielen Ländern des Nahen Ostens stark eingeschränkt. Die je-weils vorherrschende kulturelle, poli-tische und gesellschaftliche Struktur bestimmt, wie eine Gesellschaft von Wandel beeinflusst wird. Es ist kein Zufall, dass das Konzept des Wandels – und das Annehmen von Wandel – in den letzten Jahr-zehnten auch in Unternehmen ein wichtiges Thema war. Sie stehen unter dem permanenten Druck, sich an der Spitze behaupten zu müssen, sei es in Bezug auf interne Kommunika-tion oder externes Marketing. Dabei ändern sich viele Aspekte täglich

aufgrund von neuen Technologien. Die sozialen Medien sind hier das beste Beispiel: Noch vor zehn Jahren waren sie nicht sehr relevant, heute muss jedes Unternehmen auf Face-book oder Twitter präsent und online sichtbar sein. Die Globalisierung hat die Geschäfts-welt dabei noch offener für Verände-rungen gemacht. Als die Märkte sich durch das Internet öffneten und sich so eine Fülle von neuen Möglich-keiten und Gelegenheiten ergaben, wurden Ausdrücke wie „Mobilität“ und „Flexibilität“ Teil des Standard-vokabulars. Die ultra-flexible Start-up-Kultur verdeutlicht das vielleicht am besten. 2001 erkannte eine Grup-pe von 17 Softwareentwicklern die dringende Notwendigkeit, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und verabschiedete das „Agile Mani-fest“. Ein zentraler Punkt darin ist die „Notwendigkeit, auf Veränderungen zu reagieren, anstatt einem Plan zu folgen“.

Am deutlichsten sichtbar ist die neue Kultur der Flexibilität in den PR- und Marketingabteilungen. Das Image oder die Marke eines Unternehmens ist von enormer Wichtigkeit und beide darzustellen und zu kommunizieren, ist für die meisten Unternehmen ein permanentes und sich kontinuierlich entwickelndes Thema. Eine überhol-te Website, die nicht nutzerfreundlich ist, oder nicht aktualisierte Facebook- oder Twitter-Accounts werden von draußen als mehr oder weniger nicht existent wahrgenommen. Die Regeln fürs Überleben sind über-all gleich, auch im Geschäftlichen. Wer die Herausforderungen einer

sich ständig verändernden Welt nicht annimmt, wird aussterben – wie die Dinosaurier. Sich auf diese Bedingun-gen einzulassen, erfordert Flexibilität und die Fähigkeit, die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Kunden zu verstehen oder gar vorauszusehen.

„Ein Pessimist sieht in jeder Gelegenheit eine Schwierigkeit, ein Optimist sieht in jeder Schwierigkeit eine Gelegenheit.“

— Winston Churchill

Trotz der Vielzahl an Beispielen, wie Wandel unser berufliches oder per-sönliches Leben positiv beeinflussen kann, stehen doch die meisten von uns dem Wandel kritisch gegenüber. Wie der amerikanische Wirtschafts-autor Alan Deutschman in seinem dramatisch betitelten Buch Change or Die („Verändere dich oder stirb“) aus dem Jahr 2007 aufzeigt, halten sich die meisten von uns lieber innerhalb ihrer persönlichen Grenzen auf, in denen sie sich wohlfühlen, als sich dem Unbekannten auszusetzen – selbst dann, wenn ein gutes Ende wahrscheinlich ist. Deutschmann zeigt an unterschiedlichen Beispielen – vom Herzpatienten bis zu festgefah-renen Unternehmen –, wie sehr wir uns Veränderungen widersetzen und doch gleichzeitig die angeborene Fähigkeit haben, sie zu bewältigen.Letzten Endes spielt es aber keine Rolle, ob wir Veränderungen fürchten oder nicht. Furcht wird den Lauf der Zeit und die damit einhergehenden Veränderungen nicht aufhalten. Wir können dem Unausweichlichen nicht entkommen. Es gibt eine Vielzahl von guten Beispielen, wo Wandel neue Möglichkeiten eröffnet – sei es die neue Aufgabe am neuen Arbeitsplatz, die Befriedigung, die man verspürt,

wenn man sein Haus neu einrichtet oder alte Kleider durch neue ersetzt. Die natürliche Angst überwinden zu lernen und Wandel anzunehmen, scheint nur vernünftig zu sein. Letzt-lich haben Menschen, Unternehmen und Regierungen, die bereit sind, Risiken einzugehen, bessere Chan-cen auf Erfolg. Sich an neue Um-gebungen, Leute und Situationen anzupassen, bringt einen weiter – die eigene Persönlichkeit, das Ein-kommen, das Wertesystem. Es gibt verschiedene Wege, um sich

anzupassen. Schwierig sind sie alle nicht. Eine Möglichkeit ist, sich die positiven Bedeutungen von Wandel zu verinnerlichen. Betrachtet man einige Synonyme genauer – Innova-tion, Entwicklung, Umwandlung, Di-versifikation, Verfeinerung, Vielfalt –, dann erkennt man schnell, dass der Begriff voller Begeisterung und Posi-tivität steckt.

Eine andere Möglichkeit ist, sich bei Weltanschauungen zu bedienen, die Veränderungen wohlwollend ge- genüberstehen. Viele östliche Philo- sophien beschäftigen sich mit dem Konzept des Wandels. Aus dem 2.600 Jahre alten chinesischen Buch I Ching kann man beispielsweise lernen, dass die guten, aber eben auch die schlechten Dinge in unserem Leben vergänglich sind. Die ultimative östliche Philosophie von Unbeständigkeit ist vielleicht der Taoismus. Einer seiner zentralen

Lehrsätze lautet: „Schwimm mit dem Strom.“ In Benjamin Hoffs bezau-berndem Buch Tao Te Puh. Das Buch vom Tao und von Puh dem Bären vermittelt uns Puh der Bär taoistische Leitsätze: „Alles fügt sich auf die richtige Weise und zur rechten Zeit. Zumindest wenn man es zulässt, wenn man die Umstände annimmt, anstatt zu sagen ‚das darf so nicht

passieren‘ und sich umso mehr bemüht, den Dingen eine andere Richtung zu geben.“ Eine weitere Strategie könnte darin bestehen, den Blickwinkel zu ändern. Nicht jeder Wandel ist gleich. Wenn die kleinen Veränderungen zu viel werden, lohnt es sich vielleicht, einen Schritt zurückzutreten und die grö-ßeren Veränderungen zu betrachten – denen häufig weniger Wandel in-newohnt. Verwirrt? Ein Beispiel: Wer vom permanenten Informationsstrom aus den sozialen Medien gestresst ist, der sollte sich daran erinnern, dass die Inhalte, die er konsumiert, eigent-lich nichts anderes sind als Geschich-ten, früher erzählt, heute gelesen. Das Medium mag neu sein, der Kern der Sache nicht.

Heraklits paradoxe Aussage, dass Wandel eigentlich beständig ist, kann ganz ähnlich als Anker dienen. Die Sonne jeden Morgen aufgehen und die Sterne nachts am Himmel leuchten zu sehen oder die Jahreszei-ten in ihrem vorhersehbaren Wech-sel zu erleben, gibt uns ein Gefühl von Ewigkeit. Genau wie Heraklits Weisheit erinnert uns die französische Redewendung „Plus ça change, plus c’est la même chose“ („Je mehr sich ändert, desto mehr bleibt gleich“) an das, was eigentlich jeder weiß: nämlich dass Wandel eher die Norm als die Ausnahme ist. Wer das ak- zeptiert, der wird Wandel für die eigene persönliche und berufliche Entwicklung nutzen können. Wer sich dem Unausweichlichen nicht in den Weg stellt und mit dem Strom schwimmt, wird sich als dynamischer Gestalter wohler fühlen als als trau-riger alter Dinosaurier.

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Die guten wie die

schlechten Dinge

sind vergänglich

Wandel ist Teil

unseres Lebens

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„Ein Leben ohne Risiko ist nicht möglich“

Text Paul Sullivan

Interview mit Wolfgang Eder

Haben Sie eine persönliche Philo-sophie in Bezug auf Wandel und Veränderung?Wandel und Veränderung sind Voraus- setzung für Fortschritt in allen Le-bensbereichen. Anders ausgedrückt: Stillstand heißt Rückschritt – oder vornehmer gesagt: Nichts ist bestän-diger als der Wandel. Wandel und Veränderung sind für mich damit die Regel und nicht die Ausnahme. Schauen wir uns doch nur die letzten 20 Jahre an und wie sich die Gesell-schaft und die Wirtschaft allein in die- ser vergleichsweise kurzen Zeit ver-ändert haben: Unser Kommunikations- verhalten, die Produktionsprozesse, das Leben zu Hause – alles ist vernetzt. Ich sehe vieles davon durchaus kri-tisch, aber gerade deswegen muss man sich diesen Entwicklungen aktiv

stellen, muss man versuchen, sie in die richtige Richtung zu steuern.

Wie wirkt sich das auf Ihre Rolle als Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG aus? In welcher Be-ziehung steht hier das Persönliche und das Berufliche? Zunächst einmal gilt für mich wie für die meisten Menschen, dass die Rollen im Beruf und im Privatleben unterschiedliche Aufgaben, unter-schiedliche Herausforderungen mit sich bringen. Dennoch ist es immer ein und derselbe Mensch, der damit umzugehen hat. Die Bewältigung der verschiedenen Lebenssituationen, sei es als Vorstandsvorsitzender oder als Privatperson, bedarf trotz aller – häu-fig ohnehin nur vordergründigen – Unterschiede schon aus Gründen der

Wolfgang EderDr. Wolfgang Eder ist Vorsitzender des Vorstandes und CEO der voestalpine AG

persönlichen Glaubwürdigkeit glei-cher Grundsätze und Kriterien.

Gehen Sie mit Veränderung privat anders um als in Ihrer Position als CEO?Für mich persönlich heißt Verände-rungsbereitschaft, sich privat mit der gleichen Offenheit und Unvoreinge-nommenheit neuen Herausforderun-gen zu stellen wie im Beruf. Natürlich sind die Aufgaben in einem internati-onalen Konzern mit fast 50.000 Mit-arbeitern andere als in einer Familie. Dennoch geht es in beiden Fällen im Kern immer darum, Verantwortung zu übernehmen, und um die Einsicht, dass ein Leben ohne Risiko nicht mög- lich ist. Letztlich bedeutet Verantwor-tung zu tragen, ein einzugehendes Risiko gegen die diesem gegenüber-stehenden Chancen abzuwägen – pri- vat genauso wie beruflich.

Gibt es so etwas wie eine offizielle und objektive Unternehmensricht-linie in Bezug auf Veränderungen, um zum Beispiel übermäßige Risiko-freude im Zaum zu halten?Ich glaube, dass man Veränderungs-bereitschaft ganz generell nicht über Richtlinien reglementieren oder gar ein konkretes Ausmaß dekretieren kann. Sie können nur versuchen, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der stetiger Wandel und die notwen-dige Veränderungsbereitschaft Teil der Unternehmensidentität sind, das heißt bewusst und mit Überzeugung gelebt werden. Unabdingbare Vor-aussetzung dafür ist aber wiederum, allen Menschen im Unternehmen verständlich zu machen, dass es nur durch Bereitschaft zur Veränderung gelingt, permanent Spitzenleistungen zu erbringen und damit auch die

eigene Zukunft bestmöglich abzu-sichern. Natürlich bedeutet Verän-derung immer auch Risiko. Entschei-dend ist dabei, dass solche Risiken überschaubar und damit managebar bleiben. Das lässt sich in sehr ho-hem Maß durchaus kalkulieren. Das größte Risiko ist aber zweifellos, in seiner Entwicklung stehen zu blei-ben, Veränderung abzulehnen.

Wie können Sie sicherstellen, dass Ihre Entscheidungen auch wirklich langfristig und nachhaltig orientiert sind und nicht durch kurzfristige Ziele überlagert und damit entwertet werden?Das ist eine Frage des grundsätzli-chen Managementstils. So verfolgen wir etwa in der voestalpine seit vielen Jahren mit wirklich unbeugsamer Konsequenz eine klare Langfriststra-tegie weg vom klassischen Stahlher-steller hin zu einem metallbasierten Technologiekonzern. Diese langfristige Ausrichtung prägt auch unser kurz-

fristiges Handeln und die damit ver-bundenen Ziele. Jede unternehmeri-sche Entscheidung muss sich also an der Langfriststrategie orientieren. Steht sie dazu im Widerspruch, hat sie keine Realisierungschance.

Was tun Sie, wenn Sie erkennen, dass eine Entscheidung falsch war?Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Strategien und Geschäftsmodelle konsequent leben, sie gleichzeitig aber auch im-mer wieder hinterfragen und gege- benenfalls veränderten Zukunftssze-narien anpassen, ohne sie jedoch in ihren Grundsätzen zu ändern. Ge-rade zu einer offenen Unternehmens-kultur gehört auch die permanente Auseinandersetzung mit einem sich immer schneller ändernden wirt-schaftlichen, politischen und gesell-schaftlichen Umfeld. Nur so können wir uns stetig verbessern und in diesem kontinuierlichen Wandel er-folgreich bestehen.

Keine Innovation ohne Veränderung

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1. Weiterhin gute Gesundheit und Glück. 2. Ich würde gern die Erderwärmung stoppen. 3. Die Nutzung von Erdwärme. 4. Was hätten wir tun sollen, damit es euch besser geht?

Unsere ZukunftText Anne Kammerzelt

Wie Menschen von voestalpine die Zukunft sehen

1. Auf welche Veränderung freust du dich / freuen Sie sich im nächsten Jahr? 2. Wenn du / Sie eine Sache auf der Welt verändern könntest / könnten, was wäre das?3. Welche Technologie sollte in den nächsten Jahren auf jeden Fall erfunden werden?4. Was würdest du / würden Sie gerne einen Menschen aus der Zukunft heute fragen?

LARS BECKER (43 ) Key Account Manager

Löhne, Deutschland

„Was könnten wir heute anders machen?“

1. Ich freue mich darauf, wieder öfter mit meiner Band Musik zu machen. 2. Wenn ich könnte, würde ich verhin-dern, dass so viele Menschen täglich auf der ganzen Welt unter Krieg, Armut und Krankheit leiden. 3. Als jemand, der beruflich viel Auto fährt: ein vollkommen selbstständig fahrendes – oder gerne auch fliegendes – individuelles Transportmittel. 4. Geht es euch gut – und wenn nicht, was könnten wir heute anders machen, um euch in der Zukunft zu helfen? Und: Habt ihr meinen Wunsch aus Frage 3 umgesetzt?

Sei

te 1

8 –1

9 ©

Pri

vate

1. Ich werde Mutter und werde Arbeit und Mutterschaft vereinbaren müssen. Ich hoffe, mithilfe meiner Familie beides ausgewogen in Einklang miteinander bringen zu können. 2. Ich würde allen Kindern auf der ganzen Welt freien, kostenlosen Schulzugang ermöglichen. Wenn man in einem Land aufwächst, in dem die Schule für alle Kin-der kostenlos ist und Schulpflicht besteht, dann vergisst man manchmal, wie glücklich und privilegiert man ist. 3. Hoch entwickelte Systeme zum Emissionsschutz für alle Bereiche, angefangen von Autos bis zu großen Fabriken. 4. Ich würde fragen, ob Reisen ins Weltall oder Ferien auf dem Mond alltäglich geworden sind.

„Man vergisst manchmal, wie glücklich und privilegiert man ist“

OLESYA BONCHENKO (30 ) Vertriebsmanagerin

Dubai, Vereinigte Arabische Emirate

„Gute Gesundheit und Glück“

HELMUT RASENBERGER ( 77 ) Berater

Toronto (Ontario), Kanada

„Ich möchte andere Planeten kennenlernen“

LARA BARALHAS (5) Vorschulkind

Americana, Brasilien

1. Kommendes Jahr möchte ich zur Schule gehen und ganz schnell lesen und schreiben lernen. 2. Dass jedes Kind auf der Welt Spielsachen und Schokolade hat. Alle sollten spielen und leckere Sachen essen können. 3. Flie-gende Autos, die man mit einer Fernbedienung steuern kann. 4. Ob wir in der Zukunft in Raketen fliegen, so wie heute in Flugzeugen. Ich möchte andere Planeten kennenlernen.

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Industrie im Zeichen des digita-len Wandels

Text Hans Schürmann

Traditionelle Unternehmen suchen die Nähe zu

jungen und dynamischen Ideenschmieden

Die Digitalisierung verändert die Welt. Technologien, die es ermöglichen, jederzeit und

blitzschnell auf Informationen und Daten zuzugreifen, führen zu Innova-tionen, die nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Unternehmen und Märkte verändern. Plattformen im Internet, über die Firmen nicht nur ihre Kunden besser kennenlernen, sondern auch mit Lieferanten schnel-ler und enger zusammenarbeiten können, der Trend zu einer digital ver- netzten Fabrik – das sind Trends, die neue Chancen bieten, gleichzeitig aber gewohnte Geschäftskonzepte herausfordern. Standen bislang vor allem Produkte im Fokus, geht es künftig mehr um intelligente und in-dividualisierte Dienstleistungen.Sowohl Konzerne als auch mittelstän-dische Unternehmen müssen sich im Zuge der Digitalisierung neu erfinden, wenn sie im globalen Markt Schritt halten wollen. Sie müssen in kurzer Zeit innovativer werden, alte Manage- mentmethoden und Organisations-formen anpassen. Doch das ist nicht

so einfach. „Wenn eine Organisation einmal etabliert ist und jahrzehnte- lang besteht, dann ist es schwierig, vorherrschende Denk- und Handlungs- muster zu verlassen und komplett neue Ideen und Geschäftsmodelle zu entwickeln“, sagt Stephan Grab-meier. Der Unternehmensberater hat

mehrere Jahre die digitale Transforma- tion bei der Deutschen Telekom be-gleitet und unterstützt zwei Start-ups nicht nur finanziell, sondern auch mit seinen Praxiserfahrungen. Der digitale Wandel ist dabei nicht nur ein Problem der Telekommunika-tionsbranche, sondern trifft auch viele Bereiche des Handels und der

Industrie, wie beispielsweise den Ma-schinenbau. Durch die Vernetzung der Produktion werden die Firmen zwar flexibler und können schneller auf Kundenwünsche reagieren, gleichzeitig werden aber auch die Innovationszyklen kürzer und die Märkte globaler. Die Folge: Die Un- ternehmen müssen deutlich schnel-ler neue Produkte entwickeln und auf den Markt bringen, um im Wett-bewerb bestehen zu können. Um radikale Innovationen zu ermöglichen, suchen immer mehr Unternehmen deshalb die Nähe von Start-ups.Diese haben große Vorteile, wenn es um marktverändernde Innovatio- nen geht. „Sie müssen auf kein mar-genstarkes Kerngeschäft Rücksicht nehmen, außerdem können sie struk- turell bedingt schneller und flexibler agieren als große Konzerne“, erläu-tert Markus Struppe, Partner der Un- ternehmerTUM GmbH, dem Zentrum für Innovation und Gründung an der Technischen Universität München. Die auf neue Technologien fokussier-ten jungen Unternehmen können es

Um Innovationen zu

ermöglichen, suchen

Unternehmen die

Nähe von Start-ups

sich leisten, etwas Neues auszupro-bieren, ohne vorher zu wissen, ob es am Markt auch erfolgreich sein wird. Sie begegnen diesen Unsicherhei-ten durch ein iteratives Vorgehen. Das bedeutet: Es gibt kein finales Endergebnis, vielmehr werden Er-gebnisse immer weiter optimiert und Projektziele angepasst. Dazu suchen sie immer wieder den Kontakt zu potenziellen Kunden, sie erstellen Prototypen und diskutieren mit den künftigen Nutzern. Das sei ein entscheidender Vorteil vor allem vor dem Hintergrund immer kürzerer Innovationszyklen, sagt der UnternehmerTUM-Berater. Ein eta-bliertes Unternehmen muss auf sein Image Rücksicht nehmen und kann daher nicht unter seinem Namen

„unfertige“ Produkte bei seinen Kun-den testen. Eine frühzeitige Koope-ration könnte für beide Seiten ein Gewinn sein, ist Struppe überzeugt. Während Start-ups innovativ und flexibel sind, verfügen Großunterneh-men über ein nachhaltiges Branchen- und Kundennetzwerk und Know-how

bei der Umsetzung und Skalierung von neuen Produkten.Unter anderem tummeln sich Auto-mobilkonzerne in der Start-up-Szene. Die BMW Group hat vor Kurzem sehr medienwirksam eine Start-up-Garage gegründet. Ziel ist es, junge Unternehmen mit Potenzial früh zu fördern und Start-up-Technologien in die eigenen Innovationsprozesse einfließen zu lassen. Andere lieben es leiser: Ein deutscher Baugerätehersteller beispielsweise arbeitet seit einigen Jahren mit einem jungen Softwareunternehmen zusam-men. Hinter der Mini-Firma stecken experimentierfreudige Ingenieure, die mit ihren Programmen dafür sor-gen, dass Steuerungen für mobile Arbeitsmaschinen intelligenter wer- den. Die Softwareschmiede hat für den Maschinenbauer dabei eine beson-ders ausgeklügelte Baggersteuerung entwickelt. Auch Energiekonzerne hoffen, durch eine stärkere Zusammenarbeit mit jungen, agilen Firmen auf frische Ideen zu kommen, die ihnen bei der

Bewältigung des Wandels helfen. Dabei denken Konzerne wie EnBW an Start-ups, die Innovationen für das Smart Home, das vernetzte Haus, entwickeln. Solche Unternehmen könnten beispielsweise intelligente Lösungen erarbeiten, die in Verbin-dung mit einem intelligenten Strom-netz (Smart Grid) dazu beitragen, dass Schwankungen in einem Netz, das von erneuerbaren Energien gespeist wird, besser ausgeglichen werden können. Das Interesse von großen Unterneh-men an Start-ups gibt es schon länger. Die Motive der Großunternehmen haben sich jedoch gewandelt: „Ist es früher hauptsächlich um finanzielle Beteiligungen gegangen, steht heute vor allem das Innovationsmanage-ment im Mittelpunkt“, so Transforma-tionsberater Stephan Grabmeier. Der Trend zur Digitalisierung hat beide Seiten näher zueinander geführt und gezeigt, dass sie sich sehr gut ergänzen und voneinander profitie-ren können.

Digitale Transformation in der Praxis

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Bausteine für das digitale Zeitalter Spielzeug ist vor allem dann gut, wenn es die Fantasie anregt. Und es ist noch besser, wenn Kinder es mit Spaß zusam-menbauen und nach ihren eigenen Vorstellungen weiterentwickeln können. Die Gründer von Kinematics aus Deutsch-

land hauchen mit ihren TinkerBots Bausteinen Leben ein. Im Zentrum steht das sogenannte Power Brain, ein roter Würfel, der über seine Sensoren Gelenke, Greifer und Motoren steuert. Alle Module werden ohne Kabel verbunden und

einfach zusammengesteckt. Die fertigen Roboter lernen geschickt immer neue Bewegungen und die Kinder werden zu neugierigen Nachwuchsforschern. Das passende Spielzeug für die digitale Generation von morgen.S

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Spielzeug für die digitale Generation von morgen: TinkerBots

Ideen, die uns weiterbringen

Text André Uhl

Wir stellen aufgeweckte Gründer vor, die unsere

Welt verändern wollen

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Gesunder DurchblickWer zu wenige Vitamine zu sich nimmt, wird schneller krank – das wissen wir alle. Ebenfalls bekannt ist, dass ein hoher Vitaminüberschuss negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben kann. Wäre es da nicht praktisch,

einen Überblick über den eigenen Vitaminhaushalt zu haben? Die Erfinder des Vitameters aus Kanada sind angetreten, um dies zu ermöglichen. Mit Erkenntnissen aus der Nanotechnologie und mithilfe von Biosensoren prüft das Gerät innerhalb weniger Minuten den persönlichen Vitaminlevel des Anwenders, der damit den eigenen Körper besser

verstehen, seine Ernährung auf den Prüfstand stellen und letztendlich gesünder leben kann.

Gemeinsam sind wir schlauIdeen teilen, Notizen austauschen, sich gegenseitig unterstützen – die meisten Schüler wissen, dass gemeinsames

Lernen effektiver ist, als allein im stillen Kämmerlein vor sich hinzubrüten. Die Macher von BrainShare, einer Bildungs-App aus Uganda, übertragen dieses Prinzip in die digitale Welt. Mit ihrer Online-Social-Media-Plattform vermitteln

sie Spaß am gemeinsamen Lernen und ermöglichen ein einfaches Teilen von Lehrinhalten, egal ob es sich um private Mitschriften, Beiträge oder Videos handelt. Wenn sich Schüler, Lehrer und Eltern in einem virtuellen Klassenzimmer

treffen, bleibt niemand allein – eine soziale Innovation, von der alle profitieren können. © V

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Entspannt ans ZielOft sind die einfachsten Ideen zugleich die besten. Wie ist es möglich, den notorisch überlasteten öffentlichen Nah-

verkehr in der indischen Millionenmetropole Mumbai zu entspannen? Jerin Venad, indischer IT-Experte und Gründer der Initiative Cityflo, hat die Antwort: Indem private Minibusse die wichtigsten Strecken abfahren und damit eine echte

Alternative für Pendler bieten. Über eine App können sich die Passagiere anmelden und Tickets lösen, die Routen können sie über Google Maps einsehen. Damit wäre einmal mehr bewiesen: Das „Rad“ muss nicht unbedingt neu

erfunden, sondern nur sinnvoll eingesetzt werden.© C

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Neues Wissen in RekordzeitWer hat sich nicht schon einmal gewünscht, die Inhalte ganzer Bücher innerhalb kürzester Zeit erfassen zu können? Die Gründer des Berliner Start-ups Blinkist haben aus diesem Wunsch eine pfiffige Geschäftsidee gemacht. Anstatt

sich stundenlang durch hunderte von Seiten quälen zu müssen, können die Kerngedanken von mehr als 1.000 Sach- büchern in nur wenigen Minuten über eine App auf dem Smartphone, dem Tablet oder in jedem Browser bequem

und zwischendurch gelesen werden. Eine ideale Lösung für alle, die sich immer wieder schnell neues Wissen aneignen müssen und dafür die vielen freien Momente unterwegs nutzen wollen. ©

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VorausdenkenBewegung schaffen und mit Energie versorgen

30 Technologie

Welche Rolle spielt sie bei der Lösung globaler Herausforderungen?

38 Fünf Länder, eine Zukunft?

Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten

48 Volle Kraft voraus

So funktionieren effiziente Kraftwerke der Zukunft

52 Kreative Megacitys

Wie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können

56 Spezialisten sind unersetzbar

Wir stellen vier Menschen aus dem Unternehmen vor

Wir treiben Entwicklungen voran – offen gegenüber Neuem und mit der Neugier des Forschenden denken wir visionär und weit über das Bestehende

hinaus. Einfallsreichtum prägt unsere Produkte und Prozesse genauso wie die Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Denn nichts ist so gut, als dass wir

es nicht noch verbessern könnten.

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Vorausdenken Vorausdenken

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Technologie von innen: ein Serverraum

Technologie Text Luciana Ferrando, Björn Lüdtke

Überall auf der Welt gibt es Herausforderungen,

denen wir Menschen uns stellen müssen. Welche

Rolle kann Technologie dabei spielen? Oder liegt

die Bewältigung der Herausforderungen schluss-

endlich an uns selbst? Drei ganz unterschiedliche

Sichtweisen zum Thema.

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Vorausdenken Vorausdenken

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Auf die sanfte Stimme des Navi- gationsgerätes zu antworten, sauer auf das Smartphone zu

sein oder Geräusche mit Klingeltö-nen zu verwechseln – das sind keine merkwürdigen Verhaltensweisen mehr, sondern Hinweise auf eine im- mer größer werdende Vertrautheit mit technischen Geräten. Technologie ist ein selbstverständlicher Teil un-seres Alltages geworden. Maschinen übernehmen viele unserer Aufga- ben und manche befürchten bereits, der Mensch werde bald überflüssig. Könnte es tatsächlich so weit kom- men?In Zeiten der Digitalisierung verges- sen die Menschen oft, dass sie selbst diejenigen sind, die hinter der Ent-wicklung stecken. Mitte des 18. Jahr- hunderts war „Computer“ eine Berufsbezeichnung für menschliche Rechner, die komplexe mathemati-sche Probleme lösten oder numerische Analysen durchführten. „Ohne Menschen wie Alan Turing, Erfinder des Computers, oder Gottfried Wil-helm Leibniz, der das binäre Zahlen-system entwickelte, hätten wir heute keine Maschinen, die fast so genial sind wie ihre Erschaffer“, sagt Álvaro

Villaplana, Technologie-Philosoph an den Universitäten von Madrid und Costa Rica. Der heutige Computer werde seiner Meinung nach idealisiert: Er sei schneller und präziser als der Mensch, er werde nie müde. „Als würden Maschinen für sich stehen und mit dem Menschen konkurrieren“, so Villaplana. Doch Computer haben dem Menschen gegenüber Nachteile: Sie besitzen keine Spontaneität. Sie brauchen klare Muster und Komman- dos, die vorgeben, wie es weitergeht.

„Computer können ganz prima Anweisungen befolgen, aber sie sind schrecklich im Improvisieren“, sagt der Autor Nicholas Carr in der New York Times. „Ihre Talente enden an den Grenzen ihrer Programme. Menschliche Fähigkeiten kennen eine solche Beschränkung nicht.“Für die Designforscherin Andrea Augsten ist die große Herausforde-rung, das, was den Mensch zum Menschen macht, vom Analogen ins Digitale zu transferieren. „Wenn wir in einem Workshop zusammen arbei-ten, lachen und Ideen austauschen, bleibt diese Stimmung im Raum. So-bald alle wieder an ihren Computern

sitzen, geht sie verloren“, sagt die Expertin für Zukunftsfragen rund um Design, Wirtschaft und Politik. „Wir versuchen, diese Erinnerung digital zu erhalten, aber sie kann nur auf ei-nem Kanal dokumentiert werden, mit Bildern zum Beispiel.“ Für sie spielen Faktoren wie Lebenserfahrung oder emotionale Intelligenz eine wichtige Rolle. „Das sogenannte stille Wissen, das nicht in Worten auszudrücken ist und das Menschen einfach haben, ist digital nicht abdeckbar.“Bei dem Forschungsansatz „Affective Computing“, der sich mit Computern und Emotionen beschäftigt, gab es dennoch überraschende Ergebnisse: Software kann aus Gesichtern Ge-fühle ablesen. 2013 zeigte eine Studie der Universität von North Carolina, wie eine trainierte Software Gesichts-ausdrücke erkennen und mit Be-griffen wie „Frustration“ oder „Mo-tivation“ assoziieren konnte. Diese Software soll Lehrer bei ihrer Erzie-hungsarbeit unterstützen. Für Álvaro Villaplana bringt allerdings nur die Kombination menschlicher und technischer Kräfte wirkliche Fort- schritte. Im Bildungsbereich ist für ihn der Mensch noch zentral und In-

formatik ein Werkzeug, um Wissen besser zu vermitteln. „In gefährlichen Bereichen ist es jedoch ein Vorteil, dass Maschinen autonom handeln, zum Beispiel bei Missionen im All.“ Aber selbst in solchen Fällen ist eine Kooperation von Mensch und Ma-schine erforderlich, denn der Mensch muss die Daten interpretieren, die der Computer im All sammelt. In den FabLabs steht wiederum die menschliche Neugier und Kreativität im Mittelpunkt. In diesen weltweit verbreiteten Hightech-Werkstätten dürfen alle die neuesten technischen Geräte wie 3D-Drucker oder Laser-cutter ausprobieren. Das Ziel? Techno-logie selbst in die Hände zu nehmen, sie besser zu verstehen und für eigene Zwecke zu nutzen. Ein weiterer unentbehrlich geworde-ner Vorteil der Technik ist die Ent-

lastung bei der Wissensspeicherung. Studien beweisen, dass Mensch und Maschine sich dabei gut ergänzen.

„Was wird aus den Ressourcen, die im Gehirn frei werden, wenn Daten extern gespeichert werden?“, fragten sich Ende 2014 Ben Storm und Sean Stone vom Memory Lab der University of California. „Das digitale Abspei-chern von Daten, die man sich sonst merken müsste, erleichtert das Ler-nen neuer Informationen“, schrieben die Forscher im Fachblatt Psycho-logical Science. Probanden konnten sich Wörter aus einem PDF besser merken, wenn sie wussten, dass sie die Datei speichern durften. Wenn es nach Andrea Augsten geht, wird es eine Zukunft, „in der Ma-schinen uns im Griff haben und wir nicht mehr selber denken können“, wie manche befürchten, nicht geben.

Im Gegenteil. Gleichwohl sollte der Mensch weiterhin danach streben, sein Verhältnis zur Technik zu optimie- ren. Die Entwicklung der Robotik, für die Pflege oder im Automobilbau beispielsweise, zeigt für Augsten deutlich, wie Maschinen unser Leben erleichtern können, wenn sie von uns gesteuert werden. Denn der Mensch kann auf Unvorhergesehenes rea-gieren, die Maschinen folgen nur Re- geln.Alltäglich, nah und immer intensiver: Das Verhältnis des Menschen zur Technik ist in seinem Leben heute so präsent wie seine zwischenmensch-lichen Beziehungen. Allerdings ist der Mensch auch für die Technik unver-zichtbar, denn er ist es, der sie schafft, der sie programmiert – oder auch wie- der den Stecker zieht.

„Mensch und Maschine“ — wer braucht wen?

Text Luciana Ferrando

3D-Drucker: Bald Alltag für alle?

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„Es gibt kein Zurück“ — eine Unterhaltung mit Autor Michael Lind zum Thema Technologie

Text Björn Lüdtke

Denken Sie, dass wir im Allgemeinen zu viel Hoffnung in neue Technolo-gien stecken?Ja, vor allem in den USA, nicht so sehr in anderen Ländern wie zum Beispiel Deutschland. Der Fokus liegt gerade in den USA zu sehr auf disruptiven Technologien. Der breiteren Nutzung von bereits entwickelten Technolo-gien wird zu wenig Beachtung ge-schenkt – zumindest was staatliche Maßnahmen angeht. Dabei führen gerade diese zu den wirklichen Pro-duktivitätsgewinnen und zu einer Verbesserung unserer Lebensqualität. Manchmal entstehen in der Tat neue Sektoren. Aber größtenteils verän-dert Technologie altbekannte Berei-che. Mit dem Verbrennungsmotor wurde beispielsweise die Landwirt-schaft mechanisiert: Der Traktor ersetzt Pferd und Mensch. Es ist im-mer noch Landwirtschaft, nur eben produktiver.

Es gibt eine Bewegung namens Maker Movement, bei der es darum geht, viele Dinge wieder selbst her-zustellen. Denken Sie, dass Selber-machen eine Möglichkeit für uns ist, um einige unserer Probleme wie Un-terernährung oder die Bereitstellung erneuerbarer Energien zu lösen?Mit einem Wort: Nein. Ich bin sehr be- geistert vom Maker Movement und ich glaube, es ist gut für eine Gesell-schaft, wenn die Menschen nicht al-les einfach nur in Geschäften kaufen. In den USA gibt es diese Tradition schon lange: Geschäfte für Heimwer-ker bieten Werkzeuge an, mit denen die Leute dann am Wochenende ihre eigenen Gewächshäuser bauen. Das ist gut und ich glaube, dass das durch Maschinen zur schnellen Herstellung von Musterbauteilen, Rapid Proto-typing genannt, beschleunigt werden wird. Es ist aber utopisch zu glauben, dass die Wirtschaftlichkeit der Mas-senfertigung durch 3D-Drucker im Hobbykeller ersetzt werden kann. Es ist und bleibt sinnvoll, Produkte wie

Autos oder Flugzeuge in der Masse herzustellen. Seit den Anfängen der industriellen Revolution gibt es die Hoffnung, dass man zu einer prä-urbanen, ländli-chen Gesellschaft zurückkehren könne, nur mit neuen Werkzeugen. Das ist bisher nicht gelungen und ich glaube auch nicht, dass es jemals gelingen wird.

Denken Sie, dass die Komplexität des heutigen Lebens bei den Men-schen Unbehagen auslöst?Ja, ich denke schon. Es gibt da mei-ner Meinung nach eine Diskrepanz: Ich glaube, dass der Mensch traditio-nell in kleinen Gruppen funktioniert, die keine große wissenschaftliche oder technische Kompetenz erfordern. In der Tat aber leben wir in Staaten mit Grenzen und großen Gemein-schaften wie der Europäischen Union. Das ist nicht nur eine neue mensch-liche Erfahrung, ich glaube auch, dass es auf eine gewisse Weise gegen unsere Natur ist. Menschen wollen wie Schimpansen im Urwald in klei- nen Gruppen wohnen. Um uns herum wuselt es aber wie in einem Ameisen- haufen. Das muss einfach alle mög-lichen sozialen und politischen Pro-bleme mit sich bringen.Dabei sind wir an einem Punkt ange-langt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Zehn Milliarden Menschen können nicht mit lokal hergestellten Produkten ernährt werden, die mit- hilfe von Solarstrom produziert wer-den. Die Deutschen versuchen das im Moment, aber es funktioniert nicht.

Ein Dilemma: Die jetzige Situation sorgt bei vielen für Unbehagen und trotzdem verlassen wir uns mehr und mehr auf Technologie – man schaue sich nur die Finanzmärkte oder Autopiloten in Flugzeugen an, die immer mehr Funktionen über- nehmen. Ich würde zwischen Technologie und Technik unterscheiden. Die Techno-

logie ist die eigentliche Maschine, die Technik ist die Verwendung die-ser Maschine. Die meisten dieser Beispiele für Technologie sind eigent- lich Techniken. In den 1990er Jahren, bevor die USA den Finanzsektor deregulierte, war zum Beispiel ge-nau dieselbe Technologie im Einsatz wie in den 2000er Jahren, also nach der Deregulierung. Es waren rein die rechtlichen Bedingungen, die sich veränderten. Wir haben eigentlich vollkommene Freiheit, wenn es darum geht, Dinge zu strukturieren. Es ist wie bei Leuten, die denken, sie lehnen Technologie ab. Eigentlich lehnen sie bestimmte soziale, politische und gesetzliche Rahmenbedingungen ab. Es spielt keine Rolle, welche Werkzeuge wir verwenden. Es gibt Kosten und es gibt Nutzen, alles eine Frage der Ab-wägung – aber unterm Strich liegt es an uns, die Gesellschaft so zu formen, wie wir sie haben wollen.

Zu jeder Zeit hatten und haben Menschen bestimmte Vorstel-lungen davon, wie die Zukunft

aussehen könnte. In den 1960 er Jah-ren dachten sie beispielsweise, dass wir in den 2010er Jahren in Raum-schiffen zu unseren Mondkolonien fliegen würden. Wie wir wissen, ist das nicht der Fall. Dafür tragen wir Computer in Form von Telefonen in unseren Taschen herum, deren Rechenleistung damals völlig utopisch war. So oder so, bei den meisten Visionen für die Zukunft spielen neue Techniken und Tech-nologien eine entscheidende Rolle. Wie diese Rolle tatsächlich aussieht, versuchen wir im Gespräch mit Michael Lind herauszufinden. Lind ist Autor und Mitbegründer von New America, einer Organisation, die sich bei Entscheidungsträgern unter anderem für eine Neuausrich-tung der US-amerikanischen Politik im digitalen Zeitalter einsetzt.

Neue Technologien werden heute oft als disruptiv bezeichnet, das heißt, sie verändern den Markt und das Nutzungsverhalten nachhaltig.

Sind neue Technologien wirklich so bahnbrechend?Ja, das sind sie. Allerdings werden viele Technologien meiner Meinung nach oft falsch eingeordnet. Die über- wiegende Mehrzahl dieser sogenann-ten disruptiven Innovationen sind eigentlich revolutionäre Technologien, die schon Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden und die heute im Wesentlichen weiterentwickelt oder auf breiterer Basis genutzt werden. Nehmen Sie die Automatisierung von Autos, die zunehmende Verwendung von Informations- und Kommunikati-onstechnologien in den verschieden-sten Bereichen oder die sozialen Medien – die zugrunde liegenden Techniken wurden teilweise be- reits in den 1930er Jahren entwickelt. Viele der heutigen Innovationen sind nicht wirklich transformative Tech-nologien, die zu grundlegenden Ver- änderungen führen. Ein Beispiel: Die Erfindung des Elektromotors ent-spricht der Entwicklung des Compu-ters zwischen den 1940er und 1980er Jahren. Die Elektrifizierung der Städte und ländlicher Gebiete ent-spricht der Entwicklung des Internets in den 1990er und 2000er Jahren.

Und die heutigen Apps entsprechen den Fernseh- und Radioprogram-men, die erst durch den Ausbau des Stromnetzes möglich wurden. Eben-sowenig wie das Fernsehnetz eine bahnbrechende Technologie ist, ist es eine App in den sozialen Medien – ganz im Gegensatz zum elektrischen Motor.

Würden Sie sagen, dass es überhaupt eine digitale Revolution gibt?Ja, denn die wirklichen Produktivitäts- gewinne und die eigentlichen Ver-änderungen in der Gesellschaft rühren ja nicht von der Erstentwicklung von sogenannten Basistechnologien oder wegweisenden Technologien wie der Dampfmaschine, dem Elektromo- tor oder dem Computer. Die wahre Veränderung entsteht durch die Anwendung dieser Technologien in verschiedenen, bereits existierenden Sektoren. Diese Bereiche sind alte Bekannte: Industrie, Landwirtschaft, Einzel-handel, Freizeit etc. Es gibt sie, die Transformation in unserer Gesell-schaft, aber wir sollten die Anzahl an transformativen Technologien nicht überschätzen.

Michael LindUS-amerikanischer Autor, der unter anderem für The New Yorker tätig war. Er ist Mitbegründer des Think-tanks New America.

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„Ein Schubs in die richtige Richtung“ — Nudging als Alternative zu technischen Lösungen?

Text Björn Lüdtke

schungsverbund Danish Nudging Network führte dazu folgendes Experiment durch: Neben den Licht-schaltern einer Universität wiesen Schilder darauf hin, dass 85 Prozent der Studenten das Licht beim Ver- lassen des Raumes ausmachen wür-den. Das führte dazu, dass das Licht ins- gesamt weniger oft angelassen wurde (ein Rückgang von 20 bis 26 Prozent) – es wurde effektiv Energie gespart. Und auch in den USA wird geschubst: Im heißen Kalifornien liegt es in der Natur der Sache, dass die Bürger bei Hitzewellen ihre Klimaanlagen einschalten. Das führte jedoch immer wieder zum Zusammenbruch der Stromversorgung. Psychologen kamen auf die Idee, die Einwohner darüber

zu informieren, wie sie im Vergleich zu ihren Nachbarn beim Stromver-brauch dastehen. Zusätzlich wurden auf den nächsten Rechnungen Smileys vergeben, je nachdem wie viel ge-spart wurde. Das verantwortliche Un- ternehmen Opower gibt an, seit 2007 2,8 Terawattstunden Strom einge-spart zu haben.

Im oft kalten Großbritannien liegt das Problem genau andersherum. Hier geht viel Wärme (und somit Energie) buchstäblich durch das Dach. Damit die Menschen ihre Heizungen we-niger weit aufdrehen müssen – und somit der CO2

-Ausstoß verringert wird –, wollte die britische Regierung die Bürger mit Subventionen zum Dämmen ihrer Dächer anregen. Das hat aber nicht funktioniert, die Sub-ventionen wurden gar nicht erst ab-gerufen. Warum? Man hat herausge-funden, dass die Menschen vor einer Renovierung zurückschreckten, weil die meisten Dachstühle voll mit Ge-rümpel waren. Fortan gab man nicht mehr nur Finanzspritzen zum Isolie- ren des Dachs, sondern ließ gleich-

zeitig den Sperrmüll entsorgen. Das Resultat: Es wurden dreimal mehr Subventionen in Anspruch genommen.Die Idee, die Dachstühle räumen zu lassen, stammte vom Behavioural Insights Team, ein Beraterteam, das 2010 von der britischen Regierung gegründet wurde, um Verhaltens-

wissenschaften im Allgemeinen und die Nudging-Theorie im Speziellen in praktische Anwendungen zu über-führen. Das Team soll Menschen dabei helfen, bessere Entscheidungen für sich zu treffen.Eine erste Aufgabe des Teams be-stand darin, mehr Steuern einzutrei-ben. Wie? Anstatt den Leuten mitzu-teilen, dass sie noch Steuerschulden haben, lies man sie wissen, dass die meisten Einwohner ihrer Stadt schon bezahlt hätten. Das einfache Um-formulieren der Briefe soll Mehrein-nahmen in Höhe von 200 Millionen Pfund gebracht haben – und das ohne mehr Kosten zu verursachen.Das alles sind kleine Anstöße, die ei- nen großen Effekt haben können. Beim Nudging geht es nicht um Ver-bote, sondern darum, Menschen frei entscheiden zu lassen – die Entschei-dung jedoch zu lenken. Der Grat zur Bevormundung ist dabei aber schmal und so wundert es nicht, dass Nudg-ing auch in der Kritik steht. Laut Theorie ist ein Schubs nur dann ein Nudge, wenn er das Verhalten von Menschen in einer vorhersehba-ren Weise beeinflusst, ohne Optionen zu verbieten. Nicht jeder Eingriff, der einen frei entscheidenden und ver-nünftig handelnden Menschen beein-flusst, ist ein Nudge. Nudges setzen keine Anreize – weder positive noch negative. Ob das Ausnutzen von Schamgefühlen in diesem Sinne noch neutral ist, ist sicherlich diskussions-würdig. Außerdem wird die Nachhal-tigkeit der Verhaltensänderung in-frage gestellt. Allen Kritiken zum Trotz jedoch kann Nudging zu positiven Verhaltensände-rungen beim Einzelnen und bei gan-zen Gruppen führen. Nudges stellen oft günstige Alternativen zu so manch kostspieliger technischer Problem-lösung dar. Werden sie mit gesundem Menschenverstand und Feingefühl angewendet, dann kann jeder von uns dazu angeregt werden, die Welt zu verändern – Schubs für Schubs.

Überall auf der Welt sehen wir uns einer Vielzahl von He-rausforderungen gegenüber:

nicht nachhaltige Landwirtschaft, Kli-mawandel, hoher Energieverbrauch, eine alternde Bevölkerung und stei-gende Kosten im Gesundheitssek-tor sind dabei nur die dringlichsten. Traditionelle Ansätze scheitern im-mer häufiger bei dem Versuch, diese komplexen Probleme zu bewältigen. Staatliche Instrumente oder reine Marktlösungen genügen in den meis-ten Fällen nicht. Immer häufiger werden deswegen soziale Innovatio-nen als Ergänzung oder Alternative zu traditionellen, meist technischen Problemlösungen gesehen. Dabei gibt es noch keine eindeutige Definition dafür, was soziale Inno-vationen eigentlich sind. Die Diskus-sionen dazu sind lang und zahlreich. Im Grunde genommen geht es aber schlicht um Folgendes: Jeder packt mit an, um positive Veränderungen für sich selbst und seine Mitmen-schen herbeizuführen.Soziale Innovationen unterscheiden sich von technischen in erster Linie dadurch, dass sie die Veränderung be- stimmter gesellschaftlicher Praktiken

anstreben und weniger Wert auf die Einführung neuer Produkte legen. Soziale Innovationen sind neue An-sätze zum Erfüllen sozialer Bedürf-nisse. Bekannte Beispiele sind fairer Handel, Mikrofinanzierungen, Ar-beitszeitkonten, Gemeinschaftswäh-rungen und mobile Apps zum Orga-nisieren von Fahrgemeinschaften.

Ein neuerer Ansatz innerhalb der sozi- alen Innovationen ist das sogenannte Nudging, englisch für „schubsen“. Es handelt sich dabei um einen Ansatz, der sich mit der Frage beschäftigt, wie man Menschen zu sozialerem und produktiverem Verhalten anregen kann, ohne sie dabei zu bevormunden. Die Nudging-Theorie besagt, dass allein positives Feedback oder indirek- te Anregungen – ein Anstoß oder

eben ein Schubs – Gruppen und ein-zelne Personen genauso effektiv oder sogar effektiver beeinflussen können als direkte Anweisungen, Gesetze oder Zwang.Zum Einsatz kommen die sogenann-ten Nudges oft als Alternative zu technischen Lösungen. In einem Hotel in Dänemark beispielsweise hat man Äpfel in einer Auslage aus-gestellt und versucht, mit einer alten Weisheit an der Wand dazu anzuregen, gesünder zu leben: „An apple a day keeps the doctor away.“ Die Konfe-renzteilnehmer fingen an, den gesun- den Snack gegenüber Kuchen oder Schokolade zu bevorzugen, woraufhin das Hotel sein Obstangebot erwei-tern musste. Die technische Alterna-tive? Mehr Diätprodukte entwickeln oder gar mehr Geld ins Gesundheits-wesen stecken. Menschen auf die beschriebene Art und Weise dazu an-zuregen, gesünder zu leben, ist je-doch auf jeden Fall nachhaltiger und kosteneffizienter. Nudges können auch ein einfaches und günstiges Mittel sein, um Men-schen zum Energiesparen zu er-muntern. Der 2010 vom Dänen Pelle Guldborg Hansen gegründete For-

Wie können Men-

schen zu sozialerem

Verhalten angeregt

werden?

Nudging-Klassiker: Anstoß zum Ausschalten des Lichts

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Fünf Länder, eine Zukunft?

Text Björn Lüdtke, Yuki Sato, Ellen Lee, Angela Gruber, Luciana Ferrando, Raouia Kheder

Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr

Leben mithilfe von Technologie neu gestalten

Wie in jeder Ausgabe von Zukunft schauen wir uns in fünf Ländern dieser Welt

um. Wir wollen sehen, wo Unterschie- de, aber auch Gemeinsamkeiten liegen. Dieses Mal geht es dabei um neue technische Entwicklungen.Was sind die kulturellen Besonderhei- ten bei der Verbreitung und Akzep-tanz von Technik in der jeweils be- trachteten Kultur? Welchen Stellen- wert nimmt sie in Japan, den USA, Deutschland, Argentinien und Tune-sien ein und welchen Platz findet sie dort im Alltag?Den Anfang macht unsere Reporterin Yuki Sato in Japan. Japaner haben den Ruf, technischen Innovationen ge- genüber besonders aufgeschlossen zu sein. Ist das tatsächlich so oder handelt es sich um ein Klischee? Und welche Erwartungen werden dabei an Roboter gestellt?Auch die USA sind immer ganz vorne mit dabei, wenn es um neue Anwen-dungen geht. Laut Ellen Lee könnte das vor allem am unangepassten Pioniergeist der Amerikaner liegen. Sie findet dort eine Kultur vor, „die Risikobereitschaft begrüßt und Men-schen belohnt, die kluge Dinge tun“.Den Deutschen dagegen haftet das Image der Technik-Skeptiker an – und das, obwohl sie das Land der Tüftler und Denker sind. Haben sie dieses Image zurecht? Angela Gruber ver-sucht, diese Frage zu beantworten.Luciana Ferrando schaut sich in Ar-gentinien genauer um. Dort spielen neue Techniken im Alltag eine grö-ßere Rolle, als man das vielleicht ver- muten würde. Das fängt schon bei der Bildung der Kleinen an und ist vor allem einem staatlichen Programm zu verdanken. Woran es in Tunesien liegt, dass es neue Technologien – abgesehen von Informations- und Kommunikations-technologien – schwer haben, sich zu verbreiten, berichtet Raouia Kheder. Eines sei vorweggeschickt: An den Bürgern scheint es nicht zu liegen.

Japan— Roboter mit Seele

Im Sommer 2014 stellte das japani-sche Telekommunikationsunterneh-men SoftBank der Öffentlichkeit den humanoiden Roboter Pepper vor. Pepper hat einen menschenähnlichen Körper, zwei Augen, die blinzelnd Emotionen vermitteln, und einen gro-ßen Auftrag: Er soll Menschen glück-lich machen, indem er „ihre Gefühle liest“. Touristen mag es überraschen, wenn sie in Japan in einigen Geschäf-ten oder Hotels von humanoiden Robotern bedient werden. Für immer mehr Japaner werden sie indes zur Gewohnheit.Zugegeben, auch hier gehören Robo-ter noch nicht zum Straßenbild – das entspricht vielleicht eher einem Kli-schee. Trotzdem scheinen menschlich wirkende Roboter immer mehr Auf-gaben zu übernehmen. Wieso ist man in Japan so offen für diese Art von Technologie? Ein Grund mag darin liegen, dass weltlichen und rationalen Werten hohe Bedeutung beigemessen wird, im Gegensatz zu traditionellen Werten,

die sich um Familie, die lokale Ge-meinschaft oder Religion drehen. In einer solchen Gesellschaft verlässt man sich lieber auf die Technik, als die Familie oder die Gemeinschaft um Hilfe zu bitten.Laut Shunsuke Aoki, CEO von Yukai Engineering, einem Unternehmen aus Tokio, das interaktive digitale Gadgets und Spielzeug herstellt, be-vorzugen seine Kunden Produkte in Form von Puppen oder Figuren. Eines der Produkte ist Bocco, ein Familienroboter, der dafür sorgt, dass getrennt voneinander lebende Fami-lienmitglieder in Verbindung bleiben. Er sieht aus wie ein Yokai, eine über-natürliche Figur aus dem japanischen Volksglauben. Aoki glaubt, dass Yokai eine wichtige Rolle bei der Einstellung zu Robotern spielen. „Seit dem Mittelalter glauben Japaner, dass Dinge, die immer wie-der benutzt werden, wie zum Beispiel eine Tasse oder ein Teller, auch eine Seele haben und sich in ein Yokai verwandeln können. Diese Kultur be-einflusst noch immer die Interaktion der Menschen mit Dingen.“ Die Erwartung an Roboter als aktive Hilfe im Alltag scheint sich in der modernen japanischen Gesellschaft Fußball spielende Roboter

Roboter am Empfang eines Hotels

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Deutsch- land— Tüftler und Denker

Wer nach Deutschland kommt und ins Internet will, muss erst mal an-fangen, nach Passwörtern zu fragen. Während man sich in anderen Län-dern in jedem Café in ein offenes

WLAN einwählen kann, werden hier die Netzwerke geschützt. Der Grund: die Gesetzeslage. Denn wenn ein Dritter den Zugang zum Netz miss-braucht, kann in Deutschland der Besitzer des Netzanschlusses haftbar gemacht werden.Gleichzeitig ist das Land Vorreiter in Sachen grüner Technologie: Überall stehen Windräder und Wasserkraft- werke, und Elektroautos sind hier nicht nur Utopie. Auch in den eigenen vier Wänden setzen die Deutschen auf Technik. Erfolgreiche Smart-Home- Anbieter wie das Münchner Start-up- Unternehmen Tado mit seinem intelli-genten Heizungssystem sind das beste Beispiel. Sogar bei Ikea, dem favori-

sierten Innenausstatter des Landes, gibt es seit Kurzem Glühbirnen zu kaufen, die sich per App steuern las- sen. Die Digitalisierung kommt im-mer mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Die Deutschen lieben Technik, Effi-zienz und Nützlichkeit der modernen Geräte. Gleichzeitig stellen sie Neu-erungen infrage wie wenige andere Nachbarn. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, ist allerdings keiner.

„Weil das Neue eingespielte Prozesse durcheinanderbringt, wird es oft nicht nur als nutzlos, sondern als ge-radezu lästig empfunden“, moniert die Autorin Kathrin Passig in ihrem Text „Standardsituationen der Tech-nologiekritik“. Dass Neues zunächst kritisch geprüft wird, bevor man es in den Alltag integriert, ist insbesondere in Deutschland der Fall: Ein neues Gerät, eine neue Technik, muss erst einmal seinen Mehrwert unter Beweis stellen. Die Deutschen haben bei technischen Neuerungen somit zwar hohe Ansprüche – richten sich da-durch aber letztlich so konsequent wie wenige andere Nationen in Rich-tung Fortschritt aus.

immer stärker auszuprägen. Die öf-fentliche Forschungs- und Entwick-lungsgesellschaft New Energy and Industrial Technology Development Organization sagt dem heimischen Markt für Industrie- und Privat-Robo-ter ein Wachstum von 1,6 Billionen Yen im Jahr 2015 auf 9,7 Billionen Yen im Jahr 2039 voraus. Der Trend wird durch die demogra- fischen Veränderungen in vielen kleinen und mittelgroßen Städten verstärkt. Die Gesundheitsverwal-tung von Nanto zum Beispiel setzt für therapeutische Aufgaben Paro ein, eine Roboter-Puppe in Form einer Robbe. Sie soll einen beruhi-genden Einfluss auf Patienten haben. Nach einer erfolgreichen Testphase beschloss die Stadt, sie in Dienst zu stellen, um Familien zu entlasten, die sich um ihre älteren Mitglieder küm-mern müssen. Die Bevölkerung von Nanto ist in den letzten 25 Jahren um

20 Prozent auf 55.000 Einwohner zu-rückgegangen, wobei der Anteil der über 65-Jährigen 34 Prozent beträgt, 30 Prozent mehr als im japanischen Durchschnitt. Bevölkerungsverlust und eine altern-de Gesellschaft sind Herausforderun-gen, denen sich viele japanische Städte gegenübersehen – und so stei-gen auch die Erwartungen an Roboter.

kann. Bei der Verbreitung und Akzep- tanz neuer Technologien setzen die Vereinigten Staaten immer wieder Maßstäbe. Woher kommt aber eine Kultur, die dem Neuen so offen gegenübersteht? Sie ist tief verankert in einer Gesell-schaft, die auch heute noch die Un-angepassten und die Risikobereiten feiert. Nehmen wir die amerikanische Popkultur, von Rock ’n’ Roll bis Holly- wood. Oder die Erinnerungen an den Wilden Westen. Oder die stolze Histo- rie von Immigranten, darunter Technik- koryphäen wie Elon Musk von Tesla oder Sergey Brin von Google.

„Stellen Sie sich vor, wie es gewesen sein muss, als Amerika von europä-ischen Auswanderern besiedelt wurde. Sie mussten einfallsreich und risikobereit sein, um es überhaupt bis hierher zu schaffen“, sagt Lee Rainie, Direktor für Internet-, Wissen-schafts- und Technologiestudien am Pew Research Center in Washington, D.C. „Das führt zu einer gewissen Kultur, die Risikobereitschaft begrüßt und Menschen belohnt, die kluge Dinge tun.“Amerikanische Technikinnovationen basieren laut einem Bericht der In-formation Technology and Innovation Foundation, einem gemeinnützigen Thinktank in Washington, D.C., auch auf einem tief verwurzelten Interesse am Basteln, Erfinden und Verbessern.

„In Kombination mit einer ausgepräg-ten Kultur des Individualismus macht es das leichter, eingefahrene Vorge-hensweisen infrage zu stellen – ob Sie nun Steve Jobs oder ein Fabrikar-beiter sind“, stellt der Bericht fest. Es gibt aber auch Stimmen, die vor einer Kultur warnen, die nur noch von der nächsten Innovation beses-sen ist. Das American Enterprise Institute, ein weiterer Thinktank in Washington, D.C., warnt die Amerika- ner davor, der „Faszination der Tech-nikideologie“ zu erliegen. Das gefähr- de die Ethik und die Tugenden einer Gesellschaft. Immerhin sorgt man sich

Deutsche Ingenieure beim Tüfteln

Videobrille Oculus Rift

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seit Kurzem um Technikabhängigkeit – vor allem von Smartphones – und wie sie die Interaktion zwischen uns Menschen beeinträchtigt. Außerdem wird befürchtet, dass den USA bei den Innovationen die Puste ausgeht. Zum einen wird Unterneh-mern vorgeworfen, sie entwickelten nur noch Produkte, von denen nur wenige wohlhabende Menschen profitierten, und sie vernachlässig-ten größere, drängende Probleme wie Armut oder Klimawandel. Zum anderen weist zum Beispiel Eamonn Fingleton, der Autor von In the Jaws of the Dragon: America’s Fate in the Coming Era of Chinese Dominance („In den Klauen des Drachen: Ameri-kas Schicksal in der kommenden Ära chinesischer Dominanz“), darauf hin, dass chinesische Unternehmen in den letzten Jahren mehr Technik- patente angemeldet haben als US- amerikanische. Trotzdem verläuft die technische Ent-wicklung im Land noch immer rasant. Da gibt es beispielsweise Oculus Rift, eine Virtual-Reality-Brille. Der erste Prototyp wurde 2012 von einem damals 20-jährigen Spielebegeister-ten entwickelt und hat ein Wettren-nen unter den Tech-Titanen Sony, Microsoft und Google ausgelöst: Wer kann als erstes Virtual Reality für den Massenmarkt anbieten? Im Jahr 2014 übernahm Facebook das Unterneh-men Oculus VR.Die neueste Version der Brille wurde im Jahr 2015 vorgestellt, zusammen mit einem virtuellen Tischtennisspiel, das von Spielern gespielt werden kann, die Tausende von Meilen von-einander entfernt sind. „Ich glaube, ich habe in meinem Leben fünf oder sechs Computer-Demos gesehen, bei denen ich anschließend dachte, dass sie die Welt verändern würden“, sagte Chris Dixon, einer der Investoren von Oculus Rift dem Wired Magazine.

„Apple II, Netscape, Google, iPhone – und jetzt Oculus. Das gehört in die gleiche, unglaubliche Kategorie.“

USA— Offen gegenüber

Neuem

Eine Waschmaschine, die per SMS meldet, dass die Wäsche fertig ist. Ein selbstfahrendes Auto. Eine Virtual- Reality-Brille, mit der man ohne Schläger und Ball Tischtennis spielen

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Während Bürger anderer Nationen oft bedenkenlos in AGB und Nutzungs- verträge internationaler Anbieter wie Facebook oder Skype einwilligen, sehen die Deutschen laut einer Um-frage von Statista aus dem Jahr 2014 auch das Überwachungspotenzial der Technik – die Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden trugen ihr Übriges dazu bei. In keinem anderen europäischen Land riefen sie eine solche Empörung hervor. Umfragen zeigen aber auch, dass das Image vom technikfeindlichen Deut-schen keinesfalls gerechtfertigt ist. Ein gutes Drittel der Befragten kann sich laut der Umfrage aus dem Jahr 2014 ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. 47 Prozent finden es zudem „richtig spannend“, wie sich die technischen Möglich-

keiten im Zuge der Digitalisierung vervielfältigen.Im europäischen Vergleich blicken die Deutschen zwar insgesamt etwas nüchterner auf technische Neue- rungen als ihre Nachbarn und stürzen sich nicht begeistert auf jede neue technische Spielerei, so der Dort-munder Techniksoziologe Johannes Weyer in einer Studie zum Thema. Die Daten liegen Weyer zufolge aber immer noch in der Nähe des europä-ischen Durchschnitts. In puncto neue Medien kommen die großen Entwicklungen – das tolle neue Smartphone oder die trendige App – eher aus dem angelsächsischen Raum. Die Deutschen dürfte das wenig stören. Das Hochtechnologie-land ist der Platzhirsch wenn es um Ingenieurswesen und Maschinenbau

geht. Die technische Überlegenheit und das hohe Qualitätsbewusstsein zeigen sich in diesen klassischen Bereichen. Dort präsentiert sich Deutschland unangefochten als Land der Tüftler und Denker.Nicht zuletzt der Fokus auf diesen Kernbereich macht das Land zum nachhaltigsten Innovationsmotor Europas. Die Deutschen verteidigten auch 2014 ihren Spitzenplatz als „Pa-tentkaiser“ der Europäischen Union. Knapp 32.000 Patente wurden 2014 angemeldet, die meisten aus der Industrie. Insgesamt gab es so viele Anmeldungen wie aus keinem an-deren europäischen Land. Vielleicht ist eben das typisch deutsch: Kein großes Gerede über Innovations-fähigkeit, dafür die Zahlen für sich sprechen lassen.

Argenti-nien— Blick nach vorn

Aufregung und Enthusiasmus herrsch- ten in der argentinischen Wissen-schaftsgemeinde, als Buenos Aires, die Hauptstadt des Landes, Ende Juli 2015 Gastgeberin der International Joint Conference on Artificial Intelli-gence (IJCAI) war. Mit 1.200 Teil- nehmern fand die weltweit wichtigste Konferenz im Bereich künstliche In-telligenz damit erstmals in Südamerika statt. Es ist wohl kein Zufall, dass Argenti-nien das auserkorene Land war. „Es ist eine Anerkennung und der Beweis, dass in Lateinamerika Argentinien im technologischen Fortschritt vorneweg ist“, meint Professor Guillermo Simari, Vorsitzender des lokalen Organisa- tionskomitees der IJCAI. „Argentinier sind von neuen Ideen sofort begeis-tert und betrachten Technologie als Verstärker kultureller Entwicklung in allen Bereichen“, sagt Simari. Die Gründe für diese Offenheit sieht Simari, der auch Leiter des Instituts für Ingenieurinformatik an der Uni-versidad Nacional del Sur in Bahía Blanca ist, in den kulturellen Eigen-heiten der Argentinier. Der Satz des mexikanischen Autors Carlos Fuentes

„Die Mexikaner kommen von den Azteken, die Argentinier von den Schiffen“ ist für ihn mehr als ein hu-morvolles Zitat. „Die Welle europäi-scher Immigration, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Argentinien ankam, hat einen klaren Unterschied zu an-deren lateinamerikanischen Ländern hervorgebracht“, sagt Simari. „Im-migranten möchten, dass ihre Kinder sich bilden, um bessere Positionen in der Gesellschaft zu erlangen. Dieser Input anderer Kulturen hat uns positiv beeinflusst. Er ist Teil unserer heu-

tigen Wesensart: Wir bewegen uns vorwärts und schauen nach vorn.“ Das spiegelt sich auch in der wachsen- den Nutzung von Technologie und Robotik in der Bildung wider. Inzwi-schen gibt es alle Arten von Anwen-dungen in den Klassenzimmern. Grundschulkinder lernen program-mieren, Schüler bauen Roboter, Rech-ner gehören zur Grundausstattung. Den Anstoß gab 2010 das staatliche Programm Conectar Igualdad, das landesweit 5,4 Millionen Netbooks an Schüler und Lehrer von Sekundar-schulen verteilte. Bis dahin waren Netbooks exklusi-ver Luxus. „Conectar Igualdad hat ein Fenster zur Welt geöffnet und die technologische Kluft verkleinert“, sagt Monika Paves, Physikprofessorin und Geschäftsführerin von Robot-Group Argentinien. Das Unternehmen, das Roboter für den Erziehungsbe-reich baut, bietet Workshops (auch für Lehrer) an, arbeitet bei pädagogi- schen Projekten des Wissenschafts-ministeriums mit und stellt didaktische Robotik-Kits her. „Wenn Kinder pro-grammieren, eigene Ideen entwickeln

und dann sehen, dass die Roboter, die sie bauen, so funktionieren wie sie sich das vorgestellt haben, wird ihre Motivation immer größer“, sagt Paves. So sieht das auch Marcelo De Vincenzi von der Universidad Abierta Inter-americana (UAI). „Immer mehr Lehrer und Pädagogen nutzen die Robotik, um wissenschaftliche Grundlagendis-ziplinen zu erklären. Beispielsweise spielen sie Roboterfußball und die Kinder lernen dabei Mathematik oder Physik.“ Seit 16 Jahren organisiert die UAI die Olimpíadas Nacionales de Robótica (Robotik-Olympiade), bei der 250 Teams aus Schulen des ganzen Landes miteinander konkur- rieren. Oder die Schüler designen selber Roboterteile und drucken sie mit einem 3D-Drucker aus. So macht es die Informatiklehrerin Alicia Siri mit Jugendlichen in ihren Klassen. Auch zu Hause ist Siri ein Tech-Fan. Sie hat einen Staubsauger-Roboter und bedient die Waschmaschine oder die Spülmaschine mit ihrem Smart-phone. Die jungen Leute in ihrer

Da Vinci, das weltweit meistverwendete Operationsrobotersystem

Teilnehmerin bei der World Robot Olympiad ( WRO )

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natürlich über die Jüngeren, die un-ter 35-Jährigen. Unser Problem wa-ren die Verordnungen, die für unsere Entwicklung einfach nicht flexibel genug waren.“Abgesehen von der ohnehin abneh-menden Skepsis gibt es nur wenige kulturelle Hürden, nämlich solche, die sich auf sensible Bereiche wie Religion und Tradition beziehen: Glücksspiel oder der Handel mit Ak-tien sind in vielen arabischen Län-dern verpönt. Das größte Hemmnis ist der Zugang zu den neuen Technologien. „Ich kann mir keine spezielle Erfindung oder Technologie vorstellen, die nicht akzeptiert werden würde“, meint Ramzi El Fekih. „Ich denke, dass in Tunesien die Hindernisse mehr öko-nomischer als kultureller Art sind. Der Wechselkurs und die fehlende

Konvertierbarkeit des Dinars stehen der Entwicklung und Übernahme neuer Technologien sehr im Weg. Ich denke, dass die Tunesier jegliche neue Technologie übernehmen wür-den, wenn sie gut informiert werden und darin Vorteile erkennen.“

Wie so oft ist das Bild von fremden Kulturen mit Klischees behaftet. Dem einen oder anderen Klischee konnten wir auf die Schliche kommen. Wir haben herausgefunden, dass auch in Japan Roboter noch nicht zum Alltag gehören. In Argentinien dagegen spie- len sie seit ein paar Jahren vor allem in der Bildung eine recht große Rolle.Die Deutschen schauen bei neuen Technologien zwar genauer hin, Tech- nik-Muffel sind sie deswegen aber noch lange nicht. In Tunesien hätte

man diese Probleme wohl gerne. Dort liegt es eher an äußeren Umständen, dass sich neue Technologien nicht so schnell verbreiten können.Nur die Amerikaner werden ihrem Ruf als unangepasste Pioniere ge-recht – zumindest in unserer kleinen Reise um den Globus – und können zurecht als unerschrockene Vorrei-ter in Sachen Technologie gesehen werden. Eines aber haben alle Kulturen ge-meinsam: Die Technik gehört zum Alltag und auch ihr kultureller Stellen- wert verfestigt sich immer mehr. In dem einen Land vielleicht schneller als im anderen, aber tendenziell ist abzusehen, dass sich die Gewohnhei-ten in Bezug auf ihren Gebrauch weltweit angleichen. Wie wir sie für unseren eigenen Fortschritt nutzen – das liegt in unseren eigenen Händen.

Umgebung seien davon fasziniert, aber „Menschen über 45 sehen nicht, warum sie Geld dafür ausgeben sol-len“. Sie selbst dagegen versteht die Nutzung von Technologie als Verbes-serung ihrer Lebensqualität. Auch deswegen hat sie sich im Hospital Italiano von einem Roboter an ihrer

Niere operieren lassen. Das Kran-kenhaus, wie auch das Hospital El Cruce-Néstor Kirchner, beide in Buenos Aires, besitzen „intelligente Operationssäle“ der neuesten Gene-ration. „Vor 40 Jahren war mein Vater wegen einer ähnlichen Opera-tion 15 Tage im Bett und hatte eine 30 Zentimeter lange Wunde. Meine maß nur drei Zentimeter und nach vier Tagen ging ich meinem normalen Leben wieder nach.“ Eine andere Anwendungsmöglichkeit von künstlicher Intelligenz, bei der eine Kamera Altenpfleger unterstützt, entwickelte Ricardo Rodriguez. Sie kam jedoch nicht zum Einsatz. „Für das Projekt gab es keine Investoren. Das ist ein häufiges Problem in Ar-gentinien, da wir noch ein Entwick-

lungsland sind.“ Doch die Experten sind sich einig: Talent, kreative Ideen und Know-how hat Argentinien in großer Fülle. Und mit Blick auf die jun- gen Generationen, die mit den neuen Technologien aufwachsen, sind sie überzeugt: Es wird noch besser!

Tunesien— Lust auf mehr

Mit einer Versorgungsrate von 53 Prozent liegt Tunesien bei der Inter-netnutzung auf dem zehnten Platz in Afrika. Knapp 6 der 11 Millionen Tunesier benutzen es. Bezogen auf die Zahl der User liegt das Land laut dem Marktforschungsinstitut Tunisie Sondage damit weltweit sogar auf Platz 66. Das ist beachtlich, bedeutet aber nicht, dass Tunesien seinem Ruf gerecht wird, wenn es um neue Technologien generell geht. „Neue Technologien“ bedeutet für die Mehrzahl der Tunesier ausschließlich

„Internet“. Erwachsene über 40 Jahre

räumen ein, nur grundsätzliche An-wendungen wie E-Mail oder Google zu benutzen, darüber hinausgehende Kenntnisse in Bezug auf Apps, Strea-ming oder Crowdsourcing aber nicht zu besitzen.Abdullah, ein 35-jähriger Verkäufer, beschränkt sich bei der Nutzung neuer Technologien auf Smartphone, Internet und Facebook: „Das ist alles, was ich nutzen kann. Sonst ist nichts zugänglich und sicher. Natür-lich weiß ich, dass es andere Bereiche gibt, in denen neue Technologien zum Einsatz kommen. Die Automati-sierung des Zuhauses ist ein gutes Beispiel. Natürlich gibt es die ent-sprechenden Technologien in Tune-sien. Aber mir ist die Vorstellung, dass mein gesamtes Haus fernüber-wacht wird, nicht geheuer. Was, wenn jemand mein Konto hackt? Mir ist absolut klar, dass so etwas anders-wo funktionieren kann, aber nicht in Tunesien.“ Dieses Unbehagen ist tief verwurzelt und beruht auf Erfah-rungen mit Korruption – von Com-putersystemen, Unternehmen, sogar der Regierung. Viele fürchten, Opfer von Betrug oder Hackerangriffen zu werden. Bei nachkommenden Generationen verschwindet diese Angst jedoch allmählich. In den Städten gibt es Communities von Computer-Geeks im Alter von 20 bis 30 Jahren, die alles ausprobieren: von Cloud Com-puting über Streaming bis hin zur Sharing Economy. Ramzi El Fekih beispielsweise ver-suchte mit mdinar, einem Projekt für mobiles Bezahlen, die Einstellung gegenüber dieser Technik in der Gesellschaft zu ändern. „Unser Pro-jekt war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus. Und vor allem war es fortschrittlicher als die Verordnungen, die zu seinem Erfolg notwendig gewesen wären. Obwohl die Leute sich wegen der Sicherheit Sorgen machten, waren sie dem Produkt gegenüber sehr offen. Wir reden hier

Japan

A. Auch vor der Ein-

führung von Smart-

phones waren

„normale“ Handys

schon internetfähig

B. Roboter sollen

bei der Pflege der

überalternden

Gesellschaft helfen

C. Auch Technik kann

eine Seele haben

USA

A. Sorgen um die

Abhängigkeit von

Smartphones

machen sich breit

B. Die ersten fahrer-

losen Autos fahren

auf den Straßen

von Kalifornien

C. Amerikaner sind

Neuem gegen-

über sehr aufge-

schlossen und

risikobereit

Deutschland

A. Ein gutes Drittel

der Befragten einer

Umfrage kann sich

ein Leben ohne

Smartphone nicht

mehr vorstellen

B. Smart Homes

werden immer

beliebter

C. Neues muss sich

erst bewähren

Argentinien

A. 71 % der Befrag-

ten einer Umfrage

gehen ohne das

Smartphone nicht

aus dem Haus

B. Roboter werden

in der Bildung

eingesetzt

C. Argentinier be-

trachten Techno-

logie als Ver-

stärker kultureller

Entwicklung

Tunesien

A. Zwei von drei

Tunesiern hät-

ten gerne ein

Smartphone

B. Neue Techno-

logien kommen

hauptsächlich in

den Städten zur

Anwendung

C. Nachwachsende

Generationen

verlieren Berüh-

rungsängste

Neue Arten des Bezahlens in Tunesien

Die fünf Länder im Vergleich

A. Smartphone-Gewohnheiten B. Technologie im Alltag C. Kulturelle Besonderheit© iS

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Als die EU vor einigen Jahren das Aus für konventionelle Glühlampen beschloss,

hatten zwei Unternehmer aus dem Ruhrgebiet eine pfiffige Idee. Um das Verkaufsverbot zu umgehen, deklarierten sie die Birnen einfach als Miniatur-Heizkörper. Ihre Ar-gumentation: Die Lampen liefern in erster Linie Wärme, das Licht ist nur ein Abfallprodukt. In der Tat beträgt der Wirkungsgrad einer Glühbirne gerade einmal fünf Prozent – nur ein Zwanzigstel der aufgewendeten Strommenge wird in Licht umgewandelt. Der große Rest entweicht als Abwärme in die Um-welt. Hoher Einsatz, niedriger Ertrag: Kein Wunder, dass die EU diese Technologie aus den Läden verbannt hat. Der Klimaschutz verlangt, Ener-gie so produktiv wie möglich zu nut- zen.

Effizienz ist also das zentrale Gebot. Das gilt jedoch nicht nur für den Ver-brauch von Energie, sondern auch für deren Erzeugung. Denn je mehr Strom sich aus den eingesetzten

Ressourcen in den Kraftwerken ge- winnen lässt, desto besser fällt die Klimabilanz der Anlagen aus. Die In- ternationale Energieagentur IEA erwartet, dass bis 2035 weltweit ins-gesamt 23 Billionen US-Dollar in kon-ventionelle Kraftwerke – allen voran

Kohlekraftwerke – investiert werden. Vor allem China und Indien sowie mehrere südostasiatische Staaten wollen in den nächsten Jahren zahl-reiche neue Kohlekraftwerke bauen. Jeder noch so kleine Effizienzgewinn bedeutet daher eine spürbare Ent-lastung für das Klima.Kohlekraftwerke funktionieren im Grunde wie ein Schnellkochtopf: Durch das Verbrennen von Stein- oder Braunkohle wird Wasser erhitzt bis es verdampft. Dabei baut sich im Inneren der Anlage ein hoher Druck auf. Der Wasserdampf wird zu einer Turbine geleitet. Dort entspannt er sich, indem er die Turbinenschaufeln durchströmt – ähnlich dem Öffnen des Ventils am Kochtopf. Vom Dampf in Bewegung gesetzt, rotiert die Tur-bine mit 3.000 und mehr Umdrehun-gen pro Minute. Diese mechanische Energie wird über eine Welle auf den

Generator übertragen. Dessen Herz-stück ist ein Magnet, der sich, an-getrieben durch die Turbine, in einer Spule bewegt. Dabei entsteht Span-nung – und Strom fließt.Die derzeit effizientesten Stein- und Braunkohlekraftwerke verwandeln rund 46 Prozent der Energie, die im Brennstoff steckt, in Strom. Doch das Ende der technologischen Ent-wicklung ist damit noch nicht er- reicht, meint Professor Alfons Kather, der das Institut für Energietechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg leitet. „Ein Wir-kungsgrad von 50 Prozent ist mittel-fristig durchaus möglich“, erklärt der Wissenschaftler. Der wichtigste Ansatzpunkt: Je höher Temperatur und Druck im Kessel, desto mehr

Strom lässt sich aus der Kohle holen. Bislang allerdings ist bei etwa 600 Grad und einem Druck von 300 bar Schluss, da die Komponenten der Anlage sonst zu schnell verschleißen würden. Industrie und Forschung entwickeln deshalb bereits neue, wi-derstandsfähige Werkstoffe auf Basis von Nickel. Die Werkstoffe sollen einer Temperatur von 700 Grad und einem Druck von 350 bar standhal-ten. Das kann den Wirkungsgrad um etwa zwei Prozentpunkte steigern. Und auch bei den Turbinen ist noch etwas zu holen, zeigt sich Kather überzeugt. „Die Strömungsführung lässt sich noch verbessern“, sagt der Forscher. Bilden sich nämlich Wirbel oder Abrisse, wenn der Dampf die Turbinen durchströmt, geht Energie

verloren. Wissenschaftler der Rhei-nisch-Westfälischen Technischen Hochschule ( RWTH ) Aachen und der Universität Hannover arbeiten daher momentan an neuen Schaufelprofilen, die solche Strömungsverluste so weit wie möglich vermeiden sollen. Der Siemens-Experte Stefan Lampen-scherf dagegen will die Abwärme der Kraftwerke nutzen, um aus dem Brennstoff mehr Strom zu gewinnen. Dazu entwickelt der Forscher mit sei-nem Team bei Siemens sogenannte thermoelektrische Generatoren. Das sind spezielle Halbleiter, an deren Oberfläche eine elektrische Span-nung entsteht, sobald dort Tempera-turdifferenzen auftreten – etwa wenn die eine Hälfte des Materials von einem Abwärmestrom aufgeheizt und

Volle Kraft vorausText Ralph Diermann Illustration Jan Erlinghagen

Aus Brennstoff wird Hitze, aus Hitze wird Bewe-

gung, aus Bewegung wird Strom — das ist das

Prinzip vieler Kraftwerke. Forscher aus Industrie

und Wissenschaft arbeiten daran, diesen Prozess

noch effizienter zu machen.

Der Klimaschutz

verlangt, Energie

so produktiv wie

möglich zu nutzen

Staudamm eines Wasserkraftwerks in Manitoba, Kanada

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die andere Hälfte der deutlich kühle-ren Umgebungsluft ausgesetzt wird. Je größer der Temperaturunterschied, desto stärker der Effekt. „Momentan konzentriert sich die Forschung vor allem auf die Verkehrstechnik. Da

geht es zum Beispiel darum, aus der Abwärme eines Verbrennungsmotors Strom zu erzeugen, um die Lichtma-schine zu entlasten“, erklärt Lampen-scherf. „Mit der Weiterentwicklung der Technik werden wir aber auch Anwendungen in der Industrie- oder Kraftwerkstechnik sehen, mit denen sich Leistungen im Kilo- oder sogar Megawattbereich erzielen lassen.“Dampf und Druck, Turbine und Ge-nerator – dieses Prinzip funktioniert nicht nur mit Kohle, sondern genauso mit CO2

-neutralen Brennstoffen wie Holz und anderer Biomasse. Tech-nisch gesehen macht es kaum einen Unterschied, welcher Brennstoff die Hitze für die Verdampfung des Wassers im Kraftwerkskessel liefert. Deutlich größer dagegen ist die lo-gistische Herausforderung, wenn Anlagenbetreiber Biomasse einsetzen wollen. Denn Dampfkraftwerke be-nötigen gewaltige Mengen an Brenn-

stoff. Vielerorts ist aber gar nicht genug Biomasse verfügbar, um die-sen Bedarf zu decken.Professor Mohammad Asadullah von der Technischen Universität MARA in Malaysia will dieses Problem jetzt

auf ungewöhnlichem Wege lösen: Er schlägt vor, die Biomasse nicht zu verbrennen, sondern zu vergasen. Solche Anlagen brauchen deutlich weniger Brennstoff als herkömmliche Kraftwerke mit Dampfturbine, da sie wesentlich kleiner sind. Die Vergasertechnologie ist dabei nicht neu. Doch erst jetzt haben Industrie und Forschung das Problem der Teerbildung in den Griff bekom-men, die den kommerziellen Einsatz lange Zeit verhinderte. „Die Pro-bleme sind gelöst“, sagt Asadullah.

„Die Vergasung von Biomasse ist technisch wie wirtschaftlich mach-bar.“ Der besondere Charme des Konzepts liegt in der Vielfalt der möglichen Rohstoffe – Zuckerrohr-Bagasse zum Beispiel lässt sich genauso einsetzen wie Reisstroh oder Reststoffe aus der Palmöl-Produktion. Damit ist das Konzept besonders für Länder interessant, in denen das

Stromnetz nur rudimentär ausgebaut ist (beispielsweise Vietnam, Nepal und Kenia) und die mit Kleinkraftwer- ken eine dezentrale Energieversor-gung aufbauen wollen.Blockheizkraftwerke zum Beispiel arbeiten häufig mit Gasturbinen, wie sie auch – in deutlich leistungsstär-keren Varianten – in großen Gaskraft- werken zum Einsatz kommen. Sie werden nicht von komprimiertem Wasserdampf, sondern von einem Luft-Gas-Gemisch angetrieben. Wird dieses Gemisch verbrannt, dehnt es sich aus und setzt dabei die Turbinen in Bewegung.Und warum nicht zusätzlich auch die energiereichen Abgase nutzen, um Strom zu erzeugen? Dieser Gedanke stand Pate bei der Entwicklung der Gas- und Dampfkraftwerke, kurz GuD-Kraftwerke. Sie kombinieren eine oder mehrere große Gasturbinen mit einer Dampfturbine. Die heißen Abgase aus der Gasturbine werden genutzt, um Wasserdampf für die Dampfturbine zu erzeugen. Mit die-ser Koppelung erreichen die Anlagen Wirkungsgrade von bis zu 60 Prozent. Keine andere Kraftwerkstechnologie verwertet den Energiegehalt der Brennstoffe so gut wie GuD-Anlagen. Zudem sind sie flexibel – sie können relativ schnell auf Schwankungen bei der Einspeisung von Wind- und Solarenergie reagieren. Damit bieten sie beste Voraussetzungen, um zum Wegbereiter der globalen Energie-wende zu werden.

Turbine im Inneren eines Wasserkraftwerks

Umdrehungen pro Minute der in Bewegung gesetzten Turbinen

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600 Grad heiß – genug, um in

einem Abhitzekessel mithilfe

eines Wärmetauschers Wasser-

dampf zu erzeugen, der dann

in eine Dampfturbine geleitet

wird. Vom Dampf unter Druck

gesetzt, beginnen sich die

Turbinenschaufeln zu drehen.

Eine Welle überträgt diese

Bewegung dann auf einen zwei-

Erdgas wird mit komprimierter,

heißer Luft gemischt und

verbrannt. Dabei entsteht ein

über 1.000 Grad heißes Ver-

brennungsgas, das die Schau-

feln einer Gasturbine mit

hohem Druck in Rotation ver-

setzt. Diese Drehbewegung

treibt einen Generator an, der

Strom erzeugt.

Die Abgase aus der Gastur-

bine sind immer noch rund

ten Generator. Nachdem der

Wasserdampf die Turbine

durchströmt hat, wird er in

einem Kondensator abgekühlt.

Aus dem Dampf wird wieder

Wasser, das in den Abhitze-

kessel zurückgepumpt wird.

So entsteht ein geschlossener

Wasserkreislauf. Ein Trans-

formator bringt den Strom aus

den beiden Generatoren

schließlich auf eine höhere

Spannung, sodass er ins

Stromnetz eingespeist werden

kann.

1 Luftzufuhr

2 Kompressor

3 Gaszufuhr

4 Gasturbine

5 Abhitzekessel

6 Dampfturbine

7 Heizkondensator

8 Generatoren

9 Transformator

10 Stromnetz

— Gas- und Dampf-

heizkraftwerk

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Die Zahlen klingen gewaltig. Laut aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen könn-

te die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 auf bis zu 12,3 Milliarden Men-schen anwachsen. Den UN-Forschern zufolge ist mit einem Abflauen des Wachstums erst einmal nicht zu rech-nen. Wo aber werden diese vielen Menschen leben? Und vor allem: un-ter welchen Umständen?Die UN-Zahlen legen ebenfalls nahe, dass in Zukunft zwei Drittel der Welt-bevölkerung in Metropolen leben werden. Der Trend zur Urbanisierung ist also ungebrochen. Aus Citys wer-den so Megacitys – Städte, die sich ganz neuen, ungeahnten Herausfor-derungen zu stellen haben. Dieses Wachstum erfordert Planung und jede Menge kreative Gestaltung. Denn wo so viele Menschen zusammenrücken, muss ein funktionierendes Miteinan-

der auch organisiert werden. Das ist die Aufgabe kreativer und voraus-schauender Städteplanung. Neben den Verwaltungen stellen sich dieser Aufgabe auch vermehrt

kreative und engagierte Bürger, die sich zu privaten Initiativen zusam-menschließen. Oft sitzen die Akteure in luftigen Künstler-Ateliers, Design-Labs und Architekten-Studios. Unter dem Schlagwort „Tactical Urbanism“ bündeln derzeit weltweit kreative

Köpfe Ideen zur zukünftigen Gestal- tung unserer Städte, auch von Mega- citys wie Mumbai, Hongkong, Lagos oder New York. Aber wer sind diese Kreativen? Und wie stellen sie sich unser Zusammenleben in Zukunft vor?Einer von ihnen ist Pedro Gadanho. Er ist Kurator für zeitgenössische Architektur am MoMA, dem Museum for Modern Art in New York. In jüngster Zeit führte er für verschie-dene Projekte interdisziplinäre Teams zur Arbeit an urbanen Fallstudien zusammen. Pedro Gadanho liegt eines am Herzen: die Gestaltung und Weiterentwicklung unserer architek-tonischen Wirklichkeit. Ihm zufolge müssen Einwohner diese – neben der Planung durch Behörden – zum Teil selbst in die Hand nehmen. Gefordert sind in Zukunft dabei auch ungewöhn- liche Methoden.

In Zukunft werden

zwei Drittel der

Weltbevölkerung in

Metropolen leben

Kreative Megacitys Text Chris Schinke

Wie Bewohner ihre Stadt selbst mitentwickeln

können

Blaupause für die moderne Stadt: New York City, USA © iS

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Vorausdenken Vorausdenken

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Auch Pedro Gadanhos Visionen sind inspiriert von der immer beliebter wer- denden Idee des Tactical Urbanism. Auf die Frage, wie er den Begriff für sich definiere, gibt Gadanho an: „Ich verstehe darunter spontane Bottom-up- Interventionen in Städten.“ Diese Von-unten-nach-oben-Konzepte sehen vor, dass Bürger die Herausfor-derungen der realen Welt selbst an-gehen. „Umgesetzt werden sie von Künstlern, Architekten und Designern in Zusammenarbeit mit den örtlichen Kommunen. Dazu zählen aber auch Initiativen von engagierten Privat-personen, auf deren Bedürfnisse die Behörden nicht immer reagieren.“Vor Pedro Gadanhos Haustür des MoMA findet sich ein Beispiel einer solchen Bottom-up-Intervention: Bekanntermaßen ist der New Yorker Wohnraum kaum noch bezahlbar. Globale Investmentbewegungen und auch profitorientiertes Bauen haben die soziale Kluft in New York in den letzten Jahren immens vergrößert, sodass sich in jüngster Zeit ein infor-

meller Mietmarkt in der Metropole am Hudson River entwickelt hat. Ausgehend vom Engagement lokaler Initiativen gelang es, die Anliegen von Mietern, Interessenvertretern der Kommune, Non-Profit-Unternehmen

und städtischen Behörden zu bündeln und einen Cooperative Housing Trust, einen Wohnbaugenossenschaftsfonds einzurichten, der langfristig bezahl-baren Wohnraum sichern und gleich- zeitig soziale Gerechtigkeit schaffen soll. Ausgangspunkt der Überlegungen war der hohe Bestand an leerstehen-

dem Wohnraum in New York, der durch den gemeinnützigen Trust er- worben werden soll. Im Laufe der letzten Jahre gelang es dem Genossen- schaftsfonds so, Wohnraum für annä-hernd 200.000 Menschen zu schaffen. Von dem Engagement profitieren Familien, ältere Menschen, Gering-verdiener und sogar Obdachlose, denen der Zugang zum Mietmarkt bis- her versperrt war. Das Problem un-bezahlbar gewordener Mieten in der Ostküsten-Metropole ist damit zwar keineswegs gelöst, aber das Engage-ment zeigt für die Zukunft reale Alternativen zum scheinbar unverän-derlichen Status quo auf.Auch ein Blick in andere Regionen der Welt lohnt sich, um Beispiele für Tactical Urbanism in der Praxis zu finden, etwa nach Indien. In der 12,5-Millionen-Einwohner-Metropole Mumbai, dem ökonomischen und kulturellen Impulsgeber des Landes, haben sich in den letzten Jahren einige besonders kreative Taktiken entwickelt, um mit dem rasanten Wachstum der Stadt Schritt zu halten. Ausdruck dieser architektonischen Kreativität ist ein vielversprechendes Modell: das der sogenannten Tool Houses. Sie bieten sowohl Wohnraum als auch Flächen für effizient wirt-schaftende Unternehmen sowie für Produktionsstätten. Auf engstem Raum vereinen sie Gesellschaftsbe-reiche des öffentlichen Lebens und der Familie. Durch ihre kompakte Bauweise fügen sie sich optimal in bestehende Ensembles der Stadt ein, lassen sich in kürzester Zeit errich-ten und sind beliebig erweiter- und aufstockbar. In jüngster Zeit haben Mumbais Tool Houses derartig an Beliebtheit gewonnen, dass es selbst Modedesigner, Schriftsteller und Doktoren in die robusten Mini-Bau-ten zieht.Zurück zu Pedro Gadanho: Anfang 2015 startete er einen Aufruf auf der Online-Plattform „uneven-growth.moma.org“. Er appellierte an eine

breite Öffentlichkeit, ihrerseits Bei-spiele für urbane Taktiken abzugeben. Die Aktion war ein voller Erfolg. Hunderte Zuschriften, die auf der Website einzusehen sind, zeigen, dass die Idee des Tactical Urbanism be-ginnt, weltweit Funken zu schlagen. Engagierte Aktivisten aus ganz Europa, Lateinamerika, Südostasien und den USA bilden dabei eine Be-wegung, auf deren zukünftige urba-ne Visionen man gespannt sein darf. Ein besonders kreativer Beitrag kam dabei aus der australischen Metropole Melbourne. Die Bewohner der zweit-größten Stadt des Kontinents hatten die Idee zur Little Library – einer spon- tan in einem ehemaligen Einkaufs-zentrum eingerichteten Bibliothek mit einem Gratis-Ausleihsystem, das die Benutzer selbstständig organisie-

ren. Das Prinzip ist denkbar einfach: Leih ein Buch aus, lies es, bring es zurück oder, falls du es behalten willst, bring stattdessen ein neues. Von ihren Schöpfern ist die Little Library als gemeinschaftsbildendes Projekt gedacht – ein Merkmal, das viele An-sätze der Uneven-Growth-Initiative eint. Darüber hinaus soll es passio- nierte Leser in ihrer Liebe zur Li-teratur einander näher bringen. Und in der geschäftigen Vier-Millionen-Einwohner-Stadt Melbourne bietet sie einen idealen Ort, um ein wenig Entspannung vom stressigen Alltag zu finden. Wie diese Beispiele für Tactical Urba- nism zeigen, steht in dessen Zentrum die Idee, sich Wissen anzueignen, dieses Wissen mit der Gemeinschaft zu teilen und möglichst vielen In-

dividuen den Zugang dazu zu ermög- lichen. Ein Selbstzweck ist dieses Wissen dabei nicht. Es dient immer dazu, der bestehenden Realität neue Impulse für die Zukunft zu geben und Theorie in gelebte Praxis zu ver-wandeln. Eine Praxis, die auf eine Verbesserung des Lebens möglichst vieler Menschen abzielt. Das sieht auch Pedro Gadanho so. Auf die Frage, wie er sich seine Ideal-Stadt der Zukunft vorstellt, antwortete er:

„Sie ist groß, lebendig, vielschichtig, dicht, ausgefallen und kulturell reich-haltig – allerdings mit einem Mini-mum an Verkehrsaufkommen und ohne extreme soziale Unterschiede.“ Alles in allem hört sich das nach einer Stadt an, in der es sich lohnen würde, zu leben.

Derzeit bündeln

weltweit kreative

Köpfe Ideen zur

zukünftigen Gestal-

tung unserer Städte

Bahnhof in Mumbai, IndienVon den Benutzern organisiert: die Little Library in Melbourne, Australien

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Vorausdenken Vorausdenken

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Spezialisten sind unersetzbar

Text Björn Lüdtke Illustration Philipp Herrmann

Um qualitativ höchstwertige Produkte anbieten zu

können, braucht es weltweit Mitarbeiter, die auf

ihrem Gebiet ganz besondere Fähigkeiten haben.

Vier davon wollen wir Ihnen vorstellen.

DER TECHNOLOGIE-TÜFTLERTobias Hägele, voestalpine Polynorm GmbH & Co. KG

Schwäbisch Gmünd, Deutschland

Es gibt Menschen, die haben ganz besondere Fähigkeiten. Im Falle von Tobias Hägele sind das Vorstellungsgabe, das Gespür für das Machbare und vor allem Beharrlichkeit. Der Projektleiter für die Serie und neue Technologien entwickelt nicht nur Verfahren bis ins kleinste Detail, er bringt diese auch zur Serienreife, wie beispielsweise bei der Produktion von Pressteilen für die Automobilindustrie. Bei Hägele und seinem Team treffen Geistesblitze auf Fachwissen – und daraus entsteht immer wieder etwas Neues.

DER STAHL-ERFINDERSebastian Ejnermark, Uddeholms AB

Hagfors, Schweden

Wer eine neue Stahlsorte braucht, für den ist Sebastian Ejnermark der richtige Mann. Er ist Materialentwickler und der Spezialist, wenn es darum geht, neue Legierungs-kombinationen zu finden, die ganz bestimmte Anforderun- gen unserer Kunden erfüllen. Ejnermark weiß: Die Mi-schung macht’s. Welche Legierungen bewirken was und mit welchem Verhältnis wird die gewünschte Eigenschaft im Endprodukt erreicht – von superhart bis extrem korro- sionsbeständig.

DER TALENT-FINDERHarald Mühleder, voestalpine Stahl GmbH

Linz, Österreich

Harald Mühleder hat einen treffsicheren Blick für Talente und sorgt so mit für unsere Zukunft. Er schätzt ab, wie sich ein Mensch mit Potenzial entwickeln wird. Dafür braucht es ein Gespür für technische und menschliche Entwicklun- gen, Einfühlungsvermögen, aber auch den prüfenden Blick, wie sich das gefundene Talent entwickelt. Ob er die rich-tige Einschätzung getroffen hat, zeigt sich bei Wettbe-werben, zu denen die Talente entsandt werden. Belohnt wird er mit mehrfach preisgekröntem Nachwuchs, den er fordert und fördert.

DER WALZEN-FLÜSTERERWolfgang Hochfellner, voestalpine Schienen GmbH

Leoben, Österreich

Wolfgang Hochfellner ist Walzmeister bei der voestalpine Schienen GmbH in Österreich und sorgt mit dem Team des Walzwerks dafür, dass beim Walzen von bis zu 120 Meter langen Schienen alles glatt läuft. Der Walzvorgang ist komplex und das Produkt muss absolut fehlerfrei sein. Damit dies gelingt, sind die Voreinstellungen wichtig, aber auch die rasche und kontrollierte Reaktion, wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt. Läuft in der Tat mal etwas nicht rund, dann erkennt Hochfellner das am Geräusch – so gut kennt er die Walzanlage.

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Neugierig bleibenIdeen Wirklichkeit werden lassen

Als weltweiter Verbund unabhängiger Spezialisten bringen wir für jedes Projekt die richtigen Köpfe und Kompetenzen an einen Tisch und bieten

ein Maximum an Erfahrung und Know-how. So ermöglichen wir auf vielfältige Weise Vorsprung und Fortschritt und sichern damit auch den Erfolg unseres

Unternehmens.

60 Mission zum Mars

Der Traum vom Leben auf dem Mars könnte wahr werden

66 Lichtblicke aus dem Orbit Spektakuläre Aufnahmen der Erde

vom Satelliten Suomi NPP

70 Wenn Essen Leistung steigert

Können wir uns schlauer, gesünder und schöner essen?

74 Clevere Riesen

Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen

76 Individualisierung des Alltags

Wenn Dienstleistungen den Menschen in den Mittelpunkt stellen

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Neugierig bleiben Neugierig bleiben

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Mars-One-Siedlung

Mission zum Mars

Text Louisa Preston

Der Traum vom Leben auf dem Mars könnte

wahr werden

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Neugierig bleiben Neugierig bleiben

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Bereits vom 19. Jahrhundert an gab es in der Populärkultur die Vorstellung, der Mars sei

oder war bewohnt und es existiere dort eine fortschrittliche Lebensform, die den Planeten mit Wasserkanälen überzogen habe und vielleicht auch unmittelbar davor stünde, die Erde zu kolonisieren. Als die Technik dann soweit war, wurden Satelliten ent-wickelt, die den Mars umkreisen und die ersten Nahaufnahmen von seiner Oberfläche machen sollten. Die ers-ten Missionen endeten oft noch vor Austritt aus der Erdatmosphäre ka-tastrophal. Erst der amerikanischen Sonde Mariner 4 gelang es im März 1965 nach einer 54,6 Millionen Kilo-meter langen, 7,5 Monate dauernden Reise durch das Weltall, am Mars vorbeizufliegen und dabei Aufnah-men vom roten Planeten zu machen. Dieser mit Spannung erwartete Vor-beiflug zerstörte jegliche Hoffnung auf eine üppige, erdähnliche Welt mit wasserführenden Flüssen und Städten, die von menschenähnlichen Marsianern bevölkert sind. Der Mars zeigte sich stattdessen als eine von Staub bedeckte, eisige und unfrucht-bare Welt mit Kratern und tiefen Tälern. Eine Welt, die eher dem luft- und leblosen Mond ähnelte als der

Erde. Heute wissen wir, dass auf dem Mars Wasser rar und die Luft toxisch ist und dass der Planet kein Magnetfeld mehr besitzt. Ohne die- sen Schutzschild ging die Atmo-sphäre des Planeten zu großen Tei-len verloren; die Marsoberfläche war kosmischer Strahlung und Son-nenstrahlung ausgesetzt und wurde nahezu unbewohnbar.

Wir sind aber immer noch äußerst optimistisch. Der Mars ist derzeit die einzige uns bekannte Welt, die aus-schließlich von Robotern bewohnt ist: Bis jetzt wurden 14 Orbiter und meh-rere Rover (Erkundungsfahrzeuge) auf seine Oberfläche geschickt. Sie sollen den Planeten nach Hinweisen auf kohlenstoffbasiertes Leben und Anzeichen von Leben absuchen. 2016

sollen mit dem ExoMars Trace Gas Orbiter der europäischen Weltraum-organisation ESA und dem NASA-Projekt Insight zwei bahnbrechende Missionen auf den Weg zum Mars gebracht werden. Die Landung ist für Oktober geplant. Die dabei abge-setzten Messinstrumente sollen Ant-worten auf die Frage liefern, wie der Mars und andere Gesteinsplaneten entstanden sind und sich entwickelt haben. Daneben sollen sie den Zu-stand der Atmosphäre aufzeichnen und – ganz wichtig – dabei helfen, einen Landeplatz für den ExoMars Rover, der 2018 starten soll, zu finden. Dieses mobile Labor soll mithilfe von Bohrungen in den Untergrund nach Spuren von Leben im Gestein suchen. Bis zum Jahr 2020, so die Hoffnung, werden wir dann wissen, ob es Leben auf dem Mars gab oder gibt. All diese Missionen verfolgen aber noch einen anderen Zweck. Sie sollen uns Auf-schluss über die gegenwärtigen und zukünftigen Bedingungen auf dem Mars geben. Damit könnte dann der nächste große Schritt für die Mensch-heit geplant werden: eine auf zwei Planeten beheimatete Gattung zu werden. Menschen haben bereits den Mond betreten und einige leben derzeit

sogar im All. Sie fliegen mit fast acht Kilometern pro Sekunde über uns hinweg und umkreisen die Erde 15,5 Mal am Tag. Das ultimative Ziel von Raumfahrtbehörden, Non-Profit- Organisationen und der Öffentlichkeit ist es aber, Menschen auf den Mars zu schicken. Elon Musk gründete SpaceX, um den Mars zu besiedeln, und Jeff Bezos (Amazon), Paul Allen (Microsoft) und der Computerspiel-designer John Carmack haben große Summen aus ihrem Privatvermögen in die Erforschung des Weltalls in-vestiert. Die Frage ist nun lediglich, wer den Mars zuerst erreicht und ob diese mutigen Menschen jemals wieder zur Erde zurückkehren kön-nen. Angesichts der ungastlichen und im Wesentlichen toxischen Um-gebung auf dem Planeten stellt sich auch die Frage, weshalb jemand überhaupt dorthin möchte. Eine Ant-wort könnte sein: zum Selbstschutz, als eine Art Lebensversicherung, um das Erdenleben zu bewahren, das von einer Vielzahl von Naturkatastro-phen oder selbst herbeigeführten Katastrophen ausgelöscht werden könnte. Den Mars zu besuchen und zu erforschen, kann uns aber auch sehr viel über unsere eigene Geschichte und die der Erde lehren. Und schließ-lich steckt der Forscherdrang einfach in uns Menschen. Andere Welten im Kosmos zu entdecken und zu erfor-

schen, ist die größte Herausforderung für die Menschheit und wird zugleich eine unserer großartigsten Leistun-gen sein, auch wenn nur eine Hand-voll Menschen je selbst die Mars-oberfläche betreten wird. Der schwierigste Teil einer Marsmis-sion ist dabei nicht, auf den Planeten zu gelangen, sondern zurückzukom-men. Die Landung auf einem fremden Planeten ist risikoreich – die Erfolgs-rate auf dem Mars wird mit 30 Prozent

beziffert. Und erneut zu starten, ist noch schwieriger. Der Start eines Raumschiffes erfordert auf der Erde bereits einen immensen Aufwand an Infrastruktur und Personal, ganz zu schweigen von der Treibstoff-menge, die nötig ist, um die Schwer-kraft zu überwinden. All das steht auf dem Mars nicht zur Verfügung. Es ist auch völlig unklar, ob die Astro- nauten überhaupt physisch in der Lage wären, zur Erde zurückzukehren, nachdem sie unter den Schwerkraft-bedingungen des Mars gelebt haben. Für die meisten von uns ist es mora-

lisch und politisch undenkbar, Men-schen für immer und ohne Rück- kehrmöglichkeit auf dem Mars zu lassen. Staatliche Behörden wie NASA oder ESA können und wer- den sich mit solchen Überlegungen nicht befassen. Es gibt allerdings ein privates Unternehmen, das diese Bedenken nicht teilt. Die gemein- nützige Stiftung Mars One will eine ständige menschliche Siedlung auf dem Mars gründen und wurde mit der Idee einer Marsmission ohne Rück-kehr bekannt. Der Unternehmer und Gründer von Mars One, Bas Lansdorp, will zunächst mit acht un- bemannten Raketen Ausrüstung, Material und Roboter zum Bau einer knapp 200 m2 großen Basisstation auf den Mars schicken. Dort sollen die ersten Marssiedler leben und arbei-ten. Im Rahmen von Mars One soll ab 2027 alle zwei Jahre ein vierköp-figes Team zum Mars gebracht werden. Auf einen Aufruf von Lansdorp im Jahr 2013 meldeten sich erstaunliche 202.000 Freiwillige aus der ganzen Welt, die die Anforderung, volljährig zu sein, erfüllten. Die ersten 1.058 Kandidaten mussten sich einer medi-zinischen Routineuntersuchung bei ihrem Arzt unterziehen. Aus den 660 verbleibenden Personen wurden die sogenannten Mars 100 ausgewählt: 50 Männer und 50 Frauen.Ich habe Bas Lansdorp 2015 getroffen

Die Entdeckung

fremder Welten im

All ist die größte

Herausforderung

für die Menschheit

Der Mensch auf

dem Mars ist das

ultimative Ziel

Innenansicht einer Mars-One-Kapsel

Wohnbereich einer Mars-One-Kapsel Farm in einer Mars-One-Kapsel

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Neugierig bleiben Neugierig bleiben

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und wanderte mit ihm drei Tage durch die kahle, marsähnliche Land-schaft von Island. Ich konnte mich von seiner Leidenschaft, Dynamik, Ausdauer und Entschlossenheit über-zeugen, Mars One im wahrsten Sinne des Wortes „abheben“ zu lassen. Könnte man ein solches Projekt allein durch Willen und Glauben realisieren, dann würde dieser Mann es schaf-fen. Leider ist das nicht möglich. Es ist letzten Endes immer eine Frage der Kosten und der Finanzierung. Lansdorp ist zurückhaltend in Bezug auf die finanzielle Situation von Mars One, die mit Sicherheit ausschlag-gebend für den Erfolg sein wird. Das Ganze wird von Sponsoren, Partnern und einer sehr kontroversen Geld-quelle, einer Reality-Show im Fern-sehen, finanziert. Die Marsausgabe von Big Brother wird mit Sicherheit von der ganzen Welt gesehen werden, aber das Interesse wird wohl nicht von Dauer sein. Warum? Eine gute Reality-Show wird von Spannungen, Konflikten und Schwierigkeiten getragen. So ziemlich genau all das, was man auf dem Mars vermeiden will, soll die Mission Erfolg haben. Ein-fach nur den Astronauten bei der Erledigung ihrer täglichen Arbeiten zusehen, wird die Zuschauer aber nicht lange binden und damit auch keine hohen Einnahmen garantieren. Wie kann dann aber das Überleben der Marssiedler finanziert werden?Und was sind das überhaupt für Leute, die den Rest ihrer Tage auf dem Mars verbringen wollen? „Ich habe die ein-malige Gelegenheit, die Hälfte mei-nes Lebens auf einem und die andere Hälfte auf einem anderen Planeten zu verbringen – das ist das ultimative Abenteuer“, sagt die Mars-100-Kandi- datin Clare Weedon aus dem Vereinig- ten Königreich. Als ich sie auf die Kritik und Skepsis ansprach, die ihr und den anderen Kandidaten ent- gegengebracht wurde, antwortete sie:

„Das ist eine ehrgeizige und riskante Mission, aber ich bin felsenfest davon

überzeugt, dass die Zeit für die Menschheit gekommen ist, den nächs-ten Schritt zu machen.“ Und was halten ihre Familie und Freunde von dem Plan, ihren Lebensabend auf dem Mars zu verbringen? „Sie ha-ben mich fantastisch unterstützt. Sie kennen mich und wenn sie die Lei-denschaft und den Glanz in meinen Augen sehen, wenn ich über Mars One spreche, dann können sie nicht anders, als mich zu unterstützen.“ Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass der Umzug auf den Mars mög-licherweise mehr Herausforderungen als Vorteile mit sich bringt. „Am meis- ten gespannt bin ich darauf, wie es ist, sich jeden Tag extremem Stress und Druck auszusetzen und täglich ums Überleben kämpfen zu müssen; gleichzeitig ist es das, was ich am meisten fürchte“, sagt Clare. „Isola-tion, streng reglementierte Ernäh-rung, nur im Raumanzug nach drau-ßen gehen – das wird völlig neu für mich sein und ich werde erst wissen, wie ich damit fertig werde, wenn ich mich diesen Situationen aussetze.“ Das sind nur einige von zahlreichen Herausforderungen, mit denen sie und ihre Mannschaftskameraden auf dem Weg zum Mars zu tun haben werden. Unterkünfte zu bauen und instand zu halten, Nahrungsmittel, Wasser, Luft und Energie zu erzeugen – das ist nur der Anfang auf dem Weg zu einer autarken Marskolonie. Zahlreiche Kritiker des Unterfangens fragen sich, warum der Mensch denn auf den Mars muss, gibt es doch auf der Erde noch so viel zu tun und zu re- parieren. Eine berechtigte Frage, aber für mich steht die Antwort fest: Sollen wir erst die Menschheit än-dern und dann zum Mars fliegen, egal wann das sein wird? Oder sollen wir die Menschheit ändern, indem wir zum Mars fliegen? Die Erforschung des Weltalls und der Erhalt unseres Planeten müssen sich nicht gegen-seitig ausschließen. Wir können und sollten beides tun. Und es gibt

derzeit mehr als genug Menschen auf der Erde, um beide Ansätze zu ver-folgen. Auch wenn Mars One nicht abhebt, so hat das Projekt doch dem Forschungsdrang neue Impulse ver-liehen. Viele Kinder träumen immer noch davon, Astronaut zu werden und andere Planeten zu besuchen, wenn sie groß sind. Die heutige Generation kann diesen Traum wahr werden lassen.

Louisa Preston arbeitet im Moment an ihrem ersten Buch Goldilocks and the Water Bears: The Search for Life in the Universe, das im Juli 2016 bei Bloomsbury Sigma veröffentlicht werden soll

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Entfernung Erde—Mars in Millionen Kilometern

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Landegerät während der Landung

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Nächtlicher Blick auf die Welt durch die Linse des Satelliten Suomi NPP

Lichtblicke aus dem Orbit

Text André Uhl

Eigentlich ist die Mission von Suomi NPP, die

Wetter- und Umweltverhältnisse auf der Erde zu

beobachten. Doch wenn der Satellit in einer

Höhe von über 800 Kilometern seine Arbeit ver-

richtet, entstehen dabei auch Aufnahmen von ganz

besonderer Strahlkraft. Wenn es Nacht wird,

präsentieren sich die Metropolen dieser Welt in

vollem Glanz — und dank Suomi NPP können

wir dies in einer nie zuvor dagewesenen Qualität

bestaunen.

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Europa, Nordafrika und Westasien

Australien

Osten der USASei

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Ein individuelles Ernährungs-profil erstellen zu lassen, kostet Forschern der US-amerikani-

schen University of Minnesota zu-folge 1.000 US-Dollar. Dabei handelt es sich um eine Art aktuellen Finger-abdruck des Stoffwechselhaushalts des Körpers. Welche Vitamine, Nähr-stoffe und Mineralien fehlen gerade und welche sind womöglich in zu hoher Dosis vorhanden? Das Ernäh-rungsprofil liefert ein umfassendes Bild davon, was wir brauchen und was im Überfluss vorhanden ist. Es ähnelt der Bestimmung des Choles-terinwertes, der beim Arztbesuch im Blutbild erfasst wird – nur dass im Ernährungsprofil bis zu mehrere Dut-zend Werte abgebildet werden, von Vitamin D bis hin zu Magnesium.

Noch steckt das Konzept in seinen Anfängen, doch sollte es sich bewäh-ren, wird es zu einer kleinen Revo-lution führen: Einer personalisierten

Ernährung stünde dann nichts mehr im Wege. Das bedeutet, dass jeder ein eigenes, auf seinen Körper indi- viduell abgestimmtes optimales Essen hätte – nicht mehr ein Gericht für alle, sondern für alle jeweils ein Gericht. Das wirft soziologische Fragen auf:

Werden wir überhaupt noch an einem Tisch essen? Oder wird Essen in Ge-sellschaft vielleicht sogar wichtiger, wenn jeder seine eigene Nahrung zu sich nimmt? Außerdem hat eine per-sonalisierte Ernährung Konsequenzen für Körper und Geist. Weil wir un-seren Stoffwechsel genauer kennen, kann jeder individuelle Mängel- und Überdosierungen vermeiden. Wir können uns gezielt gesünder ernähren und uns mit einer allmählichen Er-weiterung des Ernährungsprofils um Informationen über den Hirnstoff-wechsel und den der Haut vielleicht sogar auch ein Stück weit klüger und schöner essen. Dass solche Gedanken keine Spin-nereien sind, sondern tatsächlich die Zukunft beschreiben, zeigt ein Blick

Werden wir über-

haupt noch an

einem Tisch essen?

Wenn Essen Leistung steigert

Text Christian Heinrich

In den Forschungslabors weltweit wird an der

Ernährung der Zukunft gearbeitet: individuell auf

den Einzelnen zugeschnitten, optimiert auf

Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Wie können

neue Technologien dabei helfen?

Trend hin zu Bio-Lebensmitteln © iS

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Gezielt gesünder essen

in die Forschungslabors des Lebens-mittelriesen Nestlé. 15 Wissenschaftler basteln am konzerneigenen Nestlé Institute of Health Sciences ( NIHS ) in Lausanne in der Schweiz im soge-nannten Iron-Man-Programm bereits an einer Maschine, die auf Knopf-druck ein Pulver bereitstellt, das entsprechend des jeweiligen Ernäh-rungsprofils individuell abgemischt ist. In den nächsten zehn Jahren sei die Marktreife der Maschine noch nicht zu erwarten, gibt man dort zu. Aber wenn es soweit ist, dann „kann es die nächste Mikrowelle in der Küche sein“, sagt Edward Baetge, Direktor des NIHS. Für Felix Tegeler, Innovation Analyst der Trendagentur TRENDONE, wäre das die endgültige Etablierung einer Entwicklung, die längst begonnen hat. Bereits heute definieren sich Ge-sellschaftsschichten immer stärker auch darüber, was man isst und was nicht. Die einen – viele von ihnen Ve- getarier – greifen nur noch zu Lebens- mitteln mit dem Biosiegel, andere wiederum essen jeden Tag mehrmals Fleisch und kurbeln so die Nachfrage weiter an. Ihnen allen ist gemein: Sie definieren sich ein Stück weit darü-

ber, wie und was sie essen. „Ernäh- rung bekommt einen immer stärkeren Lifestyle-Charakter“, sagt Tegeler.

„Der Einzelne lebt zunehmend seinen Ernährungsstil nach außen, er wird gewissermaßen Teil der Identität.“ Und die ist heute extrem individuell. Kommt nun eine auf den eigenen Körper abgestimmte Hightech-Ernährung hinzu, kann das auch zu Widersprüchen führen. Diejenigen etwa, die auf Selbstanbau und natür-lich gewachsene Lebensmittel setzen, wird die neue Idee kaum begeistern. Doch bei der gigantischen Bewegung in Richtung zunehmende Individua- lisierung dürfte für beide Trends mehr als genug Platz sein.Schon heute bedienen Wirtschaft und Technologie das Bedürfnis nach personalisiertem Essen immer mehr. Im 3D-Drucker lassen sich bereits ei-gens designte Pasta und Schokolade drucken. Bislang geht es vor allem um die Form, bald aber dürfte es auch um den Inhalt gehen. Einzelne Restaurants bieten sogar schon heute personalisierte Kost an: Die Vista Kitchen im thailändischen Bangkok etwa richtet ihre Ernährungsangebote an der jeweiligen Blutgruppe der

Kunden aus. Das wird von Wissen-schaftlern zwar als unseriös eingestuft, zieht aber Scharen neugieriger Kun-den an. Hilfreich beim Trend hin zur persona-lisierten Ernährung dürfte auch ein Computer sein, den IBM gerade ent-wickelt. Man gibt seine Lieblingszuta-ten – oder eben diejenigen Zutaten, die die eigene Performance am besten fördern – ein und der Rechner, bes-tens informiert über Küchen und Ge-schmacksrichtungen aus der ganzen Welt, spuckt die passenden Rezepte aus. Vonseiten des Essens und nicht von-seiten des Körpers nähert sich auch das sogenannte Prep Pad des US-amerikanischen Start-ups Orange Chef dem Thema, das vielleicht schon in wenigen Jahren bei vielen Men-schen auf der heimischen Küchenzeile liegen wird. Das Prep Pad ist eine Art Küchenbrett und analysiert das Essen, das man zu sich nimmt. Daraufhin gibt es individualisierte Ratschläge, was denn demnächst wieder auf den Speiseplan sollte. Die beiden Ansätze – Analyse des Stoffwechsels und Analyse der Nah-rung – dürften in Zukunft immer mehr verschmelzen. Womöglich be-rät uns ja auch eines Tages der Tisch. Hand auflegen, ein kurzer Test, wie es aktuell im Körper aussieht, und der Tisch, der unser Essen der vergange-nen Monate kennt, macht Vorschläge fürs Abendessen. Dabei könnte er gleich auch für die entsprechende Atmosphäre sorgen, etwa durch Licht und Musik. Guten Appetit!

Hightech in der Küche: das Prep Pad

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Kosten für ein individuelles Ernährungsprofil in US-Dollar

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Text Jan Wilms Illustration Philipp Herrmann

Entwicklungen bei Nutzfahrzeugen

1 AntriebeDer Antrieb der Zukunft ist elektrisch:

Schon heute fahren Lieferwagen und

leichte Nutzfahrzeuge mit Strom und

damit lokal emissionsfrei. Leichte Lkws

und Bagger kombinieren in ihren Hybrid-

systemen dafür Diesel- und Elektromo-

toren. Bald könnten diese Systeme auch

für lange Schwerlastverkehr-Distanzen

auf sogenannten E-Highways mit Ober-

leitungen weltweit eingesetzt werden.

3 DigitalisierungIn einer Big-Data-Cloud können alle Be-

triebs- und Ortsdaten der Nutzfahrzeuge

auf Autobahnen und Baustellen digital ge-

sammelt und verknüpft werden. Der Fuhr-

park ist so ständig unter Kontrolle, die

Disposition kann Leerfahrten reduzieren.

Dazu vernetzen sich die Fahrzeuge per

Car-to-X-Kommunikation auch direkt mit-

einander.

4 LeichtbauImmer leichter, immer stabiler: Hochfeste

und ultrahochfeste Stähle und andere

Materialien wie Aluminium, zum Beispiel

bei Achsaufhängungen für Lkws, Kräne,

Betonmischer und andere Baumaschinen,

können das Fahrzeuggewicht um bis zu

70 Prozent reduzieren. Das sorgt für mehr

Transportleistung, mehr Effizienz und we-

niger CO2-Ausstoß.

5 SicherheitIn Lkws und Bussen sorgen unzählige

Helfer für mehr Sicherheit: Notbrems-,

Abbiege-, Spurwechsel-, Seitenwind- und

Kollisions-Verhinderungs-Assistenten zum

Beispiel. Bei Baggern und Kränen sind

die Gefahren beim Umkippen unter Trag-

last am größten – weshalb ihre Sicher-

heitskabinen aus Spezialprofilen konstru-

iert werden.

6 Autonomes FahrenAb 2020 sollen Lkws autonom fahren –

also ohne Zutun des Fahrers. Dies spart

Sprit und vermeidet Unfälle. Das System

speist sich dann aus Daten und Sensoren,

die es heute schon gibt: zum Beispiel aus

GPS-Daten, 3D-Karten, dem Abstands-

regeltempomat, Spurhalteassistent und

Notbremssystem. Allerdings müssen

Politik und Gesellschaft noch Fragen der

Haftung bei Unfällen klären.

2 Navigation Eine exakte Streckenplanung schont nicht

nur die Nerven, sondern erhöht auch

Effizienz und Sicherheit. Lkws verknüp-

fen die GPS-Daten der Strecke dafür mit

der Motorsteuerung, zum Beispiel bei

Steigungen und Gefällen. Noch präzisere

Satellitendaten nutzen Bagger: Sogar

die genaue Position und Tiefe des zu gra-

benden Lochs können hier vorprogram-

miert werden.

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Clevere Riesen

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Neugierig bleiben Neugierig bleiben

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Der Flughafen – ein spannender Transit-Ort mit hoher Fluktua- tion, durch den täglich tau-

sende Reisende strömen. Für viele ist es eine reine, aber notwendige Zwi-schenstation auf dem Weg zum Ziel, die auch mal ganz schön stressig werden kann. Die Flughafenbesucher müssen sich zurechtfinden, nach In-formationen suchen und einige haben mit Sprachbarrieren zu kämpfen. Bei langer Wartezeit zum Umsteigen gilt es dabei, die Zeit möglichst effi-zient für sich zu nutzen. Bei geringer Wartezeit kommen die Fluggäste mitunter ganz schön ins Schwitzen, hetzen durch Zoll und Security und nach dem richtigen Gate suchend durch die Wartehallen. Dass Reisen aber auch zum angenehm fließenden Erlebnis werden kann, beweist der finnische Flughafenbetreiber Finavia am Flughafen Helsinki. Sein mit dem Award des internationalen Service Design Network ausgezeichnetes Projekt Travellab macht aus einem der größten Umschlagplätze für Reisende

nach Asien fast einen Ort der Besinn-lichkeit. Ausschlaggebend waren die optimierten Service-Angebote, wie etwa ein Yoga-Bereich, Familienun-terhaltung oder auch eine Grillstation am Gate, die den Gästen den Auf-enthalt so angenehmen wir möglich

gestalten sollen. Finavia hat dabei die Methode des Service Designs angewandt und ist direkt auf die Be-dürfnisse der Kunden eingegangen, indem Reisende im Vorfeld großan-gelegt nach ihren Wünschen befragt wurden.Beim Service Design steht der Mensch im Zentrum. Hierbei werden neue

Hilfsdienste nicht im stillen Kämmer-lein entwickelt und dem Nutzer als gegeben vorgelegt. Vielmehr setzen sich Designer und Entwickler mit den Konsumenten zusammen und er- arbeiten gemeinschaftlich eine best-mögliche Lösung. Dieser Design- Bereich ist heute notwendiger denn je: Die Technisierung der Umwelt und gleichsam die Digitalisierung des Alltags lassen viele mitunter strau-cheln. Jedoch wollen wir uns alle in einer ständig wandelnden Umge-bung wohlfühlen. Und dafür benötigt es die Gestaltung von Dienstleistun-gen über alle Lebensbereiche hinweg. Der Begriff „Service Design“ hat sich in den letzten Jahren durch immer mehr digitale Services auf Webseiten und auch mobilen Endgeräten eta- bliert.

„Service Design legt sich als Metho-de und als Disziplin zunehmend über alle Bereiche der Produkt- und Unter-nehmensentwicklung, quasi als ein Querschnittsthema“, erklärt Peter Bihr. Der Berliner befasst sich mit Service

Individualisierung des Alltags

Text Verena Dauerer

Wenn Dienstleistungen den Menschen in den

Mittelpunkt stellen

Wir wollen uns in

einer ständig wan-

delnden Umgebung

wohlfühlen

Sich fast wie zu Hause fühlen: Lounge am Flughafen Helsinki, Finnland

© F

inav

ia

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Neugierig bleiben

Design und User Experience unter anderem als Kurator der jährlichen NEXT Konferenz. „Beim Service Design stehen die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer im Fokus. Damit ist Service Design ein zuver-lässiger Weg hin zu bedienungs-freundlichen Produkten und Servi-ces“, so Peter Bihr weiter.Ein weiteres Beispiel für gelungenes Service Design im Bereich Mobilität ist die Reisestudie der internationa-len Agentur edenspiekermann. Dabei wurde der Weg, den ein Reisender von Tür zu Tür von Tokio bis Amster- dam zurücklegt, genau unter die Lupe genommen und dazu jede Men-ge Daten ausgewertet. Das Ergebnis ist das Info Connectivity System ( ICS ), ein Reisesystem, das verschiedene, bislang nicht miteinander verbundene Informationen – Daten von verschie-denen Mobilitätsdiensten und aus dem öffentlichen Nahverkehr, Flug-infos, Daten von Flughafenbetreibern sowie Touristikinfos und Daten von Hotels – bündelt und auswertet. Mit dem System soll ein Reisender nicht nur bequem von seinem Smartphone zum Ziel geleitet werden. Vielmehr

soll er die speziell für ihn relevanten Infos auch jederzeit auf Flughafen-Terminals, Ticketautomaten und sogar auf dem Screen des Bordpro-gramms im Flugzeug angezeigt bekommen. Ein ganzheitlicher, inno-vativer Ansatz, bei dem der Nutzer von Anfang bis Ende seiner Reise bei fließenden Übergängen an die Hand genommen wird. Und genau das ist ein Kriterium für gutes Service Design: es wird nicht bemerkt.Während der Bedarf nach digitalen Services mehr und mehr wächst, haben sich gleichzeitig auch die Wün-sche und Bedürfnisse der Nutzer stetig weiterentwickelt. Thomas Schönweitz, Gründer und Geschäfts-führer von Whitespring Service Design, einem Münchner Strategie-Netzwerk, erklärt: „Obwohl Millionen identi-scher iPhones verkauft werden, ist kein einziges wie das andere. Jedes ist individuell auf den Nutzer einge-richtet, denn jeder hat seine eigenen Apps, Klingeltöne oder Hintergrund-bilder heruntergeladen.“ Diese Art von individuell maßgeschneidertem Produkt würden die Nutzer heute aber auch genauso in anderen Lebens-

bereichen erwarten. Alles müsse un-kompliziert sein, jederzeit verfügbar und flexibel – und ohne Risiko, so Schönweitz. Ein gutes Beispiel dafür ist AirBnB, ein Service zum Buchen von privaten Unterkünften. Reisende können über eine Webseite oder mobile App eine Privatunterkunft bu-chen. Dabei erhalten sie eine genaue Karte von der Wohnung mit vielen Ausstattungsdetails und Fotos sowie das Profil des Anbieters. Buchung und Zahlung werden einfach und schnell abgewickelt.Doch was Service Design alles leisten kann, geht weit über ein angenehmes Buchungserlebnis hinaus. Smart-phones und Tablets bis hin zu Sen-soren in unserer Umwelt haben schon lange begonnen, miteinander zu kommunizieren – um dem User ein besseres Angebot zu liefern. Die Agentur Fjord identifizierte als einen der aktuellen Haupttrends beim Ser-vice Design die Kommunikation von smarten Objekten untereinander. Je intelligenter Gadgets werden, desto besser interagieren sie miteinander und desto besser können sie sich auf den User einstellen. Dies bedeutet aber auch, dass den Nutzern neue Formen der Interaktion zur Verfügung stehen. Man denke nur an die smarte Brille Google Glass, die der Träger mit Wortbefehlen bedient. Diese Ent-wicklung hat natürlich auch Folgen für das soziale Verhalten der Men-schen und dafür, wie sie mit ihren Mitmenschen umgehen. Und es zeigt einmal mehr, dass Service Design weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft hat und einen wichtigen Beitrag zu einem positiven Wandel im Dienstleitungssektor leisten kann. Eines ist klar: In zehn Jahren werden wir von noch mehr Technik umgeben sein. Service Design sorgt dafür, dass wir uns mit ihr wohlfühlen. Denn die Technisierung bringt uns nur Vorteile, so lange der Mensch auch im Mittel-punkt steht.

Angenehme Wartezeit am Flughafen Helsinki, Finnland

© F

inav

ia

Unsere aus Speziallegierungen geschmiedeten Triebwerksaufhängungen hal-

ten den enormen Belastungen und Temperaturschwankungen des modernen

Flugbetriebs zuverlässig stand. Gemeinsam mit unseren Kunden entwickeln

wir sie aber immer noch weiter – für mehr Freiheit und Sicherheit. Es ist diese

Verlässlichkeit, diese Freude an der Herausforderung, die uns alle ausmacht.

Wir nehmen die Zukunft in die Hand.

www.voestalpine.com

„Wir geben mit unseren Triebwerksaufhängungengrenzenloser Freiheit mehr Sicherheit.“Hans Freudenthaler, Head of Engineering, Österreich

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voestalpine AG voestalpine -Straße 1 4020 Linz, AustriaT. +43/50304/15-0F. +43/50304/55-0www.voestalpine.com www.voestalpine.com

ZukunftWir nehmen die Zukunft in die Hand!

Ausgabe 2016 voestalpine Magazin

Fünf Länder, eine Zukunft?Wie Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihr Leben mithilfe von Technologie neu gestalten

Kreative MegacitysWie Bewohner ihre Stadt mitgestalten können

Mission zum MarsDer Traum vom Leben auf dem Mars könnte wahr werden