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Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025 Abschlussbericht Mai 2015

Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025 · Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen -Wittgenstein 2025 . Inhaltsverzeichnis. Vorbemerkungen 3 . Zusammenfassung der regionalen

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Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025 Abschlussbericht Mai 2015

Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen 3 Zusammenfassung der regionalen Handlungsempfehlungen 5 I. Regionale Ausgangslage 9 II. Globale Entwicklungen 10 II.a Neue wirtschaftliche Mächte und globale Entwicklungen 10 II.b Demografischer Wandel 13 II.c Klimawandel 16 III. Regionale Herausforderungen 18 III.a Herausforderung Qualifikation 20 III.b Herausforderung Innovationsmanagement 25 III.c Herausforderung Kooperationen 31 Verantwortlich für den Inhalt: KM:SI GmbH Kompetenzregion Mittelstand Siegen-Wittgenstein Reinhard Kämpfer, Brigitte Werner, Dennis Schneider FoKoS Forschungskolleg Siegen der Universität Siegen Prof. Carsten Hefeker, Martina Grabau Mai 2015

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Vorbemerkungen Die Industrieregion Siegen-Wittgenstein steht wie alle anderen hoch entwickelten Industrieregionen in Europa vor vielfältigen Herausforderungen, die sich aus den globalen Trends - Globale Verschiebungen, demografischer Wandel, Klimawandel - ergeben. Auch wenn eine Region nur indirekt Einfluss auf globale Trends neh-men kann, muss sie sich mit den Folgen dieser globalen Trends auseinander set-zen, um die eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten. Mit dem Regionalen Entwicklungskonzept Siegen-Wittgenstein aus dem Jahre 1992 verfügt die Region Siegen-Wittgenstein über eine fundierte Grundlage, die Basis einer systematischen Strukturentwicklung in den letzten 20 Jahren war. Mit der „Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025" wird nun der Versuch unternommen, die nächste Dekade der globalen ökonomischen Entwicklung zu analysieren und hieraus Schlussfolgerungen für das eigene strukturpolitische Han-deln zu ziehen. Hierbei wird eine bewusste Fokussierung vorgenommen auf den Sektor des Ver-arbeitenden Gewerbes, da dieser absehbar auch in den kommenden Jahren ganz wesentlich die wirtschaftliche Prosperität der Region Siegen-Wittgenstein prägen wird. Gleichzeitig muss aber berücksichtigt werden, dass immer größere Teile der Wertschöpfung aus dem klassischen Bereich der Fertigung herausfallen. Insbe-sondere vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen rücken Innovations- und Anpassungsfähigkeit zunehmend in den Fokus erfolgreicher Unternehmens-strategien. Forschung und Entwicklung, Marketing und Kommunikationsstrukturen müssen weiterentwickelt werden, um den Erfolg der Region zu festigen. Dabei ist absehbar, dass Adaptionsstrategien, die allein auf Anpassung an die sich ändern-den Bedingungen zielen, nicht ausreichen werden. Um zukunftsfähig zu bleiben ist eine regionale Transformation nötig, mit dem Ziel, die Region dauerhaft zu einem Innovationscluster im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes zu machen. Dabei stehen vor allem drei Herausforderungen im Vordergrund, die von der Regi-on beantwortet werden müssen:

• Knappheit und stärkere Konkurrenz um Produktionsfaktoren, Rohstoffe aber auch Arbeitskräfte erfordern nachhaltigen und schonenden Umgang mit diesen.

• Sich schnell ändernde Märkte und Rahmenbedingungen bedingen eine hohe Fle-xibilität bei der Anpassung und Änderung von Produktionsstrukturen sowohl in der Produktion aber auch der Erschließung und Bedienung von Märkten.

• Beides, effiziente und flexible Herstellung, wiederum wird erfordern, dass die Re-gion in noch stärkerem Maße zusammenarbeitet. Das umfasst sowohl die Unter-nehmen untereinander aber auch das Zusammenspiel von Politik, Hochschule und Wirtschaft.

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Im Rahmen der „Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025" ist ein regionaler Dialog zwischen den Akteuren organisiert worden, der in die Formulierung regionaler Entwicklungslinien und -schwerpunkte einmündet. Ziel ist ein erneuertes Regionales Entwicklungskonzept, auf das sich die relevanten regionalen Akteure verständigen.

Mit Stand Mai 2015 wird nunmehr der Abschlussbericht über die bisher gewonnenen Er-kenntnisse vorgelegt. Der Abschlussbericht soll die Grundlage für die Beratung in den Gremien der KM:SI GmbH sein, die die Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025 in Auftrag geben haben. Zur weiteren Verwendung kann dieser Abschlussbericht anschließend Eingang in das vom Kreis Siegen-Wittgenstein geplante erneuerte Regio-nale Entwicklungskonzept finden. Insofern wird zum jetzigen Zeitpunkt auf die Durchfüh-rung eines Expertengespräches verzichtet, in dem Vertreter der regionalen strukturpoliti-schen Akteure die Aussagen des Abschlussberichtes einordnen und diskutieren. Dies sollte ebenso im Rahmen des kreisweiten Regionalen Entwicklungskonzeptes erfolgen wie die Ergänzung um wichtige Themen der harten Infrastruktur (Verkehr, Gewerbeflä-chen, Breitband), die aufgrund der anderen Konzeption der Zukunftsinitiative in diesem Kontext bewusst nicht behandelt wurden.

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Zusammenfassung der regionalen Handlungsempfehlungen

Herausforderung Qualifikation 1. In der Region sind Qualifizierungsangebote für Methoden des Innovations-

managements in Kleinen und Mittleren Unternehmen vorzuhalten. 2. Hinsichtlich einer „Interkulturellen Wettbewerbsstrategie“ sind im Bereich

der beruflichen Bildung Transparenz über regionale Angebote und ggf. die gezielte Schließung von Angebotslücken erforderlich.

3. Etablierung einer „Beratungsstelle Fachkräftesicherung“ in der IHK Siegen 4. Passgenaue branchenorientierte Angebote der betrieblichen Organisations-

und Personalentwicklung für kleine und mittlere Unternehmen 5. Analyse der regionalen Dienstleistungen, die für die Integration von Fach-

personal außerhalb Deutschlands notwendig sind, ggf. sind Angebotslücken zu schließen.

6. Best-Practice-Veranstaltungen zu gelungenen Prozessen 7. „Social marketing“ für duale Berufsausbildungen im verarbeitenden Gewer-

be entwickeln 8. Ausbildungsnetzwerke entwickeln 9. Internationalen Austausch zur Attraktivierung dualer Ausbildung verstärken 10. Überprüfung der Instrumente im Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne

Anschluss“ 11. Werkstattgespräch zu Strukturen und Instrumenten des Know-how-

Transfers älterer Beschäftigter 12. Weiterentwicklung des regionalen Qualifizierungsverbundes und der beste-

henden Personalentwicklungsangebote nach dem Vorbild der ostwestfäli-schen Initiative „Mach1 & Mach2“.

13. Studie 1: „Qualifikationsprofile Universität Siegen und regionaler Arbeits-

markt: Veränderungserfordernisse für das Studienangebot?“ 14. Studie 2: „Qualifikationsprofile Universität Siegen und regionaler Arbeits-

markt: Chancen für die Ansiedlung wissensbasierter Unternehmen?“ 15. Maßnahmen zur Vermittlung einer beruflichen Option für Studienabbrecher

(Navi für Studienabbrecher).

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16. Werkstattgespräch „Duales Studium in Siegen“ 17. In der „Arbeitsgemeinschaft Bauleitplanung“/“Arbeitsgemeinschaft Kommu-

nale Wirtschaftsförderung“ ist über städtebauliche Steuerungsmöglichkeiten für kreative Milieus zu sprechen.

18. Die umfangreiche Auswertung einer Befragung der Studenten der Universi-

tät Siegen (FoKoS) ist im Dialog zwischen FoKoS und der „Arbeitsgemein-schaft Kommunale Wirtschaftsförderung“ auf regionale Handlungserforder-nisse zu überprüfen.

19. Maßnahmen zur besseren Bindung ausländischer Studierender an der Uni-

versität Siegen nach ihrem Studienabschluss. 20. Etablierung von Strukturen und Instrumenten für eine Willkommenskultur

vor Ort im südwestfälischen Rahmen. 21. „connect.us“ sollte als erste Anlaufstelle für alle Fragen von Unternehmen

an die Universität Siegen kommuniziert werden. Ergänzend sollte in jeder Fakultät ein fester Ansprechpartner für Praktika, Seminar- und Abschlussar-beiten sowie für Auftragsforschung benannt sein. Die Kommunikationsstruk-turen zwischen Universität und Region sollten einfach und niederschwellig sein, um Zugänge überhaupt möglich zu machen.

22. Etablierung eines Stipendiensystems für Dissertationen mit Unternehmens-

bezug durch die IHK Siegen. Herausforderung Innovationsmanagement 23. Aktive Mitarbeit und Steuerung eines Kompetenznetzwerkes Industrie 4.0 in

Südwestfalen durch die IHK 24. Transparenzoffensive I: Was bedeutet Industrie 4.0 für die Unternehmen in

Siegen-Wittgenstein? 25. Transparenzoffensive II: Veränderungen in der Arbeitswelt 26. Transparenzoffensive III: Problemlöser in der Region 27. Technik I: IT-Sicherheit in Südwestfalen 28. Technik II: Breitbandversorgung in Südwestfalen 29. Erarbeitung einer regionalen Marktübersicht „Produktionsorientierte Dienst-

leistungsunternehmen Südwestfalen“ 30. Werkstattgespräch „Themenbezogene Kompetenzplattformen“

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31. Mit dem Lehrstuhl für digitale Kommunikationssysteme der Universität Sie-gen sind Entwicklungsmöglichkeiten für die Verschlüsselung von Maschi-nenprogrammierungen auszuloten.

32. Begründung eines Erfahrungsaustauschkreises auf IHK-Ebene zum Thema

Know-How-Schutz 33. Ggf. sind die regionalen Informationsangebote zum Risikomanagement zu

ergänzen und zu erweitern 34. Begründung einer Erfahrungsaustausch-Gruppe „Risikomanagement Inter-

nationalisierung“. 35. Kommunikation bestehender Unterstützungsnetzwerke und Informationsan-

gebote zum Risikomanagement an Unternehmen. 36. Es ist zu überprüfen, inwieweit die regionalen Informationsangebote zu

rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen bei internationaler Ge-schäftstätigkeit den Erfordernissen der Unternehmen entsprechen.

37. Mit Verantwortlichen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik/Verwaltung ist

über eine geeignete Struktur zu diskutieren, wie kreative Freiräume für neue Gedanken organisiert werden können.

38. Es ist sinnvoll, schon im Bildungsbereich – speziell in Meisterlehrgängen

und in den Technikerschulen an den Berufskollegs – anzusetzen, um die Wahrnehmung für Möglichkeiten der Energieeffizienzsteigerung zu schär-fen.

39. Viele Veranstaltungen, im Rahmen derer auf Beratungsangebote zu Ener-

gie- und Ressourceneffizienz aufmerksam gemacht wird, finden in Siegen statt. Es bedarf zusätzlicher Multiplikatoren, um die Angebote dezentral in die Region zu tragen. Der Zugang zu den Unternehmen ist häufig entschei-dend. Hilfreich ist es, den Kontakt zur Geschäftsführung über eine Vertrau-ensperson herzustellen. Die kommunalen Wirtschaftsförderer können hier einen entscheidenden logistischen Beitrag leisten.

40. Angebote der Effizienzagentur (in Kooperation mit dem Siegener Mittel-

standsinstitut der Universität Siegen) für Sensibilisierungsmaßnahmen für betriebliche Mitarbeiter (Vermittlung von Methodenwissen zur Steigerung der Ressourceneffizienz) sollten stärker kommuniziert werden.

41. Damit die Erkenntnisse aus Energieberatungen tatsächlich umgesetzt wer-

den, bedarf es in den Unternehmen eines „Kümmerers“, der die angedach-ten Projekte langfristig begleitet.

42. Das Angebot der Effizienzagentur NRW zur Durchführung von Innovations-

management-Workshops ist regional zu kommunizieren.

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43. Die Angebote der Kammern und von NRW.International GmbH über Aus-landsmärkte sind in geeigneter Form auf den Kommunikationsplattformen der Region zu verbreiten.

Herausforderung Kooperationen 44. Die südwestfälischen Branchennetzwerke sollten sich gezielt mit Angeboten

zur zwischenbetrieblichen Kooperation bei der Gestaltung von Angeboten für Baugruppen und Systeme an ihre Mitglieder wenden.

45. Im Rahmen der Netzwerkarbeit sollten Good-Practice-Veranstaltungen zu

kooperativen Marktauftritten organisiert werden. 46. Einrichtung eines „Regionalen Zukunftslabors“ als Denkfabrik aller regiona-

len Institutionen und interessierter Unternehmen. 47. In jeder Stadt und Gemeinde sollte ein „Kommunales Netzwerk Wirtschaft -

Wissenschaft - Kommune“ etabliert werden. Die Initiative hierfür kann vom Bürgermeister/der Kommunalverwaltung ausgehen, das Netzwerk muss aber nicht zwingend durch die Kommune gemanagt werden. Alle Netzwer-ker sind aufgefordert, für stetig neue Kontaktmöglichkeiten und interessante Themenstellungen zu sorgen.

48. Unternehmen sowie andere regionale Institutionen (z.B. Verbände, IHK,

Wirtschaftsjunioren) könnten ein Mentoring für neue Wissenschaftler der Universität Siegen übernehmen, um eine direkte Vernetzung mit der Region aufzubauen.

49. Anhand eines Best-Practice-Centers könnte den Akteuren der Region ver-

anschaulicht werden, im Rahmen welcher Kooperationen die Region bereits von der Expertise der Wissenschaft profitiert hat (beispielhaft wird hier auf die Kooperation zwischen der Fakultät IV und dem Unternehmen Mubea verwiesen).

50. Unternehmen aus der Region könnten Wissenschaftler der Universität Sie-

gen aus verschiedenen Disziplinen zu einer Werksbesichtigung einladen, um aus verschiedenen Perspektiven Ideen für eine Optimierung des Be-triebs zu sammeln. Umgekehrt könnten Wissenschaftler der Universität Sie-gen Unternehmer einladen, um ihnen die Arbeitsabläufe in der Universität vorzustellen.

51. Region und Universität sollten bei der Wahl ihrer Kommunikationskanäle

strategisch vorgehen. Während in Unternehmen häufig nicht die Geschäfts-führung, sondern beispielsweise die technische Führungsebene den adä-quaten Ansprechpartner darstellt, ist es für Unternehmen ratsam, ihre An-fragen direkt an die relevanten Lehrstühle zu richten.

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I. Regionale Ausgangslage Der Kreis Siegen-Wittgenstein zählt zu den westdeutschen Landkreisen, die mit einer signifikant negativen Bevölkerungsentwicklung umgehen müssen. Von der-zeit rd. 275.000 Einwohnern (Stand 30.06.2013) wird die Bevölkerung in den kommenden 20 Jahren um 14 % auf rd. 240.000 Einwohner sinken. Die in hoch entwickelten Industrienationen zu beobachtende veränderte Lebensführung mit niedrigen Fertilitätsraten ist eine Ursache für diese Entwicklung. Darüber hinaus ist für den Kreis Siegen-Wittgenstein auch die Abwanderung insbesondere von jünge-ren Menschen eine Erklärung für den Bevölkerungsrückgang. Ebenfalls beachtlich ist die Alterung der Bevölkerung: der Anteil der unter Sechsjährigen ist in Siegen-Wittgenstein seit 1995 um 9 % gesunken, während der Anteil der über 75jährigen um 11 % gestiegen ist. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Bis 2033 wird das Erwerbspersonenpotenzial daher im Kreis Siegen-Wittgenstein um rund 20 % sin-ken. Im Jahre 2018 wird die Zahl der Personen, die aus dem Arbeitsleben aus-scheiden, erstmals höher sein als die Zahl der Schulabgänger. Diese Tendenz wird sich dann im Laufe der Folgejahre verstärken. Allein im Jahr 2030 werden rund 2.000 Personen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als junge Erwerbstätige hinzutreten. Schon die isolierte Betrachtung dieser Entwicklungen zeigt einen deutlichen Hand-lungsbedarf auf. Notwendig ist ein Mix aus unterschiedlichen Maßnahmen wie z. B. die Mobilisierung Arbeitsloser, die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit jun-ger Menschen, die Flexibilisierung von Arbeitszeit, die Weiterbildung von Erwerb-stätigen, die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte und eine längere Lebensar-beitszeit. Dabei ist besonderen Wert zu legen auf eine international leistungsfähige Industrie, denn 44 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind im Pro-duzierenden Gewerbe tätig, dies entspricht einer absoluten Zahl von rund 47.700 Erwerbstätigen. Doch nicht nur die demografische Entwicklung wird unsere Lebens- und Arbeits-welt verändern. Globale Trends - Globale Verschiebungen, demografischer Wan-del und Klimawandel - werden die hoch entwickelten Industrieregionen in Europa herausfordern. Mit der im Oktober 2013 gestarteten „Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025“ wird der Versuch unternommen, die nächste Dekade der globa-len ökonomischen Entwicklung zu analysieren und hieraus Schlussfolgerungen für das eigene strukturpolitische Handeln zu ziehen.

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II. Globale Entwicklungen Die vergangenen zwei Jahrzehnte sind durch vielschichtige globale Entwicklungen geprägt, die die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedin-gungen von international vernetzten Regionen wie Siegen-Wittgenstein stetig um-wandeln. Im folgenden Kapitel werden zwei globale Herausforderungen näher in den Blick genommen: Die globalen Verschiebungen in Weltwirtschaft und -politik durch den Aufstieg neuer wirtschaftlicher Mächte sowie der demografische Wandel in globaler Perspektive. II.a Neue wirtschaftliche Mächte und globale Verschiebungen1 In der Weltwirtschaft ist seit den 1990er Jahren der Aufstieg sogenannter neuer Gestaltungsmächte zu verzeichnen, die sich durch ein hohes Wirtschaftswachstum zunehmend gegenüber bestehenden Weltwirtschaftsmächten profilieren. Beson-ders deutlich ist dieser Aufstieg bei den BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, In-dien, China und Südafrika – zu verzeichnen, die zum einen in der Weltwirtschaft, aber auch in der Weltpolitik an deutlichem Einfluss gewinnen. Wenngleich sich die daraus resultierenden globalen Machtverschiebungen bislang nur langsam vollzie-hen, stellen sich aus der Perspektive der EU-Mitgliedstaaten bzw. der darin be-troffenen international verflochtenen Regionen wie Siegen-Wittgenstein zentrale Fragen für die wirtschaftliche und politische Zukunft: Wodurch ist der Aufstieg der BRICS-Staaten gekennzeichnet? Welche Veränderungen ergeben sich durch den Aufstieg dieser Länder? Welche Bedeutung haben diese Veränderungen für die EU? Welche Chancen ergeben sich für deutsche Unternehmen? Die Frage, ob die BRICS-Staaten – allen voran China – in naher Zukunft die USA und die EU als führende Weltwirtschaftsmächte ablösen und sich auch in der Weltpolitik zur dominanten Macht entwickeln, ist Gegenstand verschiedener wis-senschaftlicher Studien. Zahlreiche dieser Studien prognostizieren die Ablösung der USA und der EU als bislang wichtigste Pole der Weltwirtschaft. Konkret be-nennen lässt sich ein solcher Aufstieg an zwei Zielgrößen:

1.) Angleichung der Einkommen von Ländern mit geringem Einkommen an das Ni-veau der Hocheinkommensländer (Konvergenz)

2.) Angleichung an die Kapitalausstattung pro Arbeitsplatz und die Arbeitsproduktivität

der OECD-Länder (Catching-Up) Ob die genannten Staaten diesen Aufstieg bewältigen, hängt jedoch von verschie-denen Faktoren ab. Entscheidend sind hier insbesondere das wirtschaftliche Ent-wicklungsniveau (Wachstumsraten des BIPs sowie des Pro-Kopf-Einkommens), das Niveau der finanziellen Entwicklung, die weltwirtschaftliche Offenheit, die In-

1 Die Zusammenfassung stützt sich auf die Vorträge „Neue wirtschaftliche Mächte und globale Herausforderungen“ von Prof. Dr. Robert Kappel und „Innovationspotenziale nutzen – Chancen für Südwestfalen“ von Prof. Dr. Rolf G. Heinze, die sie am 16.10.2013 bzw. 29.04.2014 im Rahmen der „Zukunftsinitiative Wirtschaft Siegen-Wittgenstein 2025“ gehal-ten haben, sowie auf: Kappel, Robert, 2013: Der Aufstieg der BRICS und Europas Zukunft in der Weltwirtschaft, in: Wirtschaftspolitische Blätter 2/2013, S. 193-208.

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formations- und Kommunikationsstruktur, die institutionellen Rahmenbedingungen (Effektivität der Regierungsführung, politische Stabilität, etc.) und das Bildungsni-veau. Betrachtet man die Entwicklungen in diesen Bereichen in den BRICS-Staaten für die letzten 20 Jahre, so wird deutlich, dass nicht von einem einheitlich Staatenblock gesprochen werden kann, sondern zwischen den einzelnen Staaten, ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und den divergierenden nationalen Er-folgen durchaus zu differenzieren ist. Die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten des BIP von Indien und China lagen zwischen 1980 und 2010 bei 6% bzw. 10% und damit deutlich über denen der USA sowie der EU. Zudem überstiegen das Exportwachstum von Brasilien, China und Indien sowie das Wachstum ihrer industriellen Wertschöpfung in dem genannten Zeitraum das der USA und der EU, wobei insbesondere China und In-dien herausragen.

Durchschnittliches Wachstum des BSP, der Exporte und der industriellen Wert-schöpfung in Prozent, 1980-2010 Quelle: Daten der Weltbank, zit. nach Kappel 2013, S. 197.

Dies gilt auch hinsichtlich des Produktivitätswachstums: China (8,6%) und Indien (5,7%) holen an durchschnittlichem Wachstum des Outputs pro Arbeiter gegen-über den USA, Europa und dem Weltdurchschnitt deutlich auf, wohingegen das Wachstum Brasiliens und Südafrikas in diesem Kontext nicht einmal an den Welt-durchschnitt heranreicht. Somit lässt sich lediglich in China seit längerem ein Cat-ching-Up-Prozess konstatieren, während in Indien der Anschluss erst in den letz-ten zehn Jahren gelang. Diese Entwicklung spiegelt sich in den Analysen zu den Bereichen Technologie und Forschung wider: Trotz steigender Investitionen durch die BRICS-Staaten bleiben Japan, die USA, Deutschland und Frankreich in der technologischen Ent-wicklung mit deutlichem Abstand zu ihren Nachfolgern führend. Entsprechend ist es bislang auch nur China und Indien gelungen in einzelnen Sektoren High-Tech-Produkte zu exportieren und in diesen Sektoren einen größeren Weltmarktanteil zu erzielen. Den Großteil der Exporte stellen weiterhin Low-Tech-Produkte dar, Süd-

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afrika und Brasilien verfügen nur im Rohstoffbereich über komparative Vorteile. Die finanziellen Anstrengungen verdeutlichen zwar das Bestreben der BRICS-Staaten (insbesondere Chinas, Indiens und Brasiliens), die Distanz zu den führenden OECD-Staaten zu verringern. Es ist jedoch festzuhalten, dass eine tatsächliche Angleichung an das Niveau in den USA und der EU voraussichtlich noch mehrere Jahrzehnte dauern wird und derzeit lediglich für China eine realistische Option darstellt. Die wachsende globale Bedeutung der BRICS-Staaten zeigt sich zudem an ihrer Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten. Bei der Produktion von Fer-tigwarenexporten ist China zwar noch sehr stark auf Importe von Vorprodukten aus dem Ausland angewiesen, dem wollen sie aber durch nationale Industrialisierung und Technologietransfer entgegen wirken. Insgesamt ist festzuhalten, dass die BRICS-Staaten zunehmend an Bedeutung für die weltwirtschaftliche Entwicklung gewinnen. Gekennzeichnet ist dieser Aufstieg durch eine sehr hohe Geschwindigkeit und imposante Wachstumsraten. Dabei ist jedoch stark zwischen den Voraussetzungen bzw. Entwicklungsstadien der einzel-nen Staaten zu differenzieren: Während Brasilien und Südafrika noch weitgehend auf die Rohstoffproduktion und die Verarbeitung mineralischer Rohstoffe ausge-richtet sind, haben China und Indien erhebliche Fortschritte in F&E erzielen und dadurch der Industrie technologische Impulse geben können. Im Falle Chinas und seit den letzten Jahren auch Indiens kann deshalb von einem sichtlichen Catching-Up-Prozess gesprochen werden. Diese wachsende wirtschaftliche Bedeutung mündet zugleich in eine neue Positionierung in der Weltpolitik: Die BRICS-Staaten gestalten in Institutionen wie der Weltbank, dem IWF und der G20 globale Ent-scheidungen mit und beeinflussen so die weltweite Agenda. Nichtsdestotrotz bleibt abzuwarten, ob es diesen Gestaltungsmächten auch gelingt, den Ausstieg aus der „Middle Income Trap“ zu bewältigen und sich von Ländern mit mittlerem Einkom-men tatsächlich zu Hocheinkommensländern zu entwickeln – ein Aufstieg, der aus einer Vielzahl von Gründen wesentlich schwieriger zu erzielen ist als der bisherige der BRICS-Staaten. Bislang sind bei allen Staaten mit Ausnahme Chinas berech-tigte Zweifel anzubringen. Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für die EU? Europa verfügt noch immer über ein höheres Pro-Kopf-Einkommen sowie höhere durchschnittli-che Produktivitäten als die BRICS-Staaten. Die Wachstumsraten haben sich zwar verlangsamt und liegen im Durchschnitt der letzten drei Jahrzehnte unter dem der BRICS-Staaten. Die Prognose, die BRICS-Staaten würden die USA sowie die EU in naher Zukunft als führende Wirtschaftsmächte ablösen, ist unter Berücksichti-gung der statistischen Daten aber vermessen. Es ist jedoch eine relative globale wirtschaftliche Machtverschiebung zu verzeichnen, da die USA und die EU schwä-cher wachsen als die BRICS-Staaten. Zwar vollzieht sich diese Machtverschie-bung nur langsam, doch es ist festzuhalten, dass die BRICS-Staaten – insbeson-dere China – für die EU ernstzunehmende Konkurrenten im wirtschaftlichen und politischen Kontext darstellen und somit Innovationen für die europäische Wettbe-werbsfähigkeit erforderlich machen. Gleichzeitig können EU-Unternehmen aber auch von der wachsenden Integration der BRICS-Staaten in den Weltmarkt profi-tieren: In Sektoren mit hochwertigen, technologie- und kompetenzintensiven Pro-

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dukten ist China als Exportmarkt von herausragender Bedeutung für EU-Unternehmen. Um weiterhin führend in der Weltwirtschaft zu bleiben, müssen EU-Unternehmen diese durch technologischen Fortschritt erzielten Wirtschaftserfolge weiter aus-bauen und mittels einer kohärenten Politik dem weiteren Abstieg in Relation zu den BRICS-Staaten entgegenwirken. Hier spielen regionale Strategien eine wichti-ge Rolle: Als erfolgsversprechendes Mittel für wachstumsstarke Standorte gilt der Aufbau einer modernen, wissensorientierten Infrastruktur, die durch die Zusam-menarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik getragen wird. Konzeptionell wird diese Fokussierung unter den Clusterbegriff gefasst. Er ist in den vergange-nen Jahrzehnten entwickelt worden, um darauf hinzuweisen, dass es nicht mehr eine Strukturpolitik gibt, die in eine bestimmte technologische Richtung geht, son-dern Vernetzung notwendig ist. Ein Beispiel für die notwendige Verknüpfung ver-schiedener Akteure ist der Ansatz „Industrie 4.0“, der ebenfalls ein kreatives regio-nales Umfeld für Unternehmen vorsieht. Er ist von der Idee getragen, dass eine technologische Weiterentwicklung nur machbar und sinnvoll ist, wenn sie in Ko-operation mit verschiedenen Akteuren geschieht. Hochschulen und Forschungs-einrichtungen werden in diesem Kontext zunehmend als Innovationsmotoren er-kannt und verstehen sich inzwischen auch als Knotenpunkte von regionalen Wis-sensströmen. Derartige Kooperationen auf regionaler Ebene sind daher zukunfts-weisend. Die konkreten Handlungsempfehlungen, die sich aus dieser Analyse für die Region Siegen-Wittgenstein ableiten lassen, werden in Abschnitt III erläutert. II.b Demografischer Wandel Nur wenige gesellschaftspolitische Themen dominieren die politische und wissen-schaftliche Agenda in Deutschland seit Jahrzehnten so umfassend und dauerhaft wie der demografische Wandel. Diese Problematik ist jedoch nicht auf Deutsch-land begrenzt. Auch in anderen Staaten lassen sich ähnliche Tendenzen identifi-zieren. Im Folgenden werden die demografische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in Europa und anderen Weltgegenden sowie diesbezügliche Progno-sen vergleichend dargestellt und aus diesen Daten Implikationen für einzelne Staa-ten abgeleitet. 2 Die demografische Entwicklung einer Bevölkerung wird generell durch drei Variab-len determiniert: die Höhe der Geburtenziffer, die Lebenserwartung sowie die Zu- und Abwanderung im jeweiligen Land. Prognosen über die zukünftige Entwicklung dieser Variablen werden aus Untersuchungen der vergangenen Entwicklung sowie internationaler Trends abgeleitet. Bezüglich der methodischen Vorgehensweise ist jedoch zu betonen, dass derlei Modellrechnungen stets mit Unsicherheiten kon-frontiert sind, die bei der Evaluierung der Daten berücksichtigt werden müssen. Insgesamt gelten die im Folgenden zusammengefassten Fakten und Projektionen aber als weitgehend unstrittig.

2 Die folgenden Angaben basieren im Wesentlichen auf Daten des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2011: Herausforderungen des demografischen Wandels, Expertise im Auftrag der Bundesregierung, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.

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Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird in Zukunft ein anhaltender Anstieg der Weltbevölkerung zu verzeichnen sein. Da die durchschnittliche Geburtenhäu-figkeit seit Jahrzehnten abnimmt, ist dies maßgeblich auf die weltweit allgemein steigende Lebenswartung zurückzuführen. Beide Tendenzen treten in einzelnen Ländern und Regionen jedoch in unterschiedlicher Form auf, was zu teils divergie-renden Veränderungen hinsichtlich Bevölkerungszahl und -struktur führen wird. Auf Grundlage der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statisti-schen Bundesamtes ist davon auszugehen, dass das Bevölkerungswachstum in Europa etwa ab dem Jahr 2020 rückläufig sein wird. Demgegenüber ist in den an-deren Weltregionen bis zum Jahr 2050 eine weitere Erhöhung der Bevölkerungs-zahl zu erwarten, wobei sich der dortige Zuwachs insbesondere in Lateinamerika und Asien bis 2050 voraussichtlich deutlich verlangsamen wird. Insgesamt zeigt sich also, dass in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Anzahl der Ein-wohner deutlich schneller zunimmt als in den industrialisierten Volkswirtschaften, so dass die Bevölkerung der erstgenannten Ländergruppe einen größeren Anteil an der Weltbevölkerung ausmachen wird. Jenseits dieser allgemeinen Tendenzen offenbart ein detaillierter Blick gleichwohl Unterschiede innerhalb dieser Länderka-tegorien: In der Gruppe der G7-Länder wird für Frankreich, Kanada, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten bis 2050 weiterhin eine steigende Bevölke-rungszahl prognostiziert, während sich in Deutschland, Italien und Japan bereits heute ein rückläufiger Trend abzeichnet; in der Gruppe der Schwellenländer wer-den für Indien, Indonesien, Südafrika und Chile bis 2050 weitere Bevölkerungszu-nahmen prognostiziert, China und Brasilien werden jedoch den Projektionen zufol-ge Anfang der 2030er bzw. 2040er Jahre den Höhenpunkt ihrer Bevölkerungszahl erreichen. Hinsichtlich der Altersstruktur lassen sich ebenfalls konvergierende sowie differie-rende Entwicklungen beobachten, wobei erstere überwiegen. In Europa stieg der Altenquotient (das heißt, das Verhältnis der Personen im Alter von 65 Jahren und älter zu 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren) zwischen 1950 und 2010 signifikant an. Aufgrund der abnehmenden Geburtenziffer und der gleichzeitig wachsenden Lebenserwartung wird prognostiziert, dass sich diese Tendenz noch weiter verschärfen und sich der Altenquotient in Europa von 26 im Jahr 2010 auf 52 im Jahr 2050 fast verdoppeln wird. Insgesamt wird sich der Altenquotient in al-len G7-Ländern bis 2050 weiter erhöhen, allerdings nicht einheitlich: Die Gesell-schaften Japans, Italiens und Deutschlands werden aus dieser Gruppe die älteste Bevölkerungsstruktur aufweisen, in Nordamerika zeichnet sich bis 2030 eine ähnli-che Entwicklung ab, die sich aber bis zum Jahr 2050 abschwächt. Auch für die Gruppe der Schwellenländer wird eine starke Alterung prognostiziert, wenngleich die Entwicklung unterschiedlich stark ausgeprägt sein wird. Der stärkste Anstieg des Altenquotienten wird in China, Brasilien und Russland erwartet. Der in den In-dustrieländern zu beobachtende Alterungsprozess vollzieht sich in vielen Schwel-lenländern somit zeitlich verzögert. Dies verdeutlicht auch die folgende Grafik, die die Entwicklung der Altenquotienten einzelner Länder und Regionen seit 1950 mit Projektionen bis zum Jahr 2050 umfasst:

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Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung 2011, S. 16. Der Wanderungssaldo als dritte Einflussgröße für die demografische Entwicklung ist äußerst volatil und stark von strukturellen Veränderungen abhängig. Für die Gruppe der G7-Länder zeigt sich hier ein sehr heterogenes Bild: Kanada verfügte zwischen 1960 und 2008 über einen deutlich schwankenden, aber stets positiven Wanderungssaldo. Den zweitgrößten durchschnittlichen Wanderungssaldo erzielte Deutschland mit 3,6 Nettozuwanderern je 1000 Einwohner. Während die Vereinig-ten Staaten und Frankreich einen relativ stabilen Saldo von durchschnittlich 2,9 bzw. 1,9 je 1000 Einwohner verzeichneten, lag der Wanderungssaldo in Italien zwischen 1960 und 2000 auf einem relativ niedrigen Niveau. Zwischen 2001 und 2008 stieg dieser aufgrund der Zuwanderung aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie aus Afrika und Asien aber auf durchschnittlich 7,0 je 1000 Einwohner an. Im Vereinigten Königreich ist der Wanderungssaldo erst seit Beginn der 1990er Jahre positiv, während in Japan im Beobachtungszeitraum hingegen eine Nettoabwande-rung zu verzeichnen war. Der Einfluss des Wanderungssaldos auf die demografi-sche Entwicklung einer Gesellschaft hängt dabei entscheidend von der Altersstruk-tur der Zuwanderer ab. In Deutschland sind die Zuwanderer in der Regel im er-werbsfähigen Alter und im Durchschnitt jünger als die in Deutschland lebende so-wie die ins Ausland fortziehende Bevölkerung. Allerdings ist dieser „Verjüngungs-effekt“ nur vorübergehend, da die zugewanderte Bevölkerung ebenfalls altert und sich die in der Vergangenheit vergleichsweise hohe Geburtenrate der Zuwanderin-nen zunehmend an die hiesige angleicht. Für Deutschland nimmt der Sachver-ständigenrat daher an, dass der demografische Wandel durch Migration zwar „ab-gefedert, aber vermutlich nicht aufgehalten werden“ kann. Der demografische Wandel wird somit tiefgreifende mikro- und makroökonomische Implikationen mit sich führen, die alle wichtigen nationalen und internationalen

1) Nach Berechnungen der UN.– 2) Argentinien, Brasilien, Chile, China, Hongkong (China), Indien, Indonesien, Kolumbien, Malaysia, Mexiko, Peru,Russische Föderation, Singapur, Südkorea, Thailand, Venezuela und Vietnam.– 3) Einschließlich Karibik.– 4) Dünne Linien: Entwicklung in Deutsch-land von 2009 bis 2050 gemäß Variante 1-W1 („mittlere“ Bevölkerung, Untergrenze) aus der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung desStatistischen Bundesamtes.– 5) 65-Jährige und Ältere je 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren.

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01950 1970 1990 2010 2030 2050

Altenquotient5)

Asien

Nordamerika

Afrika

Europa

Latein-amerika3)

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01950 1970 1990 2010 2030 2050

G7-Länder

Deutschland4)

Japan

VereinigteStaaten

Vereinigtes Königreich

Frankreich

Italien

KanadaSchwellen-länder2)

Regionen

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Märkte beeinflussen werden: den Arbeitsmarkt, die Märkte für Waren und Dienst-leistungen sowie die internationalen Kapitalmärkte. Einschätzungen bezüglich der genauen Ausgestaltung dieser Wirkungen sind jedoch schwierig; zum einen auf-grund der bereits genannten Unsicherheiten der modellierten Prognosen zur de-mografischen Entwicklung, zum anderen aufgrund des Einflusses von politischen Entscheidungen auf Demografie und Märkte. Nichtsdestotrotz kann mit Bezug auf den Arbeitsmarkt, der bei allen Überlegungen zum demografischen Wandel im Mit-telpunkt steht mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass selbst bei einer steigenden Erwerbsquote die Anzahl der Erwerbspersonen in absoluten Zah-len deutlich sinken wird. Im gesamtwirtschaftlichen Kontext erfordert dies zur Kompensation eine zusätzliche Steigerung der Produktivität, die wiederum auf-grund der Alterung der Arbeitnehmerschaft in Frage gestellt werden kann.3 Des Weiteren wird der demografische Wandel die Struktur der Nachfrageseite auf den Gütermärkten in den kommenden Jahrzehnten deutlich verändern, was einen ho-hen Anpassungsdruck auf der Angebotsseite impliziert. Auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte in Form veränderter Sparquoten und Portfoliostrukturen sind denkbar. Zudem zählen zu den wichtigsten Auswirkungen des demografischen Wandels auf die deutsche Wirtschaft nicht zuletzt die dadurch verursachten Belas-tungen für die öffentlichen Haushalte. Die Konsequenzen der demografischen Entwicklung auf die Wirtschaft eines Lan-des konnten an dieser Stelle nur kurz skizziert werden. Es wurde aber gezeigt, dass nicht nur Deutschland vor diese Herausforderungen gestellt ist. Auch in ande-ren Ländern und Regionen sind Tendenzen zu einer veränderten Altersstruktur zu erkennen, die Interdependenzen im internationalen Kontext vermuten lassen. Die Region Siegen-Wittgenstein ist von diesen Entwicklungen besonders stark betrof-fen. Die entsprechenden Handlungsempfehlungen werden in Abschnitt III erläutert. II.c Klimawandel Es gibt kaum noch Zweifel, dass sich das Weltklima in den kommenden Jahren noch weiter verändern und es zu einem weiter beschleunigten Anstieg der Folgen des Klimawandels kommen wird. Dies wird erhebliche internationale Auswirkungen auf Produktion, Verbrauch von natürlichen Ressourcen sowie Migration haben und die Lebensweise der Menschheit insgesamt massiv verändern. Es ist davon aus-zugehen, dass die umweltpolitisch bedingten Veränderungen bei Mobilität und Energienutzung sich bereits in den nächsten Jahren massiv verstärken werden. Damit verbunden sein wird auch ein noch höherer Druck auf schonenden Umgang mit und effiziente Nutzung von Produktionsfaktoren. Die Region ist hiervon einerseits bei Produktion und Transport, aber auch aus der vom Klimawandel abgeleiteten Energiewende betroffen. Die stärkere Nutzung der erneuerbaren Energien erfordert die Sicherstellung der Energieversorgung sowie Umstellungen auf betrieblicher und regionaler Ebene (z.B. die Frage der dezentra-len vs. zentralen Versorgung).

3 Vgl. Börsch-Supan, Axel, 2013: Mikro- und makroökonomische Dimensionen des demografischen Wandels, in: Hüther, Michael/Naegele, Gerhard (Hrsg.): Demografiepolitik – Herausforderungen und Handlungsfelder, Wiesbaden: Springer, S. 96-122, hier: S. 97, 100; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2011, S. 2, 5.

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Der Klimawandel und die Energiewende werden oft als finanzielle Belastung wahr-genommen, insbesondere im Hinblick auf steigende Energiepreise. Hierbei wird häufig ausgeblendet, dass Klimaschutz und Energiewende gerade für die mittel-ständische Wirtschaft auch ökonomische Chancen eröffnet. So erzielten im Jahre 2011 deutsche Unternehmen in diesem Feld fasst 300 Mrd. Euro Umsatz, das glo-bale Marktvolumen wird für 2025 auf 4,4 Billionen Euro prognostiziert. Hieraus ergeben sich Exportchancen für Unternehmen insbesondere der Kraft-werkstechnik, des Maschinenbaus, der Logistik und der Kommunikationsindustrie. Es wird eine regionale Herausforderung sein, insbesondere durch Innovationsma-nagement und regionale Kooperationen diese Chancen zu nutzen. Gleichzeitig rü-cken die Themen Energie- und Ressourceneffizienz zum Erhalt der globalen Wett-bewerbsfähigkeit immer stärker in den Vordergrund.

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III. Regionale Herausforderungen Auch wenn der Prozess der globalen Verschiebungen und die Aufholjagd der BRICS-Staaten noch Jahrzehnte dauern wird: Zu frühzeitigen systematischen und umfassenden Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Region und der Unternehmen gibt es keine Alternative. Gerade die exportorientierten Un-ternehmen in den Leitbranchen des Maschinen- und Anlagenbaus im Kreis Sie-gen-Wittgenstein sind besonders gefährdet, zu „frühen Opfern“ des Aufholprozes-ses zu werden. Dies liegt darin begründet, dass die Exportquote unserer Maschi-nen- und Anlagenbauer extrem hoch ist und hieraus die besondere Gefahr er-wächst, dass ins Ausland verkaufte Anlagen nachgebaut und Know-how abge-schöpft wird. Die Strategie zur Behauptung in Märkten, die globalen Verschiebungen unterlie-gen, ist klar. Produkte „Made in Siegen-Wittgenstein“ müssen besser, kundenori-entierter und effizienter als Konkurrenzprodukte anderer Regionen auf den Welt-märkten sein. Produktinnovationszyklen müssen schneller sein als in den Konkur-renzländern. Die schiere Größe z. B. des chinesischen Marktes zwingt dazu, auch in diesem Markt trotz aufkommender harter Konkurrenz aktiv zu bleiben. Zwar wird die weltwirtschaftliche Entwicklung auch neue Märkte (insbesondere in Süd-ostasien, der Türkei, Vietnam oder Südamerika) eröffnen, jedoch werden dort er-reichbare Umsatz- und Absatzzahlen keine Basis für die Auslastung der hiesigen Produktionskapazitäten bieten, weil die absolute Größe dieser potenziellen neuen Märkte hierfür nicht ausreichen wird. Wie bisher ist es ein erfolgreicher strategi-scher Ansatz, Kompetenzentwicklung aus bereits vorhandenem Know-how heraus zu betreiben. Hierbei ist zu akzeptieren, dass das Tempo der Produktinnovationen beständig steigt, das Konkurrenten in immer kürzeren Abständen in der Lage sind, technologische Vorsprünge durch Nachbauten wieder einzuholen. Hieraus folgt, dass Unternehmen trotz des demografischen Wandels weiterhin stetig in For-schung und Entwicklung investieren müssen, was einen besonderen Bedarf an hochqualifizierten und innovativen Arbeitskräften mit sich bringt. Desgleichen würde eine Transformation der Region in Richtung „Dienstleistungs-gesellschaft“ zu kurz greifen und ihr unter Umständen sogar schaden, weil eine starke industrielle Basis eine Grundvoraussetzung auch für die Entwicklung von Dienstleistungen ist. Das Negativ-Beispiel Großbritannien zeigt sehr drastisch, welche Folgen eine massive Deindustrialisierung für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Ferner führt auch die Dichotomie von Industrie vs. Dienstleistung in die Irre. Hochwertige Industrie braucht nämlich Service und der Begriff der „industrienahen Dienstleistungen“ verweist bereits auf die enge Verknüpfung von beidem. Deshalb bieten auch zahlreiche Unternehmer in der Region, die komplexe Produkte herstel-len, flankierende Dienstleistungen an (Nutzung, Wartung etc.). Diese begleitenden Maßnahmen sind ein Konkurrenzvorteil bei der Vermarktung der Produkte. Mit dem Erhalt und der Weiterentwicklung der Industrie in der Region ist somit auch eine Dienstleistungsorientierung in gewissen Bereichen „automatisch“ gegeben. Negativbeispiele aus Ländern, die ihre industrielle Basis sukzessive vernachlässigt haben, verdeutlichen die Bedeutung des produzierenden Gewerbes für die Region. Die enge Verknüpfung von Produktion und Dienstleistung wird auch unter dem Begriff „hybride Wertschöpfung“ subsumiert, die längst Standard in vielen Unter-

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nehmen ist. Eine Herausforderung ist hier eher, eine neue Auffassung von Produk-tion zu finden und neue Instrumente zu entwickeln, um die mit der hybriden Wert-schöpfung zunehmende Komplexität von Produktions- und Dienstleistungsprozes-sen zu managen. Die sich konkret ergebenden regionalen Herausforderungen und Handlungsemp-fehlungen sind in den folgenden Kapiteln niedergelegt.

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III.a Herausforderung Qualifikation Internationalisierung in Aus- und Weiterbildung Unternehmen müssen weiterhin eine absolut konsequente Kundenorientierung als Geschäftsstrategie entwickeln. Weitere Wettbewerbschancen werden sich insbe-sondere dann eröffnen, wenn komplexere Produkte, die mit Beratung und Dienst-leistung (Hybridisierung) am Markt platziert werden können, entwickelt werden. Hierzu sind Methoden des Innovationsmanagement anzuwenden.

• In der Region sind Qualifizierungsangebote für Methoden des Innovationsmana-gements in Kleinen und Mittleren Unternehmen vorzuhalten. Die Qualifikation der Mitarbeiter ist das entscheidende Merkmal für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Neben einer guten, differenzierten und den regionalen Bedarfen angepassten Erstausbildung kommt einer kontinuierlichen Weiterqualifi-zierung des Personals weiterhin größte Bedeutung zu. Im Hinblick auf die Interna-tionalisierung wird es daher für sinnvoll erachtet, zertifizierte Module in der Region zu entwickeln und anzubieten, die auf spezielle Auslandseinsätze sowohl hinsicht-lich Sprache als auch interkultureller Kompetenz vorbereiten. Fremdsprachen und interkulturelle Kompetenz sind in einzelnen dualen und vollzeitschulischen Bil-dungsgängen der Berufskollegs bereits etabliert, während sie im Bereich der beruf-lichen Weiterbildung noch verhalten anzutreffen sind. Die relevanten Curricula müssen deutlich erweitert und flexibilisiert werden. Dies geht hin bis zu einer „in-terkulturellen Wettbewerbsstrategie“, d.h., Unternehmen müssen ihre Kunden und Märkte auch jenseits des Produktes im engeren Sinne richtig einschätzen können.

• Hinsichtlich einer „Interkulturellen Wettbewerbsstrategie“ sind im Bereich der beruf-lichen Bildung Transparenz über regionale Angebote und ggf. die gezielte Schlie-ßung von Angebotslücken erforderlich. Organisations- und Personalentwicklung in kleinen und mittleren Unterneh-men Weit überwiegend erfolgt in den kleinen und mittleren Unternehmen der Region keine gezielte Personalentwicklung. Sie wird oft gewissermaßen nebenher mitge-macht, was nicht unproblematisch ist. Kritisch ist zu hinterfragen, ob die mittel-ständischen Unternehmen angesichts neuer Herausforderungen (etwa: Industrie 4.0) ihre Flexibilität weiter im erforderlichen Ausmaß steigern können. Es ist notwendig, dass die Personalentwicklung für Mitarbeiter auch in kleineren und mittleren Unternehmen professionalisiert wird. Mitarbeiter stehen vor neuen Anforderungen, dies muss qualifikatorisch unterstützt werden. Die unternehmensinterne Organisation und die Prozesse der KMU sind noch unzu-reichend stark auf Wissensmanagement und Personalentwicklung ausgerichtet. Veränderungsprozesse werden nicht immer hinreichend beherrscht. Hier könnten Dienstleistungsangebote neu entwickelt und platziert werden.

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• Etablierung einer „Beratungsstelle Fachkräftesicherung“ in der IHK Siegen

• Passgenaue branchenorientierte Angebote der betrieblichen Organisations- und Personalentwicklung für kleine und mittlere Unternehmen

• Analyse der regionalen Dienstleistungen, die für die Integration von Fachpersonal außerhalb Deutschlands notwendig sind, ggf. sind Angebotslücken zu schließen.

• Best-Practice-Veranstaltungen zu gelungenen Prozessen

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Duale Berufsausbildung Unabhängig davon, wie man die zukünftige Gesellschafts- und Produktionsstruktur in der Region begrifflich fassen möchte, müssen Anstrengungen unternommen werden, um qualifizierte Nachwuchskräfte an die Region zu binden. Bereits jetzt zeigen sich Schwierigkeiten qualifizierte Kräfte dauerhaft anzuwerben. Verschie-dene Untersuchungen zeigen, dass für Heranwachsende die Arbeit in einem Pro-duktionsbetrieb eine geringe Attraktivität aufweist. Diese Wahrnehmung muss deshalb nachhaltig zum Positiven beeinflusst werden.

• „social marketing“ für duale Berufsausbildungen im verarbeitenden Gewerbe ent-wickeln

• Ausbildungsnetzwerke entwickeln

• Internationalen Austausch zur Attraktivierung dualer Ausbildung verstärken Die Berufsorientierung von Schülern ist weiterhin verbesserungsbedürftig. Es muss stärker darauf hin gearbeitet werden, dass Arbeitswelten im Unterricht erlebbar werden.

• Überprüfung der Instrumente im Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne An-schluss“ Eine stärkere Verzahnung von technischer und kaufmännischer Ausbildung findet in größeren Unternehmen bereits statt. Dies sollte verstärkt und systematisiert werden, um auch kleinere und mittlere Unternehmen an disziplinübergreifende Ausbildung heranzuführen.

• Bildung eines “Zentrums für individuelle Ausbildung“ (Kombination von Dualer Be-rufsausbildung, akademischen Elementen und fächerübergreifender Ausrichtung) Ältere Beschäftigte In der aktuellen Fachkräftediskussion in Deutschland treten die älteren Arbeitneh-mer derzeit - zu Unrecht - gegenüber anderen Arbeitskräften wie Migranten oder Jugendliche noch zu oft in den Hintergrund. Wir müssen Instrumente entwickeln, die dabei helfen, dass ältere Mitarbeiter innovativ werden bzw. bleiben und dass das Know-How älterer Mitarbeiter in den Betrieben erhalten bleibt.

• Werkstattgespräch zu Strukturen und Instrumenten des Know-how-Transfers älte-rer Beschäftigter

• Weiterentwicklung des regionalen Qualifizierungsverbundes und der bestehenden Personalentwicklungsangebote nach dem Vorbild der ostwestfälischen Initiative „Mach1 & Mach2“.

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Akademische Kräfte Die Universität Siegen bringt kontinuierlich hoch qualifizierte Absolventen hervor. Sie ist selbst einer der größten Arbeitgeber der Region und setzt vielfältige Impulse für die regionale Entwicklung. Wichtigster und oft vernachlässigt betrachteter Bei-trag der Universität Siegen für die Regionalentwicklung ist die Generierung zahl-reicher qualifizierter Akademiker, die insbesondere für die Innovationsfähigkeit der Region von sehr großer Bedeutung sind. Hierbei - und das ist für eine Universität nicht ungewöhnlich -decken sich das Qualifikationsprofil der Absolventen und das Angebotsprofil des regionalen Arbeitsmarktes nur in Teilsegmenten. Diese Situati-on sollte vertiefend und vergleichend betrachtet und Verbesserungsmöglichkeiten ausgelotet werden. Dabei sind zwei Blickwinkel einzunehmen: Können durch An-passungen im Studienangebot mehr Absolventen einen Arbeitsplatz in der Region finden? Und eröffnet das Angebot an ausgebildeten Akademikern eine Chance für die Wirtschaftsförderung, erfolgreich Unternehmen anzuwerben, die diesen Quali-fikationsprofilen entsprechendes Personal benötigen?

• Studie 1: „Qualifikationsprofile Universität Siegen und regionaler Arbeitsmarkt: Veränderungserfordernisse für das Studienangebot?“

• Studie 2: „Qualifikationsprofile Universität Siegen und regionaler Arbeitsmarkt: Chancen für die Ansiedlung wissensbasierter Unternehmen?“

• Maßnahmen zur Vermittlung einer beruflichen Option für Studienabbrecher (Navi für Studienabbrecher). Die Angebotsstrukturen im Bereich dualer Studiengänge werden in Siegen-Wittgenstein als nicht optimal wahrgenommen. Neben den Angeboten der FOM, die sich als gewerblicher Träger mit einem ausgereiften Konzept für berufsbeglei-tende Studien am Markt etabliert hat, werden insbesondere Angebote der Universi-tät Siegen oft kritisch betrachtet. Hierbei wird allerdings übersehen, dass die Aus-richtung einer Universität primär ein disziplinäres Fachstudium für wissenschaftli-chen Erkenntnisgewinn ist und - insbesondere, wenn sie berufsbegleitend sein soll - nur sehr schwer mit den Anforderungen der Wirtschaft an ein praxisorientiertes berufsbegleitendes Studium (das eher dem Programm einer Fachhochschule oder Berufsakademie entspricht) in Einklang zu bringen ist. Hieraus sollte die Erkennt-nis gezogen werden, dass es nicht dem Auftrag einer Universität entspricht, be-rufsbegleitend Studierende auf Fachhochschulniveau auszubilden. Diese Erkennt-nis macht zugleich frei für den Blick auf Lösungsmöglichkeiten für die Anforderun-gen der Unternehmen.

• Werkstattgespräch „Duales Studium in Siegen“ Pflege- und Gesundheitsberufe Was die zukünftige Fachkräfteversorgung anbetrifft, entstehen die wesentlichen Engpässe in einzelnen Sparten des Handwerks, in den industriellen Metallberufen aber auch im Pflege- und Gesundheitssektors. In den Sparten des Handwerks (Bauberufe) sowie in den Metallberufen sind kooperative Strukturen seit Jahrzehn-

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ten gegeben. Hierfür stünden Einrichtungen wie das AWZ, die LEWA, das BZW oder das bbz. Im Pflege- und Gesundheitsbereich indes fehlten solche Strukturen. Sie zu etablieren, ist eine wesentliche Aufgabe der regionalen Strukturpolitik in den kommenden fünf Jahren.

• Werkstattgespräch „Fachkräfte im Pflege- und Gesundheitsbereich“ Willkommenskultur Die Lösung der Fachkräfteproblematik ist kein eindimensionaler Prozess. Wir wer-den selbstverständlich auch darauf angewiesen sein, für junge Menschen aus aller Welt ein attraktiver Standort zu sein. Dies erfordert vielfältige Maßnahmen und auch eine Veränderung unserer Haltungen gegenüber Menschen aus anderen Regionen und Ländern. Das Regionalmarketing Südwestfalen leistet hier einen wichtigen Beitrag, der der Verbreiterung und Vertiefung auch auf der Ebene des Kreises Siegen-Wittgenstein bedarf, um seine volle Wirkung zu entfalten. Der Region Siegen-Wittgenstein muss es besser als bisher gelingen, kluge und kreative Köpfe in der Region zu halten. Dies auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Fachkräfteengpässe, aber eben auch, um eine kritische Masse für Innovationsprozesse herzustellen. Bisher noch nicht beleuchtet sind die Mittel der Stadtentwicklung, die im Sinne kreativer Milieus langfristig angelegte Weichenstel-lungen unterstützen kann.

• In der „Arbeitsgemeinschaft Bauleitplanung“/“Arbeitsgemeinschaft Kommunale Wirtschaftsförderung“ ist über städtebauliche Steuerungsmöglichkeiten für kreative Milieus zu sprechen.

• Die umfangreiche Auswertung einer Befragung der Studenten der Universität Sie-gen (FoKoS) ist im Dialog zwischen FoKoS und der „Arbeitsgemeinschaft Kommu-nale Wirtschaftsförderung“ auf regionale Handlungserfordernisse zu überprüfen.

• Maßnahmen zur besseren Bindung ausländischer Studierender an der Universität Siegen nach ihrem Studienabschluss.

• Etablierung von Strukturen und Instrumenten für eine Willkommenskultur vor Ort im südwestfälischen Rahmen.

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III.b Herausforderung Innovationsmanagement Die Universität Siegen im Fokus Der Transfer von Wissen und Erfahrung aus der Universität Siegen in die Region wird häufig als problematisch beschrieben. Insbesondere für kleine und mittelstän-dische Unternehmen sind Strukturen einer Universität nur schwer erschließbar, während die Ausrichtung einer Universität in Forschung und Lehre geradezu zwangsläufig andere Prioritäten - nämlich die Erzeugung und Vermittlung von Wis-sen - hat, als einen einfach gestalteten problembezogenen Erfahrungstransfer auf die regionale Ebene. Die unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen wer-den sich nicht vollständig in Einklang bringen lassen. Dennoch gibt es von beiden Seiten intensive Bemühungen, diese Situation zu verbessern. Aktuell hat die Uni-versität Siegen mit der zentralen Einrichtung „connect.us“ eine neue Kommunikati-onsstruktur geschaffen, die den Wissens- und Erfahrungstransfer verbessern soll.

• „connect.us“ sollte als erste Anlaufstelle für alle Fragen von Unternehmen an die Universität Siegen kommuniziert werden. Ergänzend sollte in jeder Fakultät ein fester Ansprechpartner für Praktika, Seminar- und Abschlussarbeiten sowie für Auftragsforschung benannt sein. Die Kommunikationsstrukturen zwischen Univer-sität und Region sollten einfach und niederschwellig sein, um Zugänge überhaupt möglich zu machen.

• Etablierung eines Stipendiensystems für Dissertationen mit Unternehmensbezug durch die IHK Siegen. Industrie 4.0 Für große Teile der hoch industrialisierten Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein ver-binden sich mit den Entwicklungen, die gemeinhin mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“ bezeichnet werden, wesentliche Änderungen in ihren Produktions- und Ge-schäftsmodellen. Dies beschränkt sich nicht allein auf technische Änderungen durch die weiter zunehmende Digitalisierung und Integration von Produkten und Produktionsprozessen. Industrie 4.0 wird auch für kaufmännische, juristische und organisatorisch-personale Aspekte von großer Bedeutung sein. Gegenwärtig ist festzustellen, dass Industrie 4.0 auf der Meta-Ebene als ein The-ma von größter Bedeutung eingestuft wird, während in den Unternehmen vor Ort oft noch keine der Bedeutung des Themas entsprechende Veränderung erkennbar ist. Alle relevanten Experten sind sich darin einig, dass die Veränderungsprozesse dynamischer und schneller sein werden als bei früheren Innovationszyklen. Auch auf südwestfälischer Ebene wird Industrie 4.0 als wichtiges Handlungsfeld erkannt, an geeigneten Projekten wird gearbeitet. Für den Kreis Siegen-Wittgenstein be-deutet dies, dass die regionalen Akteure den südwestfälischen Prozess aktiv mit-gestalten und für Transferaktivitäten in Siegen-Wittgenstein nutzen sollten.

• Aktive Mitarbeit und Steuerung eines Kompetenznetzwerkes Industrie 4.0 in Süd-westfalen durch die IHK

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• Transparenzoffensive I: Was bedeutet Industrie 4.0 für die Unternehmen in Sie-gen-Wittgenstein? • Transparenzoffensive II: Veränderungen in der Arbeitswelt • Transparenzoffensive III: Problemlöser in der Region • Technik I: IT-Sicherheit in Südwestfalen • Technik II: Breitbandversorgung in Südwestfalen Produktionsorientierte Dienstleistungsunternehmen Kleine und mittlere Unternehmen haben in der Regel kein eigenes FuE-Personal jenseits ihrer Kernkompetenzen. Für die Lösung komplexer Problemstellungen be-dienen sie sich externer Dienstleister wie z. B. Ingenieurbüros oder Softwareent-wickler (Business IT). Dieser Markt ist gekennzeichnet von vielen kleinen, oft ext-rem leistungsfähigen Anbietern. Eine Transparenz in diesem Markt ist jedoch der-zeit nicht gegeben.

• Erarbeitung einer regionalen Marktübersicht „Produktionsorientierte Dienstleis-tungsunternehmen Südwestfalen“ Eine eher nachgeordnete Bedeutung haben für die kleinen und mittleren Unter-nehmen Kooperationen mit Universitäten, da die Zugangsschwelle für diese Be-triebsgrößenklassen oft zu hoch ist (bei Fachhochschulen ist die Zugangsschwelle deutlich niedriger). Hochschulen haben zur Senkung der Zugangsschwelle in der Vergangenheit Transferstellen eingerichtet. Klassische Transferstellen scheinen die Funktionen des Wissenstransfers mittlerweile nicht mehr ausfüllen zu können. Stattdessen wären u.U. themenspezifische Kompetenzplattformen ein sinnvoller Ansatzpunkt. Die Gestaltung der Plattformen muss nicht uniform sein, sondern sollte sich entsprechend der Bedingungen und Notwendigkeiten des Themas un-terscheiden. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass sie in personeller Hin-sicht „bunt gemischt“ sind, d.h. Vertreter aus verschiedenen Bereichen eingebun-den werden. Wichtig ist dabei, dass möglicherweise existierende Statusgedanken keine Hürden für den kreativen Prozess darstellen.

• Werkstattgespräch „Themenbezogene Kompetenzplattformen“ Schutz von zentralem Know-How Wie bisher ist es ein erfolgreicher strategischer Ansatz, Kompetenzentwicklung aus bereits vorhandenem Know-how heraus zu betreiben. Hierbei ist zu akzeptie-ren, dass das Tempo der Produktinnovationen beständig steigt, das Konkurrenten in immer kürzeren Abständen in der Lage sind, technologische Vorsprünge durch Nachbauten wieder einzuholen. Hieraus folgt, dass Unternehmen weiterhin stetig in Forschung und Entwicklung investieren müssen. Auch der Schutz der eigenen Kernkompetenzen, insbesondere durch Eigenprogrammierungen von Maschinen-

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steuerungen in höheren Programmiersprachen und besondere Verschlüsselungen, müssen mit Priorität versehen werden.

• Mit dem Lehrstuhl für digitale Kommunikationssysteme der Universität Siegen sind Entwicklungsmöglichkeiten für die Verschlüsselung von Maschinenprogrammie-rungen auszuloten.

• Begründung eines Erfahrungsaustauschkreises auf IHK-Ebene zum Thema Know-How-Schutz Risikomanagement Unternehmen brauchen ein Risikomanagement, um sich stärker als bisher auf den globalen Märkten zu bewegen. Es ist zu überprüfen, ob Unternehmen hinsichtlich der Einschätzung von neuen Märkten und ihrer Größe über ausreichende Informa-tionsgrundlagen verfügen.

• Ggf. sind die regionalen Informationsangebote zum Risikomanagement zu ergän-zen und zu erweitern

• Begründung einer Erfahrungsaustausch-Gruppe „Risikomanagement Internationa-lisierung“.

• Kommunikation bestehender Unterstützungsnetzwerke und Informationsangebote zum Risikomanagement an Unternehmen. Auch die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen sind insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen nur schwer zu bewältigen. Relativ gesehen sinkt die Verhandlungsmacht in fremden und neuen Märkten.

• Es ist zu überprüfen, inwieweit die regionalen Informationsangebote zu rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen bei internationaler Geschäftstätigkeit den Erfordernissen der Unternehmen entsprechen. Kreative Strukturen Innovationen entstehen regelmäßig an Schnittstellen, wo unterschiedliche Perso-nen, Funktionen und Kulturen zusammenkommen. Der Boden für Innovationspro-zesse muss durch systemische Veränderungen vorbereitet werden. Kommunale und regionale Cluster Wirtschaft - Wissenschaft - Politik/Verwaltung können hier Grundlagen schaffen.

• Mit Verantwortlichen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik/Verwaltung ist über eine geeignete Struktur zu diskutieren, wie kreative Freiräume für neue Gedanken organisiert werden können.

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Klimawandel und Energiewende Durch den Klimawandel und die hieraus abgeleitete Energiewende ergeben sich Anpassungsnotwendigkeiten hinsichtlich eines effizienten Ressourceneinsatzes und Chancen durch neue Produkte und Märkte. In Siegen-Wittgenstein wird es da-rauf ankommen, vorhandene Beratungs- und Förderangebote für die einzelbetrieb-liche Ebene immer neu zugänglich zu machen und kooperative regionale Struktu-ren weiter zu entwickeln. Hierfür sollte das RegionalForum, ein Zusammenschluss von verschiedenen Akteuren aus Industrie und Handwerk sowie Institutionen, als Kommunikationsplattform genutzt, gesichert und ausgebaut werden. In der Region Siegen-Wittgenstein besteht eine Vielzahl an Beratungsangeboten und Fördermöglichkeiten zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz von Unternehmen. Prominentes Beispiel ist das RegionalForum, in dem verschiedene Partner wie die EnergieAgentur NRW und die Effizienzagentur Siegen gemeinsam mit regionalen Akteuren wie dem Kreis Siegen-Wittgenstein, der KM:SI GmbH, den Kammern und der Kreishandwerkerschaft engagiert sind. Allerdings nehmen nur wenige Unternehmen diese Angebote wahr. Im Wesentlichen gibt es vier Erklärungsansätze für die geringe Beratungsquote:

• Die Unternehmen sehen sich mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert. Das Thema Energieeffizienz steht bei vielen Unternehmen auf der Agenda noch sehr weit unten, andere Themen werden prioritär behandelt. Dies gilt insbesondere für kleine Unternehmen.

• Der finanzielle Leidensdruck ist bei vielen Unternehmen noch nicht hoch genug, um sich mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen und Innovationen zu ent-wickeln, die zwar langfristig Kosten einsparen, kurzfristig aber häufig mit hohen Kosten verbunden sind.

• In vielen Unternehmen mangelt es an Analysekapazitäten. In den kleinen und mitt-leren Unternehmen (KMU) liegen die Energiekosten im Durchschnitt nur bei 4%. Die Unternehmen wissen häufig nicht, an welchen Stellen sie einen besonders ho-hen Energieverbrauch verzeichnen und sich entsprechende Einsparungen finanzi-ell lohnen würden.

• Bei vielen Unternehmen, die Fördermittel für eine Energieberatung eingeworben haben, ist keine entsprechende Umsetzung der Ideen erfolgt. Es fehlt häufig an ausreichend qualifizierten und für diese Aufgabe verfügbaren Personal, um das Thema dauerhaft voranzutreiben.

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Aufbauend auf diesen Erläuterungen ergeben sich folgende Lösungsvorschläge:

• Es ist sinnvoll, schon im Bildungsbereich – speziell in Meisterlehrgängen und in den Technikerschulen an den Berufskollegs – anzusetzen, um die Wahrnehmung für Möglichkeiten der Energieeffizienzsteigerung zu schärfen.

• Viele Veranstaltungen, im Rahmen derer auf Beratungsangebote zu Energie- und Ressourceneffizienz aufmerksam gemacht wird, finden in Siegen statt. Es bedarf zusätzlicher Multiplikatoren, um die Angebote dezentral in die Region zu tragen. Der Zugang zu den Unternehmen ist häufig entscheidend. Hilfreich ist es, den Kontakt zur Geschäftsführung über eine Vertrauensperson herzustellen. Die kom-munalen Wirtschaftsförderer können hier einen entscheidenden logistischen Bei-trag leisten.

• Angebote der Effizienzagentur (in Kooperation mit dem Siegener Mittelstandsinsti-tut der Universität Siegen) für Sensibilisierungsmaßnahmen für betriebliche Mitar-beiter (Vermittlung von Methodenwissen zur Steigerung der Ressourceneffizienz) sollten stärker kommuniziert werden.

• Damit die Erkenntnisse aus Energieberatungen tatsächlich umgesetzt werden, be-darf es in den Unternehmen eines „Kümmerers“, der die angedachten Projekte langfristig begleitet. Die Identifikation neuer Märkte erfolgt durchgängig durch die gegebene Marktnähe der Unternehmen, ihrer Kontakte mit Kunden und Lieferanten sowie der Marktbe-obachtung (z. B. durch Messebesuche). Die Entwicklung neuer Produkte wird re-gelmäßig durch entsprechenden Marktdruck bzw. Marktnachfrage angereizt. Die Unternehmen in Siegen-Wittgenstein sind in der Regel gekennzeichnet durch eine erfolgreiche Positionierung im Markt, was auch den Rückschluss zulässt, dass die Unternehmen bei der Identifikation neuer Märkte und der Weiterentwicklung ihrer Produkte keine unüberwindbaren Widerstände vorfinden. Gleichwohl kann es ge-rade für kleinere und mittlere Unternehmen hilfreich sein, sich mit Methoden des Innovationsmanagements vertraut zu machen, um notwendige betriebsinterne In-novationsprozesse besser zu organisieren. Gute Erfahrungen wurden auch mit sog. Innovationsworkshops der Effizienz-Agentur NRW gemacht, die bei Interesse gerne als Inhouse-Veranstaltungen angeboten werden.

• In der Region sind Qualifizierungsangebote für Methoden des Innovationsmana-gements in Kleinen und Mittleren Unternehmen vorzuhalten.

• Das Angebot der Effizienzagentur NRW zur Durchführung von Innovationsma-nagement-Workshops ist regional zu kommunizieren. Desweiteren bieten Kammern und auch die landeseigene Außenwirtschaftsförde-rungsgesellschaft NRW.International GmbH zahlreiche Möglichkeiten, sich über in-ternationale Märkte und Messen zu informieren und z. B. auch über Fördermög-lichkeiten oder Gemeinschaftsstände auf Messen erste Schritte in neuen Märkten zu gehen.

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• Die Angebote der Kammern und von NRW.International GmbH über Auslands-märkte sind in geeigneter Form auf den Kommunikationsplattformen der Region zu verbreiten. Die Marktchancen, insbesondere im Ausland, steigen deutlich, wenn Unternehmen nicht einzelne Produkte, sondern Baugruppen und Systeme anbieten. Dies kann für kooperierende Anbieter zu Wettbewerbsvorteilen führen. Grundlegende Vo-raussetzung für kooperatives Vorgehen in diesem Sinne ist die Kenntnis von mög-lichen Partner-Unternehmen. Dies kann über die auch in Südwestfalen eingerichte-ten Branchennetzwerke und Good-Practice-Veranstaltungen unterstützt werden.

• Die südwestfälischen Branchennetzwerke sollten sich gezielt mit Angeboten zur zwischenbetrieblichen Kooperation bei der Gestaltung von Angeboten für Bau-gruppen und Systeme an ihre Mitglieder wenden.

• Im Rahmen der Netzwerkarbeit sollten Good-Practice-Veranstaltungen zu koope-rativen Marktauftritten organisiert werden. Hinsichtlich der Möglichkeiten zur einzelbetrieblichen Förderung von Produktinno-vationen werden diesem Angebot lediglich geringe Chancen eingeräumt, da hier in der Regel das Interesse der Unternehmen an der Geheimhaltung ihrer Ideen ge-genüber der Subvention der Entwicklungskosten überwiegt.

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III.c Herausforderung Kooperationen Für die Gestaltung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region gilt es zunächst grund-legend zu erkennen, dass Regionalentwicklung und Unternehmensentwicklung un-trennbar miteinander verbunden sind. Sie bedingen sich gegenseitig. Für erfolgreiche Unternehmen ist es zwingend notwendig, über lokale Wurzeln und eine regionale Vernetzung zu verfügen. Sie sind eine Bedingung für global erfolg-reiches Handeln („Glocalisation“). Für eine gute Unternehmensentwicklung ist es höchst bedeutsam, dass die Standortbedingungen gut sind. Neben den klassi-schen harten Standortfaktoren wie Verkehrsanbindung oder Verfügbarkeit von Gewerbeflächen treten neue harte Standortfaktoren wie z. B. die Verfügbarkeit von geeigneten Arbeitskräften und neue weiche Standortfaktoren wie z. B. ein innova-tives, kreatives Milieu hinzu. Regionalentwicklung kann hier durch die Bildung und Pflege von Netzwerkstrukturen einen Beitrag leisten. Funktionierende und adäqua-te Netzwerkstrukturen sind entscheidende Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Regionen. Die regionale Vernetzung gelingt besonders gut im vorwettbewerblichen Bereich. Hier verfügen Siegen-Wittgenstein und auch Südwestfalen über gute Grundlagen, die aber noch verbesserungsfähig sind. So sind nicht immer alle Ak-teure und Institutionen bereit, ihre eigenen Interessen zugunsten einer geschlos-senen regionalen Vorgehensweise zurückzustellen. Die sehr gute ökonomische Entwicklung der Vergangenheit führt bisweilen zu der trügerischen Annahme, es bestehe allenfalls marginaler Anpassungsbedarf für die Zukunft. Wichtig und zu-gleich äußerst schwierig ist die Entwicklung einer gemeinsamen Vision der Region für die nächsten 20 Jahre und der Ableitung von strategischen Handlungserforder-nissen. Dies gelingt in einzelnen Handlungsfeldern (z.B. Fachkräftesicherung), je-doch entsteht hieraus (noch) keine Gesamtstrategie. Notwendig ist ein regionales Zukunftslabor, in dem unsere regionale Zukunft „an-ders“ gedacht werden kann. Wie werden sich Produktionsprozesse entwickeln, welche Technologien sind in der Zukunft wichtig, wie müssen sich organisatorische Prozesse daran ausrichten, und wie das passende regionale Umfeld dazu ge-schaffen werden? Hierbei kommt es darauf an, die Region in ihrer spezifischen Einzigartigkeit in den Fokus zu stellen und nicht zu versuchen, Modelle anderer Regionen zu kopieren.

• Einrichtung eines „Regionalen Zukunftslabors“ als Denkfabrik aller regionalen Insti-tutionen und interessierter Unternehmen. Grundlage aller Entwicklungen ist das gegenseitige Vertrauen von Menschen in unterschiedlichen Funktionen. So ist es eine Grundlagenarbeit, lokale Begegnun-gen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik/Verwaltung möglich zu machen. Sol-che Begegnungsmöglichkeiten sollen die Bildung persönlicher Netzwerke ermögli-chen.

• In jeder Stadt und Gemeinde sollte ein „Kommunales Netzwerk Wirtschaft - Wis-senschaft - Kommune“ etabliert werden. Die Initiative hierfür kann vom Bürger-meister/der Kommunalverwaltung ausgehen, das Netzwerk muss aber nicht zwin-gend durch die Kommune gemanagt werden. Alle Netzwerker sind aufgefordert,

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für stetig neue Kontaktmöglichkeiten und interessante Themenstellungen zu sor-gen. Zwischen Universität und Region mangelt es an Kommunikation. Wie können Kommunikationsschwierigkeiten abgebaut werden, damit die Universität für die Region einen Beitrag als Anker in die Zukunft leisten kann?

• Unternehmen sowie andere regionale Institutionen (z.B. Verbände, IHK, Wirt-schaftsjunioren) könnten ein Mentoring für neue Wissenschaftler der Universität Siegen übernehmen, um eine direkte Vernetzung mit der Region aufzubauen.

• Anhand eines Best-Practice-Centers könnte den Akteuren der Region veranschau-licht werden, im Rahmen welcher Kooperationen die Region bereits von der Exper-tise der Wissenschaft profitiert hat (beispielhaft wird hier auf die Kooperation zwi-schen der Fakultät IV und dem Unternehmen Mubea verwiesen).

• Unternehmen aus der Region könnten Wissenschaftler der Universität Siegen aus verschiedenen Disziplinen zu einer Werksbesichtigung einladen, um aus verschie-denen Perspektiven Ideen für eine Optimierung des Betriebs zu sammeln. Umge-kehrt könnten Wissenschaftler der Universität Siegen Unternehmer einladen, um ihnen die Arbeitsabläufe in der Universität vorzustellen.

• Region und Universität sollten bei der Wahl ihrer Kommunikationskanäle strate-gisch vorgehen. Während in Unternehmen häufig nicht die Geschäftsführung, son-dern beispielsweise die technische Führungsebene den adäquaten Ansprechpart-ner darstellt, ist es für Unternehmen ratsam, ihre Anfragen direkt an die relevanten Lehrstühle zu richten. Es herrscht wechselseitig wenig Wissen über die Kompetenzen von Region und Universität. Um dieses Wissen aufzubauen, sollten die Akteure nachfrageorientiert arbeiten. In gemeinsamen Treffen könnten sie erläutern, in welchen Bereichen In-teresse an einer Kooperation besteht und welchen Beitrag sie dazu leisten können. Von Seiten der Unternehmen könnte dies im Sinne eines Problemlösungszentrums entwickelt werden, das auf bereits bestehende Unternehmenskooperationen auf-baut und sich zusätzlich an die Universität richtet. Die kulturelle Ausgestaltung der Zusammenarbeit ist zu verbessern. Um Koopera-tionen anzustoßen, müssen die Akteure sich wechselseitig mit Achtung begegnen, sich zuhören und kennenlernen.