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clotilda-karner
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ZUR EINFÜHRUNG
DOKTORANDENKOLLOQUIUM
WS 2009
HELEN KOHLEN
Herausforderung Ethik
Angewandte Ethik in Deutschland im Europäischen Kontext
Europaweite Themen, ca. 5 J. später als USASeit Mitte der 1980er Jahre: Reproduktive
Technologien
USA: PragmatismusEuropa: Weniger utilitaristisch
(Aristoteles)Deutschland: I. Kant
Netwerke, Akademien, Nationale und lokale Ethikkommissionen und
Ethikkomitees
1986 – Gründung der Akademie für Ethik in der Medizin1986 – Gründung Zentrum für Medizinethik in Bochum1990 – Gründung Interfakultäres Zentrum für Ethik und
Forschung in Tübingen1995 – Zentrum für Gesundheitsethik an der Ev.
Akademie Loccum, Hannover1996 – Zentrum für Ethik, Recht und Medizin in
Freiburg…
Ethik vor Ort: Masterprogramm
Modul: Biomedizinische und interdisziplinäre Aspekte der professionellen Pflege (BIAP)
Seminar zur Entwicklung der Biomedizin, Bioethik und Biopolitik
Modul: Theologie Seminar zur Pflegeethik
Ethik vor Ort: Doktorandenprogramm
Modul 3 Interdisziplinarität und Vernetzung
Pflegewissenschaft im historischen Bezugsrahmen Pflegewissenschaft im ethischen Bezugsrahmen Pflegewissenschaft im soziologischen Bezugsrahmen Pflegewissenschaft im medizinischen Bezugsrahmen Pflegewissenschaft im pädagogischen Bezugsrahmen Pflegewissenschaft im betriebswirtschaftlichen und
managerialen Bezugsrahmen Nursing Science and International Networking
Pflegewissenschaft im ethischen Bezugsrahmen
(1) Ethische Theorien, (2) Forschungsethik, (3) Palliative Care und Pflegeethik
Zu 1: Deontologie, Utilitarismus, Gerechtigkeitstheorien, Feministische Ansätze
Zu 2: Überprüf. eines Forschungsprojektes, Clinical trials, IRBs, pflegerische Verantwortung
Zu 3: Pflegeethische Fragestellungen in einem multiprofessionellen Forschungsfeld
Ethik vor Ort: Ethikinstitut7
Gegründet im Oktober 2006 an der PTHV Bearbeitet ethische Fragestellungen, vor allem für christliche
Trägerorganisationen im Gesundheits- und Sozialwesen Der Arbeitsschwerpunkt liegt zunächst auf der Medizin- und der
Pflegeethik Geplant sind darüber hinaus weitere Sektionen zur Führungs-
und zur Wirtschaftsethik Ein medizinethischer Arbeitskreis sowie regelmäßig stattfindende
Sonntags-Matineen tragen das Anliegen in die Öffentlichkeit (siehe hompage PTHV im Oktober 2009)
Vorschlag zum Strukturkonzept des Ethik-Instituts der PTHV
ForschungForschung TransferTransferLehreLehre
Vorträge
Publikationen
Beratung &
Bildung
…
MasterM-E-T
Promotionen
Lehraufträge
…
Drittmittel geförderte
bzw. in Auftrag gegebene
…
Projekt -Forschung
TheologischeIndividual- und Professionsethik && Sozial- u. Organisationsethik
Wirtschaft BildungPolitik Sozial-wesen
Rektorat/Senat der
PTHV
12.6.09Dr. M. FrinkDr. I. Proft
KatHO & FH KO
Uni KO
FH KO & KatHO
Uni KO
Direktor & Mitarbeiter des Instituts
Schnittstelle, Vermittlungsstelle
Trägerübergreifender Ethikrat
Stabstellen Ethik
„Kunden“ mit ethischen Anfragen
FakultätPflegewissenschaft
PflegeMedizin
DOK
Einleitung
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
9
Warum hat Ethik Konjunktur?Warum interessieren sich die Berufsgruppen
der Medizin und der Pflege für Ethik?Warum kann es sich lohnen, „der Ethik“
gegenüber kritisch zu bleiben?
Warum hat Ethik Konjunktur ?
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
10
Interpretierbar als Balance zu...
• Ökonomisierungsprozessen im Gesundheitswesen
• Medizin-technischer Fortschritt• Wertewandel in der Gesellschaft
Die Rolle der Pflege
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
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Pflege zeigt ein hohes ethisches Engagement auf der Ebene der Praxis: Gründung von KEKs und Arbeitsgruppen, Teilnahme an ethischen Fortbildungen
Pflege fehlt mit eigener „Stimme“ in ethischen Fachdebatten
Pflege fehlt in ethischen Debatten auf politischer Ebene
Warum hat Ethik Konjunktur ?
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
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Kritische Stimmen
„...Ethik, weil wir uns nicht mehr benehmen können“ (Journalistin)
„Das ist nicht, was wir jetzt brauchen“ (Pflege)
„Kommissionitis“ (Medizin)
Überforderung
Kritische Stimme von J. Butler:
„Auch Ethik kann in ihrer Anwendung Gewalt ausüben“
Die Grenzen, die Fragilität undFehlbarkeit des Subjektes außer Acht zu lassen, bedeutet ihm Gewaltanzutun
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Versuch eines kritischen Analyserahmens
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
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Blickrichtung
HistorischVon welcher Ethik ist die Rede?Was ist das Problem? In welcher Sprache ist das Problem definiert?Wer spricht? – Wer spricht nicht?Was ist die Problemlösungsstrategie? - AlternativenWas wird in ethischen Debatten aufgenommen und
gestützt, - was nicht ?
Zur Situierung15
Die Diskussion der Themen auf diesem Kongress fällt in eine Zeit von Rationierungs- und Umstrukturierungsprozessen im Gesundheitswesen
Jung, aber rasch ist gleichzeitig die Entwicklung einer angewandten Medizinethik
Geschwindigkeit braucht Pragmatismus: US-amerikanische Entscheidungsfindungsmodelle der modernen Bioethik dienen der klinischen Ethik als schnelle Lösung
Patientenverfügungen16
Instrument zur Sicherung der Selbstbestimmung
Debatte seit 2004 in Form von Politikberatung: Erarbeitung von Vorschlägen zur
gesetzlichen RegelungArbeitsgruppe „Patientenautonomie am
Lebensende“ des Bundesministeriums der Justiz: Uneingeschränkte Reichweite, Vormundschaftsgericht nicht notwendig
Bundestags-Enquete-Kommission: Forderung Konsilium, „sprechende Medizin“
Nationaler Ethikrat: Keine Bindung an einen irreversibel zum Tode führenden Krankheitsverlauf
Was versprechen Patientenverfügungen?
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o Autonomie und Selbstbestimmung durch Beachtung und Befolgung des Patientenwillens
o „Keine unnötigen Therapien“o Respekt vor Form und Schrifto Umsetzung per Gesetz seit dem 1.09.09
Begriffsbestimmung nach § 1901a BGB
Es handelt sich um eine schriftliche Willensbekundung...
Eines einwilligungsfähigen und Volljährigen...
ob er/sie in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.
Determinanten19
Medizinische IndikationPatientenwille
Was ist neu?
Die Schriftform ist Wirksamkeitsvoraussetzung
Reichweitenbeschränkung: Für die Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens kommt es nicht auf Art und Stadium der Erkrankung an
Was ist alt?
Ein Verzicht auf Lebensverlängerung war nur möglich, wenn der Sterbeprozess eingesetzt hatte.
Der Sterbeprozess wurde mit drei Voraussetzungen definiert:
Krankheit ist irreversibelKrankheit ist infaustUnmitellbare Todesnähe
Was ist nicht erfasst?
Mündliche Willensbekundungen, selbst wenn sie konkret und situationsbezogen sind.
Allgemeine Formulierungen und Richtlinien für eine künftige Behandlung.
Beispiele
„Wenn keine Aussicht auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Lebens besteht, möchte ich keine lebensverlängernde Maßnahmen.“
„Wenn ich einmal dement bin, will ich keine lebenserhaltenden Maßnahmen.“
Zu den Beispielen
In diesen Beispielen handelt es sich um allgemeine Formulierungen. Es sind KEINE Patientenverfügungen!
Die Rolle von Betreuer und Bevollmächtigten
Gleichstellung von Betreuer und Bevollmächtigtem.
Der Betreuer / Bevollmächtigte hat zu prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.
Die Rolle von Betreuer und Bevollmächtigten
Fehlt eine PV oder treffen deren Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer / Bevollmächtigte die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen...
Und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt.
Mutmaßlicher Wille
Feststellung Anhand konkreter Anhaltspunkte (§1901a II
2 BGB) § 1901b BGB hebt die Bedeutung des
dialogischen Prozesses zwischen dem behandelnden Arzt, dem Betreuer / Bevollmächtigten und ggf. weiteren, dem Betroffenen nahe stehenden Personen für die Ermittlung des Patientenwillens hervor
Mutmaßlicher Wille
Kriterien (§ 1901a II 3 BGB) Frühere mündliche oder schriftliche
Äußerungen des Patienten Seine ethische oder religiöse Überzeugung Seine sonstigen persönlichen
Wertvorstellungen NICHT: Allgemeine Wertvorstellungen
Empfehlungen
Reflexion, ob man eine PV erstellen will!
Wenn ja: Fachkundige Beratung vor Erstellen einer
Patientenverfügung einholen Eine Vertrauensperson bevollmächtigen
Perspektiven
Der Betreuer bzw. Patientenvertreter erhält eine starke Rolle: Er muss in jedem Falle gefragt werden. Bei Abbruch und Fortsetzung.
Die Verantwortungslast nimmt zu. Auch hier wird Begleitung und Beratung notwendig sein.
Ethische Herausforderungen
Der Patientenvertreter trägt hohe Verantwortung
Respekt vor allen am Entscheidungsprozess beteiligten Personen
Sicherung von Entscheidungsqualität Interpretation des Patientenwillens und
Einfluss des eigenen Wertegefüges Fürsorge statt „kalter“ Autonomie Herausforderung: Umgang mit Angehörigen
bzw. Familienmitglieder
Studienergebnisse: Familie und Patient
Unsicherheit durchzeitig den gesamten Entscheidungsprozess, ob eine Therapie in welchem Umfang noch Sinne mache
Patientenautonomie im Sinne einer Willensbekundung und ihre Partizipaiton am Prozess war stark eingeschränkt: Krankheitsbedingt und Vulnerabilität
Patienten übergaben die Entscheidungsfindung entweder dem Arzt oder einem Familienmitglied
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Dilemmata von Familien
Die Familie fühlt sich überfordert und im Konflikt zwischen dem was sie denken, was gut für ihren Angehören ist, was er tatsächlich selbst will und was real möglich ist
Sie sorgen sich um eine eventuelle lange Zeit der Pflegebedürftigkeit
Sie sorgen sich um die Lebensqualität in einer Institution
Sie können sich nur schwer auf eine Sterbebegleitung einlassen (O’ Neill 2009)
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In welchem Referenzrahmen navigieren die Familien im Entscheidungsfindungsprozess?
Das gelebte Leben ihrer Eltern Töchter und Söhne ziehen ihre subjektiven
Präverenzen zur Konstruktion von Lebensqualität in Betracht
Ihr Wissen darüber, wie andere sich in diesen Situationen verhalten haben
Medizinisches Wissen(O’Neill 2009)
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Familien im Entscheidungsfindungsprozess
„Es ist sehr wichtig, dass man korrekt handelt, wenn die Familie involviert ist. Sie dürfen niemals das Gefühl haben, dass sie über Leben und Tod entscheiden...“ (Pflegende)
(Halvorsen 2009, Vortrag IPONS Conference Bristol, University of Westen)
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Gerechtigkeit? (Halvorsen 2009)
Es wurde solchen Angehörigen Zeit und Gehör geschenkt, die sich Aufmerksamkeit verschafften
Je höher ihr sozialer Status, je größer ihr Einflussauf die Behandlung
• Je stärker die Familie involviert war, je länger dauerte die kurative Therapie
Herausforderung37
Patientenverfügungen sind Hilfsmittel, sie sind
etwas Vorläufiges und sie bilden eine Brücke für
ein Gespräch zwischen und mit Angehörigen
und Patienten und kein Ersatz für
verantwortliches Handeln. PV sind kein Ersatz
für verantwortliche Entscheidungen.
Was ist das Problem?
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
38
Es geht folglich im Kern nicht um ein rechtliches Problem.
Wenn alles geregelt ist, dann ist dies noch kein Zeichen für Humanität! Gefahr dem VERFAHREN selbst dienlich zu sein, und nicht den Menschen!
Sie fördern eine Gesprächskultur über das Ende des Lebens nachzudenken.
Sie sind nicht mehr als ein Verständigungsangebot
Problem: PV als Ablenkungsmanöver ?
Dr. phil. Helen Kohlen, September 2009
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Worüber wird nicht gesprochen, müsste aber gesprochen werden, denn PV sind voraussetzungsvoll!
Untersuchungen zeigen, dass es zu den primären Bedürfnissen sterbender Menschen gehört, nicht unter Schmerzen zu leiden, an einem vertrauten Ort im Beisein vertrauter Menschen zu sterben und unerledigte Dinge möglichst geregelt zu haben. Ängste vor einer Medikalisierung am Lebensende nehmen nicht den ersten Rang ein. Sie treten hinzu und zwar um so mehr, je eher jemand befürchtet, unter Schmerzen und allein gelassen zu sterben.
Was ist das Problem?
Der Transformationsprozess im großen Licht:Was ist kulturell passiert? Was hat sich auf dem Gebiet von Pflege und
Medizin gewandelt?Sie lassen sich die Ereignisse
zusammenfassen?
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Recht als neue Determinante am Lebensende
These: Das neue Patientenverfügungsgesetz hat
das Lebensende (auch) zum juristischen Unternehmen
gemacht.
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Kultureller Wandel
Das Lebensende ist nicht mehr „nur“ ...
... eine höchst sensible und oft auch kritische
individuelle Situation (psychologische
Betrachtung)
... ein familiäres und gesellschaftliches Anliegen
(soziologische Betrachtung)
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Wandel im Medizin-, Pflege-, Seelsorgesystem
Das Lebensende ist nicht mehr „nur“ ...
... ein palliatives Anliegen (Medizin und Pflege)
... ein ethisches Anliegen (Angewandte
Philosophie)
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Recht als neue Determinante am Lebensende: Folgerungen
Die Gestaltung des Lebensendes unter den Vorzeichen der
Patientenverfügung und im Referenzrahmen des Rechts
kann die bisherigen Logiken des Alltagshandelns verändern.
Pflege, Medizin und Seelsorge stehen dabei vor der
Herausforderung die Logiken ihres Alltagshandelns (mit
dem Merkmal Diffusität) zu artikulieren und zu verteidigen.
Prof. Dr. phil. Helen Kohlen, Vallendar
Schlussfolgerungen45
Eine Ethik, die nach „guten“ Umgangsweisen fragt, wird durch rechtliche Verfahren ersetzt
Strukturell bedingte Konflikte, Fragen der Hierarchie, Sozialstatus, sprachliche Barrieren werden nicht angesprochen
Die Definitionsmacht des Problems liegt außerhalb der Handlungsbögen und Verantwortlichkeiten vor Ort
Versprechungen, Verbiegungen, Verdrehungen jenseits einer gehaltvollen inhaltlichen Diskussion: Eine Form von Konsensmanagement obwohl es primär ungeklärte Fragen und Dissens gibt
Noch kein Ende, aber bis hier:46
Ethik, Emotion und Medien
Film: Das Meer in mir(Mar adentro) von Alejandro Amenabar
Thema: Patientenwille und Aktive Sterbehilfe