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Diese innerliche Reinheit der Gesinnung, diese Geradlinigkeit und auBere Schlichtheit waren auch fur Lise Meitner charak- teristisch. Jedem, der das Gliick hatte, sie zu erleben und mit ihr zu sprechen, werden diese Charakterziige unausldschlich im Gediichtnis sein. Ich hielt es fur notwendig, in meinem Vortrag vergleichsweise vie1 iiber Lise Meitner zu sagen, weil hier ein Nachholebedarf an In- formation und Wertung besteht und neue, aufschluBreiche Doku- mente veroffentlicht wurden. Zudem hat Lise Meitner immerhin zehn Jahre als Dozent und Professor in Berlin gewirkt, und wenn der Umfang ihrer Lehrtatigkeit auch verhaltnisrnailig gering war, so gebiihrt ihr doch ein Ehrenplatz in der Liste der Lehrkrafte, die an der von Wilhelm von Humboldt gegriindeten Universitit. in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tatig waren. Wenn man das wechselvolle Leben von Lise Meitner und Otto Hahn iiberschaut, so erkennt man die tiefe Weisheit eines Aus- spruchs von Emil Fischer, der beide Forscher in ihren Anfangen so nachdrucklich gefordert hatte: ,,Die Wissenschaft ist nichts Abstraktes, sondern als Produkt menschlicher Arbeit auch in ihrem Werdegang eng verkniipft mit der Eigenart und dem Schicksal der Personen, die sich ihr widmen."&) 6, Bugge, G. (Hrsg.): Buch der grol3en Chemiker, Weinheim/Berg- straBe Verlag Chemie, 1955, Bd. 11, S. 92 eingegangen am 4. Juli 1979 ZCA 6453 Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitaer und Otto Hahn") Von Gunther Vormum Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut fur Isotopen- und Strahlenforschung, Bereich Strahlenquellen und Nuklearpharmaka, Berlin-Buch Aus AnlaB des 100. Geburtstages von Lise Meitner und Otto Hahn hat der Autor gern der Bitte des Vorstandes der Chemischen Ge- sellschaft der DDR entsprochen, einiges aus dem wissenschaftli- chen Werk der beiden Forscher in Erinnerung zu bringen. Es kann und sol1 nicht Anliegen dieses Vortrages sein, das Lebens- werk Otto Hahns und Lise Meitners umfassend darzustellen. Ich werde mich darauf beschriinkcn, iiber Ergebnisse gemeinsamer Bemiihungen beider Forscher zu berichten, Ergebnisse, die zwi- schen 1906 und Mitte bis Ende der dreidiger Jahre gewonnen wurden und ausgehen von der Auffindung einer Reihe von Radio- nukliden der natiirlichen Zerfallsreihen, um schlieBlich in der Ent- deckung der Kernspaltung und deren teilweiser physikalischen Interpretation zu gipfeln. Hahn und Meitner verdanken wir dar- iiber hinaus die Ausarbeitung einer Reihe radiochemischer und radiophysikalischer Praparations- und MeDtechniken und nicht zuletzt auch die Entdeckung von Erscheinungen wie die der Iso- merie, der des RuckstoBes beim Alphazerfall sowie Erkenntnisse iiber die Mitfallung und anderes niehr. Um die Dinge, uber die berichtet wcrden soll, in die Chronologie der Radioaktivitat einordnen zu konnen, sei ein kurzer histori- scher Vorspann gestattet. Henri Bequerel berichtete 1896 uber eine an Uranpraparaten be- obachtete durchdringende Strahlung, die in der Lage sei, foto- grafische Platten zu schwarzen. Die gleiche Erscheinung fand bald darauf Mme. Curie und unabhangig von ihr auch G. C. Schmidt an Thoriumverbindungen. Die Bezeichnung Radioaktivitat fiir dieses Phanomen geht iibrigens auch auf Mme. Curie zuriick. 1898 fiihrten der chemische AufschluB von Uranerz und die an- schlieBende Fraktionierung zur Entdeckung des Foloniums durch die Curies. Wenige Jahre spater (1902) gelang ihnen dann auch die Isolierung von 100 mg Radiunichlorid aus 2 t Pechblende. 1899 fuhrte J. J. Thomson erste Messungen der neuentdeckten Strahlung mit Hilfe eines Elektroskopes durch. Ihm verdanken wir auch die Interpretation des Phanomens, indem er dies auf die Ionisation von Luftmolekeln zuriickfiihrte. Auch im Laboratorium von Rutherford hatte man inzwischen be- gonnen, sich mit der Messung, dem Absorptionsverhalten sowie der Energetik dieser neuartigen Strahlung zu befassen. Von nun an unterschied man im Hinblick auf das unterschiedliche Durch- dringungsvermogen zwischen Alpha- und Betastrahlung. *) Festvortrag, gehalten am 8. Februar 1979 im Emil-Fischer- Horsaal der Sektion Chemie der Humboldt-Universitat in der Hessischen StraBe Die Entdeckung des Emaniervermogens von Thorium-, Radium- und Actiniumpraparaten, also die Entstehung von Radon, eines Edelgases, fiihrten Rutherford und Soddy wenige Jahre spater (1903) zu der tiefgreifenden Erkenntnis, daB sich bei dem unter Emission von Strahlung verlaufenden ZerfallsprozeB ein Element in ein anderes umwandelt. Man bedenke, daB der Begriff des Atomkerns erst acht Jahre spater gepragt wurde, nachdem Rutherford durch Experimente der Streuung von Alphateilchen an diinnen Metallfolien funda- mentale Erkenntnisse iiber den Aufbau der Atome gewonnen hatte. SchlieBlich sei erwahnt, daB E . 8chweidler 1905 die statistische Natur des radioaktiven Zerfalls erkannte und damit die mathe- matische Formulierung des zeitlichen Ablaufes (d. h. des Ab- klingens oder des Anwachsens der Aktivitat eines radioaktiven Praparates) entsprechend einer Exponentialfunktion ermoglichte. Um diese %it etwa arbeitete Otto Hahn im Rumsuyschen Institut in England und hatte ,,rein zufallig", wie er spater selbst berich- tete [l], das Radiothorium entdeckt. ,,Dieses Radiothorium muBte ich finden", sagt Hahn weiter, ,,denn es befand sich in einem Ba- rium-Radium-Gemisch, das nicht aus reinem Uranmineral, son- dern aus einem thorium- und uranhaltigen Mineral stammte." Die Aufklarung dieses Zusammenhangs gehort ubrigens zu den wissenschaftlichen E ~ d g e n , die das Ergebnis von Arbeiten hier im Chemischen Institut in der Hessischen StraI3e waren. Sir William Rumsray schlug ihm vor, wie Hahn weiter berichtet, sich von der organischen Chemie ganz abzuwenden und bei der Radioaktivitat zu bleiben. So ging er dann im Herbst 1905 zu Rutherford nach Montreal, um sich auf dem Gebiet der Radio- aktivitat weiter ausbilden zu lassen. Der Entdeckung des Radiothoriums begegnete man im Ruther- fordschen Institut mit Zuriickhaltung, hatten doch Rutherford und Soddy zuvor das ThX, ein kurzlebiges Radiumisotop, entdeckt, das sie fur das unmittelbare Folgeprodukt des Thoriums hielten. Boltwood bezeichnete Huhns Entdeckung als ,,a mixture of ThX and stupidity". Heute wissen wir, daB ThX die Tochter des RdTh ist. Bald konnte die Reihe der Erfolge durch Auffindung einer neuen Substanz beim Actinium fortgesetzt werden. Diesen neuen Korper nannte Hahn Radioactinium. Es handelt sich hierbei ebenfalls um ein Thoriumisotop mit einer Halbwertszeit (HWZ) von etwa 20 d. Das Ac, die Muttersubstanz des RdAc, war ja bereits einige Jahre vorher (1899) von Debierne in Pechblenderiickstanden ge- 2. Chem., 20. Jg. (1980) Heft 7 243

Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitner und Otto Hahn

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Page 1: Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitner und Otto Hahn

Diese innerliche Reinheit der Gesinnung, diese Geradlinigkeit und auBere Schlichtheit waren auch fur Lise Meitner charak- teristisch. Jedem, der das Gliick hatte, sie zu erleben und mit ihr zu sprechen, werden diese Charakterziige unausldschlich im Gediichtnis sein. Ich hielt es fur notwendig, in meinem Vortrag vergleichsweise vie1 iiber Lise Meitner zu sagen, weil hier ein Nachholebedarf an In- formation und Wertung besteht und neue, aufschluBreiche Doku- mente veroffentlicht wurden. Zudem hat Lise Meitner immerhin zehn Jahre als Dozent und Professor in Berlin gewirkt, und wenn der Umfang ihrer Lehrtatigkeit auch verhaltnisrnailig gering war, so gebiihrt ihr doch ein Ehrenplatz in der Liste der Lehrkrafte, die an der von Wilhelm von Humboldt gegriindeten Universitit. in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tatig waren.

Wenn man das wechselvolle Leben von Lise Meitner und Otto Hahn iiberschaut, so erkennt man die tiefe Weisheit eines Aus- spruchs von Emil Fischer, der beide Forscher in ihren Anfangen so nachdrucklich gefordert hatte:

,,Die Wissenschaft ist nichts Abstraktes, sondern als Produkt menschlicher Arbeit auch in ihrem Werdegang eng verkniipft mit der Eigenart und dem Schicksal der Personen, die sich ihr widmen."&)

6, Bugge, G. (Hrsg.): Buch der grol3en Chemiker, Weinheim/Berg- straBe Verlag Chemie, 1955, Bd. 11, S. 92

eingegangen am 4. Juli 1979 ZCA 6453

Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitaer und Otto Hahn")

Von Gunther Vormum

Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut fur Isotopen- und Strahlenforschung, Bereich Strahlenquellen und Nuklearpharmaka, Berlin-Buch

Aus AnlaB des 100. Geburtstages von Lise Meitner und Otto Hahn hat der Autor gern der Bitte des Vorstandes der Chemischen Ge- sellschaft der DDR entsprochen, einiges aus dem wissenschaftli- chen Werk der beiden Forscher in Erinnerung zu bringen. Es kann und sol1 nicht Anliegen dieses Vortrages sein, das Lebens- werk Otto Hahns und Lise Meitners umfassend darzustellen. Ich werde mich darauf beschriinkcn, iiber Ergebnisse gemeinsamer Bemiihungen beider Forscher zu berichten, Ergebnisse, die zwi- schen 1906 und Mitte bis Ende der dreidiger Jahre gewonnen wurden und ausgehen von der Auffindung einer Reihe von Radio- nukliden der natiirlichen Zerfallsreihen, um schlieBlich in der Ent- deckung der Kernspaltung und deren teilweiser physikalischen Interpretation zu gipfeln. Hahn und Meitner verdanken wir dar- iiber hinaus die Ausarbeitung einer Reihe radiochemischer und radiophysikalischer Praparations- und MeDtechniken und nicht zuletzt auch die Entdeckung von Erscheinungen wie die der Iso- merie, der des RuckstoBes beim Alphazerfall sowie Erkenntnisse iiber die Mitfallung und anderes niehr. Um die Dinge, uber die berichtet wcrden soll, in die Chronologie der Radioaktivitat einordnen zu konnen, sei ein kurzer histori- scher Vorspann gestattet. Henri Bequerel berichtete 1896 uber eine an Uranpraparaten be- obachtete durchdringende Strahlung, die in der Lage sei, foto- grafische Platten zu schwarzen. Die gleiche Erscheinung fand bald darauf Mme. Curie und unabhangig von ihr auch G. C . Schmidt an Thoriumverbindungen. Die Bezeichnung Radioaktivitat fiir dieses Phanomen geht iibrigens auch auf Mme. Curie zuriick. 1898 fiihrten der chemische AufschluB von Uranerz und die an- schlieBende Fraktionierung zur Entdeckung des Foloniums durch die Curies. Wenige Jahre spater (1902) gelang ihnen dann auch die Isolierung von 100 mg Radiunichlorid aus 2 t Pechblende. 1899 fuhrte J . J. Thomson erste Messungen der neuentdeckten Strahlung mit Hilfe eines Elektroskopes durch. Ihm verdanken wir auch die Interpretation des Phanomens, indem er dies auf die Ionisation von Luftmolekeln zuriickfiihrte. Auch im Laboratorium von Rutherford hatte man inzwischen be- gonnen, sich mit der Messung, dem Absorptionsverhalten sowie der Energetik dieser neuartigen Strahlung zu befassen. Von nun an unterschied man im Hinblick auf das unterschiedliche Durch- dringungsvermogen zwischen Alpha- und Betastrahlung.

*) Festvortrag, gehalten am 8. Februar 1979 im Emil-Fischer- Horsaal der Sektion Chemie der Humboldt-Universitat in der Hessischen StraBe

Die Entdeckung des Emaniervermogens von Thorium-, Radium- und Actiniumpraparaten, also die Entstehung von Radon, eines Edelgases, fiihrten Rutherford und Soddy wenige Jahre spater (1903) zu der tiefgreifenden Erkenntnis, daB sich bei dem unter Emission von Strahlung verlaufenden ZerfallsprozeB ein Element in ein anderes umwandelt. Man bedenke, daB der Begriff des Atomkerns erst acht Jahre spater gepragt wurde, nachdem Rutherford durch Experimente der Streuung von Alphateilchen an diinnen Metallfolien funda- mentale Erkenntnisse iiber den Aufbau der Atome gewonnen hatte. SchlieBlich sei erwahnt, daB E. 8chweidler 1905 die statistische Natur des radioaktiven Zerfalls erkannte und damit die mathe- matische Formulierung des zeitlichen Ablaufes (d. h. des Ab- klingens oder des Anwachsens der Aktivitat eines radioaktiven Praparates) entsprechend einer Exponentialfunktion ermoglichte. Um diese %it etwa arbeitete Otto Hahn im Rumsuyschen Institut in England und hatte ,,rein zufallig", wie er spater selbst berich- tete [l], das Radiothorium entdeckt. ,,Dieses Radiothorium muBte ich finden", sagt Hahn weiter, ,,denn es befand sich in einem Ba- rium-Radium-Gemisch, das nicht aus reinem Uranmineral, son- dern aus einem thorium- und uranhaltigen Mineral stammte." Die Aufklarung dieses Zusammenhangs gehort ubrigens zu den wissenschaftlichen E ~ d g e n , die das Ergebnis von Arbeiten hier im Chemischen Institut in der Hessischen StraI3e waren. Sir William Rumsray schlug ihm vor, wie Hahn weiter berichtet, sich von der organischen Chemie ganz abzuwenden und bei der Radioaktivitat zu bleiben. So ging er dann im Herbst 1905 zu Rutherford nach Montreal, um sich auf dem Gebiet der Radio- aktivitat weiter ausbilden zu lassen. Der Entdeckung des Radiothoriums begegnete man im Ruther- fordschen Institut mit Zuriickhaltung, hatten doch Rutherford und Soddy zuvor das ThX, ein kurzlebiges Radiumisotop, entdeckt, das sie fur das unmittelbare Folgeprodukt des Thoriums hielten. Boltwood bezeichnete Huhns Entdeckung als ,,a mixture of ThX and stupidity". Heute wissen wir, daB ThX die Tochter des RdTh ist. Bald konnte die Reihe der Erfolge durch Auffindung einer neuen Substanz beim Actinium fortgesetzt werden. Diesen neuen Korper nannte Hahn Radioactinium. Es handelt sich hierbei ebenfalls um ein Thoriumisotop mit einer Halbwertszeit (HWZ) von etwa 20 d. Das Ac, die Muttersubstanz des RdAc, war ja bereits einige Jahre vorher (1899) von Debierne in Pechblenderiickstanden ge-

2. Chem., 20. J g . (1980) Hef t 7 243

Page 2: Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitner und Otto Hahn

funden worden. Nun sind RdTh und auch RdAc beides Alphastrah- ler. In Rutherfords Laboratorium aber befaBte man sich bekannt- lich unter anderem auch mit der magnetischen und elektrischen Ablenkung sowie rnit der Absorption von Alphastrahlen, und so lag es nahe, die Eigenschaften der Alphastrahlung dieser beiden Radioelemente jetzt eingehend zu untersuchen. Durch Rutherfords Arbeiten sowie durch die von Bragg und Kle- mann iiber die Reichweite von Alphastrahlen hatte man erkannt, da8 einheitliche radioaktive Elemente Alphastrahlen einheitlicher Reichweite emittieren. Damit stand jetzt ein Mittel zur Analyse von Radioelementen, wenigstens soweit sie Alphateilchen emit- tierten, zur Verfiigung. Rutherford war dariiber hinaus inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, da13 die Alphastrahlen wahrscheinlich sich schnell bewegende positiv geladene Heliumatome seien. Im Sommer 1906 kehrte Otto Hahn aus Kanada nach Deutschland zuriick und bekam hier in der Hessischen StraBe von Emil Fischer einen Arbeitsplatz zur Verfiigung gestellt. Ausgehend von weiteren Untersuchungen am RdTh, die spater zur Entdeckung des vermuteten Zwischenkorpers zwischen diesem und dem Thorium fiihrten, hat Hahn in diesem Hause einige der Arbeiten durchgefiihrt, die zur Vervollstlndigung der damals noch liickenhaften natiirlichen Zerfallsreihen des Th, des Ac und auch des Urans wesentlich beitrugen sowie die Kenntnisse iiber die Strahlungseigenschaften radioaktiver Stoffe iiberhaupt stark er- weiterten und die nicht zuletzt zur Grundlage fur eine typisch radiochemische Arbeitstechnik wurden. Bild 1 zeigt die sechs im Hahnschen Laboratorium entdeckten Radioelemente aus den natiirlichen Zerfallsreihen. Die Aufkliirung vieler dicser Zusammenhange hat wesentlich zum Wissensfundus der Kernchemie beigetragen. Wir konnen die Ur- sache radioaktiver Umwandlungen, also die des Alpha- und Beta- zerfalls, heute mit Hilfe einfacher Kernmodelle wenigstens quali- tativ erklaren. So ist es einerseits moglich, den Verlauf der natiir- lichen Zerfallsreihen eben mit Hilfe solcher Modellvorstellungen zu erkllren, andererseits haben aber gerade Ergebnisse und Er- kenntnisse Hahns und Meitners mit dazu beigetragen, daB dieses theoretische Fundament geschaffen werden konnte. Beginnen wir m e r e Exkursion mit dem Jahr 1906, als Otto Hahn im Chemischen Institut in Berlin seine bei Ramsay angefangenen Arbeiten [ 2 ] uber die natiirlichen radioaktiven Elemente, zu- niichst also mit dern Radiothor und dessen vermeintlicher Mutter- substanz, fortsetzte. Die Halbwertszeit des RdTh war von Hahn mit etwa 2 Jahren angegeben worden. Boltwood [3] hatte aufgrund eigener Versuche Zweifel an diesem Wert. Nach seinen Beobachtungen sollte RdTh eine langere Halbwertszeit haben. Den von ihm untersuchten Thoriumsalzen fehlte nach Hahns Meinung offenbar ein Teil des RdTh. Wenn letzteres niimlich unmittelbares Tochterprodukt des Th gewesen ware, hatte in wenigen Monaten RdTh meBbar nach- wachsen mussen.

Uran - Reihe

Uran XI ionium 752x1~7~

Ra226 Radium 1622a

P

Einen entsprechenden Anstieg der Alpha-Aktivitat konnte Bolt- wood jedoch nicht nachweisen. Hahn ilderte in einem personlichen Gespraoh, das er mit ihm gefiihrt hatte, daB an die mogliche Exi- stenz eines Zwischenkorpers zu denken sei. ,,Die Radiothorpriipa- rate nehmen also ab, das Boltwoodsche geschwiichte Thorium nahm aber nicht oder nicht in demselben MaBe zu, wie man hatte er- warten mussen, wenn das Radiothorium der direkte Abkommling des Thoriums war. Hier IaBt sich ein Ausweg aus der Schwierig- keit finden, wenn man die Existenz eines Zwischenproduktes zwi- schen Thorium und Radiothorium rnit einer Iangeren Lebensdauer als der des Radiothoriums annimmt. Dann wiirde es sich erkliiren lassen, warum das erwiihnte schwache Thoriumpraparat nicht in dem MaBe zunahm, als die von mir untersuchten Radiothorprii- parate abnahmen. Man brauchte ja nur anzunehmen, daB dem Thoriumpriiparat nicht nur das Radiothor, sondern auch das Zwischenprodukt fehle, mit dessen Neubildung dann erst die Neu- bildung des Radiothors eintreten konnte." Durch Priifung verschieden alter Th-Praparate, die alle unter gleichen Bedingungen hergestellt worden waren, konnte dann schlieBlich im Hahnschen Laboratorium der Beweis der Existenz des vermuteten Zwischenkorpers, des Mesothoriums [4], [5], er- bracht werden. Hier, wie in allen anderen Arbeiten, wurde der Beweis auflerordent- lich sorgfialtig gefiihrt. Die wechselnden RdTh-Gehalte der Pra- parate bestimmten Hahn und Meitner [6] nicht nur durch Messung der Alphastrahlung, sondern auch durch Emanationsmessung und schliel3lich - um ganz sicher zu gehen - erfolgte die Bestiitigung durch Vergleich der experimentellen und der theoretisch voraus- berechneten Kurve der Anderung der Alpha-Aktivitlt. Ubrigens konnte hierdurch dann auch eindeutig auf die Alphastrahlung des friiher fur strahlenlos gehaltenen Thoriums geschlossen wer- den. Man mu13 sich hierbei vor Augen fiihren, mit welch einfachen Mit- teln der Radiochemiker damals zu arbeiten gezwungen war. Hahn hat das selbst spiiter einmal gesagt: ,,Verglichen mit spateren Zeiten, waren die apparativen Hilfsmittel sehr einfach. Unsere Beta- und Gammastrahlen-Elektroskopie stellten wir uns aus einer groBeren Konserven- oder sonstigen Blechdose her, auf die eine kleinere Tabaks- oder Zigarettendose aufgesetzt war. Die Isolation des Bliittchentriigers geschah mit Schwefel, denn Bern- stein hatten wir damals noch nicht." Im Laufe weiterer Untersuchungen hat sich dann gezeigt, da8 das Mesothor selbst keine einheitliche Substanz ist, sondern da13 es sich aus zwei genetisch miteinander verbundenen Bestand- teilen zusammensetzt, von denen der liingerlebige, das eigentliche Mesothor 6,7a, ohne erkennbare Strahlung in ein neues Produkt, das Betastrahlung aussendet und eine HWZ von 6,2 h besitzt, ubergeht. Mesothor 1 und 2 sind isotop rnit Ra bzw. Ac. Mesothor 1 hat, wie wir heute wissen, eine maximale Betaenergie von nurr0,012 MeV und entzog sich deshalb-damals der Messung.

Thorium - Reihe Aktinium - Reihe

Bild 1 menten (stark umrandet)

Die drei natiirlichen Zerfallsreihen (auszugsweise) mit den sechs von Hahn bzw. Hahn und Meitner entdeckten Radioele-

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Die chemische Abtrennung des Mesothor 2, also des ZZsAc, gelang durch NH,-Fallung auf Zirkontriiger. Erstaunlich ist die Genauig- keit, rnit der die HWZ von 6,2 h aus einer Reihe von Messungen ermittelt wurde. Neueste Werte liegen bei 6,23 h. Wir mussen namlich dabei in Betracht ziehen, daB eine saubere Abtrennung der Substanz, die fur eine genaue HWZ-Bestimmung notwendig ist, dadurch erschwert wird, da13 ja laufend RdTh und dessen Folge- produkte nachgebildet werden. ThB und ThC sind sber wie Meso- thor 2 Betastrahler und beeinflussen deshalb den MeBwert. Mit der Entdeckung dieser beiden Zwischenprodukte aus der Th-Reihe hatte deren Erforschung jetzt folgenden Stand erreicht :

Thorium-Zerfallsreihe (Stand vom Marz 1908)

Thorium Thorium 1 (Mesothorium 1) Thorium 2 (Mesothorium 2) Thorium 3 (Radiothorium) Thorium X Emanation Thorium A Thorium B Thorium C Inaktives Endprodukt

Nun erschopften sich die Untersuchungen an diesem neuen Radio- element keineswegs in der Bestimmung der HWZ und in ihrer chemischen Identifizierung, obwohl gerade aus letzterer, wie auch schon bei der Abtrennung anderer Radioelemente, eine radio- chemische Experimentierkunst resultierte, die noch spater fur viele Praparationen beispielhaft war. I m Herbst 1907, also ein Jahr nach Otto Hahn, hatte Lise Meitner, aus Wien kommend, ebenfalls hier in der Hessischen StraBe als Gast einen Arbeitsplatz zur Verfugung gestellt bekommen. Frau Meitner hatte bis dahin am physikalischen Institut der Wiener Universitat ein Jahr lang uber Probleme der Radioaktivitit gearbeitet. Nun war sie mit der Absicht nach Berlin gekommen, sich in theoretischer Physik bei Max Planck weiter ausbilden zu lassen. Aus den zunachst vorgesehenen 2 Jahren ist dann die mehr als 30jahrige, so erfolgreiche Schaffensperiode an der Seite Otto Hahns geworden, der durch den Rassenwahn wahrend des Hitler- faschismus leider ein gewaltsames Ende gesetzt wurde. An einer Reihe von Betastrahlern begann nun in Zusammenarbeit mit Otto won Baeyer ein systematisches Studium der Strahlenab- sorption mit Aluminiumabsorbern. Fand man eine einfache ex- ponentielle Absorptionskurve, wurde auf einen einheitlichen, anderenfalls auf einen komplexen Betastrahler geschlossen. Ver- suche, durch Ablenkung der Betastrahlen im Magnetfeld fur ein reines Radioelement einheitliche Linien zu erhalten, analog den Ru herfordschen Ergebnissen an Alphastrahlern, bewiesen jedoch die Unrichtigkeit der bis dahin angewendeten Arbeitshypothese. Aber gerade dieses negative Ergebnis war AnlaB fur eine Reihe auBerordentlich bedeutender Arbeiten Lise Meitners, die spater wesentlich zur Entwicklung einer Theorie des Betazerfalls und zu der der Gamma-Emission beigetragen haben. Das Interesse beider Forscher galt nun aber keineswegs der Th- Reihe allein, sondern auch den Folgeprodukten des Urans sowie der Ac-Reihe. In diesem Zusammenhang sollte auch erwahnt werden, da13 wir Hahn und Meitner die Aufklarung eines Phano- mens verdanken, das wir heute als RuckstoBeffekt kennen. Von mehreren Autoren war bei der Gewinnung eines sogenannten ,,aktiven Niederschlags" aus Ac -- d. h. also beim Auffangen der aus der Emanation entstandenen festen Folgeprodukte - eine langsamer abklingende Restaktivitat beobachtet worden. Von den Folgeprodukten Ac, A, B und C war bekannt, daB sie Halb- wertszeiten in der GroDenordnung von Minuten hatten, wahrend die gefundene Restaktivitat rnit 18,8 d HWZ abnahm. Aus einem Ac-Praparat wurden die unmittelbaren Folgeprodukte RdAc (z27Th) und AcX (zzaRa) abgetrennt und diese wie das Actinium selbst in verschiedenen sogenannten InduktionsgefaDen unter

der Starke des aktiven Niederschlages keine Proportion estand. Damit war die Existenz eines langlebigen Folg tes im Nieder-

Ursache dieser an durch dunne

gelegten elektrischen Feldes zu beobachten.

das Ausschleudern der Elektronen oder

das GeschoB den Lauf verllBt."

Korpern aus den aktiven Niederschlagen reihen angewendet worden. AuBerdem ha der RuckstoB auf das Emaniervermogen

Meitner [8] eine Mitteilung uber die Entde stanz des seit langem (1899) bekannten Acti

Durch die Aufstellung der Verschiebun Russel und Soddy 1913 war nlmlich die

kt. Diffusions-

suche von A . Fleck und auch von Hahn zeigten, daB Ac wahrscheinlich ein dreiw lement sei. So-

fanden dann aber tatsachlich das UX, und sich hierbei um einen Betastrahler rnit einer

Erfolg.

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langlebiges Isotop des UX, war, den chemischen Reaktionen des Ta folgen musse. Versuche mit 25 Jahre alten Uranylnitratpra- paraten und mit einigen Mineralien lieferten jedoch keine ein- deutigen Ergebnisse. In dem HN0,-unloslichen Ruckstand der Pechblende, der neben Kieselsaure praktisch die gesamte Menge der Ta-ahnlichen Substanz enthielt, sollte eigentlich die gesuchte Substanz in angereicherter Form vorliegen. Ein solcher Ruckstand wurde mit Ta-Wager versetzt, in HF gelost, filtriert, eingedampft und der Ruckstand mit H,S04 abgeraucht. Ein Auskochen dieses Ruckstandes mit HNO, lieB nur die Ta-ahnlichen Substanzen ungelost zuriick. Das so gewonnene Praparat zeigte auch tatsachlich eine energiearme Alphastrahlung und eine durchdringendere Strah- lung, deren Intensitat mit der Zeit zunahm, entsprechend dem Nachwachsen von Ac. Um den eindeutigen Beweis fur das ent- deckte Element zu erbringen, wurden qualitative Messungen der Emanation [12] und des aktiven Niederschlages [13], [14] des Ac angeschlossen. Quantitative Messungen konnten sie erst an

6,7 h zeigt. Heute wissen wir, da13 aus dem Uran X, zuniichst Uran X, entsteht und dieses sich entweder durch Betastrahlung direkt in das Uran 2 (234U) umwandelt oder zunachst durch Emis- sion von Gammaquanten in das Uran Z, also - wie wir heute sagen - vom angeregten in den Grundzustand ubergeht. Letzteres wandelt sich unter Beta-Emission dann auch in Uran 2 um. Wir kennen heute eine groSe Zahl solcher Isomerenpaare, d. h. Iso- tope gleicher Massenzahl; Kerne also, die sich nur durch ihren Energieinhalt unterscheiden. Lassen Sie mich nun zum letzten Gegenstand meines Vortrages kommen. Nachdem das Gebiet der natiirlichen radioaktiven Zerfallsreihen nicht zuletzt auch - wie wir gesehen haben - durch Arbeiten von Hahn und Meitner als im wesentlichen aufge- klilrt angesehen werden konnte, wurde Anfang der DreiSigerjahre eine Reihe bedeutender Entdeckungen gemacht, die der Radio- aktivitat und der Kernchemie zu einer geradezu stiirmischen Entwicklung verhelfen sollten.

groleren Mengen eines reinen Priiparates durchfuhren. Die neu- Dem Ehepaar Joliot-Curie war es 1934 gelungen, durch Alpha- entdeckte Substanz erhielt den Namen Protactinium. bestrahlung erste kunstlich radioaktive Kernarten, nlmlich Mit dem Pa war, so nahm man an, das letzte Element von langer Isotope des Stickstoffs und des Phosphors, darzustellen. Ihre Lebensdauer, das noch in der Ac-Zerfallsreihe fehlte, gefunden urspriingliche Absicht bestand ubrigem darin, Positronen zu worden. Auch fur die beiden andmen Zerfallsreihen durfte man erzeugen. annehmen, daS es ausgeschlossen war, noch neue Substanzen zu 1932 hatte J. Chadwick das Neutron entdeckt und damit dem finden, die sich in direkter Folge in die bekannten Reihen ein- Kernphysiker, wie Fermi durch seine Neutronenaktivierungs- fugen lieBen. Allerdings war man sich durchaus nicht uber die Stel- versuche zeigen konnte, ein besonders wirksames Mittel zur Aus- lung des Ac zur Uranreihe im klaren. Bereits fiinf Jahre fruher losung von Kernreaktionen und damit auch zur Erzeugung radio- war dieses Problem Gegenstand einer Publikation von Hahn und aktiver Kernarten in die Hand gegeben. Meitner gewesen. Noch nahm man an, daB es einem Zweig der Durch Neutroneneinfang war man jetzt in der Lage, zahlreiche Urankette angehorte. inaktive Kernarten zu aktivieren, z.B. "Na (n,y) *4Na. Aus dieser

Reaktion resultieren Kerne mit NeutroneniiberschuS, die fast immer einem Beta-minus-Zerfall unterliegen. Dabei entstehen dann Tochterkerne, die eine um 1 hohere Ordnungszahl als die Ausgangskerne besitzen. Folglich sollte es moglich sein, durch Neutronenbestrahlung von naturlichem Uran Kerne mit hoherem Atomgewicht als 238 zu erzeugen, die aufgrund ihres Neutronenuberschusses unter Beta- minus-Emission in Kerne rnit einer Ordnungszahl groBer 92, also

UI" + UXf + UXg + UII" + Joa -+ Ram --f Ema + etc. I UYS -+ Paa -+ Aca + RdAc" + etc.

Rild 2 (Erkenntnisstand von 1913)

Stellung von Pa und Ac in der natiirlichen Zerfallsreihe

Es gab aber auch Zweifel an dieser Vorstellung, die bekanntlich erst viele Jahre spater (1935) von Dempster durch den massen- spektrometrischen Nachweis der Existem des 235U ausgeraumt wurden. Angeregt durch die schnelle Erweiterung der Kenntnisse uber die Isotopie bei vielen chemischen Elementen, wurden nun von Huhn und Meitner die am Anfang der Uranzerfallsreihe stehenden Um- wandlungsprodukte einer genaueren Betrachtung unterzogen. Waren doch bei der Bestimmung der Lebensdauer des Pa und auch bei Versuchen an Uran Y gelegentlich geringfugige Unstim- migkeiten bei elektroskopischen Messungen gefunden, damals aber fur Verunreinigungen mit Spuren von ThB gehalten worden. Jetzt erschien diese Beobachtung natiirlich in neuem Lichte. Unter Anwendung von Ta-Triiger in fluBsaurer Liisung war es bei schnellem Arbeiten moglich, mit dem Trager zusammen eine luBerst geringe Menge einer 8-strahlenden Substanz abzuscheiden, deren HWZ nach Abzug der UX-Kurve zu 6-7 h bestimmt werden konnte. Eine Infektion rnit Mesothor 2 (HWZ 6,2 h) muSte allerdings zu- nachst in Betracht gezogen werden, zumal in den Laboratorien lange mit starken Mesothorpraparaten experimentiert worden war. Mesothor 2 ist ein Ac-Isotop und 1aSt sich deshalb quan- titativ mit La-Trager als Fluorid ausfallen und bleibt im Gegen- satz zu der neuen Substanz in FluSslure unloslich, wahrend letztere steta in Losung ging. Hahn gab diesem Korper den Namen Uran Z. Damit war eine bisher nicht beobachtete Verzweigung gefunden worden, bei der aus einer Muttersubstanz (UX,) durch Beh- zerfall anscheinend zwei in ihren radioaktiven Eigenschaften ver- schiedene Kerne entstehen: Uran X, und Uran Z. Ersteres hat eine HWZ von 1,8 Minuten, wiihrend Uran Z eine solche von

in ,,Transmane", ubergehen. Mit diesem Ziel sind in den folgenden Jahren - also Mitte bis Ende der DreiBigerjahre - u. a. auch im Hahnschen Institut in Berlin-Dahlem zahlreiche Versuche, zu- niichst scheinbar auch mit dem gewiinschtenErfolg, unternommen worden. Von Hahn, Meitner und Strafimnn [15] finden wir in den ,,Chemischen Berichten" aus dem Jahre 1937 unter dem Titel ,,Uber die Transurane und ihr chemisches Verhalten" eine Zu- sammenfassung ihrer Ergebnisse. Die durch Neutronenbestrahlung erzeugten Aktivitaten sollten nach ihrer Meinung den Transuranen 93-97 zuzuschreiben sein. Der Versuch einer Reproduktion lieB dann jedoch Zweifel auf- kommen. Nach den neuerlichen Befunden sollten drei Isomere des Radiums entstehen, die eigentlich nur durch zwei aufeinander- folgende Alphazerfalle iiber Th entstanden sein konnen. Aus den Ra-Isotopen sollten durch Betazerfall Ac-Isotope entstehen, die auch als solche nachgewiesen werden konnten und deren Halb- wertszeiten vorlaufig zu 40 min, 4 h und 60 h bestimmt werden konnten. Seltsam war, daS, obwohl es sich um eine - so wortlich - ,,Alphastrahlenabspaltung" handelte, der ProzeB verstarkbap war, d. h., daS er nicht nur mit schnellen, sondern auch - oder wie sich spater zeigte gerade - mit thermischen Neutronen aus- losbar ist. Ein solcher Vorgang ist energetisch nur schwer zu verstehen. Das war auch der erste Fall dieser Art, den man beob- achtet hatte. Bei ahnlichen Versuchen an Th gelang eine solche Umwandlung namlich nicht. Bekanntlich sind ja =,Th und 238U als Kerne mit gerader Protonen- und gerader Neutronenzahl mit thermischen Neutronen nicht spaltbar, hingegen aber das 235U.

Die Autoren faaten die bis dahin vorliegenden Ergebnisse wie folgt zusammen:

246- 2. Chcrn., 20. Jg. (1980) Heft 7

Page 5: Zum wissenschaftlichen Werk von Lise Meitner und Otto Hahn

1.

2.

238U bildet unter Neutronenbestrahlung drei Uranisotope, die in sieben der von ihnen nachgemiesenen Transurane ubergehen

Aus 238U + Neutronen entstehen durch zwei sukzessive Alpha- zerfalle drei bisher nachgewiesene Ra-Isomere, die in drei Ac- Isomere ubergehen.

Somit waren - so glaubte man - 16 kunstliche Atomarten mit den Ordnungszahlen 88-90 und 92-96 nachgewiesen.

(93-96).

B B ,,Ra I"? < min --r Ac I ~- ~ < 30min * Th?

-f Th? ,,Ra 11" 14 Bmin * Ac I1 _____ B - 2,5 h

- Th? B *jRa "I" 86 f 6 min * 'I1 - mehrere Tage ?

B B ,,Ra IV" -2mh* Ac IV -- < 40h * Th?

Bild 3 Reaktionsprodukte der Neutronbestrahlung von mu, wie sie von Hahn und Mitarb. 1937 angenommen wurden

Zu dem SchluB, daB es sich bei der zweiten Gruppe von neuen Sub- stanzen um Radiumisotope handeln musse, war man gekommen, weil diese sich zusammen mit Ba-Trager abscheiden lieBen und auch sonst seine Reaktionen zeigten. Alle anderen bekannten Elemente: die Transurane sowie Uran, Pa, Th bis Ac lassen sich namlich ohne Ausnahme leicht vom Barium trennen, genauso wie die Elemente unterhalb des Radiums: Bi, Pb und Po. Die Ab- trennung der neuentdeckten Erdalkalimetalle, also der vermeint- lichen Radiumisotope, erfolgte deshalb auf Bariumchloridtriiger in starker HCl (nicht auf BaSO, wegen des MitreiBens). Mit Schwefelwasserstoff lieBen sich aus dem gelosten Bariumtrager keine radioaktiven Prazipitate abtrennen, weder im sauren noch im alkalischen Milieu. Somit durfte als bewiesen angesehen werden, daB es sich bei den neu entstandenen Korpern um Erdalkalimetalle handelte. Nun zeichnen sich die Arbeiten von Hahn und Mitarb. durch ein hohes Ma13 an Griindlichkeit und vorsichtige SrhluBfolgerungen aus, und so heiBt es an dieser Stelle in jener bedeutenden Arbeit von Hahn und StraJmann [16] ,,Uber den Nachweis und das Ver- halten der bei der Bestrahlung des Urans mittels Neutronen ent- stehenden Erdalkalimetalle", die am 22. 12. 1938 bei der Redak- tion der ,,Naturwissenschaften" einging, wortlich: ,,Nun mussen wir aber noch auf einjge neuere Untersuchungen zu sprechen kommen, die wir der seltsamen Ergebnisse wegen nur zogernd veroffentlichen." Es hat sich namlich bei dem Versuch, die Iden- titat des Radiums durch fraktionierte Kristallisation und frak- tionierte FLllung zu beweisen, herausgestellt, daB sich das neue ,,Ra" nicht - wie erwartet - an- bzw. abreicherte, sondern gleichmlDig uber die Ba-Fraktionen verteilt blieb. Mit den Ra- Isotopen ThX und Mesothor 1 konnte in Kontrollversuchen der erwartete Trenneffekt jedoch erzielt yerden. Aus diesen bemerkenswerten Befunden ziehen die Autoren den folgenden SchluB : ,,Ah Chemiker miissen wir aus den kurz dargelegten Versuchen das oben gebrachte Schema eigentlich umbenennen und statt Ra, Ac, Th die Symbole Ba, La und Ce einsetzen. Als der Physik in gewisser Weise nahestehende Kernchemiker konnen wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik wider- sprechenden Sprung noch nicht entschlieBen. Es konnte doch noch vielleicht eine Reihe seltsamer Zufalle unsere Ergebnisse vorgetiiuscht haben." Damit war es - wenn auch mit vorsichtigem Vorbehalt - aus- gesprochen : Urankerne spalten unter Einwirkung von Neutronen; mit anderen Worten, die Kernspaltung war experimentell nach- gewiesen !

In der Fachwelt fand diese sensationelle Entdeckung starke Reso- nanz. Fur Kernchemiker wie fiir Kernphysiker ruckte das Pro- blem der Kernspaltung in den Mittelpunkt des Interesses. Weitere Spaltprodukte wurden sowohl im Hahnschen Institut als auch anderswo gefunden und identifiziert, Energiemessungen durch- gefuhrt sowie die mit der Spaltung verbundene Emission der Neutronen untersucht. In weniger als sechsMonaten nach der Ent- deckung von Hahn und Strajmunn lag die Theorie der Kern- spaltung in ihren Grundziigen in der noch heute gultigen Fassung vor. Lise Meitner und Frisch sowie Bohr, Wheeler, Frenkel u. a. ver- danken wir die physikalische Interpretation des Spaltprozesses. Dabei wurde naturlich auch die Moglichkeit der Energiegewinnung aus dem SpaltprozeB erkannt, und Sie wissen, daB fast genau vier Jahre nach der Entdeckung der Kernspaltung Fermi am 2.12. 1942 in Chicago den ersten Kernreaktor kritisch werden lie& Das Atomzeitalter war angebrochen, die Grundlagen fur die ErschlieBung einer neuen und bedeutenden Energiequelle ge- schaffen. Die Namen Hahn und Meitner nehmen fur immer einen hervorragenden Platz unter denen der grol3en Forscherperson- lichkeiten unseres Jahrhunderts ein. Pragten doch auch Otto Hahn und Lise Meitner in entscheidendem MaBe das Bild mit, welches wir heute von den Atomkernen haben, von ihrer Wechselwirkung und den daraus resultierenden mannigfaltigen Erscheinungen. DaB eine ihrer genialen Entdeckungen wenige Jahre spater in schiindlicher Weise zur Vernichtung Hunderttausender von Men- schenleben miBbraucht wurde, lag ganz sicher nicht im Sinne dieser zutiefst humanistischen Forscherpersonlichkeiten, deren wir in diesen Wochen, aus AnlaB ihres 100. Geburtstages, gedenken.

L i t e ra tu r

[l] Hahn, 0.: Z. Elektrochem., Ber. Bunsenges. physik. Chem.

[2] Hahn, 0.: Physik. Z. 8 (1907) 277; einneues Zwischenpmdukt

[3] Boltwood, B. B.: Physik. Z. 8 (1907) 556; uber die Radio-

[4] Hahn, 0.: Physik. Z. 9 (1908) 392; uber das Mesothorium [5] Hahn, 0.: Physik. Z. 9 (1908) 246; ein kurzlebiges Zwischen-

produkt zwischen Mesothor und Radiothor [6] Hahn, 0.; Meitner, L.: Physik. Z. 9 (1908) 321; uber die Ab-

sorption der @-Strahlen einiger Radioelemente [7] Hahn, 0.: Physik. Z. 10 (1909) 81; uber eine neue Erschei-

nung bei der Aktivierung mit Aktinium [8] Hahn, 0.; Meitner, L.: Naturwissenschaften 6 (1918) 324;

Physik. Z. 19 (1918) 208 [9] Hahn, 0.; Meitner, L.: Physik. Z. 14 (1913) 752; zur Frage

nach der komplexen Natur des Radioaktiniums und der Stellung des Ac im periodischen System

[lo] Hahn, 0.: Chem. Ber. 54 (1921) 1131; uber eine neue radio- aktive Substanz im Uran

[ll] Hahn, 0.: Naturwissenschaften 12 (1924) 1140; Untersu- chungen oberflachenreicher Substanzen nach radioaktiven Methoden und ihre Anwendung auf chemische und radio- chemische Probleme

[12] Hahn, 0.: J. chem. SOC. [London] Suppl. 1949, 259; Emana- tionsmethode

[13] Hahn, 0.: Chem. Ber. 59 (1926) 2014; GesetzmLBigkeiten bei der Fallung und Adsorption kleiner Substanzmengen

[14] Hahn, 0.: Naturwissenschaften 14 (1926) 1196; uber die neuen Fiillungs- und Adsorptionssatze und einige ihrer Er- gebnisse

[15] Hahn, 0.; Meitner, L.; Strapmann, F.: Chem. Ber. 70 (1937) 1374; iiber die Transurane und ihr chemisches Verhalten

[16] Hahn, 0.; Strmsmunn, F.: Naturwissenschaften 27 (1939) 11; iiber den Nachweis und das Verhalten der bei der Bestrahlung des Urans mittels Neutronen entstehenden Erdalkalimetalle

58 (1954) 543; aus meinen Erinnerungen

im Thorium

aktivittt von Thoriumsalzen

eingeyanyen am 9. Mai 1979 ZCA 6395

Z. Chem., 20. J g . (1980) He/t 7 247