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Sivas-Massaker vom 02.07.1993

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POGROME AN

ALEVITEN

In Erinnerung an die Opfer der zum Teil staatlich organisierten und/oder geduldeten Verbrechen an Alevitin-nen und Aleviten pflegt die AABF mit ihrem fortdauernden Engagement für die „Vergegenwärtigung des Ver-gangenen“ öffentlich das Andenken. Sie setzt ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen die Relativierung und Verharmlosung von (staatlichen) Gewaltverbrechen, gegen das Fortbestehen rechter, nationalistischer und islamistischer Ideologien und Aktivitäten im Alltag und in der Gesellschaft.

Im Zeitraum von März 1937 bis September 1938 wurden in Dersim während einer Strafexpedition der türki-schen Armee über 70.000 Menschen massakriert. Viele Überlebende wurden zwangsumgesiedelt. Noch bis ins Jahr 1994 vertrieb die türkische Regierung Menschen aus dieser Region. Dersim war das letzte autonome Gebiet der kurdischen Gemeinschaft in der Türkei. Die aufständische kurdisch-alevitische Bevölkerung sollte entwaffnet und „türkisiert“ werden. Auch sollte der ursprüngliche Name der Stadt Dersim (wörtlich übersetzt: „Silbernes Tor“) nicht mehr auf der Landkarte zu finden sein. Heute heißt die Region Tunceli (wörtlich über-setzt: „Eiserne Faust“). Die türkische Administration bestreitet bis dato, dass es den Genozid an den Einwoh-nerinnen und Einwohnern Dersims gegeben hat.

Maraş ist eine südostanatolische Großstadt, in der 1978 ein staatlich geduldetes und organisiertes Massaker an Alevitinnen und Aleviten begangen wurde. Bei diesem Pogrom, das mehrere Tage andauerte, verloren Hunderte von Menschen grausam ihr Leben. 80% der alevitischen Bevölkerung verließ für immer die Stadt Maraş. Die Hintergründe dieses Massakers an Alevitinnen und Aleviten sind bis heute nicht aufgeklärt wor-den.

Die erst nach 32 Jahren das erste Mal am 19.12.2010 in Maraş stattgefundene Gedenkfeier wurde durch gewalttätige Übergriffe von Mitgliedern der rechtsextremen MHP (Nationalistische Volkspartei) und BBP (Gro-ße Einheitspartei) sowie islamistischen Fanatikern massiv attackiert. In unmittelbarer Nähe der Gedenkveran-staltung hatte sich eine Gruppe von 500 türkischen Rechtsextremisten und islamischen Fanatikern zu einer unangemeldeten Gegendemonstration versammelt. Mit lauter Musik, dem sog. „Wolfsgruß“ sowie dem Ruf „Allah‘u akbar“ („Allah ist groß“) versuchten sie massiv, die friedlich Demonstrierenden einzuschüchtern. An-statt die Gegenveranstaltung aufzulösen, drängte die türkische Polizei die alevitische Delegation zur Auflö-sung. Die AABF verurteilt auf das Schärfste das Vorgehen der türkischen Polizei an diesem Tag der tiefen Trauer und der Erinnerung an die Opfer der Pogrome an Angehörigen der alevitischen Gemeinschaft. Dieses Ereignis hat bedauerlicherweise erneut gezeigt, dass so ein Pogrom in der heutigen Türkei jederzeit wieder möglich ist.

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Am 02.07.1993 kamen in Sivas im Rahmen eines Kulturfestivals zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal 35 Menschen, darunter Kultur-, Musik- und Literaturschaffende alevitischen Glaubens ums Leben. Eine religiös fanatische und aufgebrachte Menschenmenge umzingelte den Austragungsort des Kulturfestivals – das Madımak Hotel in Sivas – und warf Brandsätze gegen das Hotel. Dabei verbrannten 35 Menschen. Obwohl Polizei und Rettungskräfte sofort alarmiert wurden, griffen sie erst Stunden später ein.

Für diese Verbrechen und weiteren, zum Teil staatlich organisierten Pogromen an Alevitinnen und Aleviten – 1938/39 in Dersim, 1978 in Maraş, 1980 in Çorum, 1993 in Madımak (Sivas) und 1995 in Gazi – übernimmt die Türkei bis heute keine Verantwortung.

Insbesondere vor dem Hintergrund der eigenen Verfolgung und der an Alevitinnen und Aleviten verübten Verbrechen hat die AABF seit ihrem Bestehen zu keiner Zeit Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie de-mütigen Respekt und tiefes Mitgefühl für die Opfer der Gewaltverbrechen an religiösen, kulturellen und ethni-schen Gemeinschaften aus der Türkei und ihren Angehörigen hat. Auch in Zukunft werden wir keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir als Bundesverband diese Gewaltverbrechen als historische Tatsache anerkennen, weder eine Relativierung noch Verharmlosung dulden werden.

DAS MASSAKER VON

SIVAS

Das Massaker von Sivas bezeichnet den geplanten pogromartigen Angriff einer religiös motivierten und auf-gepeitschten muslimischen Menge auf Teilnehmer eines alevitischen Kulturfestivals und den anschließenden Brandanschlag auf das Tagungshotel Madımak am 2. Juli 1993. Dabei kamen 37 Personen zumeist aleviti-schen Glaubens ums Leben. 33 Teilnehmer des Festivals, 2 Hotelangestellte sowie 2 Täter.

Bei dem alevitischen Kulturfestival zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal im Sommer 1993 in Sivas nahm der international bekannte türkische Schriftsteller Aziz Nesin – ein bekennender Atheist – als Ehrengast teil. Die Übersetzung und teilweise Veröffentlichung des für Muslime ketzerischen Romans „Die satanischen Ver-se“ von Salman Rushdie wurden immer wieder als Grund dafür aufgeführt, dass sich vor allem konservative sunnitische Muslime provoziert fühlten.

Am 2. Juli versammelte sich eine aufgebrachte Menschenmasse (die Anzahl der Personen wird auf 20.000 geschätzt) nach dem Freitagsgebet vor dem Madımak-Hotel, in dem Aziz Nesin und alevitischen Musiker,

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Schriftsteller, Dichter und Verleger logierten. Mitten aus der wütenden Menschenmenge wurden schließlich Brandsätze gegen das Hotel geworfen. Da das Hotel aus Holz gebaut war, breitete sich das Feuer schnell aus. Dabei verbrannten 35 Menschen; der Autor Aziz Nesin überlebte leicht verletzt.

Wegen der wütenden Menschenmenge vor dem Hotel konnten die Insassen des Hotels nicht ins Freie, bis sie schließlich vom Feuer eingeschlossen waren. Obwohl Polizei, Militär und Feuerwehr frühzeitig alarmiert wa-ren, griffen sie erst nach rund acht Stunden ein.

Zeugenaussagen sowie Videoaufnahmen – das türkische Staatsfernsehen berichtete stundenlang live vom Anschlag – belegen, wie Polizisten der Menge halfen und eine anrückende Militäreinheit sich wieder zurück-zog. Aus diesem Grund kann/muss auch von einem staatlich tolerierten Massaker gesprochen werden.

Bis Ende 2010 führten sunnitische Muslime im Gebäude des ehemaligen Madımak-Hotels ein Restaurant mit Fleischgerichten. Alevitische Verbände fordern bis heute vergeblich, dass in dem Gebäude eine Gedenkstätte und ein „Friedens-Museum“ eingerichtet werden.

Am 11. November 2007 wurden die Gräber der Sivas-Opfer in Ankara geschändet. Eine Gedenkmauer wurde dabei komplett zerstört.

Nach einem Prozessmarathon, der über ein Jahrzehnt gedauert hat bzw. in Teilbereichen noch immer fortge-führt wird, wurden zahlreiche Personen teilweise mit der Todesstrafe rechtskräftig verurteilt. Die Todesstrafen wurden mit ihrer Abschaffung in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Die Täter wurden u.a. wegen schwe-rer Brandstiftung, Massenmord und dem Versuch des Umsturzes des Staatssystems verurteilt.

Nach einem 19 Jahre andauernden Strafverfahren stellte am 13.03.2012 das türkische Strafgericht in Ankara am 27. Verhandlungstag das Verfahren gegen die Drahtzieher und Täter des Massakers an Alevitinnen und Aleviten im Jahre 1993 in Sivas ein.

Die von der AKP dominierte türkische Justiz erklärte die Massaker für verjährt. Die Angeklagten wurden von 28 Strafverteidigern vertreten, die sich aus AKP Abgeordneten, AKP Ministern, AKP Bürgermeistern, AKP Stadträten und AKP Kreisvorsitzenden zusammensetzten. Nach der Entscheidung des Gerichtes über die Einstellung des Strafverfahrens kam es zu gewaltsamen Übergriffen der türkischen Sicherheitsbehörden auf Alevitinnen und Aleviten, bei der auch die Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Deutschland und der Alevitischen Union Europa verletzt wurden.

Zahlreichen verurteilten Tätern gelang in den 1990er Jahren die Flucht u.a. in die Bundesrepublik Deutsch-land. Sie lebten und leben in Deutschland teils als Illegale, teils als Familiennachzügler oder anerkannte Asyl-bewerber.

Der kürzlich festgenommene Vahit Kaynar gilt als einer der Haupttäter des Sivas Massakers und lebt seit über einem Jahrzehnt als freier Mann, erfolgreicher Unternehmer und anerkannter Asylbewerber in der Bun-desrepublik Deutschland.

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CAUSA

VAHIT KAYNAR

Presseerklärung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 11.10.2011

Alevitische Gemeinde Deutschland fordert die Auslieferung von Vahit Kaynar an die Türkei

Die Alevitische Gemeinde Deutschland (kurz AABF) begrüßt die Verhaftung des in der Türkei rechtsmäßig verurteilten Mörders Vahit Kaynar durch die polnische Polizei.

Am 02.07.1993 kamen in Sivas im Rahmen eines Kulturfestivals zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal 35 Menschen, darunter Schriftsteller, Dichter und Intellektuelle alevitischen Glaubens ums Leben. Eine religiös fanatische und aufgebrachte Menschenmenge umzingelte den Austragungsort des Kulturfestivals – das Madımak Hotel in Sivas – und warf Brandsätze gegen das Hotel. Dabei verbrannten 35 Menschen. Obwohl Polizei und Rettungskräfte sofort alarmiert wurden, griffen sie erst Stunden später ein.

Für diese Verbrechen und weiteren, zum Teil staatlich organisierten Pogromen, vor allem an Aleviten – 1978 in Maraş, 1980 in Çorum, 1993 in Madımak (Sivas) und 1995 in Gazi – übernimmt die Türkei bis heute keine Verantwortung.

Vahit Kaynar – einem der Täter des Sivas-Massakers – gelang vor 15 Jahren die Flucht nach Deutschland. Heute ist er in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt und genießt den Schutz des deutschen Staates als Asylberechtigter.

Nach offiziellen Angaben scheiterten die Auslieferungsanträge des türkischen Staates bislang an formal-rechtlichen Fehlern. Als Alevitische Gemeinde Deutschland fordern wir die türkische Regierung auf, sofort die Auslieferung Vahit Kaynars an die Türkei zu veranlassen.

Aktuellen Presseberichten zufolge streben Kaynars Anwälte seine Auslieferung nach Deutschland an, was unter keinen Umständen geschehen darf. Er ist in der Türkei bereits rechtmäßig verurteilt und muss dort sei-ne Strafe absitzen.

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Zudem fordern wir die lückenlose und transparente Aufklärung des Falls „Vahit Kaynar“ durch die Bundesre-gierung – wie kann es sein, dass ein rechtmäßig verurteilter Mörder in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt wird?

STECKBRIEF

VAHIT KAYNAR

Familienname: Kaynar Vorname: Vahit Alter: ca. 36 Ehestand: verheiratet mit Songül Kaynar Wohnanschrift: Unbekannt Geschäftsanschrift: Prinzenallee 7, 13357 Berlin

Vahit Kaynar gilt als einer der Haupttäter des Sivas Massakers vom 02.07.1993.

Er wurde in der Türkei in Abwesenheit rechtskräftig zum Tode verurteilt. Nach der Abschaffung der Todesstra-fe wurde sein Strafmaß in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

Auf Vahit Kaynar warten in der Türkei eine Haftstrafe von ca. 30 Jahren sowie zahlreiche zivilrechtliche Ver-fahren, angestrengt von Familienangehörigen der ermordeten Opfer des Sivas Massakers.

Vahit Kaynar entzog sich der Strafvollstreckung und seiner Verantwortung bereits vor 15 Jahren, flüchtete nach Deutschland und beantragte Asyl.

Vahit Kaynar lebt seit ca. 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Er scheint ein anerkannter Asylbe-werber zu sein und besitzt wohl einen sog. „Blauen Pass“, ein bundesdeutsches Personaldokument für aner-kannte Asylbewerber.

Sein gegenwärtiger Wohnsitz ist Berlin. Dort betreibt er u.a. ein türkisches Restaurant in Wedding sowie zwei Tele/Internet-Cafés, eines davon unter dem Namen „Blu-Tel, Sila Internetcafé“ in der Prinzenallee 7, 13357

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Berlin. Ob er für die unternehmerischen Betätigungen eine Erlaubnis besitzt oder die Geschäfte über seine Ehefrau abwickelt ist unbekannt.

Nach Medieninformationen kaufte sich Vahit Kaynar erst kürzlich ein Geländefahrzeug der Marke BMW X6 im Wert von ca. 60.000,- € und interessierte sich für eine Wohnimmobilie im Wert von 250.000,- € – 300.000,- €. Eine für einen anerkannten Asylbewerber und verurteilten Straftäter beachtliche wirtschaftliche Leistung.

Vahit Kaynar reiste Medieninformationen zufolge in den letzten Jahren ohne Einschränkungen durch ganz Europa und konnte ohne Schwierigkeiten Grenzen überschreiten, obwohl er mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Bei seiner letzten Reise nach Polen wurde er vor ca. 10 Tagen von polnischen Grenzbeam-ten aufgrund des internationalen Haftbefehls verhaftet.

Innerhalb von 40 Tagen muss die Republik Türkei ordnungsgemäß die Auslieferung beantragen, andernfalls wird Vahit Kaynar in die Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Dies versuchen gegenwärtig zwei von der Familie Kaynar beauftragte polnische Rechtsanwälte ebenfalls zu erreichen.

APPELL AN DIE POLI-TIK UND AN ALLE PO-

LITISCH VERANT-WORTLICHEN

Sehr geehrte Damen und Herren,

falls die Republik Türkei – zum wiederholten Mal – keinen ordnungsgemäßen Auslieferungsantrag stellt, wird Vahit Kaynar wohl nach Deutschland abgeschoben.

Nicht nur für die Alevitische Gemeinde Deutschland ist es ein unerträglicher Zustand, dass sich ein in der Türkei rechtskräftig verurteilter islamistischer Massenmörder seit über einem Jahrzehnt in Deutschland und Europa frei bewegen kann und zudem wohl mit einigem Erfolg am wirtschaftlichen Leben teilnimmt. Die Hin-terbliebenen der Sivas Opfer hingegen kämpfen immer noch um Gerechtigkeit und Anerkennung, wobei viele

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auch gegen die Armut des Alltags ankämpfen müssen, da ihnen 1993 der Hauptversorger der Familie ge-nommen wurde.

Wir können uns nicht vorstellen, dass ein ordentliches türkisches Gerichtsverfahren aufgrund einer Beteiligung an einem islamistisch motivierten Gewaltverbrechen dieses Ausmaßes die Anerkennung als Asylbewerber in Deutschland rechtfertigt.

Die Alevitische Gemeinde Deutschland fordert die Politik uns alle politisch Verantwortlichen auf, sich dafür einzusetzen, dass seitens der Republik Türkei ein ordnungsgemäßer Auslieferungsantrag an die polnischen Behörden gestellt wird.

Sollte ein solcher türkischer Antrag nicht binnen 40 Tagen gestellt werden, müssen die polnischen Behörden Vahit Kaynar in die Bundesrepublik Deutschland abschieben.

Dies bedeutet nichts geringeres, als dass die Bundesrepublik Deutschland dann erneut damit konfrontiert wird, dass sich ein rechtskräftig verurteilter, islamistischer Massenmörder frei in unserer Gesellschaft bewe-gen und nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.

Wir sind der Auffassung, dass die gesellschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre über die Themen Migrati-on, Integration und unsere gemeinsamen Grundwerte eine Kontaktaufnahme mit den türkischen und polni-schen Behörden nicht nur rechtfertigen, sondern geradezu verlangen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Causa Kaynar erneut zu einem deutschen Problem wird.

Jetzt, da Vahit Kaynar in Polen inhaftiert ist, besteht die einmalige Chance, diesen Verbrecher an der Menschlichkeit in die Türkei auszuliefern und ihn zur Verantwortung zu ziehen. gez. Alevitische Gemeinde Deutschland

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POLITISCHE FORDE-RUNGEN DER AABF

An der von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch dem Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte gleichermaßen verurteilten Staatspolitik der Türkei gegenüber religiösen, ethnischen und kulturel-len Gemeinschaften hat sich bis heute nichts geändert.

So verschweigt der türkische Staat bis heute der Weltöffentlichkeit die Existenz der ca. 20 Millionen Alevitin-nen und Aleviten und bezeichnet die gesamte Bevölkerung als türkisch und zu 99 % islamisch.

In der Türkei ist das Alevitentum als Religionsgemeinschaft nicht anerkannt.

Cem-Häuser sind als Gebetsstätten der alevitischen Gemeinschaft immer noch nicht anerkannt; alevitische Orden sind fest in staatlicher Hand.

Die Türkei ist immer noch geprägt von der Ideologie der türkisch-islamischen Synthese, die auf der Auffas-sung beruht, „ein Volk – eine Religion“.

Und so treibt sie die Assimilation u.a. von alevitischen, kurdischen und christlichen Gemeinschaften fort und akzeptiert bis heute nicht, dass sie ein kulturell und national heterogenes Land ist.

Trotz eines rechtmäßigen Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte müssen alevitische Kinder weiterhin am Zwangsreligionsunterricht teilnehmen. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammerberg, hat die Türkei vor einigen Monaten zu mehr Einsatz für die Religionsfreiheit aufgefor-dert. In einem in Strasbourg veröffentlichen Brief an die türkische Regierung äußert sich Hammerberg vor allem besorgt über die Situation der alevitischen Gemeinschaft in der Türkei.

Zudem werden Angehörige der alevitischen Gemeinschaft von der staatlichen Religionsbehörde, dem Diyanet – in Deutschland als DITIB bekannt – die ausschließlich den sunnitischen Islam vertritt, bevormundet und vereinnahmt. Die Diyanet verfolgt eine offensive Vereinnahmungs- und Assimilationspolitik gegenüber Alevi-tinnen und Aleviten in der Türkei. Sie baut z.B. Moscheen in alevitischen Dörfern und Siedlungsgebieten und sendet ihre Imame zur Missionierung.

Während der türkische Ministerpräsident keine Gelegenheit auslässt, seine Landsleute vor einer möglichen Assimilation und Vereinnahmung durch die Staaten, in denen sie leben, zu warnen, verharrt seine eigene

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Politik mit zunehmender Tendenz in einer menschenrechtsverletzenden Haltung gegenüber religiösen, kultu-rellen und ethnischen Gemeinschaften.

Diese bewusste politisch-ideologische Strategie der Türkei ist der Nährboden für rechtsnationalistisches und islamistisches Potential nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch hierzulande. Der starke Einfluss aus der Türkei auf viele in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten führt seit Jahren zu einem Erstarken nationalistisch-islamistisch gerierender Kräfte. Dies konzentriert sich auf einen idealistischen Nationalismus, der stark von einem Überlegenheitsgefühl „der Türken“ ausgeht und ethnische, religiöse und kulturelle Ge-meinschaften als unterprivilegiert dar-stellt.

Während in Deutschland Rechtsextremismus und Rassismus öffentlich verachtet werden, sind diese in der türkischen Gesellschaft fest eingebettet.

Auch in Deutschland unterliegen Alevitinnen und Aleviten dem Assimilationsdruck der türkischen Regierung, die u.a. systematisch religiöses Personal alevitischen Glaubens nach Deutschland entsendet, um ihre Indokt-rinierungspolitik auch hier im Lande fortzusetzen.

Daher fordern sowohl die Alevitische Union Europa als auch die AABF die

Abschaffung der türkischen Behörde für Religionsangelegenheiten

Abschaffung des Zwangsreligionsunterrichts

Anerkennung der alevitischen Cem Häuser als religiöse Kultstätten

Umwandlung des Madımak Hotels in Sivas in ein Museum

sofortige Einstellung von Moscheebaumaßnahmen in alevitischen Dörfern

Rückübereignung alevitischer Ordensstätten an die alevitische Bevölkerung.

Gegenseitige Achtung, Akzeptanz und Toleranz sind ebenso Grundlage des gemeinsamen Handels wie die Achtung der Menschenrechte, die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen und die Achtung des religiösen Bekenntnisses des jeweils Anderen. Insbesondere die Gleichbehandlung der Religionen und Weltanschauun-gen sowie aller Ethnien sind essentielle Grundpfeiler jeder Demokratie. Ein Land wie die Türkei, das von Deutschland die Erinnerung an Mölln und Solingen stets einfordert, jedoch die Erinnerung an eigene Verbre-chen an Angehörigen der alevitischen, armenischen Gemeinschaft usw. bis heute vehement verweigert, hat in der europäischen Wertegemeinschaft nichts verloren. Die Türkei widerspricht mit ihrer Politik den Grundwer-ten einer modernen und demokratischen Gesellschaft. Denn im Gegensatz zu autoritären Regierungssyste-men erkennen wahrhafte Demokratien den gleichen Wert und die gleichen Rechte aller Bürgerinnen und Bürger an.

Die AABF engagiert sich für den Schutz dieser Gemeinschaften und wirbt politisch und in der Öffentlichkeit für deren Rechte. Sie fordert den Ministerpräsidenten der Republik Türkei und seine Regierung auf, die Assi-

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milation religiöser, kultureller und ethnischer Gemeinschaften in der Türkei sofort zu beenden und ihnen end-lich die gleichen Rechte und Freiheiten zu gewähren wie der übrigen türkischen Bevölkerung auch.

PRESSEERKLÄRUNGEN DER AABF

Presseerklärung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 18.06.2012

Presse- und Fototermin mit Andrej Hunko (Die Linke) und Ali Doğan in der AABF

Der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF) – Ali Doğan – empfängt am kommen-den Freitag, den 22.06.2012, Andrej Hunko (Mitglied des Deutschen Bundestags und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats) in der Bundesgeschäftsstelle des Verbandes.

Am 02.07.2012 jährt sich das Sivas-Massaker zum 19. Male. Andrej Hunko ist Mitglied der Delegation der Alevitischen Gemeinde Deutschland, die am 02.07.2012 in Sivas an der Gedenkveranstaltung teilnehmen wird.

Am 02.07.1993 kamen in Sivas im Rahmen eines Kulturfestivals zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal 35 Menschen, darunter Kultur-, Musik- und Literaturschaffende alevitischen Glaubens ums Leben. Eine religiös fanatische und aufgebrachte Menschenmenge umzingelte den Austragungsort des Kulturfestivals – das Madımak Hotel in Sivas – und warf Brandsätze gegen das Hotel. Dabei verbrannten 35 Menschen. Obwohl Polizei und Rettungskräfte sofort alarmiert wurden, griffen sie erst Stunden später ein.

Nach einem 19 Jahre andauernden Strafverfahren stellte am 13.03.2012 das türkische Strafgericht in Ankara am 27. Verhandlungstag das Verfahren gegen die Drahtzieher und Täter des Massakers an Alevitinnen und Aleviten im Jahre 1993 in Sivas ein.

Die von der AKP dominierte türkische Justiz erklärte die Massaker für verjährt. Die Angeklagten wurden von 28 Strafverteidigern vertreten, die sich aus AKP Abgeordneten, AKP Ministern, AKP Bürgermeistern, AKP Stadträten und AKP Kreisvorsitzenden zusammensetzten. Nach der Entscheidung des Gerichtes über die Einstellung des Strafverfahrens kam es zu gewaltsamen Übergriffen der türkischen Sicherheitsbehörden auf

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Alevitinnen und Aleviten, bei der auch die Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Deutschland und der Alevitischen Union Europa verletzt wurden.

Vor dem offiziellen Gesprächsbeginn mit Andrej Hunko besteht die Möglichkeit, sowohl an den Bundestags-abgeordneten als auch an den Generalsekretär der AABF – Ali Doğan – Fragen zu richten. Für Pressefotos stehen Ihnen die Gesprächspartner ebenfalls zur Verfügung.

Zu diesem Presse- und Fototermin möchten wir Sie herzlich einladen und bitten um eine kurze telefonische Voranmeldung.

Ort: Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF), Stolberger Str. 317, 50933 Köln (Braunsfeld)

Zeit: Freitag, den 22.06.2012 von 14:00 – 14:15 Uhr

Anmeldung und weitere Auskünfte unter den Rufnummern 0221 94 98 56 43 oder 0221 94 98 56 42

Presseerklärung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 16.05.2012

Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) und deren Funktionäre werden zur Zielscheibe erklärt

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich am 15. Mai 2012 bei einer Fraktionssitzung seiner Partei, der AKP, verächtlich über den demokratischen Protest von 50.000 Aleviten am 17. März 2012 in Bochum geäußert.

„Erdoğan kriminalisiert einen demokratischen Protest. Für den unbedarften Zuhörer hat er die AABF und de-ren Funktionäre in der Türkei zu Staatsfeinden degradiert und dadurch zur Zielscheibe von islamistischen und nationalistischen Gruppen gemacht.

Dass diese Äußerungen erst 2 Monate nach unserem Protest gefallen sind, zeigt uns unzweideutig auf, dass unser Protest ein voller Erfolg war“, bewertete Ali Doğan, Generalsekretär der AABF, die Vorgänge.

Die AABF hatte am 17. März 2012 in Bochum zu einem Protest gegen die Verleihung des Steiger Awards an Erdoğan aufgerufen. Der Protest richtete sich gegen die Verleihung eines Preises für Tolerant, Offenheit und Menschlichkeit an einen amtierenden Ministerpräsidenten, der die Minderheitenrechte in seinem eigenen Land mit Füßen tritt. Sowohl religiöse Minderheiten, wie Aleviten, Christen und Yeziden als auch ethnische Minder-heiten wie Kurden, Griechen und Armenier werden noch immer in der Türkei strukturell benachteiligt und müssen teilweise Repressalien und staatliche Verfolgung fürchten. Diese Tatsache wird auch in den EU-

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Fortschrittsberichten, zuletzt in dem Bericht 2011 angemahnt. Die Europäische Union bescheinigt der Türkei in diesem Bericht eine mangelnde Beitrittsreife, die vor allen Dingen auf Defizite in den Bürgerrechten und in der Meinungsfreiheit zurückzuführen ist.

Parallel zu dieser Lebenswirklichkeit war und ist es aus Sicht der AABF inakzeptabel, dass der politische Führer der Türkei einen Preis für just das Gegenteil erhalten sollte. Der demokratische Protest der AABF in Bochum wurde daher auch von einem breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland getragen. Sowohl der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, als auch Abgeordnete von SPD, CDU, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen haben gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen Migrantenselbstorganisationen gegen die Preisverleihung protestiert und sind dem Aufruf der AABF gefolgt.

„Die AABF ist eine in Deutschland anerkannte Religionsgemeinschaft. Wir lassen uns von einem türkischen Ministerpräsidenten nicht einschüchtern und den Mund verbieten“, äußerte sich Hüseyin Mat, Bundesvorsit-zender der AABF, zu dem Vorfall.

„Wir werden auch weiterhin gegen die desaströse Minderheitenpolitik der AKP-Regierung protestieren“, Mat weiter.

Die AABF vertritt ca. 245.000 Aleviten in Deutschland (Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, Bundes-ministerium des Innern, 2009).

Presseerklärung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 18.03.2012

Friedliche Massendemonstration war ein voller Erfolg: Kein Preis für Erdoğan

Die von der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. (AABF) organisierte friedliche Massendemonstration in Bochum gegen die Verleihung des Steiger Awards an den türkischen Premierminister Erdoğan hat einen fulminanten Erfolg gezeigt. Erdoğan ist nicht nach Deutschland gekommen! Es gibt keinen Steiger Award für Erdoğan!

Der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland Hüseyin Mat: „Mit über 30.000 Aleviten haben wir in Bochum Geschichte geschrieben. Wir konnten innerhalb von 3 Tagen durch unseren friedlichen Protest einen großen Fehler verhindern. Nun ist klar geworden: In Deutschland gibt es keine Preise für Antidemokraten! Jemand, der die Mörder von Sivas auf freien Fuß lässt, ist nicht würdig, die deutsch-türkische Freundschaft zu repräsentieren. Erdoğan steht genau für das Gegenteil. Er soll erst einmal in der Türkei Minderheitenrechte achten, bevor er in Europa solche einfordert. Wir werden solange protestieren, bis die 35-fachen Mörder von Sivas ihre gerechte Strafe erhalten.“

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Die AABF hat mit Unterstützung der Alevitischen Gemeinden aus den europäischen Nachbarländern (u.a. Frankreich, Belgien, Schweiz, Österreich) innerhalb kürzester Zeit zwei große Kundgebungen und einen Pro-testmarsch in Bochum organisiert. Die erste Kundgebung startete um 14:00 Uhr im rewirpowerSTADION. Anschließend sind ab 16:00 Uhr ca. 30.000 Menschen vom Stadion zum 2 km entfernten Europaplatz mar-schiert. Dort gab es ab 17:00 Uhr die zweite Kundgebung. Um Punkt 18:30 Uhr wurde die Demonstration beendet, ohne dass es einen Zwischenfall gab.

Das Organisationskomitee der AABF erklärte: „Es war ein organisatorisches Meisterwerk. Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, der Stadt Bochum sowie den Polizeibehörden für die reibungslose Zu-sammenarbeit. Unser Ziel, friedlich zu protestieren und die Ehrung Erdoğans zu verhindern, haben wir voll und ganz erreicht.“

Presseerklärung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 16.03.2012

„Aberkennung des Steiger Awards an Erdoğan – Hier werden Menschenrechte verSTEIGERt!

Am kommenden Samstag, den 17.03.2012 wird dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan der Steiger Award in der Kategorie „Europa“ verliehen.

Erdoğan hat diese Honorierung nicht verdient. Die Verleihung des Steiger Awards für „Toleranz und Mensch-lichkeit“ an den AKP Ministerpräsidenten Erdoğan ist ein Skandal. Auch die verzweifelte Verkündigung der Initiatoren, dass der türkische Premierminister diese Auszeichnung stellvertretend für das türkische Volk für 50 Jahre deutsch-türkische Freundschaft in Empfang nehme, ändert nichts an der Tatsache, dass dieses Ereig-nis eine nationale Tragödie ist.

Für die Alevitische Gemeinde Deutschland ist dies kein Ereignis zum Feiern, sondern eine Zäsur für die Bun-desrepublik und ihre türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürger.

Viele Menschen verließen ihre alte Heimat in der Türkei aufgrund von staatlicher Willkür, Verfolgung und Folter. Eine von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gleichermaßen verurteilte Staatspolitik gegenüber religiösen, kulturellen und ethnischen Ge-meinschaften, Verletzung der Presse- und Versammlungsfreiheit und Diskriminierung, haben zusätzlich die Flucht aus der Heimat verstärkt.

Für diese Menschen ist Deutschland weniger ein Ort der ökonomischen Unabhängigkeit, sondern mehr ein Ort der Freiheit. Wir sind fassungslos und beschämt darüber, mit was für einer um sich greifenden Gleichgül-tigkeit die Initiatoren des Steiger Awards, allem voran Sascha Hellen, dem AKP Ministerpräsidenten Erdoğan diesen Preis verleihen und dadurch mehr Täter- denn Opferschutz betreiben.

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Erst kürzlich (13.03.2012) hat die Regierung von Tayyip Erdoğan den Fall von Sivas im Jahre 1993, bei dem 35 Menschen, zumeist alevitischer Herkunft, verbrannt wurden, als verjährt anerkannt (mehr dazu siehe Infos USB-Stick). Die Täter wurden weder bestraft noch zu Rechenschaft gezogen. Die Entscheidung des Gerichts kommentierte Erdoğan mit den Worten: „Das ist ein segenreiches Ergebnis für unser Land.“

Vergleichbar wäre dieser Fall damit, als wenn das Verfahren der Zwickauer Terrorzelle soweit in die Länge gezogen wird, bis der Fall verjährt wäre und keine Verurteilung mehr erfolge. Während Morde in keinem Rechtsstaat der Welt verjähren, scheint dieses aber in der Regierung von Tayyip Erdoğan möglich zu sein. Die Liste dieser undemokratischen Urteile gegenüber Minderheiten in der Türkei ließe sich unbegrenzt fortset-zen, wohingegen die vermeintlichen Verdienste des türkischen Premierministers für Toleranz und Menschen-rechte kaum ein Blatt Papier füllen.

Daher fordert die Alevitische Gemeinde Deutschland die Initiatoren auf, Erdoğan diese Honorierung nicht zuteil kommen zu lassen und ruft gleichzeitig zu einer Großdemonstration am 17.03.2012 in Bochum auf. Erwartet werden mindestens 20.000 Demonstranten.

Pressemitteilung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 14.03.2012

Einladung zur Pressekonferenz am 16.03.2012 „Großdemo gegen Erdoğan anlässlich der Verleihung des Steiger Awards“

Die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) lädt am kommenden Freitag, den 16.03.2012 von 09:30 – 10:30 Uhr Vertreterinnen und Vertreter der Medien zu einer Pressekonferenz in ihren Geschäftsräumen ein.

Am kommenden Samstag, den 17.03.2012 wird dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan der Steiger Award in der Kategorie „Europa“ verliehen.

Die Verleihung des Steiger Awards für „Toleranz und Menschlichkeit“ an den AKP Ministerpräsidenten Erdoğan ist ein Schlag ins Gesicht aller Minderheiten in der Türkei, die tagtäglich staatlich organisierter „Into-leranz und Unmenschlichkeit“ ausgesetzt sind.

Während Recep Tayyip Erdoğan keine Gelegenheit auslässt, seine Landsleute vor einer möglichen Assimila-tion und Vereinnahmung durch die Staaten, in denen sie leben, zu warnen, soll er für seine vermeintlichen Verdienste für Toleranz und Menschenrechte sowie für das Zusammenwachsen Europas honoriert werden.

Erdoğan hat diese Honorierung nicht verdient. Daher ruft die Alevitische Gemeinde Deutschland zu einer Großdemonstration in Bochum auf. Erwartet werden mindestens 20.000 Demonstranten. Bereits jetzt ist ab-sehbar: Erdoğan wird dieser Award nicht verliehen.

Hüseyin Mat (Bundesvorsitzender) und Ali Doğan (Generalsekretär) werden im Rahmen der Pressekonferenz über Hintergründe und Einzelheiten der Kundgebung berichten.

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Zu dieser Pressekonferenz möchten wir Sie herzlich einladen und bitten um telefonische Voranmeldung bei Frau Roßlan (0221 94 98 56 43).

Ort: Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) Stolberger Str. 317

50933 Köln (Braunsfeld) Zeit: Freitag, den 16.03.2012 von 09:30 – 10:30 Uhr

Pressemitteilung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. vom 13.03.2012

Alevitische Gemeinde Deutschland kündigt Großdemo gegen Erdoğan an Politischer Freispruch für die Mörder des Sivas-Massakers

Ali Doğan, Generalsekretär: „Steiger Award an türkischen Ministerpräsidenten ist eine Verhöhnung der Opfer des Sivas-Massakers von 1993.“

Nach einem 19 Jahre andauernden Strafverfahren stellte heute das türkische Strafgericht in Ankara am 27. Verhandlungstag das Verfahren gegen die Drahtzieher und Täter des Massakers an Alevitinnen und Aleviten im Jahre 1993 in Sivas ein.

Die von der AKP dominierte türkische Justiz erklärte die Massaker für verjährt. Die Angeklagten wurden von 28 Strafverteidigern vertreten, die sich aus AKP Abgeordneten, AKP Ministern, AKP Bürgermeistern, AKP Stadträten und AKP Kreisvorsitzenden zusammensetzten. Nach der Entscheidung des Gerichtes über die Einstellung des Strafverfahrens kam es zu gewaltsamen Übergriffen der türkischen Sicherheitsbehörden auf Alevitinnen und Aleviten, bei der die Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Deutschland und der Aleviti-schen Union Europa verletzt wurden.

Die Verleihung des Steiger Awards für „Toleranz und Menschlichkeit“ an den AKP Ministerpräsidenten Erdoğan ist ein Schlag ins Gesicht aller Minderheiten in der Türkei, die staatlich organisierter „Intoleranz und Unmenschlichkeit“ ausgesetzt sind.

Ali Doğan, Generalsekretär: „Deutschland sollte Erdoğans Politik der Intoleranz und Unmenschlichkeit nicht noch mit einem Preis honorieren. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit darf und kann es keine Verjäh-rung geben.“

Die Alevitische Gemeinde Deutschland ruft zur Großdemo gegen Erdoğan am 17.03.2012 in Bochum auf.

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Pressemitteilung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V.

vom 30.12.2011

Trauer und Entsetzen über das Massaker an der irakischen Grenze

Die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) verurteilt aufs Schärfste die jüngsten Luftangriffe der türki-schen Armee im türkisch-irakischen Grenzgebiet, bei der mindestens 35 kurdische Zivilisten getötet wurden. Die Getöteten waren Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahre. Sie sind Opfer eines An-griffs der türkischen Luftwaffe mit F-16-Kampfflugzeugen in der Nacht zum Donnerstag, weil die türkische Armee sie für Guerillakämpfer der PKK gehalten hat.

Unsere tiefe Anteilnahme gilt den Angehörigen und Hinterbliebenen der vielen Todesopfer und Verletzten. Wir fordern den türkischen Staat auf, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln die verantwortlichen Befehlshaber dieses furchtbaren Verbrechens zu verfolgen und durch eine sofortige militärische Deeskalation in den betroffenen Regionen die Zivilbevölkerung vor weiteren tödlichen Angriffen zu schützen.

Die Intensität der militärischen Operationen gegen die PKK und ihren grenzüberschreitenden Stellungen ver-schärfen in einer noch nie dagewesenen Form die politischen Spannungen im Lande. In einer Zeit, in der in der Türkei die sog. Kurdenfrage im Kontext der Verfassungsreform erneut auf der politischen Bühne debattiert wird.

Nun stehen wieder einmal Menschen kurdischer Abstammung unter Generalverdacht; ihnen wird sowohl in der Türkei als auch in Deutschland eine zumindest organische Verbindung mit der PKK vorgeworfen. Insbe-sondere türkische Medien tun ihr übriges dazu, um die aufgeheizte Stimmung zur Kriminalisierung von Kur-den zu missbrauchen.

Die Alevitische Gemeinde Deutschland fordert den türkischen Staat auf, dieses Verbrechen vollumfänglich aufzuklären und alle militärischen Aktionen in den Grenzgebieten sofort zu stoppen.

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Pressemitteilung der Alevitischen Gemeinde Deutschland

vom 02.11.2011

50 Jahre Migration – 50 Jahre Deutschland als Ort der Freiheit

Zu den Äußerungen des Ministerpräsidenten der Republik Türkei Recep Tayyip Erdoğan im Kontext des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei erklärt Ali Ertan Toprak, stellvertretender Bundesvorsitzender der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF):

„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dieses Jahr feiern wir ein historisch bedeutendes Jubiläum: Den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei. Auch Sie werden wissen, dass die Gründe der Zuwanderung vielschichtig und keineswegs nur wirtschaftlicher Natur sind. Viele Menschen verließen ihre alte Heimat in der Türkei aufgrund von staatlicher Willkür, Verfolgung und Folter. Eine von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gleichermaßen verurteilte Staatspolitik gegenüber religiösen und ethnischen Gemeinschaf-ten, Verletzung der Presse- und Versammlungsfreiheit und Diskriminierung, haben zusätzlich die Flucht aus der Heimat verstärkt. Für diese Gemeinschaften ist Deutschland weniger ein Ort der ökonomischen Unab-hängigkeit, sondern mehr ein Ort der Freiheit.

Wir Alevitinnen und Aleviten sind glücklich und dankbar zugleich, dass wir in unserer Heimat Deutschland Religionsfreiheit und Anerkennung genießen, die uns in unseren Herkunftsländern bis dato verwehrt bleibt. Eine eindrucksvolle deutsche Geschichte, die aufzeigt, dass in einer Gesellschaft Frieden, Respekt, gegensei-tiges Verständnis und Solidarität auf der Grundlage einer gemeinsamen Werteordnung möglich sind, wenn dem Gegenüber Vertrauen, Akzeptanz und das aufrichtige Angebot der Partizipation zur aktiven Gestaltung der Gesamtgesellschaft entgegen gebracht wird. Ein Handeln, das sein Selbstverständnis in dem Ausdruck „Willkommens- und Anerkennungskultur“ findet.

Während Sie, Herr Ministerpräsident, keine Gelegenheit auslassen, ihre Landsleute vor einer möglichen As-similation und Vereinnahmung durch die Staaten, in der sie leben, zu warnen, verharrt Ihre eigene Politik mit zunehmender Tendenz in einer menschenrechtsverletzenden Haltung gegenüber religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinschaften.“

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Offener Brief der Alevitischen Gemeinde Deutschland vom 25.02.2011 an den Ministerpräsidenten der Republik Türkei Recep Tayyip Erdoğan

„Die Politik der Türkei ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ Religiöse und ethnische Minderheiten anerkennen, sunnitisch-islamischen Pflichtreligionsunterricht

abschaffen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

am 28.02.2011 werden Sie gemeinsam mit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel die CeBit 2011 in Hanno-ver eröffnen. Einen Tag vorher, am 27.02.2011, treten Sie aktuellen Meldungen zufolge in Düsseldorf im ISS Dome vor rund 15.000 türkeistämmigen Migranten auf.

Bereits 2008 – bei Ihrem Auftritt in der Köln Arena – warnten Sie Ihre Zuhörer vor zu viel Anpassung: „Assi-milierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ war die zentrale Aussage Ihrer denkwürdigen Rede an die ca. 16.000 überwiegend türkeistämmigen Anwesenden.

Obwohl der türkische Staat die Belange der Aleviten auf seine politische Agenda gesetzt und mit einer ver-meintlich hohen Priorität versehen hat, hat sich an der Gesamtsituation der Aleviten in der Türkei bis zum heutigen Tage gar nichts geändert. Anstatt konstruktive Lösungen zu finden, versucht der türkische Staat nachwievor uns Aleviten zu sunnitisieren.

Die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) – die bundesweit einzige Dachorganisation von in Deutsch-land lebenden Aleviten – möchte diese Gelegenheit nutzen, mit folgenden Forderungen an Sie heranzutreten:

Die AABF ist eine in Deutschland anerkannte Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes. Sie vertritt 130 alevitische Ortsgemeinden und Ortsvereine mit über 100.000 Mitgliedern aus allen Bundeslän-dern.

Nach den Christen und Muslimen stellen Aleviten zahlenmäßig die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland dar. Unser Bundesverband ist berufenes Mitglied der Deutschen Islam Konferenz sowie des Integrationsgipfels der Bundesregierung.

Mit großem Erfolg wird der alevitische Religionsunterricht – der für uns ein Meilenstein in der alevitischen Geschichte darstellt – in ganz Deutschland weiter ausgedehnt.

Auf der europäischen Ebene vertritt die Alevitische Union Europa die Interessen der Aleviten aus Deutsch-land, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Norwegen, Italien, Rumänien und Nordzypern. Insgesamt sind 250 alevitische Gemeinden unter dem Dach unseres Europaver-bandes organisiert.

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Sowohl die Alevitische Gemeinde Deutschland als auch die Alevitische Union Europa sind feste Institutionen der deutschen und europäischen Gesellschaft und unerlässlicher Ansprechpartner für den Staat, Politik und Wirtschaft.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die letzten 20 Jahre der Alevitischen Gemeinde Deutschland sind sehr beeindruckend. Sie hat in der Diaspora ein gemeinsames Experiment gestartet:

In Deutschland hat die AABF eine Migrantenorganisation gegründet, die keine Vorläuferstrukturen in der Türkei hatte. Im Gegenteil: Sie hat die Selbstorganisation der Aleviten in der Türkei von Deutsch-land aus reaktiviert und erfolgreich gesteuert.

In Deutschland hat sie die Renaissance des alevitischen Glaubens und der alevitischen Lehre auf den Weg gebracht; in einer Zeit, in der dieser Glaube in der Türkei faktisch bis zu Unsichtbarkeit as-similiert wurde.

In Deutschland hat unser Bundesverband die erste alevitische Religionsgemeinschaft im rechtlichen Sinne etabliert.

Diese Möglichkeit hat uns Deutschland gegeben und wir haben dies gern genutzt, um unseren Beitrag für ein gemeinsames Miteinander zu erbringen.

Wir sind glücklich und dankbar zugleich, dass wir Aleviten in unserer Heimat Deutschland Religionsfreiheit und Anerkennung genießen, die uns in unseren Herkunftsländern verwehrt bleibt.

Wir Aleviten partizipieren von den Errungenschaften einer durch die Aufklärung und die Moderne geprägte Kultur in diesem Lande und in Europa.

Doch wie sieht die Situation der in der Türkei lebenden Aleviten aus?

Der türkische Staat verschweigt bis heute der Weltöffentlichkeit die Existenz der ca. 20 Millionen Aleviten und bezeichnet die gesamte Bevölkerung als türkisch und zu 99 % islamisch.

In der Türkei ist das Alevitentum als Religionsgemeinschaft nicht anerkannt.

Cem-Häuser sind als Gebetsstätten der Aleviten immer noch nicht anerkannt; alevitische Orden sind fest in staatlicher Hand.

Die Türkei ist immer noch geprägt von der Ideologie der türkisch-islamischen Synthese, die auf der Auffas-sung beruht, „ein Volk – eine Religion“. Und so treibt sie die Assimilation von Aleviten, Kurden, Christen, Yeziden und Syrer fort und akzeptiert bis heute nicht, dass sie ein kulturell und national heterogenes Land ist.

Trotz eines rechtmäßigen Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte müssen unsere Kinder weiterhin am Zwangsreligionsunterricht teilnehmen. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammerberg, hat die Türkei erst kürzlich zu mehr Einsatz für die Religionsfreiheit aufgefordert. In einem in

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Strasbourg veröffentlichen Brief an die türkische Regierung äußert sich Hammerberg vor allem besorgt über die Situation der alevitischen Minderheit in der Türkei.

Zudem werden Aleviten von der staatlichen Religionsbehörde, dem Diyanet – in Deutschland als DITIB be-kannt – die ausschließlich den sunnitischen Islam vertritt, bevormundet und vereinnahmt. Die Diyanet verfolgt eine offensive Vereinnahmungs- und Assimilationspolitik gegenüber Aleviten in der Türkei. Sie baut z.B. Mo-scheen in alevitischen Dörfern und Siedlungsgebieten und sendet ihre Imame zur Missionierung.

Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lassen keine Gelegenheit aus, Ihre Landsleute vor einer möglichen Assimilation und Vereinnahmung durch die Staaten, in der sie leben, zu warnen. Doch Ihre eigene Politik verharrt mit zunehmender Tendenz in ihrer menschenrechtsverletzenden Haltung gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten.

Diese bewusste politisch-ideologische Strategie der Türkei ist der Nährboden für rechtsnationalistisches und islamistisches Potential nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch hierzulande. Der starke Einfluss aus der Türkei auf viele in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten führt seit Jahren zu einem Erstarken nationalistisch-islamistisch gerierender Kräfte.

Dies konzentriert sich auf einen idealistischen Nationalismus, der stark von einem Überlegenheitsgefühl „der Türken“ ausgeht und ethnische Minoritäten wie Armenier, Kurden, Juden und Aleviten als unterprivilegiert darstellt.

Während in Deutschland Rechtsextremismus und Rassismus öffentlich verachtet werden, sind diese in der türkischen Gesellschaft fest eingebettet.

Auch in Deutschland unterliegen Aleviten dem Assimilationsdruck der türkischen Regierung, die u.a. systema-tisch religiöses Personal alevitischen Glaubens nach Deutschland entsendet, um ihre Indoktrinierungspolitik auch hier im Lande fortzuführen.

Gegenseitige Achtung, Akzeptanz und Toleranz sind ebenso Grundlage des gemeinsamen Handels wie die Achtung der Menschenrechte, die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen und die Achtung des religiösen Bekenntnisses des jeweils Anderen. Insbesondere die Gleichbehandlung der Religionen und Weltanschauun-gen sowie aller Ethnien sind essentielle Grundpfeiler jeder Demokratie. Ein Land wie die Türkei, das von Deutschland die Erinnerung an Mölln und Solingen stets einfordert, jedoch die Erinnerung an eigene Verbre-chen an Aleviten, Armeniern usw. bis heute vehement verweigert, hat in der europäischen Wertegemeinschaft nichts verloren.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir fordern Sie und Ihre Regierung auf, die Assimilation religiöser und ethnischer Minderheiten in der Türkei sofort zu beenden. Schaffen Sie den sunnitisch-islamischen Pflichtreli-gionsunterricht ab und gewähren Sie endlich religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei die glei-chen Rechte und Freiheiten wie der übrigen türkischen Bevölkerung. Sie und Ihre Regierung widersprechen mit Ihrer Politik den Grundwerten einer modernen demokratischen Gesellschaft. Denn im Gegensatz zu auto-

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ritären Regierungssystemen erkennen wahrhafte Demokratien den gleichen Wert und die gleichen Rechte aller Bürger an.

Auch bei Ihrem diesjährigen Deutschland-Besuch Herr Ministerpräsident, haben Sie es mit Ihrer Plakataktion erneut geschafft, die von türkeistämmigen Migranten-Communities geleistete Integrationsarbeit zu konterkarie-ren. In der hiesigen Debatte um Integration und Zuwanderung sowie in der Umsetzung von erfolgsverspre-chenden Ansätzen fungieren diese Migrantenverbände als unerlässliche Brückenbauer; ihnen kommt bei der Um- und Durchsetzung einer gelingenden Integration eine existentielle Bedeutung zu.

Sie, verehrter Ministerpräsident, suggerieren den in Deutschland lebenden türkeistämmigen Migranten, dass hierzulande nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern Sie der Regierungschef sind.

Als Alevitische Gemeinde Deutschland rufen wir die Bundesregierung explizit dazu auf, zu dieser Plakataktion des Ministerpräsidenten Erdogan und ihren massiven Auswirkungen auf unsere Integrationsbemühungen Stellung zu nehmen.

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Selbstdarstellung: Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF)

Kommunal engagiert – bundesweit etabliert

Die Alevitische Gemeinde Deutschland (türkisch: Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu, Abk.: AABF) ist die einzige Dachorganisation der in Deutschland lebenden Alevitinnen und Aleviten und vertritt inzwischen bun-desweit 130 Ortsgemeinden mit insgesamt 100.000 Familienmitgliedschaften.

Mit ca. 500.000 bis 800.000 Gläubigen bildet das Alevitentum eine der größten Religionsgemeinschaften in Deutschland. Die AABF vertritt ca. 245.000 Aleviten in Deutschland (Studie „Muslimisches Leben in Deutsch-land“, Bundesministerium des Innern, 2009).

Die AABF ist eine anerkannte Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes und vertritt als berufenes Mitglied der Deutschen Islam Konferenz sowie des Integrationsgipfels der Bundesregierung die Interessen ihrer Verbandsmitglieder.

Zu den wichtigsten Errungenschaften der AABF gehören die Renaissance des alevitischen Glaubens und der alevitischen Lehre in Deutschland sowie die Einführung des alevitischen Religionsunterrichts in mittlerweile 8 Bundesländern.

Die Etablierung der alevitischen Glaubenslehre in Lehre und Forschung an deutschen Universitäten sowie die Anerkennung der AABF als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind die bedeutendsten Ziele auf der politi-schen Agenda des Verbandes.

Die Alevitische Gemeinde Deutschland ist Mitglied der Alevitischen Union Europa.

Zu den originären Aufgabenfeldern der AABF gehören u.a.:

Revitalisierung des Alevitentums in Deutschland und in der Türkei

Verschriftlichung und Veröffentlichung der alevitischen Lehre

Förderung des interreligiösen Dialogs und der interreligiösen Zusammenarbeit

Beratung von Politik und Gesellschaft

Etablierung einer Gedenk- und Erinnerungskultur

Antidiskriminierung und Menschenrechtsbildung

Förderung und Bekräftigung einer demokratischen Bewusstseinsbildung

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Professionalisierung & Qualifizierung von Einrichtungen und Organisation der Einwande-rungsgesellschaft

Förderung des Dialogs und der Zusammenarbeit mit religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinschaften aus der Türkei in der deutschen und europäischen Diaspora

Sensibilisierungs-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit

P a r t i z i p a t i o n — G l e i c h b e h a n d l u n g — I n k l u s i o n

Mit diesem Dreiklang stellt sich die Alevitische Gemeinde Deutschland den Herausforderungen eines grundle-genden und weitreichenden Wandels hin zu einer inklusiven Gesellschaft in Deutschland, die weit über „Integ-ration“ im herkömmlichen Sinne geht. Inklusion ist nicht nur Ausdruck einer Vision von einer Gesellschaft, die es in Anerkennung der Gleichheit und Verschiedenheit der Menschen erst gar nicht zu Ausgrenzung kommen lässt, sondern ein Menschenrecht, das selbstverständlich für Alle gilt.

E r i n n e r u n g — G e d e n k e n — V e r a n t w o r t u n g

In Erinnerung an die Opfer der zum Teil staatlich organisierten und/oder geduldeten Verbrechen an Alevitin-nen und Aleviten pflegt die Alevitische Gemeinde Deutschland mit ihrem fortdauernden Engagement für die „Vergegenwärtigung des Vergangenen“ öffentlich das Andenken. Sie setzt ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen die Relativierung und Verharmlosung von (staatlichen) Gewaltverbrechen, gegen das Fortbestehen rechter, nationalistischer und islamistischer Ideologien und Aktivitäten im Alltag und Gesellschaft.

I n f o r m i e r e n — H a n d e l n — V e r ä n d e r n

An der von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch dem Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte gleichermaßen verurteilten Staatspolitik der Türkei gegenüber religiösen und ethnischen Gemein-schaften hat sich bis heute nichts verändert. Die Alevitische Gemeinde Deutschland engagiert sich für den Schutz von religiösen und ethnischen Gemein-schaften und wirbt politisch und in der Öffentlichkeit für deren Rechte.

H u m a n i s m u s — F r e i h e i t — D e m o k r a t i e

Die Alevitische Gemeinde Deutschland steht für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Sie verteidigt die Werte der Aufklärung und des Humanismus. Gegenseitige Achtung, Akzeptanz und Toleranz sind ebenso Grundlage des gemeinsamen Handelns wie die Achtung der Menschenrechte, die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen und die Achtung des religiösen Bekenntnisses des jeweils Anderen.

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Kontakt

Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) Stolberger Straße 317 50933 Köln Tel.: 0049-221-949856-0 Fax. 0049-221-949856-10 [email protected] www.alevi.com

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Montag bis Freitag 09:00 – 17:00 Uhr und nach Vereinbarung

So erreichen Sie uns

Anreise mit der Deutschen Bundesbahn Am Kölner Hauptbahnhof die S-Bahn-Linien 12 oder 13 (Linie 13 zeitweise). 3 Stationen fahren bis zur Haltestelle Müngersdorf Technologiepark. Fahrtzeit ca. 8 Minuten, anschließender Fußweg ca. 10-12 Minuten.

Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln Am Kölner Hauptbahnhof mit den U-Bahn-Linien 18 oder 16 bis Neumarkt. Am Neumarkt mit der Straßenbahn-Linie 1 bis Haltestelle Eupener Straße. Fahrtzeit ca. 25 Minuten, anschließender Fußweg ca. 10-12 Minuten.

Anreise mit dem Auto Autobahn A 1, Ausfahrt Köln-Lövenich, Nr. 103. Ab dort auf die Aachener Straße Richtung Stadtmitte/Zentrum fahren und der Straßenbeschilderung folgen.

Falls Sie ein Navigationsgerät besitzen, beachten Sie bitte die Wegbeschreibung für die Stolberger Straße für den Stadtteil Braunsfeld.