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Zur Begrfindung des Restsatzes mit dem Noethersehen Fundamentalsatz. Von B. L. van der Waerden in Groningen (Niederlande). In der seit Brill und Noether 1) iiblichen Begriindung des Restsatzes mittels des ,,Noetherschen Fundamentalsatzes" ist eine Liicke, die his jetzt unbemerkt geblieben zu sein scheint. Es handelt sich n~mlich beim Restsatz um folgenden Sachvezhalt: [~ 0 sei eine Kurve in der projektiven Ebene, yon der man annehmen kann, dab sie keine anderen Singularit~iten als s-fache Punkte mit getrennten Tangenten besitzte). Die Kurven 9 = 0 und 9'= 0 schneiden, auger einer beiden gemeinsamen Punktgrtrppe H, die Punktgmppen G und G" auf den Zweigen von f= 0 aus. Die Kurve ~v = 0 sei adjungiert, d. h. sie gehe (s- 1)-fach dutch die s-fachen Punkte yon f= 0 und sie schneide f~-0, aul~er in dlesen auf jedem Zweig (s- 1)-fach gez~Mten Punkten -- und aul~er einer Gruppe K --, genau nach der Gruppe G. Zu beweisen ist, da~ es eine ebenfalls adjungierte Kurve ~v'= 0 gibt, welche in derselben Weise auBez den vielfachen Punkten -- und auger K m die Gruppe G' aus- schneider. Zu dem Zweck genfigt es offenbar, das Produkt F ~-~0'~v in der Form Af+ Bq~ darzusteUen und ~v'~-B za setzenS). Man mu~ also flit F, f, ~0 die Voraussetzungen des Noetherschen Satzes als erfiillt nachweisen, d. t~ man mug flit jeden Schnittpunkt (a, b) die Noethersche Potenzreihen- bedingung F ~ Pf-t- R ~ (P und R Potenzreihen in x -- a und y -- b) 1) A. Brill und M. Noether, Math. Annalen 7 (1874), S. 269. 9) Fiir die ,AuflSsung der Singularit~ten" durch birationale Transformationen vgl. M. l~oether, GStt. Nachr. 1871, S. 207 und Math. Annalen 9 (]875), S. 182, sowie E. Bertini, Rendiconti Ist. Lombardo (2) 21 (1888), S. 326. a) Dabei sind F, f, 9 ala Formen in xo, x~, x~ zu denken; es geniigt aber be- kannflich, dutch die Substitution x o = 1 zu inhomogenen Polynomen in (xl, x~) ocler (x, y) fiberzugehen.

Zur Begründung des Restsatzes mit dem Noetherschen Fundamentalsatz

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Zur Begrfindung des Restsatzes mit dem Noethersehen Fundamentalsatz.

Von

B. L. van der Waerden in Groningen (Niederlande).

In der seit Brill und Noether 1) iiblichen Begriindung des Restsatzes mittels des ,,Noetherschen Fundamentalsatzes" ist eine Liicke, die his jetzt unbemerkt geblieben zu sein scheint.

Es handelt sich n~mlich beim Restsatz um folgenden Sachvezhalt: [ ~ 0 sei eine Kurve in der projektiven Ebene, yon der man annehmen kann, dab sie keine anderen Singularit~iten als s-fache Punkte mit getrennten Tangenten besitzte). Die Kurven 9 = 0 und 9 ' = 0 schneiden, auger einer beiden gemeinsamen Punktgrtrppe H, die Punktgmppen G und G" auf den Zweigen von f = 0 aus. Die Kurve ~v = 0 sei adjungiert, d. h. sie gehe ( s - 1)-fach dutch die s-fachen Punkte yon f = 0 und sie schneide f ~ - 0 , aul~er in dlesen auf jedem Zweig ( s - 1)-fach gez~Mten Punkten -- und aul~er einer Gruppe K - - , genau nach der Gruppe G. Zu beweisen ist, da~ es eine ebenfalls adjungierte Kurve ~v '= 0 gibt, welche in derselben Weise auBez den vielfachen Punkten -- und auger K m die Gruppe G' aus- schneider.

Zu dem Zweck genfigt es offenbar, das Produkt F ~-~0'~v in der Form A f + Bq~ darzusteUen und ~v'~-B za setzenS). Man mu~ also flit F , f, ~0 die Voraussetzungen des Noetherschen Satzes als erfiillt nachweisen, d. t~ man mug flit jeden Schnittpunkt (a, b) die Noethersche Potenzreihen- bedingung

F ~ P f - t - R ~ ( P und R Potenzreihen in x -- a und y -- b)

1) A. Brill und M. Noether, Math. Annalen 7 (1874), S. 269. 9) Fiir die ,AuflSsung der Singularit~ten" durch birationale Transformationen

vgl. M. l~oether, GStt. Nachr. 1871, S. 207 und Math. Annalen 9 (]875), S. 182, sowie E. Bertini, Rendiconti Ist. Lombardo (2) 21 (1888), S. 326.

a) Dabei sind F, f, 9 ala Formen in xo, x~, x~ zu denken; es geniigt aber be- kannflich, dutch die Substitution x o = 1 zu inhomogenen Polynomen in (xl, x~) ocler (x, y) fiberzugehen.

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(oder die damit gleichlautende Polynomrelation mit Vernachl~iasigung von Gliedern, deren Grad eine gewisse Zahl ~ iibe~schreiteg) nachweisen. Start dessen beruft man sich meistens auf den ,einfaehen Fall" des Noetherschen Satzes, wo die Kurven f := 0 und ~ = 0 in jedem Schnittpunkt getrennte Tangenten besitzen, wiihrend doch in Wirkhchke~t die Kurve ~ ~ 0 be- liebig komplizierte Beriihrungen mit den Zweigen von f = 0 aufweisen kann.

Diese Liicke solt bier ausgefiitlt werden, indem die Noethersche Potenz- reihenbedingung als erf'tillt nachgewiesen wird unter solchen Voraussetzungen, welche im obigen Fall der Kurven q und F = ~'W wirklich erfiillt sind.

Ich schicke eine Erkl/ixung der zum VerstKndnis des Satzes nStigen

Begriffe voraus. Ein Zweig einer ebenen algebraischen Kurve f (x , y ) = 0 in einem

Punkt (a, b) wird dutch eine Pt~euxsche Reihenen~wieklung

X -- a :~-~ l~k~

y b = b l t ~ b.~t~-+

definiert, welehe diese Gleichung f (x , y)-= 0 identisch befriedigt. Der Zweig heil~t ein]ach, wenn i~ der Reihe flit x oder y das Glied mit der ersten Potenz yon t wirklich vorkomm$. L~il~t man alle Glieder hSheren als ersten Grades weg, so erh/ilt man die Parametergleichung der Tangente des einfachen Zweiges. W~hlt man die Koordinatenriehtungen so, dab die Gerade x = a nieht tangiert, so wird k = 1 und x - a ~---t.

Die Multiplizitdt des Schnittes eines Zweiges mit einer ande~en Kurve ~ ( x , y ) = O ist de~ niedrigste Exponent in der Reihenentwickiung yon

(x, y) nach Potenzen yon t.

Der zu beweisende Satz, der meines Wissens bis j e s t nut im Fall = 1 ausd~iicklich ausgesprochen und bewiesen worden ist 4), lautet nun so:

Wenn der Punkt (0, O) ]iir die Kurve f -~ 0 ein s-/acher Punkt mit getrennten Tangenter~ ist und wenn jeder Zweig Z~ dieser Kurve in

diesem Punkt yon der Kurve q~ = 0 #~-/ach und yon der Kurve F = 0 mindestens ( s - 1 @ /~).[ach geschnitten wird, so'ist

F = P f + R ~

im Bereich der Potenzreiher~ nach x u.nd y.

Beweis . Wit transformieren eventuell die Koordinaten so, dal~ keine der s Tangenten im betrachteten Pankt mit der Y-Achse ( x = 0 ) zu- sammenf~llt. Dana kann in der Puiseuxsehen Reihenentwiekltmg der Patn-

a) siebe H. Kapferer, Sitzungsber. Heidelberg 1927~ 8. Abhandlung, S. 79, sowi~ P. Dubreil~ Thee de Dootorat, Paris t930, S. 7~.

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meter t ~ -x gew~hlt werden. Die Gleichung f (x , y)-=: 0 wird also be- iriedigt von s Puiseuxschen Reihen

b ~' Y = P i = ~ , ~ z �9 1

Spaltet man die Faktoren ( y - P ~ ) ( V - P - . ) - . - ( V - P~) yon f ab, so ist der restliche Faktor eine Potenzreihe mit nichtverschwindendem Anfangs- glied, also eine Einheit im Bereich der Potenzreihen. Also:

(1) f = (Y -- Pa) (V -- R2) . . . (V -- P , ) ' E .

Wir wollen nun tmsere Behauptung durch Induktion nach s beweisen, miissen sie aber zu dem Zweck ausdehnen yon Polynomen F, ~, f auf Po~enzreihen F, ~, f, von denen f nach (1) zeriiillt. Es geniigt und ist bequem, F u n d ~ und f als Polynome in y und Potenzreihen in x anzu- nehmen. Der Begriff Multiplizits bleibt derselbe: die Potenzreihe ~ schneidet einen Zweig y = P~ im NuUpunkt /~-fach, wenn die Potenzreihe ~*, die aus 9 durch die Substitution y ~ P~ entsteht, dutch x ~ teilbar ist.

Fiir s ~ 1 ist die ]~ehanptung nun sehr leicht zu beweisen. Setzt man in F und 9 Iiir y die Potenzreihe /)1 ein, wodurch / ~ nnd 9" entstehen mSgen, so wird 9" gleich einem Einheitsfaktor real x~% w~krend F* durch x~ , also auch dutch 9* teflbar wird. Da man das Ergebnis der Sub- stitution y ----- P1 auch immer als Rest einer Division dutch y -- P1 erhalten kann, so folgt

=R9 + s . ( y - P1), womus wegen (1) fiir s ~ - t die Behauptung folgt.

Ist ffir s -- 1 Zweige die Behauptlmg schon bewiesen, so erh~ilt man im

�9 * p Fall yon s Zweigen dutch die Substitution y = i~ aus F u n d 9 ~ r ( y _ ~) s

gewisse Poten2reihen /7.* mad 9*. /~r(P~ -- P , ) , yon denen F* dutch 2

x ~+s-1 teilbar ist, wghrend das andere Produkt gleich einem Einheits- faktor real x~ +*-1 wird. Daraus folgt in derselben Weise wie vorhin

8

(2) F -~ A 9 ]]r(y -- P,) + B (y -- P~).

Aus dieser Gleichung er#bt sich, da~ die Potenzreihe B ( y - P~) beim Schnitt mit den Zweigen y = Pk ( k = 2, . . . , s) dieselben Multiptizitikten hat wie F , d~ h. mindestens tt~ + s - 1, mithin hat B als Multiptizit~t minclestens ~ + s - 2. Daraus fotgt nach der Induktionsvoraussetzm~g

(auf fl = E H (Y -- P~) angewandt) 8

(a) B = v E / / ( y - P,,) + D g . 2

Setzt man (3) in (2) el_u, so fotgt wegen (I) die Behauptung.

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Bemerkungen. Stat~ mit Potenzre~en kann man auch mit Kon- gruenzen nach beliebig hohen Potenzen des Ideals (x, y) operieren. den Beweis macht das gar nichts aus.

Dieselbe Beweismethode gestattet auch den Beweis des folgenden all- gemeineren Satzes:

Wenn der Punkt (0, O) /iir die Kurve f = 0 ein s-/acher Pun~ ist, dutch den s ein/ache Zweige hindurchgehen (die sich abet auch beriihren di~r/en), und wenn jeder Zweig Z~ in ~iiesem Punlzt yon der Kurve ~ = 0 #~-/ach, yon der Gesamtheit der anderen Zueige 2~-/ach und yon der Kurve F : 0 mindestens (~ -~- p,)-/ach geschnitten wird, so ist

F = P f ~ R q ~

im Bereich der Potenzreihen nach x und y.

Wenn also die genannten ]3edingtmgen in jedem Sehnittlaunkt der Kurven f = 0 und ~ = 0 erfiillt sind, so ist F ~ A f-~ B ~ im Bereich de~ Polynome bzw. der tern~ren Formen.

Man kann die Relation P = A f ~- B ~ im Bereieh der tern~en Pormen unter den angegebenen Voranssetzungen auch nach der Met]aode yon Scott a) und Severi 6) beweisen, indem man fiir Formen F yon geniigend hohem Grade die Anzahl der linear-unabh~ngigen Multiplizit/itsbedingungen, die dutch die Voraussetzungen des Satzes bedingt werden, vergleicht mit der Dimension der Schar Af--~Bq~ mit adjungiertem B.

~) C. A. Scott, Math. Annalen 52 (1899), S. 593. ~) F. Severi, Rendiconti Ace. Lincei (5) 11 (1902)~ S. 105.

(FAngegangen am 19. 11. 1930.)