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Andreas Müller Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau 80290 München [email protected] Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Beton- schubfugen Im Rahmen eines vom DAfStb geförderten Forschungsvorhabens wurde das Ermüdungstragverhalten von unbewehrten Beton- schubfugen experimentell untersucht. Das Versuchsprogramm und Ergebnisse werden in diesem Beitrag vorgestellt. 1 Ausgangssituation Durch nachträgliches Ergänzen von Beton kann die Tragfähig- keit eines Betonbauteils gesteigert werden. Die Grenzfläche zwischen Alt- und Neubeton wird als Schubfuge bezeichnet, wenn die dort übertragbare Schubspannung die Tragfähigkeits- steigerung beeinflußt. Schubfugen treten z.B. bei Fertigteilen mit Ortbetonergänzung oder bei Sanierungs- und Verstärkungsmaß- nahmen auf. Zur Übertragung von Schubspannungen müssen Schubfu- gen nicht unbedingt mit kreuzender Verbundbewehrung ausge- führt werden. Derzeit gültige Regelungen zur Bemessung unbe- wehrter Schubfugen (z.B. DIN 1045-1 [1]) beruhen im wesentli- chen auf den Ergebnissen quasi-statischer Kurzzeitversuche und beschreiben das Tragverhalten nur unvollständig [2]. 2 Grundlagen 2.1 Tragmechanismen In unbewehrten Fugen, die nicht durch eine äußere Kraft überdrückt werden, basiert die Übertragung von Schubkräften auf Haftwirkungen unterschiedlichen Ursprungs: - Von mechanischen Haftwirkungen oder mechanischer Adhäsion spricht man, wenn Verzahnungseffekte für den Verbund verantwortlich sind. Die Verzahnung erfolgt im mikroskopischen oder submikroskopischen Bereich, wenn Teile des noch flüssigen Neubetons durch kapillare Kräfte in Grenzzonen des Altbetons eindringen und sich dort nach der Aushärtung in der kristallinen Struktur verankern. - Von spezifischen Haftwirkungen oder spezifischer Adhäsion spricht man, wenn die Verbundwirkung auf physikalische oder chemische Bindungen zurückzuführen ist. In der Literatur wird die spezifische Adhäsion häufig noch weiter untergliedert, um den differierenden Charakter der Haftwirkungen zu verdeutlichen (vgl. z.B. [3]). Die klare Unterscheidung der Haftwirkungen ist jedoch schwierig. Fest steht, daß keines der „Modelle“ allein zur vollständigen Erklärung des Haftverbundes imstande ist. Die Größe der mechanischen Adhäsion hängt nach Reinecke [4] im wesentlichen von der Topographie der Altbetonoberfläche sowie von der Konsistenz und der makromolekularen Beschaffenheit des nachträglich aufgebrachten Betons ab. Durch die Verwendung von fließfähigem Neubeton mit geringer Oberflächenspannung kann die wirksame Kontaktfläche vergrößert und somit der Haftverbund verbessert werden. 2.2 Bemessung unbewehrter Schubfugen Nach DIN 1045-1 (07.2001) dürfen Betonschubfugen ohne Ver- bundbewehrung ausgeführt werden, wenn die einwirkenden Schubkräfte v Edj nicht größer als die aufnehmbaren Schubkräfte v Rdj,ct sind. Unter der Annahme, daß senkrecht zur Fuge keine Druckkräfte wirken, muß gelten: b f v v ck ct ct Rdj Edj = 3 / 1 , 042 , 0 β (1) Die Größe der aufnehmbaren Schubkraft hängt danach nur von der Beschaffenheit der Altbetonoberfläche und der Betonfestigkeit ab. Die Oberflächenrauheit wird durch den Beiwert β ct berücksichtigt, der im DAfStb Heft 525 [5] näher spezifiziert wird. Für f ck ist der kleinere Wert der charakteristischen Zylinderdruckfestigkeit des Neu- oder Altbetons einzusetzen. Ein Ermüdungsnachweis wird für unbewehrte Fugen bisher nicht gefordert. 2.3 Ermüdungstragverhalten Ermüdung von Beton bedeutet, wie in jedem anderen Material auch, eine Schadensakkumulation. Das Ermüdungstragverhalten wird i.d.R. durch Dauerschwingversuche (Wöhlerversuche) evaluiert, bei denen die Probekörper gestaffelten Schwingungs- beanspruchungen unterworfen werden. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist eine gewisse Anzahl an gleichwerti- gen Probekörpern erforderlich. Bei der Analyse der Versuchser- gebnisse ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß die Herstellung gleichwertiger Probekörper vergleichsweise schwer zu realisieren ist (vgl. Herstellung der Probekörper im nächsten Abschnitt). Aussagen zur Dauerschwingfestigkeit sind bei Bau- teilen aus Beton ohnehin schwierig, da Beton im Gegensatz zu Metallen keine „echte“ Dauerschwingfestigkeit aufweist bzw. bisher noch keine Dauerschwingfestigkeit nachgewiesen werden konnte (vgl. [6]). Aus zeitlichen Gründen wurde die maximale Lastspielzahl in Anlehnung an frühere Versuche auf max. 2 Mio. festgelegt. Die zugehörige Belastungsfrequenz betrug 3 Hz. 3 Versuchsprogramm 3.1 Versuchskörper und Versuchsdurchführung Zur experimentellen Untersuchung des Haftverbundes unter wechselnder Beanspruchung war ein Aufbau erforderlich, bei dem möglichst keine Druckspannungen senkrecht zur Schubfuge erzeugt werden (Bild 1). Die Breite der Probekörper betrug 15 cm. Die beiden äußeren Hälften eines Probekörpers (10 x 15 x 50 cm) wurden jeweils mit derselben Mischung ausgeführt und ca. 28 Tage später durch Betonieren des mittleren Prüfkörperteils 45. Forschungskolloquium des DAfStb · 100. Jahrgang Beton- und Stahlbetonbau (2005) 145

Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Betonschubfugen

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Page 1: Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Betonschubfugen

Andreas Müller

Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau

80290 München

[email protected]

Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Beton-schubfugen Im Rahmen eines vom DAfStb geförderten Forschungsvorhabens wurde das Ermüdungstragverhalten von unbewehrten Beton-schubfugen experimentell untersucht. Das Versuchsprogramm und Ergebnisse werden in diesem Beitrag vorgestellt. 1 Ausgangssituation

Durch nachträgliches Ergänzen von Beton kann die Tragfähig-keit eines Betonbauteils gesteigert werden. Die Grenzfläche zwischen Alt- und Neubeton wird als Schubfuge bezeichnet, wenn die dort übertragbare Schubspannung die Tragfähigkeits-steigerung beeinflußt. Schubfugen treten z.B. bei Fertigteilen mit Ortbetonergänzung oder bei Sanierungs- und Verstärkungsmaß-nahmen auf.

Zur Übertragung von Schubspannungen müssen Schubfu-gen nicht unbedingt mit kreuzender Verbundbewehrung ausge-führt werden. Derzeit gültige Regelungen zur Bemessung unbe-wehrter Schubfugen (z.B. DIN 1045-1 [1]) beruhen im wesentli-chen auf den Ergebnissen quasi-statischer Kurzzeitversuche und beschreiben das Tragverhalten nur unvollständig [2]. 2 Grundlagen 2.1 Tragmechanismen

In unbewehrten Fugen, die nicht durch eine äußere Kraft überdrückt werden, basiert die Übertragung von Schubkräften auf Haftwirkungen unterschiedlichen Ursprungs: - Von mechanischen Haftwirkungen oder mechanischer Adhäsion spricht man, wenn Verzahnungseffekte für den Verbund verantwortlich sind. Die Verzahnung erfolgt im mikroskopischen oder submikroskopischen Bereich, wenn Teile des noch flüssigen Neubetons durch kapillare Kräfte in Grenzzonen des Altbetons eindringen und sich dort nach der Aushärtung in der kristallinen Struktur verankern. - Von spezifischen Haftwirkungen oder spezifischer Adhäsion spricht man, wenn die Verbundwirkung auf physikalische oder chemische Bindungen zurückzuführen ist. In der Literatur wird die spezifische Adhäsion häufig noch weiter untergliedert, um den differierenden Charakter der Haftwirkungen zu verdeutlichen (vgl. z.B. [3]). Die klare Unterscheidung der Haftwirkungen ist jedoch schwierig. Fest steht, daß keines der „Modelle“ allein zur vollständigen Erklärung des Haftverbundes imstande ist. Die Größe der mechanischen Adhäsion hängt nach Reinecke [4] im wesentlichen von der Topographie der Altbetonoberfläche sowie von der Konsistenz und der makromolekularen Beschaffenheit des nachträglich aufgebrachten Betons ab. Durch die Verwendung von fließfähigem Neubeton mit geringer Oberflächenspannung kann die wirksame Kontaktfläche vergrößert und somit der Haftverbund verbessert werden.

2.2 Bemessung unbewehrter Schubfugen

Nach DIN 1045-1 (07.2001) dürfen Betonschubfugen ohne Ver-bundbewehrung ausgeführt werden, wenn die einwirkenden Schubkräfte vEdj nicht größer als die aufnehmbaren Schubkräfte vRdj,ct sind. Unter der Annahme, daß senkrecht zur Fuge keine Druckkräfte wirken, muß gelten:

bfvv ckctctRdjEdj ⋅⋅⋅=≤ 3/1, 042,0 β (1)

Die Größe der aufnehmbaren Schubkraft hängt danach nur von der Beschaffenheit der Altbetonoberfläche und der Betonfestigkeit ab. Die Oberflächenrauheit wird durch den Beiwert βct berücksichtigt, der im DAfStb Heft 525 [5] näher spezifiziert wird. Für fck ist der kleinere Wert der charakteristischen Zylinderdruckfestigkeit des Neu- oder Altbetons einzusetzen. Ein Ermüdungsnachweis wird für unbewehrte Fugen bisher nicht gefordert. 2.3 Ermüdungstragverhalten

Ermüdung von Beton bedeutet, wie in jedem anderen Material auch, eine Schadensakkumulation. Das Ermüdungstragverhalten wird i.d.R. durch Dauerschwingversuche (Wöhlerversuche) evaluiert, bei denen die Probekörper gestaffelten Schwingungs-beanspruchungen unterworfen werden. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist eine gewisse Anzahl an gleichwerti-gen Probekörpern erforderlich. Bei der Analyse der Versuchser-gebnisse ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß die Herstellung gleichwertiger Probekörper vergleichsweise schwer zu realisieren ist (vgl. Herstellung der Probekörper im nächsten Abschnitt). Aussagen zur Dauerschwingfestigkeit sind bei Bau-teilen aus Beton ohnehin schwierig, da Beton im Gegensatz zu Metallen keine „echte“ Dauerschwingfestigkeit aufweist bzw. bisher noch keine Dauerschwingfestigkeit nachgewiesen werden konnte (vgl. [6]). Aus zeitlichen Gründen wurde die maximale Lastspielzahl in Anlehnung an frühere Versuche auf max. 2 Mio. festgelegt. Die zugehörige Belastungsfrequenz betrug 3 Hz. 3 Versuchsprogramm 3.1 Versuchskörper und Versuchsdurchführung

Zur experimentellen Untersuchung des Haftverbundes unter wechselnder Beanspruchung war ein Aufbau erforderlich, bei dem möglichst keine Druckspannungen senkrecht zur Schubfuge erzeugt werden (Bild 1). Die Breite der Probekörper betrug 15 cm. Die beiden äußeren Hälften eines Probekörpers (10 x 15 x 50 cm) wurden jeweils mit derselben Mischung ausgeführt und ca. 28 Tage später durch Betonieren des mittleren Prüfkörperteils

45. Forschungskolloquium des DAfStb · 100. Jahrgang Beton- und Stahlbetonbau (2005) 145

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Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Betonschubfugen

Bild 1. Versuchsaufbau verbunden. Die hierbei entstandenen Fugen (wirksame Fläche je Seite Aj = 750 cm²) zwischen Alt- und Neubeton wurden im Anschluß in einer servo-hydraulischen Presse unter symmetri-scher Belastung abgeschert bzw. wiederholt belastet.

Details zur Herstellung und Lagerung der Probekörper sind in Zilch, Müller [7] enthalten. Erwähnt sei an dieser Stelle ledig-lich, daß die Altbetonoberflächen unmittelbar vor dem Einbrin-gen des Neubetons mit Hilfe eines Pinsels leicht angenäßt wur-den. Mit dieser Maßnahme sollte ein schneller Feuchtigkeitsver-lust des Neubetons im Bereich der Grenzfläche vermieden wer-den. Beobachtungen, die etwa 3 h nach dem Betonieren des Mittelteils an der Einfüllseite gemacht wurden, zeigen jedoch, daß das wassersaugende Verhalten des Altbetons dadurch nicht entscheidend unterbunden werden konnte. Da neben dem Ermüdungstragverhalten auch der Einfluß der Betonfestigkeit und der Rauheit der Altbetonoberfläche unter-sucht werden sollte, war die Unterscheidung zwischen verschie-denen Prüfserien erforderlich. Aus der Variation von zwei ver-schiedenen Betonfestigkeiten und zwei verschiedenen Rauheiten ergaben sich acht Serien (Tabelle 1). Jede Serie bestand aus vier Probekörpern, wobei jeweils ein Probekörper zur Bestimmung der Referenzbruchschubkraft vorgesehen war. Als Obergrenze für die Ermüdungsversuche wurden jeweils ca. 60 % der Bruch-belastung angesetzt, als Untergrenze ca. 20 % (Schwellversu-che).

Probekörper, die nicht vor dem Erreichen einer festgelegten Grenzlastspielzahl versagten, wurden nach dem Ermüdungsversuch statisch bis zum Bruch belastet. Die maximale Anzahl an Lastwechseln betrug nur bei den Serien HHH-W und HHH-R weniger als 2 Mio. – nämlich 1 Mio.). Die Belastungsfrequenz lag in diesen Fällen jedoch bei 1,5 statt 3 Hz.

Tabelle 1. Übersicht Versuchsparameter

1) Rt ≈ 0,8 mm (Rt = mittlere Rautiefe nach Kaufmann [8]) 2) Rt ≈ 1,5 mm 3.2 Verwendete Betone

Um den Einfluß der Betonfestigkeit auf das Ermüdungstragver-halten evaluieren zu können, wurden zwei verschiedene Betone verwendet: Normalbeton und hochfester Normalbeton. Der ver-wendete Normalbeton entspricht der Festigkeitsklasse C30/37, der hochfeste Normalbeton der Festigkeitsklasse C70/85. Neben der Druckfestigkeit wurden der E-Modul, die Spaltzugfestigkeit und die Frischbetoneigenschaften bestimmt. Der verwendete Normalbeton wies eine plastische Konsistenz auf, der hochfeste Normalbeton eine sehr weiche (nach DIN 1045-2 [9]). 3.3 Oberflächenrauheit

Die Oberflächenrauheiten wurden vor dem Betonieren des Mittelteils durch Sandstrahlen erzeugt. Zur Quantifizierung der Oberflächenrauheiten kamen verschiedene Verfahren zum Einsatz (vgl. [7]). Die genausten Messungen konnten mit Lasermeßgeräten erzielt werden. Durch einen kleinen Meßpunktabstand (bis zu 0,005 mm) konnten Unterschiede in der Mikrostruktur zwischen Hochfestem Beton (C70/85) und Normalbeton (C30/37) festgestellt werden. Bei annähernd gleicher Makrorauheit zeigte sich bei den Oberflächen aus Normalbeton stets eine größere Mikrorauheit (Ursache: mehr Kapillarporen). 3.4 Verschiebungsmessungen

Ganz wesentlich für die Beurteilung des Ermüdungstragverhaltens waren die Verschiebungsmessungen im Bereich der Fugen. Im Laufe der zyklischen Belastung auftretende Schädigungen konnten mit insgesamt 16 Wegmeßgeräten erfaßt werden. Die Anordnung der horizontalen und vertikalen Wegaufnehmer geht aus Bild 2 hervor. 4 Versuchsergebnisse

Die Versuchsergebnisse werden in Zilch, Müller [7] ausführlich vorgestellt und erläutert. Aus Platzgründen können hier nur ausgewählte Ergebnisse vorgestellt werden. Um die Ergebnisse besser nachvollziehen zu können, sei hier eine Anmerkung zur Bezeichnung der Probekörper vorweggenommen: Die Zusam-mensetzung der Probekörper kann aus deren Bezeichnung herge-leitet werden. Die Bezeichnung „NHN“ steht beispielsweise für die Kombination: außen Normalbeton, innen Hochfester Beton. Daran anschließend folgt entweder der Buchstabe „W“ für „we-nig rau“ und „R“ für „rau“. In jeder der acht Serien wurde der

Versuchsparameter Serienbez.

Alt-Beton Neu-Beton Oberfläche HHH-W C70/85 C70/85 wenig rau1)

HHH-R C70/85 C70/85 rau2)

NHN-W C30/37 C70/85 wenig rau1)

NHN-R C30/37 C70/85 rau2)

HNH-W C70/85 C30/37 wenig rau1)

HNH-R C70/85 C30/37 rau2)

NNN-W C30/37 C30/37 wenig rau1)

NNN-R C30/37 C30/37 rau2)

6 und 7. Oktober 2005 in Wien 146

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Andreas Müller

Bild 2. Schematische Anordnung der Wegmeßgeräte (Rückseite ebenfalls mit acht Wegmeßgeräten bestückt)

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

0,000 0,005 0,010 0,015 0,020 0,025

Verschiebung in mm

Schu

bspa

nnun

g in

MN

/m²

UH-elastischHHH-R1: AUHRHHH-R3: AUHRHHH-R4: AUHR

Bild 3. Horizontale Verschiebungen der rechten Fuge im unteren Bereich (AUHR) bei Erstbelastung. Vergleich mit elastischem Bauteilverhalten mit „2“ bezeichnete Probekörper für den Referenzbruchversuch verwendet. Die Probekörper 1, 3 und 4 sollten zyklisch belastet werden. Bei drei Körpern kam es allerdings schon vor dem Start des eigentlichen Ermüdungsversuchs zu einem Bruch. Ursache hierfür war eine klar erkennbare Vorschädigung (Risse), die möglicherweise auf ungleiches Schwinden zurückgeführt werden kann. Bei drei von 24 Versuchen kam es zu einem vorzeitigen Versagen infolge Ermüdung.

Die Auswertung der gemessenen Verschiebungswege er-möglicht eine Beschreibung der Bruchmechanismen und erlaubt Rückschlüsse auf das Ermüdungstragverhalten. Zum Vergleich wurden die Verschiebungen mit einem FE-Volumenmodell unter Zugrundelegung eines ideal elastischen Materialverhaltens nach-gerechnet. In Bild 3 werden für ausgewählte Versuchskörper die horizontalen Verschiebungen im unteren Bereich der späteren Bruchfugen beim erstmaligen Aufbringen der Belastung darge-stellt. Es zeigt sich, daß die Probekörper HHH-R1 und HHH-R3, bei denen es zu einem Ermüdungsversagen kam, bereits bei der Erstbelastung ein anderes Tragverhalten aufwiesen als der Pro-bekörper HHH-R4.

Während der zyklischen Belastung veränderten sich die Ex-tremwerte der Verschiebungen beim Probekörper HHH-R4 nur geringfügig. Die Verschiebungsamplituden blieben konstant bzw. wurden tendenziell kleiner. Im Gegensatz dazu vergrößer-ten sich die Verschiebungswerte insbesondere beim Probekörper HHH-R3 schon nach wenigen Lastwechseln ganz erheblich. Wie den Bildern 3 und 4 entnommen werden kann, war die maximale

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

0,00 0,01 0,02 0,03 0,04 0,05

Verschiebung in mm

Schu

bspa

nnun

g in

MN

/m²

UH-elastischHHH-R1: AUHRHHH-R3: AUHRHHH-R4: AUHR

Bild 4. Horizontale Verschiebungen der rechten Fuge im unteren Bereich (AUHR) beim zehnten Lastwechsel. Vergleich mit elasti-schem Bauteilverhalten

32 Probekörper

Neubeton: HFB

τBruchτRd

τBruchτRd

Neubeton: NFB

1,7

0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

12,0

14,0

16,0

18,0

Bild 5. Vergleich zwischen der Bruchschubspannung und dem Bemessungswert der aufnehmbaren Schubspannung nach DIN 1045-1 für alle 32 Probekörper Horizontalverschiebung AUHR nach zehn Lastwechseln bereits mehr als doppelt so groß wie zu Beginn des Versuchs. Die fla-cher geneigte Schubspannungs-Verschiebungsbeziehung deutet auf eine stark vergrößerte Verschiebungsamplitude hin.

Der Vergleich der Verschiebungsmessungen impliziert deutliche Unterschiede in der Schubtragfähigkeit. Bei dem Pro-bekörper HHH-R3 lag die obere Spannungsgrenze des Ermü-dungsversuchs offensichtlich nahe an der Kurzzeitfestigkeit.

Die großen Streuungen bei der Schubtragfähigkeit mindern die Aussagekraft der Versuchsergebnisse im Hinblick auf das Ermüdungstragverhalten ab. Rückschlüsse erlauben hier ledig-lich die Versuche, bei denen es zu keinem vorzeitigen Versagen kam. Bei immerhin 17 von 24 Ermüdungsversuchen wurde eine festgelegte Grenzlastspielzahl erreicht. Die anschließenden Bruchversuche lassen in Kombination mit den Ergebnissen der Verschiebungsmessungen auf Lastbereiche schließen, in denen ein Ermüdungsversagen unwahrscheinlich ist. Bei dem Probe-körper HHH-R4 war die wiederholt aufgebrachte Oberspannung halb so groß wie die nach 1 Mio. Lastwechseln festgestellte Bruchspannung. Während des Ermüdungsversuches konnte keine Zunahme der Verschiebungsamplituden beobachtet werden. Bei einem größeren Verhältnis zwischen Oberspannung und Bruch-spannung kam es vereinzelt zu signifikanten Gefügelockerungen.

Berücksichtigt man die Ergebnisse ähnlicher Forschungs-arbeiten (z.B. [10]), so erscheint folgende Aussage gerechtfertigt: In Lastbereichen mit einer Oberspannung kleiner als 50% der Bruchspannung und einer Mittelspannung nicht größer als 35%

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Zum Ermüdungstragverhalten unbewehrter Betonschubfugen

der Bruchspannung ist ein Ermüdungsversagen unwahrschein-lich, zumindest bei nicht mehr als einer Million Lastwechsel. Diese Verhältniswerte machen deutlich, daß bei unbewehrten Schubfugen die Ermüdungsgefahr nicht größer als bei monolithi-schen Betonbauteilen ist.

Ein Vergleich zwischen den Bruchschubspannungen aller Probekörper mit den Bemessungswerten in DIN 1045-1 offenbart keine Sicherheitsdefizite. Die kleinste Sicherheit ergab sich für einen der drei vorgeschädigten Probekörper mit 1,7 (Bild 5). 5 Zusammenfassung und Ausblick

Von den Probekörpern, die zur Untersuchung des Ermüdungs-tragverhaltens unbewehrter Betonschubfugen getestet wurden, hielten die meisten einer zyklischen Beanspruchung bis zum Erreichen der vorab definierten Grenzlastspielzahl stand. Die Auswertung der umfangreichen Verschiebungsmessungen und der Spannungen (z.B. Verhältnis zwischen Oberspannung und Bruchspannung) zeigt, daß die Haftverbindung zwischen Alt- und Neubeton keiner stärkeren Ermüdungsgefahr unterliegt als äquivalent beanspruchte monolithische Bauteile.

Probekörper, die durch hochfesten Beton ergänzt wurden, wiesen gegenüber den Bemessungswerten besonders hohe Trag-fähigkeiten auf. Um herauszufinden, welche Bestandteile des hochfesten Betons maßgeblich die Verbundeigenschaften verbes-sern, wurden mittlerweile ergänzende Versuche durchgeführt. Es zeigte sich, daß insbesondere die Zugabe von grenzflächenakti-ven Fließmitteln die Verbindung zwischen Alt- und Neubeton positiv beeinflußt. Weiterführende Untersuchungen könnten in Zukunft weniger restriktive Bemessungsregelungen möglich machen. Vor einer Änderung bestehender Regelungen sollte jedoch u.a. geklärt werden, inwieweit Schwindeinflüsse das Tragverhalten von Beton-Beton-Verbindungen beeinträchtigen. Außerdem erscheint es dem Verfasser wichtig, daß einfache, objektive und reproduzierbare Verfahren entwickelt werden, mit denen in der Praxis eine hinreichend genaue Quantifizierung der für den Haftverbund wichtigen Einflußgrößen gelingen kann. Die Ergebnisse weiterer Forschungsarbeiten sollen letztendlich zu einer Qualitätssteigerung und zu einer Kostenreduzierung bei Neubauten und Sanierungsmaßnahmen beitragen.

Literatur

[1] DIN 1045-1: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbe-ton. Teil 1: Bemessung und Konstruktion (07/2001)

[2] Hegger, J.; Görtz, S.: Überprüfung und Vereinheitlichung der Bemessungsansätze für querkraftbeanspruchte Stahlbeton- und Spannbetonbauteile aus normalfesten und hochfesten Be-ton nach DIN 1045-1. Kapitel 6: Querkrafttragfähigkeit von monolithischen und nachträglich ergänzten Bauteilen mit und ohne Querkraftbewehrung. Abschlußbericht für das DIBT – Forschungsvorh. IV 1-5-876/98, 1999

[3] Bischof, C.; Possart, W.: Adhäsion. Theoretische und expe-rimentelle Grundlagen. Berlin: Akademie-Verlag, 1983

[4] Reinecke, R.: Haftverbund und Rißverzahnung in unbewehr-ten Betonschubfugen. Dissertation, Lehrstuhl für Massivbau, Technische Universität München, 2004

[5] Deutscher Ausschuß für Stahlbeton: Erläuterungen zu DIN 1045-1. (Heft 525). Berlin: Beuth, 2003

[6] König, G.; Danielewicz, I.: Ermüdungsfestigkeit von Stahlbe-ton- und Spannbetonbauteilen mit Erläuterungen zu den Nachweisen gemäß CEB-FIB Model Code 1990. Berlin: Beuth Verlag, 1994 (DAfStb Heft 439)

[7] Zilch, K.; Müller, A.: Experimentelle Untersuchung zum Ermüdungstragverhalten von unbewehrten Schubfugen an nachträglich ergänzten Betonbauteilen. Abschlußbericht zum DAfStb-Forschungsvorhaben V 422. Lehrstuhl für Massiv-bau, TU München, 2004

[8] Kaufmann, N.: Das Sandflächenverfahren. In: Straßenbau-technik 24 (1971), Nr. 3

[9] DIN 1045-2: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbe-ton. Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität (07/2001)

[10] Chung, H. W.; Chung, T. Y. 1976. Prestressed Concrete Composite Beams under Repeated Loading. In: ACI Journal, May 1976, S. 291-295

6 und 7. Oktober 2005 in Wien 148