41
Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext) Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant. Königsberg, bey Friedrich Nicolovius. 1795. http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (1 von 41)25.03.2005 13:04:09

Zum Ewigen Frieden

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Il "programma politico" kantiano.

Citation preview

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Zum

    ewigen Frieden.

    Ein philosophischer Entwurf

    von

    Immanuel Kant.

    Knigsberg,

    bey Friedrich Nicolovius.

    1795.

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (1 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Zum ewigen Frieden.

    O b diese satyrische Ueberschrift auf dem Schilde jenes hollndischen Gastwirths, worauf ein Kirchhof gemalt war, die M e n s ch e n berhaupt, oder besonders die Staatsoberhupter, die des Krieges nie satt werden knnen, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen sen Traum trumen, mag dahin gestellt seyn. Das bedingt sich aber der Verfasser des Gegenwrtigen aus, da, da der praktische Politiker mit dem theoretischen auf dem Fu steht, mit groer Selbstgeflligkeit auf ihn als einen Schulweisen herabzusehen, der dem Staat, welcher von Erfahrungsgrundstzen ausgehen msse, mit seinen sachleeren Ideen keine Gefahr bringe, und den man immer seine eilf Kegel auf einmal werfen lassen kann, ohne, da sich der [3/4] w e l t k u n d i g e Staatsmann daran kehren darf, dieser auch, im Fall eines Streits mit jenem sofern consequent verfahren msse, hinter seinen auf gut Glck gewagten, und ffentlich geuerten Meynungen nicht Gefahr fr den Staat zu wittern; - durch welche C l a u s u l a s a l v a t o r i a der Verfasser dieses sich dann hiemit in der besten Form wider alle bsliche Auslegung ausdrcklich verwahrt wissen will. [4/5]

    Erster Abschnitt,

    welcher die Prliminarartikel zum ewigen Frieden unter Staaten enthlt.

    1. E s soll kein Friedenrschlu fr einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem knftigen Kriege gemacht worden."

    Denn alsdann wre er ja ein bloer Waffenstillstand, Aufschub der Feindseligkeiten, nicht F r i e d e, der das Ende aller Hostilitten bedeutet, und dem das Beywort e w i g anzuhngen ein schon verdchtiger Pleonasm ist. Die vorhandene, obgleich jetzt vielleicht den Paciscirenden selbst noch nicht bekannte, Ursachen zum knftigen Kriege sind durch den Friedensschlu insgesammt vernichtet, sie mgen auch aus archivarischen Dokumenten mit noch so scharfsichtiger Aussphungsgeschicklichkeit ausgeklaubt [5/6] seyn. - Der Vorbehalt (reseruatio mentalis) alter allererst knftig auszudenkender Prtensionen, deren kein Teil fr jetzt Erwhnung tun mag, weil beyde zu sehr erschpft sind, den Krieg fortzusetzen, bey dem bsen Willen, die erste gnstige Gelegenheit zu

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (2 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    diesem Zweck zu benutzen, gehrt zur Jesuitencasuistik, und ist unter der Wrde der Regenten, so wie die Willfhrigkeit zu dergleichen Deduktionen unter der Wrde eines Ministers desselben, wenn man die Sache, wie sie an sich selbst ist beurteilt. -

    Wenn aber, nach aufgeklrten Begriffen der Staatsklugheit, in bestndiger Vergrerung der Macht, durch welche Mittel es auch sey, die wahre Ehre des Staats gesetzt wird, so fllt freylich jenes Urtheil als schulmig und pedantisch in die Augen.

    2. Es soll kein fr sich bestehender Staat (klein oder gro, das gilt hier gleichviel) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung, erworben werden knnen." [6/7]

    Ein Staat ist nmlich nicht (wie etwa der Boden, auf dem er seinen Sitz hat) eine Habe (patrimonium). Er ist eine Gesellschaft von Menschen, ber die niemand anders, als er selbst, zu gebieten und zu disponieren hat. Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigene Wurzel hatte, als Pfropfreis einem andern Staate einzuverleiben, heit seine Existenz, als einer moralischen Person, aufheben, und aus der letzteren eine Sache machen, und widerspricht also der Idee des ursprnglichen Vertrags, ohne die sich kein Recht ber ein Volk denken lt *). In welche Gefahr das Vorurtheil dieser Erwerbungsart Europa, denn die andern Weltteile haben nie davon gewut, in unsern bis auf die neuesten Zeiten gebracht habe, da sich nmlich auch Staaten einander heuraten knnten, ist jedermann bekannt, theils als eine neue Art von Industrie, sich auch ohne Aufwand von Krf-

    *) Ein Erbreich ist nicht ein Staat, der von einem andern Staate, sondern dessen Recht zu regieren an eine andere physische Person vererbt werden kann. Der Staat erwirbt alsdann einen Regenten, nicht dieser als ein solcher (d. i. der schon ein anderes Reich besitzt) den Staat. [7/8]

    ten durch Familienbndnisse bermchtig zu machen, theils auch auf solche Art den Lnderbesitz zu erweitern. - Auch die Verdingung der Truppen eines Staats an einen andern, gegen einen nicht gemeinschaftlichen Feind, ist dahin zu zhlen; denn die Unterthanen werden dabey als nach Belieben zu handhabende Sachen gebraucht und verbraucht.

    3. Stehende Heere (miles pepetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhren."

    Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhrlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerstet zu erscheinen; reitzen diese an, sich einander in Menge der Gersteten, die keine Grenzen kennt, zu bertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drckender wird als ein kurzer Krieg,

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (3 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden; wozu kommt, da zum Tdten oder getdtet zu werden in Sold genommen zu seyn, einen Gebrauch von Menschen als bloen Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats) zu enthalten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der [8/9] Menschheit in unserer eigenen Person vereinigen lt *). Ganz anders ist es mit der freywilligen periodisch vorgenommenen Uebung der Staatsbrger in Waffen bewandt, sich und ihr Vaterland dadurch gegen Angriffe von auen zu sichern. - Mit der Anhufung eines Schatzes wrde es ebenso gehen, da er, von andern Staaten als Bedrohung mit Krieg angesehen, zu zuvorkommenden Angriffen nthigte (weil unter den drey Mchten, der H e e r e s m a c h t, der B u n d e s m a c h t und der G e l d m a c h t, die letztere wohl das zuverligste Kriegswerkzeug seyn drfte; wenn nicht die Schwierigkeit, die Gre desselben zu erforschen, dem entgegenstnde).

    4. Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf uere Staatshndel gemacht werden." [9/10]

    Zum Behuf der Landeskonomie (der Wegebesserung, neuer Ansiedelungen, Anschaffung der Magazine fr besorgliche Miwachsjahre u. s. w.), auerhalb oder innerhalb dem Staate Hlfe zu suchen, ist diese Hlfsquelle unverdchtig. Aber als entgegenwirkende Maschine der Mchte gegeneinander, ist ein Creditsystem ins Unabsehliche anwachsender und doch immer fr die gegenwrtige Forderung (weil sie doch nicht von allen Glubigern auf einmal geschehen wird) gesicherter Schulden, - die sinnreiche Erfindung eines handeltreibenden Volks in diesem Jahrhundert -, eine gefhrliche Geldmacht, nmlich ein Schatz zum Kriegfhren, der die Schtze aller andern Staaten zusammengenommen bertrifft, und nur durch den einmal bevorstehenden Ausfall der Taxen (der doch auch durch die Belebung des Verkehrs, vermittelst der Rckwirkung auf Industrie und Erwerb, noch lange hingehalten wird) erschpft werden kann. Diese Leichtigkeit Krieg zu fhren, mit der Neigung der Machthabenden dazu, welche der menschlichen Natur eingeartet zu seyn scheint, verbunden, ist also ein groes Hinderni des ewigen Friedens, welches zu verbieten um desto [10/11] mehr ein Prliminarartikel desselben seyn mte, weil der endlich doch unvermeidliche Staatsbankerott manche andere Staaten unverschuldet in den Schaden mit verwickeln mu, welches eine ffentliche Lsion der letzteren seyn wrde. Mithin sind wenigstens andere Staaten berechtigt, sich gegen einen solchen und dessen Anmaungen zu verbnden.

    5. Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewaltthtig einmischen."

    Denn was kann ihn dazu berechtigen? Etwa das Skandal, was er den Unterthanen eines andern Staats giebt? Es kann dieser vielmehr, durch das Beyspiel der groen

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (4 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Uebel, die sich ein Volk durch seine Gesetzlosigkeit zugezogen hat, zur Warnung dienen; und berhaupt ist das bse Beyspiel, was eine freye Person der andern giebt (als scandalum acceptum) keine Lsion derselben. - Dahin wrde zwar nicht zu ziehen seyn, wenn ein Staat sich durch innere Veruneinigung in zwey Theile spaltete, deren jeder fr sich einen besondern Staat vorstellt, der auf das Ganze Anspruch macht; wo einem [11/12] derselben Beystand zu leisten einem uern Staat nicht fr Einmischung in die Verfassung des andern (denn es ist alsdann Anarchie) angerechnet werden knnte. Solange aber dieser innere Streit noch nicht entschieden ist, wrde diese Einmischung uerer Mchte Verletzung der Rechte eines nur mit seiner innern Krankheit ringenden, von keinem andern abhngigen Volks, selbst also ein gegebenes Skandal seyn und die Autonomie aller Staaten unsicher machen.

    6. Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im knftigen Frieden unmglich machen mssen: als da sind, Anstellung der M e u c h e l m r d e r (percussores), G i f t m i s c h e r (venefici), B r e c h u n g d e r K a p i t u l a t i o n, A n s t i f t u n g des V e r r a t h s (perduellio) in dem bekriegten Staat etc."

    Das sind ehrlose Stratagemen. Denn irgend ein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes mu mitten im Kriege noch brig bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschlossen werden knnte, und die Feindseligkeit in einen [12/13] Ausrottungskrieg (bellum internecinum) ausschlagen wrde; da der Krieg doch nur das traurige Nothmittel im Naturzustande ist, (wo kein Gerichtshof vorhanden ist, der rechtskrftig urtheilen knnte) durch Gewalt sein Recht zu behaupten; wo keiner von beyden Theilen fr einen ungerechten Feind erklrt werden kann (weil das schon einen Richterausspruch voraussetzt), sondern der A u s s c h l a g desselben (gleich als vor einem sogenannten Gottesgerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist; zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg (bellum punitiuum) denken lt (weil zwischen ihnen kein Verhltni eines Obern zu einem Untergebenen stattfindet). - Woraus denn folgt: da ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beyde Teile zugleich, und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem groen Kirchhofe der Menschengattung statt finden lassen wrde. Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin fhren, mu schlechterdings unerlaubt seyn. - Da aber die genannte Mittel unvermeidlich dahin fhren, erhellet daraus: da jene hllische Knste, da sie an sich selbst nie-[13/14]dertrchtig sind, wenn sie in Gebrauch gekommen, sich nicht lange innerhalb der Grenze des Krieges halten, wie etwa der Gebrauch der Spione (vti exploratoribus), wo nur die Ehrlosigkeit A n d e r e r (die nun einmal nicht ausgerottet werden kann) benutzt wird, sondern auch in den Friedenszustand bergehen, und so die Absicht desselben gnzlich vernichten wrden.

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (5 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    * * *

    Obgleich die angefhrte Gesetze objectiv, d. i. in der Intention der Machthabenden, lauter V e r b o t g e s e t z e (leges prohibitiuae) sind, so sind doch einige derselben von der st r e n g e n, ohne Unterschied der Umstnde geltenden Art (leges strictae), die s o f o r t auf Abschaffung dringen (wie Nr. 1, 5, 6), andere aber (wie Nr. 2, 3, 4), die zwar nicht als Ausnahmen von der Rechtsregel, aber doch in Rcksicht auf die Ausbung derselben, durch die Umstnde, s u b j e k t i v fr die Befugni erweiternd (leges latae), und Erlaubnisse enthalten, die Vollfhrung a u f z u s c h i e b e n, ohne doch den Zweck aus den Augen zu verlieren, der diesen Aufschub, z. B. der W i e d e r-[14/15] e r st a t t u n g der gewissen Staaten, nach Nr. 2, entzogenen Freyheit, nicht auf den Nimmertag (wie August zu versprechen pflegte, ad calendas graecas) auszusetzen, mithin die Nichterstattung, sondern nur, damit sie nicht bereilt und so der Absicht selbst zuwider geschehe, die Verzgerung erlaubt. Denn das Verbot betrifft hier nur die E r w e r b u n g s a r t, die fernerhin nicht gelten soll, aber nicht den Be s i tz s t a n d, der, ob er zwar nicht den erforderlichen Rechtstitel hat, doch zu seiner Zeit (der putativen Erwerbung), nach der damaligen ffentlichen Meynung, von allen Staaten fr rechtmig gehalten wurde*).

    *) Ob es auer dem Gebot (leges praeceptiuae), und Verbot (leges prohibitiuae), noch E r l a u b n i s g e s e tz e (leges permissiuae) der reinen Vernunft geben knne, ist bisher nicht ohne Grund bezweifelt worden. Denn Gesetze berhaupt enthalten einen Grund objektiver praktischer Nothwendigkeit, Erlaubnis aber einen der praktischen Zuflligkeit gewisser Handlungen; mithin wrde ein E r l a u b n i s g e s e tz Nthigung zu einer Handlung, zu dem, wozu jemand nicht genthiget werden kann, enthalten, welches, wenn das Objekt des Gesetzes in beyderley Beziehung einerley Bedeutung htte, ein Widerspruch seyn wrde. - Nun geht aber hier im Erlaubnisgesetze [15/16]das vorausgesetzte Verbot nur auf die knftige Erwerbungsart eines Rechts (z. B. durch Erbschaft), die Befreyung aber von diesem Verbot, d. i. die Erlaubnis, auf den gegenwrtigen Besitzstand, welcher letztere, im Ueberschritt aus dem Naturzustande in den brgerlichen, als ein, obwohl unrechtmiger, dennoch e h r l i c h e r , B e s i tz (possessio putatiua) nach einem Erlaubnisgesetze des Naturrechts noch fernerhin fortdauern kann, obgleich ein putativer Besitz, so bald er als ein solcher erkannt worden, im Naturzustande, imgleichen eine hnliche Erwerbungsart im nachmaligen brgerlichen (nach geschehenem Ueberschritt) verboten ist, welche Befugnis des fortdauernden Besitzes nicht statt finden wrde, wenn eine solche vermeintliche Erwerbung im brgerlichen Zustande geschehen wre; denn da wrde er, als Lsion, sofort nach Entdeckung seiner Unrechtmigkeit aufhren mssen.

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (6 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    [Fortsetzung der Anmerkung] Ich habe hiemit nur beylufig die Lehrer des Naturrechts auf den Begriff einer lex permissiua, welcher sich einer systematisch-eintheilenden Vernunft von selbst darbietet, aufmerksam machen wollen; vornehmlich, da im Civilgesetze (statutarischen) fters davon Gebrauch gemacht wird, nur mit dem Unterschiede, da das Verbotgesetz fr sich allein dasteht, die Erlaubnis aber nicht als einschrnkende Bedingung (wie es sollte) in jenes Gesetz mit hinein gebracht, sondern unter die Ausnahmen geworfen wird. - Da heit es dann: dies oder jenes wird verboten: e s s e y d e n n Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, und so weiter ins Unabsehliche, die Erlaubnisse nur [16/17] zuflliger Weise, nicht nach einem Princip, sondern durch Herumtappen unter vorkommenden Fllen, zum Gesetz hinzukommen; denn sonst htten die Bedingungen i n d i e F o r m e l d e s V e r b o t s g e s e tz e s mit hineingebracht werden mssen, wodurch es dann zugleich ein Erlaubnisgesetz geworden wre. - Es ist daher zu bedauern, da die sinnreiche, aber unaufgelst gebliebene, Preisaufgabe des eben so weisen als scharfsinnigen Herrn G r a f e n v o n W i n d i s c h g r tz, welche gerade auf das letztere drang, sobald verlassen worden. Denn die Mglichkeit einer solchen (der mathematischen hnlichen) Formel ist der einzige chte Probierstein einer consequent bleibenden Gesetzgebung , ohne welche das so genannte ius certum immer ein frommer Wunsch bleiben wird. - Sonst wird man blo g e n e r a l e Gesetze (die im Al l g e m e i n e n gelten), aber keine universale (die a l l g e m e i n gelten) haben, wie es doch der Begriff eines Gesetzes zu erfordern scheint. [16/17]

    Zweyter Abschnitt,

    welcher die Definitivartikel zum ewigen Frieden unter Staaten enthlt.

    Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturstand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwhrende Bedrohung mit denselben. Er mu also g e st i f t e t werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafr, und, ohne da sie einem Nachbar von dem andern geleistet wird (welches aber nur in einem g e s e tz l i c h e n Zustande geschehen kann), kann jener diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind behandeln *).

    *) Gemeiniglich nimmt man an, da man gegen Niemand feindlich verfahren drfe,

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (7 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    als nur, wenn er mich schon thtig l d i e r t h a t, und das ist auch ganz richtig, wenn beyde im b r g e r l i c h - g e s e tz l i c h e n Zustande sind. Denn dadurch, da dieser in denselben getreten ist, leistet er jenem (vermittelst der Obrigkeit, welche ber Beyde Gewalt hat) die er-[18/19]forderliche Sicherheit. - Der Mensch aber (oder das Volk) im bloen Naturstande benimmt mir diese Sicherheit, und ldiert mich schon durch eben diesen Zustand, indem er neben mir ist, obgleich nicht thtig (facto), doch durch die Gesetzlosigkeit seines Zustandes (statu iniusto), wodurch ich bestndig von ihm bedrohet werde, und ich kann ihn nthigen, entweder mit mir in einen gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder aus meiner Nachbarschaft zu weichen. - Das Postulat also, was allen folgenden Artikeln zum Grunde liegt, ist: Alle Menschen, die auf einander wechselseitig einflieen knnen, mssen zu irgend einer brgerlichen Verfassung gehren.Alle rechtliche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft, die darin stehen,1) die nach dem S t a a t s b r g e r r e c h t der Menschen in einem Volke (ius ciuitatis),2) nach dem V l k e r r e c h t der Staaten in Verhltnis gegen einander (ius gentium),3) die nach dem W e l t b r g e r r e c h t, so fern Menschen und Staaten, in uerem auf einander einflieendem Verhltnis stehend, als Brger eines allgemeinen Menschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum). Diese Eintheilung ist nicht willkhrlich, sondern nothwendig in Beziehung auf die Idee vom ewigen Frieden. Denn wenn nur einer von diesen im Verhltnisse des physischen Einflusses auf den andern, und doch im Naturstande wre, so wrde damit der Zustand des Krieges verbunden seyn, von dem befreyet zu werden hier eben die Absicht ist. [19/20]

    Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden.

    Die brgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch seyn.

    D ie erstlich nach Principien der F r e y h e i t der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundstzen der A b h n g i g k e i t aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Unterthanen); und drittens, die nach dem Gesetz der G l e i c h h e i t derselben (a l s S t a a t s b r g e r) gestiftete Verfassung - die einzige, welche aus der Idee des ursprnglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegrndet seyn mu - ist die r e p u b l i k a n i s c h e *). Diese

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (8 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    *) R e c h t l i c h e (mithin uere) Freyheit kann nicht, wie man wohl zu thun pflegt, durch die Befugnis definirt werden: alles zu thun, was man will, wenn man nur Keinem Unrecht thut." Denn was heit B e f u g n i s? Die Mglichkeit einer Handlung, so fern man dadurch Keinem Unrecht thut. Also wrde die Erklrung einer Befugnis so [20/21]

    ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der brgerlichen

    [Fortsetzung der Anmerkung von Seite 20] lauten: Man thut Keinem Unrecht (man mag auch thun, was man will), wenn man nur Keinem Unrecht thut:" folglich ist es leere Tautologie. - Vielmehr ist meine uere (rechtliche) F r e y h e i t so zu erklren: sie ist die Befugnis, keinen ueren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beystimmung habe geben knnen. - Eben so ist uere (rechtliche) G l e i c h h e i t in einem Staate dasjenige Verhltnis der Staatsbrger, nach welchem Keiner den andern wozu rechtlich verbinden kann, ohne da er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu k n n e n. (Vom Princip der r e c h t l i c h e n Abhngigkeit, da dieses schon in dem Begriffe einer Staatsverfassung berhaupt liegt, bedarf es keiner Erklrung). - Die Gltigkeit dieser angebohrnen, zur Menschheit nothwendig gehrenden und unveruerlichen Rechte wird durch das Princip der rechtlichen Verhltnisse des Menschen selbst zu hheren Wesen (wenn er sich solche denkt) besttigt und erhoben, indem er sich nach eben denselben Grundstzen auch als Staatsbrger einer bersinnlichen Welt vorstellt. - Denn, was meine Freyheit betrifft, so habe ich, selbst in Ansehung der gttlichen, von mir durch bloe Vernunft erkennbaren Gesetze, keine Verbindlichkeit, als nur so fern ich dazu selber habe meine Beystimmung geben knnen (denn durchs Freyheits-[21/22]

    Constitution ursprnglich zum Grunde liegt; und nun ist nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zum ewigen Frieden hinfhren kann?

    [Fortsetzung der Anmerkung von Seite 21]gesetz meiner eigenen Vernunft mache ich mir allererst einen Begriff vom gttlichen Willen). Was in Ansehung des erhabensten Weltwesens auer Gott, welches ich mir etwa denken mchte (einen groen Aeon), das Princip der G l e i ch h e i t betrifft, so ist kein Grund da, warum ich, wenn ich in meinem Posten meine Pflicht thue, wie jener Aeon es in dem seinigen, mir blo die Pflicht zu gehorchen, jenem aber das Recht zu befehlen zukommen solle. - Da dieses Princip der G l e i c h h e i t nicht (so wie das der Freyheit) auch auf das Verhltnis zu Gott pat, davon ist der Grund dieser, weil dieses Wesen das einzige ist, bey dem der Pflichtbegriff aufhrt.

    Was aber das Recht der Gleichheit aller Staatsbrger, als Unterthanen, betrifft, so

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (9 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    kommt es in Beantwortung der Frage von der Zuligkeit des E r b a d e l s allein darauf an: ob der vom Staat zugestandene R a n g (eines Unterthans vor dem andern) vor dem V e r d i e n st, oder dieses vor jenem vorhergehen msse." - Nun ist offenbar: da, wenn der Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewi ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es [22/23]

    Nun hat aber die republikanische Verfassung, auer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu seyn, noch die Aussicht in die gewnschte Folge, nmlich den ewigen Frieden; wovon der Grund dieser ist. - Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders seyn kann) die Beystimmung der Staatsbrger dazu erfordert wird, um zu beschlieen, ob Krieg seyn solle, oder nicht," so ist nichts natrlicher, als da, da sie alle Drangsale des Krieges ber sich selbst beschlieen mten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges

    [Fortsetzung der Anmerkung von Seite 22] eben so viel, als ob er ohne alles Verdienst dem Begnstigten zugestanden wrde (Befehlshaber zu seyn); welches der allgemeine Volkswille in einem ursprnglichen Vertrage (der doch das Prinzip aller Rechte ist) nie beschlieen wird. Denn ein Edelmann ist darum nicht so fort ein e d l e r Mann. - Was den A m t s a d e l (wie man den Rang einer hheren Magistratur nennen knnte, und den man sich durch Verdienste erwerben mu) betrifft, so klebt der Rang da nicht, als Eigentum, an der Person, sondern am Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht verletzt; weil, wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleich den Rang ablegt, und unter das Volk zurcktritt. - [23/24]

    aus ihrer eigenen Haabe herzugeben; die Verwstung, die er hinter sich lt, kmmerlich zu verbessern; zum Uebermae des Uebels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu bernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: Da hingegen in einer Verfassung, wo der Unterthan nicht Staatsbrger, diese also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Weit ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigenthmer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlssern, Hoffesten u. d. gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbt, diesen also wie eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen beschlieen, und der Anstndigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Corps die Rechtfertigung desselben gleichgltig berlassen kann.

    * * *

    Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (10 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    der demokratischen verwechsele, mu Folgendes bemerkt [24/25] werden. Die Formen eines Staats (ciuitas) knnen entweder nach dem Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, oder nach der R e g i e r u n g s a r t des Volks durch sein Oberhaupt, er mag seyn welcher er wolle, eingetheilt werden; die erste heit eigentlich die Form der B e h e r r s c h u n g (forma imperii), und es sind nur drey derselben mglich, wo nmlich entweder nur E i n e r, oder E i n i g e unter sich verbunden, oder A l l e zusammen, welche die brgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (A u t o k r a t i e, A r i s t o k r a t i e und D e m o k r a t i e, Frstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt). Die zweyte ist die Form der Regierung (forma regiminis) und betrifft die auf die Constitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegrndete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder r e p u b l i k a n i s c h oder d e s p o t i s c h. Der R e p u b l i k a n i s m ist das Staatsprincip der Absonderung der ausfhrenden Gewalt (der Regierung) von der Gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigen-[25/26]mchtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der ffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird. - Unter den drey Staatsformen ist die der D e m o k r a t i e, im eigentlichen Verstande des Worts, nothwendig ein D e s p o t i s m, weil sie eine exekutive Gewalt grndet, da alle ber und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin Alle, die doch nicht Alle sind, beschlieen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freyheit ist.

    Alle Regierungsform nmlich, die nicht r e p r s e n t a t i v ist, ist eigentlich eine U n f o r m, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig, wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) seyn kann, und, wenn gleich die zwey andern Staatsverfassungen so fern immer fehlerhaft sind, da sie einer solchen Regierungsart Raum geben, so ist es bey ihnen doch wenigstens mglich, da sie eine dem G e i s t e [26/27] eines reprsentativen Systems geme Regierungsart annhmen, wie etwa Friedrich II. wenigstens s a g t e: er sey blo der oberste Diener des Staats *), da hingegen die demokratische es unmglich macht, weil Alles da Herr seyn will. - Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je grer dagegen die Reprsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Mglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmhliche Reformen sich dazu endlich zu erheben. Aus diesem

    *) Man hat die hohen Benennungen, die einem Beherrscher oft beygelegt werden (die eines gttlichen Gesalbten, eines Verwesers des gttlichen Willens auf Erden und Stellvertreters desselben), als grobe, schwindlich machende Schmeicheleyen

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (11 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    oft getadelt; aber mich dnkt, ohne Grund. - Weit gefehlt, da sie den Landesherrn sollten hochmthig machen, so mssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demthigen, wenn er Verstand hat (welches man doch voraussetzen mu), und es bedenkt, da er ein Amt bernommen habe, was fr einen Menschen zu gro ist, nmlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das R e ch t d e r M e n s ch e n zu verwalten, und diesem Augapfel Gottes irgend worinn zu nahe getreten zu seyn, jederzeit in Besorgnis stehen mu. [27/28]

    Grunde ist es in der Aristokratie schon schwerer, als in der Monarchie, in der Demokratie aber unmglich anders, als durch gewaltsame Revolution zu dieser einzigen vollkommen rechtlichen Verfassung zu gelangen. Es ist aber an der Regierungsart*) dem Volk ohne alle Vergleichung mehr gelegen, als an der Staatsform

    *) Mallet d Pan rhmt in seiner Genietnenden, aber hohlen und sachleeren Sprache: nach vieljhriger Erfahrung endlich zur Ueberzeugung von der Wahrheit des bekannten Spruchs des P o p e gelangt zu seyn: la ber die beste Regierung Narren streiten; die bestgefhrte ist die beste." Wenn das soviel sagen soll: die am besten gefhrte Regierung ist am besten gefhrt, so hat er, nach Schwifts Ausdruck, eine Nu aufgebissen, die ihn mit einer Made belohnte; soll es aber bedeuten, sie sey auch die beste Regierungsart, d. i. Staatsverfassung, so ist es grundfalsch; denn Exempel von guten Regierungen beweisen nichts fr die Regierungsart. - Wer hat wohl besser regiert als ein T i t u s und M a r k u s A u r e l i u s, und doch hinterlie der eine einen D o m i t i a n, der andere einen C o m m o d u s zu Nachfolgern; welches bey einer guten Staatsverfassung nicht htte geschehen knnen, da ihre Untauglichkeit zu diesem Posten frh genug bekannt war, und die Macht des Beherrschers auch hinreichend war, um sie auszuschlieen. [28/29]

    (wiewohl auch auf dieser ihre mehrere oder mindere Angemessenheit zu jenem Zwecke sehr viel ankommt). Zu jener aber, wenn sie dem Rechtsbegriffe gem sein soll, gehrt das reprsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart mglich, ohne welches sie (die Verfassung mag seyn welche sie wolle) despotisch und gewaltthtig ist. - Keine der alten so genannten Republiken hat dieses gekannt, und sie muten sich darber auch schlechterdings in dem Despotism auflsen, der unter der Obergewalt eines Einzigen noch der ertrglichste unter allen ist.

    Zweyter Definitivartikel zum ewigen Frieden

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (12 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Das Vlkerrecht soll auf einen F d e r a l i s m freier Staaten gegrndet seyn.

    V lker, als Staaten, knnen wie einzelne Menschen beurtheilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhngigkeit von uern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinanderseyn ldiren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der brgerlichen hnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wre ein V l k e r b u n d, der aber gleichwohl kein Vlkerstaat seyn mte. Darin aber wre ein Widerspruch; weil ein jeder Staat das Verhltnis eines O b e r e n (Gesetzgebenden) zu einem U n t e r e n (gehorchenden, nmlich dem Volk) enthlt, viele Vlker aber in einem Staat nur ein Volk ausmachen wrden, welches (da wir hier das Recht der V l k e r gegen einander zu erwgen haben, so fern sie so viel verschiedene [30/31] Staaten ausmachen, und nicht in einem Staat zusammenschmelzen sollen) der Voraussetzung widerspricht.

    Gleichwie wir nun die Anhnglichkeit der Wilden an ihre gesetzlose Freyheit, sich lieber unaufhrlich zu balgen, als sich einem gesetzlichen, von ihnen selbst zu constituirenden, Zwange zu unterwerfen, mithin die tolle Freyheit der vernnftigen vorzuziehen, mit tiefer Verachtung ansehen, und als Rohigkeit, Ungeschliffenheit, und viehische Abwrdigung der Menschheit betrachten, so, sollte man denken, mten gesittete Vlker (jedes fr sich zu einem Staat vereinigt) eilen, aus einem so verworfenen Zustande je eher desto lieber herauszukommen: Statt dessen aber setzt vielmehr jeder S t a a t seine Majestt (denn Volksmajestt ist ein ungereimter Ausdruck) gerade darin, gar keinem ueren gesetzlichen Zwange unterworfen zu seyn, und der Glanz seines Oberhaupts besteht darin, da ihm, ohne da er sich eben selbst in Gefahr setzen darf, viele Tausende zu Gebot stehen, sich fr eine Sache, die sie nichts angeht, [31/32] aufopfern zu lassen *), und der Unterschied der europischen Wilden von den amerikanischen besteht hauptschlich darin, da, da manche Stmme der letzteren von ihren Feinden gnzlich sind gegessen worden, die ersteren ihre Ueberwundene besser zu benutzen wissen, als sie zu verspeisen, und lieber die Zahl ihrer Unterthanen, mithin auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausgebreiteteren Kriegen durch sie zu vermehren wissen.Bey der Bsartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freyen Verhltnis der Vlker unverholen blicken lt (indessen da sie im brgerlich-gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleyert), ist es doch zu verwundern, da das Wort R e c h t aus der Kriegspolitik noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden knnen, und sich noch kein Staat erkhnet hat, sich fr die letz-

    * So gab ein bulgarischer Frst dem griechischen Kayser, der gutmthigerweise

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (13 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    seinen Streit mit ihm durch einen Zweykampf ausmachen wollte, zur Antwort: Ein Schmidt, der Zangen hat, wird das glhende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Hnden herauslangen." [32/33]

    tere Meynung ffentlich zu erklren; denn noch werden H u g o G r o t i u s, P u f f e n d o r f , V a t t e l 1 u. a. m. (lauter leidige Trster), obgleich ihr Codex, philosophisch oder diplomatisch abgefat, nicht die mindeste g e s e t z l i c h e Kraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen ueren Zwange stehen), immer treuherzig zur R e c h t f e r t i g u n g eines Kriegsangriffs angefhrt, ohne da es ein Beyspiel giebt, da jemals ein Staat durch mit Zeugnissen so wichtiger Mnner bewaffnete Argumente wre bewogen worden, von seinem Vorhaben abzustehen. - Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet, beweist doch, da eine noch grere, obzwar zur Zeit schlummernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffen sey, ber das bse Princip in ihm (was er nicht ableugnen kann) doch einmal Meister zu werden, und dies auch von andern zu hoffen; denn sonst wrde das Wort R e c h t den Staaten, die sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sey denn, blo um seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallische Frst es er-[33/34]klrte: Es ist der Vorzug, den die Natur dem Strkern ber den Schwchern gegeben hat, da dieser ihm gehorchen soll."Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie, wie bey einem uern Gerichtshofe, der Proce, sondern nur der Krieg seyn kann, durch diesen aber und seinen gnstigen Ausschlag, den S i e g, das Recht nicht entschieden wird, und durch den F r i e d e n s v e r t r a g zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande (immer zu einem neuen Vorwand zu finden) ein Ende gemacht wird (den man auch nicht geradezu fr ungerecht erklren kann, weil in diesem Zustande jeder in seiner eigenen Sache Richter ist), gleichwohl aber von Staaten, nach dem Vlkerrecht, nicht eben das gelten kann, was von Menschen im gesetzlosen Zustande nach dem Naturrecht gilt, aus diesem Zustande herausgehen zu sollen" (weil sie, als Staaten, innerlich schon eine rechtliche Verfassung haben, und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte gesetzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind), indessen da doch die Vernunft vom Throne der hchsten moralisch gesetzgebenden [34/35] Gewalt herab, den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht welcher doch, ohne einen Vertrag der Vlker unter sich, nicht gestiftet oder gesichert werden kann: - so mu es einen B u n d von besonderer Art geben, den man den F r i e d e n s b u n d (foedus pacificum) nennen kann, der vom F r i e d e n s v e r t r a g (pactum pacis) darin unterschieden seyn wrde, da dieser blo e i n e n Krieg, jener aber a l l e Kriege auf immer zu endigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der F r e y h e i t

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (14 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    eines Staats, fr sich selbst und zugleich anderer verbndeten Staaten, ohne da diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) ffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen drfen. - Die Ausfhrbarkeit (objektive Realitt) dieser Idee der F d e r a l i t t, die sich allmhlig ber alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinfhrt, lt sich darstellen. Denn wenn das Glck es so fgt: da ein mchtiges und aufgeklrtes Volk sich zu [35/36] einer Republik (die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt seyn mu) bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der fderativen Vereinigung fr andere Staaten ab, um sich an sie anzuschlieen, und so den Freyheitszustand der Staaten, gem der Idee des Vlkerrechts, zu sichern, und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten.

    Da ein Volk sagt: es soll unter uns kein Krieg seyn; denn wir wollen uns in einen Staat formieren, d. i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten friedlich ausgleicht" - das lt sich verstehen. - - Wenn aber dieser Staat sagt: es soll kein Krieg zwischen mir und andern Staaten seyn, obgleich ich keine oberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein und der ich ihr Recht sichere," so ist es gar nicht zu verstehen, worauf ich dann das Vertrauen zu meinem Rechte grnden wolle, wenn es nicht das Surrogat des brgerlichen Gesellschaftsbundes, nmlich der freye Fderalism ist, den die Vernunft mit dem Begriffe [36/37] des Vlkerrechts nothwendig verbinden mu, wenn berall etwas dabey zu denken brigbleiben soll.

    Bey dem Begriffe des Vlkerrechts, als eines Rechts z u m Kriege, lt sich eigentlich gar nichts denken (weil es ein Recht seyn soll, nicht nach allgemein gltigen uern, die Freyheit jedes Einzelnen einschrnkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sey, zu bestimmen), es mte denn darunter verstanden werden: da Menschen, die so gesinnet sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich unter einander aufreiben, und also den ewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alle Gruel der Gewaltthtigkeit sammt ihren Urhebern bedeckt. - Fr Staaten, im Verhltnisse unter einander, kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthlt, herauszukommen, als da sie, ebenso wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freyheit aufgeben, sich zu ffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freylich immer wachsenden) V l k e r st a a t (ciuitas gentium), der [37/38] zuletzt alle Vlker der Erde befassen wrde, bilden. Da sie dieses aber nach ihrer Idee vom Vlkerrecht durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen, so kann an die Stelle der positiven Idee e i n e r W e l t r e p u b l i k (wenn nicht alles verlohren werden soll) nur das n e g a t i v e Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden B u n d e s, den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Neigung aufhalten, doch mit bestndiger Gefahr ihres Ausbruchs (Furor impius intus - fremit horridus ore

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (15 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    cruento. Virgil.)*).

    *) Nach einem beendigten Kriege, beym Friedensschlusse, mchte es wohl fr ein Volk nicht unschicklich seyn, da nach dem Dankfeste ein Butag ausgeschrieben wrde, den Himmel, im Namen des Staats, um Gnade fr die groe Versndigung anzurufen, die das menschliche Geschlecht sich noch immer zu Schulden kommen lt, sich keiner gesetzlichen Verfassung, im Verhltnis auf andere Vlker, fgen zu wollen, sondern stolz auf seine Unabhngigkeit lieber das barbarische Mittel des Krieges (wodurch doch das, was gesucht wird, nmlich das Recht eines jeden Staats nicht ausgemacht wird) zu gebrauchen. - Die Dankfeste whrend dem Kriege ber einen erfochtenen S i e g, die Hymnen, die [38/39] [(]auf gut israelitisch) dem H e r r n d e r H e e r s c h a a r e n gesungen werden, stehen mit der moralischen Idee des Vaters der Menschen in nicht minder starkem Contrast; weil sie auer der Gleichgltigkeit wegen der Art, wie Vlker ihr gegenseitiges Recht suchen (die traurig genug ist), noch eine Freude hineinbringen, recht viel Menschen, oder ihr Glck zernichtet zu haben.

    Dritter Definitivartikel zum ewigen Frieden.

    Das W e l t b r g e r r e ch t soll auf Bedingungen der allgemeinen H o s p i t a l i t t eingeschrnkt seyn."

    E s ist hier, wie in den vorigen Artikeln, nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet H o s p i t a l i t t (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann; so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhlt, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein G a s t r e c h t, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohlthtiger Vertrag erfordert werden wrde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberflche der [40/41] Erde, auf der, als Kugelflche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen knnen, sondern endlich sich doch neben einander dulden zu mssen, ursprnglich aber niemand an einem Orte der Erde zu seyn, mehr Recht hat, als der Andere. - Unbewohnbare Theile dieser Oberflche, das Meer und die Sandwsten, trennen diese Gemeinschaft, doch so, da das S ch i ff, oder das Kameel (das S ch i ff der Wste) es mglich machen, ber diese herrenlose Gegenden sich einander zu

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (16 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    nhern, und das Recht der Oberflche, welches der Menschengattung gemeinschaftlich zukommt, zu einem mglichen Verkehr zu benutzen. Die Unwirthbarkeit der Seeksten (z. B. der Barbaresken), Schiffe in nahen Meeren zu rauben, oder gestrandete Schiffsleute zu Sklaven zu machen, oder die der Sandwsten (der arabischen Beduinen), die Annherung zu den nomadischen Stmmen als ein Recht anzusehen, sie zu plndern, ist also dem Naturrecht zuwider, welches Hospitalittsrecht aber, d. i. die Befugnis der fremden Ankmmlinge, sich nicht weiter erstreckt, als auf die Bedingungen der Mglichkeit, einen Verkehr mit den alten Einwohnern zu v e r s u ch e n. - Auf diese [41/42] Art knnen entfernte Welttheile mit einander friedlich in Verhltnisse kommen, die zuletzt ffentlich gesetzlich werden, und so das menschliche Geschlecht endlich einer weltbrgerlichen Verfassung immer nher bringen knnen.Vergleicht man hiemit das i n h o s p i t a l e Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Welttheils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem B e s u ch e fremder Lnder und Vlker (welches ihnen mit dem E r o b e r n derselben fr einerley gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerlnder, die Gewrzinseln, das Kap etc. waren, bey ihrer Entdeckung, fr sie Lnder, die keinem angehrten; denn die Einwohner rechneten sie fr nichts. In Ostindien (Hindustan brachten sie, unter dem Vorwande blos beabsichtigter Handelsniederlagen, fremde Kriegesvlker hinein, mit ihnen aber Unterdrckung der Eingebohrnen, Aufwiegelung der verschiedenen Staaten desselben zu weit ausgebreiteten Kriegen, Hungersnoth, Aufruhr, Treulosigkeit, und wie die Litaney aller Uebel, die das menschliche Geschlecht drcken, weiter lauten mag. [42/43]China* und Japan (Nipon), die den Versuch mit solchen Gsten gemacht hatten, ha-

    * Um dieses groe Reich mit dem Namen, womit es sich selbst benennt, zu schreiben (nmlich C h i n a, nicht Sina, oder einen diesem hnlichen Laut), darf man nur Georgii Alphab. Tibet. pag. 651-654, vornehmlich Nota b unten, nachsehen. - Eigentlich fhrt es, nach des Petersb. Prof. F i s ch e r Bemerkung, keinen bestimmten Namen, womit es sich selbst benennt; der gewhnlichste ist noch der des Worts Kin, nmlich Gold (welches die Tibetaner mit Ser ausdrcken), daher der Kayser Knig des G o l d e s (des herrlichsten Landes von der Welt) genannt wird, welches Wort wohl im Reiche selbst wie Chin lauten, aber von den italinischen Missionarien (des Gutturalbuchstabens wegen), wie Kin ausgesprochen seyn mag. - Hieraus ersieht man dann, da das von den Rmern sogenannte Land der S e r e r China war, die Seide aber ber G r o -T i b e t (vermuthlich durch K l e i n-T i b e t und die Bucharey ber Persien, so weiter) nach Europa gefrdert worden, welches zu manchen Betrachtungen ber das Alterthum dieses erstaunlichen Staats, in Vergleichung mit dem von Hindustan, bey der Verknpfung mit T i b e t, und durch dieses, mit Japan, hinleitet; indessen da der Nahme Sina oder Tschina, den die Nachbarn diesem Lande geben sollen, zu nichts hinfhrt. - - Vielleicht lt sich auch die uralte, ob zwar nie recht bekannt

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (17 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    gewordene Gemeinschaft [43/44]

    ben daher weislich, jenes zwar den Zugang, aber nicht den Eingang, dieses auch den ersteren

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 43] Europens mit Tibet aus dem, was uns H e s y ch i u s hievon aufbehalten hat, nmlich dem Zuruf pi (Konx Ompax) des Hierophanten in den Eleusinischen Geheimnissen erklren (S. Reise des jngern Anacharsis, 5ter Theil, S.447 u. f.) - Denn nach Georgii Alph. Tibet. bedeutet das Wort Concioa G o t t, welches eine auffallende hnlichkeit mit Konx hat, Pah-cio (ib. p. 520), welches von den Griechen leicht wie pax ausgesprochen werden konnte, promulgator legis, die durch die ganze Natur vertheilte Gottheit (auch Cenresi genannt, p. 177.) - Om aber, welches La Croze durch benedictus, g e s e g n e t, bersetzt, kann, auf die Gottheit angewandt, wohl nichts anders als den S e l i g g e p r i e s e n e n bedeuten, p. 507. Da nun P. F r a n z. H o r a t i u s von den Tibetanischen L h a m as, die er oft befrug, was sie unter Gott (Concioa) verstnden, jederzeit die Antwort bekam: e s i s t d i e V e r s a m m l u n g a l l e r H e i l i g e n" (d. i. der seligen durch die Lamaische Wiedergeburt, nach vielen Wanderungen durch allerley Krper, endlich in die Gottheit zurckgekehrten, in B u r ch a n e, d. i. anbetungswrdige Wesen, verwandelten Seelen (p. 223), so wird jenes geheimnisvolle Wort, Konx Ompax, wohl das h e i l i g e )Konx), selige (Om) und weise (Pax), durch die Welt berall verbreitete hchste Wesen (die personifizierte Natur) bedeuten [44/45]

    nur einem einzigen europischen Volk, den Hollndern, erlaubt, die sie aber doch dabey, wie Gefangene, von der Gemeinschaft mit den Eingebohrnen ausschlieen. Das Aergste hiebey (oder, aus dem Standpunkte eines moralischen Richters betrachtet, das Beste) ist, da sie dieser Gewaltthtigkeit nicht einmal froh werden, da alle diese Handlungsgesellschaften auf dem Punkte des nahen Umsturzes stehen, da die Zuckerinseln, dieser Sitz der allergrausamsten und ausgedachtesten Sklaverey, keinen wahren Ertrag abwerfen, sondern nur mittelbar, und zwar zu einer nicht sehr lblichen Absicht, nmlich zu Bildung der Matrosen fr Kriegsflotten, und also wieder zu Fhrung der Kriege in Europa dienen, und dieses mchten, die von der

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 44] sollen, und in den griechischen M y st e r i e n gebraucht, wohl den M o n o t h e i s m fr die Epopten, im Gegensatz mit dem P o l y t h e i s m des Volks angedeutet haben; obwohl P. H o r a t i u s (a. a. O.) hierunter einen A t h e i s m witterte. - Wie aber jenes geheimnisvolle Wort ber die Tibet zu den Griechen gekommen, lt sich auf obige Art erklren und umgekehrt dadurch auch das frhe Verkehr Europens mit China ber Tibet (vielleicht eher noch als mit Hindustan) wahrscheinlich machen. [45/46]

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (18 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Frmmigkeit viel Werks machen, und, indem sie Unrecht wie Wasser trinken, sich in der Rechtglubigkeit fr Auserwhlte gehalten wissen wollen.Da es nun mit der unter den Vllern [!] der Erde einmal durchgngig berhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, da die Rechtsverletzung an e i n e m Platz der Erde an a l l e n gefhlt wird: so ist die Idee eines Weltbrgerrechts keine phantastische und berspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine nothwendige Ergnzung des ungeschriebenen Codex, sowohl des Staats- als Vlkerrechts zum ffentlichen Menschenrechte berhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der continuirlichen Annherung zu befinden, nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf. [46/47]

    Zusatz .

    Von der Garantie des ewigen Friedens.

    D as, was diese G e w h r (Garantie) leistet, ist nichts Geringeres als die groe Knstlerin, N a t u r (natura daedala rerum), aus deren mechanischem Laufe sichtbarlich Zweckmigkeit hervorleuchtet, durch die Zwietracht der Menschen Eintracht selbst wider ihren Willen emporkommen zu lassen, und darum, gleich als Nthigung einer ihren Wirkungsgesetzen nach uns unbekannten Ursache, S ch i ck s a l, bey Erwgung aber ihrer Zweckmigkeit im Laufe der Welt, als tiefliegende Weisheit einer hheren, auf den objectiven Endzweck des menschlichen Geschlechts gerichteten, und diesen Weltlauf prdeterminirenden Ursache V o r s e h u n g*)*) Im Mechanism der Natur, wozu der Mensch (als Sinnenwesen) mit gehrt, zeigt sich eine ihrer Existenz schon zum Grunde liegende Form, die wir uns nicht anders begreiflich machen knnen, als indem wir ihr den Zweck eines sie vorher bestimmenden Welturhebers unterlegen, dessen Vorherbestimmung [47/48]

    genannt wird, die wir zwar eigentlich nicht an diesen Kunstanstalten der Natur e r k e n n e n,

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 47] wir die (gttliche) V o r s e h u n g berhaupt, und, sofern sie in den A n f a n g der Welt gelegt wird, die g r n d e n d e (prouidentia conditrix; semel iussit, semper parent, Augustin.), im Laufe der Natur aber diesen nach allgemeinen Gesetzen der Zweckmigkeit zu erhalten, die

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (19 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    w a l t e n d e V o r s e h u n g (prouidentia gubernatrix), ferner zu besonderen, aber von dem Menschen nicht vorherzusehenden, sondern nur aus dem Erfolg vermutheten Zwecken, die l e i t e n d e (prouidentia directrix), endlich sogar in Ansehung einzelner Begebenheiten, als gttlicher Zwecke, nicht mehr Vorsehung, sondern F g u n g (directio extraordinaria) nennen, welche aber (da sie in der Tat auf Wunder hinweiset, obgleich die Begebenheiten nicht so genannt werden) als solche erkennen zu wollen, thrigte Vermessenheit des Menschen ist; weil aus einer einzelnen Begebenheit auf ein besonderes Princip der wirkenden Ursache (da diese Begebenheit Zweck, und nicht blo naturmechanische Nebenfolge aus einem anderen uns ganz unbekannten Zwecke sey) zu schlieen ungereimt und voll Eigendnkel ist, so fromm und demthig auch die Sprache hierber lauten mag. - Eben so ist auch die Einteilung der Vorsehung (m a t e r i a l i t e r betrachtet), wie sie auf G e g e n st n d e in der Welt geht, in die a ll g e m e i n e und b e s o n d e r e, falsch und sich selbst widersprechend (da sie z. B. zwar eine [48/49]

    oder auch nur daraus auf sie s ch l i e e n, sondern (wie in aller Beziehung der Form der Din-

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 48] Vorsorge zur Erhaltung der Gattungen der Geschpfe sey, die Individuen aber dem Zufall berlasse); denn sie wird eben in der Absicht allgemein genannt, damit kein einziges Ding als davon ausgenommen gedacht werde. - Vermuthlich hat man hier die Eintheilung der Vorsehung (f o r m a l i t e r betrachtet) nach der Art der Ausfhrung ihrer Absicht gemeynt: nmlich in o r d e n t l i ch e (z. B. das jhrliche Sterben und Wiederaufleben der Natur nach dem Wechsel der Jahreszeiten) und a u e r o r d e n t l i ch e (z. B. die Zufhrung des Holzes an die Eisksten, das da nicht wachsen kann, durch die Meerstrme, fr die dortigen Einwohner, die ohne das nicht leben konnten), wo, ob wir gleich die physisch-mechanische Ursache dieser Erscheinungen uns gut erklren knnen (z. B. durch die mit Holz bewachsene Ufer der Flsse der temperierten Lnder, in welche jene Bume hineinfallen und etwa durch den Gulfstrom weiter verschleppt werden), wir dennoch auch die teleologische nicht bersehen mssen, die auf die Vorsorge einer ber die Natur gebietenden Weisheit hinweiset. - Nur was den in den Schulen gebruchlichen Begriff eines gttlichen B e y t r i t t s, oder Mitwirkung (concursus) zu einer Wirkung in der Sinnenwelt betrifft, so mu dieser wegfallen. Denn das Ungleichartige paaren wollen (gryphes jungere equis) und den, der selbst die vollstndige Ursache der Welt- [49/50]

    ge auf Zwecke berhaupt) nur h i n z u d e n k e n knnen und mssen, um uns von ihrer Mg-

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 49] vernderungen ist, seine eigene prdeterminirende Vorsehung whrend dem Weltlaufe e r g n z e n zu lassen (die

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (20 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    also mangelhaft gewesen seyn mte), z. B. zu sagen, da n ch s t G o t t der Arzt den Kranken zurecht gebracht habe, also als Beystand dabey gewesen sey, ist E r st l i ch an sich widersprechend. Denn causa solitaria non iuuat. Gott ist der Urheber des Arztes sammt allen seinen Heilmitteln, und so mu ihm, wenn man ja bis zum hchsten, uns theoretisch unbegreiflichen Urgrunde hinaufsteigen will, die Wirkung g a n z zugeschrieben werden. Oder man kann sie auch g a n z dem Arzt zuschreiben, so fern wir diese Begebenheit als nach der Ordnung der Natur erklrbar in der Kette der Weltursachen verfolgen. Z w e y t e n s bringt eine solche Denkungsart auch um alle bestimmte Principien der Beurtheilung eines Effekts. Aber in m o r a l i s ch - p r a k t i s ch e r Absicht (die also ganz aufs Uebersinnliche gerichtet ist), z. B. in dem Glauben, da Gott den Mangel unserer eigenen Gerechtigkeit, wenn nur unsere Gesinnung cht war, auch durch uns unbegreifliche Mittel ergnzen werde, wir also in der Bestrebung zum Guten nichts nachlassen sollen, ist der Begriff des gttlichen Concursus ganz schicklich und sogar nothwendig; wobey es sich aber von selbst versteht, da niemand eine gute Handlung (als Begebenheit in der Welt) hieraus zu e r k l r e n ver-[50/51]

    lichkeit, nach der Analogie menschlicher Kunsthandlungen, einen Begriff zu machen, deren Verhltnis und Zusammenstimmung aber zu dem Zwecke, den uns die Vernunft unmittelbar vorschreibt (dem moralischen), sich vorzustellen eine Idee ist, die zwar in t h e o r e t i s ch e r Absicht berschwenglich, in praktischer aber (z. B. in Ansehung des Pflichtbegriffs vom e w i g e n F r i e d e n, um jenen Mechanism der Natur dazu zu benutzen) dogmatisch und ihrer Realitt nach wohl gegrndet ist. - Der Gebrauch des Worts N a t u r ist auch, wenn es, wie hier, blo um Theorie (nicht um Religion) zu thun ist, schicklicher fr die Schranken der menschlichen Vernunft (als die sich in Ansehung des Verhltnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen, innerhalb den Grenzen mglicher Erfahrung halten mu), und b e s ch e i d e n e r, als der Ausdruck einer fr uns erkennbaren V o r s e h u n g, mit dem man sich vermessenerweise ikarische Flgel ansetzt, um dem Geheimnis ihrer unergrndlichen Absicht nher zu kommen.

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 50] suchen mu, welches ein vorgebliches theoretisches Erkenntnis des Uebersinnlichen, mithin ungereimt ist. [51/52]

    Ehe wir nun diese Gewhrleistung nher bestimmen, wird es nthig seyn, vorher den Zustand nachzusuchen, den die Natur fr die auf ihrem groen Schauplatz handelnden Personen veranstaltet hat, der ihre Friedenssicherung zuletzt notwendig macht; - alsdann aber allererst die Art, wie sie diese leiste.Ihre provisorische Veranstaltung besteht darin: da sie 1) fr die Menschen in allen Erdgegenden gesorgt hat, daselbst leben zu knnen; - 2) sie durch K r i e g allerwrts hin, selbst in die unwirthbarsten Gegenden, getrieben hat, um sie zu bevlkern; - 3) durch eben denselben sie in mehr oder weniger gesetzliche Verhltnisse zu treten genthigt hat. - Da in den kalten Wsten am Eismeer noch

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (21 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    das Moos wchst, welches das R e n n t h i e r unter dem Schnee hervorscharrt, um selbst die Nahrung, oder auch das Angespann des Ostiaken oder Samojeden zu seyn; oder da die salzigten Sandwsten doch noch dem Cameel, welches zu Bereisung derselben gleichsam geschaffen zu seyn scheint, um sie nicht unbenutzt zu lassen, enthalten, ist schon bewundernswrdig. Noch deutlicher aber leuchtet der Zweck hervor, wenn [52/53] man gewahr wird, wie auer den bepelzten Thieren am Ufer des Eismeeres, noch Robben, Wallrosse und Wallfische an ihrem Fleische Nahrung, und mit ihrem Thran Feurung fr die dortigen Anwohner darreichen. Am meisten aber erregt die Vorsorge der Natur durch das Treibholz Bewunderung, was sie (ohne da man recht wei, wo es herkommt) diesen gewchslosen Gegenden zubringt, ohne welches Material sie weder ihre Fahrzeuge und Waffen, noch ihre Htten zum Aufenthalt zurichten knnten; wo sie dann mit dem Kriege gegen die Thiere gnug zu thun haben, um unter sich friedlich zu leben. - - Was sie aber d a h i n g e t r i e b e n hat, ist vermuthlich nichts anders als der Krieg gewesen. Das erste K r i e g s w e r k z e u g aber unter allen Thieren, die der Mensch binnen der Zeit der Erdbevlkerung, zu zhmen und huslich zu machen gelernt hatte, ist das P f e r d (denn der Elephant gehrt in die sptere Zeit, nmlich des Luxus schon errichteter Staaten), so wie die Kunst, gewisse, fr uns jetzt, ihrer ursprnglichen Beschaffenheit nach, nicht mehr erkennbare Grasarten, Getraide genannt, anzubauen, ingleichen die Verviel-[53/54]fltigung und Verfeinerung der O b s t a r t e n durch Verpflanzung und Einpfropfung (vielleicht in Europa blo zweyer Gattungen, der Holzpfel und Holzbirnen), nur im Zustande schon errichteter Staaten, wo gesichertes Grundeigenthum statt fand, entstehen konnte, - nachdem die Menschen vorher in gesetzloser Freyheit von dem Jagd-*), Fischer- und Hirtenleben bis zum A c k e r l e b e n durchgedrungen waren, und nun S a l z und E i s e n erfunden ward, vielleicht

    *) Unter allen Lebensweisen ist das J a g d l e b e n ohne Zweifel der gesitteten Verfassung am meisten zuwider; weil die Familien, die sich da vereinzelnen mssen, einander bald f r e m d und sonach in weitluftigen Wldern zerstreut, auch bald f e i n d s e l i g werden, da eine jede zu Erwerbung ihrer Nahrung und Kleidung viel Raum bedarf. - Das N o a ch i s ch e B l u t v e r b o t, 1. M. IX, 4-6 (welches, fters wiederholt, nachher gar den neuangenommenen Christen aus dem Heidenthum, obzwar in anderer Rcksicht, von den Judenchristen zur Bedingung gemacht wurde, Apost. Gesch. XV, 20. XXI, 25 -) scheint uranfnglich nichts anders, als das Verbot des J g e r l e b e n s gewesen zu seyn; weil in diesem der Fall, das Fleisch roh zu essen, oft eintreten mu, mit dem letzteren also das erstere zugleich verboten wird. [54/55]

    die ersteren weit und breit gesuchten Artikel eines Handelsverkehrs verschiedener Vlker wurden, wodurch sie zuerst in ein f r i e d l i ch e s V e r h l t n i s gegen einander, und so, selbst mit Entfernteren, in Einverstndnis, Gemeinschaft und

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (22 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    friedliches Verhltnis unter einander gebracht wurden.Indem die Natur nun dafr gesorgt hat, da Menschen allerwrts auf Erden leben k n n t e n, so hat sie zugleich auch despotisch gewollt, da sie allerwrts leben s o l l t e n, wenngleich wider ihre Neigung, und selbst ohne da dieses Sollen zugleich einen Pflichtbegriff voraussetzte, der sie hiezu, vermittelst eines moralischen Gesetzes, verbnde, - sondern sie hat, zu diesem ihrem Zweck zu gelangen, den Krieg gewhlt. - Wir sehen nmlich Vlker, die an der Einheit ihrer Sprache die Einheit ihrer Abstammung kennbar machen, wie die S a m o j e d e n am Eismeer einerseits, und ein Volk von hnlicher Sprache, zweyhundert Meilen davon entfernt, im A l t a i s ch e n Gebirge andererseits, wozwischen sich ein anderes, nmlich mongalisches, berittenes und hiemit kriegerisches Volk, gedrngt, und so jenen Theil ihres Stammes, [55/56] weit von diesem, in die unwirthbarsten Eisgegenden, versprengt hat, wo sie gewis nicht aus eigener Neigung sich hin verbreitet htten *); - eben so die F i n n e n in der nordlichsten Gegend von Europa, L a p p e n genannt, von den jetzt eben so weit entfernten, aber der Sprache nach mit ihnen verwandten U n g e r n, durch dazwischen eingedrungene Gothische und Sarmatische Vlker getrennt; und was kann wohl anders die E s k i m o s (vielleicht uralte europische Abentheurer, ein von allen Amerikanern

    *) Man knnte fragen: Wenn die Natur gewollt hat, diese Eisksten sollten nicht unbewohnt bleiben, was wird aus ihren Bewohnern, wenn sie ihnen dereinst (wie zu erwarten ist) kein Treibholz mehr zufhrete? Denn es ist zu glauben, da, bey fortrckender Cultur, die Einsassen der temperierten Erdstriche das Holz, was an den Ufern ihrer Strme wchst, besser benutzen, es nicht in die Strme fallen, und so in die See wegschwemmen lassen werden. Ich antworte: Die Anwohner des O b st r o m s, des Jenisey, des Lena u. s. w. werden es ihnen durch Handel zufhren, und dafr die Produkte aus dem Thierreich, woran das Meer an den Eisksten so reich ist, einhandeln; wenn sie (die Natur) nur allererst den Frieden unter ihnen erzwungen haben wird. [56/57]

    ganz unterschiedenes Geschlecht) im Norden, und die P e s ch e r s, im Sden von Amerika, bis zum Feuerlande hingetrieben haben, als der Krieg, dessen sich die Natur als Mittel bedient, die Erde allerwrts zu bevlkern. Der Krieg aber selbst bedarf keines besondern Bewegungsgrundes, sondern scheint auf die menschliche Natur gepfropft zu seyn, und sogar als etwas Edles, wozu der Mensch durch den Ehrtrieb, ohne eigenntzige Triebfedern, beseelt wird, zu gelten: so da K r i e g e s m u t h (von amerikanischen Wilden sowohl, als den europischen, in den Ritterzeiten) nicht blo, w e n n Krieg ist (wie billig), sondern auch, d a Krieg sey, von unmittelbarem groem Werth zu seyn geurtheilt wird, und er oft, blo um jenen zu zeigen, angefangen, mithin an dem Kriege an sich selbst eine innere W r d e gesetzt wird, sogar da ihm auch wohl Philosophen, als einer gewissen Veredlung der Menschheit, eine Lobrede halten, uneingedenk des Ausspruchs jenes

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (23 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Griechen: Der Krieg ist darin schlimm, da er mehr bse Leute macht, als er deren wegnimmt." - So viel von dem, was die Natur f r i h r e n e i g e n e n Z w e ck, in Anse-[57/58]hung der Menschengattung als einer Thierklasse, thut.Jetzt ist die Frage, die das Wesentliche der Absicht auf den ewigen Frieden betrifft: Was die Natur in dieser Absicht, Beziehungsweise auf den Zweck, den dem Menschen seine eigene Vernunft zur Pflicht macht, mithin zur Begnstigung seiner m o r a l i s ch e n A b s i ch t thue, und wie sie die Gewhr leiste, da dasjenige, was der Mensch nach Freyheitsgesetzen thun s o l l t e, aber nicht thut, dieser Freyheit unbeschadet auch durch einen Zwang der Natur, da er es thun w e r d e, gesichert sey, und zwar nach allen drey Verhltnissen des ffentlichen Rechts, des S t a a t s-, V l k e r- und w e l t b r g e r l i ch e n R e ch t s." - Wenn ich von der Natur sage: s i e w i l l, da dieses oder jenes geschehe, so heit das nicht soviel, als: sie legt uns eine Pflicht auf, es zu thun (denn das kann nur die zwangsfreye praktische Vernunft), sondern sie t h u t es selbst, wir mgen wollen oder nicht (fata volentem ducunt, nolentem trahunt).1. Wenn ein Volk auch nicht durch innere Mishelligkeit genthigt wrde, sich unter den [58/59] Zwang ffentlicher Gesetze zu begeben, so wrde es doch der Krieg von auen thun, indem, nach der vorher erwhnten Naturanstalt, ein jedes Volk ein anderes, es drngende Volk zum Nachbar vor sich findet, gegen das es sich innerlich zu einem S t a a t bilden mu, um, als M a ch t, gegen diesen gerstet zu sein. Nun ist die r e p u b l i k a n i s ch e Verfassung die einzige, welche dem Recht der Menschen vollkommen angemessen, aber auch die schwerste zu stiften, vielmehr noch zu erhalten ist, dermaen, da viele behaupten, es msse ein Staat von E n g e l n seyn, weil Menschen mit ihren selbstschtigen Neigungen einer Verfassung von so sublimer Form nicht fhig wren. Aber nun kommt die Natur dem verehrten, aber zur Praxis ohnmchtigen allgemeinen, in der Vernunft gegrndeten Willen, und zwar gerade durch jene selbstschtige Neigungen, zu Hlfe, so, da es nur auf eine gute Organisation des Staats ankommt (die allerdings im Vermgen der Menschen ist), jener ihre Krfte so gegen einander zu richten, da eine die anderen in ihrer zersthrenden Wirkung aufhlt, oder diese aufhebt: so da der Erfolg fr die Vernunft so [59/60] ausfllt, als wenn beyde gar nicht da wren, und so der Mensch, wenn gleich nicht ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Brger zu seyn gezwungen wird. Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst fr ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflsbar und lautet so: Eine Menge von vernnftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze fr ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, da, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen streben, diese einander doch so aufhalten, da in ihrem ffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche bse Gesinnungen htten." Ein solches Problem mu a u f l s l i ch seyn. Denn es ist nicht die moralische Besserung der Menschen, sondern nur der Mechanism der Natur, von dem die

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (24 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Aufgabe zu wissen verlangt, wie man ihn an Menschen benutzen knne, um den Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen in einem Volk so zu richten, da sie sich unter Zwangsgesetze zu begeben einander selbst nthigen, und so den Frie-[60/61]denszustand, in welchem Gesetze Kraft haben, herbeyfhren mssen. Man kann dieses auch an den wirklich vorhandenen, noch sehr unvollkommen organisirten Staaten sehen, da sie sich doch im ueren Verhalten dem, was die Rechtsidee vorschreibt, schon sehr nhern, ob gleich das Innere der Moralitt davon sicherlich nicht die Ursache ist (wie denn auch nicht von dieser die gute Staatsverfassung, sondern vielmehr umgekehrt, von der letzteren allererst die gute moralische Bildung eines Volks zu erwarten ist), mithin der Mechanism der Natur durch selbstschtige Neigungen, die natrlicherweise einander auch uerlich entgegen wirken, von der Vernunft zu einem Mittel gebraucht werden kann, dieser ihrem eigenen Zweck, der rechtlichen Vorschrift, Raum zu machen, und hiemit auch, soviel an dem Staat selbst liegt, den inneren sowohl als ueren Frieden zu befrdern und zu sichern. - Hier heit es also: Die Natur w i l l unwiderstehlich, da das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte. Was man nun hier verabsumt zu thun, das macht sich zuletzt selbst, obzwar mit viel Ungemchlichkeit. - Biegt man das Rohr zu stark, so brichts; [61/62] und wer zu viel will, der will nichts." B o u t e r w e k.2. Die Idee des Vlkerrechts setzt die A b s o n d e r un g vieler von einander unabhngiger benachbarter Staaten voraus, und, obgleich ein solcher Zustand an sich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nicht eine fderative Vereinigung derselben dem Ausbruch der Feindseligkeiten vorbeugt); so ist doch selbst dieser, nach der Vernunftidee, besser als die Zusammenschmelzung derselben, durch eine die andere berwachsende, und in eine Universalmonarchie bergehende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck einben, und ein seelenloser Despotism, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfllt. Indessen ist dieses doch das Verlangen jedes Staats (oder seines Oberhaupts), auf diese Art sich in den dauernden Friedenszustand zu versetzen, da er, wo mglich, die ganze Welt beherrscht. Aber die N a t u r w il l es anders. - Sie bedient sich zweyer Mittel, um Vlker von der Vermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Verschiedenheit der [62/63] S p r a ch e n und der R e l i g i o n e n*), die zwar den Hang zum wechselseitigen Hasse, und Vorwand zum Kriege bey sich fhrt, aber doch bey anwachsender Cultur und der allmhligen Annherung der Menschen, zu grerer Einstimmung in Principien, zum Einverstndnisse in einem Frieden leitet, der nicht, wie jener Despotism (auf dem Kirchhofe der Freyheit), durch Schwchung aller Krfte, sondern durch ihr Gleichgewicht, im lebhaftesten Wetteifer derselben, hervorgebracht und gesichert wird.

    *) V e r s ch i e d e n h e i t d e r R e l i g i o n e n: ein wunderlicher Ausdruck! gerade, als ob man auch von verschiedenen Moralen sprche. Es kann wohl

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (25 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    verschiedene G l a u b e n s a r t e n historischer, nicht in die Religion, sondern in die Geschichte der zu ihrer Befrderung gebrauchten, ins Feld der Gelehrsamkeit einschlagender Mittel und ebenso verschiedene R e l i g i o n s b ch e r (Zendavesta, Vedam, Koram u. s. w.) geben, aber nur eine einzige, fr alle Menschen und in allen Zeiten gltige R e l i g i o n. Jene also knnen wohl nichts anders als nur das Vehikel der Religion, was zufllig ist, und nach Verschiedenheit der Zeiten und Oerter verschieden seyn kann, enthalten. [63/64]3. So wie die Natur weislich die Vlker trennt, welche der Wille jedes Staats, und zwar selbst nach Grnden des Vlkerrechts, gern unter sich durch List oder Gewalt vereinigen mchte; so vereinigt sie auch andererseits Vlker, die der Begriff des Weltbrgerrechts gegen Gewaltthtigkeit und Krieg nicht wrde gesichert haben, durch den wechselseitigen Eigennutz. Es ist der H a n d e l s g e i st, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der frher oder spter sich jedes Volks bemchtigt. Weil nmlich unter allen, der Staatsmacht untergeordneten, Mchten (Mitteln), die G e l d m a ch t wohl die zuverligste seyn mchte, so sehen sich Staaten (freylich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralitt) gedrungen, den edlen Frieden zu befrdern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im bestndigen Bndnisse stnden; denn groe Vereinigungen zum Kriege knnen, der Natur der Sache nach, sich nur hchst selten zutragen, und noch seltener glcken. - Auf die Art garantirt die Natur, durch den Mechanism in den menschlichen [64/65] Neigungen selbst, den ewigen Frieden; freylich mit einer Sicherheit, die nicht hinreichend ist, die Zukunft desselben (theoretisch) zu w e i s s a g e n, aber doch in praktischer Absicht zulangt, und es zur Pflicht macht, zu diesem (nicht blo schimrischen) Zwecke hinzuarbeiten. [65/66]

    Anhang

    I.

    Ueber die Mishelligkeit zwischen der Moral und der Politik, in Absicht auf den ewigen Frieden.

    D ie Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objectiver Bedeutung, als

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (26 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln s o l l e n, und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine Autoritt zugestanden hat, noch sagen zu wollen, da man es doch nicht k n n e. Denn alsdann fllt dieser Begriff aus der Moral von selbst weg (ultra posse nemo obligatur); mithin kann es keinen Streit der Politik, als ausbender Rechtslehre, mit der Moral, als einer [66/67] solchen, aber theoretischen (mithin keinen Streit der Praxis mit der Theorie) geben: man mte denn unter der letzteren eine allgemeine K l u g h e i t s l e h r e, d. i. eine Theorie der Maximen verstehen, zu seinen auf Vortheil berechneten Absichten die tauglichsten Mittel zu whlen, d.i. lugnen, da es berhaupt eine Moral gebe.Die Politik sagt: S e y d k l u g w i e d i e S ch l a n g e n;" die Moral setzt (als einschrnkende Bedingung) hinzu: und o h n e F a l s ch w i e d i e T a u b e n ." Wenn beydes nicht in einem Gebote zusammen bestehen kann, so ist wirklich ein Streit der Politik mit der Moral; soll aber doch durchaus beydes vereinigt seyn, so ist der Begriff vom Gegentheil absurd, und die Frage, wie jener Streit auszugleichen sey, lt sich gar nicht einmal als Aufgabe hinstellen. Obgleich der Satz: E h r l i ch k e i t i s t d i e b e s t e P o l i t i k, eine Theorie enthlt, der die Praxis, leider! sehr hufig widerspricht: so ist doch der gleichfalls theoretische: E h r l i ch k e i t i s t b e s s e r d e n n a l l e P o l i t i k, ber allen Einwurf unendlich erhaben, ja die unumgngliche Bedingung der letzteren. Der [67/68] Grenzgott der Moral weicht nicht dem Jupiter (dem Grenzgott der Gewalt); denn dieser steht noch unter dem Schicksal, d. i. die Vernunft ist nicht erleuchtet genug, die Reihe der vorherbestimmenden Ursachen zu bersehen, die den glcklichen oder schlimmen Erfolg aus dem Thun und Lassen der Menschen, nach dem Mechanism der Natur, mit Sicherheit vorher verkndigen (obgleich ihn dem Wunsche gem hoffen) lassen. Was man aber zu thun habe, um im Gleise der Pflicht (nach Regeln der Weisheit) zu bleiben, dazu und hiemit zum Endzweck leuchtet sie uns berall hell genug vor.Nun grndet aber der Praktiker (dem die Moral bloe Theorie ist) seine trostlose Absprechung unserer gutmthigen Hoffnung (selbst bey eingerumtem S o l l e n und K n n e n) eigentlich darauf: da er aus der Natur des Menschen vorherzusehen vorgibt, er w e r d e dasjenige nie w o l l e n, was erfordert wird, um jenen zum ewigen Frieden hinfhrenden Zweck zu Stande zu bringen. - Freylich ist das Wollen a l l e r e i n z e l n e n Menschen, in einer gesetzlichen Verfassung nach Freyheitsprinzipien zu leben (die d i s t r i b u t i v e Einheit des Wil-[68/69]lens A l l e r), zu diesem Zweck nicht hinreichend, sondern da A l l e z u s a m m e n diesen Zustand wollen (die c o l l e k t i v e Einheit des vereinigten Willens), diese Auflsung einer schweren Aufgabe, wird noch dazu erfordert, damit ein Ganzes der brgerlichen Gesellschaft werde, und, da also ber diese Verschiedenheit des particularen Wollens Aller, noch eine vereinigende Ursache desselben hinzukommen mu, um einen gemeinschaftlichen Willen herauszubringen, welches Keiner von Allen vermag: so ist in der A u s f b r u n g jener Idee (in der Praxis)

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (27 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    auf keinen andern Anfang des rechtlichen Zustandes zu rechnen, als den durch G e w a l t, auf deren Zwang nachher das ffentliche Recht gegrndet wird; welches dann freylich (da man ohnedem des Gesetzgebers moralische Gesinnung hiebey wenig in Anschlag bringen kann, er werde, nach geschehener Vereinigung der wsten Menge in ein Volk, diesem es nur berlassen, eine rechtliche Verfassung durch ihren gemeinsamen Willen zustande zu bringen) groe Abweichungen von jener Idee (der Theorie) in der wirklichen Erfahrung schon zum voraus erwarten lt. [69/70]Da heit es dann: wer einmal die Gewalt in Hnden hat, wird sich vom Volk nicht Gesetze vorschreiben lassen. Ein Staat, der einmal im Besitz ist, unter keinen ueren Gesetzen zu stehen, wird sich in Ansehung der Art, wie er gegen andere Staaten sein Recht suchen soll, nicht von ihrem Richterstuhl abhngig machen, und selbst ein Welttheil, wenn er sich einem andern, der ihm brigens nicht im Wege ist, berlegen fhlt, wird das Mittel der Verstrkung seiner Macht, durch Beraubung oder gar Beherrschung desselben, nicht unbenutzt lassen; und so zerrinnen nun alle Plane der Theorie, fr das Staats-, Vlker- und Weltbrgerrecht, in sachleere unausfhrbare Ideale, dagegen eine Praxis, die auf empirische Principien der menschlichen Natur gegrndet ist, welche es nicht fr zu niedrig hlt, aus der Art, wie es in der Welt zugeht, Belehrung fr ihre Maximen zu ziehen, einen sicheren Grund fr ihr Gebude der Staatsklugheit zu finden allein hoffen knne.

    Freylich, wenn es keine Freyheit und darauf gegrndetes moralisches Gesetz giebt, sondern alles, was geschieht oder geschehen kann, [70/71] bloer Mechanism der Natur ist, so ist Politik (als Kunst, diesen zur Regierung der Menschen zu benutzen) die ganze praktische Weisheit, und der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedanke. Findet man diesen aber doch unumgnglich nthig, mit der Politik zu verbinden, ja ihn gar zur einschrnkenden Bedingung der letztern zu erheben, so mu die Vereinbarkeit beyder eingerumt werden. Ich kann mir nun zwar einen m o r a l i s ch e n P o l i t i k e r, d. i. einen, der die Principien der Staatsklugheit so nimmt, da sie mit der Moral zusammen bestehen knnen, aber nicht einen p o l i t i s ch e n M o r a l i st e n denken, der sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vortheil des Staatsmanns sich zutrglich findet.Der moralische Politiker wird es sich zum Grundsatz machen: wenn einmal Gebrechen in der Staatsverfassung oder im Staatenverhltnis angetroffen werden, die man nicht hat verhten knnen, so sey es Pflicht, vornehmlich fr Staatsoberhupter, dahin bedacht zu seyn, wie sie, sobald wie mglich, gebessert, und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft uns zum Muster vor Augen steht, angemessen [71/72] gemacht werden knne: sollte es auch ihrer Selbstsucht Aufopferungen kosten. Da nun die Zerreiung eines Bandes der Staats- oder Weltbrgerlichen Vereinigung, ehe noch eine bessere Verfassung an die Stelle derselben zu treten in Bereitschaft ist, aller, hierin mit der Moral einhelligen,

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (28 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Staatsklugheit zuwider ist, so wre es zwar ungereimt, zu fordern, jenes Gebrechen msse sofort und mit Ungestm abgendert werden; aber da wenigstens die Maxime der Notwendigkeit einer solchen Abnderung dem Machthabenden innigst beywohne, um in bestndiger Annherung zu dem Zwecke (der nach Rechtsgesetzen besten Verfassung) zu bleiben, das kann doch von ihm gefordert werden. Ein Staat kann sich auch schon republikanisch r e g i e r e n, wenn er gleich noch, der vorliegenden Constitution nach, despotische H e r r s ch e r m a ch t besitzt: bis allmhlig das Volk des Einflusses der bloen Idee der Autoritt des Gesetzes (gleich als ob es physische Gewalt bese) fhig wird, und sonach zur eigenen Gesetzgebung (welche ursprnglich auf Recht gegrndet ist) tchtig befunden wird. Wenn auch durch den Ungestm einer von der schlechten [72/73] Verfassung erzeugten R e v o l u t i o n unrechtmigerweise eine gesetzmigere errungen wre, so wrde es doch auch alsdann nicht mehr fr erlaubt gehalten werden mssen, das Volk wieder auf die alte zurck zu fhren, obgleich whrend derselben jeder, der sich damit gewaltthtig oder arglistig bemengt, mit Recht den Strafen des Aufrhrers unterworfen seyn wrde. Was aber das uere Staatenverhltnis betrifft, so kann von einem Staat nicht verlangt werden, da er seine, obgleich despotische Verfassung (die aber doch die strkere in Beziehung auf uere Feinde ist) ablegen solle, solange er Gefahr luft, von andern Staaten so fort verschlungen zu werden; mithin mu bey jenem Vorsatz doch auch die Verzgerung der Ausfhrung bis zu besserer Zeitgelegenheit erlaubt seyn*).

    *) Dies sind Erlaubnisgesetze der Vernunft, den Stand eines mit Ungerechtigkeit behafteten ffentlichen Rechts noch so lange beharren zu lassen, bis zur vlligen Umwlzung alles entweder von selbst gereift, oder durch friedliche Mittel der Reife nahe gebracht worden; weil doch irgend eine r e ch t l i ch e, obzwar nur in geringem Grade rechtmige, Verfassung [73/74]

    Es mag also immer seyn: da die despotisirenden (in der Ausbung fehlenden) Moralisten wider die Staatsklugheit (durch bereilt genommene oder angepriesene Maaregeln) mannichfaltig verstoen, so mu sie doch die Erfahrung, bey diesem ihrem Versto wider die Natur, nach und nach in ein besseres Gleis bringen; statt dessen die moralisierenden Politiker, durch Beschnigung rechtswidriger Staatsprincipien, unter dem Vorwande einer des Guten, nach der Idee, wie sie die Vernunft vorschreibt, nicht f h i g e n menschlichen Natur, so viel an ihnen ist, das Besserwerden u n m g l i ch m a ch e n, und die Rechtsverletzung verewigen.

    [Fortstzung der Anmerkung von S. 73] besser ist als gar keine, welches letztere Schicksal (der Anarchie) eine b e r e i l t e Reform treffen wrde. - Die Staatsweisheit wird sich also in dem Zustande, worin die Dinge jetzt sind, Reformen, dem Ideal des ffentlichen Rechts angemessen, zur Pflicht machen: Revolutionen aber, wo sie die Natur von selbst herbey fhrt, nicht zur Beschnigung einer noch greren Unterdrckung, sondern als Ruf der Natur

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (29 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    benutzen, eine auf Freyheitsprincipien gegrndete gesetzliche Verfassung, als die einzige dauerhafte, durch grndliche Reform zu Stande zu bringen. [74/75]

    Statt der Praxis, deren sich diese staatsklugen Mnner rhmen, gehen sie mit P r a k t i k e n um, indem sie blo darauf bedacht sind, dadurch, da sie der jetzt herrschenden Gewalt zum Munde reden (um ihren Privatvorteil nicht zu verfehlen), das Volk, und, wo mglich, die ganze Welt preiszugeben; nach der Art chter Juristen (vom Handwerke, nicht von der G e s e tz g e b u n g), wenn sie sich bis zur Politik versteigen. Denn da dieser ihr Geschfte nicht ist, ber Gesetzgebung selbst zu vernnfteln, sondern die gegenwrtige Gebote des Landrechts zu vollziehen, so mu ihnen jede, jetzt vorhandene, gesetzliche Verfassung, und, wenn diese hhern Orts abgendert wird, die nun folgende, immer die beste seyn; wo dann alles so in seiner gehrigen mechanischen Ordnung ist. Wenn aber diese Geschicklichkeit, fr alle Sttel gerecht zu seyn, ihnen den Wahn einflt, auch ber Principien einer S t a a t s v e r f a s s u n g berhaupt nach Rechtsbegriffen (mithin a priori, nicht empirisch) urtheilen zu knnen: wenn sie darauf gro thun, M e n s ch e n zu kennen (welches freylich zu erwarten ist, weil sie mit vielen zu thun haben), ohne doch d e n M e n s ch e n, [75/76] und was aus ihm gemacht werden kann, zu kennen (wozu ein hherer Standpunkt der Anthropologischen Beobachtung erfordert wird), mit diesen Begriffen aber versehen, ans Staats- und Vlkerrecht, wie es die Vernunft vorschreibt, gehen: so knnen sie diesen berschritt nicht anders, als mit dem Geist der Chicane thun, indem sie ihr gewohntes Verfahren (eines Mechanisms nach despotisch gegebenen Zwangsgesetzen) auch da befolgen, wo die Begriffe der Vernunft einen nur nach Freyheitsprincipien gesetzmigen Zwang begrndet wissen wollen, durch welchen allererst eine zu Recht bestndige Staatsverfassung mglich ist; welche Aufgabe der vorgebliche Praktiker, mit Vorbeygehung jener Idee, empirisch, aus Erfahrung, wie die bisher noch am besten bestandene, mehrentheils aber rechtswidrige, Staatsverfassungen eingerichtet waren, lsen zu knnen glaubt. - Die Maximen, deren er sich hiezu bedient (ob er sie zwar nicht laut werden lt), laufen ohngefhr auf folgende sophistische Maximen hinaus.

    1. Fac et excusa. Ergreife die gnstige Gelegenheit zur eigenmchtigen Besitznehmung [76/77] (entweder eines Rechts des Staats ber sein Volk, oder ber ein anderes benachbarte); die Rechtfertigung wird sich weit leichter und zierlicher n a ch d e r T h a t vortragen, und die Gewalt beschnigen lassen (vornehmlich im ersten Fall, wo die obere Gewalt im Innern so fort auch die gesetzgebende Obrigkeit ist, der man, gehorchen mu, ohne darber zu vernnfteln); als wenn man zuvor auf berzeugende Grnde sinnen, und die Gegengrnde darber noch erst abwarten wollte. Diese Dreustigkeit selbst gibt einen gewissen Anschein von innerer Ueberzeugung der Rechtmigkeit der That, und der Gott bonus euentus ist nachher der beste Rechtsvertreter.

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (30 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    2. Si fecisti, nega. Was du selbst verbrochen hast, z. B. um dein Volk zur Verzweiflung, und so zum Aufruhr zu bringen, das lugne ab, da es d e i n e Schuld sey; sondern behaupte, da es die der Widerspenstigkeit der Unterthanen, oder auch, bey deiner Bemchtigung eines benachbarten Volks, die Schuld der Natur des Menschen sey, der, wenn er dem Andern nicht mit Gewalt zuvorkommt, sicher [77/78] darauf rechnen kann, da dieser ihm zuvorkommen und sich seiner bemchtigen werde.

    3. Diuide et impera. Das ist: sind gewisse privilegierte Hupter in deinem Volk, welche dich blo zu ihrem Oberhaupt (primus inter pares) gewhlt haben, so veruneinige jene unter einander, und entzweye sie mit dem Volk: stehe nun dem letztern, unter Vorspiegelung grerer Freyheit, bei, so wird alles von deinem unbedingten Willen abhngen. Oder sind es uere Staaten, so ist Erregung der Mishelligkeit unter ihnen ein ziemlich sicheres Mittel, unter dem Schein des Beystandes des Schwcheren, einen nach dem andern dir zu unterwerfen.

    Durch diese polititischen Maximen wird nun zwar niemand hintergangen; denn sie sind insgesammt schon allgemein bekannt; auch ist es mit ihnen nicht der Fall sich zu schmen, als ob die Ungerechtigkeit gar zu offenbar in die Augen leuchtete. Denn, weil sich groe Mchte nie vor dem Urtheil des gemeinen Haufens, sondern nur eine vor der andern schmen, was aber jene Grundstze betrifft, nicht das Offenbarwerden, [78/79] sondern nur das M i s l i n g e n derselben sie beschmt machen kann (denn in Ansehung der Moralitt der Maximen kommen sie alle untereinander berein), so bleibt ihnen immer die p o l i t i s ch e E h r e brig, auf die sie sicher rechnen knnen, nmlich die der V e r g r e r u n g i h r e r M a ch t, auf welchem Wege sie auch erworben seyn mag*).

    *) Wenn gleich eine gewisse in der menschlichen Natur gewurzelte Bsartigkeit von M e n s ch e n, die in einem Staat zusammen leben, noch bezweifelt, und, statt ihrer, der Mangel einer noch nicht weit genug fortgeschrittenen Cultur (die Rohigkeit) zur Ursache der gesetzwidrigen Erscheinungen ihrer Denkungsart mit einigem Scheine angefhrt werden mchte, so fllt sie doch, im ueren Verhltnis der S t a a t e n gegen einander, ganz unverdeckt und unwidersprechlich in die Augen. Im Innern jedes Staats ist sie durch den Zwang der brgerlichen Gesetze verschleyert, weil der Neigung zur wechselseitigen Gewaltthtigkeit der Brger eine grere Gewalt, nmlich die der Regierung, mchtig entgegenwirkt, und so nicht allein dem Ganzen einen moralischen Anstrich (causae non causae) giebt, sondern auch dadurch, da dem Ausbruch gesetzwidriger Neigungen ein Riegel vorgeschoben wird, die Entwickelung der moralischen Anlage, zur unmittelbaren Achtung frs Recht, [79/80]

    * * *

    http://www.philosophiebuch.de/ewfried.htm (31 von 41)25.03.2005 13:04:09

  • Kant; Zum ewigen Frieden (Ersttext)

    Aus allen diesen Schlangenwendungen einer unmoralischen Klugheitslehre, den Friedenszustand unter Menschen, aus dem kriegerischen des Naturzustandes herauszubringen, erhellet

    [Fortsetzung der Anmerkung von S. 79] wirklich viel Erleichterung bekommt. - Denn ein jeder glaubt nun von sich, da er wohl den Rechtsbegriff heilig halten und treu befolgen wrde, wenn er sich nur von jedem andern eines Gleichen gewrtigen knnte; welches letztere ihm die Regierung zum Theil sichert; wodurch dann ein groer Schritt z u r Moralitt (obgleich noch nicht moralischer Schritt) gethan wird, diesem Pflichtbegriff auch um sein selbst willen, ohne Rcksicht auf Erwiederung, anhnglich zu seyn. - Da ein jeder aber, bey seiner guten Meynung von sich selber, doch die bse Gesinnung bey allen anderen voraussetzt, so sprechen sie einander wechselseitig ihr Urtheil: da sie alle, was das F a c t u m betrifft, wenig taugen (woher es komme, da es doch der N a t u r des Men