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Die Chemie, Biochemie, 15. Jahrgang Nahrung Mikrobiologie, Technologie 1971 Heft a Aus dem Zentralinstitut far Em5hrunp: in Potsdam-Rehbrticke der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Bereich Fremdstoffe in Nahrung und Erniihrung; Leiter: Prof. Dr. R. ENGST) Zum Metabolismus ausgewahlter Pflanzenschuts- und S~hadlingsbekampfungsmittel~~~ R. ENGST DK 632.95.024.391 Pistizide. Stoffwechsel, Toxizitit Unter den Risikofaktoren in der Ernarung sind die Pestizidrtickstande als Fremdstoffe besonders aktuell. Einerseits sind es Stoffe, die nachweislich auch dem Warmbltiter gegentiber nicht indifferent sind; andererseits wird eine Beurteilung und damit eine Beherrschung der Situation vom lebensmittelhygienisch-toxikologischen Standpunkt aus dadurch erschwert, daO mit den Lebensmitteln haufig nicht nur die ursprunglichen Wirkstoffe, sondern auch chemische Abbauprodukte bzw. Metabolite mit teilweise nicht unerheblich veranderten toxikologischen Eigenschaften aufgenomnien werden. Die vorstehendcn Erkenntnisse werden unter Bezugnahme auf einige eigene Untersu- chungsergebnisse erllutert, die sich auf den Metabolismus des DDT, der Thiophosphor- shreester, der Athylen-bis-dithiocarbamate, der Carbamate und Phthalirnide beziehen. Die exakte lebensmittelhygienisch-toxikologische Betrachtung der Pestizidrtickstande erfordert nach Vorstehendem nicht nur eine Ausweitung der ohnehin schon komplizier- ten Analytik. sondern aucli der toxikologischen Untersuchungen auf wichtige hletabo- lite. Dabei bedurfen summativ toxische Stoffe und Kombinations- bzw. Potenzierungs- effekte besonderer Beachtung. Riickstande von Pflanzenschutz- und Schadlingsbekampfungsmitteln auf Nahrungsgiitern sind in den meisten Landern Fremdstoffe im Sinne der Lebens- mittelgesetzgebung [I]. Im allgemeinen werden die Fremdstoffe in den Stoffwechsel nicht normal ein- bezogen, und haufig sind sie sogar mehr oder weniger toxisch. Neben Fragen der akuten Toxizitat ist wegen der langfristigen Aufnahme kleinster Mengen voI allem carcinogenen, mutagenen und teratogenen Wirkungen Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es ist zu beriicksichtigen, daB das Zusammenwirken von Spuren der verschiedensten Fremdstoffe oft zu Synergismen, Antagonismen und sogar Pestizid-Metabolite, Toxizitit . 1 Herrn Prof, Dr. M. PAILER, Wien, zum 60. Geburtstag gewidmet. * nach einem Vortrag, gehaltcn in Wien am 15. 5. 1071. 54 Die Nahrung. 15. Jhg., Heft 8

Zum Metabolismus ausgewählter Pflanzenschutz-und Schädlingsbekämpfungsmittel

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Die Chemie, Biochemie,

15. Jahrgang

Nahrung Mikrobiologie, Technologie

1971 Heft a

Aus dem Zentralinstitut far Em5hrunp: in Potsdam-Rehbrticke der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin

(Bereich Fremdstoffe in Nahrung und Erniihrung; Leiter: Prof. Dr. R. ENGST)

Zum Metabolismus ausgewahlter Pflanzenschuts- und S~hadlingsbekampfungsmittel~~~

R. ENGST

DK 632.95.024.391 Pistizide. Stoffwechsel, Toxizitit

Unter den Risikofaktoren in der Ernarung sind die Pestizidrtickstande als Fremdstoffe besonders aktuell. Einerseits sind es Stoffe, die nachweislich auch dem Warmbltiter gegentiber nicht indifferent sind; andererseits wird eine Beurteilung und damit eine Beherrschung der Situation vom lebensmittelhygienisch-toxikologischen Standpunkt aus dadurch erschwert, daO mit den Lebensmitteln haufig nicht nur die ursprunglichen Wirkstoffe, sondern auch chemische Abbauprodukte bzw. Metabolite mit teilweise nicht unerheblich veranderten toxikologischen Eigenschaften aufgenomnien werden. Die vorstehendcn Erkenntnisse werden unter Bezugnahme auf einige eigene Untersu- chungsergebnisse erllutert, die sich auf den Metabolismus des DDT, der Thiophosphor- shreester, der Athylen-bis-dithiocarbamate, der Carbamate und Phthalirnide beziehen. Die exakte lebensmittelhygienisch-toxikologische Betrachtung der Pestizidrtickstande erfordert nach Vorstehendem nicht nur eine Ausweitung der ohnehin schon komplizier- ten Analytik. sondern aucli der toxikologischen Untersuchungen auf wichtige hletabo- lite. Dabei bedurfen summativ toxische Stoffe und Kombinations- bzw. Potenzierungs- effekte besonderer Beachtung.

Riickstande von Pflanzenschutz- und Schadlingsbekampfungsmitteln auf Nahrungsgiitern sind in den meisten Landern Fremdstoffe im Sinne der Lebens- mittelgesetzgebung [I].

Im allgemeinen werden die Fremdstoffe in den Stoffwechsel nicht normal ein- bezogen, und haufig sind sie sogar mehr oder weniger toxisch. Neben Fragen der akuten Toxizitat ist wegen der langfristigen Aufnahme kleinster Mengen voI allem carcinogenen, mutagenen und teratogenen Wirkungen Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es ist zu beriicksichtigen, daB das Zusammenwirken von Spuren der verschiedensten Fremdstoffe oft zu Synergismen, Antagonismen und sogar

Pestizid-Metabolite, Toxizitit

.

1 Herrn Prof, Dr. M. PAILER, Wien, zum 60. Geburtstag gewidmet. * nach einem Vortrag, gehaltcn in Wien am 15. 5. 1071.

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zu Potenzierungseffekten fuhren und summative und kumulative Wirkungen auslosen kann.

Der Versuch, durch Anwendungsvorschriften und Toleranzfestlegungen fur Pflanzenschutz- und Schadlingsbekampfungsmittel eine Einschriinkung der Wirkstoffaufnahmen zu erreichen, kennzeichnet daher die Bemuhungen der Gesetzgeber vieler Staaten. Die urspriinglichen Festlegungen, denen die tag- liche und die absolute Aufnahme wahrend eines ganzen Lebens in Abhangigkeit von den Verzehrsgewohnheiten und den Toxizitatseigenschaften zugrunde lie- gen, basieren fast ausschlieBlich auf Ermittlungen, die auf die reinen, ursprung- lich eingesetzten Wirkstoffe zuruckzufiihren sind. Tatsachlich sind aber in vielen Fallen bereits auf dem verzehrsfertigen Lebensmittel nicht mehr oder nicht nur diese urspriinglichen Wirkstoffe, sondern ihre Abbau- und Umwandlungspro- dukte mit z. T. nicht unerheblich veranderter Toxizitat anzutreffen.

Bei der Umwandlung bzw. dem Abbau derartiger Stoffe uberwiegen Reak- tionen, die zu einer Entgiftung der Wirkstoffe fuhren. In einigen Fallen kon- nen innerhalb dieses Reaktionsablaufes jedoch auch Zwischenprodukte mit wesentlich hoherer Toxizitat entstehen.

Wir haben uns in Rehbriicke unter diesem Gesichtspunkt mit chlorierten Kohlenwasserstoffen - speziell dem DDT -, Organophosphaten, Phthalimiden, Carbamidsaurederivaten und Dithiocarbamaten befal3t.

Zum Abbau von DDT

Bei den Untersuchungen zum Abbau des DDT konnte ein kompletter Abbau- cyclus durch Modellversuche belegt werden [z , 31, der in Abb. I wiedergegeben wird.

Der Metabolismus ftihrt im Endeffekt zu den wasserloslichen Abbauprodukten DDOH (Dichlordiphenylathanol), DDA (Dichlordiphenylessigsaure) und DCB (Dichlorbenzophenon). Die instabile aldehydische Zwischenstufe konnte an- hand des dargestellten Aldehyds DDHO (Dichlordiphenylacetaldehyd) eben- falls endgiiltig bewiesen werden [4]. Wasserlosliche Substanzen konnen aus dem Organismus eliminiert werden. Bei der resistenten Korperlaus ist der schnelle Abbau zum Dichlorbenzophenon nachgewiesen und somit eine interessante bio- chemische Erklarung zur Resistenz gegenuber dem DDT gegeben [5-7]. Das Vorkommen geringer Mengen von DDA im Warmbliiterharn ist ebenfalls fest- gestellt worden. Leider verlauft der Abbau.im Warmbltiter aber sehr zogernd und offensichtlich nur bis zu einem gewissen Gleichgewicht. Die Toxizitat der Abbauprodukte ist von der Stellung in der Abbaukette abhangig. Im Falle des DDT ist der eingesetzte Wirkstoff, der am Anfang der Kette steht, die zu was- serloslichen Produkten fuhrt, tatsachlich der toxikologisch beachtenswerteste.

Die Hortung der lipophilen Ausgangs- und Zwischenprodukte im mensch- lichen Korperfett mit ihrer recht zweifelhaften toxikologischen Einschatzung ist nun einmal Tatsache [S,g], so daB wir uns mit dem volligen Verzicht auf diesen Wirkstoff recht bald vertraut machen mussen, wie es andere Lander bereits getan haben.

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Abb. I . Abbau des DDT durch Mikroorganismen nach ENGST und KLJJAWA Erlaiuterung.: DDT = 1,1.r-Trichlor-2,2-bis(p-chlorphenyl)athan; DDE = ~,~-Dichlor-z,z- bis(p-chlorpheny1)athylen ; DDD = I , 1-Dichlor-z.2-bis(p-chlorphenyl)athan; DDMM = I-Chlor-2.2-bis(p-chlorpheny1)athylen; DDHO = z,z-bis(p-chlorpheny1)acetaldehyd ; DDOH = z,z-bis(p-chlorpheny1)lthanol; DDA = 2,z-bis(p-chlorphenyl)essigsaure; DCB = 4.4'-

Dichlorbenzophenon * Die in der Literatur gebrauchlichen Abktirzungen sind aus der englischen Bezeichnung ab- geleitet.

Zum Abbau von Organophosphaten

Insektizide Organophosphate als die klassischen Cholinesterasehemmer unter- liegen im Warmbluterorganismus einem Urn- und Abbau, der ebenfalls vor- wiegend enzymatischer Natur ist. Die innerhalb dieses Um- und Abbaues stattfindenden Reaktionen sind Hydrolysen, Reduktionen und Oxydationen [IO, 111 (Abb. 2).

Die Hydrolyse der Phosphor- bzw. Thiophosphorsaureester erfolgt vorwiegend an der P-0- bzw. P-S-Bindung unter Abspaltung des aciden Restes (X) und der Bildung von Dialkylphosphor-, Dialkylthiophosphor- bzw. Dialkyldithiophos- phorsaure. Sie bewirkt eine Entgiftung der phosphororganischen Insektizide. Einen weiteren Abbauweg macht sich das Alkylierungsvermogen der Phosphor- 549

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saureester zunutze. Die dabei stattfindende Entalkylierung der Ester tritt beson- ders bei den 0,O-Dimethylestern, schwacher ausgepragt bei den 0,O-Diathyl- estern auf. Im Harn von Ratten haben amerikanische Autoren nach Applika- tion von parathionahnlichen Verbindungen in geringen Mengen die entspre-

147 Glucuronsaure

Abb. 2 . Abbau des Parathion im Organismus des Rindes (zit. bei O'ERIEN [I I])

chenden Monoalkylderivate nachgewiesen [IZ], die weiter zu den entsprechen- den Monoalkylphosphorsauren hydrolysiert wurden.

0 S

Ro\j-X, R o \ L X , / HO / HO

Dieser spezielle hydrolytische Abbauweg fiihrt zwar zu einer Entgiftung der biologisch aktiveii Phosphorsaureester, aber man muB die Fragwiirdigkeit freier Radikale im Hinblick auf die Cancerogenese einkalkulieren.

Reduktive Prozesse spielen lediglich bei den Nitrogruppen enthaltenden Phosphorsaureestern, z. B. Parathion und Methylparathion, eine Rolle. Ini Harn von Kiihen konnten nach oraler Applikation von Parathion in diesem Sinne groJ3ere Mengen Aminoparathion gefunden werden.

Das Verhalten der verschiedenen Inhibitoren gegeniiber der Cholinesterase und damit auch ihre toxikologische Einschatzung sind sehr unterschiedlich. Neben den direkt hemmenden Phosphor- und Thiolphosphorsaureestern stehen die Thionophosphorsaureester einschlieBlich der Dithiophosphorsaureester, die erst'nach Oxydation zum PO-Analogen, dem Oxon, zu starken Esterasehem- mern werden. Die Vermutung, dal3 die Oxonbildung in jedem Falle fur die starke toxische Wirkung verantwortlich ist, erscheint daher naheliegend.

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Die Widerspruche hinsichtlich der Rolle der metabolisch entstehenden Oxone bei Intoxikationen gaben in unserem Institut AnlaB zu Untersuchungen an Ratten [13]. Aus den Untersuchungen ergibt sich, daS das Methylparathion in vivo zum Methylparaoxon, dem PO-Analogen, oydiert werden muI3. Auf Grund der Verteilung des Methylparathions im Organismus und des gehauften Auf- tretens von Methylparaoxon in Muskelgeweben - und nicht in der Leber - muB geschlossen werden, daB entgegen bisherigen Anschauungen auf Grund von In-vitro-Untersuchungen nicht in erster Linie fur die Intoxikation eine In- vivo-Oxydation in der Leber verantwortlich zu machen ist [14].

Die angefuhrten Untersuchungen bestatigen aber, daB grundsatzlich die akut toxische Wirkung der Thionophosphorsaureester im wesentlichen auf eine vor- ausgehende Oxydation zu den entsprechenden Oxoverbindungen zuruckzu- fuhren ist, die offensichtlich wenigstens teiiweise im Muskelgewebe stattfindet.

Zum A bbau der Dithiocarbamate

Als drittes Beispiel zur Bedeutung des Metabolismus bzw. der Abbau- und Umwandlungsreaktionen fur die Beurteilung seien die fungiziden Dithiocarb- amate genannt.

Toxische Wirkungen beim Menschen auBern sich u. a. in allergischen Haut- reaktionen [IS] sowie Entzundungen der oberen Atemwege und der Augen- schleimhaute [16].

Die akute orale Toxizitat der Wirkstoffe selbst gegenuber dem Warmbluter- organismus ist relativ gering. Diese Feststellungen erlauben aber keine Aussa- gen uber die mogliche Gefahrdung durch Spritzmittelriickstande. Wir miissen berucksichtigen, daB wegen des schnellen Abbaus der Dithiocarbamate neben den unveranderten Wirkstoffen erhebliche Mengen von Abbauprodukten unter- schiedlicher Toxizitat zu erwarten sind.

Untersuchungen uber den In-vitro-Abbau der Dithiocarbamate, iiber die bereits mehrfach berichtet wurde, haben ergeben, daB als Hauptabbaupro- dukte von Maneb, Zineb und Nabam neben elementarem Schwefel Athylen- bis-thioharnstoff (ATH), Athylen-bis-thiuramdisulfid und -monosulfid (ATD und ATM) sowie Athylen-diisothiocyanat (Senfol) gebildet werden. Die Ergebnisse der In-vitro-Abbauversuche fuhrten zu dem Abbau-Schema gemaB Abb. 3 [I7 - 191.

Die in dem Schema fixierten Abbauwege lassen sich auf 3 Grundreaktionen zuriickfuhren : I. Oxydation der beiden SH-Gruppen zum Disulfid 2 . Abspaltung von Schwefelkohlenstoff aus der Carbamidsauregruppe unter

Bildung eines Amins 3. Abspaltung von Schwefelwasserstoff aus der Carbamidsauregruppe unter

Bildung eines Senfols. Hat sich aus einer Carbamidsauregruppe eine Isothiocyanogruppe gebildet,

so sind folgende Sekundarreaktionen moglich :

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I.

2 .

Direkte Addition der SH-Gruppe aus der Carbamidsaure unter Bildung von At hylent hiurammonosulf id ( ATM) (intramolekular = monomer) (intermolekular = polymer) Nach Schwefelkohlenstoflabspaltung Addition der aus der zweiten Carbamid- sauregruppe nach CS,-Abspaltung gebildeten Aminogruppe unter Bildung von Athylen-thioharnstoff (ATH) (nur intramolekular, also monomer)

Abb. 3. Oxydativer In-vitro-Abbau der Athylen-bis-dithiocarbamate nach ENGST u. SCHNAAK

Erlauterung : XDTC = Athylen-bis-dithiocarbamidsaure: ADA = Athylendianiin : ATD = Athylen-bis- thiuramdisulfid; ATM = Athylen-bis-thiurammonosulfid ; Senfol = Athylendiisothiocyanat ;

ATH = Athylen-bis-thioharnstoff

Die Fahigkeit der Athylen-bis-dithiocarbamate, durch H,S-Abspaltung Senf- ol zu bilden, kann als Ursache dafur angesehen werden, daB sie gegenuber den Dimethyldithiocarbamaten Ferbam und Ziram einen intensiveren Abbau zei- gen. Die Athylen-bis-dithiocarbamate sind deshalb hinsichtlich der lebens- niittelhygienisch-toxikologischen Beurteilung der Spritzrtickstande besonders problematisch. Die beim In-vitro-Abbau erhaltenen Produkte wurden auch im Freilandversuch an mit Maneb und Zineb behandelten Tomaten festgestellt. Die maximalen Rtickstandswerte betrugen beim ATM 0,15 ppm und beim ATH 0,05 ppm. Selbst das instabile Senfol war diinnschichtchromatographisch in Spuren nachweisbar [zo].

Die Dithiocarbamate bilden auch ein Beispiel dafur, da13 mit dem Abbau ein Anstieg der Toxizitat verbunden ist. Dabei ist auffallend, daB die stark fungi- zid wirksamen Abbauprodukte, insbesondere das ATM, auch eine relativ hohe

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Saugetiertoxizitat entwickeln [zI]. Moglicherweise beruhen beide Wirkungen auf einem gemeinsamen biochemischen Prinzip. Dieses gemeinsame Prinzip diirfte die Blockierung essentieller Sulfhydrylgruppen (Enzyme, Glutathion, Cystein u. a.) durch das intermediar gebildete Senfol sein.

I. der parallele Verlauf der Dosis-Wirkungs-Linien bei der Prtifung der Abbau-

2. die starke Ureasehemmung in vitro durch Senfol und relativ lange inkubier-

3. daB nur die im Schema aufgefiihrten Senfolbildner fungicid wirksam sind.

Beweise hierfur sind

produkte an m)t Phytytophthora infizierten Tomatenblattern,

tes ATM, jedoch nicht durch ATH, und

Zum Abbazl von Phthalimiden

Mit den fungiziden Phthalimiden vom Typ Captan, Folpet und Difolatan ist eine weitere interessante Gruppe von Pestiziden zu diskutieren.

Oberraschend, wenn nicht alarmierend, ist die Feststellung, daB die LD,, an proteinfrei ernahrten Ratten von 10000 mg/kg auf 6,15 mg/kg, also mehr als den tausendsten Teil sinkt [zz ] . Hier geben m. E.' die sparlichen Hinweise zum In-vitro- und In-vivo-Abbau schon interessante Aufschlusse, die bei grundsatzlichen Erwagungen zur Ruck- standsbeurteilung nicht ohne Beriicksichtigung bleiben konnen [24, 241. Da- nach reagieren schwefelhaltige, lebenswichtige Aminosauren (z. B. Glutathion) mit dem Fungizid unter Bildung von Phthalimid und Di-Aminosauredisulfid (Di-Glutathion-disulfid, also oxydiertes Glutathion) bei Abspaltung des Tri- chlormethyl-thio-Restes, der zellwirksam wird. Ein weiterer Abbauweg fuhrt iiber die Bildung von Thiophosgen zu Carbonylsulfid. AuBerdem kann das reaktive Thiophosgen mit weiteren Thiol-(Glutathion-) Molektilen zu Additions- produkten reagieren, von denen eine 2-Thiazolidinverbindung aus Glutathion und Thiophosgen bzw. Captan tatsachlich in vitro und auch in vivo (Neurospora crassa) nachgewiesen worden ist (Abb. 4).

Mit dieser Feststellung geht konform, daB an captanvergifteten Pilzzellen eine Anhaufung von anorganischem Phosphat beobachtet wird, was auf eine Blockierung des Phosphatmetabolismus schlieBen la& [25, 261. Die somit ver- hinderte ATP-Synthese wirkt sich in der Energiefreisetzung durch W m e a b - gabe aus. Mit der Festlegung anorganischen Phosphats geht eine Storung der Glykolyse einher. Die Aldolase und die Glycerinaldehyd-3-phosphatdehydro- genase werden in starkem MaBe gehemmt. Das letzte Enzym aber enthalt als prosthetische Gruppe Glutathion. Das wiederum macht diese Wirkung ver- standlich. Die Schltisselsubstanz des Citratcyclus, das Acetyl-CoA, kann auf diese Weise ebenfalls blockiert werden, da es als typische SH-Verbindung mit Captan und ahnlichen Substanzen reagieren muB. Die Auswirkungen auf den lebenserhaltenden Enzymstoffwechsel miissen aber um so drastischer wer- den, je weniger von den Schlusselsubstanzen der Hemmung, den SH-haltigen Aminosauren, zur Verfugung steht. Das ist bei EiweiBmangel besonders der Fall.

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Mit der Blockierung lebenswichtiger SH-haltiger Aminosauren bietet sich die Blockierung ganzer Fermentsysteme an, die die besonders auffallige Toxizi- tatssteigerung von Captan und Folpet bei Mangelernahrung verstandlich maclit. Diese Erkenntnis ist ernst zu nehmen, da ja der Einsatz von Agroche mi- kalien geiade in Landern, die akuten Nahrungs- und damit auch EiweiDmangel leiden, xur Ertragssteigerung besonders aktuell ist.

Abbau fungizider Phthalimide

Mchselbeziehungen mi/ sulfiydryfha#&n Amiim6uren (R -s/)

r HCl Cl . c,’C=S

o=C=s+2m t?HCI

Abb. 4. Chemismus der Reaktion von Captan mit SH-Verbindungen (Zusammenfassung von t l L t. Literatur-Ergebnissen)

Die Mitteilungen amerikanischer Wissenschaftler, die - fuBend auf Unter- suchungen mit Hiihnerembryonen - embryotoxische, insbesondere teratogene Effekte nachgewiesen haben und diese in Verbindung mit dem strukturell ahn- lichen Glutarsaureimid des Phthalimids (Contergan) bringen [27], raten zwar zur Vorsicht, aber die ubertragbarkeit derart angelegter Versuche auf mensch- liche Verhaltnisse erscheint mehr als fragwiirdig. Diese Fragwurdigkeit wird durch die diskutierten Erkenntnisse zum Metabolismus erhartet, nach denen das wirksame Prinzip gar nicht der aktionstrage Phthalimidkern, sondern die ab- spaltbare Trichlormethylseitenkette sein muB.

Schlu,llfolgerccnge~

Erkenntnisse der diskutierten Art bestimmen zunehmend die Rackstands- forschung. Sie haben auch in einigen Ruckstandsregelungen verschiedener Lander Beriicksichtigung gefunden. So wird z. B. in der DDR die Vorbildung des Oxons auf den Lebensmitteln in den Toleranzregelungen beriicksichtigt ; sie SOU bei Parathion, Dimethoat, Bromophos und Malathion jeweils nicht mehr als O,I ppm betragen [28]. Bei DDT ist es haufig iiblich, neben dem Gesamt-

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wirkstoff den Anteil seiner wichtigsten lipophilen Metabolite zu bestimmen (namentlich DDE und DDD). Auf die Notwendigkeit, bei Carbaryl den Anteil an hydrolysiertem a-Naphthol zu erfassen, ist auch hingewiesen worden [29] ; er ist jedoch unter praxisnahen Bedingungen so geringfugig (nach zahlxeichen, bei uns durchgefuhrten Untersuchungen unter 0,2 ppm), daB - da die Toxizi- tat des Naphthols in keiner Weise z. B. mit der der Oxone zu vergleichen ist - die Gesamterfassung als Wirkstoff m. E. in diesem Falle genugt.

Die Erfassung der Dithiocarbamatabkommlinge - hier beschert uns die Schwefelchemie mit ihrer Reaktionsfahigkeit besondere Probleme - erscheint zwar wichtig, aber eine praxisnahe Losung ist sehr schwer erreichbar. Neben der summarischen Erfassung der CS,-abspaltenden Substanzen - Wirkstoff und Metabolite [30] - ist m. E. (nach von uns entwickelten Verfahren) auch die Bestimmung des besonders bedeutsamen Abbauproduktes Athylen-bis-thiur- ammonosulfid erforderlich [31]. Derartige Verfahren wurden von uns aus- gearbeitet. Weitergehende Untersuchungen konnen nach dem derzeitigen Stand der Analytik noch nicht in die routinemaBige Kontrolle einbezogen werden.

Erwahnenswert erscheint das Auftreten von ATH als Abbauprodukt, einer Substanz, die wegen ihrer mutmaDlichen mutagenen, cancerogenen sowie thyreo- statischen Wirkung als bedenklich anzusehen ist. Thioharnstoff, der fruher bis- weilen zur Oberflachenkonservierung von Citrusfruchten benutzt wurde, gilt als unzulassiger Fremdstoff und wurde deshalb in die fur die DDR gultige Kon- servierungsmittelverordnung nicht aufgenommen. Es ist daher naheliegend. daB auf Lebensmitteln nicht mehr als Spuren des ATH geduldet werden konnen. Vielleicht sollte man wenigstens die Bestimmung des ATM- und ATH-Anteils in die Ruckstandsanalyse der Dithiocarbamate einbeziehen.

Die Auswirkung eines moglichen Phthalimidmetabolismus ist sicher noch nicht uberschaubar. Es gibt zwar Hinweise auf den Reaktionsmechanismus im physiologischen Geschehen ; ob jedoch mit einer nennenswerten Vorbildung von reaktiven Abbauprodukten bereits bei behandelten Ernteprodukten zu rech- nen ist, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Und dennoch bedurfen gerade die Phthalimide noch unseres MiBtrauens, zumal die amerikanischen Untersuchun- gen uber embryotoxische bzw. teratogene Wirkungen an Huhnerembryonen der Beachtung bedurfen, auch wenn sie sich am hoheren Warmbluterorganis- mus noch nicht bestatigt haben und moglicherweise auch nicht zu bestatigen sind.

Die dargelegten Fakten zum Metabolismus von Pestiziden sollten die erhohten Forderungen belegen, die heute an die Ruckstandsforschung und die Ruck- standsanalytik zu stellen sind. Sie wurden ubrigens durch die Food Additive Division der WHO formuliert, die in einer ihrer Denkschriften die Wissenschaft in allen Staaten aufruft, den Problemen des Metabolismus bzw. der Beruck- sichtigung von Abbau- und Umwandlungsprodukten von Pestiziden in Zukunft erhohte Aufmerksamkeit zuzuwenden [32]. Wir sind der Uberzeugung, daB der eingeschlagene Weg der Ruckstandsforschung ntitzlich und zukunfts- trachtig ist.

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S u m m a r y

R . ENGST: On the metabolism of certain selected pesticides In nutrition, pesticide residues arc (as foreign substances) of immediate interest among the

factors of risk. On the one side, they are substances which have proved to be not indifferent to warm-blooded animals; on the other side, their evaluation and with that the mastery of thc situation from the viewpoints of nutritional hygiene and toxicology become all the more difficult because the foodstuffs frequently absorb not only the active ingredients but also their chemical degradation products and metabolites, the toxicological properties of which often differ not inconsiderably from those of the original substances. The preceding findings are explained in the light of results obtained by the author from investigations into the meta- bolism of DDT, thiophosphoric acid esters, ethylen-bis-dithiocarbamates, carbamates and phthalimides. Consequently, the careful evaluation of pesticide residues from the viewpoints of nutritional hygiene and toxicology calls not only for extension of the in any case conplica- ted analytic procedures but also for toxicological tests for important metabolites. With that, particular attention should be paid to cumulatively toxic substances and to effects of combination and potentiation.

P e a ~ o ~ e

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Eingegangen 11. 5.1971