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Zur Entwicklung von Bindungssicherheit und Desorganisation Die Rolle des mütterlichen Interaktionsverhaltens, ihrer Depressivität/Ängstlichkeit und der negativen Emotionalität des Säuglings

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Zur Entwicklung vonBindungssicherheit undDesorganisation

Die Rolle des mütterlichenInteraktionsverhaltens, ihrerDepressivität/Ängstlichkeitund der negativenEmotionalität desSäuglings

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Zur Entwicklung vonBindungssicherheit undDesorganisation

Die Rolle des mütterlichenInteraktionsverhaltens, ihrerDepressivität/Ängstlichkeitund der negativenEmotionalität desSäuglings

Inaugural-Dissertationzur Erlangung des Grades einesDoktors der Humanbiologiedes Fachbereichs Humanmedizin derJustus-Liebig-Universität Gießen

vorgelegt vonDiplom-Psychologin Ulla Bade,Braunschweig

Gießen 2001

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Aus der Abteilung Medizinische Psychologiedes Zentrums für Psychosomatische Medizin

Leiter Prof. Dr. Dieter Beckmann,Direktor des Klinikumsder Justus-Liebig-Universität Gießen

Gutachter Prof. Dr. Dieter Beckmannund PD Dr.Wolfgang Milch

Tag der Disputation: 4. Juni 2002

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Inhaltsverzeichnis

1 THEORETISCHER HINTERGRUND 11

1.1 Einleitung 11

1.2 Die Bindungstheorie 131.2.1 Die Entstehung der Bindungstheorie 131.2.2 Das Konzept der Bindung 141.2.3 Bindungssicherheit als Prädiktor für die weitere

sozialemotionale Entwicklung 161.2.4 Der »Fremde-Situations-Test« 181.2.5 Die Desorganisation 21

1.3. Prädiktoren von Bindungssicherheit undDesorganisation 24

1.3.1 Mütterliches Interaktionsverhalten 241.3.1.1 Sensitivität/Feinfühligkeit 241.3.1.1.1 Mütterliche Sensitivität und kindliche

Selbstregulation 241.3.1.1.2 Empirische Studien zum Zusammenhang von

mütterlicher Sensitivität und Bindungssicherheit 271.3.1.1.3 Empirische Studien zum Zusammenhang von

mütterlicher Sensitivität und Desorganisation 331.3.1.2 Emotionsausdruck 351.3.1.3 Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens 421.3.2 Mütterliches Persönlichkeitsmerkmal:

Depressivität/Ängstlichkeit 481.3.2.1 Empirische Studien zum Zusammenhang von

mütterlicher Depressivität/Ängstlichkeit undBindungssicherheit bzw. Desorganisation 48

1.3.2.2 Das Interaktionsverhalten depressiver Mütter 541.3.3 Psychosoziale Risikofaktoren 621.3.4 Frühkindliches Temperament 671.3.4.1 Überblick: Temperamentstheorien 68

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1.3.4.2 Die Temperamentstheorie von Rothbart 711.3.4.3 Die Erfassung des frühkindlichen Temperaments 741.3.4.4 Temperament und Bindungssicherheit 781.3.4.5 Temperament und Desorganisation 88

1.4 Fragestellungen 951.4.1 Bindungssicherheit 951.4.2 Desorganisation 97

2 METHODEN 99

2.1 Stichprobe 992.1.1 Stichprobenrekrutierung 992.1.2 Stichprobenbeschreibung T1 1012.1.3 Stichprobenbeschreibung T2 1022.1.4 Stichprobenbeschreibung T3 104

2.2 Ablauf der Untersuchung 1052.2.1 Erster Erhebungszeitpunkt 1052.2.2 Zweiter Erhebungszeitpunkt 1072.2.3 Dritter Erhebungszeitpunkt 108

2.3 Erfassungsmethoden 1092.3.1 Bindungssicherheit/ Desorganisation 1092.3.1.1 Bindungssicherheit 1112.3.1.2 Desorganisation 1112.3.1.3 Ergebnisse des »Fremde-Situations-Tests« 1122.3.2 Mütterliches Interaktionsverhalten 1152.3.2.1 Reaktivität/Sensitivität 1152.3.2.2 Emotionsausdruck 1162.3.2.3 Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens 1162.3.3 Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:

Depressivität/Ängstlichkeit 1172.3.4 Psychosoziale Risikofaktoren 1182.3.4.1 Darstellung der Verteilung der psychosozialen

Risikobelastung 119

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2.3.5 Frühkindliches Temperament:negative Emotionalität 120

2.3.6 Kognitiver Entwicklungsstand 123

2.4 Datenaggregierung 1242.4.1 Frühkindliches Temperament: negative

Emotionalität 1242.4.2 Mütterliches Interaktionsverhalten 1262.4.3 Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:

Depressivität/Ängstlichkeit 126

2.5 Statistische Auswertung 126

3 ERGEBNISSE 129

3.1 Kontrolle des Einflusses soziodemographischerDaten und Kinddaten auf Bindungssicherheitund Desorganisation 131

3.2 Kontrolle des Einflusses von Krankheit desKindes und Fremdbetreuung aufBindungssicherheit und Desorganisation 133

3.3 Stabilitäten der potentiellen Prädiktoren vonBindungssicherheit und Desorganisationzwischen dem 1. und 2. Erhebungszeitpunkt 133

3.4 Interkorrelationen der potentiellen Prädiktorenvon Bindungssicherheit und Desorganisation 135

3.4.1 Interkorrelationen der Merkmalemütterlichen Interaktionsverhaltens, derDepressivität/Ängstlichkeit und despsychosozialen Risikos 135

3.4.2 Querschnittliche Zusammenhänge zwischenallen potentiellen Prädiktoren vonBindungssicherheit und Desorganisation 138

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3.4.3 Längsschnittliche Zusammenhänge zwischenallen potentiellen Prädiktoren vonBindungssicherheit und Desorganisation 140

3.5 Prüfung der Hypothesen zur Bindungssicherheit 1423.5.1 Bivariate Zusammenhänge von Merkmalen des

mütterlichen Interaktionsverhaltens(Reaktivität, Emotionsausdruck und Echtheit desVerhaltens) und Bindungssicherheit 143

3.5.2 Bivariate Zusammenhänge von mütterlicherDepressivität/Ängstlichkeit und Bindungssicherheit 144

3.5.3 Bivariate Zusammenhänge von negativerEmotionalität des Kindes und Bindungssicherheit 144

3.5.3.1 Zusammenhang von negativer Emotionalitätin der Mutter-Kind-Interaktion undBindungssicherheit 144

3.5.3.2 Zusammenhang von negativer Emotionalität imVerhaltenstest und Bindungssicherheit 147

3.5.4 Multivariate Zusammenhänge/ Prüfung derPrädiktoren zur Vorhersage derBindungssicherheit 147

3.6 Prüfung der Hypothesen zur Desorganisation 1483.6.1 Bivariate Zusammenhänge von Merkmalen des

mütterlichen Interaktionsverhaltens(Reaktivität, Emotionsausdruck und Echtheitdes Verhaltens) und Desorganisation 149

3.6.2 Bivariate Zusammenhänge von mütterlicherDepressivität/Ängstlichkeit und Desorganisation 150

3.6.3 Bivariate Zusammenhänge von negativerEmotionalität des Kindes und Desorganisation 151

3.6.3.1 Zusammenhang von negativer Emotionalitätin der Mutter-Kind-Interaktion undDesorganisation 151

3.6.3.2 Zusammenhang von negativer Emotionalität imVerhaltenstest und Desorganisation 152

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4 DISKUSSION 155

4.1 Prädiktoren der Bindungssicherheit 1554.1.1 Mütterliches Interaktionsverhalten 1554.1.2 Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:

Depresssivität/Ängstlichkeit 1634.1.3 Frühkindliches Temperament:

negative Emotionalität 166

4.2 Prädiktoren der Desorganisation 1684.2.1 Mütterliches Interaktionsverhalten 1694.2.2 Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:

Depresssivität/Ängstlichkeit 1744.2.3 Frühkindliches Temperament:

negative Emotionalität 176

4.3 Fazit/Ausblick 180

5 ZUSAMMENFASSUNG 187

6 LITERATUR 191

7 ANHANG 207

A Tabellen 207

B Kurzinterviews (T 1 - T 3),Soziale Anamnese (T 1, T 2),Fragebogen 239

Lebenslauf 257

Danksagung 258

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1. Theoretischer Hintergrund

1.1. Einleitung

Die ethologische Bindungstheorie hat sich innerhalb der Ent-wicklungspsychologie als bedeutsames Konzept der sozialemo-tionalen Entwicklung erwiesen. Sie befaßt sich mit der Beziehungzwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, sowie den Auswir-kungen der Qualität dieser Beziehung auf die weitere Entwicklungdes Kindes.

Auch in der klinischen Forschung bzw. der Psychotherapie ist dieBindungstheorie in den letzten Jahren zu einem häufig berück-sichtigten theoretischen Modell geworden, das unter anderem imHinblick auf die klinische Anwendbarkeit weiterentwickelt wurde(z. B. Brisch, 1999). Die Gründe für dieses gesteigerte Interesse an der Bindungstheoriesind zum einen in der Entwicklung neuer Erfassungsmethoden zusuchen, durch die eine Reihe von Forschungsaktivitäten angeregtwurde. Beispielsweise hat die Möglichkeit der Bestimmung von Bin-dungsmustern bei Erwachsenen (»Adult Attachment Interview« vonGeorge, Kaplan & Main, 1985) eine Vielzahl von Arbeiten hervor-gebracht, die in eindrucksvoller Weise die Übereinstimmung vonBindungsrepräsentanzen von Mutter bzw. Vater und Kind und damitdie generationsübergreifende Tradierung von Bindungsmusternbelegen konnten (Fonagy, Steele & Steele, 1991; Steele, Steele &Fonagy, 1996).

Zum anderen gab die »Entdeckung« des desorganisierten Ver-haltens in der Mitte der achtziger Jahre der Bindungsforschungneuen Aufschwung, handelt es sich hierbei doch um ein Konzept,das enger mit einer pathologischen Kindesentwicklung verknüpftzu sein scheint als die traditionellen Muster unsicherer Bindung(Main & Solomon; 1986).

George und Solomon führen die spät erfolgte Beschreibung des-organisierten Verhaltens darauf zurück, daß sich die Bindungs-forschung zunächst hauptsächlich mit normalen Stichproben be-schäftigt habe. Mit der zunehmenden Untersuchung von psychoso-

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zial belasteten Probanden wurde die notwendige Erweiterung desAinsworthschen Klassifikationssystems deutlich. Die Beschäfti-gung mit desorganisierten Verhaltensmustern kommt den Auto-rinnen zufolge einer Rückbesinnung auf Bowlbys Hauptinteressegleich, denn die Beobachtungen, auf denen die Bindungstheorie ba-siert, die Reaktionen von Kindern auf eine längere Trennung von derBezugsperson, reflektieren eher desorganisiertes Verhalten als un-sicher-vermeidendes oder ambivalentes. (George & Solomon, 1999).

Ein weiterer Grund für die vermehrte Anwendung der Bin-dungstheorie auf klinische Fragestellungen ist möglicherweise imEinfluß der Ergebnisse der Säuglingsforschung (z. B. Dornes, 1997;Stern, 1985) auf die Psychoanalyse zu sehen.

Innerhalb der Psychoanalyse gab es Bestrebungen, die Kompa-tibilität der theoretischen Modelle mit den Ergebnissen der Säug-lingsforschung zu überprüfen, was möglicherweise mit dem zu-nehmenden Druck zur empirischen Überprüfung analytischerGrundannahmen und Verfahren in Zusammenhang steht.

Das vorherrschende Bild des »autistischen, narzißtischen, in-kompetenten, passiven und nur triebmäßig stimulierten Säuglings«(Mertens, 2000, S. 110) sollte abgelöst werden durch das des »kom-petenten Säuglings«, was in der Folge schnell zu einem Schlagwortavancierte (Stern, 1985). Gleichzeitig mußte auch die Auffassungüber die einseitige Dominanz der Bezugsperson revidiert werden,es wurde unhaltbar, davon auszugehen, daß allein mütterliche Ein-stellungen und Verhaltensweisen die kindliche Persönlichkeitformen.

Auch die Bindungstheorie entstand in einer Zeit, in der dieWissenschaft von der einseitigen Umweltdeterminiertheit vonEntwicklung und Verhalten ausging. Das mütterliche Verhaltengegenüber ihrem Säugling, genauer die Sensitivität/Feinfühligkeitder Mutter, wurde als alleiniger Prädiktor der Bindungssicherheitbzw. -unsicherheit angesehen (vgl. Ainsworth et al., 1978).

Heute wird in der entwicklungspsychologischen Forschung da-von ausgegangen, daß Entwicklung auf einem Transaktionsprozeßzwischen angeborenen Kind- und Umweltmerkmalen basiert. DieMutter-Kind-Interaktion wird im Rahmen dieses Modells als einWechselspiel zweier Partner angesehen, die sich durch gegenseiti-

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ge Beeinflussung verändern (Sameroff, 1975). Diese transaktionaleSichtweise, die die reziproke Regulation von Verhalten betont, solltekonsequenterweise auch im Rahmen der Bindungsforschung be-rücksichtigt werden.

Neben Aspekten der praktischen Anwendbarkeit der Bindungs-theorie für die klinische Praxis wurden immer wieder auch Fragennach den Grundlagen, beispielsweise der Entstehung von Bin-dungssicherheit bearbeitet. Diese Grundlagenforschung ist not-wendig, da das bessere Verständnis von Entwicklungsprozessen fürdie Bildung von Theorien, welche der klinischen Arbeit zugrundeliegen, unerläßlich ist. In der vorliegenden Arbeit wird deshalbversucht, unter Berücksichtigung des transaktionalen Ansatzes,Prädiktoren von Bindungssicherheit bzw. Desorganisation zu iden-tifizieren und das Wechselspiel zwischen Kind und Bezugspersonvor diesem Hintergrund zu beleuchten.

1.2. Die Bindungstheorie

1.2.1. Die Entstehung der Bindungstheorie

Die Bindungstheorie wurde von Bowlby, einem englischen Kin-derpsychiater und Psychoanalytiker entwickelt und hat ihreUrsprünge sowohl in der Psychoanalyse als auch in der Verhal-tensbiologie (Bowlby, 1969, 1973). Durch seine Arbeit in verschie-denen Kinderheimen und Kliniken beschäftigte sich Bowlby mitder Beziehung von Eltern und Kindern und besonders mit denFolgen, die eine Trennung von der Mutter für das Kind hat. Erkritisierte, daß die Psychoanalyse sich zu sehr mit kindlichen Phan-tasien, anstatt mit tatsächlichen Familienereignissen beschäftigteund forderte gründliche Forschung zur Überprüfung der analy-tischen Theorie, womit er bei den Mitgliedern der psychoanaly-tischen Vereinigung auf äußerste Skepsis stieß. Von der Weltge-sundheitsorganisation bekam Bowlby 1951 den Auftrag, einenBericht über heimatlose Kinder im Europa der Nachkriegszeit zuverfassen, wobei er zu dem Schluß kam, daß eine Theorie zu denAuswirkungen von Trennungserfahrungen in der Literatur fehlte.

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Beeinflußt von Lorenz Arbeiten zur Prägung wandte er sich spä-ter der Ethologie zu, die die Bildung von Eltern-Kind-Beziehungenerklären konnte, ohne daß dabei das Füttern (oder die kindlicheSexualität, wie in der Psychoanalyse) von Bedeutung war. Bowlbykonnte zeigen, daß die Bindung eines Kindes an seine Bezugsper-son ein eigenständiges Motivationssystem darstellt, das nicht andie Nahrungsaufnahme oder die Sexualität eines Kindes gekoppeltist. Der Bezug zur Ethologie hatte auch Konsequenzen im Hinblickauf die Wahl der Erfassungsmethoden. Die Feldbeobachtung unterAlltagsbedingungen wurde zu seinem primären Forschungsinstru-ment (Grossmann et al., 1997).

Ein späterer Mitarbeiter von Bowlby, Robertson, hatte dieMethode der schriftlichen Kinderbeobachtung in Anna Freuds Kin-derheim gelernt, welche in Bowlbys Arbeit mit aufgenommenwurde. 1950 kam Ainsworth an die Tavistock Klinik in London,wo sie unter der Leitung von Bowlby an seinem Projekt über dieAuswirkungen von frühen Mutter-Kind-Trennungen auf die Per-sönlichkeitsentwicklung mitarbeitete. Aus privaten Gründen ver-ließ sie die Tavistock Klinik 1953 um nach Uganda zu ziehen, wo siesich der Analyse der Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung imersten Lebensjahr widmete. Nach ihrer Rückkehr in die USAbegann Ainsworth mit der Baltimorestudie und zwischen ihr undBowlby entwickelte sich eine erneute fruchtbare Zusammenarbeit(Bretherton, 1995).

1.2.2. Das Konzept der Bindung

Unter dem Einfluß der Ethologie ging Bowlby (1969) von demKonzept der »Verhaltenssysteme« aus. Damit sind Verhaltensweisengemeint, die sich im Laufe der Evolution durchgesetzt haben, weilsie zum Überleben der Art beitragen. Da das Überleben des Indivi-duums nur insoweit von Interesse ist, wie es zur Produktion vonNachwuchs in der Lage ist, sind Verhaltenssysteme meist mit derReproduktion oder dem Schutz von Nachkommen verbunden.

Dem Verhaltenssystem der Bindung schreibt Bowlby die biolo-gische Funktion zu, durch die Sicherstellung von Nähe der Bezugs-

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person zum Säugling für den Schutz vor Gefahren zu sorgen. Zuden Bindungsverhaltensweisen gehören demzufolge alle Verhal-tensweisen, die Nähe zur Bezugsperson bewirken, das Schreien,Weinen, Rufen und später auch das Nachfolgen.

Das Bindungsverhalten des Kindes und das Fürsorgeverhaltendes Elternteils sind in einem evolutionären Sinne präadaptiv auf-einander abgestimmt. Die Verhaltensweisen des Kindes habenSignalcharakter für die Bezugsperson, die für das Kind verfügbar istund auf die Signale des Kindes reagiert.

Das Verhalten von Individuen wird jedoch durch mehrere Ver-haltenssysteme bestimmt. Ein weiteres System ist beispielsweisedas Explorationssystem, das die neugierige Erkundung der Umweltdes Kindes beinhaltet. Bindungsverhaltenssystem und Explora-tionssystem sind als komplementäre Systeme zu sehen, was bedeu-tet, daß beide Systeme nicht gleichzeitig aktiviert sein können.Wenn beispielsweise das Bindungssystem eines Kindes durch Tren-nung von der Mutter aktiviert ist, wird gleichzeitig seine Explora-tion gehemmt sein, d. h. der Aktionsradius und die Aktivität desKindes sind eingeschränkt. Andererseits wird ein Kind, dessen Bin-dungssystem nicht aktiviert ist, normalerweise neugierig seineUmwelt erkunden. Die Bezugsperson dient dabei als »sichereBasis«, zu der das Kind bei Gefahr zurückkehren kann und dieansonsten aus dem Hintergrund Sicherheit vermittelt.

Die Bindungstheorie geht davon aus, daß das Konzept der Bin-dung mit der Bildung von inneren Arbeitsmodellen (»inner wor-king modell«) verbunden ist (Bowlby, 1973). Ein Arbeitsmodellwird als grundlegende Organisation von Erwartungen und dendamit verbundenen Gefühlen angesehen und beinhaltet somitsowohl kognitive als auch affektive Komponenten (Bretherton,1985). Es entsteht durch die Verinnerlichung von gesammeltenbindungsrelevanten Erfahrungen mit der Bezugsperson. Als weit-gehend unbewußtes und relativ stabiles Modell (Bowlby, 1973) istes handlungsleitend und nur schwer veränderbar. Diese Repräsen-tanzen von der eigenen Person und den Bindungspersonen habenEinfluß auf das Selbstwertgefühl, das Gefühl der Selbstwirksamkeitund der Überzeugung, einer Unterstützung durch andere wert zusein. Im besten Fall ist es verbunden mit der Sicherheit, sich selbst

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helfen zu können, als auch es wert zu sein, daß andere einem beiSchwierigkeiten helfen.

»Ein Schlüsselmerkmal des Arbeitsmodells von der Welt, dassich jeder schafft, ist die Vorstellung von dem, wer seine Bin-dungspersonen sind, wo es sie finden kann, und wie sie wahr-scheinlich reagieren. In ähnlicher Weise ist das Schlüsselmerkmaldes Arbeitsmodells vom Selbst, das sich jeder schafft, die Vorstel-lung, wie akzeptabel oder unakzeptabel er in den Augen seinerBindungspersonen ist« (Bowlby 1973/1976, S. 247).

Bindungsverhalten ist, obwohl es von Geburt an auftritt,zunächst nicht auf spezifische Personen ausgerichtet. Ungefähr abdem sechsten Lebensmonat entwickelt sich die Bindung an dieHauptbezugsperson. Diese Person wird das Kind in der Folge beiKummer oder Schmerzen als Trostspender bevorzugt aufsuchen,wenn jedoch diese Person nicht anwesend ist, können auch ande-re ihre Funktion übernehmen. In diesem Sinne gibt es eine ArtRangordnung von Bindungspersonen, in unserem Kulturkreisbesteht neben der Bindung zur Mutter meist eine Bindung an Vater,Großeltern, u.a..

Das Verhaltenssystem der Bindung ist teilweise umweltstabil,andererseits gibt es jedoch einen umweltlabilen Anteil. Da biolo-gisch determiniert, entwickelt sich bei jedem Kleinkind eineBindung, sofern eine Bezugsperson vorhanden ist. Die Qualität derBindung kann jedoch unterschiedlich ausfallen, d. h. an ihrer Aus-bildung sind Umweltfaktoren maßgeblich beteiligt.

1.2.3. Bindungssicherheit als Prädiktor für die weiteresozialemotionale Entwicklung

Das Konzept der Bindungssicherheit erwies sich als relevantesKonzept und guter Prädiktor für die weitere sozialemotionale Ent-wicklung.

In Studien wurde gezeigt, daß sicher gebundene Zweijährige imUmgang mit der Mutter freundlicher und kooperativer waren undbessere Kommunikationsstrategien besaßen als unsicher gebun-dene Kinder. Weiterhin fand man, daß sicher gebundene Zwei-

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jährige in einer Problemlösesituation weniger belastet waren undeher die Hilfe ihrer Mütter suchten als unsicher gebundene (Matas,Arend & Sroufe, 1978, zit. nach Grossmann et al., 1997).

Im Kindergarten wurden sicher gebundene eher als flexibel undsozial kompetent beschrieben, während unsicher gebundene Kin-der häufiger als schwierig, besonders anhänglich und zuwen-dungsintensiv eingestuft wurden (Suess, Grossman & Sroufe,1992).Im Gegensatz zu den unsicher gebundenen zeigten sicher gebun-dene Fünfjährige im Kindergarten einen kompetenteren Umgangmit Konflikten, d. h. sie versuchten, den Konflikt selbständig undoffen auszutragen anstatt zu petzen oder ausweichend und feind-selig zu sein. Außerdem zeigten unsicher gebundene Jungen eheraggressive und unkooperative Verhaltensweisen, während Mäd-chen meist überangepaßt waren (Turner, 1991). Fünfjährige, diemit einem Jahr sicher gebunden gewesen waren, erwiesen sich imUmgang mit Gleichaltrigen als hilfsbereiter, selbstsicherer, wenigeraggressiv und hatten häufiger gute Freunde als unsicher gebunde-ne derselben Altersstufe (Suess, Grossman & Sroufe, 1992).

Main und Kollegen (1985) beobachteten sechsjährige Kinder,bei denen mit 12 und 18 Monaten der Bindungstyp erhoben wordenwar, während und nach einer einstündigen Trennung von denEltern. Es zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen einersicheren Bindung und einem positiven Allgemeinzustand währendder Trennung, einer positiven Reaktion auf das Familienphoto undeiner emotional offenen Haltung während eines Trennungsinter-views. Bindungsunsichere Kinder waren eher pessimistisch undhatten seltener konstruktive Lösungsvorschläge. Sechsjährige, dieeinjährig als unsicher-vermeidend klassifiziert worden waren, zeig-ten aktives Ignorieren des Familienphotos und der Trennungs-thematik im Interview als auch vermeidendes, abwendendes Ver-halten bei der Wiedervereingung mit der Bezugsperson (Main,Kaplan & Cassidy, 1985).

Berlin, Cassidy & Belsky (1995) untersuchten fünf- bis sieben-jährige Kinder und fanden, daß unsicher-ambivalente am häufig-sten von Einsamkeit berichteten. Unsicher-vermeidende Kinderschilderten dagegen am wenigsten Einsamkeit im Vergleich zusicher und unsicher-ambivalent gebundenen Kindern.

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Die lineare Prognostizierbarkeit von Angsterkrankungen imJugendalter auf der Grundlage einer unsicheren Bindung konntenWarren et al. zeigen (Warren, Huston, Egeland & Sroufe, 1997;Shaw & Vondra, 1995).

1.2.4. Der »Fremde-Situations-Test«

Die gebräuchlichste Erfassungsmethode der bindungstheore-tischen Forschung war wie beschrieben zunächst die Verhaltens-beobachtung unter Alltagsbedingungen. Auch Ainsworth beschriebin ihrer Baltimorestudie zunächst das unterschiedliche Verhaltenvon sicher und unsicher gebundenen Kindern und ihren Müttermit Hilfe dieser aufwendigen Methode. Später entwickelten sie undihre Mitarbeiter eine Erhebungsmethode im Labor, die ursprüng-lich zur Validierung der Hausbeobachtungen gedacht war. Dersogenannte »Fremde-Situations-Test« wurde in der Folge zumgebräuchlichsten Verfahren zur Erhebung der Bindungssicherheitund ist validiert für Kinder im Alter von 11 bis 20 Monaten (Ains-worth & Wittig, 1969).

Hierbei handelt es sich um acht aufeinanderfolgende Episodenim Videolabor, die auch die Trennung von Mutter und Kind be-inhalten und somit das Bindungssystem des Kindes zunehmendaktivieren. Anhand des Verhaltens des Kindes während der Tren-nungen und besonders während der Wiedervereinigungen mit derMutter wird das Kind als entweder sicher, unsicher-vermeidendoder unsicher-ambivalent gebunden klassifiziert. Hierzu wird dasAusmaß von vier Verhaltensdimensionen (Nähevermeidung,Kontaktwiderstand, Nähesuchen und Kontakterhalt) eingeschätzt,dessen Kombinationen Hinweise auf die entsprechenden Bindungs-typen geben.

Kinder mit einem sicheren Bindungsmuster (B) zeichnen sichdadurch aus, daß sie schon in der ersten Episode der »FremdenSituation«, wenn die Mutter noch anwesend ist, mehr explorierenals bei ihrer späteren Abwesenheit. Wenn sie in der Trennungs-situation gestresst sind, beruhigen sie sich schnell bei der Wieder-vereinigung. Waren sie dagegen nicht gestresst, freuen sie sich

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jedoch deutlich über die Rückkehr der Mutter. Sie machen dabeieindeutige Unterschiede zwischen der Fremden und der Mutter, indem sie nach der Trennung die Mutter der Fremden vorziehen.Während der Trennung vermissen sie also eindeutig die Mutterund sind nicht nur wegen des Alleinseins verstimmt. Innerhalb die-ser Gruppe werden nach dem Ausmaß des Trennungsstresses unddes Nähesuchens vier Subgruppen unterschieden, von denen B 3 alsIdealtyp der Bindungsorganisation im Sinne der Bindungstheorieangesehen wird. Dieser Typ zeichnet sich durch wenig Vermeidungund Widerstand, viel Nähesuchen und eine schnelle Beruhigung beiKontakt aus.

Bei den unsicher-vermeidend (A) gebundenen Kindern fällt auf,daß das Ausmaß der Exploration unabhängig davon ist, ob die Mut-ter anwesend ist oder nicht. Während der Abwesenheit der Mutterscheinen diese Kinder wenig belastet zu sein, d. h. sie zeigen wenigBindungsverhalten wie z. B. Weinen, Nachfolgen, Rufen etc. Im Um-gang mit der Fremden wirken die Kinder genauso wie mit der eige-nen Mutter. Das wichtigste Merkmal dieses Bindungstyps ist die Ver-meidung des Kontakts mit der Mutter, wenn diese nach derTrennung in den Raum zurückkehrt. Kein Blickkontakt wird ge-sucht, sondern das Kind wendet sich ab und wenn es hochge-nommen wird, schmiegt es sich nicht an, sondern bleibt steif. Bei demunsicher-vermeidenden Bindungstyp gibt es zwei Untergruppen.

Unsicher-ambivalent (C) gebundene Kinder fallen dadurch auf,daß sie schon früh, noch in Anwesenheit der Mutter Verunsiche-rung zeigen. Das Bindungsverhalten scheint schon durch dieFremdheit der Umgebung aktiviert zu sein, so als erwarteten sie,von der Mutter alleingelassen zu werden. Wenn diese dann tatsäch-lich den Raum verläßt, sind diese Kinder sehr gestresst undunglücklich. Bei der Wiedervereinigung mit der Mutter verhaltensie sich ambivalent, einerseits suchen sie Nähe zur Mutter, ande-rerseits zeigen sie auch widerständiges Verhalten. Im Gegensatzzum sicher gebundenen Typ finden unsicher-ambivalent gebunde-ne Kinder nur schwer Trost und können sich gar nicht beruhigenund zur Exploration zurückkehren. Auch diese Gruppe setzt sichaus zwei Subgruppen zusammen, die sich hinsichtlich ihrer Aktivi-tät bzw. Passivität unterscheiden.

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Der sicheren Bindung liegt ein inneres Arbeitsmodell zugrunde(vgl. Kap. 1.2.2.), bei dem die Bezugsperson als zuverlässig reprä-sentiert ist. Sie ist jederzeit verfügbar und kann von dem Kind alssichere Basis bei der Erkundung der fremden Umgebung in der»Fremden Situation« genutzt werden. Die Rückkehr der Bezugs-person nach der Trennung wird als Zeichen für die Verfügbarkeitgenommen und verstärkt das Vertrauen des Kindes. Es sucht folg-lich Trost bei der Bezugsperson und beruhigt sich schnell wieder,um dann die Exploration fortzusetzen. Die negativen Gefühlewährend der Trennung können in eine insgesamt positive gefühls-mäßige Erwartung integriert werden (Fremmer-Bombik, 1995).

Das Arbeitsmodell von unsicher-vermeidend gebundenen Kin-dern beruht auf dem Vermeiden des Ausdrucks negativer Gefühle.Die Bezugsperson wurde oft als zurückweisend, als in schmerzvollenSituationen wenig Tost spendend, erlebt. Um das Risiko der wie-derholten Zurückweisung zu minimieren, werden negative Ge-fühlsäußerungen, die eine Schutzbedürftigkeit signalisieren, ver-mieden. Da keine Erwartungshaltung von einer positiven Auflö-sung der Situation vorhanden ist, zeigt das Kind keine Verunsiche-rung. Die Bezugsperson ist nicht repräsentiert als jemand, der Trostspenden und damit den schmerzvollen Zustand beenden kann.

Ebenfalls keine Integration der negativen Gefühle in einen ins-gesamt positiven Ausgang findet man bei den unsicher-ambivalentgebundenen Kindern. Schon durch die Fremdheit des Raumes starkverunsichert haben sie überhaupt keine positive Erwartungs-haltung an die Mutter. Die Bezugsperson ist als nicht berechenbarrepräsentiert und die Trennung von ihr in der »Fremden Situation«bestätigt nur, daß sie nicht verfügbar ist.

In unausgelesenen norddeutschen Stichproben finden sich zu ca.30 bis 40% sicher, zu 40 bis 50% unsicher-vermeidend und zu 10 bis15% unsicher-ambivalent gebundene Kinder, während die Vertei-lung in den USA etwas anders aussieht (B 57%, A 26%, C 17%)(Ainsworth et al., 1978; Grossmann et al., 1985).

Insgesamt scheint es in westeuropäischen Ländern mehr un-sicher-vermeidende und in Japan und Israel mehr unsicher-ambi-valent gebundene Kinder zu geben. Unklar ist jedoch, ob aufgrundder unterschiedlichen kulturellen Vorraussetzungen, der »Fremde-

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Situations-Test« in Japan eine angemessene Methode zur Erhebungder Bindungssicherheit darstellt (Miyake, Chen & Campos, 1985;Sagi, Lamb, Lewkopwicz, Shoham, Dvir & Estes, 1985). Van Ijen-doorn und sein Kollege kamen in ihrer Metaanalyse zu demSchluß, daß neben kulturell bedingten Differenzen auch innerhalbeines Landes verschiedene Stichproben unterschiedliche Vertei-lungen zeigten. Die intrakulturelle Variation war eineinhalb Mal sogroß wie die über verschiedene Kulturen (Europa, USA, Asien) hin-weg (van Ijendoorn & Kronenberg, 1988).

In der Mitte der achtziger Jahre wurde erstmals ein weitererBindungstyp beschrieben, der die Fälle, die man vorher nichtzuordnen konnte, erfaßt (Main & Solomon, 1986). »Unsicher-desorganisiert« bezeichnet weniger eine durchgängige Verhaltens-strategie wie die anderen Bindungsmuster, sondern eine Sammlungvon verschiedenen Verhaltensweisen, über die im nächsten Kapitelausführlicher berichtet werden soll.

1.2.5 Die Desorganisation

Main und Weston (1981) berichteten zuerst von einer Gruppevon Kindern (12,5%), die sich nicht in das Klassifikationssystem vonAinsworth einordnen ließen und die sie somit als nicht klassifi-zierbar bezeichneten. Solche Kinder verhielten sich z. B. wie ver-meidende Kinder, waren aber während der Trennungsepisode sehrgestresst oder verhielten sich der Mutter gegenüber wie ein siche-res Kind, der Fremden gegenüber aber genauso. Andere wirktentrotz anscheinend sicherer Bindung affektlos und zeigten Zeichenvon Depression. Crittenden (1985) fand in ihrer Stichprobe vonmißbrauchten und mißhandelten Kindern sogenannte »A/C-Kinder«, d. h. Kinder, die nicht in die herkömmlichen Kategorienpaßten, sondern die 1) mittleres bis hohes Nähesuchen, 2) mittlerebis hohe Vermeidung und 3) mittleren bis hohen Widerstand zeig-ten. In anderen Studien (Spieker & Booth,1985; Radke-Yarrow,1985) zeigte sich, daß die Mütter von A/C-Kindern häufiger de-pressiv waren und mehr chronische Lebensschwierigkeiten auf-wiesen.

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Außerdem hatte man in Stichproben mit mißhandelten Kindernauch die Kategorie sicher vergeben müssen, was unbefriedigendwar, weil die beobachtete offensichtlich gestörte Beziehung vonMutter und Kind nicht zu der sicheren Bindungskategorie paßte(Carlson, Cicchetti, Barnett & Braunwald, 1989).

Main & Solomon (1986) nahmen die Beobachtung auf, daß ver-schiedene Forscher Fälle forciert den Bindungstypen des Ains-worth-Systems zuordneten, ohne daß sie wirklich zufrieden-stellend der entsprechenden Kategorie entsprachen. Die Autorenuntersuchten vergeblich Videoaufnahmen von schwer zu klassifi-zierbaren Kindern hinsichtlich neuer Verhaltensstrategien. Was siefanden, waren vereinzelte Verhaltensweisen, die dann in ihrerGesamtheit als »desorganisiertes« Verhalten bezeichnet wurden.Dazu gehörten widersprüchliche Verhaltenstendenzen und un-oder fehlgerichtete Bewegungen wie z. B. Nähesuchen mit plötz-lichem Abbruch, Verhaltenssterotypien, das Einfrieren von Bewe-gungen, Anzeichen von Besorgnis oder Angst gegenüber der Be-zugsperson und direkte Anzeichen von Desorganisation. Letzereskann sich äußern, indem beispielsweise bei Wiedervereinigung dieFremde statt der Mutter freundlich begrüßt wird oder durch plötz-liches Erstarren und zielloses Herumwandern mit Anzeichen vonAngst vor der Bezugsperson (Main & Solomon; 1986, 1990). ImManual zur Auswertung der Desorganisation ist vorgesehen, dendesorganisierten Kindern eine zweite Klassifikation des tradi-tionellen Systems zuzuordnen.

Desorganisiertes Bindungsverhalten stellt im Gegensatz zuorganisiertem Bindungsverhalten ein »Steckenbleiben« zwischenzwei Verhaltenstendenzen dar, bei dem auf der einen Seite dieZuwendung zur Mutter und das Nähesuchen, auf der anderen Seitedie Abwendung von ihr steht. Die gleichzeitige Aktivierung vonbeiden Systemen führt zu einem Zusammenbruch des organisier-ten Bindungsverhaltens (Main & Solomon, 1990). DesorganisiertesVerhalten wird als Indikator von Angst und Stress angesehen, dendas Kind nicht beenden kann, weil die Bezugsperson gleichzeitigdie Quelle von Furcht und der potentielle sichere Hafen ist (»nowhere to go...«) (van Ijzendoorn et al., 1999).

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In Studien zeigte sich, dass der desorganisierte Bindungsstatusgegenüber beiden Elternteilen unabhängig war, denn fast alle Kin-der zeigten desorganisiertes Verhalten nur in Anwesenheit einesElternteils (Main & Solomon, 1986).

Main und Cassidy (1988) erhoben den Bindungsstatus der Kin-der im Alter von sechs Jahren, wobei die Kinder u.a. ein Bild vonder Familie malen sollten, ein Interview zu Trennungsthemendurchliefen und ein Familienphoto gezeigt bekamen. Dabei ergabsich, daß die Desorganisation bei der Mehrzahl der Fälle eineStabilität von fünf Jahren aufwies.

In normalen Mittelklassestichproben findet man einen Anteilvon desorganisierten Kindern von ca. 15%, in einer Stichprobe mitniedrigem sozioökonomischen Status liegt der Prozentsatz zwi-schen 25% und 34%. In klinischen Stichproben findet man fastdurchgängig einen erhöhten Anteil an desorganisierten Kindern,z. B. wurden in einer Stichprobe mit depressiven Müttern 21% derKinder als desorganisiert klassifiziert. In Studien mit drogenab-hängigen Müttern bzw. mißhandelten Kindern betrug der Prozent-satz sogar 43% bzw. 48% (van Ijzendoorn, Schuengel & Baker-mans-Kranenburg, 1999).

Zu den in der Literatur diskutierten Faktoren, die an der Ent-stehung von Desorganisation beteiligt sind, gehören auf Seiten derBezugsperson ein unverarbeiteter Verlust einer bindungsrelevan-ten Person, der sich durch ängstigendes oder ängstliches Verhaltender Mutter im Kontakt mit dem Kind äußern soll (Main & Solomon,1990, Main & Hesse, 1990; Ainsworth & Eichberg, 1991; van Ijzen-doorn, 1995, van Ijzendoorn et al., 1999, Schuengel, Bakermans-Kranenburg & van Ijzendoorn, 1999), mißhandelnde oder miß-brauchende Eltern (Crittenden, 1988; Lyons-Ruth et al., 1990),mütterliche Psychopathologie, z. B. Depression (de Mulder &Radke-Yarow, 1991; Murray, 1992; Teti, Messinger, Gelfand &Isabella, 1995; Frankel & Harmon, 1996, Seifer et al., 1996) oderFamilien mit niedrigem sozioökonomischem Status, die mehrereRisikofaktoren aufweisen (Crittenden, 1988; Carlson et al., 1989,Dawson, Grofer, Klinger, Panagiotides, Spieker & Frey, 1992;Lyons-Ruth, Easterbrooks & Cibelli, 1997, Carlson, 1998).

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Bezüglich der Einflußfaktoren auf Seiten des Kindes gibt eswesentlich weniger Forschungsaktivitäten. Veröffentlicht wurdenUntersuchungen zu Frühgeburtlichkeit (Rodning et al., 1989), kör-perlichen Behinderungen und neurologischen Auffälligkeiten, z. B.Down-Syndrom (Vaughn et al., 1994) und frühkindlichem Tempe-rament (siehe Kap. 1.3.4.5.) (Überblick siehe Metaanalyse vanIjzendoorn et al, 1999).

1.3. Einflußfaktoren auf die Entwicklung vonBindungssicherheit und Desorganisation

1.3.1. Mütterliches Interaktionsverhalten

In den 50er Jahren, veränderte sich die »Anlage-Umwelt-Debat-te« in der Wissenschaft nach Jahrzehnten der Annahme der Anla-gebedingtheit von psychischen Auffälligkeiten insofern, als demFaktor Umwelt eine größere Bedeutung beigemessen wurde. Diesgeschah mit der gleichen Ausschließlichkeit, mit der vorher diegegenteilige Ansicht vertreten worden war. In der Psychologie bzw.Psychiatrie und Pädagogik waren selbst verschiedenste theore-tische Schulen wie die Psychoanalyse und die Lerntheorie sich hin-sichtlich der Umweltdeterminiertheit von kindlicher Entwicklungbzw. kindlichem Verhalten einig. Auch die Bindungstheorie nahman, daß allein Umweltfaktoren in Form von mütterlichem Verhaltenursächlich mit individuellen Verhaltensunterschieden des Kindes inVerbindung stehen (Zentner, 1993).

1.3.1.1. Sensitivität/Feinfühligkeit

1.3.1.1.1. Mütterliche Sensititvität und kindlicheSelbstregulation

Die mütterliche Sensitivität bzw. Feinfühligkeit gehört zu den»klassischen« Einflußfaktoren auf die Entwicklung der Bindungs-qualität, die schon von Bowlby und Ainsworth postuliert wurden,und Bestandteil der Bindungstheorie sind (Bowlby, 1969; Ains-

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worth et al., 1978). Definiert wird die mütterliche Feinfühligkeitdurch vier Merkmale:

• die Wahrnehmung der kindlichen Verhaltensweisen (niedrige Wahrnehmungsschwelle),

• die richtige Interpretation der Signale des Kindes,• die kontingente Reaktion auf Äußerungen des Kindes, so daß für

das Kind ein Zusammenhang zwischen eigenem und elterlichemVerhalten deutlich wird, wodurch Erfahrung der eigenen Effek-tivität möglich wird,

• die Angemessenheit der Reaktion.Verhält sich eine Mutter während des ersten Lebensjahres fein-

fühlig im Sinne der Definition, dann wird das Kind gemäß der Bin-dungstheorie am Ende des ersten Lebensjahres eine sichere Bin-dung an die Mutter aufweisen. Es wird ein »internes Arbeitsmodell«von einer Mutter entwickelt haben, die zuverlässig verfügbar ist.Damit verbunden wird es die Vorstellung ausbilden, daß anderehilfreich sind und das Kind selbst es wert ist, von anderen unter-stützt zu werden. Die kognitiven Repräsentanzen über das Selbstund die Anderen werden geprägt sein von der Erwartung, selbsteffektiv zu sein und dabei von anderen unterstützt zu werden(Bretherton, 1985; vgl. Kap. 1.2.2.).

Nach Sroufe (1995) ist die Sensitivität/Feinfühligkeit der Mutterinsbesondere in Zusammenhang mit der Selbstregulation des Säug-lings von Bedeutung. Mit Selbstregulation ist die Aufgabe des Säug-lings gemeint, sich einerseits gegen Reize abzuschirmen, anderseitsReize aufzunehmen und zugleich die eigenen Verhaltenszuständeund physiologischen Funktionen zu steuern (vgl. Kap. 1.3.4.2.).Hierzu ist der Säugling natürlich nur bedingt in der Lage, weshalbdie Bezugsperson von außen unterstützend tätig werden muß.Sroufe beschreibt den Prozess, in dem der Säugling über die dya-dische Regulation der Erregung, bei der die Mutter die Erregungs-modulation unterstützt, seine Selbstregulation verbessert. Im Ver-lauf einer Interaktion hebt und senkt die Bezugsperson das Niveauder Erregung. Die Mutter verstärkt beispielsweise die Stimulationdurch Kopfnicken, einen veränderten Gesichtsausdruck und eineveränderte Stimme, so daß das Kind aufmerksam bleibt und dieSpannung sich langsam steigert. Die Modulation von Tönen, Bewe-

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gungen und Gesichtsausdrücken dient dazu, die Spannung aufzu-bauen, während gleichbleibendes, wiederkehrendes Verhalten dieAufmerksamkeit des Kindes nicht lange fesseln könnte.

Die sensitive Mutter liest während der Interaktion die Signaledes Kindes. Wenn es sich beispielsweise abwendet oder beginnt,Anzeichen von Streß zu zeigen, wird sie die Stimulation reduzieren,um eine Eskalation zu vermeiden. Wenn das Kind eine Gelegenheitbraucht, um sich zu organisieren bevor es mit der Interaktion fort-fahren kann, wird die sensitive Mutter warten und ihm die Zeitgeben, ohne den Rückzug als persönliche Ablehnung zu betrachten(Sroufe, 1995). Durch die Interaktion lernt das Kind, ansteigendeSpannung zu tolerieren, ohne den Kontakt abzubrechen oder des-organisiertes Verhalten zu zeigen.

Brazelton und Kollegen beschreiben den Prozeß des Erwerbsselbstregulatorischer Fähigkeiten folgendermaßen:

»The mother tends to provide a »holding« framework for herown cues. That is, she holds the infant with her hands, with hereyes, with her voice and smile..... All these holding experiences areopportunities for the infant to learn how to contain himself, how tocontrol motor responses and how to attend for longer and longerperiods...«. (S.70; Brazelton et al., 1974; zit. nach Sroufe, 1995).

Für den Säugling ergibt sich aus solchen Erfahrungen dieGewißheit, daß die Mutter auch in Zukunft antworten wird undQuelle für Stimulation sein wird. Ein Gefühl der eigenen Effekti-vität oder Selbstwirksamkeit entsteht aus den Erfahrungen, daßdas eigene Handeln einen Effekt hat, eine Reaktion des Gegenübersnach sich zieht (Sroufe, 1995). Die Ausbildung eines »internenArbeitsmodells«, das im weiteren Leben handlungsleitend seinwird, hängt mit diesen frühen Prozessen der dyadischen Regulationzusammen und trägt so zur Ausbildung der Bindungssicherheit bei(vgl. Kap. 1.2.1.).

Als »externer Organisator« der biobehavioralen Regulation desKindes bezeichneten Spangler und seine Mitarbeiter die mütter-liche Sensitivität und machten damit ihre Bedeutung auch für diephysiologischen Korrelate der Selbstregulation deutlich. In ihrerStudie fertigten sie Videoaufnahmen von einer Spiel- und einerRoutinesituation von Mutter und Kind im Kindesalter von drei,

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sechs und neun Monaten an und erhoben dabei u.a. den Cortisol-gehalt im Speichel der Kinder. Cortisol wird als Stresshormon ange-sehen, das mit mangelnder Verfügbarkeit von Copingstrategien inZusammenhang gebracht wird. Außerdem wurden die mütterlicheSensitivität und die Emotionalität des Kindes erfaßt. Ein Cortisol-anstieg während der Spielsituation wurde im Alter von 3 und 6Monaten bei Kindern von insensitiven Müttern gefunden (Spang-ler, Schieche, Ilg, Maier & Ackermann, 1994).

Die Untersuchung unterstreicht die Wichtigkeit der Sensitivitätder Bezugsperson für die biobehaviorale Organisation des Säug-lings. Sensitives Verhalten der Mutter scheint das Kind vor eineradrenocorticalen Stressreaktion zu schützen, während ein insensi-tiver Interaktionsstil der Mutter zur Aktivierung des adrenocorti-calen Systems beiträgt.

1.3.1.1.2. Empirische Studien zum Zusammenhang vonmütterlicher Sensitivität und Bindungssicherheit

Nach der Erörterung der möglichen theoretischen Bedeutungdes sensitiven mütterlichen Interaktionsverhaltens für die Ent-wicklung der Bindungssicherheit des Kindes sollen im folgendenempirische Studien zum Zusammenhang von mütterlicher Sensi-tivität und Bindungssicherheit dargestellt werden.

Ainsworth zeigte in zwei Längschnittstudien (Uganda und Bal-timore) mit Hilfe von langen Hausbesuchen und schriftlichen Ver-haltensberichten einen Zusammenhang von mütterlicher Feinfüh-ligkeit und kindlichem Verhalten. Kinder von feinfühligen Mütterweinten seltener (mit acht und zehn Monaten), zeigten ebensoInteresse am selbstständigen Spiel wie am Kontakt zur Mutter undließen sich bei Kummer schneller trösten, um dann zum Spielzurückzukehren (Ainsworth et al., 1978).

In vielen Studien ist seitdem wiederholt der Einfluß dieser Vari-able auf die Entwicklung der Bindungsqualität gezeigt worden(Belsky et al., 1984; Goldsmith & Alansky, 1987; Gomille & Gloger-Tippelt, 1999; Grossmann, Grossmann, Spangler, Suess & Unzner,1985; Isabella, 1993; Isabella & Belsky, 1991; van den Boom, 1994).

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Grossmann et al. (1985) zeigten in ihrer Replikation der Balti-morstudie von Ainsworth, daß die Mütter von sicher gebundenenKindern signifikant feinfühliger waren und zwar für das Alter derKinder von zwei und sechs Monaten, nicht jedoch für zehn Monate.In der Studie von Isabella (1993) erwiesen sich ebenfalls die Müt-ter der mit einem Jahr sicher gebundenen Kinder als responsiver,wenn ihre Kinder ein und vier Monate alt waren, mit neun Mona-ten waren sie weniger zurückweisend als andere Mütter.

Auch in der Interventionsstudie von van den Boom (1994) wurdeeindrucksvoll der Einfluß der mütterlichen Sensitivität auf die Bin-dungsqualität des Kindes belegt. Zunächst wurde die Interaktionvon Müttern aus sozial schwachen Familien mit irritierbaren Kin-dern (Nbas von Brazelton, 1984) im Alter von sechs und neunMonaten beurteilt. Die Mütter der Interventionsgruppe wurdenanschließend an drei Tagen im Rahmen von Hausbesuchen zweiStunden lang mit dem Ziel der Steigerung ihrer sensitiven Reak-tionen auf Unmutsäußerungen, als auch auf positive Signale desKindes eingreifend unterstützt. Hinsichtlich der mit 12 Monatenerhobenen Bindungsqualität der Kinder zeigte sich eine deutlicheÜberlegenheit der Kinder der Interventionsgruppe gegenüber derKontrollgruppe, in dem Sinne, daß der Anteil an unsicher gebun-denen Kindern signifikant niedriger war, zugunsten der sichergebundenen Kinder. Außerdem erwiesen sich die Kinder der Inter-ventionsgruppe als sozialer, eher fähiger, sich selbst zu beruhigenund explorativer, auf einem höheren Spielniveau.

Isabella und Belsky (1991) untersuchten die Interaktion vonMutter-Kind-Paaren mit ein, drei und neun Monaten. Mütter vonvermeidenden Kindern verhielten sich weniger responsiv, d. h siereagierten seltener als andere Mütter in einer kontingenten Artund Weise auf die Signale des Kindes, was aber nicht heißt, daß sieinsgesamt seltener agierten. Sie vokalisierten z. B. nicht als Antwortauf eine Vokalisation des Kindes, sondern in Momenten, in denendas Kind schläfrig war. Zur Entstehung der unsicher-ambivalentenBindung wurde beschrieben, daß die Mütter solcher Kinder weni-ger involviert sind, weniger responsiv und effektiv in ihrem Beru-higungsverhalten und außerdem inkonsistent sind (Belsky, Rovine& Taylor; 1984, Isabella & Belsky, 1991).

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Es gab jedoch auch Studien, die keinen Zusammenhang zwi-schen der mütterlichen Sensitivität im ersten Lebensjahr und demBindungsstatus des Kindes finden konnten. Bei Mangelsdorf undihren Mitarbeitern beispielsweise ergab sich keine Korrelation vonMuttervariablen (Sensitivität, Expressivität mit 9 Monaten) unddem Bindungsstatus (B vs. A vs. C) des Kindes mit 13 Monaten(Mangelsdorf, Gunnar, Kestenbaum, Lang & Andreas (1990).

In der Arbeit von Seifer und Mitarbeitern fand sich kein signi-fikanter korrelativer Zusammenhang zwischen der im Kindesaltervon sechs Monaten im Hausbesuch erhobenen Sensitivität der Mut-ter und der Bindungssicherheit ermittelt durch den FST. Lediglichzur Sicherheitsdimension des Attachment-Q-Sort ergaben sichmoderate Zusammenhänge (r =.30, p <.05) (Seifer, Schiller,Sameroff, Resnick & Riordan, 1996).

In der Untersuchung an jugendlichen Müttern von Ward undCarlson (1995) fand sich ebenfalls kein signifikanter Zusammen-hang zwischen der mütterlichen Sensitivität mit drei und neunMonaten und der Bindungssicherheit. Dies Ergebnis war erstaun-lich, weil die ebenfalls erhobene Bindungsorganisation der Müttersowohl die Sensitivität der Mutter als auch den Bindungsstatus desKindes vorhergesagt hatte. Laut Autorinnen werfen die Ergebnissedie Frage nach den Prozessen auf, die Bindungsrepräsentationender Mutter, mütterliches Verhalten und Bindung des Kindes mit-einander verbinden.

Während eines Hausbesuches bei Müttern mit Säuglingen imAlter von drei Monaten machten Völker und ihre ArbeitsgruppeVideoaufnahmen von einer Spielsituation und erhoben die Sensiti-vität der Mutter anhand der Ainsworth-Skala. Außerdem wurdedie Kontingenz, welche vor allem emotionale Reaktionen auf dasKind beinhaltet, erfaßt. Hinsichtlich der Sensititvität ergab sich einkorrelativer Zusammenhang nur mit Einzeldimensionen des FST(12 Monate) (besonders Kontakterhalt), nicht aber mit der Gesamt-klassifikation. Die Kontingenz dagegen hing signifikant positiv mitder Bindungssicherheit zusammen (B vs. A,C) (Völker, Keller,Lohaus, Cappenberg und Chasiotis, 1999).

Die Metaanalyse von Goldsmith und Alansky (1987), die auf 15Studien zum Zusammenhang von mütterlichem Interaktionsver-

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halten und Bindung basiert, kam zu dem Ergebnis, daß die mütter-liche Sensititvät keinen so großen Einfluß auf die Bindungsent-wicklung hat, wie angenommen (mittlere Effektstärke =.31/.36).

Zehn Jahre später bestätigten de Wolff und van Ijzendoorn(1997) diese Aussage. In ihrer Metaanalyse unterteilten die Autorendie beteiligten Studien nach den verwendeten Sensitivitätsskalenbezüglich ihrer Ähnlichkeit mit der von Ainsworth entwickeltenSkala. Die Zusammenhänge zu den Bindungstypen der Kinderwaren unterschiedlich stark mit Effektstärken von .22 bis .24, d. h.die Variable »mütterliche Sensitivität« klärte insgesamt nicht sehrviel Varianz auf. Die größten Effektstärken ergaben sich für zusätz-liche Skalen, die stärker das Zusammenspiel beider Interaktions-partner betonten, wie »Wechselseitigkeit« (mutuality) (.32) und»Synchronizität« (synchrony) (.26). Die niedrigsten Zusammen-hänge ergaben sich dagegen für solche Skalen, die nur das Ver-halten der Mutter erfaßten, z. B. »Kontingenz der Reaktionen«(contiguity of responses) und »Körperkontakt« (physical contact)(de Wolff & van Ijzendoorn, 1997).

In anderen Untersuchungen zeigten sich Interaktionseffekte inbezug auf die mütterliche Sensitivität und die Bindungssicherheit:Die große Nichd-Studie (1997) erhob die Sensitivität der Mutterwährend des ersten Lebensjahres und setzte sie in Beziehung zumBindungsstatus mit 15 Monaten.

Der signifikante Haupteffekt der mütterlichen Sensitivität wurdeergänzt durch einen Interaktionseffekt, der die Qualität der Fremd-betreuung betraf. Die Wahrscheinlichkeit einer unsicheren Bin-dung beim Kind war erhöht, wenn niedrige mütterliche Sensiti-vität und geringe Qualität der Fremdbetreuung zusammenauftraten.

In der israelischen Studie von Avierzer und Kollegen wurdeunter anderem die Sensitivität der Mutter während einer 10-minüti-gen Lernsituation, bei der die Mutter dem Kind etwas beibringensollte, erhoben. Durchgeführt wurde außerdem der FST und dasAdult Attachment Interview (AAI; George, Kaplan & Main, 1985).Die mütterliche Sensitivität erwies sich als sowohl mit der Bindungdes Kindes, als auch mit der der Mutter assoziiert. Auffallend warjedoch, daß es in der Stichprobe keine unsicher-vermeidenden und

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unklassifizierbaren Kinder gab, Desorganisation wurde leider nichtausgewertet. Außer den Haupteffekten zeigte sich noch ein Inter-aktionseffekt von Bindungsstatus von Mutter und Kind: wenn dasKind unsicher gebunden war und die Mutter nicht autonom, wardie Sensitivität der Mutter niedriger als wenn zumindest ein Part-ner sicher gebunden war. (Avierzer, Sagi, Joels & Ziv, 1999).

In neueren Studien wurde vielfach das Attachment-Q-Sort vonWaters und Deane (1985) zur Erhebung der Bindungssicherheitverwendet. Pederson et al. (1998) untersuchten die Rolle der müt-terlichen Sensitivität als Moderator des Zusammenhangs zwischendem Bindungstyp des Kindes (FST und Q-Sort) und der Bindungs-repräsentation der Mutter (AAI). Die mütterliche Sensitivität wurdeim Hausbesuch im Kindesalter von 13 Monaten mit Hilfe des»Maternal Behavior Q-Set« (Pederson & Moran, 1995 b) erfaßt. DieSensitivität der Mütter sicher gebundener Kinder (FST) war signi-fikant höher als die unsicher gebundener, was vor allem auf dieunsicher-vermeidenden Dyaden zurückzuführen war. Die Variable»mütterliche Sensitivität« klärte 17% der Varianz des Zusammen-hangs von FST und AAI auf. Der Erhebungszeitpunkt lag mit 13Monaten allerdings sehr spät, außerdem wurden Sensitivität undBindungssicherheit zeitgleich erhoben (Pederson, Gleason,Moran & Bento, 1998).

In einer südamerikanischen Forschungsarbeit wurde in mehr-stündigen Hausbesuchen die Sensitivität der Mutter (zwischensechstem und zwölftem Monat) als auch die Bindungssicherheitdes Kindes (ein bis drei Monate später) per Q-Sort erhoben, jedochin verschiedenen Situationen. Man verglich dabei eine Risikostich-probe mit einer Mittelklassestichprobe ohne besondere Risikobe-lastung. In beiden Gruppen fanden sich signifikante Zusammen-hänge von mütterlicher Sensitivität und Bindungssicherheit(Mittelklasse: .48; Risikostichprobe: .55) (Posada, Jacobs, Carbo-nell, Alzate & Arenas, 1999). Der Zusammenhang kann jedochzum Teil sicher auch auf die gemeinsame Methodenvarianz zurück-geführt werden.

Gomille und Gloger-Tippelt (1999) beobachteten unter ande-rem Mütter mit Kindern im Alter von fünf Monaten zu Hause beider Interaktion und beurteilten die Sensitivität der Mutter anhand

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der Ainsworth-Skala. Außerdem führten sie mit Mutter und Kindden FST und vier Jahre nach der Geburt mit den Müttern den AAIdurch. Den Erwachsenen werden nach dem AAI Bindungstypenzugeordnet, die denen der Kinder im FST entsprechen (D - unsicher-bindungsabwehrend, F - sicher-autonom, E - unsicher-präokku-piert). Die Mütter von sicher gebundenen Kindern waren im Kin-desalter von fünf Monaten signifikant feinfühliger mit ihrenKindern umgegangen. Die Übereinstimmung der Bindungskenn-werte von Müttern und Kindern betrug 82% (sicher vs. unsicher)und 75% beim Vergleich nach Bindungstypen ( A vs. B vs. C bzw. Dvs. F vs. E).

Susman-Stillman und ihr Team erhoben die Sensitivität nachAinsworth im Kindesalter von drei und sechs Monaten und testetenverschiedene Modelle über den Zusammenhang von mütterlicherSensitivität, kindlichem Temperament und Bindungssicherheit aneiner Risikostichprobe. Einen direkten Zusammenhang zwischenSensitivität der Mutter und der Bindungssicherheit des Kindes fandman nur für den Erhebungszeitpunkt von sechs Monaten. Für dasAlter von drei Monaten war das »Moderatormodell« signifikant, d. h.eine hohe Sensitivität der Mutter erhöhte die Wahrscheinlichkeiteiner sicheren Bindung nur für die irritierbaren Kinder (Susman-Stillman, Kalkose, Egeland & Waldman, 1996).

Schneider-Rosen und Rothbaum (1993) erhoben das Interakti-onsverhalten und die Bindungssicherheit nicht nur im gleichenAlter (M = 21,5 Monate), sondern auch direkt nacheinander. DieGleichzeitigkeit ist wegen der mangelnden Interpretierbarkeit pro-blematisch, denn die Verursachungsrichtung ist weniger deutlichals in einer längsschnittlichen Untersuchung, auch wenn ein kau-saler Zusammenhang nicht allein aufgrund der zeitlichen Auf-einanderfolge als gegeben angesehen werden kann (z. B. wegenDrittvariablen). Es ist außerdem davon auszugehen, daß das Ver-halten von Mutter und Kind nach der Fremden Situation nichtrepräsentativ ist. Das Kind könnte (je nach Bindungsstil) noch ver-unsichert sein, sich in dem Raum unwohl fühlen und die Mutterkönnte z. B. mit einem schlechten Gewissen beschäftigt sein. DerZeitpunkt für die Erhebung des Interaktionsverhaltens ist außer-dem sehr spät angesetzt. Die aggregierte Skala »mütterliche Akzep-

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tanz«, welche Zustimmung, Verfügbarkeit und Struktur beinhaltet,wies einen signifikanten Zusammenhang zur Bindungssicherheitauf. Leider können keine Aussagen über einzelne Variablen ge-macht werden, sondern nur über die aggregierten Werte.

Insgesamt betrachtet kann die Bedeutung der mütterlichen Sen-sitivität/Feinfühligkeit für die Entwicklung der Bindungssicherheitbeim Kind als belegt angesehen werden. Die Stärke des Zusam-menhangs der beiden Variablen ist jedoch als eher moderat zubezeichnen, in jedem Fall besteht Bedarf an der Aufdeckung wei-terer Variablen des mütterlichen Interaktionsverhaltens, die mehrzur Varianzaufklärung beitragen können. In ihrer Metaanalysekommen de Wolff und van Ijzendoorn zu dem Schluß:

»Sensitivity has lost its priviliged position as the only importantcausal factor ...« (de Wolff & van Ijzendoorn, 1997,S. 585).

1.3.1.1.3. Empirische Studien zum Zusammenhang vonmütterlicher Sensitivität und Desorganisation

Zu dem Zusammenhang von desorganisiertem Verhalten beimKind und mütterlichem Interaktionsverhalten gibt es sehr vielweniger Untersuchungen als zur Bindungssicherheit. Die meistenUntersuchungen, die desorganisiertes Verhalten in ihrer Auswer-tung mit einbezogen, stellten keine oder geringe Zusammenhängezwischen Desorganisation und Sensitivität der Mutter in der Inter-aktion fest.

Die Metaanalyse von van Ijzendoorn et al. (1999) beispielswei-se untersuchte 13 Studien, u.a. auch die große Nichd-Studie hin-sichtlich des Zusammenhangs von mütterlicher Sensitivität undDesorganisation des Kindes. Die kombinierte Effektstärke war zwarsignifikant, jedoch gering (r = .10, p < .01).

Bei Spangler et al. (1996) erwies sich die mit drei, sechs undneun Monaten erfaßte Sensitivität der Mutter als mit der Desorga-nisation unkorreliert. Zwar unterschieden sich sicher gebundeneKinder gegenüber unsicheren, nicht aber desorganisierte gegenü-ber nicht desorganisierten hinsichtlich der Sensitivität ihrer Mütter(Spangler; Fremmer-Bombik & Grossmann, 1996).

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Lyons-Ruth und Kolleginnen werteten Videos von Hausbesu-chen, bei denen die Interaktion von Müttern und ihren 12 bzw. 18Monate alten Kindern beobachetet wurde, hinsichtlich zwölf ver-schiedener Skalen aus. Faktorenanalytisch ergaben sich zwei Fak-toren: Erstens »Involviertheit« der Mutter, wozu auch Sensitivitätnach Ainsworth gehörte und zweitens »Feindselige Intrusivität«.Anhand der Aus-prägung in diesen Faktoren wurden die Müttereingeteilt entweder in die »optimale Gruppe«, die sich durch einehohe Involviertheit und wenig Feindseligkeit auszeichnete, odereiner von drei möglichen »nichtoptimalen Gruppen« (jeweils vieloder wenig Involviertheit und Feindseligkeit). Die Mehrheit derKinder in allen drei nicht optimalen Gruppen zeigten desorgani-siertes Verhalten. Ein besonders hoher Anteil der Mütter von des-organisierten Kindern war wenig involviert und sehr feindselig-intrusiv (Lyons-Ruth, Repacholi, McLeod & Silva, 1991). Über diemütterliche Sensitivität als separate Verhaltensdimension, die eineder zwölf verwendeten Skalen darstellte, wurde keine differen-zierte Aussage gemacht.

In anderen Studien war mehr das Zusammenspiel von Mutterund Kind als die Sensitivität der Mutter Untersuchungsgegenstand.Spieker und Booth (1988) erhoben die dyadische Kompetenz vonMutter und Kind mit drei Monaten und fanden heraus, daß es beivermeidenden und desorganisierten Kindern weniger Wechsel-seitigkeit (mutuality) in der Interaktion gab. Hier ist demnachexplizit auch der Einfluß des Säuglings in der Interaktion mit derMutter berücksichtigt worden. Außerdem zeigten sich Unterschiedeim Verhalten der Mütter: Mütter von desorganisierten Kindern rea-gierten weniger kontingent auf Reize des Kindes als Mütter vonsicher gebundenen Kindern.

Insgesamt reichen die Forschungsergebnisse, die bislang zurDesorganisation vorliegen, noch nicht aus, um eindeutige Schlüssezu ziehen. Es hat jedoch den Anschein, daß das sensitive, feinfüh-lige Verhalten der Mutter in weit geringerem Ausmaß als bei derBindungssicherheit als bedeutsamer Faktor angesehen werdenkann.

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1.3.1.2. Emotionsausdruck

»... A multidimensional approach of parenting antecedentsshould replace the search for the unique contribution of sensitivi-ty.« (de Wolff & van Ijzendoorn, 1997,S. 585).

Mit diesen Worten aus der Diskussion der Metaanalyse zumZusammenhang von mütterlicher Sensitivität und Bindungssicher-heit regen die Autoren Forschung zu weiteren Skalen des mütter-lichen Interaktionsverhaltens an. Effektstärken, die durchaus mitdenen der mütterlichen Sensitivität zu vergleichen sind (.22 - .24),ergaben sich wie im vorherigen Kapitel erwähnt für Skalen, diestärker das Zusammenspiel beider Interaktionspartner betonen,wie »Wechselseitigkeit« und »Synchronizität«. Aber auch Variablen,die sich auf die Emotionalität der Mutter beziehen, z. B. »positiveHaltung« (positive attitude) (.18) und »emotionale Unterstützung«(emotional support) (.16) kommen als relevante Einflußfaktorenin Frage (de Wolff und van Ijzendoorn, 1997).

Leider ist diese Anregung nicht unbedingt aufgenommen wor-den, denn viele Forscher erheben entweder lediglich die mütter-liche Sensitivität separat oder aggregierte Werte des mütterlichenInteraktionsverhaltens, die keine differenzierte Analyse der ein-zelnen Bestandteile des Verhaltens zulassen, sondern einen Sam-meltopf von potentiell relevanten wirksamen Verhaltensweisendarstellen (z. B. Lewis & Feiring, 1989). Aus diesem Grund gibt esnur vergleichsweise wenige Studien, die andere Variablen als dieSensitivität oder verwandte Skalen erhoben haben.

Untersuchungen, die dem Einfluß von emotionalem Ausdrucks-verhalten auf die Bindungssicherheit bzw. Desorganisation nach-gingen, erhoben sowohl Aspekte positiver Emotion, wie z. B. Akzep-tanz oder affektiver Kontakt als auch negativen Emotionsausdruck,wie Ärger oder Feindseligkeit. Ebenfalls erhoben wurde das Fehlenvon emotionalem Ausdruck (z. B. Ainsworth et al., 1978; Bates,Maslin & Frankel, 1985; Mangelsdorf, Gunnar, Kestenbaum,Lang & Andreas, 1990; Schneider-Rosen & Rothbaum, 1993). Teil-weise wurden Skalen verwendet, die positiven und negativen Emo-tionsausdruck auf einer Dimension abbilden, in anderen Studienwurden wiederum separate Skalen benutzt.

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Schon früh in der Geschichte der Bindungsforschung wurdenweitere Einflußfaktoren auf Seiten der Bezugsperson auf dieBindungsentwicklung erwähnt. Ainsworth et al. (1978) beispiels-weise diskutierten neben der mütterlichen Sensitivität weitere Fak-toren und erhoben zusätzlich noch andere Dimensionen des Mut-terverhaltens, die einen Einfluß auf die Entwicklung vonBindungssicherheit haben sollten. Die Autoren beschrieben, daßdas Verhalten von Müttern vermeidend gebundener Kinder mehrals das der Mütter von sicher gebundenen Kindern durch Ärgerund Ressentiments gekennzeichnet sei, außerdem durch konsi-stente Opposition zu den Wünschen des Babys, körperliches Ein-greifen in die Aktivitäten des Kindes und eindringliche körperlicheInterventionen, die verbale Befehle untermalend verstärken sollen(Skala »Aktzeptanz vs. Zurückweisung«). Eine weitere Skala, das»Fehlen von emotionalem Ausdruck« wurde von Main entwickeltund in der Ainsworth-Studie als Globalurteil für jede Mutter ein-geschätzt.

Eine extreme Ausdruckslosigkeit wurde mit dem Zurückhaltenvon starken negativen Gefühlen in Verbindung gebracht. Die ur-sprüngliche Hypothese, daß sich Mütter von unsicher vermeiden-den Kindern durch eine hohe Ausprägung auf dieser Skala von denMüttern der anderen Gruppen unterscheiden würden, konnte zwarnicht bestätigt werden. Einen signifikanten Unterschied gab esjedoch bei dem Vergleich von sicher und unsicher gebundenen(A, C) Kindern (Ainsworth et al., 1978).

Die Skala »Zurückweisung« wurde von Isabella (1993) aus denSkalen »eingreifende Manipulation« (interfering manipulation) und»negativer Affekt« gebildet, die während Hausbesuchsbeobachtun-gen im Kindesalter von einem, vier und neun Monaten eingeschätztwurden. Zu allen drei Zeitpunkten hatten zurückweisende Müttersignifikant eher unsicher gebundene Kinder als andere Mütter.Während Mütter von unsicher-ambivalenten im Kindesalter voneinem Monat zurückweisender waren als die anderen Mütter, zeig-ten Mütter von vermeidend gebundenen Kindern im Alter von neunMonaten am häufigsten dieses Verhalten. Der Autor vermutet, daßfrühe Zurückweisung zu einer Aufnahme von persistierenden senso-motorischen Codierungen der Unzuverläßlichkeit der homöostati-

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schen Regulation in das Arbeitsmodell des Kindes führen könnte(Isabella 1993). Zusätzlich zeigten zwei Studien an älteren Kinderndie Bedeutung der negativen Emotionalität der Mutter bzw. derZurückweisung.

In der israelischen Studie von Aviezer und Mitarbeitern wurden14 - 22 Monate alte Kinder zusammen mit ihren Müttern bei einerLernsituation beobachtet, bei der die Mütter den Kindern Itemsaus den Bayley Scales of Infant Delvelopment (Bayley, 1969) spie-lerisch beibringen sollten. Durchgeführt wurde außerdem der FSTund das Adult Attachment Interview (AAI von George, Kaplan &Main, 1985; zit. nach Aviezer, Sagi, Joels & Ziv, 1999). Eine der dreierhobenen Skalen hieß »mütterliche Feindseligkeit« und beinhal-tete sowohl offen als auch versteckt geäußerte feindselige Impulse.Diese Skala erwies sich jedoch als sowohl mit dem Bindungstyp desKindes, als auch mit dem der Mutter unkorreliert. Es zeigte sichlediglich ein Interaktionseffekt von Bindungsstatus von Mutter undKind: wenn das Kind unsicher gebunden war und die Mutter nichtautonom (Äquivalent für sichere Bindung beim Erwachsenen), warder Gesamtwert »emotionale Verfügbarkeit« (Sensitivität, Intrusi-vität, Feindseligkeit) der Mutter niedriger als wenn zumindest einPartner sicher gebunden war (Aviezer et al., 1999). Auffallend warjedoch, daß es in der Stichprobe keine unsicher-vermeidenden undunklassifizierbaren Kinder gab, Desorganisation wurde leider nichtausgewertet.

An einer Stichprobe von je 31 Mutter-Kind und Vater-Kind-Paa-ren beurteilten Schneider-Rosen und Rothbaum (1993) die elter-liche »Akzeptanz vs. Zurückweisung« in einer Spiel- und Problemlöse-situation. Außerdem wurde bei den Kindern, die im Durchschnitt21,5 Monate alt waren, der FST durchgeführt. Die Mütter sichergebundener Kinder hatten signifikant höhere Werte in Akzeptanz,bei den Vätern war der Unterschied dagegen nicht signifikant.Kritisch anzumerken ist zu dieser Untersuchung, daß die Beobach-tung von Spiel- und Problemlösesituation direkt nach der Durch-führung des FST stattfand. Es ist möglich, daß manche Kinder(besonders unsicher gebundene) noch verunsichert waren und vorallem, daß sich einige Bezugspersonen aufgrund von Schuldge-fühlen, wegen der dem Kind zugefügten Belastung, nicht wie sonst

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verhielten und das Verhalten somit nicht repräsentativ war. Auchdie mütterliche, im Rahmen des FST erhobene Sensitivität ist nichtals repräsenativ für das alltägliche Verhalten der Mutter zu betrach-ten (pers. Komm. Fr. Grossmann, 2000).

Ein weiterer Hinweis auf die Relevanz der mütterlichen Emo-tionalität bzw. der emotionalen Expressivität kommt aus der For-schung an psychisch kranken Müttern und ihren Kindern. Nebeneiner möglichen genetisch bedingten Weitergabe des Risikos fürpsychische Störungen wird vermutet, daß sich das gegenübergesunden veränderte Interaktionsverhalten depressiver Mütternegativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Untersuchungenhaben gezeigt, daß Mütter mit schwerwiegenden depressivenErkrankungen eher unsicher gebundene Kinder haben als Müttermit leichten depressiven Störungen (Dysthymia) oder gesunde Müt-ter (vgl. Kapitel 1.3.2.). Da es naheliegt, daß sich die Depressivitätdurch eine gegenüber psychisch gesunden Müttern veränderteEmotionalität ausdrückt, wurde in Studien mit derartigen Stich-proben die Verhaltensskala Emotionalität häufiger berücksichtigt.Neben der verminderten positiven Emotionalität (Campbell Cohn& Meyer, 1995; Lovejoy, Graczyk, O’Hare & Neuman, 2000),Niedergeschlagenheit oder Affektverflachung (de Mulder & Radke-Yarrow, 1991; Teti, Messinger, Gelfand & Isabella, 1995) wurdehäufigere negative Emotionalität von depressiven Frauen berichtet(Frankel & Harmon, 1996; Lovejoy, Graczyk, O’Hare & Neuman,2000; Radke-Yarrow, Nottelmann, Belmont & Welsh, 1993). Aufdiese Gruppe von Müttern soll jedoch an dieser Stelle nicht vertie-fend eingegangen werden (siehe Kap. 1.3.2.).

In der Zeit der frühen Mutter-Kind-Interaktion besteht das in-teraktive Verhalten primär aus affektivem Ausdruck (Gianino &Tronick, 1988). Beispielsweise dient das »attention-getting-face«(hochgezogenen Augenbrauen, weit geöffnete Augen, geöffneterMund) dazu, die Aufmerksamkeit des Säuglings zu erlangen. Posi-tive Interaktionszirkel, wie z. B. Kitzelspiele dienen der gemein-samen Regulation von Erregung. Es ist deswegen nicht verwun-derlich, daß auch der positive Emotionsausdruck von Mutter undSäugling mit der Entstehung von Bindungssicherheit in Verbin-dung gebracht werden konnte (vgl. Sroufe, 1995).

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An einer Stichprobe von 68 Müttern und ihren sechs Monatealten Kindern erhoben Bates und seine Kolleginnen sowohl imHausbesuch als auch im Videolabor die »mütterlichen Qualitäten«der beteiligten Frauen. Eine der Hausbesuchsskalen, »affektiverKontakt«, hing signifikant mit Bindung (B vs. A vs. C) zusammen(r=.24) und korrelierte damit sogar höher als die ebenfalls erhobe-ne Sensitivität (r=.22). Mütter, die häufiger in affektivem Kontaktmit ihren Säuglingen waren, hatten mit 13 Monaten eher sichergebundene Kinder als andere Mütter (Bates et al., 1985).

Völker und ihre Arbeitsgruppe machten bei einem Hausbesuchbei Müttern mit Kindern im Alter von drei Monaten Videoaufnah-men von einer Spielsituation und erhoben die Sensitivität der Mut-ter anhand der Ainsworth-Skala (Globalurteil über 15 Min.). Außer-dem wurde die Kontingenz, die alle Reaktionen, besondersemotionale, auf das Kind beinhaltet (Blickkontakt mit Kind,Lächeln, »attention-getting-face«), sekundengenau am Computererfaßt. Hinsichtlich der Sensitivität ergab sich ein korrelativerZusammenhang nur mit Einzeldimensionen des FST (Nähesuchen,Kontakterhalt, Nähevermeidung), nicht aber mit der Gesamtklassi-fikation. Die Kontingenz dagegen hing signifikant positiv mit derBindungssicherheit zusammen (B vs. A,C) (Völker, Keller,Lohaus, Cappenberg & Chasiotis, 1999).

Bedeutsam scheint die positive Emotionalität der Mutter nichtnur für die Bindungsentwicklung zu sein, sondern auch für späte-re psychopathologische Auffälligkeiten.

Im Rahmen der Mannheimer »Risikokinderstudie« untersuch-ten Laucht und Kollegen die Mutter-Kind-Interaktion im Säug-lingsalter von drei Monaten und ihren Beitrag zur Vorhersage vonAuffälligkeiten, z. B. sozial-emotionalen Störungen mit zwei undviereinhalb Jahren. Bezüglich des Mutterverhaltens erwies sichunter anderem das emotionale Verhalten als bedeutsam. Eine signi-fikant höhere Zahl von Symptomen war bei Kindern beobachtbar,deren Mütter während der Interaktion weniger lächelten als andereMütter und außerdem weniger in Babysprache mit ihren Kindernkommunizierten (Esser, Dinter, Jörg, Rose, Villaba, Laucht &Schmidt, 1993).

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Studien, die anhand von verschiedenen Dimensionen mütter-lichen Verhaltens einen aggregierten Wert extrahieren, tragenweniger zur Erhellung der für die Bindungsentwicklung relevantenElemente des mütterlichen Verhaltens bei.

Mangelsdorf und ihre Mitarbeiter beispielsweise beobachte-ten Mütter mit ihren neun Monate alten Kindern während einerFütterinteraktion im Hausbesuch und während einer Tempera-mentserhebung im Labor, die Trennnungen und eine Wiederver-einigung enthielt. Erhoben wurde unter anderem auch die »Wärmeund Unterstützung« der Mutter, ein Aggregat aus mehren Verhal-tensskalen u.a. Expressivität, die jedoch nicht mit der Bindungs-sicherheit (B vs. A vs. C) in Zusammenhang stand (Mangelsdorf etal., 1990).

Im Rahmen der Forschung zur Entstehung desorganisierten Ver-haltens sind weitere emotionale Qualitäten diskutiert worden, vorallem geängstigtes oder Angst einflößendes Verhalten der Bezugs-person. Ein Forschungsbereich beschäftigt sich mit Kindern, dieMißhandlungen durch ihre Eltern ausgesetzt waren. Mißhandlungkann als Extremform der Zurückweisung gesehen werden, diegepaart ist mit Aggressivität und Impulsivität und vor allem eineInduktion von Angst vor dem mißhandelnden Elternteil im Kindhervorruft. Angsteinflößendes Verhalten wird als ein möglicherBedingungsfaktor für desorganisiertes Verhalten beim Kind ange-sehen, da die potentiell sicherheitsspendende Bezugsperson zurQuelle von Angst wird und somit das Kind in einen unlösbarenKonflikt zwischen Annäherung und Abwendung bringt (Schuengelet al., 1999a; van Ijzendoorn, et al., 1999) (vergleiche auch Kapitel1.2.4.).

Studien mit mißhandelnden Eltern zeigten, daß deren Kindereher unsicher gebunden sind (Crittenden, 1985a, Crittenden,1988; Lyons-Ruth, Conell, Zoll & Stahl, 1987; Schneider-Rosen,Braunwald, Carlson & Ciccetti,1985). In der Zeit vor der Ent-deckung bzw. Beschreibung von desorganisiertem Verhalten ver-glichen Schneider-Rosen et al. (1985) Kinder, die Opfer vonMißhandlungen durch die Eltern gewesen waren mit einer Kon-trollgruppe und erhoben mit der Fremden Situation die Bindungs-qualität im Alter von 12, 18 und 24 Monaten. Sie fanden heraus, daß

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der Anteil unsicher-vermeidend und unsicher-ambivalent gebun-dener unter den mißhandelten Kindern signifikant erhöht wargegenüber der Kontrollgruppe und den ansonsten aus der Literaturbekannten Verteilungen (z. B. Ainsworth et al., 1978, Grossmann etal., 1985). Bei der nicht mißhandelten Gruppe zeigte sich eine sig-nifikante Stabilität der Gruppenzugehörigkeit über die drei Zeit-punkte hinweg, nicht jedoch bei der Gruppe der mißhandeltenKinder. Bei den letztgenannten Kindern war im Alter von zwölfMonaten die Gruppe C die größte Gruppe gewesen, während zu denbeiden anderen Zeitpunkten die meisten Kinder unsicher-vermei-dend gebunden waren (A).

Die Relevanz des emotionalen Ausdrucksverhaltens der Mutterin der Interaktion für die weitere sozialemotionale Entwicklungdes Säuglings wurde, wie dargestellt, wiederholt in Studien gezeigt.Neben der Bedeutung des emotionalen Ausdrucks der Hauptbe-zugsperson deutet sich in manchen Studien eine weitere Dimensionder Qualität des mütterlichen Interaktionsverhaltens an, die nichtallein durch die Emotionalität der Mutter zu erfassen ist und mög-licherweise als Moderator des Zusammenhangs zwischen Emotio-nalität und Bindungssicherheit fungiert.

In einer bereits erwähnten Untersuchung (vgl. Kap. 1.3.1.1.3.)wurde eine Stichprobe mit 71 einkommensschwachen Mutter-Kind-Paaren von LYONS-RUTH und ihren Mitarbeiterinnen im Alter von12 und 18 Monaten im Hausbesuch während der Interaktion beob-achtet. Die Beurteilungen der zwölf verwendeten Mutterskalenwurden faktoranalytisch bearbeitet und ergaben zwei Faktoren:Der Faktor »Involviertheit«, der Sensitivität, Wärme, verbale Kom-munikation u. a. umfaßte und außerdem »feindselige Intrusivität«,womit versteckte Feindseligkeit und beeinträchtigende Manipula-tionen am Kind sowie Ärger gemeint war. Anhand der Ausprägungder beiden Skalenwerte wurden vier Typen von mütterlichem Ver-halten gebildet, ein optimaler Typ (hohe Involviertheit, niedrigeFeindseligkeit) und drei Typen nicht optimalen Verhaltens. DieMehrheit aller Kinder von Müttern mit nicht optimalem Verhaltenwaren als desorganisiert klassifiziert worden, besonders in denGruppen mit viel intrusiver Feindseligkeit, gepaart entweder mitviel oder wenig Involviertheit (Lyons-Ruth et al., 1991).

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Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, daß die zusätzlicheDimension des mütterlichen Interaktionsverhaltens viel mit subti-len Formen der Ablehnung zu tun hat. Die »verdeckte Feindselig-keit« in der oben dargestellten Studie beinhaltet neben der negati-ven Emotionalität/Ablehnung auch den Aspekt des Verdeckten,nicht offen Gezeigten. Auch in anderen Arbeiten gab es Hinweiseauf entsprechende Beobachtungen (z. B. Ainsworth et al., 1978;Aviezer et al., 1999). Die Variable hat Bezug zur sogenannten»Echtheit« von Verhalten, womit z. B. die Übereinstimmung vonInformationen aus verschiedenen Kommunikationskanälen ge-meint ist (vgl. Keller, Gauda & Miranda, 1980; Esser, Scheven,Petrova, Laucht & Schmidt, 1989). Um den Einfluß dieser Variableauf die Entwicklung von Bindungssicherheit und Desorganisationbeim Kind geht es im folgenden Kapitel.

1.3.1.3. Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens

In der Arbeit von Keller und ihren Mitarbeiterinnen wird die»Echtheit« des elterlichen Verhaltens als ein wichtiger Bestandteildes Meßinstruments »Angemessenes Elternverhalten« angesehen,das aus insgesamt zehn Skalen besteht (Keller et al., 1980).Zurückgehend auf die Grundlagen der Gesprächspsychotherapieund damit auf Tausch (1979 zit. nach Keller et al., 1980) wirdEchtheit verstanden als Übereinstimmung von Äußerungen, Ver-halten, Gestik und Mimik einer Person mit ihrem inneren Erleben,ihrem Fühlen und Denken. In bezug zur Interaktion von Mutter undSäugling bedeutet Echtheit, daß eine klare Beziehung zum Kindbesteht, welche frei ist von schwerwiegenden Ambivalenzen, diesich in widersprüchlichen Botschaften ausdrücken könnten (Kelleret al., 1980). Nach Tausch (1978, zit. nach Keller et al., 1980) för-dert die Echtheit beim Kind Selbstachtung und günstiges Selbst-konzept, Offensein und Auseinandersetzen mit dem eigenen Er-leben sowie günstiges Wahrnehmungslernen.

Auch die Mannheimer Forschergruppe um Laucht und Esser,die sich hauptsächlich mit der Prognostizität von psychopatholo-gischen Auffälligkeiten im Kindesalter befaßt, hat die Skala »Kon-gruenz/Echtheit« in ihre »Mannheimer Beurteilungsskalen zur

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Erfassung der Mutter-Kind-Interaktion im Säuglingsalter (MBS-MK-S)« aufgenommen (Esser et al., 1989). »Inkongruenz«, d. h.mangelnde Übereinstimmung der Botschaften auf verschiedenenKommunikationskanälen und fehlendes »affective sharing«, alsomangelndes Teilen von Gefühlszuständen sind für sie Anzeichenvon unechtem Verhalten. Dazu zählt auch der abrupte Wechsel voneinem offenen, strahlenden Gesicht zu einem ernsten, angewider-ten Gesichtsausdruck oder auch die Äußerung eines abwertenden,aggressiven Inhaltes mit einer sanften, zärtlichen Stimme (z. B. »dufette Qualle«). Bei der Vorhersage von sozial-emotionalen Störun-gen (erfaßt im »Mannheimer Eltern-Interview«) im Alter von zweiJahren erwies sich unter anderem die Kongruenz der Mutter in derInteraktion mit dem Säugling im Alter von drei Monaten als rele-vanter Prädiktor (Esser et a., 1993).

Wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, wurden in der Stu-die von Ainsworth und Kollegen neben der Sensitivität weitereSkalen erhoben, die das Verhalten der Mutter in der häuslichenInteraktion mit dem Kind beschreiben sollten. Die Skala »Fehlenvon emotionalem Ausdruck« wurde von Main entwickelt und in derAinsworth-Studie als Globalurteil für jede Mutter eingeschätzt. Diestärkste Ausprägung der Skala – eine extreme Ausdruckslosigkeit –wurde mit dem Zurückhalten von starken negativen Gefühlen,besonders von Ärger in Verbindung gebracht.

In diesem Sinne weist die Skala Zusammenhänge mit dem Kon-zept der Echtheit auf, denn ein Impuls der Mutter wird überspielt,nicht offen gezeigt, hat aber möglicherweise dennoch Auswirkungenauf den Säugling. Es ergab sich ein signifikanter Unterschied hinsicht-lich der Ausprägung auf dieser Skala zwischen Müttern von sicherund unsicher gebundenen (A, C) Kindern (Ainsworth et al., 1978).

Auch in neueren Studien finden sich Konzepte, die mit der Echt-heit verwandt zu sein scheinen. Lyons-Ruth und ihre Mitarbeite-rinnen (1991) erhoben eine mit dem Konzept der Echtheit ver-wandte Skala, die zunächst »diskrepante Kommunikation« genanntwerden sollte und dann als »Feindseligkeit« betitelt wurde. DieAutorinnen fanden heraus, daß die Mütter von desorganisiertenKindern ein nicht optimales Interaktionsverhalten zeigten. Außer-dem unterschieden sich Mütter von desorganisierten Kindern mit

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einer sicheren Bindung als zweiter Klassifikation von solchen mitunsicherer Zweitklassifikation. Erstere verhielten sich wenig invol-viert im Kontakt mit dem Kind, während die zweite Gruppe einMuster von hoher Involviertheit und hoher feindseliger Intrusivitätzeigte. Die Feindseligkeit korrelierte mit der Höhe der psycho-sozialen Belastung. In der Interaktion mit dem Kind wurde dieFeindseligkeit meist nicht offen gezeigt, sondern unter einer ober-flächlich freundlichen Fassade verborgen, weshalb die Skalazunächst »diskrepante Kommunikation« genannt werden sollte. DieAutoren stellten eine inhaltliche Verbindung her zu dem von Mainund Hesse (1990) postulierten Angst erzeugenden Verhalten, dasbei der Entstehung von Desorganisation eine Rolle spielen soll.Auch das werde häufig nur indirekt gezeigt und von anderenGefühlsäußerungen überlagert. Möglicherweise, so die Autoren,sei dieses Angst evozierendes Verhalten eingebettet in einen größe-ren Verhaltenskomplex, der gleichzeitige aber widersprüchlicheemotionale Signale beinhalte (Lyons-Ruth, Repacholi, McLeod &Silva, 1991).

In einer weiteren Untersuchung dieser Autorin (Lyons-Ruth,Bronfman & Parsons; in Druck, zit. nach Lyons-Ruth, Bronfman &Atwood, 1999) wurde mit 65 sozial schwachen Mutter-Kind-Paarender FST durchgeführt. Zusätzlich zu ängstigendem oder Angst ein-flößendem Verhalten erhoben die Autorinnen auch Anzeichen vonsogenannter »disrupted affectice communication«, die aus wider-sprüchlichen Botschaften (z. B. verbal zur Annäherung auffordernund sich dann distanzieren) oder unpassenden Reaktionen besteht.Man nahm an, daß Mütter, die andauernde Angst in bezug auf Bin-dungsthemen empfinden, dem Kind gegenüber wahrscheinlichwidersprüchliche Impulse hegen. Dazu gehört beispielsweise aufdas Kind zu reagieren und dann den Kontakt zu vermeiden, wenndas Kind Bindungsverhalten zeigt.

Die Arbeitsgruppe um Radke-Yarrow erfaßte bei depressivenund nicht depressiven Müttern unter anderem Häufigkeit und Aus-maß des »downcast affect«. Damit ist ein negativer Affekt gemeint,der subtiler ist als richtiger Ärger, Traurigkeit oder Angst und des-sen Ausdruck gemischte oder maskierte Gefühle von Ärger oderAngst reflektiert. Niedergeschlagenheit, düstere Stimmung und ein

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unfreundlicher Ton und Gesichtsausdruck sind damit verbunden.Aufgrund der Beinhaltung von »maskierten Gefühlen« wie Ärgeroder Angst scheint das Konzept mit dem der Echtheit verwandt zusein. In der beschriebenen Studie zeigten Mütter von desorgani-sierten Kindern während einer zwei Tage andauernden Beobach-tung häufiger den »downcast affect« als Mütter von sicher oder am-bivalent gebundenen Kindern (de Mulder & Radke-Yarrow, 1991;Radke-Yarrow, Nottelmann, Belmont & Welsh, 1993).

Die unter dem Begriff Echtheit bzw. mangelnde Echtheit sub-summierten Verhaltensweisen, wie z. B. die fehlende Übereinstim-mung von Informationen aus verschiedenen Kommunikations-kanälen (z. B. verbal und mimisch), aber auch das Ungeschehen-machen eines aggressiven Impulses durch eine nachfolgende vor-dergründig liebevolle oder zärtliche Botschaft erinnern an das Phä-nomen des »double-bind», mit dem die Arbeitsgruppe um Bateson(1984) Kommunikationsmuster von Familien schizophrener Pati-enten beschrieb. Auch wenn das Konzept im Hinblick auf die Erhel-lung der Genese schizophrener Erkrankungen inzwischen über-holt und von multifaktoriellen Ansätzen abgelöst wurde, könnte esfür Prozesse in der frühen Mutter-Kind-Beziehung trotzdem vonBedeutung sein.

Die Merkmale einer »double-bind«-Situation sind folgende:1) Die Person ist in eine intensive Beziehung verstrickt und vomPartner abhängig, 2) Das Gegenüber drückt zwei Botschaften aus,von denen die eine die andere aufhebt, 3) Die Person ist nicht in derLage, sich mit den Botschaften kritisch auseinander zu setzen, umseine Entscheidung, auf welche es reagieren soll zu korrigieren(Bateson et al., 1984). Die Bedingungen der Abhängigkeit und dermangelnden Möglichkeiten zur kritischen Reflektion treffen aufeinen Säugling in der Mutter-Kind-Beziehung zu.

Aufschlußreich sind auch Batesons weitere Ausführungen übermütterliches Verhalten in der Interaktion mit dem Kind: Einerseitszeige sie feindseliges Verhalten, wann immer das Kind sich ihrnähere, andererseits simulierte Liebe und Annäherung, wenn dasKind auf ihr feindseliges Verhalten mit Rückzug reagiert, womitsie ihren Rückzug verleugne (Bateson et al.; 1984). Die Auswir-kungen von »double-bind«-Kommunikation für das Kind beschreibt

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Bateson anhand eines Beispiels: »Eine Mutter, die dem Kindgegenüber feindselige (oder zärtliche) Gefühle hegt und gleich-zeitig den Drang verspürt, sich vom Kind zurückzuziehen, sagt zumKind: ›Geh zu Bett, Du bist ganz müde, ich will, daß Du DeinenSchlaf kriegst.‹« Mit dieser offenbar liebevollen Äußerung will sieein Gefühl überspielen, das lauten würde: »Geh mir aus den Augen,ich hab Dich satt.« Würde das Kind ihre metakommunikativenSignale richtig unterscheiden, so stünde es vor der Tatsache, daßsie es erstens nicht will und es zweitens mit ihrem scheinbarliebevollen Verhalten täuscht. Das Kind wird daher dazu neigen,eher die Vorstellung zu übernehmen, daß es müde ist, als das Täu-schungsmanöver seiner Mutter zu erkennen. Das heißt, »daß essich über seine eigene innere Verfassung hinweg täuschen muß, sowie über die Täuschungsmanöver der Mutter« (Bateson et al., 1984,S.26). Es ist anzunehmen, daß der Mutter ihre aversiven Gefühleund ihre »Täuschung« nicht bewußt sind, sondern daß sie nicht inder Lage ist, sie sich einzugestehen und sie so verleugnen muß.

Der Effekt dieser »double-bind«-Botschaften ist sicher auch ineiner Irritation oder gar Ängstigung des Kindes zu sehen und könntesomit zu den formulierten Theorien zur Entstehung desorganisier-ten Verhaltens passen.

Für die Entstehung von Desorganisation beim Kind wird näm-lich ein nicht verarbeiteter Verlust einer Bindungsperson disku-tiert (Ainsworth & Eichberg, 1991; Main & Hesse, 1990), der sichüber ängstliches oder angsteinflößendes Verhalten der Mutter aufdas Kind auswirken soll (Schuengel et al., 1999; vgl. Kapitel 1.2.4.).Der unverarbeitete Verlust der Mutter könnte sich aber auch überdie Echtheit der Mutter während der Interaktion auf das Kind aus-wirken.

Köhler (1998) beschreibt in ihrem Beitrag die Transmissionunverarbeiteter Traumafolgen von einer Generation zur nächstenam Beispiel einer Holocaustüberlebenden. Mitten in einer freund-lichen Interaktion dieser Mutter mit ihrem Kind läßt plötzlichirgendeine Assoziation eine Erinnerung aus dem KZ auftauchen.Auf dem Gesicht der Mutter erscheint ein Schrecken, der für dasKind ein Gefahrensignal darstellt und sein Bindungsverhalten akti-viert. Die Mutter ist in dem Moment jedoch kein Hort der Sicher-

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heit, sondern möglicherweise abwesend oder feindselig-ablehnendgegenüber dem Kind, weil es für sie das Gesicht eines ehemaligenPeinigers angenommen hat. Die Bindungsperson, die beschützensoll, ist ihrerseits von Angst erfüllt, für die es außerdem keinenAuslöser in der aktuellen Interaktion gibt (Köhler, 1998).

Wird sich die Mutter nun ihrer Abwesenheit bewußt und findetzurück in den Kontakt zum Kind, wird sie sich, möglicherweisemotiviert von Schuldgefühlen, dem Kind liebevoll zuwenden undversuchen, das eben Erlebte ungeschehen zu machen. Durch dieaufeinanderfolgenden widersprüchlichen Signale und den Versuch,einen feindseligen Impuls durch einen schnell folgenden liebevol-len ungeschehen zu machen, ist die Mutter in ihrem Verhaltennicht echt.

Hinweise auf die Bedeutsamkeit des Echtheitskonzeptes kamenauch aus einer Forschungsrichtung, die Instrumente zur Erhebungvon Bindungsrepräsentanzen bei Erwachsenen entwickelte (George,Kaplan & Main, 1985, zit. nach Steele, Steele & Fonagy, 1996) unddie Stärke des Zusammenhangs der Bindungsstile von Erwachse-nen und ihren Kindern untersuchte. Obwohl eine hohe Prozentzahlkorrekter Zuordnungen erreicht werden konnte und die mütter-liche Sensitivität als vermittelnder Faktor bestätigt werden konnte,blieb eine sogenannte »Transmission gap« (van Ijzendoorn, 1995).

Fonagy und seine Mitarbeiter trugen dazu bei, diese Lücke zuschließen. Sie entwickelten eine Skala, die »reflective self- scale«genannt wurde und hinsichtlich derer die AAI Interviews der Pro-banden eingeschätzt wurden. Gemeint ist damit, die Fähigkeit,mentale Zustände von einem selbst und anderen zu berücksichti-gen, um zu verstehen, warum man sich in dieser Weise verhält.Eine hohe Ausprägung in »reflective self« zeichnet sich durch eineReflektion der eigenen Gefühle und Motive sowie die der Anderenaus. Unterteilt in eine Gruppe mit niedrigen und hohen »reflectiveself«-Werten ergab sich eine gute Vorhersage des Verhaltens derKinder im FST. Bei Müttern und auch Vätern, die hohe Werte in derSkala hatten, war die Wahrscheinlichkeit, ein sicher gebundenesKind zu haben, drei bis vier Mal höher als bei Eltern mit niedrigen»reflective self«-Werten (Fonagy et al., 1995; Fonagy, Steele; Steele,Moran & Higgitt, 1991).

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Eine hohe Ausprägung in »relective self« zeichnet sich durcheine Reflektion der eigenen Gefühle und Motive sowie die derAnderen aus. Diese Reflektiertheit steht in Beziehung dazu, sichseiner eigenen inneren Regungen bewußt zu sein. Wie weiter obenausgeführt wurde, kann angenommen werden, daß unechtes Ver-halten seine Ursache in unbewußten ambivalenten Impulsen oderKonflikten haben kann, die sich in widersprüchlichen Botschaftenäußern. Insofern passen die verschiedenen Konzepte gut zusam-men und scheinen im Hinblick auf die Entstehung von Bindungs-sicherheit, besonders aber der Desorganisation von großer Be-deutung zu sein.

Für den Säugling, bei dem gerade im vorsprachlichen Bereichder affektive Austausch das Mittel der Kommunikation mit der Mut-ter ist (Gianino & Tronick, 1988), bedeutet eine doppelbödige Bot-schaft eine Überforderung. Die Übermittlung von gleichzeitigenoder aufeinanderfolgenden widersprüchlichen Botschaften unter-läuft sozusagen die Mittel der Selbstregulation des Kindes, das sichweder ab- noch zuwenden kann, weil es keine eindeutigen Signa-le zum Handeln bekommt und schließlich in einer Art Handlungs-unfähigkeit verharrt, die wir z. B. als desorganisiertes Verhalten inder fremden Situation beobachten können.

1.3.2. Mütterliches Persönlichkeitsmerkmal:Depressivität/Ängstlichkeit

1.3.2.1. Empirische Studien zum Zusammenhang vonmütterlicher Depressivität/Ängstlichkeit undBindungssicherheit bzw. Desorganisation

Persönlichkeitsmerkmale der Mutter bzw. der Eltern sind wie-derholt als mögliche Einflußfaktoren auf die Entwicklung von Kin-dern diskutiert worden (z. B. Belsky, 1984, Belsky, Rosenberger &Crnic, 1995). An normalen Stichproben häufig untersuchte Merk-male sind Extraversion/Introversion und besonders Neurotizismusbzw. emotionale Labilität. Weit mehr Untersuchungen gibt esjedoch zur Psychopathologie der Bezugsperson, die als Risikofaktor

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in bezug auf die kindliche Entwicklung angesehen wird (vgl.Rutter, 1997). Insbesondere die sozialemotionale Entwicklung, fürwelche die Bindungssicherheit ein valider Indikator ist, scheinthäufig durch eine psychische Erkrankung der Bezugsperson beein-trächtigt zu sein. Im folgenden wird zunächst die Frage behandelt,ob sich eine der häufigsten psychischen Krankheiten (vgl. Hoff-mann & Hochapfel, 1995), die Depression auf die Entwicklung derBindungssicherheit auswirkt. Im nächsten Schritt soll ermittelt wer-den, wie, d. h. über welche Mechanismen sich die Depressivität derMutter auf das Kind auswirkt.

Bei Studien an klinischen Stichproben ist zu beachten, daß zumeinen die Depressivität unterschiedlich operationalisiert wurde undzum anderen verschiedene Formen der Depression (z. B. uni- undbipolar) Inhalt von Untersuchungen waren.

Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Tatsache, daß vor allembei älteren Studien Desorganisation nicht in die Auswertung auf-genommen wurde und somit nicht kontrollierbar ist. Man mußdavon ausgehen, daß in solchen Studien Bindungssicherheit nachdem traditionellen System und Desorganisation konfundiert sindund manche Zusammenhänge eventuell durch die desorganisiertenKinder zustande kommen. Dieses Problem betrifft jedoch nicht nurdie Depressivität sondern alle Variablen, die im Kontext von Bin-dungssicherheit und Desorganisation diskutiert werden.

Gegenstand von Untersuchungen an jungen Müttern ist auchdie sogenannte postpartale Depression. Definitorisch unterscheidetsie sich nicht von anderen depressiven Störungen. In den beidenKlassifikationssystemen für psychische Erkrankungen, »Internatio-nale Klassifikation psychischer Störungen« (ICD-10; Dilling, Mom-bou & Schmidt, 1993) und dem »Diagnostic and Statistical Manualof Mental Disorders« (DSM-IV; deutsch von Sass, Wittchen & Zau-dig, 1996), gibt es keine eigenständige Diagnose der postpartalenDepression. Verwendet wird der Begriff »postpartale Depression«für depressive Episoden, die in zeitlichem Zusammenhang mit derGeburt eines Kindes auftreten.

Studien, die Probandinnen mit verschiedenen Formen depressi-ver Erkrankungen mit Gesunden verglichen, fanden meist einenZusammenhang zwischen dem Vorhandensein der Erkrankung und

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einer unsicheren Bindung bzw. desorganisiertem Verhalten beimKind (vgl. de Mulder & Radke-Yarrow, 1991; Murray, 1992). DieStudien, die zunächst beschrieben werden sollen, sind neuerenDatums und haben somit die Desorganisation in ihre Auswertungeneinbezogen.

De Mulder und Radke-Yarrow (1991) verglichen in ihrer Mittel-klassestichprobe von 112 Müttern gesunde Mütter und deren Kin-der mit unipolar bzw. bipolar depressiv erkrankten Müttern, dieper psychiatrischem Interview diagnostiziert worden waren. Bei denzwischen 15 und 52 Monaten alten Kindern wurde je nach Alter ent-weder mit dem FST oder nach einem modifizierten System nachCassidy et al. (1987/89; zit. nach de Mulder & Radke-Yarrow, 1991)die Bindungssicherheit und die Desorganisation erhoben. 76% derKinder von bipolar depressiven Müttern und 42% der Kinder uni-polar erkrankter Mütter waren unsicher gebunden, wobei in derbipolaren Gruppe die häufigste Kategorie die Desorganisation war.

Teti und Kollegen untersuchten Mutter-Kind-Paare, bei denendie Mütter an unipolar depressiven Erkrankungen (major depres-sion, Dysthymia, Anpassungsstörungen nach DSM-III-R) litten undsich in Psychotherapie befanden mit gesunden Müttern mit Kindernverschiedener Altersstufen. Die Mehrzahl der Kinder depressiverMütter war als desorganisiert eingestuft worden. Während 10% derKinder gesunder Mütter desorganisiertes Verhalten zeigten, warenes 40% der Kinder depressiver Mütter. Desorganisierte Kinderhatten eher Mütter, die chronische depressive Erkrankungen auf-wiesen (Teti, Messinger, Gelfand & Isabella, 1995).

Dawson und ihre Mitarbeiter fanden eine Korrelation zwischenmütterlicher Depression (Einteilung in klinisch vs. nicht klinischrelevante Form erfolgte per Interview) und dem Grad der Des-organisation des Kindes. Mit der Bindungssicherheit (B vs. A, C)war die Depressivität der Mutter hingegen nur tendenziell assozi-iert (Dawson, Grofer, Klinger, Panagiotides, Spieker & Frey,1992).

Wie die folgende Studie zeigen wird, scheinen lediglich depres-sive Episoden zu Lebzeiten des Kindes von Bedeutung für dessenEntwicklung zu sein, nicht Krankheitsphasen aus der Vergangen-heit der Mutter.

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Murray (1992) verglich in ihrer Studie vier Gruppen von Müt-tern: solche mit postpartaler Depression mit und ohne früheredepressive Episoden, solche, die nur frühere Episoden hatten, abernicht postpartal depressiv waren und eine gesunde Kontrollgruppe.Im Kindesalter von sechs Wochen war per Fragebogen eine Vor-auswahl getroffen worden und alle Mütter mit erhöhten Depres-sionswerten wurden dann im Alter des Kindes von zwei bis dreiMonaten einem psychiatrischen Interview unterzogen.

Bezogen auf den, bei den Kindern im Alter von 18 Monaten perFST erhobenen Bindungsstatus ergab sich ein signifikanter Haup-teffekt. Kinder von Müttern mit postpartaler Depression (mit oderohne frühere depressive Episoden) waren eher unsicher gebun-den als Kinder von gesunden oder ehemals depressiven Müttern(vor der Geburt des Kindes). Bei der letzten Gruppe der Mütter, dievor der Geburt des Kindes eine depressive Episode gehabt hattenaber nicht postpartal erkrankten, war die Wahrscheinlichkeit einerunsicheren Bindung für die Kinder gegenüber Kindern von gesun-den Müttern nicht erhöht. Bei dieser Untersuchung gab es nur vierals desorganisiert eingestufte Kinder, die aufgrund der geringenAnzahl nicht weiter untersucht wurden.

Die oben erwähnten Untersuchungen zeigen übereinstimmenddas erhöhte Risiko sowohl für desorganisiertes Verhalten als auchfür eine unsichere Bindung von Kindern depressiv erkranktergegenüber Kindern gesunder Mütter. Andere Studien fandenZusammenhänge zwischen der Depressivität der Bezugsperson undeiner unsicheren Bindung beim Kind nur bei besonders schwer,beziehungsweise länger erkrankten Müttern.

Frankel und Harmon (1996) erhoben die Depressivität der Mut-ter ihrer Stichprobe durch ein psychiatrisches Interview und dasBeck Depression Inventory (BDI; Beck et al., 1979). Neben derErhebung des Bindungsstatus der dreijährigen Kinder mit demCodierungssystem für Vorschulkinder von Cassidy und Marvin(1992; zit. nach Frankel & Harmon, 1996) führten sie noch Inter-aktionsbeobachtungen im Videolabor durch. Beim Vergleich gesun-der und depressiver Mütter zeigte sich zunächst kein Unterschiedhinsichtlich der Bindungsklassifikation der Kinder. Erst als manMüttern hinsichtlich ihrer depressiven Erkrankung in Untergrup-

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pen unterteilte (depressive Episode, anhaltende Dysthymia oderbeides), zeigten sich signifikante Differenzen. Die Mütter der letz-ten Gruppe hatten signifikant häufiger unsicher gebundene Kinder.

Die Arbeitsgruppe von Radke-Yarrow verglich Mütter mit uni-und bipolarer schwerer Depression, solche mit leichter Depressi-on/Dysthymia (psychiatrisches Interview) und psychisch gesundeMütter. Während der Anteil der unsicher gebundenen Kinder dergesunden und dysthymen Mütter dem von normalen Stichprobenentsprach (25-30%), fand sich bei beiden Formen der schwerenDepression ein erhöhter Anteil unsicher gebundener Kinder (55%),wobei der größte Anteil bei den Kindern von bipolar depressivenMüttern lag (79%). Eine Subgruppe von nicht klassifizierbaren»A/C-Kindern« kam nur in der Gruppe der Mütter mit schwererDepression (uni- und bipolar) vor und war signifikant häufiger alsin den anderen Gruppen. Mütter von A/C-Kindern hatten im Ver-gleich zu den anderen Müttern, für die Zeit seit der Geburt desKindes längere und schwerere Depressionen berichtet. In derRegressionsanalyse erwies sich die depressive Erkrankung alsbester Prädiktor zur Vorhersage des Bindungsstatus, gefolgt vonder Schwere der depressiven Episode (Radke-Yarrow, Cummings,KuczynskiI & Chapman,1985).

Bei den A/C-Kindern handelt es sich um Kinder, die nicht übereine organisierte Verhaltensstrategie für den Umgang mit Stressverfügen. Da die Desorganisation zum damaligen Zeitpunkt nochnicht beschrieben war, kann man nur davon ausgehen, daß es sichbei den A/C-Kindern größtenteils um desorganisierte Kinder han-delt. Insofern sind die Ergebnisse kompatibel mit den anderen obenbeschriebenen, die bei chronischer, schwerer Krankheit der Mutterein erhöhtes Risiko für desorganisiertes Verhalten beim Kind auf-zeigen.

In einer Studie mit Müttern, die an einer Angsterkrankung litten,wurde bei deren Kindern im Alter zwischen 18 und 59 Monaten derBindungstyp in der FST und die Verhaltenshemmung nach Kaganerfaßt. 85% der Kinder waren unsicher gebunden und 65% zeigteneine Verhaltenshemmung. Die Verhaltenshemmung (social with-drawal) stand in signifikantem Zusammenhang mit unsicherer Bin-dung. Obwohl es als Verdienst der Untersuchung anzusehen ist,

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daß sie auf die Gefährdung von Kindern mit angstgestörten Mütternaufmerksam macht, ist die Stichprobe für eine repräsentativeAussage zu klein (N = 18) (Manasis, Bradley, Goldberg, Hood &Swinson, 1995).

Weniger eindeutig werden die Ergebnisse, wenn die Depressi-vität nicht als klinisch relevante Diagnose, sondern als Persönlich-keitsmerkmal im Sinne einer emotionalen Labilität erhoben und zuBindungssicherheit und Desorganisation in Beziehung gesetzt wird.Untersucht werden dann normale, unausgelesene Stichproben, beidenen meist per Fragebogen die Depressionsneigung und/oderÄngstlichkeit während der Schwangerschaft oder im ersten Lebens-jahr erfaßt wird.

Beispielsweise gaben Belsky und Isabella (1988) den Teilneh-merinnen ihrer Studie verschiedene Fragebogenskalen vor als ihreKinder drei und neun Monate alt waren und führten dann mit zwölfMonaten den FST durch. Mütter der unsicher-vermeidend gebun-denen Kinder wiesen im Vergleich zu Müttern von unsicher-ambi-valent gebundenen in der Skala »ego strength« höhere Werte auf.Diese Skala erfaßt emotionale Stabilität/Labilität, wie z. B. leichtesVerletztsein durch andere, was mit einer Depressionsneigung inBeziehung steht.

Die Persönlichkeitsmerkmale »positive affectivity« (Introver-sion/Extraversion) und »negative affectivity« (Angst bzw. Neuroti-zismus) ermittelten Mangelsdorf et al. (1990) bei ihren Versuchs-personen per Fragebogen. Es ergab sich jedoch kein Unterschiedbeim Vergleich von Müttern sicher und unsicher gebundener Kin-der (B vs. A vs. C). Die positive Affektivität als Persönlichkeits-merkmal trug allerdings zur Vorhersage mütterlicher Wärme undUnterstützung in der Interaktion mit dem Kind bei (Mangelsdorf,Gunnar, Kestenbaum, Lang & Andreas; 1990).

Warren et al. (1997) zeigten in ihrer Längsschnittstudie von derSchwangerschaft der Mutter bis zum Alter von 17,5 Jahren dielineare Prognostizität von Angsterkrankungen aus der Bindungs-klassifikation von Kindern. Sie erhoben außerdem die Ängstlichkeitder Mutter per Fragebogen (von Cattell, zit. nach Warren et al.,1997), einmal im achten Schwangerschaftsmonat und dann als dasKind drei Monate alt war. Die mütterliche Ängstlichkeit war jedoch

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weder mit der Bindungssicherheit korreliert noch mit den anderenDaten, wie z. B. einer Angsterkrankung des Kindes in der Adoles-zenz.

Wie beschrieben, konnten verschiedene Studien zeigen, daß einepsychische Krankheit der Mutter, besonders bei schweren Erkran-kungsformen mit einer unsicheren Bindung des Kindes assoziiertist. Desorganisiertes Verhalten bei Kindern scheint bei schwererchronischer Krankheit, Depression oder Angststörungen undzusätzlichen psychosozialen Belastungsfaktoren aufzutreten. DieMöglichkeit der Konfundierung der Bedingungsfaktoren von Bin-dungssicherheit und Desorganisation in älteren Studien erschwertjedoch die Interpretation der Befunde.

Wie aber die Depressivität bzw. Angsterkrankung sich genauauf den Säugling auswirkt, ist eine eher noch ungeklärte Frage.Ein Teil des erhöhten Risikos für die Entwicklung von Psycho-pathologie bei Kindern depressiver Mütter scheint genetisch be-dingt zu sein, ein wichtiger anderer Teil wird jedoch durch Umwelt-einflüsse mediiert (Cummings & Davies, 1994; Rutter, 1997). Nebeneiner Zunahme von Partnerschaftsproblemen fand man Hinweiseauf ein eingeschränktes elterliches Pflegeverhalten depressiverEltern (Rutter, 1997).

1.3.2.2. Das Interaktionsverhalten depressiver Mütter

Im folgenden sollen Beiträge zum Interaktionsverhalten vondepressiven Müttern und ihren Kinder dargestellt werden. Behan-delt werden soll die Frage, über welche Verhaltensmuster bzw. Sig-nale sich die psychische Beeinträchtigung der Mutter so ausdrückt,daß es einen Einfluß auf den Säugling hat.

Wie in der folgenden Studie wurde gelegentlich die globale»elterliche Kompetenz« von depressiven Eltern als Konglomeratvon verschiedenen Verhaltensweisen eingeschätzt und als unter-schiedlich im Vergleich zu gesunden Eltern beschrieben.

Teti und Kollegen beispielsweise beobachteten die Interaktionvon depressiven und nicht depressiven Müttern mit ihren Kindernverschiedener Altersstufen während eines Hausbesuches. Erhobenwurde die Depressivität, indem die Symptome per Interviewrating

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auf einer Depressionsskala (Beck Depression Inventory [BDI] vonBeck, Ward, Mendelson, Mock & Erbaugh, 1961, zit. nach Tetiet al., 1995) eingeschätzt wurden. Die Analyse ergab, daß depressi-ve Mütter weniger Kompetenz im Umgang mit den Kindern zeig-ten und daß ihre Kinder eher unsicher gebunden waren (Teti,Messinger, Gelfand & Isabella, 1995). Da als Maß für die mütter-liche Verhaltenskompetenz lediglich ein aggregierter Wert aus denSkalen Sensitivität, Wärme, mangelndes Engagement und Flachheitdes Affektes verwendet wurde, läßt sich keine differenziertere Aus-sage über relevante einzelne Skalen machen.

Fragt man sich dezidierter, welche Elemente des mütterlichenInteraktionsverhaltens sich von denen gesunder Mütter unter-scheiden, liegt es auf der Hand, aufgrund der Symptomatik depres-siver Erkrankungen zunächst eine Einschränkung im Bereich desAffektausdrucks anzunehmen. Zu erwarten wäre eine verminder-te positive Emotionalität oder eine Verflachung des affektiven Aus-drucks, die sich sowohl auf positive wie negative Emotionenbezieht. Die Befunde sind diesbezüglich jedoch nicht eindeutig.

In der bereits erwähnten Studie von de Mulder und Radke-Yarrow (1991) waren 76% der Kinder von bipolar depressiven Müt-tern und je 42% der Kinder unipolar erkrankter und gesunder Müt-ter unsicher gebunden, wobei in der bipolaren Gruppe die häufigsteKategorie die Desorganisation war. Bezüglich des Interaktionsver-haltens der Mütter, das während einer Zwei-Tages-Beobachtungerhoben wurde, zeigte sich ein Interaktionseffekt. Depressive Müt-ter unsicher gebundener Kinder zeigten signifikant mehr Nieder-geschlagenheit (»downcast affect«) als depressive Mütter sichergebundener Kinder. Damit ist ein negativer Affekt gemeint, dersubtiler ist als richtiger Ärger, Traurigkeit, Angst, Niedergeschla-genheit, Schwermut oder unfreundlicher Tonfall bzw. Gesichtsaus-druck. Mütter von desorganisierten Kindern zeigten häufigerNiedergeschlagenheit als Mütter von sicher oder ambivalent ge-bundenen Kindern. Bei unipolar depressiven Müttern unsichergebundener Kinder schlug außerdem der Versuch, das Verhaltendes Kindes zu steuern, am häufigsten fehl. Am seltensten war diesbei gesunden Müttern sicher gebundener Kinder der Fall, die stattdessen am häufigsten mit ihren Kindern Kompromisse schlossen.

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Auch das affektive Verhalten der Kinder unterschied sich je nachBindungstyp und Erkrankung der Mutter, wobei wiederum einInteraktionseffekt wirksam war: Unsicher gebundene Kinder vonbipolar depressiven Müttern zeigten während der Beobachtungmehr Angst als sicher gebundene Kinder von bipolar Erkrankten. Inder Gruppe der unipolar Depressiven fand man, daß unsichergebundene signifikant weniger Zärtlichkeit und Zuneigung aus-drückten als sicher gebundene Kinder. Desorganisierte Kinderwaren der negativsten affektiven Umgebung ausgesetzt: Die Mütterzeigten die meiste Niedergeschlagenheit und auch mehr als einenanderen negativen Affekt (Ärger, Traurigkeit, Angst) in hohemMaße, außerdem das niedrigste Niveau von Zärtlichkeit/Zunei-gung. Auch die desorganisierten Kinder selber zeigten mehr Nie-dergeschlagenheit als sichere oder vermeidende Kinder und warenweniger compliant als andere, unsicher ambivalente waren häufi-ger traurig (de Mulder & Radke-Yarrow, 1991).

An einer Teilstichprobe wurde eingehender die affektive Inter-aktion von depressiven (uni- und bipolar nach psychiatrischemInterview) und psychisch gesunden Müttern und ihren Kindern vonRadke-Yarrow und Mitarbeitern untersucht. In insgesamt fünf-stündigen Beobachtungen in einem »Beobachtungsapartment« imAlter der Kinder von eineinhalb und dreieinhalb Jahren wurden dieEmotionen Traurigkeit, Furcht/Angst, Irritation/Ärger, Niederge-schlagenheit, Freude, Zuneigung und Neutralität minutenweiseerfaßt. Uni- und bipolare Mütter zeigten signifikant häufiger nega-tiven Affekt (Traurigkeit, Ängstlichkeit, Niedergeschlagenheit) alsandere Mütter. Das Ausmaß des negativen Affektes hing mit derSchwere der Erkrankung zusammen, während die Häufigkeit derdepressiven Episoden seit der Geburt des Kindes keinen Einflußhatte (Radke-Yarrow, Nottelmann, Belmont & Welsh, 1993).

In anderen Untersuchungen fanden sich nur bei Berücksichti-gung der Schwere und Chronizität der depressiven Erkrankungensignifikante Unterschiede zu gesunden oder »leichter« depressivenMüttern.

Frankel und Harmon (1996) unterschieden Untergruppen vongesunden Müttern, solchen, mit depressiven Episoden, anhaltenderDysthymia oder beidem. Nur die Mütter der letzten Gruppe, also

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solche mit einer schweren, chronischen Erkrankung wiesen signi-fikante Differenzen zu den anderen Gruppen auf. Sie hatten signi-fikant mehr unsicher gebundene Kinder und zeigten außerdemwährend einer Fütterinteraktion mit ihrem Säugling weniger emo-tionale Verfügbarkeit und mehr negativen Affekt als die Mütter derbeiden anderen Gruppen. Die Gesamtgruppe der depressiven Müt-ter (alle drei Subgruppen) beschrieb zwar übereinstimmend weni-ger Zufriedenheit mit der Partnerschaft und ein schlechteresSelbstwertgefühl als die gesunden Mütter, im Verhalten währendder Interaktion mit dem Kind unterschieden sie sich jedoch insge-samt nicht von den gesunden.

Auch Campbell und ihre Mitarbeiter kamen zu dem Schluß, daßeine differenzierte Betrachtung der depressiven Erkankungen vonNöten ist, um deren Effekt auf das Verhalten der Mutter zu beur-teilen. Sie beobachteten die Interaktion von nach dem DSM-III-Kri-terien klassifizierten depressiven und nicht depressiven Mütternund ihren zwei, vier und sechs Monate alten Kindern einer Mittel-klassestichprobe im Hausbesuch. Zunächst fanden sich keine sig-nifikanten Unterschiede zwischen depressiven und gesunden Müt-tern hinsichtlich des emotionalen Ausdrucks während der dreiSituationen (face-to-face, Füttern, Spielen). Bei der weitergehendenAnalyse zeigte sich, daß die Mütter, die bei dem Sechsmonats-Erhe-bungszeitpunkt immer noch depressiv waren, sich sowohl von Müt-tern, die zu den ersten beiden Zeitpunkten depressiv gewesenwaren, als auch von den gesunden unterschieden. Über alle dreiSituationen hinweg zeigten sie weniger positive Emotionen in derInteraktion mit dem Kind. Die Kinder dieser Mütter waren auchselbst weniger positiv, dies allerdings nur in der face-to-face-Situa-tion (Campbell, Cohn & Meyers, 1995).

Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß Einschränkungen desInteraktionsverhaltens der Mutter nur bei schwerer bzw. längererStörung zu erwarten ist. Dazu passend fand Field (1992) an-haltende negative Auswirkungen nur bei Kindern, deren Mütterlänger als sechs Monate nach der Geburt des Kindes depressivgewesen waren. Sie wiesen einen »depressiven« Interaktionsstilauf, der über andere, nicht depressive Interaktionspartner genera-lisiert wurde.

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Um die uneinheitlichen Ergebnisse zum Interaktionsverhalten de-pressiver Mütter zu erhellen wurden in neueren Studien Moderator-variablen untersucht, die für den Zusammenhang von affektivemVerhalten der Mütter und Depressivität von Bedeutung sein könnten.

Lovejoy, Graczyk, O’Hare und Neuman (2000) beispielsweiseuntersuchten in ihrer Metaanalyse mit Daten aus 46 Studien denZusammenhang von Depression, elterlichem Verhalten und even-tuellen Moderatorvariablen. Sie bildeten drei Verhaltenskategorien:negatives (feindselig, direktiv [coersive]), Rückzugs- und positivesVerhalten. Depressive Mütter zeigten gegenüber gesunden signifi-kant häufiger negatives (Effektstärke r = .20) und Rückzugsverhal-ten (Effektstärke r = .14) und weniger positives Verhalten (Effekt-stärke r = .08). Als Moderatorvariable für den Zusammenhang vonDepression und Interaktionsverhalten erwies sich der Zeitpunktder depressiven Erkrankung als signifikant. Mütter mit aktuellerdepressiver Episode zeigten mehr negatives Verhalten (r = .22) alsMütter, die früher unter einer Depression gelitten hatten (r = .11).Die sozioökonomische Risikobelastung war eine weitere Modera-torvariable, die hinsichtlich des Zusammenhangs von positivenVerhaltensweisen und der Depression eine Rolle spielte. Bei Müt-tern aus Stichproben mit hoher Risikobelastung war die Effekt-stärke für den Zusammenhang von positivem Verhalten undDepression moderat (r = .21), während sie bei den Frauen aus unbe-lasteten Mittelklassestichproben nahezu 0 war (r = .03). Möglicher-weise liegt in Studien zur Depression, die an Hochrisikostichprobendurchgeführt wurden, häufig eine Konfundierung der Effekte vonDepressivität und sychosozialen Belastungsfaktoren vor.

Festzuhalten ist mit Campbell et al. (1995), daß bei Stichprobenmit wenigen Risikofaktoren bei Müttern mit postpartaler Depressionnicht generell von einem weniger optimalen Interaktionsverhal-ten im Vergleich zu gesunden Müttern ausgegangen werden kann.Einheitlich scheinen die Ergebnisse jedoch zu sein, wenn es sichum eine schwere und chronische depressive Störung der Bezugs-person handelt.

Studien zu den Auswirkungen chronischer depressiver Störungen,bei denen die Säuglinge wiederholten Interaktionen mit einer de-pressiven Mutter ausgesetzt sind, werden im folgenden dargestellt.

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Nach Field besteht die Rolle der Mutter darin, dem Säugling zuhelfen, eine physiologische und Verhaltensorganisation zu etablie-ren. Dies tut sie, indem sie die Signale des Kindes liest, ihm eineoptimale Stimulation bietet, was umgekehrt dem Kind erlaubt,seine Erregung zu modulieren, so daß es verhaltensmäßig und phy-siologisch reguliert bleibt (Field, 1994; vgl. Kap. 1.3.1.1.). Wichtigist auch eine kontingente Responsivität auf das Verhalten des Kin-des, was dieses wiederum verstärkt.

Ein Säugling, der in dieser Weise gut reguliert ist, ist wachsam,aufmerksam und aufnahmefähig für Stimulation, liest die Signaleder Mutter, sucht Stimulation und reagiert kontingent auf die Sig-nale der Mutter. Wenn Mutter und Kind während ihrer Interaktiondie Rollen effektiv ausführen, ist physiologische und verhaltens-mäßige Übereinstimmung erreicht und die Interaktion wirkt har-monisch und synchron (Field, 1994).

Bei Mutter-Kind-Paaren mit depressiven Müttern scheint diesjedoch häufig nicht gegeben zu sein. In ihrem Übersichtsbeitragüber Kinder von depressiven Müttern beschrieb Field (1992) dieAuswirkungen depressiver Störungen auf die frühe Mutter-Kind-Interaktion. Depressive Mütter zeigen im Kontakt mit ihren Säug-lingen typischerweise einen flachen Affekt, bieten weniger Stimu-lation und weniger kontingente Responsivität. Außerdem weist dieInteraktion von ihnen und ihren Kindern weniger Synchronizitätauf. Die Gesamtzeit von Verhalten, das in geteilten emotionalenZuständen verbracht wurde, ist kürzer als bei nicht depressivenMüttern und ihren Kindern (vgl. Gianino & Tronick, 1988; Tronick,Cohn & Shea, 1986).

In ihrem Übersichtsartikel über Kinder von depressiven Elternfaßten Downey und Coyne (1990) die Ergebnisse einschlägiger Stu-dien zusammen, indem sie ebenfalls zwei Verhaltenskomplexebeschrieben: Das Verhalten depressiver Eltern ihren Säuglingengegenüber ähnelt, laut Autoren, dem Verhalten, das auch im Kon-takt zwischen Erwachsenen auftritt. Erstens, ist im Vergleich zugesunden Müttern das Verhalten und der affektive Ausdruck ein-geschränkt, die Reaktionen auf das Kind sind weniger positiv, weni-ger häufig und weniger prompt. Zweitens, zeigen sie mehr auf dasKind gerichtete Feindseligkeit und Negativität und ihre Versuche,

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das Verhaltens des Kindes zu steuern, sind eher durch Zwang alsdurch Verhandlung gekennzeichnet.

In Übereinstimmung mit weiteren Forschern (vgl. Field; 1992)resümierten auch Tronick und Weinberg (1997), daß es nicht einspezifisches Verhaltensmuster depressiver Mütter gibt, sondernverschiedene Verhaltensprofile beobachtbar sind. Sogenannte»intrusive« Mütter zeichnen sich dadurch aus, daß sie eher grob mitdem Kind umgehen, einen ärgerlichen Tonfall haben, sich unterUmständen über ihr Kind lustig machen und in die Aktivitäten ihresKindes eingreifen. »Zurückgezogene« Mütter dagegen sind in derInteraktion unbeteiligt, unresponsiv, affektiv verflacht und tunwenig, um die Aktivitäten des Kindes zu unterstützen (Tronick &Weinberg, 1997).

Auch die Reaktion der Säuglinge ist je nach Interaktionsstil derMutter unterschiedlich. Während Kinder intrusiver Mütter einenGroßteil der Interaktion mit Vermeidung des Kontaktes beschäftigtsind und nur wenig protestieren, zeigen Kinder zurückgezogenerMütter häufig negativen Affekt, außerdem Passivität und Rückzug.Für beide Verhaltensmuster gilt, daß die Interaktion mit einer chro-nisch depressiven Mutter erhebliche Auswirkungen auf die kindli-che Entwicklung hat. Wiederholte Interaktionszyklen, bei denenes dem Kind nicht gelingt, Kontrolle über das Verhalten der Mutterauszuüben und so »interaktive Fehler« zu reparieren um Synchro-nizität herzustellen (Tronick & Weinberg, 1997), wirken sich nega-tiv auf das Erleben der eigenen Effektivität und der Selbstwirk-samkeit aus.

Die Mutter wird in der Folge repräsentiert als unresponsiv undals eine, der man nicht vertrauen kann und das Selbst als ineffek-tiv und hilflos. Auffallend ist hier die Ähnlichkeit der kognitivenRepräsentanzen von Depressiven und der internen Arbeitsmodelleunsicher Gebundener. In beiden Fällen ist das Erleben durch einenegative Sicht des Selbst und der Umwelt bestimmt (vgl. Beck,Rush & Shaw, 1996).

Bisher wurde die Auswirkung des Interaktionsverhaltensdepressiver Mütter auf den Säugling erörtert. Es gibt Hinweise dar-auf, daß auch die umgekehrte Beeinflussungsrichtung, also die vondem Säugling auf die Mutter wirksam ist.

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Hopkins und ihre Mitarbeiterinnen (1987) fanden beispielswei-se, daß der neonatale Risikostatus des Säuglings und dessenSchwierigkeit und Unvorhersagbarkeit im Alter von sieben bis elfWochen zwischen Gruppen von Müttern mit und ohne postpartaleDepression unterscheiden konnten. Die Temperamentsmerkmalewaren per Fragebogen erfaßt worden (»Infant Characteristic Que-stionnaire« [ICQ] von Bates et al., 1979, zit. nach Hopkins et al.,1987). Die Erfassung des Temperaments im Mutterurteil ist, wieerwähnt, kritisch zu betrachten, denn sie kann aufgrund des sub-jektiven Anteils nicht als valides Maß von Temperamentseigen-schaften angesehen werden (vgl. Kap. 1.3.4.3.).

Methodisch besser konzipiert ist die Studie von Murray und Kol-legen (1996). Die Probanden einer großen Stichprobe (N= 231) wur-den vor der Geburt anhand eines selbstentwickelten Instrumenteseingeteilt in solche mit hohem vs. niedrigem Risiko für eine post-natale Depression. Nach der Geburt wurde neben der Depressi-vität der Mutter (klinisches Interview) die Verhaltensorganisationdes Neugeborenen (NBAS) und die Irritierbarkeit und Schwierigkeitdes Kindes im Mutterurteil (»The Mother and Baby Scale« von St.James-Roberts & Wolke, 1988, zit. nach Murray et al., 1996) erho-ben. Irritierbarkeit und niedriges motorisches Funktionsniveau desSäuglings waren wichtige Prädiktoren für den Beginn einer müt-terlichen Depression bis fünf Wochen nach der Geburt. DieseZusammenhänge blieben auch bestehen, wenn man sowohl dieStimmung der Mutter in der Neonatalperiode als auch ihre Beur-teilung des kindlichen Temperaments herauspartialisiert hatte. Irri-tierbare Säuglinge verhielten sich außerdem im Alter von zweiMonaten in der Interaktion mit der Mutter weniger aufmerksamund waren häufiger gestresst.

Die Ergebnisse können nach Meinung der Autoren nicht durchden Einfluß des mütterlichen Verhaltens der Depressiven auf denSäugling erklärt werden, denn die Kindfaktoren hingen nicht mitdem Risikostatus der Mutter zusammen. Außerdem verbessertensich die Werte für Irritierbarkeit und das motorische Niveau zwi-schen dem 10. und 15. Tag in gleichem Maße bei Kindern vondepressiven wie nicht depressiven Müttern. Aufgrund von Zusam-menhängen zwischen der Irritierbarkeit von Neugeborenen und

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Geburtskomplikationen, sowie späteren Schwierigkeiten der Ver-haltensorganisation, nehmen die Autoren eine organische Basis fürindividuelle Unterschiede von Säuglingen hinsichtlich der Irritier-barkeit und dem motorischen Funktionsniveau an, und sehendurch ihre Ergebnisse den Einfluß von Kindmerkmalen auf die De-pressivität der Mutter als erwiesen an.

Es ist erläutert worden, daß sich Einschränkungen des Inter-aktionsverhaltens von depressiven Müttern nicht übereinstimmendnachweisen lassen. Die Depressivität der Bezugsperson wirkt sichscheinbar erst in einer schweren und chronischen Ausprägungnegativ auf die mütterlichen Funktionen aus. Schwere Formen derDepression treten gehäuft dort auf, wo weitere psychosoziale Be-lastungsfaktoren auf die Familie einwirken. Im nächsten Kapitelsoll deshalb der Bedeutung der psychosozialen Risikobelastung beider Entwicklung von Bindungssicherheit und Desorganisationnachgegangen werden.

1.3.3. Psychosoziale Risikofaktoren

Das theoretische Modell von Belsky (1984) geht davon aus, daßbei der Vorhersage elterlichen Verhaltens gegenüber ihren Kindernmehrere Bedingungsfaktoren gemeinsam wirksam sind. Diese Fak-toren liegen innerhalb des Elternteils (z. B. Persönlichkeit), inner-halb des Kindes (z. B. Temperament) oder in den sozialen Kontext-bedingungen (z. B. partnerschaftliche Zufriedenheit, soziale Unter-stützung). Gefährdungen des ganzen Systems von einer Seite her, z.B.durch eine depressive Mutter, werden von den anderen Faktorenabgemildert. Hierin gleicht das Modell aktuellen Vorstellungen vonprotektiven- und Risikofaktoren, die in der Entwicklungspsycho-pathologie als wirksam erachtet werden (vgl. Sroufe, 1997).

Das Modell von BELSKY wurde entwickelt um Bedingungsfak-toren für Kindesmißhandlung zu beschreiben. In seiner Arbeit von1995 versuchten er und seine Kollegen das Modell auf die Ent-wicklung der Bindungssicherheit anzuwenden. An 135 Jungen undihren Eltern erhoben die Autoren Persönlichkeitsmerkmale derMutter wie u.a. Extraversion, Neurotizismus, die partnerschaftlicheZufriedenheit und soziale Unterstützung durch Andere sowie das

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Temperament des Kindes im Alter von 12 und 13 Monaten. Dienegative und positive Emotionalität der Kinder wurden währendeiner Beobachtung beurteilt, die Episoden zur Evozierung von posi-tiven und negativen Emotionen beinhaltete (z. B. Spiel mit Mutter,Annäherung von Fremden, Puppenspiel). Bei der Vorhersage derBindungssicherheit (B vs. nicht-B ; B vs. A vs. C) erwies sich keineder Variablen als signifikanter Prädiktor. Wie sich jedoch zeigte,war bei Kumulation sämtlicher Faktoren (nach Medianhalbierung)das Risiko einer unsicheren Bindung erhöht. Es ergab sich einsystematischer Zusammenhang der potentiellen Einflußfaktorenelterlichen Verhaltens mit der Rate von sicherem bzw. unsicheremBindungsverhalten der Kinder (Belsky et al., 1995).

Durch eine Kumulation von verschiedenen Risikofaktoren zeich-nen sich meist Familien aus niedrigen sozialen Schichten aus.Zusätzlich zur Armut finden sich nicht selten ungünstige Vorraus-setzungen auf Seiten der Eltern, wie Psychopathologie, niedrigesBildungsniveau, wenig soziale Unterstützung etc..

In der Mehrzahl aller Studien zur Entwicklung der Bindungs-sicherheit wurden Versuchspersonen aus Mittelklassestichprobenrekrutiert (z. B. Ainsworth et al., 1978; Belsky et al., 1984; Gross-mann et al. 1985; Lewis & Fering, 1989; Pederson, Gleason, Moran& Bento, 1998; Schneider-Rosen & Rothbaum, 1993; Seifer et al.1996, Spangler & Grossmann, 1993; Spangler et al., 1996).

Die bisher vorliegenden Untersuchungen unterscheiden sichneben der Anzahl auch in der Art der erhobenen umweltbedingtenRisikofaktoren. Untersucht wurde z. B. niedriger sozioökonomi-scher Status, frühe Elternschaft, Einelternschaft, Mangel an sozialerUnterstützung, mütterliche Psychopathologie und Kindesmißhand-lung bzw. Vernachlässigung. In einigen Studien kovariierten meh-rere diese Faktoren, während in anderen nur einzelne Variablenvorkamen bzw. erfaßt wurden. In diesem Sinne sind die unter-suchten Stichproben sehr heterogen, was die Extraktion von allge-meingültigen Aussagen erschwert. Eine Schwierigkeit liegt in derGlobalität des Begriffs »psychosoziales Risiko«. Da es sich bei Fami-lien aus stark risikobelasteten Stichproben fast immer um eineKumulation verschiedener Faktoren handelt, ist es methodischschwierig, einzelne umschriebene Variablen zu analysieren. Im fol-

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genden sollen Studien vorgestellt werden, die Mittelklassestich-proben mit Risikostichproben vergleichend untersucht haben.

Eine kolumbianische Untersuchung beispielsweise verglich eineMittelklassestichprobe mit Familien aus armen Verhältnissen(Posada et al. 1999). Die Bindungssicherheit der Kinder (acht bis 60Monate) wurde per Attachment-Q-Sort (Waters & Deane; 1985)erhoben und es zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischenden Gruppen. Die Kinder der Mittelklassestichprobe hatten einenmittleren Sicherheitswert von .43 (mit einer Standardabweichungvon .24), während die Kinder aus Familien mit niedrigem sozioöko-nomischen Status im Mittel einen Sicherheitswert von .30 (s = 24)aufwiesen. Bedauerlicherweise wurden die beiden Stichprobenauch in unterschiedlichen Settings (zu Hause und im Krankenhaus)untersucht, wodurch von einer Konfundierung der Effekte der Ein-flußfaktoren auszugehen ist, was die Interpretierbarkeit der Ergeb-nisse einschränkt.

Spieker und Booth (1988) trugen in ihrer Arbeit zu den Bedin-gungsfaktoren von Bindungssicherheit bzw. Desorganisation Stu-dien zusammen, die sowohl hoch risikobelastete Familien als auchunbelastete Mittelklassestichproben untersucht hatten.

Wegen des frühen Zeitpunkts der Arbeit sind in den zugrunde-liegenden Studien nur vereinzelt schon unklassifizierbare oder des-organisierte Kinder erwähnt worden. Zunächst sollen Ergebnissevon beteiligten Studien beschrieben werden, die nur nach demalten Klassifikationssystem von Ainsworth et al. (1978) ausgewer-tet wurden. Die Autorinnen beziehen sich vor allem auf Publika-tionen aus zwei großen Projekten, das »Minnesota Mother-InfantInteraction Project« (z. B. Egeland & Farber, 1984) und das »Fami-ly Support Project at Cambridge Hospital in Massachusetts« (Lyons-Ruth, Connell, Grunebaum, Botein & Zoll, 1984, zit. nach Spieker& Booth, 1988).

Vergleicht man die Verteilungen von Bindungsmustern, findetman in Studien mit Stichproben ohne vermehrte psychosozialeBelastung einen Anteil von 57-73 % sicher gebundene, 15-32 % ver-meidende und 4-22 % unsicher-ambivalente Kinder (z. B. Ains-worth et al., 1978; Belsky et al., 1984). Bei den Stichproben mithoher Risikobelastung dagegen zeigte sich eine andere Verteilung:

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Sicher gebundene Kinder gab es zu ca. 55%, unsicher-vermeiden-de zu 23% und unsicher-ambivalent gebundene Kinder zu 22%.Der Anteil der unsicher gebundenen Kinder war in Risikofamiliendemnach erhöht. Als überraschend beschreiben die Autorinnen dasErgebnis, daß sich die Verteilungen in den beiden Gruppen anglei-chen, wenn man alle Fälle von (bekannter) Mißhandlung undinadäquater Versorgung/Pflege aus den Risikostichproben aus-schließt. In diesem Fall sind die Proportionen von sicher vs. un-sicher gebundenen Kindern in Stichproben mit und ohne erhöhtespsychosoziales Risiko vergleichbar. Dies gilt auch, wenn Risikofak-toren wie Armut oder Einelternschaft gegeben sind.

Niedriger sozioökonomischer Status ist den Autorinnen zufolgenicht per se mit einem erhöhten Vorkommen von Kindern mit un-sicherer Bindung verbunden. Diese Aussage wird unterstützt durcheine Studie, die mißhandelte Kinder mit nicht mißhandelten ver-glich. Die Kinder beider Gruppen kamen aus Familien mit niedri-gem sozioökonomischen Status und wurden zu drei Zeitpunkten(12, 18 und 24 Monate) untersucht. Während es unter den mißhan-delten Kindern über alle Erhebungszeitpunkte hinweg signifikantweniger sicher gebundene Kinder gab, waren in der Kontrollgruppeca. zwei Drittel der Kinder sicher gebunden, was sich nicht von denVerteilungen in Mittelklassestichproben unterscheidet.

In den bisher dargestellten Studien war lediglich die Bindungs-sicherheit nach dem System von Ainsworth et al. (1978) erhobenworden, jedoch kein desorganisiertes Verhalten, wie es von Mainund Solomon (1986) beschrieben wurde. Kinder, die später als des-organisiert beschrieben worden wären, waren zunächst forciertden traditionellen Kategorien zugeordnet und später neu einge-richteten Kategorien (z. B. »A/C«) zugeordnet worden (z. B. Crit-tenden, 1985, 1988; Lyons-Ruth et al., 1985, zit. nach Spieker &Booth, 1988; vgl. Kap. 1.2.4.).

In Untersuchungen, in denen die Desorganisation mit berück-sichtigt wurde, zeigten sich eindeutigere Unterschiede zwischenMittelklassestichproben und solchen mit hoher Risikobelastung.In verschiedenen Studien ist gezeigt worden, daß in Stichprobenmit niedrigem sozioökonomischen Status, die mehrere Risiko-faktoren aufweisen, der Anteil an desorganisierten Kindern erhöht

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ist (Crittenden, 1988; Carlson et al., 1989, Lyons-Ruth et al., 1997;Carlson, 1998; Ward & Carlson; 1995).

Beispielsweise wurden 94 jugendliche Mütter, die unter ökono-misch benachteiligten Bedingungen lebten, von Ward und Carlson(1995) per AAI befragt und mit ihren Kindern wurde der FST durch-geführt. Die Verteilung von sicheren und unsicheren Bindungs-typen der Kinder unterschied sich kaum von der, die in Mittelklasse-stichproben mit durchschnittlichen Müttern gefunden wird, außerdaß der Anteil an desorganisierten Kindern erhöht war.

Eine Häufung von psychosozialen Risikofaktoren scheint dem-nach stärker mit Desorganisation als mit Bindungssicherheitassoziiert zu sein. Es ist jedoch davon auszugehen, daß in älterenStudien eine Kondundierung von Bindungssicherheit und Des-organisation vorliegt, aufgrund derer die Ergebnisse möglicher-weise uneindeutig blieben.

In der Mannheimer Risikokinderstudie zur Vorhersage von Ver-haltensauffälligkeiten wurden biologische und psychosoziale Risiko-faktoren systematisch variiert. Die Ergebnisse zeigten deutlich diestärkere Bedeutung des psychosozialen (z. B. zerrüttete familiäreVerhältnisse, niedriges Bildungsniveau, psychische Auffälligkeitender Eltern) gegenüber dem biologischen Risiko (z. B. Geburtskom-plikationen) für die weitere kindliche Entwicklung. Während sichbiologische Risiken primär in Beeinträchtigungen motorischerFunktionen auswirkten, schlug sich der Einfluß psychosozialer Ri-siken stärker in der kognitiven und sozialemotionalen Entwick-lung nieder (Laucht, Esser & Schmidt, 1992). Diese Ergebnisseder Studie im Kindesalter von zwei Jahren konnte beim nächstenErhebungszeitpunkt (viereinhalb Jahre) bestätigt werden. Es konntegezeigt werden, daß die schädlichen Effekte mit dem Ausmaß derRisikobelastung sowie mit der Kumulation von Risiken zunehmen(Laucht et al., 1996).

Zusammenfassend ist zu sagen, daß es sich bei der Bezeichnung»psychosoziales Risiko« um ein Konglomerat verschiedener Fak-toren handelt, welche häufig in Kombination vorkommen. Bei derErörterung der Entstehungsbedingungen von Bindungssicherheitund besonders von Desorganisation ist es wichtig, neben Merk-malen des Verhaltens von Mutter und Kind die psychosoziale

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Risikobelastung der Familie zu erheben und zu kontrollieren.Während die Forschungsergebnisse hinsichtlich der Bindungsent-wicklung nicht eindeutig sind, scheint bei hoher psychosozialerRisikobelastung das Risiko für desorganisiertes Verhalten erhöht zusein.

1.3.4. Frühkindliches Temperament

Nach der Darstellung des Beitrags der Bezugsperson zur Bin-dungsentwicklung, soll nun auf die Rolle von kindlichen Merkma-len im Hinblick auf die Entwicklung der Bindungssicherheit bzw.Desorganisation eingegangen werden.

Schon Bowlby erwähnte bei der Erörterung von »Bedingungenim ersten Jahr, die zu Variationen führen« (Bowlby, 1975, S. 310)die Auswirkung unterschiedlicher angeborener Tendenzen desSäuglings auf die Bindungsentwicklung, die seiner Meinung nachüber die Beeinflussung des Interaktionsverhaltens der Mutter wir-ken. Neben extremen Ausprägungen kindlicher Merkmale, wie beiKindern mit neurophysiologischen Schädigungen, beschrieb erauch Unterschiede im Bereich der normalen Variation kindlicherEigenschaften. Er zitierte ein Fallbeispiel von zwei Brüdern, diesich auffällig hinsichtlich Soziabilität, Aktivität, Intensität der Reak-tionen unterscheiden und beschreibt, daß daraus eine völlig unter-schiedliche Behandlung bzw. Zuwendung seitens der Eltern er-wächst (Bowlby; 1975).

Bowlby beschloß das Kapitel mit dem Satz: »Bevor wir nichtMethoden entwickelt haben, mit dem sich die Existenz dieser Ten-denzen (anfängliche Verhaltenstendenzen, Anm. der Autorin) be-stimmen läßt, bleibt ihre Erörterung reine Spekulation.« (Bowlby,1975, S. 312).

In der Zwischenzeit sind verschiedene Methoden zur Erhebungvon Verhaltensunterschieden bei Säuglingen, sogenannten Tempe-ramentsmerkmalen, entwickelt worden. Während von einigen Bin-dungsforschern die Rolle des Temperamentes bei der Bindungs-entwicklung als vernachlässigbar angesehen wurde, denn »dasFeinfühligkeitskonzept schließt individuelle Unterschiede zwischen

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Säuglingen mit ein ...« (Grossmann et al., 1997, S. 65), beschäftigtensich zahlreiche andere Studien mit dem Zusammenhang von Tem-perament und Bindung. Bevor auf diese Studien und den theore-tischen Zusammenhang der beiden Konstrukte eingegangen wird,soll ein kurzer Überblick über die Temperamentsforschung ein-schließlich der Entwicklung des Forschungsstrangs und verschie-dener Schulen gegeben werden.

1.3.4.1. Überblick: Temperamentstheorien

Die in den 50er Jahren vorherrschende Zeitströmung der ein-seitigen Ausrichtung auf Umweltfaktoren zur Erklärung von Ent-wicklungsresultaten ist bereits erwähnt worden (vgl. Kap. 1.3.1.).Der Forschungsansatz des Psychiaterehepaares Thomas & Chess,der Entwicklung als einen wechselseitigen Interaktionsprozeß zwi-schen Anlage- und Umweltfaktoren versteht, ist aus diesem Grunddamals von Kollegen kritisiert worden. Die Autoren hatten zumZiel, den Einfluß angeborener Verhaltensstile auf die weitere psy-chische Entwicklung zu untersuchen.

In ihrer New Yorker Längsschnittstudie (NYLS) sind die Ur-sprünge der modernen Temperamentsforschung zu sehen (Thomas& Chess, 1980). 141 Kinder aus Mittelschichtsfamilien wurden be-ginnend im Alter von zwei bis drei Monaten bis zur Jugendzeitbeobachtet. Die Eltern lieferten Verhaltensbeschreibungen ihrerKinder, aus denen faktorenanalytisch die im folgenden dargestell-ten neun Temperamentsdimensionen ermittelt wurden. Der Faktor»Aktivität« meint die motorische Aktivität des Kindes, »Tagesrhyth-mus/Regelmäßigkeit« beschreibt die Vorhersagbarkeit der biologi-schen Funktionen. »Annäherung vs. Rückzug« bezieht sich auf mög-liche Reaktionen auf neue Reize, Reaktionen des Kindes auf Ver-änderungen werden in der Kategorie »Anpassungsfähigkeit« erfaßtund mit »sensorische Reizschwelle« ist die für eine kindliche Reak-tion nötige Intensität eines Reizes gemeint. Die Intensität einesAusdrucks, z. B. einer Emotion wird mit »Reaktionsintensität« be-zeichnet, »Stimmungslage« bezieht sich auf positives, freudiges vs.negatives, unfreundliches Verhalten des Kindes, mit »Ablenkbar-keit« ist die Leichtigkeit der Beeinträchtigung einer Handlung

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durch Umweltreize gemeint. »Aufmerksamkeitsdauer bzw. Durch-haltevermögen« bezeichnet die Länge der Aufrechterhaltung derAufmerksamkeit auf einen Reiz oder eine Handlung.

Nach der unterschiedlichen Zusammensetzung verschiedenerDimensionen wurden drei Temperamentskonstellationen beschrie-ben. Das sogenannte »einfache Kind« zeichnete sich durch dieRegelmäßigkeit seines Verhaltens, ein positives Herangehen anneue Reize, eine hohe Anpassungsfähigkeit und positive Stim-mungslage aus. Zu dieser Gruppe gehörten ca. 40% der Kinder.Das »schwierige Kind« hingegen, das zu 10% in der Stichprobe vor-kam, war gekennzeichnet durch eine Unregelmäßigkeit der biolo-gischen Funktionen, Rückzugsverhalten bei Neuem, langsameAnpassung gegenüber Veränderungen und eine häufig negativeund intensiv geäußerte Stimmungslage. Ein dritter Typus setztesich zusammen aus leicht negativen Reaktionen auf neue Reizeund geringer Anpassungsfähigkeit, gepaart mit wenig intensivemAusdrucksverhalten und eher regelmäßigen biologischen Funktio-nen. Kinder mit diesen Eigenschaften wurden »langsam auftauen-des Kind« (slow to warm up) genannt und machten 15% der Stich-probe aus. Die restlichen Kinder konnten keiner besonderenMerkmalskonstellation zugeordnet werden (Thomas & Chess, 1980).

Die Autoren postulierten das »Goodness-of-fit-Modell«, dasbesagt, daß von einem optimalen bzw. positiven Entwicklungsfort-gang auszugehen ist, wenn die Merkmale und Anforderungen derUmwelt im Einklang stehen mit den Eigenschaften, Fähigkeitenund Möglichkeiten des Individuums. Bei mangelnder Überein-stimmung (»poorness-of-fit«) von Kindmerkmalen und Faktorendes elterlichen Verhaltens seien Störungen der Entwicklung, wiez. B. Verhaltensauffälligkeiten des Kindes zu erwarten (Chess &Thomas; 1991).

Im Gefolge der einflußreichen Arbeit von Chess & Thomas (1980)entwickelten sich in Nordamerika verschiedene Schulen (Golds-mith et al., 1987).

Bei dem »EAS-Modell« von Buss & Plomin steht die Erblichkeitals Grundlage von Temperamentsunterschieden, und damit dieFrage nach der Ursache und den Wurzeln des Temperaments imMittelpunkt. Temperament wird als Subklasse von Persönlichkeits-

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merkmalen verstanden, die genetisch bedingt sind, aber dennochdurch Erfahrung und Sozialisation modifiziert werden. Tempera-mentsmerkmale unterscheiden sich von anderen Persönlichkeits-eigenschaften durch frühes Auftreten im ersten Lebensjahr. Merk-male, die nicht genetisch bedingt sind, und somit von Umwelt-einflüssen bestimmt werden, sowie die Intelligenz sind per Defini-tion ausgeschlossen (Buss & Plomin, 1984).

Das »EAS-Modell« der Autoren setzt sich zusammen aus dreivoneinander unabhängigen Dimensionen des Temperaments, diegemäß der Definition eine hohe Erbbedingtheit aufweisen. Zu denFaktoren gehören bei Buss & Plomin zunächst die »Emotionalität«(emotionality), die jedoch nur auf »Distress«, d. h. negative emo-tionale Reaktionen mit hohem Erregungsniveau bezogen ist undsich während der ersten sechs Monate in »Furcht« und »Ärger«differenziert. Die Skala reicht von »keinerlei emotionalem Aus-druck« bis zu »intensiver negativer Reaktion«. »Aktivität« (activity)heißt die zweite Dimension, die sowohl die Schnelligkeit als auchdie Intensität eines Verhaltens, bzw. die Kraft mit der eine Hand-lung ausgeführt wird, umfaßt. Die Präferenz von Geselligkeit vs.Alleinsein ist Inhalt der dritten Skala »Geselligkeit« (sociability)und meint damit die Suche nach Zuwendung und Aufmerksamkeit(Buss, 1991; Buss & Plomin, 1984).

Ein anderer Zweig innerhalb der Temperamentstheorien wirdvertreten durch Goldsmith & Campos (1982). Temperamentsmerk-male, die eine sozialkommunikative Funktion haben, stehen fürsie im Vordergrund, weshalb ausschließlich die Verhaltensebenedes Temperaments berücksichtigt wird. Die Ebene der Neurophy-siologie oder biochemischen Faktoren sei zwar als Substrat desTempermantes relevant, die wesentliche Ebene sei jedoch die fürAndere wahrnehmbare: das Verhalten. Sie definieren Temperamentals Set charakteristischer, individueller Unterschiede in Intensitäts-und Schnelligkeitsparametern des Verhaltensausdrucks affektiver(affect-related) Zustände. Temperament spielt eine Rolle bei indivi-duellen Differenzen in der Empfindlichkeit für Reize und der Initia-tion von Verhalten. Es betrifft vor allem den Ausdrucksaspekt vonGefühlen, während kognitive- und Wahrnehmungsfaktoren nichtzu den Temperamentsmerkmalen gezählt werden.

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Kagan und seine Mitarbeiter beschrieben das Konzept der »Ver-haltenshemmung« mit dem dazugehörigen Temperamentstyp desscheuen und gehemmten Kindes. Im Kontakt mit fremden Men-schen oder unbekannten Objekten zeigen diese Kinder eine großeAnnäherungslatenz an attraktive Objekte und lösen sich nur schwervon der Mutter. In normalen Stichproben gibt es eine Extremgrup-pe von 10-15% gehemmter Kinder, die während der Konfrontationmit Unbekanntem höhere Herzraten aufweisen als andere Kinder.Ungefähr ab einem Alter von 20 Monaten kann dieser Tempe-ramentstyp identifiziert werden und bleibt ca. bis ins Schulalterstabil (Kagan, Reznick & Gibbons; 1989; Kagan, Reznick & Snidman,1987). Kinder, die im Alter von 20 Monaten als verhaltensgehemmtbezeichnet werden, reagieren mit vier Monaten auf Reize häufigerals andere Kinder mit Quengeln, Schreien oder motorischer Un-ruhe. Von den Autoren wird eine genetische Disposition als Grund-lage der Verhaltenshemmung postuliert, die sie jedoch in ein trans-aktionales Modell integriert wissen möchten. VerhaltensgehemmteKinder rufen durch ihr Verhalten bei ihren Eltern andere Reak-tionsmuster hervor als nicht gehemmte Kinder und diese Reak-tionen wirken sich dann wiederum auf die Kinder aus (Garcia-Coll, Kagan & Reznick, 1984).

Psychophysiologische Temperamentstheorien, wie z. B. die vonRothbart (1989) sehen Temperament als Verbindung zwischenAktivitäten des Nervensystems und dem Verhalten an. Tempera-ment beruht demnach auf der Intensität und Schnelligkeit derReaktionen des autonomen sowie des zentralen Nervensystems aufäußere Reize. Im kommenden Abschnitt wird die Temperaments-theorie von Rothbart und Mitarbeitern ausführlicher dargestellt,da ihr Modell dieser Arbeit zugrunde liegt.

1.3.4.2. Die Temperamentstheorie von Rothbart

Rothbart und ihre Mitarbeiter verstehen unter »Temperament«konstitutionell bedingte individuelle Unterschiede in den Kompo-nenten Reaktivität und Selbstregulation. »Konstitutionell« beziehtsich dabei auf eine relativ stabile biologische Ausstattung, die überdie Zeit hinweg durch Vererbung, Reifung und Erfahrung beein-

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flußt wird Rothbart & Derryberry, 1981). Reaktivität meint dieErregbarkeit von motorischer Aktivität, affektiven, autonomen undendokrinen Reaktionen eines Organismus. Erfaßt werden kanndie Reaktivität durch Parameter wie z. B. Reaktionsschwelle oder-latenz, Reaktionsintensität bzw. den Zeitpunkt der stärksten Reak-tion und die Refraktärzeit. Rothbart beschreibt in ihrem Modellverschiedene reaktive Prozesse (somatische, autonome, kognitiveund neuroendokrine) und unterteilt die Reaktivität in positive undnegative Reaktivität.

Sie wird unter anderem von Qualitäten des Stimulus beeinflußt,z. B. von der Intensität und dem Signalcharakter eines Reizes undden entsprechenden Erwartungen. Eine geringe Intensität sei, nachden Autoren, eher mit positiver Reaktivität verbunden, bei mitt-lerem Niveau beobachte man sowohl positive als auch negativeReaktionen, während eine hohe Intensität mit negativen Reak-tionen assoziiert sei. Zusätzlich zu der Bedeutung von Stimulus-qualitäten unterscheiden sich jedoch auch Individuen bezüglichder Reaktionsschwelle, der Intensität und bezüglich des Anstiegsund des Rückgangs der Reaktionen. Manches Kind mag z. B. sanfteBerührungen, streicheln und reagiert darauf mit positiver Emotion,während ein anderes Kind intensivere Stimulation braucht, um sichwohl zu fühlen und das auch zum Ausdruck zu bringen. Vergleich-bar verhalte es sich mit der Reaktion auf fremde Menschen, die jenach Temperamentscharakteristiken eines Individuums, eher posi-tiv oder negativ ausfallen können (Rothbart, 1989). Auch innereBefindlichkeiten des Kindes, wie z. B. Hunger, Durst, Müdigkeittragen zu der Reaktion auf einen Reiz bei, ebenso beeinflußt die Neu-artigkeit eines Reizes, ob die Reaktion positiv oder negativ ausfällt.

Der Signalcharakter eines Reizes spielt ebenfalls eine Rolle, indem Sinne, daß z. B. ein Reiz mit der Erwartung einer Belohnungverknüpft sein und somit positive Reaktionen auslösen kann.

Außer individuellen Unterschieden in Reaktivität, bestehen Tem-peramentsunterschiede auch in der Leichtigkeit, mit der selbst-regulatorische, motorische und Aufmerksamkeitsreaktionen initi-iert werden. Unter Selbstregulation fassen die Autoren Prozesse, diedie Reaktivität modulieren, entweder in verstärkender oder hem-mender Weise. Diese Prozesse beinhalten Merkmale wie Aufmerk-

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samkeit, Annäherung, Rückzug, Angriff, Verhaltenshemmung undSelbstberuhigung (Rothbart, 1989). Mit Selbstregulation ist Ver-halten gemeint, das entweder zur Beruhigung oder zur Steigerungvon Erregung dient. Lutschen am Daumen oder anderen Fingern,Ergreifen der Hände, das Berühren von Ohr oder Kopf gehören zuden selbstberuhigenden Verhaltensweisen. Selbstregulative Pro-zesse beinhalten außerdem die selektive Orientierung zu einemerregenden Reiz hin oder von ihm weg. Hierbei wird das Bedürfnisdes Kindes nach Rückzug von einem Stimulus auch durch die posi-tive oder negative affektive Reaktion (Reaktivität) und den Signal-wert des Reizes beeinflußt. Umgekehrt wird die Reaktivität auchdurch die Selbstregulation moduliert. Ein weiterer Einflußfaktorauf die Selbstregulation ist die Anstrengung/Mühe (effort), mitderen Hilfe man sich z. B. einem Stimulus zuwendet, auch wenn ereine Quelle von Angst darstellt, weil man längerfristige Konse-quenzen berücksichtigt (z. B. Prüfung). Die Entwicklung der Selbst-regulationsfähigkeit ist einerseits von neurologischen Reifungs-prozessen, andererseits aber auch von Umwelteinflüssen abhängig.

Auf der Verhaltensebene kann Temperament an emotionalenund Aufmerksamkeitsprozessen und an der motorischen Aktivitätbeobachtet werden. Die Emotionen sind in dem Modell von beson-derer Bedeutung, weil sie sowohl reaktive (Gesichtsausdruck,affektive, motorische, autonome und endokrine Erregung) als auchselbstregulative Aspekte (Annäherung, Rückzug, Hemmung, Angriffetc.) beinhalten. Diese Sichtweise steht im Gegensatz zu anderenTheorien (Buss & Plomin, 1984; Goldsmith & Campos, 1982; Thomas& Chess, 1980), die nur die Verhaltensaspekte von Emotionen alsTemperamentsmerkmale ansehen.

Die Temperamentsdimensionen »Irritierbarkeit/negative Emo-tionalität«, »motorische Aktivität«, »Beruhigbarkeit/Ablenkbarkeit vonnegativem Affekt«, »positive Emotionalität/Soziabilität«, »Furcht-tendenz/Rückzugstendenz/Verhaltenshemmung« und »willentlicheKontrolle« werden von Rothbart unterschieden. Die ersten dreiDimensionen sind von Geburt an beobachtbar, während die positiveEmotionalität erst in den ersten Lebenswochen entsteht. Währendsich die Verhaltenshemmung in der zweiten Hälfte des erstenLebensjahres entwickelt, bildet sich die willentliche Kontrolle erst

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zum Ende des ersten Lebensjahres heraus Rothbart, 1989; Roth-bart & Posner, 1985).

Bezüglich der Entwicklung des frühkindlichen Temperamentespostuliert Rothbart eine Veränderung der genannten Tempera-mentskomponenten einerseits durch neurologische Reifung, denndiese ist mit der Geburt noch längst nicht abgeschlossen. Anderseitsbeinhaltet die Theorie auch die Beeinflussung durch die Umwelt,wie z. B. durch das mütterliche Interaktionsverhalten, besondershinsichtlich der Selbstregulation. Von der Geburt an ist die Bezugs-person über die dyadische Regulation an der Weiterentwicklungselbstregulatorischer Fähigkeiten beteiligt, indem sie dem Säuglingbei der Steuerung seiner Erregung hilft (vgl. auch Kap. 1.3.1.)(Rothbart, 1989, 1991).

Nach der Darstellung der verschiedenen Temperamentskon-zepte soll abschließend eine Definition des frühkindlichen Tempera-ments vorgestellt werden, die versucht, alle Theorien zu vereinen:

»Temperament consists of relative consistent, basic dispositionsinherent in the person that underlie and modulate the expressionof activity, reactivity, emotionality, and sociability. Major elementsof temperament are present early in life, and those elements arelikely to be strongly influenced by biological factors. As develop-ment preceeds the expression of temperament increasingly be-comes more influenced by experience and context.« (Mc Call inGoldsmith et al., 1987, S.524)

1.3.4.3. Die Erfassung des frühkindlichen Temperaments

Neben der Vielzahl unterschiedlicher Konzeptionen des früh-kindlichen Temperaments besteht eine weitere Schwierigkeit derTemperamentsforschung in der validen Erfassung frühkindlicherTemperamentsmerkmale.

Die Messung von Temperamentsmerkmalen durch per Frage-bogen eingeholte Elternurteile ist bei weitem die am häufigstenverwendete Methode. Ursache hierfür ist sicherlich die Ökonomiedieser Methode im Vergleich zu den weit aufwendigeren Verhal-tensbeobachtungen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß die durchFragebogenverfahren ermittelten Elternurteile neben den objekti-

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ven Komponenten (Übereinstimmungen mit beobachtetem Kind-verhalten) subjektive Komponenten, das heißt Verzerrungen derUrteile aufgrund elterlicher Merkmale, enthalten (vgl. Bates, 1989;Mebert, 1991).

In Studien, die sich mit den subjektiven Komponenten befassen,wurden elterliche Persönlichkeitscharakteristiken, soziodemographi-sche Merkmale der Familien, sowie elterliche Erwartungen hinsicht-lich der Temperamentsmerkmale des Kindes in der Pränatalzeit un-tersucht. Zusammenhänge zwischen der Beurteilung des Säuglingsals im Temperament »schwierig« (hohe negative Emotionalität/Irri-tierbarkeit) und erhöhter Depressivität/Ängstlichkeit des beurteilen-den Elternteils wurden häufig aufgezeigt (Mebert, 1991; Pauli-Pottet al., 1999a; Vaughn, Joffe, Bradley, Seifer & Barglow, 1987).

Beispielsweise ließen Mebert und ihre Abeitsgruppe 131 Mütterund 127 Väter während der Schwangerschaft und im Kindesaltervon dreieinhalb Monaten den ICQ (»Infant Characteristic Que-stionnaire« von Bates et al., 1979) ausfüllen. Zusätzlich wurde beiden Eltern die Depressivität und die Ängstlichkeit erfaßt (BDI vonBeck, 1967; STAI von Spielberger, 1983; zit. nach Mebert, 1991).Die Depressivitäts- und Ängstlichkeitswerte der Eltern, die wäh-rend der Schwangerschaft erhoben worden waren, waren signi-fikant mit den postpartum erhobenen Schwierigkeitswerten(»fussy/difficult«) des Säuglings verknüpft und trugen bedeutsam zuderen Vorhersage bei (Mebert, 1991).

In einer Untersuchung unserer Arbeitsgruppe konnte belegtwerden, daß die Urteile der Mütter hinsichtlich der negativenReaktivität des Säuglings zwar signifikant mit Verhaltensbeob-achtungen korrelierten, sich aber auch mit der Depressivität derMutter als verbunden erwiesen. Da mütterliche Depressivität nichtmit den durch die Verhaltensbeobachtungen erfaßten Tempera-mentsmerkmalen korrelierte, war anzunehmen, daß sich derZusammenhang zwischen Depressivität und Temperamentsurteildurch subjektive Verzerrungen der Urteile erklärt (Pauli-Pott etal., 1999 b).

In ihrer Untersuchung, die auf vier verschiedenen Studien be-ruht, befragten VAUGHN und Mitarbeiter ihre Probandinnenwährend der Schwangerschaft hinsichtlich verschiedener Per-

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sönlichkeitsmerkmale. Nach der Geburt (ca. vierter bis achterMonat) schätzten die Mütter das Temperament des Kindes anhanddes ITQ-R (»Infant Temperament Questionnaire« von Carey & McDevitt, 1978) ein, wodurch das Temperament des Säuglings dannz. B. als »schwierig« oder »leicht« kategorisiert wurde. In allen vierStudien fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Müt-tern von »schwierigen« und »leichten« Kindern, wobei besondersdie Ängstlichkeit/Angstneigung der Mütter eine bedeutsame Rollespielte. Mütter, die ihre Kinder als schwierig beurteilten, wiesenwährend der Schwangerschaft höhere Angstwerte auf als Müttervon anderen Kindern (Vaughn et al., 1987).

Zusammenfassend muß die Validität der Elternfragebogen auf-grund der subjektiven Verzerrungen als eingeschränkt betrachtetwerden. Bei einer alleinigen Verwendung der Fragebogenmethodezur Erfassung des frühkindlichen Temperaments ist nicht ent-scheidbar, ob etwaige Zusammenhänge aufgrund der subjektivenoder der objektiven Komponente der Fragebogenscores bestehen.

Objektivere Informationen liefern Verhaltensbeobachtungsme-thoden. Ein Nachteil der Verhaltensbeobachtungsmethoden bestehtjedoch in deren vergleichsweise geringer Ökonomie. Insbesondereim ersten Lebensjahr sind aufgrund der geringen Stabilität des Ver-haltens und dessen starker Abhängigkeit von Tageszeit, biologi-schen Rhythmen und Verhaltenszustand des Säuglings mehrfacheBeobachtungen in engen zeitlichen Grenzen erforderlich, um reli-able Maße zu generieren (Seifer et al., 1994).

Unter Validitätsgesichtspunkten sind allerdings Verhaltensbe-obachtungen im Kontext der Bezugsperson-Kind-Interaktion auf-grund der aktuellen Einflüsse des Verhaltens der Bezugsperson aufdas Verhalten des Säuglings nicht unproblematisch. Der kindlicheAffektausdruck wird in Situationen beobachtet und beurteilt, indenen das Kind, sei es beim Spielen, beim Wickeln oder Füttern,eng auf die Bezugsperson bezogen ist, also auf deren Verhaltendirekt reagiert. Somit ist der affektive Ausdruck des Kindes beein-flußt vom Verhalten der Bezugsperson (z. B. deren Affektausdruck)in der beobachteten Situation. Hier sind die Merkmale des Kindeskonfundiert mit den Einflüssen des aktuellen Verhaltens der Be-zugsperson (Crockenberg, 1986).

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Dieses Konfundierungsproblem erweist sich vor allem dann alsschwerwiegend, wenn Merkmale des mütterlichen Interaktions-verhaltens in Beziehung zum Temperament des Kindes gesetzt wer-den sollen, wenn also geprüft werden soll, ob beispielsweise imLaufe der Zeit mütterliches Interaktionsverhalten die Entwicklungder Temperamentsmerkmale tatsächlich beeinflußt.

Frei von den geschilderten Konfundierungsproblemen ist dieErfassung der kindlichen Temperamentsmerkmale durch Beob-achtungen von Reaktionen auf standardisierte Reize. Da dieseUntersuchungen allerdings in der Regel nur zu einem Zeitpunkt er-folgen, ist aufgrund der hohen Variabilität des Verhaltens im erstenLebensjahr die externe Validität des gezeigten Verhaltens fraglich(Goldsmith & Rothbart, 1991). Die »Neonatal Behavior AssessmentScale« (NBAS) von Brazelton (1984) ist diesem Bereich zuzuord-nen. Die NBAS gilt als ein adäquates Instrument zur Erfassung derTemperamentsmerkmale Reaktivität und Selbstregulation in derNeugeborenenzeit. Die Routine umfaßt verschiedene Tests undManipulationen, die in der Regel zu einer zunehmenden Aktivie-rung bis hin zum Schreien des Neugeborenen führen (Rauh, 1998).

Eine weitere Methode zur Erfassung von Charakteristiken desfrühkindlichen Temperaments ist die Messung psychophysiolo-gischer und psychoendokrinologischer Parameter wie z. B. dasNiveau und die Veränderung der Variabilität der Herzfrequenz resp.des vagalen Tonus (vgl. Snidman et al., 1995) oder der Cortisol-konzentration im Speichel (Stansbury & Gunnar, 1994; Spangler &Scheubeck, 1993; Stansbury, 1999). Beide Maße gelten in der Säug-lingszeit als Indikatoren der Selbstregulationskomponente desTemperaments. Das Hauptproblem besteht hier, neben dem unterUmständen hohen technischen und finanziellen Aufwand, in der oftfragwürdigen Beziehung zwischen Index und Indiziertem.

Aufgrund der Probleme, die mit jeder der genannten Erfas-sungsmethoden verbunden sind, empfiehlt sich in der Tempera-mentsforschung ein multimethodales Vorgehen, welches die Vali-dierung der erfaßten Merkmale erlaubt. Sollen Zusammenhängezwischen Temperamentsmerkmalen und Elternverhalten unter-sucht werden, so sind allein Daten aus Verhaltenstestroutinen ein-deutig interpretierbar.

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1.3.4.4. Temperament und Bindungssicherheit

Es existieren unterschiedliche und kontroverse Meinungen dar-über, ob und wie das Konstrukt »frühkindliches Temperament« unddas Konstrukt »Bindungssicherheit« in Zusammenhang stehen. Pro-blematisch ist, daß man bei der Erörterung des Zusammenhangszwischen Temperament und Bindung neben dem theoretischenBereich auch die Ebene der Operationalisierung berücksichtigenmuß, denn die Methoden zur Erfassung von Temperamentsmerk-malen und von Bindungssicherheit bzw. Desorganisation gleichensich zum Teil sehr. Aus diesem Grund soll zunächst mit Sroufe(1985) differenziert werden zwischen der Ebene der theoretischenKonstrukte und der Ebene ihrer Operationalisierungen. Im folgen-den werden nun erst mögliche Zusammenhänge auf der operatio-nalen Ebene betrachtet.

In seiner vielzitierten Kritik am »Fremde-Situations-Test« argu-mentierte Kagan (1984), daß das Verhalten des Kindes währendder Trennungsepisoden und bei der Wiedervereinigung mit derMutter zum großen Teil ein Temperamentsmerkmal des Kindes,nämlich »Verhaltenshemmung« und »Angstneigung«, widerspiegele.Auch die Furchtepisoden zur Erfassung des Temperamentsmerk-mals »Verhaltenshemmung« umfassen unter anderem die Trennungvon der Mutter und die Konfrontation mit einer Fremden als poten-tiell angstauslösende Reize (vgl. Kagan et al., 1987; Garcia-Coll,Kagan & Reznick, 1984).

In einer Stellungnahme zur Kritik Kagans räumte Sroufe (1985)ein, daß die Subgruppenplazierung im FST, nämlich A1 bis B 2gegenüber B 3 bis C 2 oder evtl. sogar der Typ der Bindungssicher-heit (A vs. C) Temperamentsmerkmale widerspiegeln könnte. Ob je-doch eine sichere oder unsichere Bindungsklassifikation vorliege,sei vom Temperament völlig unabhängig, denn die Klassifikationberuhe nicht allein auf dem Ausmaß des Stresses während derTrennung (Sroufe, 1985). Einige Autoren untermauerten in ihrenempirischen Untersuchungen diese Thesen (Belsky & Rovine, 1987;Frodi & Thompson, 1985; Susman-Stilman, Kalklose, Egeland &Waldmann, 1996).

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Frodi & Thompson (1985) postulierten eine »Temperaments-dimension« (A1-B2 vs. B3-C2) und eine »Bindungsdimension« (B vs.A,C) der Bindung. Die Temperamentsdimension unterteilt Kinder insolche, die während des FST sehr gestresst sind und viel schreienund Kinder, die wenig Anzeichen von Stress zeigen. Ein Zusam-menhang zum Temperamentsmerkmal »proneness to distress«(NBAS) zeigte sich in ihrer Studie nur zu der Temperaments- nichtaber zur Bindungsdimension.

Belsky und Rovine (1987) übernahmen die Einteilung von Frodiund Thompson und fanden einen Zusammenhang der Bindungs-klassifikationen zu Mutter und Vater nur bei der Gegenüberstellungvon A1-B 2 vs. B 3-C 2, nicht aber beim traditionellen A-B-C-System.Außerdem fanden sie ebenfalls Korrelate der Temperaments-dimension von Bindung mit Neugeborenenwerten (z. B. Wachheit,Responsivität) und der Beurteilung der Schwierigkeit des Kindesper Fragebogen im Alter von drei Monaten. Mütter von Kindern, dieA1- B 2 klassifiziert wurden, beschrieben ihre Babys als wenigerschwierig als Mütter von B 3-C 2-Kindern. Die Daten, besonders dieÜbereinstimmung des Bindungstyps von Kind-Mutter und Kind-Vater werden dahingehend interpretiert, daß sich das frühkindlicheTemperament nicht auf die Bindungssicherheit selbst auswirkt,sondern auf die Art und Weise, wie Sicherheit oder Unsicherheitausgedrückt wird.

Susman-Stillman und ihre Mitarbeiter untersuchten 212 Ver-suchspersonen einer Hochrisikostichprobe, indem sie nach derGeburt die Säuglingsschwester die Irritierbarkeit und Soziabilitäteins jeden Kindes einschätzen ließen. Außerdem wurde das Tem-perament der Kinder im Alter von drei und sechs Monaten von denEltern per ITQ (Carey, 1970) und durch Beobachtung einer Fütter-situation mit der Mutter erhoben. Im Alter von drei Monaten ergabsich ein Interaktionseffekt zwischen der ebenfalls durch Beobach-tung erhobenen mütterlichen Sensitivität und der Irritierbarkeit(aggregierte Daten) des Kindes, d. h., daß die Sensitivität der Mutterdie Wahrscheinlichkeit einer sicheren Bindung nur für solcheKinder erhöhte, die wenig irritierbar waren. Für den Sechsmonats-zeitpunkt zeigte sich, daß die Sensitivität der Mutter mit der Bin-dungssicherheit korrelierte und außerdem als Mediator für den

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Zusammenhang zwischen Irritierbarkeit und Bindung fungierte.Die Effekte der Irritierbarkeit auf die Bindungssicherheit scheinendaher indirekt zu sein und über die Beeinflussung der mütterlichenSensitivität wirksam zu werden. Die Irritierbarkeit (mit sechsMonaten) allein sagte die Zugehörigkeit zu den Subgruppen A1-B 3vs. B 4-C 2 voraus (Susman-Stilman, Kalkose, Egeland & Wald-mann, 1996).

Eine weitere Problematik in bezug auf die Konstruktoperationa-lisierungen stellt nach Mebert (1991) die Erfassung des Tempera-ments durch das Elternurteil dar (vgl. Kap. 1.3.4.3.). Die Autorinproblematisierte die empirisch oftmals belegte gemeinsame Varia-tion elterlicher Urteile zum kindlichen Temperament mit elter-lichen (bereits in der Pränatalzeit bestehenden) Erwartungen andas Kind. Empirische Korrelationen zwischen Bindungssicherheit,elterlichem Interaktionsverhalten und Temperament könnten, soMebert (1991), auf den subjektiven Komponenten in den Eltern-urteilen beruhen, da Eltern die Sichtweise ihres Kindes abhängigvon eigenen Beziehungserfahrungen und internen Arbeitsmodellenentwickeln.

Die meisten einschlägigen Arbeiten belegten jedoch keine Asso-ziation zwischen Elternfragebogen und der Unterscheidung siche-ren vs. unsicheren Bindungsverhaltens im FST (Bates, Maslin &Frankel, 1985; Mangelsdorf & Frosch, 2000; Nichd, 1997; Vaughn,Lefever, Seifer & Barglow, 1989; vgl. auch Spangler, 1995). Dem-gegenüber fanden sich zwischen der Bindungsdimension des Q-Sort-Verfahrens von Waters und Deane (1985) und den Eltern-berichten über »schwierige« Temperamentsmerkmale des Kindesoftmals deutliche Korrelationen.

Vaughn et al. (1992) beispielsweise zeigten im Rahmen einerSekundäranalyse eine substantielle Kovariation zwischen Q-Sort-Bindungssicherheit und »schwierigen Temperamentsmerkmalen«.Die Autoren erhoben an sechs verschiedenen Stichproben dieBindungssicherheit im Alter von 12 bis 45 Monaten per Attach-ment-Q-Sort (Waters & Deane, 1985) und das Temperament derKinder mit fünf bis 42 Monaten mit Hilfe verschiedener Frage-bogenverfahren (ITQ-R, Carey et al., 1978; TTS, Fullard et al.,1977; ICQ, Bates et al., 1979; CBQ, Rothbart, 1987, zit. nach Vaughn

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et al., 1992). Q-Sort-Sicherheit korrelierte negativ mit dem Tempe-raments-merkmal »negative Reaktivität«, wenn beide Instrumentevon der Mutter bearbeitet wurden (nicht bei Beobachter-Q-Sort)(Vaughn et al., 1992).

Damit besteht aber die Möglichkeit, daß sich der Zusammen-hang durch die gemeinsame Methodik der Elternbefragung, dasheißt durch den Einfluß der subjektiven Sichtweise der Elternerklärt. Aus einer Studie von Seifer und seiner Arbeitsgruppe gehtjedoch hervor, daß ein Zusammenhang auch dann besteht, wenndie Q-Sorts von Beobachtern bearbeitet werden (Seifer, Schiller,Sameroff, Resnick & Riordan, 1996). Bei je acht dreistündigenHausbesuchen im Alter von sechs, neun und 12 Monaten wurdeunter anderem das Temperament (Stimmung, Annäherung,Aktivität, Intensität, Schwierigkeit) der Kinder per Beobachtung(Temperament Adjective Triad Assessment von Seifer et al., 1994)und per Elternurteil (ITQ-R von Carey et al., 1978; ICQ von Bateset al., 1979; IBQ von Rothbart, 1981; EAS von Buss & Plomin, 1984)eingeschätzt. Beobachtetes Temperament, genauer Stimmung undSchwierigkeit mit sechs und neun Monaten waren mit der Sicher-heitsdimension des Beobachter-Q-Sort korreliert, d. h. wenigerSchwierigkeit war mit höherer Sicherheit verbunden. SämtlicheSkalen der Temperamentsbeurteilung per Fragebogen im Alter von12 Monaten waren mit Q-Sort-Sicherheit korreliert, mit sechs undneun Monaten waren es nur einzelne Skalen (Distress to limits,Emotion). Hierbei klärten das beobachtete Temperament und dasaus der Elternbefragung unterschiedliche Varianzanteile auf, d. h.,nach Auspartialisierung des jeweils anderen, blieb eine Korrelati-on von Temperament und Q-Sort-Sicherheit bestehen. Zur Beur-teilung der Befunde sind weitere Untersuchungen notwendig, indenen die Frage geklärt wird, ob die Assoziationen durch diegemeinsame Methode, die gemeinsame Beurteilung von Verhaltendes Kindes in der häuslichen Umgebung oder durch weitere Ein-flußfaktoren zustande kommen.

Es kann hier jedoch zusammenfassend festgehalten werden, daßauf der Ebene der operationalisierten Konstrukte zwischen Tem-perament und Bindungssicherheit Überschneidungen bestehen(vgl. Sroufe, 1985). Ob aber auch auf der Ebene der theoretischen

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Konstrukte Verbindungen anzunehmen sind, ist eine kontroversdiskutierte Frage. Von einigen Autoren wird eine theoretischeÜberschneidung des frühkindlichen Temperamentes und der Bin-dungssicherheit ausgeschlossen.

So vertritt beispielsweise Sroufe (1985) die Ansicht, daß dieKonzepte »Bindungssicherheit« und »Temperament« unterschied-lichen, nicht kompatiblen Domänen angehören. Andere halten Ver-bindungen zwischen den Konstrukten für durchaus wahrschein-lich. Potentielle Verknüpfungen werden zum einen in der Möglich-keit gesehen, daß elterliches Verhalten (einschließlich der Respon-sivität/Feinfühligkeit) durch frühkindliche Temperamentsmerk-male, insbesondere durch ein schwieriges Temperament des Säug-lings, beeinflußt wird (vgl. Mangelsdorf & Frosch, 2000; Seifer &Schiller, 1995; Stansbury, 1999).

Wie bereits erwähnt, ging schon Bowlby von der Beeinflussungdes mütterlichen Verhaltens durch Verhaltenscharakteristiken desKindes aus (vgl. Kap. 1.3.4.; Bowlby, 1969, 1975). Auch in demModell zur Vorhersage elterlichen Verhaltens von Belsky (1984),das im Zusammenhang mit dem Problem der Kindesmißhandlungentstanden ist, wird die multiple Determiniertheit elterlichen Ver-haltens betont. Neben Merkmalen der Eltern (Persönlichkeit, Ehe-zufriedenheit) und des sozialen Kontextes (Beruf, soziale Unter-stützung) spielen demnach als Prädiktoren des elterlichen Ver-haltens auch Charakteristiken des Kindes eine Rolle. Einflüssekindlicher Merkmale auf elterliches Interaktionsverhalten wurdenin verschiedenen Studien nachgewiesen, die nachfolgend darge-stellt werden sollen.

Crockenberg und Mc Cluskey (1986) erhoben in ihrer Studiezum Verlauf des mütterlichen Verhaltens im ersten Lebensjahrzunächst während der Schwangerschaft die Einstellung und Erwar-tung von Müttern in bezug auf ihre Kinder. Im Kindesalter von dreiMonaten wurde die Irritierbarkeit der Neugeborenen mittels NBASerfaßt, die Responsivität der Mutter auf Streßsignale des Kindesund die soziale Unterstützung. Die Fremde Situation wurde mitzwölf Monaten durchgeführt und dabei auch die Sensitivität derMutter während der Wiedervereinigungsepisoden beurteilt. Esergab sich, daß Mütter von irritierbaren Kindern mit zwölf Mona-

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ten weniger sensitiv waren als mit drei Monaten. Am wenigstensensitiv waren Mütter, die schon vor der Geburt eine unresponsiveEinstellung gezeigt hatten und dazu noch irritierbare Kinder hat-ten. Prenatale Responsivität und empfundene soziale Unterstützungsagte nur bei Müttern von irritierbaren Kindern deren Sensitivitätmit 12 Monaten voraus (Crockenberg & Mc Cluskey, 1986).

In ihrer Längsschnittstudie untersuchten Feldman und ihreArbeitsgruppe die Veränderung der mütterlichen Sensitivität, dermütterlichen Persönlichkeitsmerkmale und der negativen Emotio-nalität des Kindes vom dritten bis zum neunten Lebensmonat desKindes. Anhand einiger hierarchischer Regressionen zeigte sich,daß eine Abnahme an mütterlicher Ängstlichkeit und negativerEmotionalität des Kindes (ICQ-Skala »fussy-difficult«) einen Anstiegder Sensitivität der Mutter (Verhaltensbeobachtung) von drei nachneun Monaten vorhersagte. Dies galt ungeachtet der anfänglichenAusprägung der Variablen. Zusätzlich konnte durch eine Vermin-derung der negativen Emotionalität und eine Zunahme des väter-lichen Engagements in bezug auf das Kind eine Reduktion der müt-terlichen Intrusivität im Spiel vorhergesagt werden (Feldman,Greenbaum, Mayes & Ehrlich, 1997).

Van den Boom und Hoeksma (1994) untersuchten Extremgrup-pen gering und hoch irritierbarer Neugeborener (per NBAS vonBrazelton). Gezeigt werden konnte, daß die Mütter der irritier-baren Säuglinge ein bis vier und fünf bis sechs Monate später weni-ger stimulierten, weniger involviert waren und sich weniger fein-fühlig in der Interaktion mit dem Säugling verhielten. In einersorgfältig kontrollierten Interventionsstudie zeigte van den Boom(1994) weiterhin, daß die hoch irritierbaren Säuglinge mit hoherWahrscheinlichkeit eine unsichere Bindung entwickelten. Erfolgtebei diesen Säuglingen aber eine Intervention, durch die die müt-terliche Feinfühligkeit verbessert wurde, so zeigten die Säuglingeim Alter von neun Monaten mehr positives Verhalten, eine größereexplorative Kompetenz und am Ende des ersten Lebensjahreswaren sie deutlich öfter sicher gebunden als die Kinder in den Kon-trollgruppen, in denen keine Intervention erfolgt war.

In dieser Studie fanden sich somit recht klare Belege dafür, daßzumindest im untersuchten Extrembereich des Temperaments-

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merkmals negative Reaktivität/Irritierbarkeit das mütterliche Ver-halten durch das kindliche Verhalten beeinflusst wird, und daß dasmütterliche Verhalten die Bindungssicherheit des Kindes beein-flußt.

Van den Boom (1994) und Steele et al. (1996) gehen davon aus,daß Säuglinge, die problematische Temperamentsmerkmale zeigen,später öfter unsicher gebunden sind, weil die mütterliche Inter-aktionskompetenz durch das problematische Verhalten des Säug-lings negativ beeinflußt wird (Steele; Steele & Fonagy, 1996).Säuglinge, die aufgrund hoher Irritierbarkeit viel schreien undschwer beruhigbar sind, machen van den Boom (1994) zufolge inder Interaktion mit der Bezugsperson weniger Kontingenzer-fahrungen. Denn die Bezugspersonen reagieren auf diese Kinderseltener und weniger adäquat, also weniger responsiv, was sichauf die Entwicklung des internen Arbeitsmodells über die anderenauswirke (van den Boom, 1994).

Eine weitere mögliche Verknüpfung zwischen den KonstruktenTemperament und Bindungssicherheit könnte über die Beziehungim Bereich der Entwicklung der Selbstregulationskompetenz ver-mittelt sein. Sowohl die Entwicklung der Bindungssicherheit alsauch die Entwicklung der Selbstregulationsfähigkeit, die als Tem-peramentskomponente verstanden wird, werden durch feinfühligesVerhalten der Bezugsperson positiv beeinflußt. Beide Merkmale –Bindungssicherheit und Temperament – entwickeln sich wahr-scheinlich abhängig von der Qualität der Bezugsperson-Säugling-Interaktion (vgl. Vaughn et al., 1992; Seifer et al., 1996; Fox,Kimmerley & Schafer, 1991).

Nach Brazelton und Cramer (1991) ist das erste Ziel derMutter-Kind-Interaktion die Erregungsregulation. Die Sensitivitätder Mutter spielt bei der Unterstützung der Selbstregulation einesSäuglings eine wesentliche Rolle. Dem »optimal-stimulation-model«von Fogel (1982) zufolge ist es die Aufgabe der Mutter, für eineoptimale Stimulation des Kindes zu sorgen. Eine Über- oder Unter-stimulation durch die Bezugsperson führt zu einem Rückzug desSäuglings aus der Interaktion. Das Ausmaß der optimalen Stimu-lation hänge von Charakteristiken des Kindes, wie z. B. Stimu-lationstoleranz, internes Erregnungsniveau, Selbstkontrollmecha-

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nismen ab. Die Selbstregulation wird auch als Temperaments-merkmal angesehen, hinsichtlich dessen sich Säuglinge von Geburtan unterscheiden und dessen Ausprägung durch die Interaktionmit der Bezugsperson beeinflußt wird (vgl. Kap. 1.3.4.2.).

Die Toleranz hoher Erregungsniveaus, die es dem Kind erlaubenin der Interaktion zu bleiben, kann nur gelingen, wenn die Bezugs-person sensibel den Erregungsausdruck des Kindes managt. Durchden zunehmenden Aufbau einer affektiven Toleranz beim Kindwird es nicht mehr von hoher Erregung überwältigt, sondern hatdurch das Zusammenspiel mit der Mutter Selbstkontrollfähigkeitund Sicherheit erlernt (Fogel, 1982).

Die Arbeitsgruppe um Tronick (1988) beschrieb anhand ihres»Mutual Regulation Models« die Interaktion von Mutter und Säug-ling, deren Ziel die wechselseitige Regulation oder Reziprozität ist(vgl. Kap.1.3.2.2.). Das interaktive Verhalten besteht laut Autoren inder Säuglingszeit primär aus affektivem Ausdruck, bei dem dasKind eine aktive Rolle inne hat. Der Affekt des Kindes hat dabeiSignalfunktion für die Bezugsperson, z. B. beinhaltet ein positiverAffekt die positive Bewertung der aktuellen Interaktion, und damiteine Aufforderung mit der Stimulation fortzufahren. Die Regulationder Interaktion durch affektive Signale funktioniert jedoch nur miteiner sensitiven Mutter. Diese Mutter braucht jedoch nicht per-fekt zu sein, denn gewisse Störungen in der Interaktion werdenals durchaus normal angesehen und verhelfen dem Kind zur Ver-besserung seiner selbstregulatorischen Fähigkeiten, erst die chro-nische Störung zieht nachteilige Folgen nach sich. Die Autorengehen davon aus, daß das Kind von Anfang an die Möglichkeit zurRegulation seiner affektiven Reaktionen hat. Das interaktive Reper-toire des Kindes erleichtert die Selbstregulation des emotionalenZustandes während der Interaktion über seine Signalfunktion unddie Regulation durch die Mutter (Gianino & Tronick, 1988).

Im Verhalten des Kindes unter Streß (Unsicherheit durch dieTrennungssituation im FST), also bei einem Anstieg der Erregungund einer Aktivierung des Bindungssystems, ist ablesbar, wie gutdie Regulation gelingt. Das Gelingen dieser Selbstregulation könne,so Kuhl und Völker (1998), als Indikator einer sicheren Bindungverwendet werden.

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Als physiologisches Maß für die Streßreaktion wird in psycho-endokrinologischen Untersuchungen größtenteils der Cortisol-gehalt im Speichel verwendet. Cortisol wird vom Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindensystem (HHN-System) ausgeschüttetund hängt, im Gegensatz zu einer Stressreaktion, die aus vermehr-ter Wachsamkeit etc. besteht, mit emotional negativen Aspektenwie Hoffnungslosigkeit, Kontrollverlust und Angst zusammen(Stansbury & Gunnar, 1994; Stansbury, 1999). Cortisol ist erhöhtbei erlebter Bedrohung durch Mangel an Verfügbarkeit vonCopingstrategien (Spangler & Grossmann, 1993). Stansbury (1999)bezeichnet das Cortisol als Copinghormon. In diesem Sinne kann esals physiologisches Korrelat der selbstregulatorischen Fähigkeiteneines Kindes verstanden werden.

Unter dieser Prämisse untersuchten Spangler und Grossmann(1993) die Cortisolsekretion von Kindern im Rahmen des FSTs mitdem Ergebnis, daß die als unsicher klassifizierten Kinder gegen-über den als sicher klassifizierten mit einer höheren Cortisol-sekretion reagierten. Der Unterschied beruhte auf den unsicher-vermeidenden und desorganisierten Kindern, die Gruppe der ambi-valenten bestand nur aus einer Versuchsperson. Die betroffenenKinder zeigten demnach eine mangelnde Verhaltensregulations-kompetenz, ihnen gelang die Bewältigung der durch den FST aus-gelösten Unsicherheit weniger gut (Spangler & Grossmann, 1993).Dieser Befund blieb jedoch nicht unwidersprochen, denn Herts-gaard und Kollegen fanden in ihrer Replikation der Studie vonSpangler und Grossmann (1993) keine Differenz der Cortisolreak-tivität von sicher und unsicher (vermeidend oder ambivalent)gebundenen Kindern, lediglich desorganisierte und nicht des-organisierte Kinder unterschieden sich signifikant (Hertsgaard,Gunnar, Erickson & Nachmias, 1995).

Auch in den Studien von Gunnar et al. (1996) und Nachmias etal. (1996) ergaben sich keine Unterschiede in der HHN-Reaktivitätzwischen sicher und unsicher (vermeidend und ambivalent) gebun-denen Kindern in unterschiedlichen Belastungssituationen (u.a.auch im FST). In diesen Studien zeigte sich ein Interaktionseffekt,in dem Sinne, daß hoch ängstlich-verhaltensgehemmte Kinderinsbesondere dann, wenn eine unsichere Bindung an die beglei-

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tende Bezugsperson bestand, deutlich höhere Cortisolreaktionenaufwiesen (Gunnar, Brodersen, Nachmias, Buss & Rigatuso, 1996;Nachmias, Gunnar, Mangelsdorf, Parritz & Buss, 1996).

Die Widersprüchlichkeit der Ergebnisse kann, außer auf metho-dologische Aspekte, wie z. B. Zeitpunkt der Cortisolbestimmung(Spangler & Schieche, 1998), zum einen darauf zurückgehen, daßsich lediglich die unsicher-ambivalent gebundenen, nicht aber dievermeidenden Kinder hinsichtlich der Streßreaktion von den sichergebundenen unterscheiden. Diese Hypothese wird von Spanglerund Schieche (1998) unterstützt, die in einer weiteren Studie einehöhere Cortisolreaktion ambivalent gebundener Kinder im Ver-gleich zu sicher gebundenen Kindern feststellten. Die vormalsgezeigte signifikante Differenz zwischen vermeidenden und sichergebundenen Kindern (auch nicht zwischen desorganisierten undnicht desorganisierten Kindern) wurde nicht repliziert. Das Bin-dungsverhalten von unsicher-ambivalenten Kindern kann, lautAutoren, nicht als effektiv bezeichnet werden, weil es die physiolo-gische Stressreaktionen nicht beendet, während das bei A-Kindernschon der Fall zu sein scheint (Spangler & Schieche, 1998).

Allein in dieser Studie wurde eine hinreichend große Gruppeambivalent gebundener Kinder einbezogen, in allen anderen Unter-suchungen ist die Zahl unsicher-ambivalent gebundener Kinder zuklein, als daß man sie als spezifische Gruppe behandeln und weiteranalysieren könnte (vgl. Hertsgaard et al., 1995; Spangler &Grossmann, 1993).

Problematisch ist, daß in den meisten Studien die Desorganisa-tion nicht erhoben und somit nicht kontrolliert wurde, was die Be-urteilung der Studien aufgrund der möglichen Konfundierung vonBindungssicherheit und Desorganisation erschwert.

Als durchgängiger, gesicherter Befund kann angesehen werden,daß sicher gebundene Kinder in keinem Fall eine signifikante Er-höhung des Cortisolgehalts unter Streßbedingungen zeigten undsomit vergleichsweise gute verhaltensregulatorische Fähigkeitenaufzuweisen scheinen. Alle darüber hinausgehenden Aussagen, diemöglicherweise einzelne Untergruppen betreffen, sind auf derGrundlage des gegenwärtigen Wissensstands nicht formulierbarund benötigen weitere Forschungsaktivität.

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Abschließend seien einige Forschungsergebnisse genannt, diefür den Einfluß kindlicher Temperamentsmerkmale auf die Bin-dungsentwicklung sprechen. Manche Forscher argumentierten,daß es eine Übereinstimmung des Bindungstyps an Mutter undVater geben müßte, wenn Temperamentsmerkmale eine bedeut-same Rolle bei der Entwicklung von Bindungssicherheit spielensollte (Belsky&Rovine, 1987; Fox, Kimmerly, Schafer, 1991; Sroufe,1985; Steele; Steele & Fonagy, 1996).

Die Arbeitsgruppen um Fox und Steele fanden signifikanteÜbereinstimmungen zwischen der auf die Mutter und der auf denVater bezogenen kindlichen Bindungssicherheit im FST, wodurchihrer Meinung nach Einflüsse kindlicher Merkmale (z.B. von Tempe-ramentsmerkmalen) auf die Bindungsentwicklung in den Bereichdes Möglichen gerückt sind (Fox et al., 1991; Steele et al., 1996).

In ihrer Metaanalyse, an der 11 Studien beteiligt waren, konntenFox und seine Mitarbeiter zeigen, daß es eine Übereinstimmungzwischen der Bindung an Mutter und Vater hinsichtlich Bindungs-sicherheit vs. Unsicherheit (B vs. non-B), dem Typ der Bindungs-sicherheit (A vs. C) und außerdem hinsichtlich der Untergruppender sicheren Bindung (B 1, B 2 vs. B 3, B 4) gab.

Die Vorhersage des Bindungstyps des Kindes durch den Bin-dungstyp von Mutter und Vater, erhoben per Adult AttachmentInterview (AAI von George et al., 1985, zit. nach Steele et al., 1996)gelang dem Team von Steele. Weiterhin stellten sie einen signifi-kanten Zusammenhang zwischen der Bindung des Kindes an dieMutter und den Vater fest.

Im folgenden Kapitel soll nun die Assoziation zwischen früh-kindlichen Temperamentsmerkmalen und desorganisiertem Ver-halten, die durch die Ergebnisse der psychoendokrinologischenStudien bereits angedeutet wurde, weiter ausgeführt werden.

1.3.4.5. Temperament und Desorganisation

Zu dem Thema frühkindliches Temperament und Desorganisa-tion gibt es weit weniger Untersuchungen als zur Bindungssicher-heit. Auch wenn die Entwicklungsbedingungen desorganisiertenVerhaltens auf wissenschaftliches Interesse gestoßen sind, wurden

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meist ausschließlich potentielle Prädiktoren untersucht, die aufSeiten der Bezugsperson liegen (vgl. Kap. 1.2.4.).

Die umfassendste Studie zu dem Thema Temperament undDesorganisation stellt die Metaanalyse der Arbeitsgruppe um vanIjzendoorn (1999) dar. Sie beinhaltet neun Studien, in denen früh-kindliches Temperament (meist Schwierigkeit des Kindes) undDesorganisation zueinander in Beziehung gesetzt worden waren.Für den Zusammenhang der beiden Variablen wird eine Effekt-stärke von r = .02 (N = 1790) angegeben. Zur Beurteilung diesesErgebnisses ist es jedoch notwendig, sich die erwähnten Studiengenauer zu betrachten und vor allem die verwendeten Methodenkritisch zu berücksichtigen (van Ijzendoorn, Schuengel & Baker-mans-Kranenberg, 1999).

Studien, die Merkmale des frühkindlichen Temperaments perFragebogen erfaßten, fanden größtenteils keinen Zusammenhangzwischen kindlichen Merkmalen und der Desorganisation bzw.Bindungssicherheit. In einer Untersuchung wurden gleich mehrereTemperamentsfragebogen (ITQ-R, Carey, 1978; ICQ, Bates et al.,1979; IBQ, Rothbart, 1981; EAS, Buss & Plomin, 1984) eingesetztund mit Bindungssicherheit bzw. Desorganisation, erhoben mit FSTund Q-Sort, in Beziehung gesetzt (Seifer, Schiller, Sameroff,1996). Während zum Zeitpunkt von sechs und neun Monaten ein-zelne Skalen und im Alter von zwölf Monaten alle Skalen der Frage-bogen mit der Dimension Q-Sort-Sicherheit korrelierten, zeigtesich kein Zusammenhang zur Bindungssicherheit nach dem FST.Bezüglich der Desorganisation gab es keine Korrelation zu denTemperamentsmaßen, wobei anzumerken ist, daß es sich bei denals desorganisiert klassifizierten um nur drei Versuchspersonenhandelt und die durchgeführten Rechenoperationen zudem nichttransparent dargestellt sind.

Bei Shaw und seinen Mitarbeitern ergab sich ebenfalls keineKorrelation zwischen dem per »Infant Characteristics Questionnaire«(ICQ; Bates et al., 1979) erhobenen Temperamentsmerkmal Schwie-rigkeit und der Desorganisation erfaßt per FST mit 12 und 18 Mona-ten, wohl aber zwischen dem Temperament und den Aggressions-und Externalisierungswerten im Alter von fünf Jahren (Shaw,Owens, Vondra, Keenan & Winslow, 1996).

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Die große Nichd-Early-Child-Care-Research-Network-Studie(Nichd, 1997) ließ die Mütter ihrer 1153 Versuchspersonen großenStichprobe im Kindesalter von sechs Monaten das Temperament(Schwierigkeit) ihrer Kinder mit Hilfe des »Infant TemperamentQuestionnaire« (ITQ-R; Carey, 1978) beurteilen. Als Prädiktor der,mit 15 Monaten per FST erfaßten Bindungssicherheit, erwies sichdas erhobene Temperament unbrauchbar. Hierbei war die Gruppeder sicher gebundenen mit der Gesamtheit der unsicher gebunde-nen Kinder (A, C, D) verglichen worden. Da jedoch die als desor-ganisiert eingestuften Kinder nicht mit den nicht desorganisiertenverglichen wurden, sind Bindungssicherheit und Desorganisationkonfundiert, weshalb keine Aussage über die Desorganisationgemacht werden kann.

In ihrer prospektiven Längsschnittstudie zur Desorganisationerhob Carlson (1998) Temperamentsmerkmale wie Anpassungs-fähigkeit und Intensität der Reaktionen unter anderem mit demITQ-R (Carey, 1978). Es ergaben sich jedoch keine Zusammen-hänge zwischen dem auf diese Weise operationalisierten Tempe-rament und der Desorganisation.

Spieker und Booth (1988) fanden je nach Bindung der Kinderunterschiedliche Einschätzungen des kindlichen Temperamentes(per ITQ; Carey et al, 1978) durch die Mütter im Kindesalter vondrei Monaten. Im Unterschied zu den Müttern der anderen Kindergab die Mehrheit der Mütter desorganisierter Kinder (13 von 16) an,ihr Kind sei »schwierig«, »langsam auftauend« oder »mittel-schwie-rig«. Die Autoren verstehen die Daten als subjektive Einschätzungkindlicher Parameter durch ihre Mütter, die eher eine Aussageüber die Mutter als über das Kind erlauben.

Dies trägt der bereits dargelegten Einschätzung Rechnung, daßFragebogen zur Erfassung des frühkindlichen Temperamentesnicht als adäquate Methode anzusehen sind (vgl. Kap. 1.3.4.3.).

Weniger eindeutig wird die Befundlage zum Zusammenhangvon Temperament und Desorganisation, wenn Merkmale der früh-kindlichen Verhaltensdisposition mit anderen Methoden als demElternurteil erfaßt werden.

Carlson (1998) führte zusätzlich zur Fragebogenerhebung denNBAS bei Neugeborenen durch (7. und 10. Tag), wobei anhand der

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27 Verhaltensitems ein Wert für das allgemeine Funktionsniveaudes Kindes gebildet wurde. Im Kindesalter von drei Monaten wurdeaußerdem das soziale Verhalten des Kindes während einer Fütter-situation beurteilt. Keines der Maße wies jedoch einen korrelativenZusammenhang zur Desorganisation im Alter von 12 und 18 Mona-ten auf.

Spangler und Kollegen (1996) unterzogen die Daten ihrerRegensburger und Bielefelder Stichproben einer Reanalyse um Zu-sammenhänge der erfaßten Variablen zur Desorganisation mitzwölf Monaten zu untersuchen. Im Lebensalter von sechs bis achtTagen war bei den 88 Neugeborenen die Orientierung gegenüberexternen Reizen (Aufmerksamkeit und Reaktivität) und die Emo-tionsregulation (Selbstregulation, Erregbarkeit) mit der »BrazeltonNeonatal Behavioral Assassment Scale« (NBAS; Brazelton, 1984)erhoben worden. Verglichen mit nicht desorganisierten waren diedesorganisierten Kinder als Neugeborene schlechtere Orientierergewesen und hatten außerdem weniger selbstregulatorisches Ver-halten gezeigt.

Da sich bezüglich der anderen Variablen, besonders der müt-terlichen Sensitivität lediglich eine Korrelation mit der Bindungs-sicherheit, nicht aber der Desorganisation zeigte, interpretiertendie Autoren die Daten dahingehend, daß es sich um zwei verschie-dene Dimensionen handele. Die Konzepte Bindungssicherheit undDesorganisation seien voneinander unabhängig, wobei erstere denBeziehungsaspekt der Bindung repräsentiere und letztere eher dasVerhaltensregulationsvermögen des Kindes widerspiegele (Spang-ler, Fremmer-Bombik & Grossmann, 1996).

Im Sinne dieser Interpretation sind auch Studien zu sehen, diezeigten, daß desorganisierte Kinder sich hinsichtlich ihrer phy-siologischen Stressreaktionen während und nach der FremdenSituation von Kindern mit organisierten Bindungsmustern unter-schieden. Bei diesen Untersuchungen wurde der Cortisolgehaltim Speichel gemessen, der mit der mangelnden Verfügbarkeitvon Copingstrategien in Verbindung gebracht wird (Spangler &Grossmann, 1993; vgl. Kap. 1.3.4.4.).

Spangler und Mitarbeiter fanden 15 und 30 Min. nach dem FSTbei (unsicher-vermeidenden und) desorganisierten erhöhte Corti-

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solwerte im Vergleich zu den sicher gebundenen Kindern (Spang-ler & Grossmann, 1993), was darauf schließen läßt, daß bei desor-ganisierten Kindern eine stärkere Alarmreaktion ausgelöst wird.Main und Hesse (1990) interpretieren diese verstärkte Streßreak-tion als Ergebnis des Konfliktes zwischen Annäherung und Rück-zug, dem das Kind bei der Wiedervereinigung mit der Mutter aus-gesetzt ist.

Dieses Ergebnis konnte in einer weiteren Studie teilweise repli-ziert werden. Es fand sich zwar kein relevanter Unterschied in derCortisolkonzentration zwischen den traditionellen Bindungs-mustern (sicher, vermeidend, ambivalent), desorganisierte Kinderjedoch hatten gegenüber allen anderen signifikant höhere Kon-zentrationen (Hertsgaard, Gunnar, Erickson & Nachmias, 1995).

An einer neuen Stichprobe von 106 Kindern und Müttern konn-ten Spangler und sein Mitarbeiter jedoch nur das Ergebnis repli-zieren, daß sicher gebundene Kinder in dem FST keinen Cortisol-anstieg zeigen. Eine Erhöhung des Cortisols fand er ansonsten nurbei unsicher-ambivalenten Kindern, weder bei vermeidenden nochbei desorganisierten ergaben sich signifikante Erhöhungen gegen-über den sicher gebundenen Kindern.

Als mögliche Ursache für die inkonsistenten Befunde nennendie Autoren selbst die unterschiedliche Zusammensetzung derStichproben und damit verbunden die unterschiedlichen Vertei-lungen der Zweitklassifikationen. Anders als in den vorhergehen-den Studien erhielten die meisten desorganisierten Kinder in derletztgenannten Studie eine sichere Bindung als zweite Klassifika-tion (Spangler & Schieche, 1998).

Die von Spangler et al. (1998) für die Erklärung ihrer Ergeb-nisse herangezogene unterschiedliche Betrachtung desorgani-sierter Kinder mit zugrundeliegender sicherer und solche mitunsicherer Bindungsstrategie (zweite Klassifikation) wurde auch inder Forschung an Familien mit hohem psychosozialem Risiko alswichtig erachtet (z. B. Lyons-Ruth, Conell, Grunebaum & Botein,1990).

In einer Studie zeigten Lyons-Ruth und Kollegen, daß die Stabi-lität der Klassifikation von 12 nach 18 Monaten von desorganisier-ten Kindern bei denen, die als zweite Klassifikation eine unsichere

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Bindungsstrategie hatten, viel größer war als bei den sicher gebun-denen desorganisierten Kindern (Lyons-Ruth, Repacholi, McLeod& Silva, 1991). Von letzteren (desorganisiert-sicher) war mit 18Monaten kein Kind mehr in derselben Gruppe. Die beiden Sub-gruppen unterschieden sich außerdem in den Bedingungsfaktoren:Der Verlust eines Elternteils vor dem 16. Lebensjahr der Mutterhing mit der Desorganisation des Kindes nur bei desorganisiert-sicheren Kindern zusammen, während sich ein Zusammenhangzur psychosozialen Risikobelastung nur bei desorganisiert-unsicherGebundenen zeigte. Bezüglich des mütterlichen Interaktionsver-haltens konnten die Autoren feststellen, daß die Mütter von desor-ganisiert-sicheren Kindern eher weniger Involviertheit zeigten, dieMütter von desorganisiert-unsicheren dagegen ein Muster von star-ker Involviertheit und hoher feindseliger Intrusivität.

Für die Gesamtgruppe der desorganisierten Kinder läßt sichsagen, daß deren Mütter ein nichtoptimales Interaktionsverhaltenzeigten (Maße: Involviertheit, Intrusivität) und daß sie mit 18 Mona-ten einen niedrigeren MDI (Mental-Development-Index) aufwiesenals nicht desorganisierte Kinder (bei Kontrolle der Intelligenz derMutter). Besonders Kinder, bei denen sich eine, im Vergleich zurkörperlichen Entwicklung verzögerte geistige Entwicklung zeigte,waren häufiger unter den desorganisierten Kindern (79% mit 18Monaten) (Lyons-Ruth et al., 1991).

In der 96er Studie der Autorin zeigte sich, daß Gewalt oderMißbrauchserfahrungen der Mutter nicht per se mit unsichererBindung beim Kind zusammenhing, sondern statt dessen zwischenden Subgruppen unsicherer Bindung unterschied. Kinder von indiesem Sinne traumatisierten Müttern waren eher desorganisiert,während Kinder von Müttern ohne Trauma oder mit Vernachlässi-gung in der Kindheit eher vermeidend gebunden waren (Lyons-Ruth & Block, 1996).

Eine weitere mögliche Erklärung für die widersprüchlichenErgebnisse könnten komplexe Interaktionseffekte der Merkmaleder Bezugsperson-Kind-Interaktion und der Temperamentscha-rakteristiken sein. Dies wäre wahrscheinlich auf der Grundlageeines transaktionalen Entwicklungsmodells, bei dem biologischeund soziale Regulatoren des Verhaltens sich im Verlauf der Ent-

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wicklung wechselseitig beeinflussen (Fogel, 1982). Beispielsweisekönnte ein Säugling mit erhöhter Irritierbarkeit und geringerSelbstregulationsfähigkeit besonders vulnerabel für ungünstigeUmweltbedingungen sein (Belsky, 1997) und psychosozial belasteteEltern besonders wenig adäquat mit einem irriterbaren, im Emo-tionsausdruck oft negativen Säugling umzugehen vermögen(Papousek & Papousek, 1990).

Desorganisiertes Verhalten könnte dabei als Extremform gese-hen werden, bei dem ein irritierbares Kind, das zusätzlich eineaffektive Verunsicherung durch die Bezugsperson erfährt, gefährdetwäre, desorganisiertes Verhalten zu entwickeln. Die Möglichkeitsolcher Zusammenhänge wird zunehmend postuliert (Mangels-dorf & Frosch, 2000; Stansbury, 1999).

Die bereits erwähnte, von Spangler und Mitarbeitern postulierteUnabhängigkeit von Bindungssicherheit und Desorganisation istErgebnissen anderer Studien zufolge unwahrscheinlich, denn beigegebener Unabhängigkeit müßte das desorganisierte Verhaltens-muster (bei ausgewogener Stichprobenauswahl) gleich häufig mitunsicherer wie mit sicherer Bindung als Zweitklassifikation vor-kommen.

Van Ijzendoorn und seine Kollegen fanden jedoch in ihrer Meta-analyse in 80% der Fälle Kombinationen der Desorganisation mitunsicheren Bindungsmustern (D/C 46% und D/A 34%) und in nur14% sicher-desorganisierte Verhaltensmuster (D/B) (Van Ijzendo-orn et al., 1999). Die Gemeinsamkeit von Bindungssicherheit undDesorganisation scheint in der Abhängigkeit vom Verhalten derBezugsperson in der Beziehung zum Kind zu liegen.

Im Hinblick auf die Entstehung desorganisierten Verhaltenssind außerdem verschiedene Arten von Verknüpfungen von Merk-malen des Kindes und der Bezugsperson denkbar. Main und Hesse(1990) postulierten, daß das Auftreten von desorganisiertem Ver-halten bei Kindern mit geängstigtem oder angsteinflößendem Ver-halten von traumatisierten Müttern in Verbindung stehe. Spangleret al. (1996) erwähnen die Möglichkeit, daß traumatisierte Mütterihre Schwangerschaft als stressvoller erleben könnten als andereMütter und sich dieser vermehrte prenatale chronische Stress alserhöhte Irritierbarkeit bei den Neugeborenen auswirken könnte.

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Dies sei einer von mehreren möglichen Wegen zur Entstehung vondesorganisiertem Verhalten.

Eine andere mögliche Verknüpfung von elterlichen und kind-lichen Variablen legt die erhöhte Prozentzahl von desorganisiertenKindern nahe, die in Stichproben mit mißhandelten Kindern vor-kommen. Irritierbare Kinder, die viel negative Emotion zeigen, wiez. B. auch Frühgeborene, sind in Kombination mit psychisch labilenEltern einer erhöhten Gefahr der Mißhandlung durch die Elternausgesetzt (vgl. Belsky, Rosenberger & Crnic, 1995).

1.4 Fragestellungen

Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Entstehungsbedin-gungen von sicheren und unsicheren Bindungsmustern sowie des-organisiertem Verhalten zu erhellen.

1.4.1. Bindungssicherheit

Ausgehend von der Bindungstheorie wurde ausführlich dieBedeutung des Verhaltens der Bezugsperson gegenüber dem Säug-ling dargestellt. Es wurde deutlich gemacht, daß reaktive/sensitiveAntworten auf kindliches Verhalten essentiell für die Entwicklungder selbstregualtorischen Fähigkeiten des Kindes sind und daß dieMutter hier zunächst als »externe Regulatorin« der kindlichen Er-regung fungiert. Über die Variable »mütterliche Reaktivität/Sen-sitivität« hinaus, muß es jedoch noch andere, für die Entwicklungder Bindungssicherheit ausschlaggebende Faktoren geben, dennsie allein klärt nicht viel Varianz hinsichtlich Bindungssicherheit/-unsicherheit auf. Angenommen wurde, daß die gefühlsmäßigeAnnahme des Säuglings, die sich in den Affekten der Mutter imKontakt mit ihrem Säugling ausdrückt, ein solcher relevanter Fak-tor sei. Zusätzlich wurde die Echtheit des Verhaltens der Mutter,also ihre Authentizität gegenüber dem Baby als wichtig erachtet.Dies geschah vor dem Hintergrund der möglichen Folgen man-gelnder Echtheit für die selbstregulatorischen Fähigkeiten des Kin-

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des, denn sich widersprechende Botschaften der Bezugspersonkönnten zu Verwirrung/Unsicherheit beim Säugling führen. Alsweiterer Einflußfaktor auf die Entwicklung eines Säuglings wurdenPersönlichkeitsmerkmale der Bezugsperson, genauer die Depres-sionsneigung, in ihrer Auswirkung auf die Bindungsentwicklunguntersucht und es wurde der Frage nachgegangen, ob die Häufungunsicher gebundenener Kinder auf ein inadäquates Interaktions-verhalten depressiver Mütter zurückzuführen sind.

Weiter wurde argumentiert, daß neben Verhalten und Persön-lichkeitsmerkmalen der Bezugsperson auch Merkmale des Säug-lings für die Ausbildung einer sicheren vs. unsicheren Bindungentscheidend sind. Ein Temperamentsmerkmal, die negative Emo-tionalität/Irritierbarkeit, wurde aufgrund ihres Zusammenhangsmit der Selbstregulation des Kindes und wegen des möglichen Ein-flusses auf das mütterliche Interaktionsverhalten, als relevanterPrädiktor der Bindungssicherheit angesehen. Erörtert wurde zu-sätzlich das Problem der Erhebung von frühkindlichen Tempera-mentsmerkmalen und die Schwierigkeit der Interpretation vonFragebogendaten oder Daten, die in der Interaktion mit der Muttergewonnen wurden. Sie sind grundsätzlich anders zu bewerten alsDaten, die als Reaktion auf standardisierte Reize erfaßt wurden.

Es wird davon ausgegangen, daß die Bedeutung der Sensitivitätder Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes, wie im theoretischenTeil dargestellt, als gesichert gelten kann. Aus diesem Grund wirdbezüglich dieser Variable des mütterlichen Verhaltens keine Hypo-these formuliert. Gegenstand des Interesses ist vielmehr, welcheVerhaltens- bzw. Persönlichkeitsmerkmale der Mutter über ihreSensitivität/Feinfühligkeit hinaus einen Beitrag zur Entwicklungder Bindungssicherheit des Kindes leisten.

Problematisch ist, daß in früheren Studien die Desorganisationnicht erfaßt und somit nicht kontrolliert wurde, wodurch von einerKonfundierung der Bedingungsfaktoren ausgegangen werden muß.

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1.4.2. Desorganisation

Bedingungskonstellationen desorganisierten Verhaltens sindnoch weit weniger erforscht als dies bei der Bindungssicherheitder Fall ist. Im Hinblick auf die Entstehung von desorganisiertemVerhalten scheint die Reaktivität/Sensitivität der Mutter nicht imgleichen Maße wie bei der Bindungsentwicklung von Bedeutung zusein, aus diesem Grund wurde keine Hypothese bezüglich dieserVariable aufgestellt. Auf Seiten der Bezugsperson wird in Zusam-menhang mit der Entstehung von desorganisiertem Verhalten beimKind geängstigtes oder ängstigendes Verhalten und aggressiveDurchbrüche, wie z. B. Mißhandlung diskutiert. Diese Aspektebetreffen den mütterlichen Emotionsausdruck und die Echtheitihres Verhaltens. Mangelnde Echtheit der Mutter könnte durch diewidersprüchlichen Handlungsimpulse die Selbstregulation desuntergraben und evtl. in Verbindung mit einer Vulnerabilität desSäuglings zu desorganisiertem Verhalten führen. PsychischeErkrankungen der Bezugsperson sind wiederholt mit der Desorga-nisation beim Kind in Verbindung gebracht worden, aus diesemGrund wurde die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter in ihrermöglichen Rolle als Prädiktor von desorganisiertem Verhalten beimKind untersucht.

Auf Seiten des Säuglings scheint die negative Emotioanlität/Irri-tierbarkeit im Sinne einer möglicherweise verstärkten Vulnerabi-lität für Umwelteinflüsse mit Desorganisation asssoziert zu sein. Dadie Anzahl desorganisierter Kinder, wie in einer unausgelesenenStichprobe zu erwarten, klein sein wird, sind die Ergebnisse desVergleichs von desorganisierten und nicht desorganisierten Kin-dern nicht als repräsentativ zu betrachten. Die Analysen dienender Exploration im Hinblick auf die Entstehungsbedingungen vondesorganisiertem Verhalten.

Durch die Erhebung von Daten im Kindesalter von vier und achtMonaten soll zunächst überprüft werden, hinsichtlich welcherMerkmale von kindlichem und mütterlichem Verhalten und Per-sönlichkeit sich sicher und unsicher gebundene bzw. desorgani-sierte und nicht desorganisierte Kinder unterscheiden. Es solluntersucht werden, welche Variablen eine zuverlässige Vorhersage

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des kindlichen Verhaltens in der Fremden Situation mit 18 Mona-ten zulassen.

A Hypothesen zur Bindungssicherheit

1. Die Bindungssicherheit des Kindes läßt sich aus dem zeitlich vorausgehenden Emotionsausdruck der Mutter in der Bezugs-person-Kind-Interaktion vorhersagen.

2. Die Bindungssicherheit des Kindes läßt sich aus der zeitlich vorausgehenden Echtheit des Verhaltens der Mutter in der Bezugsperson-Kind-Interaktion vorhersagen.

3. Die Bindungssicherheit des Kindes läßt sich aus der zeitlich vorausgehenden Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter vor-hersagen.

4. Die Bindungssicherheit des Kindes läßt sich aus der zeitlich vorausgehenden negativen Emotionalität des Säuglings in derBezugsperson-Kind-Interaktion vorhersagen.

5. Die Bindungssicherheit des Kindes läßt sich aus der zeitlichvorausgehenden negativen Emotionalität des Säuglings imVerhaltenstest vorhersagen.

B Hypothesen zur Desorganisation

6. Das desorganisierte Verhalten des Kindes läßt sich aus dem zeitlich vorausgehenden Emotionsausdruck der Mutter in der Bezugsperson-Kind-Interaktion vorhersagen.

7. Das desorganisierte Verhalten des Kindes läßt sich aus derzeitlich vorausgehenden Echtheit des Verhaltens der Mutter inder Bezugsperson-Kind-Interaktion vorhersagen.

8. Das desorganisierte Verhalten des Kindes läßt sich aus derzeitlich vorausgehenden Depressivität/Ängstlichkeit derMutter vorhersagen.

9. Das desorganisierte Verhalten des Kindes läßt sich aus derzeitlich vorausgehenden negativen Emotionalität desSäuglings in der Bezugsperson-Kind-Interaktion vorhersagen.

10. Das desorganisierte Verhalten des Kindes läßt sich aus der zeitlich vorausgehenden negativen Emotionalität desSäuglings im Verhaltenstest vorhersagen.

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2. Methoden

2.1. Stichprobe

2.1.1. Stichprobenrekrutierung

Die der Arbeit zugrunde liegende Stichprobe setzt sich aus zweiVersuchspersonengruppen zusammen. Die Versuchspersonen der»Dissertationsstichprobe« wurden von Frau Dr. Dipl.-Psych. Mertes-acker im Rahmen ihrer Dissertation zwischen Juni 1996 und Fe-bruar 1997 rekrutiert. Die Erhebungen mit vier und acht Monatenwurden ebenfalls von ihr durchgeführt und die entsprechendenDaten bzw. Videobänder wurden der Autorin zur Verfügung gestellt(siehe Mertesacker, 2000).

Weitere Versuchspersonen konnten im Rahmen eines umfang-reichen DFG-geförderten Projektes zum Konstrukt des sogenannten»frühkindlichen Temperaments« (Pauli-Pott & Beckmann, 1998)gewonnen werden. Die Rekrutierung dieser »Projekstichprobe« er-streckte sich von Anfang Juli 1997 bis März 1998.

Alle Mütter waren nach der Geburt entweder im EvangelischenKrankenhaus oder im katholischen St. Joseph Krankenhaus inGießen um die Teilnahme an der Studie gebeten worden. Hierzuwar mit den Belegärzten der Entbindungsstationen eine Koopera-tion abgesprochen worden. Die in Frage kommenden Mütter wur-den zunächst über die Studie informiert und bei Interesse wurde fürca. drei Monate später (vor dem ersten Termin) ein Telefonkontaktvereinbart.

Bei den Müttern handelte es sich um Erstgebärende, die in festenPartnerschaften lebten und ausreichende Deutschkenntnissehatten. Die Säuglinge sollten mindestens ein Geburtsgewicht von2500 g aufweisen, also termingerecht zur Welt gekommen sein.Außerdem wurden eine Notfallsectio, eine Asphyxie, Mißbildun-gen, chronische Erkrankungen und Mehrlingsgeburten ausge-schlossen.

Insgesamt wurden 318 Mütter nach der Geburt aufgesucht. Fürdas Projekt wurden 223 Mütter im Krankenhaus angesprochen,

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wovon 83,7 % beim ersten Kontakt ihre vorläufige Zustimmung zurspäteren Kontaktaufnahme erteilten. Bei der Dissertationsstich-probe waren von 95 Müttern 82 (86,3%) zunächst zur Teilnahmebereit. Während des Telefonates ca. zwei Wochen vor Beginn des je-weiligen Untersuchungsintervalls wurde der Ablauf der Untersu-chung genauer erläutert und bei Zusage wurden Termine verein-bart. Den Müttern wurde gesagt, es handele sich um ein Projekt zurkindlichen Entwicklung im ersten Lebensjahr. Bei Absage wurdeneinige Daten zu den Eltern (z. B. Bildungsstand) und dem Kind (Ge-burtsgewicht etc.) erfragt um etwaige Selektionseffekte aufzu-decken. Insgesamt nahmen schließlich 101 Mutter-Kind-Paare ander Untersuchung teil, 37 der Dissertationsstichprobe (48,8% dertelefonisch befragten) und 64 (61,5%) der Projektstichprobe. Beider Dissertationsstichprobe nahmen zum zweiten Erhebungszeit-punkt noch 33 Versuchspersonen teil. Gründe für den Drop-outwaren Urlaub während des Untersuchungszeitraums in zwei Fäl-len, ein Krankenhausaufenthalt und Zeitmangel aufgrund einesPflegefalls in der Familie. Zum dritten Erhebungszeitpunkt im Kin-desalter von 18 Monaten fielen weitere sechs Versuchspersonenaus. Gründe waren diesmal Krankheit des Kindes in vier Fällen,Zeitmangel wegen Berufstätigkeit der Mutter bei zwei Familienund ein Wohnortwechsel. Alle Versuchspersonen der Disserta-tionsstichprobe, die am dritten Erhebungszeitpunkt (18 Monate)teilgenommen hatten, wurden in die Untersuchung aufgenommen(N = 27).

Zusätzlich wurden sukzessive sechs Versuchspersonen derProjektstichprobe hinzu genommen, so daß die Stichprobe schließ-lich aus 33 Versuchspersonen bestand. Da im Rahmen des Projek-tes mehrere Versuchsleiterinnen tätig waren, wurden die Pro-bandinnen ausgewählt, die von der Versuchsleiterin der Disser-tationsstichprobe, Frau Dr. Mertesacker, untersucht wordenwaren. Dies geschah, um die trotz der hohen Interraterreliabilitätvorhandene Fehlervarianz durch verschiedene Beurteilerinnen zuminimieren.

Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe,d. h. Dissertations- und Projektstichprobe zusammen. Die Beschrei-bung der Merkmale von absagenden und teilnehmenden Familien

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ist in tabellarischer Form im Anhang, Tabelle A 1 dargestellt. Beidem Vergleich von absagenden und teilnehmenden Versuchsper-sonen unterschieden sich die Gruppen kaum. Hinsichtlich des Ge-burtsgewichts, der Größe, des Gewichts und der Auffälligkeiten beider U 3 des Kindes zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.Die Eltern waren vom Alter her vergleichbar, nur hinsichtlich desSchulabschlusses ergab sich eine Differenz zwischen den beidenGruppen. Mütter mit Abitur oder (Fach-) Hochschulabschluß warenunter den Teilnehmerinnen gegenüber den Absagerinnen etwasüberrepräsentiert. Mütter mit Realschulabschluß entschieden sichhäufiger gegen die Teilnahme an unserer Studie, keine Differenzzeigte sich bei Müttern mit Hauptschulabschluß. Die Väter unter-schieden sich tendenziell in der gleichen Weise.

2.1.2. Stichprobenbeschreibung T 1

Die Stichprobe (Anhang, Tab. A 2) besteht aus 33 gesunden, erst-geborenen Säuglingen. Es nahmen 18 Mädchen (54,5%) und 15Jungen (45,5%) mit ihren Eltern an der Untersuchung teil. Dasmittlere Geburtsgewicht betrug 3463 g mit einer Standardabwei-chung von 446 g (Range: 2670 g bis 4400 g). Die Apgar-Werte nach5 bzw. 10 Minuten waren beim größten Teil der Kinder hoch(9 oder 10), nur bei 9,1% betrug der Apgarindex nach fünf Minuten7 oder 8.

Das Körpergewicht zum Zeitpunkt der VorsorgeuntersuchungU 3 lag in dem Bereich von 3280 g bis 5640 g, mit einem Mittelwertvon 4389 g und einer Standardabweichung von 594 g. Die Körper-größe der Kinder bei der U 3 reichte von 51 cm bis 61 cm (Mittel-wert: 55,4 cm, Standardabweichung: 2,22).

Auffälligkeiten oder Erkrankungen wurden bei 26 Kindern(78,8%) nicht berichtet, während sieben (21,2%) bei der U 1, 2 oder3 krank waren oder Auffälligkeiten zeigten, z. B. Hüftausreifungs-störung, leichter Ikterus, Kopfneigung, Zustand nach Schlüssel-beinbruch bei der Geburt, vorübergehendes Herzgeräusch. Unge-fähr die Hälfte der Mütter (51,6%, n = 17) hatten während derersten vier Lebensmonate des Säuglings ein bis zwei Arztbesuche

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vorgenommen, fünf (15,2%) waren drei bis vier Mal beim Arztgewesen und elf (33,3%) überhaupt nicht. Die teilnehmenden Müt-ter waren zwischen 22 und 37 Jahren alt (Mittelwert: 28,7, Stan-dardabweichung: 3,5) und das Alter der Väter lag zwischen 20 und41 Jahren (m = 31,36, s = 3,9).

Bezüglich der Schulbildung zeigte sich folgendes Bild (sieheAnhang, Tab. A 3): 36,4% der Mütter und 33,3% der Väter gaben an,einen Hoch- oder Fachhochschulabschluß zu haben und jeweils33,3% das Abitur. Einen Realschulanschluß weisen 21,2% der Müt-ter und 27,3% der Väter auf und der geringste Prozentsatz findetsich bei Eltern mit Hauptschulanschluß (Mütter zu 9,1% und Väterzu 6,1%).

Von den Müttern waren zum Zeitpunkt der ersten Erhebung87,9% nicht berufstätig, 3% arbeiteten halb- und 9,1% ganztags.Die Väter waren zu 97% (32) in Vollzeitstellung, ein Vater befandsich im Erziehungsurlaub. Hinsichtlich des erhobenen Scheuch-Index, der den Sozialstatus der Familie repräsentiert (Scheuch,1961) ergab sich folgende Verteilung. 9,1% (3) der Familien ge-hören der oberen Unterschicht an, 60,6% (20) der Mittelschicht(unterer, mittlerer oder oberer) und 30,3% (10) der Oberschicht.Bezüglich des erhobenen Risikoindexes nach Esser et al. (1989;vgl. Kap. 2.3.4.) zeigte sich, daß 36,4% (12) kein Risikokriteriumaufwiesen, 39,4% (13) hatten ein oder zwei (leichtes Risiko) und24,2% (8) drei oder mehr Kriterien (schweres psychosozialesRisiko).

2.1.3. Stichprobenbeschreibung T 2

Da ein Mutter-Kind-Paar an diesem Termin aus organisatori-schen Gründen nicht teilnehmen konnte, beinhaltete die Stichprobebei dem zweiten Erhebungszeitpunkt, im Kindesalter von achtMonaten nur 32 Versuchspersonen.

Zum Zeitpunkt der U 5, also im Kindesalter von sechs bis siebenMonaten lag das Gewicht der 33 Kinder zwischen 6650 g und 10290g, mit einem Mittelwert von 7899 g und einer Standardabweichungvon 873 g . Die mittlere Körpergröße betrug 68,75 cm (s = 2,53) mit

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einem Minimum von 64 cm und einem Maximum von 74 cm (sieheAnhang, Tab. A 4).

Auffälligkeiten oder Erkrankungen bei der U 4 wurden bei 18,8%(6) Kindern berichtet, während 81,2% (26) unauffällig waren. Beiden Erkrankungen handelte es sich z. B. um Abduktionsneigungder Hüfte, Überstreckungstendenz, leichte Rumpfhypotonie, Kopf-zwangsneigung, Schädelknochenweichheit, die bei der U4 auftraten,sich bis zur U 5 jedoch alle wieder normalisiert hatten. 40,6% derMütter (13) hatten seit dem letzten Erhebungszeitpunkt mit ihremSäugling keinen Arztbesuch vorgenommen, 46,9% (15) waren einoder zwei Mal und 9,4% (3) drei bis vier Mal beim Arzt gewesen.Ein Mutter-Kind-Paar hatte in dem Intervall aufgrund von Erkäl-tung und kindlichem Asthma 15 mal um ärztliche Hilfe nachge-sucht (VP 17).

Voll gestillt wurde zum zweiten Erhebungszeitpunkt nur einKind (3,1%), 15 (46,9%) wurden gestillt und zugefüttert und dergrößte Teil, nämlich 16 Kinder (50%) wurden nicht mehr gestillt.

Von den Müttern waren zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung68,8% nicht berufstätig, 15,6% halb- und 9,4% ganztags und wei-tere 6,3% der Mütter arbeiteten stundenweise. Die Väter waren zu90,6% in Vollzeitstellung, einer arbeitete halbtags und zwei (6,3%)gar nicht. Von den nicht arbeitenden Vätern war einer im Erzie-hungsurlaub (VP 32) und ein anderer arbeitslos (VP 35).

Die überwiegende Mehrheit (71%) überließ die Kinderbetreu-ung gelegentlich dritten Personen, bei 12,9% wurde das Kind regel-mäßig fremd betreut und bei 16,1% (4) gar nicht. Von den regel-mäßig betreuten Kindern wurden 40% durchschnittlich wenigerals eine Stunde pro Tag beaufsichtigt, weitere 40% eine und 20%zwei Stunden pro Woche (Mittelwert 0,8 Stunden, Standardabwei-chung 0,8).

Akute Belastungen gaben 56,3% an, wogegen 43,8% sich nichtübermäßig belastet fühlten. 18,8% erwähnten dabei Lebensum-stände, die zu dieser Belastung geführt hatten. Eine Familie hattein den letzten vier Monaten einen Todesfall in der Familie zu bekla-gen und bei weiteren zwei Familien waren Mutter oder Vater einesElternteils erkrankt.

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2.1.3. Stichprobenbeschreibung T 3

Die Versuchsperson, die beim zweiten Erhebungszeitpunkt nichtteilnehmen konnte, stand beim 18-Monats-Zeitpunkt wieder zurVerfügung, so daß die Stichprobe wieder 33 Personen umfaßte(siehe Anhang, Tab. A 5).

Zum Zeitpunkt der Erhebung waren 78,8% (26) Kinder gesund,bei den restlichen 21,2% (7) wurden von den Müttern verschiede-ne Krankheiten angegeben, z. B. Sehschwäche, atopisches Ekzem,Pilzinfektion, unbestimmter Hautausschlag und Mastozytose. Imletzten halben Jahr vor dem dritten Erhebungszeitraum hatten18,2% (8) gar keinen Arzt konsultiert, 57,5% (19) waren ein oderzwei Mal beim Arzt gewesen, 18,1% (9) drei bis sieben Mal. EinKind wurde 24 Mal beim Arzt vorgestellt (wegen Bronchitis, aller-gischer Reaktion, Brechdurchfall, Windelsoor).

Im Kindesalter von 18 Monaten waren 39,4% (13) der Mütternicht berufstätig, 21,2% (7) arbeiteten halbtags, 9,1% (3) ganztagsund 30,3% (10) waren stundenweise berufstätig. Die Väter der Kin-der hatten zu 90,9% (30) eine Vollzeitbeschäftigung, 6,1% (2) arbei-teten halbtags und ein Vater war aufgrund von Arbeitslosigkeitohne derzeitige Beschäftigung.

15,2% (5) ließen ihr Kind gelegentlich von dritten Personenbetreuen, während bei 84,8% (28) das Kind regelmäßig fremdbetreut wurde. Die Betreuungszeit der regelmäßig betreuten Kin-der variierte zwischen weniger als einer und acht Stunden pro Tag,mit einem Mittelwert von 2,9 und einer Standardabweichung von2,1 Stunden.

Aus der Reihe fiel hier ein Kind (VP 12), welches vom zweitenLebensmonat an, vier Tage und Nächte pro Woche von den Groß-eltern betreut wurde.

60,6% (20) gaben Belastungen durch besondere Vorkommnisse(z. B. Arbeitslosigkeit, Todesfall, finanzielle Schwierigkeiten, Haus-bau) im letzten halben Jahr an, wogegen 39,4% (13) sich nichtübermäßig belastet fühlten. 23,5% der Mütter waren zum Zeitpunktder dritten Erhebung erneut schwanger oder hatten bereits einGeschwisterkind zur Welt gebracht.

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2.2. Ablauf der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit stellt einen Teil eines umfangreichenForschungsprojektes zum frühkindlichen Temperament und zurkindlichen Entwicklung im ersten Lebensjahr dar. Im folgendenwerden nur die für diese Arbeit verwendeten Methoden dargestellt,darüber hinaus gehende Meßverfahren und Meßzeitpunkte blei-ben unberücksichtigt.

2.2.1. Erster Erhebungszeitpunkt

Von Oktober 1996 bis Juni 1997 (Dissertationsstichprobe) undvon Oktober 1997 bis Juni 1998 (Projektstichprobe) erstreckte sichdie Durchführung der ersten Erhebungswellen. Die Erhebung be-stand aus zwei Terminen, einem im Videolabor und einem Haus-besuch. Beide Termine fanden innerhalb einer Woche statt, in demZeitraum von zwei Wochen um den Termin herum, an dem derSäugling vier Monate alt sein würde.

Der Zeitpunkt der ersten Erhebungen wurde auf vier Monatefestgelegt, weil zum einen zu dieser Zeit Auswirkungen der Geburtselbst und auch unter der Geburt verabreichter Medikamente aufden Säugling nicht mehr zu erwarten sind. Zum anderen wurdedamit berücksichtigt, daß es bezogen auf die Entwicklung der Emo-tionen und der Emotionsregualtionsfähigkeit im ersten LebensjahrPhasen gibt, in denen von einem verstärkten Wandel ausgegangenwerden muß. Der Zeitpunkt ist demnach so gewählt, daß er nacheiner solchen Phase, die unter anderem für das Alter von zweitembis drittem Monat angenommen wird, liegt (vgl. Rauh, 1998).

A. Videolabortermin

Der Videotermin fand in der Regel vormittags statt, wenn dasKind möglichst satt und ausgeschlafen war. Die Hauptbezugspersonwurde zusammen mit ihrem Kind in das Videolabor der Psycho-somatischen Poliklinik des Universitätsklinikums in Gießen be-stellt. Nachdem beide in den Videoraum geführt worden waren,

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fand ein Kurzinterview zum Gesundheitszustand des Kindes statt(U1-3 und Krankheit, siehe Anlage). Um die Zeit der Untätigkeit fürdas Kind zu verkürzen wurde der zweite Teil des Interviews beimHausbesuch durchgeführt. Anschließend wurde der Bayley-Mental-Test (Bayley Scales of Infant Development von Bayley, 1969) durch-geführt. Währenddessen saß das Kind im Hochstuhl am Tisch. DieMutter saß über Eck und wurde gebeten, nicht in das Gescheheneinzugreifen.

Nach Beendigung des Bayley-Tests wurde die Bezugspersongebeten, ihr Kind auf dem Wickeltisch zu wickeln und anschließendmit ihm zu spielen. Die Sequenz dauerte 10 Minuten und die Mut-ter wurde instruiert, sich möglichst so zu verhalten wie sonst auch.Mutter und Kind waren während der Wickel- und Spielszene alleinim Raum. Der Bayley-Test und die Wickelszene wurden auf Videoaufgenommen. Bei der Wickelszene wurde mit »split-screen-Tech-nik« gearbeitet, d. h., der geteilte Bildschirm zeigte auf der einenSeite, Oberkörper und Gesicht der Mutter, auf der anderen das Kindauf dem Wickeltisch.

Am Ende des Termins wurde der Mutter ein Fragebogenpaketfür sie selbst und ihren Partner ausgehändigt, mit der Bitte, es biszum Hausbesuch zu bearbeiten. Als Dankeschön wurde dem Kindein kleines Geschenk (Spielzeug) im Wert von ca. 10 DM über-reicht.

B. Hausbesuch

Der Hausbesuch fand am späten Nachmittag oder frühen Abendstatt. Die Versuchsleiterin suchte die Familie zu Hause auf, wobeiaufgrund des Elterninterviews dieses Mal auch der Vater des Kin-des anwesend sein sollte. Nach dem zweiten Teil des Interviews zurGesundheit des Kindes wurden die Eltern bzw. die Hauptbezugs-person gebeten, ihr Kind zu baden und anschließend mit ihm zuspielen. Hierbei sollten sie sich möglichst so verhalten wie sonstauch und sich von der Anwesenheit der Beobachterin nicht beein-flussen lassen. Wenn beide Eltern an der Beobachtung teilnahmen,sollte möglichst die Hauptbezugsperson im Mittelpunkt des Gesche-hens stehen. Während der Bade- und Spielszene stand die Ver-

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suchsleiterin in einer Ecke des Badezimmers und beobachtete dasGeschehen. Die Verhaltensbeobachtung dauerte insgesamt 30 Mi-nuten. Die Versuchsleiterin trug einen Walkman mit Kopfhörer beisich, der in Minutenabständen akustische Signale abgab (Time-sampling-Verfahren, siehe Erhebungsinstrumente). Nach jeder Mi-nute hatte sie 10 Sekunden Zeit, um die Beurteilung und etwaigeNotizen zu protokollieren. Dies war zur Beurteilung der Beobach-tungsskalen notwendig (Baby Emotion, Baby Reaktivität, MutterReaktivität; vgl. Kap. 2.3).

Im Anschluß an die Beobachtung wurde mit beiden Eltern einstrukturiertes Interview zur Erhebung soziodemographischer undpsychosozialer Merkmale durchgeführt (Soziale Anamnese), wel-ches ca. 20 Minuten dauerte. Abschließend bekamen die Elterneine Videoaufnahme der Wickelsequenz geschenkt.

2.2.2. Zweiter Erhebungszeitpunkt

Die zweiten Erhebungswellen fanden in den Zeiträumen vonFebruar 1997 bis Oktober 1997 (Dissertationsstichprobe) undFebruar 1998 bis Oktober 1998 (Projektstichprobe) statt. Wie schonbeim ersten Erhebungszeitpunkt bestand die Erhebung aus zweiTerminen, die innerhalb von zwei Wochen um den Termin lagen,an dem das Kind acht Monate alt war.

Auch bei diesem Erhebungszeitpunkt wurden die bereits ange-führten Phasen verstärkter Veränderung im Bereich der emotiona-len Entwicklung berücksichtigt, die außer für den Zeitraum vonzweitem bis drittem Monat auch noch für den sechsten bis achtenMonat angegeben werden. Im Alter von acht Monaten ist bei denmeisten Kindern das sog. Fremdeln, die »Achtmonats-Angst« vor-handen. Die Grundlage hierfür sind neue kognitive Errungen-schaften, wie z. B. die Entwicklung der Objektpermanenz, von dernun ausgegangen werden kann.

A. Videolabortermin

Tageszeit, Ort und Rahmenbedingungen des Videotermins ent-sprachen denen des ersten Erhebungszeitpunktes. Nach der Be-

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grüßung fand ebenfalls zunächst ein Kurzinterview zur Gesund-heit des Kindes statt, in dem nun unter anderem die Ergebnisse derU 4 und U 5 erfragt wurden. Anschließend wurde der Bayley-Testmit den altersentsprechenden Items durchgeführt, an dessenDurchführung sich eine 10-minütige Wickelszene anschloß. ImUnterschied zum ersten Videotermin wurde die Mutter gebeten,nach dem Wickeln am Tisch zusammen mit dem Kind mit einembereitgelegten Spielzeug (Duplo-Plastikboard mit verschiedenenFunktionen) zu spielen.

B. Hausbesuch

Der Ablauf des Hausbesuchs glich dem des ersten Erhebungs-zeitpunktes. Nach der Bade- und Spielszene wurden beide Elternper Interview befragt, welches lediglich inhaltlich etwas vom erstenabwich, da hauptsächlich Veränderungen zwischen erstem undzweitem Erhebungszeitpunkt erfragt wurden.

2.2.3. Dritter Erhebungszeitpunkt

Zwischen Dezember 1997 und August 1998 (Dissertationsstich-probe) und Dezember 1998 und August 1999 (Projektstichprobe)wurden die dritten Erhebungswellen durchgeführt.

Bei diesem Erhebungszeitpunkt fand lediglich ein Videoterminstatt, der in einem Zeitraum von zwei Wochen vor bis zwei Wo-chen nach dem Termin, an dem das Kind 18 Monate alt sein würde,lag. Der »Fremde-Situations-Test« (FST von Ainsworth & Wittig,1969; zit. nach Ainsworth et al., 1978) wurde mit der Hauptbe-zugsperson und dem Kind durchgeführt und während der Durch-führung wurde eine Videoaufnahme angefertigt. Im Anschlußwurde die Mutter in einem kurzen Interview zum Gesundheits-zustand des Kindes, Betreuungsdaten, Trennungen von Mutter undKind z. B. aufgrund von Krankenhausaufenthalten und Belastun-gen der Eltern befragt. Der Termin dauerte insgesamt ungefähreine Stunde.

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2.3. Erfassungsmethoden

2.3.1. Bindungssicherheit/Desorganisation

Zur Erhebung von Bindungssicherheit und Desorganisation derKinder im Alter von 18 Monaten wurde der »Fremde-Situations-Test« (Ainsworth & Wittig, 1969) durchgeführt. Das Verfahren giltals das verbreitetste und als valide Methode zur Ermittlung derBindungsqualität von Kindern im Alter von 11-20 Monaten (Gros-smann et al. 1997).

Die Hauptbezugsperson und das Kind wurden in das Videolaborder Psychosomatischen Poliklinik des Universitätsklinikums inGießen bestellt, wo sie zunächst im Warteraum instruiert wurden.Anschließend wurden Mutter und Kind in den Videoraum geführtund der »Fremde-Situations-Test« wurde durchgeführt. Währendder Durchführung wurde eine Videoaufnahme angefertigt, wobeidieses Mal aus räumlichen Gründen nur mit einer Kamera ope-riert werden konnte.

Frau Dr. Grossmann und ihre Mitarbeiterin Frau Keppler ausRegensburg gaben uns in der Vorbereitung der Durchführung wie-derholt Ratschläge und überprüften die ersten beiden Videobänderder durchgeführten »Fremden Situationen« im Hinblick auf mögli-che Verbesserungsvorschläge, welche dann anschließend, wennpraktikabel, in die Tat umgesetzt wurden.

Der »Fremde-Situations-Test« besteht aus acht Episoden, die imfolgenden dargestellt werden (nach Ainsworth, Blehar, Waters &Wall, 1978) :

Die Mutter wird von der Versuchsleiterin instruiert und dann inden Videoraum gebracht. Sie setzt ihr Kind auf die Erde vor dasSpielzeug und sich selbst auf einen Stuhl.

Mutter und Kind bleiben allein. Die Mutter soll in der bereitge-legten Zeitschrift lesen und nur auf das Kind reagieren, wenn essich an sie wendet. Das Kind kann das Spielzeug und den Raumerkunden.

Eine für Mutter und Kind unbekannte Frau betritt den Raum. Siestellt sich kurz vor und setzt sich dann auf den freien Stuhl, wo sie

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die erste Minute still verweilt. In der zweiten Minute beginnt sie einGespräch mit der Mutter, in der dritten setzt sie sich herunter zumKind, um es ins Spiel zu verwickeln. Auf ein Klopfzeichen hin ver-läßt die Mutter am Ende der drei Minuten den Raum.

Die Fremde und das Kind bleiben allein im Raum. Das Verhaltender Fremden richtet sich nach dem Kind. Wenn es weint, tröstet sie,wenn nicht, versucht sie es zum Spielen zu bewegen. Wenn dasKind allein spielt, zieht sie sich auf den Stuhl zurück.

Die Mutter kommt zurück, bleibt kurz vor der Tür stehen undbegrüßt das Kind. Je nach Zustand des Kindes tröstet sie, versuchtdas Kind für das Spielzeug zu interessieren oder zieht sich, wenn esallein spielt, auf den Stuhl zurück. Nach der Begrüßung von Mutterund Kind verläßt die Fremde unauffällig den Raum. Auf ein erneu-tes Klopfzeichen hin, verläßt die Mutter am Ende der Episode, aber-mals den Raum, diesmal nach kurzer Verabschiedung.

Das Kind bleibt allein im Raum.Die Fremde betritt den Raum und versucht wenn nötig, das Kind

zu beruhigen, indem sie anbietet, es hochzunehmen, beruhigend zuihm spricht etc.. Sie lenkt es mit Hilfe von Spielzeug ab und hältsich im Hintergrund, wenn es sich allein mit dem Spielzeug be-schäftigt.

Bei der Wiedervereinigung von Mutter und Kind, betritt die Mut-ter den Raum, bleibt kurz vor der Tür stehen und nimmt dann dasKind auf den Arm. Sie tröstet wenn nötig, und versucht an-schließend wieder die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Spiel-zeug zu lenken. Wenn es allein spielt, setzt sie sich auf den Stuhlund beschäftigt sich mit der Zeitschrift.

Alle Episoden dauern in der Regel drei Minuten. Die Episoden,in denen Mutter und Kind getrennt sind (Episoden 3, 6, 7) könnenjedoch verkürzt werden, wenn das Kind durch die Trennung zusehr gestresst sein sollte.

Die Mutter befand sich in diesen Episoden bei der Versuchs-leiterin in einem Raum, der direkt an den Versuchsraum angrenztund konnte von dort aus über einen Bildschirm das Geschehen imInneren des Raumes verfolgen. Wenn ein Kind in den Tren-nungsepisoden sehr gestresst war und weinte, wurde zunächstabgewartet, ob es sich eventuell von selbst beruhigen würde. War

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dies nicht der Fall wurde die Episode verkürzt, so daß die Mutterfrüher als nach drei Minuten in den Raum zurückkehren konnte.

Im Kontakt mit dem Kind sollten sich Mutter und Fremde grund-legend nur so viel mit dem Kind beschäftigen wie nötig. Ziel wares, das Kind bei der eigenen Exploration zu beobachten, wobeibesonders die eigene Initiative zum Nähesuchen und zur Kontakt-aufnahme gegenüber der Mutter und der Fremden von Bedeutungwaren.

Nach der Durchführung der Fremden Situation bekam das Kindals Dankeschön ein Spielzeuggeschenk im Wert von ca. 10 DM.Mit der Mutter wurde ein Interview durchgeführt, in dem Informa-tionen zu Gesundheit/Krankheit, Schlaf, Trennung und Fremdbe-treuung erfragt wurden.

2.3.1.1. Bindungssicherheit

Die Auswertung der Videoaufnahmen hinsichtlich des Ains-worthschen Systems erfolgte durch die Autorin und eine weitereMitarbeiterin, die zuvor beide an einem einwöchigen Training zurErmittlung der Bindungsqualität bei Frau Grossmann im Oktober1999 in Regensburg teilgenommen hatten und als reliable Aus-werterinnen anerkannt worden waren. Die Übereinstimmung derbeiden Auswerterinnen betrug 88,9% (n = 9).

2.3.1.2. Desorganisation

Die Videoaufnahmen der Fremden Situation wurden nach derAuswertung nach dem System von Ainsworth zusätzlich hinsicht-lich der Desorganisation wie von Main und Solomon (1990)beschrieben ausgewertet. Jede Versuchsperson bekam einenPunktwert von 1 bis 9 für den Grad der Desorganisation, wobei beieinem Wert größer als 5,5 »D«(desorganisiert) als erste Klassifika-tion vergeben wurde und damit als Hauptklassifikation galt. AlsZweitklassifikation erhielt ein als desorganisiert eingestuftes Kinddann zusätzlich einen Bindungstyp nach dem A,B,C-System. DieAuswertung übernahm die Autorin, die im Januar 2000 bei vanIjzendoorn in Leiden in einem Workshop trainiert worden war.

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Im folgenden Kapitel sollen vorab die Ergebnisse des FST dar-gestellt werden.

2.3.1.3. Ergebnisse des »Fremde-Situations-Tests« (18 Mon.)

Im folgenden sind die Ergebnisse der Fremden Situation darge-stellt, welche im Alter von 18 Monaten mit den Kindern und Müt-tern durchgeführt wurde. In Tabelle 1 zunächst die Verteilung vonsicher und unsicher gebundenen ohne weitere Differenzierung derUntergruppen, außerdem die Häufigkeiten von desorganisiertengegenüber nicht desorganisierten Kindern.

Tabelle 1Häufigkeiten der sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalentgebundenen, unklassifizierbaren, nicht desorganisierten unddesorganisierten Kinder als Ergebnis des »Fremde-Situations-Tests«mit 18 Monaten

A = unsicher vermeidend C = unsicher ambivalent D = desorganisiertB = sicher AC = unklassifizierbar

In Tabelle 2 sind die Häufigkeiten der Untergruppen der siche-ren und unsicheren Klassifikationen dargestellt. Obwohl die des-organisierten Kinder als zweite Klassifikation einer der tradi-

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A B C AC/unkl. Insgesamt

Nicht-D 10 15 2 0 27(81,8%)

D 2 2 0 2 6(18,2%)

Insgesamt12 17 2 2 33

(36,3%) (51,5%) (6,1%) (6,1%) (100%)

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tionellen Kategorien zugeordnet wurden, wurden sie, um eine Kon-fundierung von Bindungssicherheit und Desorganisation zu ver-meiden, bei statistischen Operationen zur Bindungssicherheit aus-geschlossen. Diese zweite Klassifikation ist in Tabelle 1 erkennbar.In Tabelle 2 sind die desorganisierten Kinder nicht aufgeführt,wodurch sich die verminderte Gesamtzahl der Versuchspersonenvon 27 erklärt. Unklassifizierbare kommen ebenfalls nicht mehrvor, da sie beide zu den desorganisierten Kindern gehören.

Tabelle 2Häufigkeitsverteilung der Untergruppen der sicher unsicher-vermeidend,unsicher-ambivalent gebundenen Kinder als Ergebnis des»Fremde-Situations-Tests« mit 18 Monate

A = unsicher vermeidend B = sicher C = unsicher-ambivalent

Die Ergebnisse des »Fremde-Situations-Tests« entsprechen denfür unseren Kulturkreis üblichen aus der Literatur bekannten Ver-teilungen. Von den insgesamt 33 Kindern waren 15 sicher gebun-den, davon zwei B 1, sieben B 2, drei B 3 und drei B 4. Die unsicher-vermeidend gebundenen Kinder waren insgesamt 10, wovon sechsdas A 1-Verhaltensmuster und vier das A 2-Muster zeigten, unsi-cher-ambivalente Kinder gab es nur 2, je ein C 1- und ein C 2-Kind.

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A B C

Unter- A1 A2 B1 B2 B3 B4 C1 C2gruppe

N 6 4 2 7 3 3 1 1

∑= 27 10 15 2(100%) (37%) (55,5%) (7,5%)

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Als desorganisiert wurden insgesamt sechs Kinder eingestuft,von denen zwei außerdem nach dem traditionellen Klassifkations-system als unklassifizierbar beurteilt wurden. Je zwei desorgani-sierte Kinde wurden als zweite Klassifikation der unsicher-vermei-denden und sicher gebundenen Kategorie zugeordnet.

Aufgrund der geringen Anzahl von unsicher-ambivalent gebun-denen Kindern wurden bei den statistischen Berechnungen diesicher gebundenen mit der Gesamtzahl der unsicher gebundenen(vermeidend und ambivalent) Versuchspersonen verglichen. Kin-der, die sich als unklassifizierbar bzw. AC erwiesen (n = 2), wurdenaus der Analyse ausgeschlossen. Aus den Berechnungen zur Bin-dungssicherheit wurden außerdem alle Kinder ausgeschlossen, dieals erste Klassifikation die Desorganisation hatten, also einen Wertfür desorganisiertes Verhalten größer als 5 aufwiesen. Dies war alsnotwendig erachtet worden, um eine Konfundierung von Bin-dungssicherheit und Desorganisation zu vermeiden, die ansonstenzu Interpretationsproblemen führen würde. Dieses Vorgehen warwichtig, um die Annahme der Unabhängigkeit von Bindungssi-cherheit und Desorganisation korrekt überprüfen zu können. Soll-ten es wirklich gänzlich unterschiedliche Entstehungsbedingun-gen sein, die zu unsicherer Bindung bzw. desorganisiertem Ver-halten führen, müssen Kinder, die als erste Klassifikation eine tra-ditionelle unsichere Bindung haben (A, C) von desorganisiertenKindern, mit forciertem traditionellen Bindungstyp als zweiter Klas-sifikation getrennt analysiert werden. Bei anderen Verfahren kanndie Frage der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit der beiden Di-mensionen, aufgrund des unsauberen methodischen Vorgehens,nicht zufriedenstellend beantwortet werden.

Anders als in anderen Studien wurde deshalb bei Berechnungenzur Bindungssicherheit nicht die Zweitklassifikation (ABC) der des-organisierten Kinder verwendet, ohne dabei die Desorganisation zuberücksichtigen (vgl. Spangler et al., 1996). Aus diesem Grundergibt sich bei den statistischen Operationen für Bindungssicher-heit nur eine Gesamtzahl von N = 27.

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2.3.2. Mütterliches Interaktionsverhalten

Das Verhalten der Mutter in der Interaktion mit ihrem Säuglingwurde bei dem Hausbesuch und in der Wickelszene im Videolaborerfaßt. Während des abendlichen Hausbesuchs wurden im Wechseldrei verschiedene Skalen beurteilt, zwei Kind- und eine Mutter-skala. Für die Beurteilung der verschiedenen Verhaltensweisen vonMutter und Kind wurde das »Mannheimer Verfahren zur Beobach-tung der Mutter-Kind-Interaktion im Säuglingsalter« (MBS-MKI-S)von Esser, Scheven, Petrova, Laucht & Schmidt (1989) herange-zogen. Hierbei handelt es sich um ein etabliertes Verfahren, dessenObjektivität, Reliabilität und Validität gut belegt sind (Esser et al.,1989; Esser et al., 1993).

Das Verfahren besteht aus insgesamt acht Mutterskalen und fünfKindskalen zur Beschreibung der Interaktion im face-to-face-Kon-takt. Im Rahmen des Projektes war für die Hausbesuche die, zurBeurteilung des mütterlichen Pflegeverhaltens als wichtigste er-achtete Mannheimer Skala, die »Reaktivität«, ausgewählt worden.Die Auswertung der videographierten 10-minütigen Wickel- undSpielszene beinhaltete die Mutterskalen »Reaktivität/Sensitivität«,»Emotionsausdruck«, »Echtheit des mütterlichen Interaktionsver-haltens«.

2.3.2.1. Reaktivität/Sensitivität

Die Mutterskala »Reaktivität« aus dem »Mannheimer Verfahrenzur Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion« (MBS-MKI-S) vonEsser et al. (1989) wurde bei den abendlichen Hausbesuchen imWechsel mit den Kindskalen im 1-Minuten-Time-Sampling-Verfah-ren beurteilt. Insgesamt stehen also zehn 1-Minuten-Intervalle vomabendlichen Hausbesuch und zehn 1-Minuten-Sequenzen aus dervideographierten Wickel-Spielszene zur Verfügung. »Reaktivität«der Mutter beinhaltet die prompte, d. h. kontingente und adäquateReaktion auf Äußerungen oder Verhalten des Kindes. Die Wertegehen von 1 = keine kontingente Reaktion (Kindverhalten gehtunter) bis 5 = reagiert immer, auf jedes Verhalten.

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Zur Ermittlung der Interraterübereinstimmung wurden amAnfang und am Ende der Erhebung zwei bis drei Hausbesuche zuzweit absolviert, bei den Videoauswertungen wurden ebenfallsFälle doppelt beurteilt. Die Kappakoeffizienten für die Skala »Reak-tivität« lag für die Viermonatserhebung bei .76 (Hausbesuch) und.79 für die Videoauswertung und für die Achtmonatserhebung bei.69 (Hausbesuch) und .75 (Video).

2.3.2.2. Emotionsausdruck

Ebenfalls aus dem Mannheimer Verfahren zur Beobachtung derMutter-Kind-Interaktion (MBS-MKI-S) von Esser et al.(1989) wurdedie Skala Mutter: »Emotion« ausgewählt. Beurteilt wird dabei derdurch Gesichtsausdruck und Tonfall widergespiegelte Emotions-ausdruck der Mutter, von 1 = negative Emotion (angespannt, un-glücklich, ärgerlich) über 3 = neutral, bei Blickkontakt lächelnd bis5 = hohe affektive Expressivität, »attention-getting-face«. Die video-graphierte Wickel- und Spielszene wurde hinsichtlich dieser Skalaausgewertet (10 Minuten). Die Interraterübereinstimmung perKappakoeffizient betrug .79 (vier Monate) und .80 (acht Monate).

2.3.2.3. Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens

Die Übereinstimmung von Inhalt und Ausdruck einer Botschaftbezeichnet die Echtheit des mütterlichen Verhaltens aus dem»Mannheimer Verfahren zur Beobachtung der Mutter-Kind-Inter-aktion« (MBS-MKI-S) von Esser et al. (1989). Wird z. B. mit liebli-cher Stimme eine aggressive Botschaft (»fette Qualle«) vorgebracht,so wird der Eindruck mit »nicht echt« bewertet. Der höchste Ska-lenwert ist für ausnahmslos echtes und kongruentes Verhalten vor-gesehen, bei dem Botschaften von verschiedenen Kanälen (verbal,mimisch, gestisch, etc.) übereinstimmen. Die Videoaufnahme derWickel- und Spielsequenz wurde im Hinblick auf diese Skala ausge-wertet. Aus Kapazitätsgründen konnten bisher leider nur die Video-bänder der Viermonatserhebung ausgewertet werden. Die Kappa-koeffizienten für die Übereinstimmung der Rater für die Skala»Echtheit« betrug .63 (vier Monate).

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2.3.3. Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:Depressivität/Ängstlichkeit

Mit Hilfe der Skala »Depressivität« aus dem »Fragebogen zurErhebung der Einstellungen von Müttern mit Kindern im Kleinst-kindalter« (EMKK) von Engfer (1984) wurde per Fragebogen dieDepressionsneigung der Mutter in bezug auf das Kind erfaßt. DieItems dieser Skala beinhalten z. B. Aspekte wie Zweifel an derErfüllung der Mutterrolle, Gefühle der Überforderung und Nieder-geschlagenheit in der Beziehung zum Kind. Bezüglich der Reliabi-lität des Instrumentes werden von der Autorin interne Konsistenzenvon .83 (Cronbachs �) angegeben (Engfer, 1984).

Zusätzlich wurde die 20 Items umfassende Skala »Hoffnungs-losigkeit« von Beck (deutsche Übersetzung von Krampen, 1979)eingesetzt, die mit der Depressivität verwandte Aspekte erfaßt.Erfragt werden hier Erwartungen und Pläne in bezug auf dieZukunft und Aspekte der Kontrollüberzeugung. Ausgewählt wurdediese Skala unter anderem, weil sie nicht auf somatische Aspekteder Depression/Hoffnungslosigkeit fokussiert. Dies erscheint sinn-voll, weil Erschöpfung und Schlafstörungen bei jungen Mütterneher Rückschlüsse auf das Schlafverhalten des Kindes als auf diepsychische Verfassung der Mutter zulassen. Die beschriebenenAspekte der Depressivität werden hier im Gegensatz zur Skala vonEngfer unabhängig vom Kind oder von konkreten Situationenerfaßt. Die interne Konsistenz wird mit r = .86 (Spearman-Brown)angegeben, so daß die Skala als reliables Instrument angesehenwerden kann.

Aus dem »State-Trait-Angstinventar« (Stai; Laux, Glanzmann,Schaffer & Spielberger, 1981) wurde außerdem die Skala »Trait-Angst«, die 20 Items umfaßt, benutzt. Erfaßt wird damit eine gene-relle Neigung zur Ängstlichkeit, also die Tendenz, Situationen alsbedrohlich zu erleben. Die Retest-Reliabilitäten werden mit r = .81(nach 102 Tagen) und r = .68 (nach 174 Tagen) angegeben (Laux etal., 1981).

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2.3.4. Psychosoziale Risikofaktoren

Wie erwähnt wurden insgesamt zwei kurze Befragungen durch-geführt, wovon eine zu Beginn des Videotermins mit der Mutter unddie zweite während des Hausbesuchs mit beiden Eltern stattfand.Das erste Kurzinterviews hatte hauptsächlich den Gesundheits-zustand des Kindes zum Inhalt. Die Ergebnisse der Vorsorgeunter-suchungen, die Häufigkeit von Krankheiten und Arztbesuchen undInformationen zu Ernährung und Schlafverhalten (T 2) wurdenerfragt, sowie Komplikationen während Schwangerschaft undGeburt.

In dem abendlichen Paarinterview waren Fragen zu Alter, Aus-bildung, Berufstätigkeit, Dauer und Qualität der Paarbeziehungund Erwünschtheit der Schwangerschaft. Zur Einschätzung despsychosozialen Risikos erhoben wir außerdem Daten zu den Wohn-verhältnissen, zur Vergangenheit der Eltern (Heimaufenthalte,»broken home«), zu deren körperlicher und psychischer Gesundheitund kritische Lebensereignisse und Belastungen. Darüber hinauswurde die Betreuung des Kindes thematisiert und dabei die gemein-same Zeit des Vaters, der Umfang der Betreuung durch Dritte undschließlich die Zufriedenheit der Partner mit der Aufteilung derKindesversorgung eruiert.

Esser et al. (1989) hatten in ihrer Längsschnittstudie in einerErweiterung des »Familiy-Adversity-Index« von Rutter & Quinton(1977; zit. nach Esser et al., 1989) 11 Risikokriterien festgelegt. Siebenutzten einen kumulativen Risikoindex und konnten zeigen, daßpsychosoziale Risikofaktoren im Vergleich zu biologischen bei derVorhersage von Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter von zwei-einhalb und vier Jahren eine bedeutsamere Rolle spielen (Lauchtet al., 1992; Laucht et al., 1996).

Wir verfuhren in Anlehnung an Esser et al., wobei jedoch eineVariable, die Alleinerziehung, in unserer Studie als Auschlußkrite-rium galt und deshalb nicht in den Risikoindex aufgenommenwurde.

1. ohne Schulabschluß oder abgeschlossenen Berufsausbildung2. beengte Wohnverhältnisse (> eine Person/Raum oder < 50 qm

oder weniger als zwei Wohnräume)

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3. psychische Störung der Eltern4. Heimaufenthalt, »broken home« oder Delinquenz der Eltern5. gestörte Paarbeziehung (häufige Meinungsverschiedenheiten,

Eindruck der Disharmonie)6. Elternteil < 18 Jahre oder Partnerschaft < sechs Monate bei

Konzeption7. ungewollte Schwangerschaft (ernsthaft Abbruch erwogen)8. mangelnde soziale Integration und Unterstützung der Eltern9. chronische Belastung (> ein Jahr)

10. mangelndes Coping (mang.Bewältigung von Alltagsbelastungen)Die Autoren (Esser et al, 1989) verwendeten einen kumulativenRisikoindex und definierten drei mögliche Stufen der Risikobe-lastung:

Stufe 0: kein RisikomerkmalStufe 1: Familien mit leichten Belastungen (eine oder zwei)Stufe 2: Familien mit schweren Belastungen (drei oder mehr).

3.2.4.1. Darstellung der Verteilung der psychosozialenRisikobelastung

Tabelle 3Anzahl der beteiligten Familien mit keiner, leichter oder schwererRisikobelastung

0 = kein Risikomerkmal 1 = leichte Belastung (eine oder zwei Risikomerkmale)

2 = schwere Belastung (drei oder mehr Risikomerkmale)

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kein leichtes schweresRisiko Risiko Risiko Insgesamt

(0) (1) (2)

n 13 12 8 33% (39,4) (36,4) 24,2) (100)

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In der vorliegenden Stichprobe gibt es 13 Familien, die keinRisikomerkmal aufweisen, 12 Familien mit ein oder zwei Risiko-faktoren und acht mit drei oder mehr psychosozialen Belastungs-faktoren. Einige dieser Risikofaktoren kamen in unserer Stichpro-be so gut wie gar nicht vor, z. B. ungewollte Schwangerschaft, jungeElternschaft/Beziehung, beengte Wohnverhältnisse, mangelndesCoping. Daß ein Partner keine abgeschlossene Berufsausbildunghatte, war in fünf Familien der Fall, eine psychische Störung einesElternteils wurde ebenfalls fünf Mal angegeben. Heimaufenthaltoder »broken home« (z. B. Einelternfamilie wegen Scheidung) inder Kindheit der Eltern gaben 11 Familien an, wobei in zwei Fällenbeide Partner betroffen waren. Eine gestörte Paarbeziehung warnach dem Eindruck der Versuchsleiterinnen in sieben Familien ge-geben. Vier Familien berichteten von wenig sozialer Unterstützungund weitere vier von Belastungen, wie z. B. Krankheit oder Tod dereigenen Eltern, die über ein Jahr andauerten.

2.3.5. Frühkindliches Temperament: negative Emotionalität

A. Verhaltenstest

Wie im theoretischen Teil dargelegt, ist die Erfassung von Tem-peramentsmerkmalen nicht unproblematisch, besonders wenn esum Studien geht, die zusätzlich Aussagen über mütterliches Inter-aktionsverhalten und die Mutter-Kind-Beziehung machen wollen(vgl. Kap. 1.3.4.3.). Erfassung von Temperamentsmerkmalen in derInteraktion mit der Mutter muß von einer Konfundierung von Mut-ter- und Kindverhalten ausgegangen werden. Auch im Fragebo-genverfahren liegt das Verhalten des Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion zugrunde, denn das ist das einzige, was der Mutterzugänglich ist. Zusätzlich ist bei Fragebogenverfahren von einersubjektiven Verzerrung aufgrund von Erwartungen und Persön-lichkeitsmerkmalen der Eltern auszugehen.

Für die vorliegende Studie war deshalb zunächst ein Tempera-mentsmaß notwendig, das die kindlichen Reaktionen außerhalbder Interaktion mit der Bezugsperson erhebt. Hierzu wurde ein

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Verhaltenstest durchgeführt, bei dem die Säuglinge mit verschiede-nen Objekten konfrontiert wurden. Vergleichbar ist die Erhebungs-methode mit der von Kagan und seiner Arbeitsgruppe, welche dieReaktionen von Säuglingen z. B. auf den Anblick eines buntenMobiles beobachteten (vgl. Snidman, Kagan, Riordan & Shannon,1995).

Die negative Emotionalität des Kindes wurde anhand der ersten10 Itemsequenzen des durchgeführten Bayley-Tests erfaßt, die alsstandardisierte Reize dienten. Zur Erfassung der negativen Emo-tionalität bzw. der Irritierbarkeit des Kindes wurde die Kindskala»Emotion« aus dem »Mannheimer Verfahren zur Beobachtung derMutter-Kind-Interaktion im Säuglingsalter« (MBS-MKI-S) von Esser,Scheven, Petrova, Laucht & Schmidt (1989) verwendet. Einge-schätzt wird hier der Emotionsausdruck des Kindes von 1 = sehrhäufig quengeln, schreien bis 5 = sehr häufig lachen/lächeln. DieHäufigkeit der Skalenwerte 1 und 2 pro 10-Minuten-Intervall wurdeermittelt und ergab den Wert für negative Emotionalität.

Auch Spangler et al. erhoben im Kindesalter von drei, sechsund neun Monaten die negative Emotionalität anhand einiger Itemsdes Bayley-Tests. Die Variable, die aus negativer Vokalisation undmotorischer Unruhe bestand, diente zur Vorhersage von desorga-nisiertem Verhalten (mit zwölf Monaten) (Spangler et al., 1991;Spangler & Grossmann, 1999).

Die Items wurden von der Versuchsleiterin in Anwesenheit derMutter gemäß der Testanweisung dargeboten. Bei den benutztenItems handelte es sich um:

1. Pendeln des roten Ringes (Item 37, 46, 33, 44)2. Geräusch von Glocke und Rassel (Item 28) 3. Geräusch von Glocke und Rassel, abwechselnd (Item 34)4. Spiel mit Rassel/Entfernen der Rassel (Item 36)5. Geräusch von Glocke außerhalb von Gesichtsfeld (Item 47)6. Geräusch von Rassel außerhalb von Gesichtsfeld (Item 48)7. Rollen des roten Balls (Item 38)8. Pendeln des roten Rings (Item 40)9. Bewegen von Löffel vor Gesicht von Kind (Item 41)

10. Darbietung des roten Würfels in abnehmender Entfernung vonKind (Item 32, 49, 51, 54, 60, 64, 70, 77).

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Während der Durchführung der Itemsequenzen 1. bis 4. liegt dasKind auf dem Wickeltisch, danach sitzt es am Tisch auf dem Schoßder Mutter.

Insgesamt enthalten die Sequenzen plötzliche akustische Reizeund Frustrationen durch das Entfernen von attraktiven Objektenzur Evozierung von negativen Affekten. Die Videoaufzeichnung desBayley-Tests wurde hinsichtlich der Skala »Emotion« Skalenwerte1 (sehr häufig/lange quengeln oder schreien) und 2 (mindestensein Mal quengeln/schreien) der Mannheimer Skalen ausgewertet.Als Maß wurde die Summe der Intervalle mit gezeigtem negativenAffekt verwendet.

B. Mutter-Kind-Interaktion

Aufgrund der beschriebenen Problematik der Erfassung vonTemperamentsmerkmalen wird häufig ein multimethodales Vor-gehen propagiert, bei dem verschiedene Methoden kombiniert ein-gesetzt werden (Seifer et al., 1994).

Obwohl die negative Emotionalität des Säuglings in der Mutter-Kind-Interaktion aufgrund der beschriebenen Konfundierungs-probleme streng genommen nicht als reines Temperamentsmaß,sondern eher als Interaktionsmaß bzw. Maß der Dyade bezeichnetwerden kann, wurde es in die vorliegende Arbeit einbezogen. DieGründe dafür sind folgende:

Die negative Emotionalität, die der Säugling in der Interaktionmit der Mutter zeigt, ist die einzige für die Mutter zugänglicheQuelle von Informationen. Diese Informationen über das Kind sindfür sie handlungsleitend und von daher auch für die Entwicklungder Bindungssicherheit, die als Maß für die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung gesehen werden kann, von Bedeutung. Des weite-ren liegen diese Informationen bzw. Eindrücke vom Kind der müt-terlichen Beurteilung des Säuglings z. B. bei der Beantwortung vonFragebögen zugrunde. Durch die Verwendung dieses Verfahrenssoll die Vergleichbarkeit mit anderen Studien, die Verhaltensbe-obachtungen der Mutter-Kind-Interaktion oder Fragebögen ver-wendet haben, gewährleistet werden.

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Durch ein weiteres Maß wird außerdem die Anzahl der beob-achteten Verhaltensausschnitte erhöht und so die externe Validitätverbessert. Zusätzlich kann das Interaktionsmaß auch zur Über-prüfung der Validität des Verhaltenstests herangezogen werden.

Zur Erfassung der negativen Emotionalität des Kindes wurdewie beim Verhaltenstest die Kindskala »Emotion« des MannheimerVerfahrens zur Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion im Säug-lingsalter (MBS-MKI-S) von Esser, Scheven, Petrova, Laucht &Schmidt (1989) herangezogen, die die Häufigkeit von positiven(lächeln, lachen) und negativen (quengeln, schreien) Emotionenerfaßt. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung wurde derSummenwert der Skalenwert 1 und 2 über das 10-Minuten-Intervallhinweg gebildet.

Die 10-minütige Videoaufnahme der Wickelszene im Videola-bor wurde im Hinblick auf die Skala »Emotion« ausgewertet. Beidem abendlichen Hausbesuch, d. h. heißt, der 30-minütigen Bade-und Spielszene wurde die Skala minutenweise nacheinander imWechsel mit zwei anderen Skalen beurteilt (siehe oben, Time-Sampling-Verfahren). Für jede Skala stehen demnach Werte fürzehn 1-Minuten-Intervalle zur Verfügung. Zur Dokumentation derInterraterübereinstimmung wurden pro Meßzeitpunkt drei Haus-besuche zu zweit durchgeführt, ebenso verhielt es sich bei der Aus-wertung der Videobänder. Die Kappa-Koeffizienten für die Skala»Emotion« betrugen für die Viermonatserhebung .78 (Hausbesuch)und 1.00 (Videolabor) und für die Achtmonatserhebung .91 (Haus-besuch) und .93 (Videolabor).

2.3.6. Kognitiver Entwicklungsstand

Zu Ermittlung des kognitiven Entwicklungsstandes wurde derBayley-Mental-Test (Bayley Scales of Infant Development vonBayley, 1969) durchgeführt. Es handelt sich hierbei um das ver-breitetste Verfahren zur Ermittlung des kognitiven Entwicklungs-standes im Säuglingsalter. Die Testgütekriterien werden als sehrgut beschrieben, beispielsweise wurde im Zusammenhang mit derMannheimer Risikokinderstudie eine hohe Validität des Verfahrensermittelt (Laucht, Esser & Schmidt, 1993).

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In leichter Abänderung des sonst üblichen Verfahrens wurdeein fester Itemsatz mit für das Alter von vier bzw. acht Monaten vor-gesehenen Items in konstanter Reihenfolge durchgeführt. Norma-lerweise werden je nach Performanz des Kindes verschiedeneItems nacheinander vorgegeben. Die Vereinheitlichung der Durch-führung war notwendig um die, für die Temperamentsauswertungwichtige Standardisierung herzustellen. Als Ergebnis wurden dieRohwerte, d. h. die Summenwerte der insgesamt bewältigten Itemsverwendet.

Der erste Teil des Bayley-Tests wurde auf dem Wickeltischdurchgeführt. Der Säugling lag auf dem Rücken und die Mutterbefand sich außerhalb seines Gesichtsfeldes. Die Versuchsleiteringab vom Kopfende des Kindes her die verschiedenen Objekte vor.Der zweite Teil wurde am Tisch durchgeführt, wo das Kind aufdem Schoß der Mutter saß. Wenn das Kind aufgrund von Müdigkeit,Hunger etc. anfing zu weinen und sich nicht wieder beruhigte,wurde der Bayley-Test abgebrochen und in Verbindung mit demHausbesuch bei der Familie zu Hause zu Ende geführt.

2.4. Datenaggregierung

Aufgrund der großen Anzahl von Variablen und der relativ gerin-gen Stichprobengröße war es notwendig, die Variablen zu aggre-gieren, um ihre Gesamtzahl zu verringern.

2.4.1. Frühkindliches Temperament: negativeEmotionalität

Die negative Emotionalität des Kindes wurde zu beiden Zeit-punkten auf zwei verschiedene Arten erfaßt, einmal als Verhal-tensbeobachtung (Mutter-Kind-Interaktion) und dann als Reaktionauf standardisierte Reize während des Bayley-Tests. Per Verhal-tensbeobachtung wurde die negative Emotionalität ein Mal vor-mittags während der Mutter-Kind-Interaktion im Videolabor undein Mal am frühen Abend im Hausbesuch beurteilt. Diese Daten

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von Videobebachtung und Hausbesuch wurden für beide Zeit-punkte zusammengefaßt, es ergaben sich demnach insgesamt Kenn-werte für 20 Intervalle, aus denen ein Summenwert gebildet wurde.

Zusätzlich war die negative Emotionalität als Reaktion auf instandardisierter Form dargebotener Reize im Verhaltenstest ermit-telt worden. In Tabelle 4 sind die Korrelationen der beiden Maße fürdie negative Emotionalität des Säuglings, in der Interaktion mit derMutter (MKI) und im Verhaltenstest (VT) dargestellt. Für die nega-tive Emotionalität des Säuglings in der Mutter-Kind-Interaktionwurden die aggregierten Werte (s.o.) verwendet.

Tabelle 4Interkorrelation der Maße der negativen Emotionalität desKindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und im Verhaltenstest (VT) mit4 (T1) und 8 Monaten (T2)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *< .05; **< .01

Angegeben sind Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten

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Negative NegativeEmotionalität (MKI) Emotionalität (MKI)

4 Monate 8 Monate

Negative .38* .26Emotionalität (VT) (p= .04) (P= .18)

4 Monate (n=31) (n=28)

Negative .37* .36 t

Emotionalität (VT) (p= .04) (p= .06)8 Monate (n=31) (n=29)

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2.4.2. Mütterliches Interaktionsverhalten

Hinsichtlich der als relevant erachteten Skalen des mütterlichenInteraktionsverhaltens, dem Emotionsausdruck und der Echtheitdes mütterlichen Verhaltens gegenüber dem Kind wurden die Video-beobachtungen ausgewertet. Es wurde jeweils ein Summenwertüber die 10 Intervalle gebildet.

Bezüglich der Reaktivität der Mutter war es möglich gewesen,zusätzlich zu den Videoaufnahmen Daten während der Hausbe-suchsbeobachtungen zu erheben. Es wurde genauso verfahren, wiebei dem Interaktionsmaß der negativen Emotionalität des Kindes.Die Daten der Verhaltensbeobachtung, die im Videolabor und imHausbesuch gewonnen worden waren, die dann für 20 Intervallevorlagen, wurden zu einem Gesamtwert zusammengefaßt.

2.4.3. Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:Depressivität/Ängstlichkeit

Für die statistischen Analysen wurde ein Aggregat verwendet,das »Depressivität/Ängstlichkeit« genannt wurde und sich aus denz-transformierten Skalenwerten der Skalen »Depressivität« aus demEMKK von Engfer (1984), der Skala »Hoffnungslosigkeit« von Beck(deutsch von Krampen, 1979) und der Skala »State-Angst« von Lauxet al. (1981) zusammensetzt.

2.5. Statistische Auswertung

Aufgrund der Verteilungen wurden zur Überprüfung der Hypo-thesen Mittelwertsunterschiede per T-Tests auf Signifikanz über-prüft. Bei dichotomen Daten wurden chi 2-Tests durchgeführt undbei der Kombination von binären Daten und solchen auf Rang-skalenniveau der Mann-Whitney-U-Test.

Die Daten der Variablen »negative Emotionalität« (Verhaltens-test) und »mütterliche Echtheit« wurden aufgrund der Verteilungendurch Medianhalbierung dichotomisiert.

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Bei der Bearbeitung der Fragestellungen zur Bindungssicher-heit wurden, wie bereits erwähnt, alle nicht klassifizierbaren Kin-der (AC) und alle desorganisierten (D = 5) aus den Berechnungenausgeschlossen. Sicher gebundene Kinder wurden mit der Gesamt-heit der unsicher gebundenen (A, C) verglichen.

Die statistischen Berechnungen zur Desorganisation wurden mitallen Versuchspersonen durchgeführt, Kinder mit Desorgani-sationswerten von kleiner oder gleich 5 wurden mit solchen mitWerten größer als 5 verglichen.

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3. Ergebnisse

Bevor die Bearbeitung der im theoretischen Teil der Arbeit ent-wickelten Fragestellungen in Kapitel 3.5 und 3.6 dargestellt werdensoll, wird zunächst untersucht, ob Zusammenhänge zwischensoziodemographischen Daten und Daten des Kindes, wie Geburts-gewicht, Apgarindex etc. mit den abhängigen Variablen, Bindungs-sicherheit und Desorganisation (Kap. 3.1.) bestehen. Anschließendwerden in Kapitel 3.2. mögliche Assoziationen zwischen Krankheits-und Fremdbetreuungsdaten des Kindes und Bindungssicherheitbzw. Desorganisation untersucht.

Nach der Darstellung der Stabilitäten der einzelnen potentiellenPrädiktorvariablen von Bindungssicherheit und Desorganisationüber die beiden Erhebungszeitpunkte hinweg, werden Interkor-relationen dieser Variablen dargestellt (Kap. 3.4.). Der Grund fürdie Darstellung dieser Hintergrunddaten ist, daß sie im Hinblick aufdie Interpretation der Ergebnisse zur Prüfung der Hypothesen zu-sätzliche Information beisteuern.

Zu beachten ist, daß, wie im theoretischen Teil der vorliegendenArbeit im Ergebnisteil von Bindungssicherheit die Rede sein wird,obwohl ein hoher Wert in dieser Variable eigentlich unsichere Bin-dung bedeutet. Analog zur Desorganisation, bei der ein hoher Wertviel desorganisiertes Verhalten bedeutet, müßte die korrekte Be-zeichnung eigentlich »Bindungssicherheit« lauten, worauf jedoch,aus Gründen der Lesbarkeit und Vereinfachung verzichtet wordenist.

Tabellen mit nicht signifikanten Ergebnissen sind im Anhang Adargestellt worden, um eine größere Übersichtlichkeit der Kapitelzu gewährleisten.

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Tabelle 5Statistischer Zusammenhang von soziodemographischen undKinddaten und der Bindungssicherheit

Signifikanzniveau: 1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson

(tp < .10) *p < .05 2 = Mann-Whitney-U c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeit

130

Bindungssicherheit(B vs. A, C)

(n = 27)

sicher unsicher Prüfgröße

x̄ 28.7 29.3 t =Alter der Mutter1 s 3.9 2.3 -.50

n 15 12 (p = .62)

M-W-U =Sozialstatus Mittlerer 11.23 17.4648.5*nach Scheuch2 Rang (n = 15) (n = 12)

(p = .04)

Psychosozialer Mittlerer 16.2 11.25 M-W-U =

Risikoindex2 Rang (n = 15) (n = 12) 57(p = .11)

Geschlecht des Jungen 6 (6.1) c 5 (4.9) c chi2 =

Kindes3 .01Mädchen 9 (8.9) c 7 (7.1) c (p = .62)

Geburtsgewichtx̄ 3472,7 3401,7 t =

des Kindes1s 364,7 586,1 .39n 15 12 (p = .70)

Apgar nach Apg 7/8 0 (6) c 1 (4) c chi2 =

5 Min.3 Apg 9/10 15 (14,4) c 11 (11,6) c1.30

(p = .44)

x̄ 18.10 16.33 t =MDI (4 Monate) 1 s 4.88 5.90 .81

n 14 12 (p = .43)

x̄ 18.64 17.42 t =MDI (8 Monate) 1 s 3.86 3.85 .81

n 14 12 (p = .43)

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3.1 Kontrolle des Einflusses vonsoziodemographischen Daten und Kinddaten auf Bindungssicherheit und Desorganisation

Die Einflüsse der soziodemographischen Daten, nämlich desAlters der Mutter und des Sozialstatus auf die abhängigen VariablenBindungssicherheit und Desorganisation wurden untersucht. DerSozialstatus war in Form des Scheuch-Index, in den die Schulbil-dung beider Eltern und der Beruf des Hauptverdieners der Familieeingehen, ermittelt worden. Außerdem wurde das Geschlecht desKindes, der Apgarwert nach 5 Minuten und der Mental-Develop-ment-Index (Bayley Scales of Infant Development von Bayley,1969) mit vier und acht Monaten zu Bindungssicherheit und Des-organisation in Beziehung gesetzt. Die Ergebnisse in bezug auf dieBindungssicherheit sind in Tabelle 5 dargestellt. Signifikante Unter-schiede zwischen Familien von sicher vs. unsicher gebundenenKindern zeigten sich für den Sozialstatus nach Scheuch, in demSinne, daß Eltern mit höherem Sozialstatus eher unsicher gebun-dene Kinder hatten.

Die Zusammenhänge der soziodemographischen Daten, deskindlichen Geschlechts und anderer Kinddaten mit der Desorgani-sation sind nachfolgend in Tabelle 6 zu sehen. In bezug auf die Des-organisation erwiesen sich zwei Kindvariablen als bedeutsam. Der5-Minuten-Apgarwert, der die Anpassung direkt nach der Geburterfaßt, war tendenziell mit der Desorganisation assoziiert, d. h. Kin-der mit Apgarwerten von 7 oder 8 waren im Alter von 18 Monateneher desorganisiert als solche mit Werten von 9 oder 10. Zu beach-ten ist jedoch, daß es sich insgesamt um nur drei Kinder handeltet,die einen Apgar von 7 oder 8 hatten. Weiterhin zeigte sich ein be-deutsamer Unterschied zwischen nicht desorganisierten und des-organisierten Kindern. Erstere hatten im Alter von acht Monateneinen in der Tendenz höheren Mental Development Index (MDI),der durch die Durchführung des Bayley-Tests (Bayley Scales ofInfant Development von Bayley, 1969) gewonnen worden war.

Das Alter der Mutter, das Geschlecht des Kindes und der Mental-Development-Index mit vier und acht Monaten erwiesen sich alsmit Bindungssicherheit und Desorganisation unkorrelier.

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Tabelle 6Statistischer Zusammenhang von soziodemographischen Datenund der Desorganisation

Desorganisation(n = 33)1

nicht D D Prüfgröße

x̄ 29.0 27.3 t =Alter der Mutter1 s 3.3 4.4 -.88

n 27 6 (p = .41)

M-W-U =Sozialstatus Mittlerer 18.9 12.0851.5nach Scheuch2 Rang (n = 27) (n = 6)

(p = .17)

Psychosozialer Mittlerer 15.33 24.5 M-W-U =

Risikoindex2 Rang (n = 27) (n = 6) 36*(p = .03)

Geschlecht des Jungen 11 (12.3) c 4 (2.7) c chi2 =

Kindes3 1.33Mädchen 16 (14.7) c 2 (3.3) c (p = .24)

Geburtsgewichtx̄ 3441,1 3561,7 t =

des Kindes1s 467,1 355 .71n 27 6 (p = .50)

Apgar nach Apg 7/8 1 (2.5) c 2 (0.5) c chi2 =

5 Min.3 Apg 9/10 26 (24,5) c 4 (5.5) c5.2 t

(p = .08)

x̄ 17.27 16.5 t =MDI (4 Monate) 1 s 5.33 5.36 .32

n 26 6 (p = .76)

x̄ 18.08 15.5 t =MDI (8 Monate) 1 s 3.83 2.59 1.99 t

n 26 6 (p = .07)

Signifikanzniveau: 1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson(tp < .10) *p < .05 2 = Mann-Whitney-U c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeit

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3.2. Kontrolle des Einflusses der Krankheit desKindes und der Fremdbetreuung aufBindungssicherheit und Desorganisation

Der Einfluß von Krankheit des Kindes zum Zeitpunkt der Durch-führung der Fremden Situation auf die Klassifizierung als sicheroder unsicher, desorganisiert oder nicht desorganisiert wurdeuntersucht. Außerdem wurde die Bedeutung betreuungsstruktu-reller Variablen, die möglicherweise mit der Entwicklung von Bin-dungssicherheit und Desorganisation verknüpft sein könnten, ana-lysiert. Die Berufstätigkeit der Mutter, das Ausmaß der Betreuungdurch dritte Personen und eventuelle Trennungen von Mutter undKind waren per Interview erfaßt worden und wurden nun hin-sichtlich möglicher Gruppenunterschiede verglichen. Die Ergeb-nisse für die Bindungssicherheit sind im Anhang, Tabelle A6 dar-gestellt, die für die Desorganisation in Tabelle A7, Anhang.

Es ergaben sich weder für die Bindungssicherheit noch für dieDesorganisation signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen.Da zum Zeitpunkt T1, also im Kindesalter von vier Monaten nurvon sechs Versuchspersonen angegeben wurde, daß sie ihre Säug-linge durch dritte Personen betreuen ließen, wurde es nicht alssinnvoll erachtet, die Gruppen hinsichtlich der betreuten Stundenpro Woche zu vergleichen.

3.3 Stabilitäten der potentiellen Prädiktoren vonBindungssicherheit und Desorganisation zwischen dem ersten und zweiten Erhebungszeitpunkt

Die Stabilitätskoeffizienten der verwendeten Maße von Kind-und Muttermerkmalen zwischen dem ersten Erhebungszeitpunktim vierten Lebensmonat des Kindes und dem zweiten im achtenLebensmonat werden nachfolgend in Tabelle 7 gezeigt. Die müt-terliche Echtheit des Interaktionsverhaltens kommt in diesem Ka-pitel nicht vor, da sie zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vor-liegenden Arbeit nur für den ersten Erhebungszeitpunkt aus-gewertet war.

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Tabelle 7Stabilitäten der Maße der negativen Emotionalität, der mütterlichen Reaktivität, dem Emotionsausdruck und der Depressivität/Ängstlichkeitvon 4 nach 8 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05; **p < .01; ***p < .001

1 = Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

4 = chi2 nach Pearson

Die Kennwerte, die Dimensionen des Verhaltens oder der Per-sönlichkeit der Mutter beschreiben, nämlich die Reaktivität/Sen-sitivität, der Emotionsausdruck und die Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter erwiesen sich insgesamt als stabil. Die höchste Stabilitätzeigte dabei die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter, deren Wer-te über beide Zeitpunkte hochsignifikant korrelieren. Die Variablendes Interaktionsverhaltens der Mutter, Reaktivität und Emotions-ausdruck wiesen ebenfalls Stabilität auf, wenn auch in etwas gerin-gerem Maße als die Depressivität/Ängstlichkeit.

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Negative Emotionalität 1-.07

Mutter-Kind-Interaktion(p = .716)

(n = 30)

Negative Emotionalität44.40 t

Verhaltenstest(p = .071)

(n = 29)

Mutter Reaktivität 1

Mutter-Kind-Interaktion.55**

(n = 32)(p = .001)

Mutter Emotionsausdruck 1

.48**Mutter-Kind-Interaktion

(p = .005)(n = 32)

Mutter Depressivität/Ängstlichkeit 1

Fragebogen.76***

(n = 32)(p = .000)

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Die beiden Kennwerte der negativen Emotionalität des Kindesstellten sich über den Zeitraum von vier Monaten als weit wenigerstabil dar. Lediglich bei den Maßen aus dem Verhaltenstest zeigte sichein tendenzieller Zusammenhang zwischen vier und acht Monaten.

3.4. Interkorrelationen der potentiellen Prädiktoren von Bindungssicherheit und Desorganisation

Im folgenden werden zunächst die Interkorrelationen der ver-schiedenen Mutterskalen dargestellt. Die Korrelation der beidenMaße der negativen Emotionalität des Säuglings wurden bereitsim Methodenteil (vgl. Kap 2.4.1.) beschrieben.

Anschließend werden Zusammenhänge zwischen beiden Maßenfür die negative Emotionalität des Kindes und den Kennwerten fürdas mütterliche Interaktionsverhalten (Reaktivität, Emotionsausdruck,Echtheit des Verhaltens) und die Depressivität/Ängstlichkeit der Mut-ter beschrieben. Die Daten werden jeweils zu einem Zeitpunkt (T1und T2) querschnittlich und über die Zeitpunkte hinweg zur Eru-ierung erster längsschnittlicher Ergebnisse in Beziehung gesetzt.

3.4.1. Interkorrelationen der Merkmale mütterlichenInteraktionsverhaltens, der Depressivität/Ängstlich-keit und des psychosozialen Risikos

Zunächst werden die Zusammenhänge der Muttervariablen,also der Reaktivität, des Emotionsausdrucks und der Echtheit desVerhaltens untereinander dargestellt werden. Da die psychosozialeRisikobelastung signifikant mit der Desorganisation verknüpft war,wurden auch für diese Variable die Zusammenhangsmaße mit demmütterlichen Verhalten und der Depressivität/Ängstlichkeit berech-net. Der Scheuch-Index, der sich als bedeutsam mit der Bindungs-sicherheit verknüpft erwiesen hatte, korrelierte weder mit denVariablen des mütterlichen Interaktionsverhaltens noch mit derDepressivität/Ängstlichkeit der Mutter. Aus diesem Grund ist aufeine Darstellung der Korrelationskoeffizienten vom Scheuch-Indexund den verschiedenen Mutterskalen verzichtet worden.

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Tabelle 8Interkorrelationen der mütterlichen Reaktivität, des Emotionsausdrucks, der Echtheit des Verhaltens, der Depressivität/Ängstlichkeit und des psychosozialen Risikos im Kindesalter von 4 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten

Bezüglich der Viermonatsdaten zeigten sich bedeutsame Zusam-menhänge zwischen der mütterlichen Reaktivität/Sensitivität unddem Emotionsausdruck der Mutter während der Interaktion mit

Mutter Mutter Mutter Psycho-Emotions- Echtheit Depressivität/ sozialesausdruck Ängstlichkeit Risiko4 Monate 4 Monate 4 Monate(n = 33) (n = 33) (n = 33) (n = 33)

MutterReaktivität .36* .22 .13 .114 Monate (p = .04) (p = .22) (p = .48) (p = .54)

MutterEmotions- -.05 .26 -.09ausdruck (p = .77) (p = .14) (p = .61)4 Monate

MutterEchtheit -.16 -.36*4 Monate (p = .38) (p = .04)

MutterDepressivität/ .25Ängstlichkeit (p = .16)

4 Monate

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Tabelle 9Interkorrelationen der mütterlichen Reaktivität, des Emotionsausdrucks,

der Depressivität/Ängstlichkeit und des psychosozialen Risikosmit 8 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten

dem Säugling. Mütter, die sich im Vergleich zu anderen eher reak-tiv und sensitiv gegenüber dem Kind verhielten, zeigten auch mehrpositiven Emotionsausdruck. Die Echtheit des mütterlichen Inter-aktionsverhaltens war signifikant mit der psychosozialen Risiko-belastung assoziiert, d. h., daß Mütter, mit hohem Risikoindex in derInteraktion mit ihrem Säugling weniger echtes Verhalten zeigten,als Mütter mit niedrigerer Risikobelastung (siehe Tab. 8).

Eine Korrelation zwischen mütterlicher Reaktivität/Sensitivitätund Emotionsausdruck zeigte sich ebenfalls für den zweiten Erhe-bungszeitpunkt, diesmal sogar in stärkerem Maße (siehe Tab. 9).

137

Mutter Mutter Psycho-Emotions- Depressivität/ sozialesausdruck Ängstlichkeit Risiko8 Monate 8 Monate(n = 32) (n = 32) (n = 32)

MutterReaktivität .47* -,01 -,088 Monate (p = .01) (p = .96) (p = .65)

MutterEmotions- .12 -.06ausdruck (p = .50) (p = .74)8 Monate

MutterDepressivität/ -.37*Ängstlichkeit (p = .04)

8 Monate

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Für die Echtheit des mütterlichen Verhaltens lagen für den zweitenErhebungszeitpunkt keine Daten vor. Eine weitere Variable war fürdas Kindesalter von acht Monaten bedeutsam mit einer anderenverknüpft. Die mütterliche Depressivität/Ängstlichkeit korreliertesignifikant mit dem psychosozialen Risikoindex. Mütter, die imKindesalter von acht Monaten hohe Werte in Depressivität/Ängst-lichkeit aufwiesen, hatten eine höhere psychosoziale Risikobe-lastung als Mütter mit niedrigeren Werten.

3.4.2 Querschnittliche Zusammenhänge zwischen allen potentiellen Prädiktoren von Bindungssicherheit und Desorganisation

Die Daten der negativen Emotionalität des Kindes wurden mitdem Interaktionsverhalten der Mutter und deren Depressivi-tät/Ängstlichkeit in Beziehung gesetzt. Zunächst wurden die Kenn-werte für den ersten Erhebungszeitpunkt (vier Monate) und an-schließend für den zweiten Erhebungszeitpunkt (acht Monate)berechnet. Für die negative Emotionalität des Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit vier Monaten ergab sich kein signifi-kanter Zusammenhang mit den Daten des mütterlichen Interak-tionsverhaltens und ihrer Depressivität/Ängstlichkeit. In tabella-rischer Form sind die Ergebnisse im Anhang, Tabelle A8, A9 dar-gestellt.

In Verbindung mit der negativen Emotionalität im Verhaltenstest(VT) zum gleichen Zeitpunkt erwies sich lediglich die Echtheit derMutter während der Interaktion mit dem Kind als bedeutsam.Mütter von Kindern, die vergleichsweise häufig negative Emo-tionen ausdrückten verhielten sich im Zusammensein mit demKind weniger echt als Mütter von Kindern, die weniger quengeltenund weinten ( siehe Tab.10). Die nicht signifikanten Zusammen-hangsmaße zwischen der negativen Emotionalität (VT) und dermütterlichen Reaktivität, dem Emotionsausdruck und ihrer De-pressivität/Ängstlichkeit sind im Anhang, Tabellen A 10, A 11 dar-gestellt.

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Tabelle 10statistischer Zusammenhang zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) und der Echtheit des mütterlichenVerhaltens im Kindesalter von 4 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von chi2-Tests nach Pearson

Nachfolgend werden die Zusammenhangsmaße für die Datender negativen Emotionalität des Kindes und den Kennwerten desmütterlichen Interaktionsverhaltens und der mütterlichen De-pressivität/Ängstlichkeit im Kindesalter von acht Monaten be-schrieben.

Für die negative Emotionalität in der Mutter-Kind-Interaktion(MKI) ergab sich keine signifikante Assoziation mit der Reak-tivität/Sensitivität der Mutter (Anhang, Tabelle A 12). Es zeigte sichjedoch eine signifikante Korrelation zwischen der negativen Emo-tionalität des Kindes (MKI) und dem Emotionsausdruck der Mutter.Mütter, die hohe Werte im Emotionsausdruck bekamen, d. h. diehäufig lächelten, lachten oder ein »attention-getting-face« (aus-drucksstarke Mimik, die Aufmerksamkeitszuwendung des Kindeshervorruft) zeigten, hatten Kinder, die in der Interaktion mit ihnenweniger negative Emotionalität ausdrückten, als Kinder vonMüttern mit weniger positivem Emotionsausdruck (siehe Tabelle11). Mit der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter war die nega-tive Emotionalität (VT) nicht bedeutsam verknüpft (Anhang,Tabelle A 13).

Negative Emotionalität (VT)4 Monate(n = 31)

< Median > Median Prüfgröße

Mutter < Median 8 (11.1) c 7 (3.9) c chi2 =Echtheit 6.60*4 Monate > Median 15 (11.9) c 1 (4.1) c (p = .01)

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Tabelle 11Korrelation zwischen der negativen Emotionalität des Kindesin der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und dem Emotionsausdruckder Mutter im Kindesalter von 8 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten

Die negative Emotionalität (VT) dagegen hing weder mit dermütterlichen Reaktivität noch mit dem Emotionsausdruck zusam-men (Tab. A14). Hinsichtlich der Depressivität/Ängstlichkeit derMutter zum Zeitpunkt T2 ergab sich ein jedoch ein signifikantesErgebnis: Mütter mit hohen Werten in Depressivität und Ängst-lichkeit hatten Kinder, die während des Verhaltenstests mehr quen-gelten und weinten als Kinder von weniger depressiv gestimmtenMüttern (siehe Tab 12).

3.4.3. Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen allen potentiellen Prädiktoren von Bindungssicherheit und Desorganisation

Zur Betrachtung der längsschnittlichen Zusammenhänge wur-den die beiden Maße der negativen Emotionalität des Kindes mitvier Monaten nun mit den Werten des mütterlichen Interaktions-verhaltens und der mütterlichen Depressivität/Ängstlichkeit imKindesalter von acht Monaten korreliert.

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Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 30)

Mutter -.40*Emotionsausdruck (p = .03)

8 Monate

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Tabelle 12statistischer Zusammenhang zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) und der Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter im Kindesalter von 8 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertsvergleichen durch T-Tests

Während sich weder für die negative Emotionalität in der Mut-ter-Kind-Interaktion noch im Verhaltenstest (vier Monate) signi-fikante Korrelationen mit den Interaktionsdaten der Mutter (Reak-tivität, Emotionsausdruck) (acht Monate) zeigten (Anhang, Tab.A 15, A 17), gab es hinsichtlich der Depressivität/Ängstlichkeit einensignifikanten Befund: Mütter von Kindern, die mit vier Monatenvermehrt negative Emotionalität (VT) gezeigt hatten, waren vierMonate später signifikant depressiver als Mütter von Kindern, dieweniger negativ waren (siehe Tab. 13). Die negative Emotionalität(MKI) hing dagegen nicht mit der Depressivität/Ängstlichkeit derMutter zusammen (Anhang, Tab. A 16).

Auch mögliche Verknüpfungen in der anderen Richtung wur-den analysiert, indem das Interaktionsverhalten und die Depressi-vität/Ängstlichkeit der Mutter im Alter des Kindes von vier Mona-ten mit der negativen Emotionalität des Kindes mit acht Monaten inBeziehung gesetzt wurde.

Die Daten der negativen Emotionalität (MKI) (acht Monate)erwiesen sich als nicht bedeutsam mit dem Interkationsverhaltenoder der Depressivität/Ängstlichkeit (vier Monate) verknüpft (An-

141

Negative Emotionalität (VT)8 Monate(n = 30)

< Median > Median Prüfgröße

MutterDepressivität/

x-̄ .82 1.21 t =

Ängstlichkeits 2.04 2.79 -2.18*

8 Monaten 19 12 (p = .04)

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Tabelle 13statistischer Zusammenhang zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 4 Monaten und der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter im Kindesalter von 8 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertsvergleichen durch T-Tests

hang, Tab. A 18, A 19). Bei den Werten für die negative Emotionalität(VT) zeigte sich ein tendenzieller Unterschied zwischen Kindern,die mit acht Monaten vermehrt negative Emotion gezeigt hatten undanderen. Erstere hatten Mütter, die vier Monate vorher in der Inter-aktion mit ihren Säuglingen weniger positive Emotion bzw. wenigerpositiven Emotionsausdruck gezeigt hatten (siehe Tab. 14). Die rest-lichen Muttervariablen des 2. Erhebungszeitpunktes hingen nicht mitder negativen Emotionalität (VT) zusammen (Anhang, Tab. A 20).

3.5. Prüfung der Hypothesen zur Bindungssicherheit

Im folgenden sollen nun die Fragestellungen in bezug auf dieBindungssicherheit statistisch geprüft werden. Für die mütterlicheReaktivität/Sensitivität ist im Theorieteil keine Hypothese formu-liert worden, da der Zusammenhang dieser Variable mit der Bin-dungssicherheit als ausreichend belegt angesehen wurde. ZurVervollständigung der Ergebnisse sind trotzdem Berechnungen mit der Reaktivität der Mutter angestellt und zusammen mit den ande-ren Merkmalen des mütterlichen Verhaltens dargestellt worden.

142

Negative Emotionalität (VT)4 Monate(n = 30)

< Median > Median Prüfgröße

Mutter x̄ -.56 2.05 t =Depressivität/ s 2.29 2.53 -2.56*Ängstlichkeit n 22 8 (p = .03)

8 Monate

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Tabelle 14statistischer Zusammenhang zwischen der negativen Emotionalität des Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 8 Monaten und dem Emotionsausdruckder Mutter im Kindesalter von 4 Monaten

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertsvergleichen durch T-Tests

Zunächst werden die Variablen des mütterlichen Interaktions-verhaltens, Emotionsausdruck und Echtheit des Verhaltens derMutter auf ihren Zusammenhang mit der Bindungssicherheit hinuntersucht. Anschließend wird die Depressivität/Ängstlichkeit derMutter und schließlich die beiden Maße der kindlichen negativenEmotionalität mit der Bindungssicherheit in Beziehung gesetzt.

3.5.1. Bivariate Zusammenhänge von mütterlichem Inter-aktionsverhalten (Reaktivität, Emotionsausdruck und Echtheit des Verhaltens) und Bindungssicherheit

Zur Prüfung der Hypothesen 1 und 2 wurden mit 18 Monatensicher gebundene Kinder hinsichtlich des Emotionsausdrucks undder Echtheit des Verhaltens ihrer Mütter mit unsicher gebundenenverglichen. Für beide Erhebungszeitpunkte ergaben sich keinerleisignifikante Mittelwertsunterschiede zwischen sicher und unsichergebundenen Kindern hinsichtlich des mütterlichen Interaktions-verhaltens.

143

Negative Emotionalität (VT)8 Monate(n = 31)

< Median > Median Prüfgröße

Mutter x̄ 3.00 2.57 t =Emotions- s .58 .58 1.98t

ausdruck n 19 12 (p = .06)4 Monate

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In Tabelle A 21 im Anhang sind die statistischen Zusammen-hänge der Kennwerte des mütterlichen Interaktionsverhaltens, d. h.der Reaktivität/Sensitivität, des Emotionsausdrucks und der Echt-heit ihres Verhaltens im Kindesalter von vier Monaten, in TabelleA 22 die für das Alter von acht Monaten mit der Bindungssicher-heit zu sehen (Hypothese 1 und 2).

3.5.2. Bivariate Zusammenhänge von mütterlicherDepressivität/Ängstlichkeit und Bindungssicherheit

Zur Prüfung der Hypothese 3 wurde als nächstes die, per Frage-bogen erhobene Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter, die wie-derum zu zwei Zeitpunkten erfaßt worden war, zur Bindungssi-cherheit in Beziehung gesetzt. Während sich für den erstenErhebungszeitpunkt von vier Monaten keine signifikante Verknüp-fung zwischen beiden Variablen zeigte (Anhang Tab. A23), korre-lierte die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter im Kindesalter vonacht Monaten signifikant mit der Bindungssicherheit. Kinder, diemit 18 Monaten als sicher gebunden eingestuft wurden, hatten Müt-ter, die sich selbst 10 Monate zuvor als weniger depressiv beschrie-ben hatten als Mütter von unsicher gebundenen Kindern (sieheTab. 15).

3.5.3. Bivariate Zusammenhänge von negativerEmotionalität des Säuglings und Bindungssicherheit

3.5.3.1. Zusammenhang von negativer Emotionalität in derMutter-Kind-Interaktion und Bindungssicherheit

Zunächst wurden die Maße der negativen Emotionalität desSäuglings, die während der Interaktion mit der Mutter erhobenworden waren, in Beziehung zur Bindungssicherheit gesetzt. ZurPrüfung der Hypothese 4 wurden die Mittelwertsunterschiede zwi-schen sicher und unsicher gebundenen Kindern hinsichtlich der negativen Emotionalität in der Mutter-Kind-Interaktion berechnetund in Tabelle 16 dargestellt.

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Tabelle 15Korrelationen zwischen der Depressivität/Ängstlichkeit derMutter im Kindesalter von 8 Monaten und der Bindungssicherheit(18 Monate)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertsvergleiches durch T-Test

Tabelle 16Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 4 Monaten und derBindungssicherheit (18 Monate)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mann-Whitney-U-Tests

145

Bindungssicherheit(B vs. A, C)

(n = 26)

sicher unsicher Prüfgröße

Mutter x̄ -1.27 .41 t =Depressivität/ s 1.99 2.42 1.91t

Ängstlichkeit n 14 12 (p = .07)8 Monate

Bindungssicherheit(B vs. A, C)

(n = 27)

sicher unsicher Prüfgröße

Muttermittlerer 11.23 17.46

M-W-U =Emotionalität

Rang (n = 15) (n = 12)48.5*

(MKI) (p = .04)4 Monate

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Es zeigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen der negati-ven Emotionalität der Säuglinge, die während der Interaktion mitder Mutter beobachtet wurde und der Bindungssicherheit: Kinder,die mit 18 Monaten als sicher gebunden klassifiziert wurden, hat-ten mit vier Monaten in der Interaktion mit der Mutter wenigergequengelt und geschrien als unsicher gebundene Kinder.

Für das Alter des Kindes von acht Monaten erwies sich die nega-tive Emotionalität während der Interaktion mit der Mutter nur nochals tendenziell bedeutsam. Die Richtung des Mittelwertsunter-schiedes zwischen sicher und unsicher gebundenen Kindern waranders als bei den Viermonatsdaten. Mit 18 Monaten sicher gebun-dene Kinder zeigten mit acht Monaten in der Tendenz mehr nega-tive Emotionen als unsicher gebundene. In Tabelle 17 sind die Mit-telwertsunterschiede zwischen sicher und unsicher gebundenKindern hinsichtlich der negativen Emotionalität in der Mutter-Kind-Interaktion abgebildet.

Tabelle 17Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalität des Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 8 Monaten (T2)und der Bindungssicherheit (18 Monate)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mann-Whitney-U-Tests

146

Bindungssicherheit(B vs. A, C)

(n = 25)

sicher unsicher Prüfgröße

Negativemittlerer 15.62 10.17

M-W-U =Emotionalität

Rang (n = 13) (n = 12)44.0 t

(MKI) (p = .07)8 Monate

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3.5.3.2. Zusammenhang von negativer Emotionalität imVerhaltenstest und Bindungssicherheit

In der Hypothese 5 wurde die Bedeutsamkeit der negativenEmotionalität eines Säuglings im Verhaltenstest als Prädiktor fürdie Bindungssicherheit postuliert. Zur Bearbeitung dieser Fra-gestellung wurde für jeden Zeitpunkt ein Vier-Felder-chi2-Testdurchgeführt. Weder für das Kindesalter von vier Monaten noch dasvon acht Monaten zeigten sich signifikante Verknüpfungen vonnegativer Emotionalität im Verhaltens-test und Bindungssicherheit,die Ergebnisse sind im Anhang, Tab. A 24 und Tab. A 25 dargestellt.

3.5.4. Multivariate Zusammenhänge/Prüfung derPrädiktoren zur Vorhersage der Bindungssicherheit

Zusätzlich zur Ermittlung der bivariaten Zusammenhänge dereinzelnen potentiellen Prädiktorvariablen und der abhängigen Vari-ablen wurde die Vorhersagbarkeit von Bindungssicherheit mit Hilfemehrerer Variablen analysiert. In die multiple Regression wurdendie Variablen aufgenommen, die sich vorher als bedeutsam mit derBindungssicherheit verknüpft erwiesen hatten, d. h. die negativeEmotionalität des Säuglings in der Mutter-Kind-Interaktion zu bei-den Zeitpunkten und die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter zuT 2. Die Ergebnisse der multiplen Regression zur Vorhersage derBindungssicherheit sind in Tabelle 18 (nächste Seite) zu sehen.

Zuerst wurde die negative Emotionalität des Kindes (MKI) mitvier Monaten und anschließend für den Achtmonatszeitpunkt indie Regression gegeben. Es zeigte sich, daß die Hinzunahme dernegativen Emotionalität des Säuglings zu T 2 einen signifikantenZuwachs an Varianzaufklärung erbrachte. Der Zuwachs an Nega-tivität des Säuglings von vier bis acht Monate konnte demnacheinen Beitrag zur Vorhersage der Bindungssicherheit leisten. DieDepressivität/Ängstlichkeit der Mutter zu T 2 wurde anschließendals weiterer Prädiktor in die multiple Regression aufgenommen.Wie in Tabelle 18 zu sehen, trug die Hinzunahme dieser Variablejedoch nicht zur Verbesserung der Varianzaufklärung bei.

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Tabelle 18Ergebnisse der multiplen Regression zur Vorhersage der Bindungs-sicherheit: negative Emotionalität in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI)und Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter (n = 27)

Signifikanzniveau: (tp < .10); *p < .05; **p < .01

3.6. Prüfung der Hypothesen zur Desorganisation

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die bivariaten und multi-variaten Zusammenhänge der Prädiktorvariablen mit der Bindungs-sicherheit dargestellt. In diesem Kapitel sollen nun die Fragestel-lungen in bezug auf die Desorganisation statistisch geprüft werden.Bei den als desorganisiert eingestuften Kindern in der vorliegendenStudie handelt es sich um sechs Versuchspersonen, die mit 27 nichtdesorganisierten Kindern verglichen wurden. Aufgrund dieser

148

Modell/ R F Sign. F Sign.Prädikatorvariablen P Change P

1. • kindliche negative .47 6.7 .016*Emotionalität (MKI) T 1

2. • kindliche negativeEmotionalität (MKI) T 1

• kindliche negative .62 7.1 .004** 6.03 .022*Emitionalität (MKI) T 2

3. • kindliche negativeEmotionalität (MKI) T 1

• kindliche negativeEmotionalität (MKI) T 2

• mütterlicheDepressivität/Änglichkeit .65 5.1 .008** 1.13 .30(Fragebogen) T 2

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niedrigen Anzahl sind die Ergebnisse der statistischen Berechnun-gen nicht als repräsentativ anzusehen. Sie haben eher explorieren-den Charakter und sollen zu weiterer Überprüfung der Hypothesenan größeren Stichproben anregen.

Auch hier sind, um die Ergebnisse zu vervollständigen, Berech-nungen mit der Reaktivität der Mutter angestellt und zusammenmit den anderen Merkmalen des mütterlichen Verhaltens dargestelltworden, obwohl hierfür keine Hypothese formuliert wurde.

Zunächst werden die Variablen des mütterlichen Interaktions-verhaltens, Emotionsausdruck und Echtheit des Verhaltens derMutter auf ihren Zusammenhang mit der Desorganisation hinuntersucht. Anschließend wird die Depressivität/Ängstlichkeit derMutter und schließlich die beiden Maße der kindlichen negativenEmotionalität mit der Desorganisation in Beziehung gesetzt.

3.6.1. Bivariate Zusammenhänge von Merkmalen desmütterlichen Interaktionsverhaltens(Emotionsausdruck und Echtheit des Verhaltens) und Desorganisation

In den Hypothesen 6 und 7 war postuliert worden, daß sich dieDesorganisation mit 18 Monaten anhand des mütterlichen Interak-tionsverhaltens im ersten Lebensjahr, genauer anhand des Emotion-ausdrucks und der Echheit ihres Verhaltens vorhersagen läßt. ZurPrüfung der Hypothesen wurden Vier-Felder-chi2-Tests durchgeführt,die beobachtete und erwartete Häufigkeiten miteinander verglichen.

Lediglich ein Merkmal des mütterlichen Interaktionsverhaltenserwies sich als bedeutsam mit der Desorganisation assoziiert: dieEchtheit des mütterlichen Verhaltens. Kinder, die mit 18 Monatendesorganisiertes Verhalten zeigten, hatten häufiger als erwartetMütter, die im Kindesalter von vier Monaten weniger echtes Ver-halten gezeigt hatten als Mütter von nicht desorganisierten Kindern(siehe Tab. 19). Hinsichtlich der anderen Skala des mütterlichenVerhaltens ergab sich kein signifikanter Zusammenhang (sieheTab. A26 im Anhang). Im Kindesalter von acht Monaten war dieEmotionalität der Mutter während der Interaktion mit dem Säug-ling nicht mit der Desorganisation assoziiert (siehe Tab. A 27).

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Tabelle 19Statistische Zusammenhänge zwischen der Echtheit des Verhaltens der Mutter im Kindesalter von 4 Monaten und der Desorganisation

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines chi2 -Tests nach Pearson

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

3.6.2. Bivariate Zusammenhänge vonmütterlicher Depressivität/Ängstlichkeit undDesorganisation

Anschließend wurde geprüft, ob die mütterliche Depressivität/Ängstlichkeit zu T 1 und T 2 einen bedeutsamen Prädiktor für dieVorhersage der Desorganisation darstellt (Hypothese 8). Mit Hilfevon T-Tests wurden die Mittelwertsunterschiede von Müttern des-organisierter Kinder, mit denen nicht desorganisierter Kinder aufSignifikanz geprüft. Für den ersten Erhebungszeitpunkt ergab sichkein signifikanter Mittelwertsunterschied zwischen den Depressi-vitätswerten von Müttern desorganisierter und nicht desorgani-sierter Kinder (siehe Anhang, Tab. A 28).

Die Berechnung für den Achtmonatszeitpunkt dagegen erbrach-te ein signifikantes Ergebnis: Mütter von desorganisierten Kindernhatten im Kindesalter von acht Monaten signifikant höhere Wertein Depressivität/Ängstlichkeit (siehe Tab. 20).

150

Desorganisation(n = 33)

Nicht D D Prüfgröße

Mutter < Median 10 (12.3) c 5 (2.7) c chi2 =Echtheit 4.24t

4 Monate > Median 17 (14.7) c 1 (3.3) c (p = .05)

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Tabelle 20Statistische Zusammenhänge zwischen der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter im Kindesalter von 8 Monaten und der Desorganisation

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertsvergleiches durch T-Test

3.6.3. Bivariate Zusammenhänge von negativerEmotionalität des Säuglings und Desorganisation

3.6.3.1. Zusammenhang von negativer Emotionalität in derMutter-Kind-Interaktion und Desorganisation

Zunächst wurden Unterschiede zwischen desorganisierten undnicht desorganisierten Kindern in der Häufigkeit der gezeigtennegativen Emotionalität in der Interaktion mit der Mutter auf Sig-nifikanz überprüft (Hypothese 9).

Desorganisierte Kinder zeigten im Alter von vier Monaten in derInteraktion mit der Mutter keine signifikanten Unterschiede hin-sichtlich der Häufigkeit und Intensität der geäußerten negativenEmotionen. Die Ergebnisse sind in tabellarischer Form im Anhang,Tab. A 29. zu sehen. Für den zweiten Erhebungszeitpunkt zeigtesich ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen der negativenEmotionalität und der Desorganisation. Kinder, die mit 18 Monatenals desorganisiert eingestuft wurden, hatten im Alter von vierMonaten in der Interaktion mit der Mutter signifikant häufigergequengelt und geschrien (siehe Tab. 21).

151

Desorganisation(n = 32)

nicht D D Prüfgröße

Mutter x̄ -.49 2.47 t =Depressivität/ s 2.32 2.14 -3.00*Ängstlichkeit n 26 6 (p = .02)

8 Monate

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Tabelle 21Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 8 Monaten und derDesorganisation (18 Monate)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05 **p < .01Angegeben ist das Ergebnis eines Mann-Whitney-U-Tests

3.6.3.2 Zusammenhang von negativer Emotionalitätim Verhaltenstest und Desorganisation

In Hypothese 10 wurde formuliert, daß sich das desorganisierteVerhalten mit 18 Monaten anhand der negativen Emotionalität desSäuglings im Verhaltenstest vorhersagen läßt. In Tabelle A 26 imAnhang wurden die beobachteten und erwarteten Häufigkeiten vondesorganisierten und nicht desorganisierten Kindern hinsichtlichder gezeigten negativen Emotionalität im Verhaltenstest mit vierMonaten statistisch verglichen. Für das Alter des Kindes von acht Monaten ergab sich ein statistisch bedeutsamer Zusammenhangzwischen der negativen Emotionalität des Säuglings und desorgani-sertem Verhalten mit 18 Monaten. Unter den desorganisierten Kin-dern gab es mehr als erwartet solche Kinder, die mit vier Monatenim Verhaltenstest signifikant mehr als andere gequengelt und ge-schrien hatten (siehe Tab. 22).

152

Desorganisation(n = 30)

nicht D D Prüfgröße

Negativemittlerer 13.42 25.90

M-W-U =Emotionalität

Rang (n = 25) (n = 5)10.5**

(MKI) (p = .002)8 Monate

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Tabelle 22Statistische Zusammenhänge zwischen der negativenEmotionalität des Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 8 Monaten undder Desorganisation (18 Monate)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines chi2 -Tests nach Pearson

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

153

Desorganisation(n = 31)

nicht D D Prüfgröße

Negative < Median 18 (15.3) c 1 (3.7) c chi2 =Emotionalität 6.24*

(VT)8 Monate > Median 7 (9.7) c 5 (2.3) c (p = .02)

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4. Diskussion

4.1. Prädiktoren der Bindungssicherheit

Zunächst sollen zusammenfassend alle Ergebnisse bezüglichder Prädiktoren der Bindungssicherheit dargestellt werden. Im Hin-blick auf die Merkmale des mütterlichen Interaktionsverhaltens(Reaktivität, Emotionsausdruck, Echtheit des Verhaltens) ergabensich keine signifikanten Unterschiede zwischen sicher und unsi-cher gebundenen Kindern. Zum zweiten Erhebungszeitpunkt un-terscheiden sich Mütter von unsicher gebundenen Kindern durcheine im Vergleich zu anderen Müttern signifikant höhere Depressi-vität/Ängstlichkeit. Die negative Emotionalität des Säuglings in derInteraktion mit der Mutter zu beiden Erhebungszeitpunkten erwiessich als mit der Bindungssicherheit assoziiert. Die negative Emo-tionalität im Verhaltenstest hing dagegen nicht mit der Bindungs-sicherheit zusammen.

4.1.1. Mütterliches Interaktionsverhalten

A. Sensitivität/Feinfühligkeit

Im theoretischen Teil dieser Arbeit war dargelegt worden, daßdie Bedeutung der mütterlichen Sensitivität für die Ausbildungeiner sicheren Bindung an die Bezugsperson als belegt angesehenwerden kann. In der vorliegenden Studie wurde aus diesem Grundkeine Hypothese für diese Variable formuliert. Unterschiede zwi-schen den Gruppen wurden trotzdem berechnet, einerseits zur Vali-dierung der anderen Skalen des mütterlichen Interaktionsverhal-tens, anderseits um den Rahmen für die Untersuchung des Einflussesdes mütterlichen Interaktionsverhaltens zu schaffen.

Als Ergebnis fand sich im T-Test kein signifikanter Unterschiedzwischen der Reaktivität/Sensitivität der Mütter von sicher undunsicher gebundenen Kindern.

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De Wolff und van Ijzendoorn (1997) fanden in ihrer Metaana-lyse Efffektstärken von .22 bis .24. für die Zusammenhänge vonunterschiedlichen Sensitivitätsskalen und den Bindungstypen derKinder, d. h. die Variable Mütterliche Sensitivität klärte insgesamtnicht sehr viel Varianz auf (de WolfF & van Ijzendoorn, 1997).

Dieser Metaanalyse zufolge erzielten die größten Effektstärkenjene Skalen, wie z. B. »mutuality«, die das wechselseitige Zusam-menspiel von Mutter und Säugling ins Zentrum gerückt hatten undweniger solche Maße, die stärker das Verhalten nur eines Inter-aktionspartners, wie z.B. die Reaktivität oder Kontingenz der mütter-lichen Reaktionen akzentuierten.

Vor diesem Hintergrund und der relativ kleinen Stichproben-größe läßt das Ergebnis der vorliegenden Arbeit keine abschlie-ßende Entscheidung zu. Möglicherweise könnte auch der Umstandvon Bedeutung sein, daß in der vorliegenden Studie im Gegensatzzu anderen Untersuchungen alle desorganisierten Kinder aus derAnalyse herausgenommen wurden.

B. Emotionsausdruck

Als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ergaben sich imMittelwertsvergleich von sicher gegenüber unsicher gebundenenDyaden keine signifikanten Unterschiede im Emotionsausdruckder Mutter während der Interaktion. Dies galt für beide Erhebungs-zeitpunkte (vier und acht Monate).

Für dieses unerwartete Ergebnis kommen verschiedene Erklä-rungen in Frage:

Eine Erklärung könnte das nicht Zutreffen der theoretisch her-geleiteten Zusammenhänge sein. Über die Sensitivität der Mutterhinaus müssen, wie im theoretischen Teil deutlich wurde, weitereMerkmale des Interaktionsverhaltens der Bezugsperson von Bedeu-tung für die Ausbildung der Bindungssicherheit sein. Insbesonde-re wurde die Relevanz des Emotionsausdrucks der Mutter in derInteraktion mit dem Kind hervorgehoben. Eine, schon in der Ains-worth-Studie beschriebene Variable, die ebenfalls mit der Bin-dungssicherheit in Zusammenhang stehen sollte, war die »Annah-me vs. Zurückweisung« des Kindes durch die Mutter.

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Die Mehrzahl aller Studien, die ein entsprechendes Merkmal er-hoben, fanden Zusammenhänge von mütterlichem Emotionsaus-druck während der Interaktion und der Bindungssicherheit desKindes (z. B. Ainsworth et al., 1978; Isabella, 1993; Lovejoy et al.,2000; vgl. Kap.1.3.1.2.). Diese Studien untersuchten zum Teil Stich-proben depressiver Mütter und fanden gegenüber gesunden Stich-proben eine Häufung von unsicher gebundenen Kindern. Mannahm an, daß bei depressiven Müttern die Emotionalität gegenüberihren Säuglingen im Vergleich zu gesunden verändert sein würde.Eine Assoziation von Depressivität und emotionalem Verhaltenkonnte jedoch nicht übereinstimmend dokumentiert werden.

Frankel und Harmon (1996) beispielsweise fanden ebenso wieandere Forschergruppen (z. B. Campbell et al., 1995; Field, 1992)nur bei schweren, chronisch depressiven Müttern eine signifikantverminderte emotionale Verfügbarkeit im Vergleich zu gesundenFrauen. Die Gesamtheit aller depressiven Mütter unterschied sichjedoch hinsichtlich dieser Variable nicht von den Gesunden. Auchin der vorliegenden Studie konnte ein Zusammenhang von Depres-sivität/Ängstlichkeit und emotionalem Ausdruck im Kontakt mitdem Säugling nicht festgestellt werden.

Eine mögliche Erklärung für das Fehlen dieser Assoziation wäredas Vorliegen von Interaktionseffekten. In einer umfassenden Meta-analyse konnte die Bedeutung von Moderatoren in bezug auf dasInteraktionsverhalten depressiver Mütter gezeigt werden. Erst dieKumulation von belastenden Faktoren, wie z. B. mütterliche De-pressivität und niedriger Sozialstatus einen negativen Effekt aufdas Interaktionsverhalten von Müttern hat (Lovejoy et al., 2000). Inder Metaanalyse ergaben sich je nach dem Ausmaß der psychoso-zialen Risikobelastung unterschiedlich starke Zusammenhängezwischen Depressivität der Bezugsperson und ihrer positiven Emo-tionalität in der Interaktion mit dem Baby. Ohne gravierende Risi-kobelastung betrug die Effektstärke für den Zusammenhang vonDepressivität und positiver Emotion .03, mit Risikobelastung .21.(sign., p<.001). Das heißt, daß nur bei psychosozial belasteten Müt-tern ein inadäquates Interaktionsverhalten zu beobachten war.

Im Rahmen unserer Arbeitsgruppe konnte ein ähnliches Ergeb-nis für die Vorhersage von reaktivem/sensitivem Verhalten von

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Müttern gezeigt werden (Mertesacker, 2000). In der Arbeit zeigtesich, daß sich nicht depressive Mütter im Kontakt mit Säuglingen,die viel negative Emotionen zeigten sehr reaktiv/sensitiv verhiel-ten.Auch im umgekehrten Fall, also bei Müttern mit hoher Depres-sionsneigung und Kindern, die wenig quengelten und schrien, wardas Interaktionsverhalten der Mutter durch eine hohe Reaktivi-tät/Sensitivität gekennzeichnet. Erst wenn zwei erschwerende Fak-toren zusammen kamen, d.h. eine hohe Depressionsneigung derMutter und eine vermehrte Negativität des Säuglings, war dies mitgeringem reaktivem Verhalten der Mutter assoziiert (Mertesacker,2000). Diese Assoziation galt sowohl für die Beobachtungsdaten alsauch für das Temperament im Elternurteil. Die negative Ausprä-gung nur eines Faktors führt, so die Autorin, zur Kompensation,was eine vergleichsweise hohe Reaktivität/Sensitivität zur Folgehaben kann (Mertesacker, 2000).

Möglicherweise sind auch im Hinblick auf die Emotionalität derMutter solche Interaktionseffekte wirksam. Dann würde eine De-pressionsneigung der Mutter erst in Verbindung mit einem weiterennegativen Faktor, wie z. B. einem eher negativ gestimmten Säuglingzu verminderter positiver Emotionalität der Mutter in der Interak-tion mit ihrem Baby führen. Derartige Interaktionseffekte müßtenin weiteren Studien an größeren Stichproben untersucht werden.

Die Interpretation der Ergebnisse bezüglich der Emotionalitätder Bezugsperson wird erschwert durch die Möglichkeit der Kon-fundierung von Mutter- und Kinddaten während der Interaktion.Durch ihr emotionales Verhalten beeinflussen sich Kind und Muttergegenseitig, es besteht eine starke Interdependenz der Interak-tionspartner. Die Mutter eines häufig zufriedenen, wenig quen-gelnden Kindes wird häufiger als eine andere selbst positiven Emo-tionsausdruck zeigen.

Dieser Zusammenhang von mütterlicher Emotionaliät und denkindlichen Temperamentsmerkmalen spiegelt sich auch in denDaten wider, wo sich dies bezüglich zweierlei Ergebnisse als sig-nifikant erwiesen. Zunächst ergab sich eine Korrelation für denzweiten Erhebungszeitpunkt (acht Monate): Die Emotionalität derMutter war signifikant mit dem Ausmaß der negativen Emotiona-lität des Kindes (MKI) assoziiert. Säuglinge, die in der Interaktion

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mit der Mutter weniger negative Emotionalität zeigten, hatten Müt-ter, die ebenfalls weniger negativ bzw. positiver in ihrer Emotiona-lität dem Kind gegenüber waren.

Daß dieser Zusammenhang erst zum zweiten Erhebungszeit-punkt auftritt liegt unter Umständen daran, daß sich zwischen Mut-ter und Kind bestimmte Interaktionsmuster bis zum Alter von achtMonaten eher eingespielt haben als zu einem früheren Zeitpunkt.Mütter wissen im allgemeinen, mit welchen Mitteln sie ihrem Kindein Lachen entlocken können, meist durch Kitzelspiele oder dieAuslösung von anderen körperlichen Sensationen (z. B. Prusten aufdem Bauch des Kindes).

Zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung scheint sich dann die inder Interaktion mit der Mutter »gelernte« Emotionalität auch außer-halb dieser Interaktion in anderen Kontexten darzustellen. NachAbe und Izard (1999) wirkt der emotionale Ausdruck in der sozia-len Interaktion als Signal und löst in anderen Menschen Reaktionenaus. Es ist wahrscheinlich, daß die Häufigkeit und Intensität mit derein Kind, zunächst in der Interaktion mit der Bezugsperson, be-stimmte Emotionen erlebt, über die Zeit die Persönlichkeit des Kin-des formt. Demnach müßte sich die negative Emotionalität auchaußerhalb der Mutter-Kind-Interaktion, im Verhaltenstest wider-spiegeln.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unterstützen die be-schriebenen Annahmen: Das Ausmaß der negativen Emotionalitätdes Säuglings im Verhaltenstest mit acht Monaten war statistischbedeutsam mit der Emotionalität der Mutter vier Monate vorherverknüpft. Säuglinge von Müttern, die mit vier Monaten ver-gleichsweise wenig negative Emotionen gezeigt hatten, drücktenim Alter von acht Monaten selbst weniger negative Emotionalitätaus als andere Säuglinge.

Insgesamt gesehen müßte das Maß der Emotionalität der Mutterwährend der Interaktion mit ihrem Säugling eher als Maß für denemotionalen Kontakt beider Partner angesehen werden, daß durchdie Emotionalität des Säuglings in entscheidender Weise mit be-stimmt wird.

Weitere Aspekte, die bei der Beurteilung der Ergebnisse berück-sichtigt werden sollten, betreffen eher methodologische Gesichts-

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punkte. Zum einen wäre die kleine Stichprobengröße, durch die diePower der statistischen Verfahren einschränkt ist und signifikanteZusammenhänge seltener zu erwarten sind, zu nennen.

Für die weitere Forschung könnte es außerdem sinnvoll sein,zwei Dimensionen der mütterlichen Emotionalität getrennt zu er-fassen, denn hier könnte eine andere Art der Konfundierung wirk-sam sein. Einerseits besteht die Emotionalität der Mutter aus einemexpressiven Anteil, als dessen Extrem z. B. das »attention-getting-face« (Grußgesicht = hochgezogene Augenbrauen und weit ge-öffnete Augen) angesehen wird. Dieser Anteil ist mit der direktenKontaktaufnahme mit dem Säugling verbunden, denn er bewirktbei einem interaktionsbereiten Säugling in der Regel die Zuwen-dung von Aufmerksamkeit. Als gegenüberliegendes Extrem zum»attention-getting-face« könnte man sich den mangelnden Emoti-onsausdruck, die Emotionslosigkeit vorstellen. Die andere Dimen-sion wäre dann die Qualität von Emotionen, die positiv (lachen,lächeln) und negativ (ärgerlich, ängstlich, traurig) polarisiert. Diegetrennte Erfassung dieser beiden Emotionsdimensionen würdemöglicherweise mehr Aufschluß über die Elemente geben, die sichauf die Beziehung zum Säugling auswirken. Auch in anderen Stu-dien sind beispielsweise Rückzugsverhalten, negativ-feindseligesund positives Verhalten getrennt erfaßt worden und es konntenunterschiedliche Bedingungskonstellationen aufgezeigt werden(Lovejoy et al., 2000).

Die Möglichkeit der Wirksamkeit von Interaktionseffekten wur-de bereits angesprochen. Eventuell könnten noch weitere als dieoben beschriebenen Interaktionseffekte für die fehlende Verknüp-fung von mütterlichem Emotionsausdruck und Bindungssicherheitvon Bedeutung sein. Als Moderator des Zusammenhangs der bei-den Variablen ist eine zusätzliche Variable, die Echtheit des müt-terlichen Interaktionsverhaltens denkbar. Positiver Emotionsaus-druck, wie z. B. eine positive Mimik, die von einer aggressivenverbalen Botschaft begleitet wird und dadurch widersprüchlichwirken muß, hat sicherlich eine andere Auswirkung als ein liebe-volles Lächeln, das offen und ohne ambivalente Tendenzen ausge-drückt wird. Die Ergebnisse im Hinblick auf diese Variablen sollenim folgenden Abschnitt diskutiert werden.

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C. Echtheit

Nach den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit erwies sich diemütterliche Echtheit im Kindesalter von vier Monaten in bezug aufdie Bindungssicherheit nicht als relevante Variable, wodurch dieHypothese über den Zusammenhang von Echtheit und Bindungs-sicherheit nicht bestätigt werden konnte. Es ergaben sich keinebedeutsamen Unterschiede zwischen den Müttern sicher gebunde-ner und unsicher gebundener Kinder hinsichtlich der Echtheitihres Verhaltens.

Obwohl es schon früh beschrieben wurde (Ainsworth et al.,1978; Keller et al., 1980), findet sich das Konzept der Echtheit,erst in jüngster Zeit, in der Forschung zur sozialemotionalen Ent-wicklung von Kindern wieder. Hierbei wird das Konstrukt, für dases, wie bereits dargestellt, viele unterschiedliche Bezeichnungengibt, eher in Zusammenhang mit desorganisiertem Verhalten dis-kutiert. Da es demnach wenig Forschung gibt, die die Echtheit desmütterlichen Verhaltens mit der Bindungssicherheit in Zusam-menhang bringt, sind die diesbezüglichen Ergebnisse der vorlie-genden Studie nur schwer einzuordnen.

Eine Studie, die eine mit der Echtheit verwandte Skala inZusammenhang mit den traditionellen Bindungsklassifikationenbrachte, ist die von Ainsworth und Mitarbeitern. In ihrer Arbeitkonnte sie anhand der Ausprägung der Mütter in der Skala «Fehlenvon emotionalem Ausdruck« zwischen Müttern sicher und unsichergebundener unterscheiden (Ainsworth et al., 1978). Beschriebenwird deren Extrem als »extreme Ausdruckslosigkeit, das mit demZurückhalten von starken negativen Gefühlen einhergeht«, womitangedeutet ist, daß diese zurückgehaltenen Gefühle vielleicht dochin einigen Momenten sichtbar werden. Beispielsweise könnten sichliebevolle und aggressiv getönte Botschaften im schnellen Wechselfolgen, was nach der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Skalaals Merkmal für unechtes Verhalten angesehen würde.

Möglich wäre aber, daß bei dieser Ainsworth-Skala der Schwer-punkt doch eher auf dem Fehlen von Emotionsausdruck liegt, unddie Echtheit oder mangelnde Echtheit des mütterlichen Verhaltenseine weniger große Rolle spielt. Es wäre eher Ähnlichkeit zu der

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Skala Emotion, die im vorherigen Kapitel besprochen wurde, vor-handen, deren unteres Extrem allerdings nicht die Ausdrucks-losigkeit, sondern der negative (ärgerliche, traurige) Affekt ist. Dajedoch der Emotionsausdruck der Bezugsperson in der vorliegen-den Studie nicht mit der Bindungssicherheit assoziiert war, könnendiese Überlegungen nicht untermauert werden.

Mit der Echtheit des Verhaltens ist eine Dimension des Ver-haltens gemeint, die nicht die bloße Zurückweisung/Ablehnungdes Säuglings, sondern die »Verschleierung« derartiger Impulsebeinhaltet. Verschleierung ist in diesem Fall nicht als bewußtesTäuschungsmanöver zu verstehen, sondern unter Umständen auchals Verleugnung aggressiver Impulse der Mutter vor sich selbst.Die mangelnde Echtheit der Mutter führt aufgrund der nicht kom-patiblen Botschaften beim Säugling zu verschiedenen Handlungs-impulsen, die die Selbstregulation des Kindes unterlaufen. Dieses»Außerkraftsetzen« der Selbstegulationsmechanismen scheint mitder Genese von desorganisiertem Verhalten, nicht jedoch mitBindungssicherheit in Verbindung zu stehen (vgl. Kap. 4.2.1.). Mög-licherweise ist der Aspekt der Echtheit bzw. mangelnden Echtheitdes Verhaltens der Mutter für die Bindungsentwicklung nicht odernicht in dem Maße relevant.

Bei der Interpretation der Ergebnisse sind jedoch auch situatio-nale Einflüsse zu berücksichtigen, die mit dem Versuchsablauf inBeziehung stehen. Während des Videotermins wurde mit den Kin-dern zunächst der Bayley-Test durchgeführt und anschließendwurden die Mütter gebeten, für insgesamt 10 Minuten ihr Kind zuwickeln und mit ihm zu spielen. Wenn das Kind nun beispielsweiseim Verlauf des Bayley-Tests mit zunehmender negativer Emotio-nalität reagierte, ist es möglich, daß seine negative Gestimmtheit,trotz einer möglichen Pause zum Füttern oder Beruhigen zwischenden beiden Erhebungselementen, auch in der Spielinteraktionanhielt.

Es ist davon auszugehen, daß die mangelnde Echtheit der Mut-ter besonders in der Interaktion mit einem gestressten, quengeln-den Kind deutlich wird. Durch das schreiende, schwer oder garnicht zu beruhigende Kind werden auch bei der Mutter Stress undmöglicherweise aggressive Impulse dem Kind gegenüber wachge-

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rufen. Dies wird besonders dann der Fall sein, wenn die Haltungder Mutter ihrem Säugling gegenüber durch eine starke Ambiva-lenz gekennzeichnet ist. Unechte Mütter versuchen dann unterUmständen diese Impulse zu überspielen, nach einem Durchbruchaggressiver Impulse überfreundlich zum Kind zu sein oder Ähn-liches. Ist das Kind während der Interaktion stetig gut gelaunt, auf-merksam und freundlich, ist es für die Mutter leichter, responsivund zugewandt zu sein, mögliches unechtes Verhalten käme unterUmständen gar nicht vor. Die positive Korrelation von mütterlicherEchtheit und kindlicher negativer Emotionalität (MKI) in der vor-liegenden Arbeit zum Zeitpunkt der ersten Erhebung läßt sich indiesem Sinne interpretieren.

Im nächsten Kapitel sollen die Ergebnisse in Bezug auf dieDepressivität/Ängstichkeit der Mutter diskutiert werden.

4.1.2. Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:Depressivität/Ängstlichkeit

In der vorliegenden Arbeit fanden sich im T-Test signifikanteUnterschiede bezüglich der Depressivität/Ängstlichkeit zwischenMüttern von sicher vs. unsicher gebundenen Kindern. Mütter un-sicher gebundener Kinder beschrieben sich im Kindesalter vonacht Monaten als depressiver und ängstlicher als Mütter sicherGebundener.

Eine psychische Krankheit der Bezugsperson gilt als Risikofaktorfür die Entwicklung des Kindes (Cummings & Davies, 1994; Rutter,1997). Wie im theoretischen Teil dargelegt wurde, scheint von denAuswirkungen psychischer Beeinträchtigungen auch die Entwick-lung der Bindungssicherheit betroffen zu sein. Die vorliegendeStudie bestätigt damit Ergebnisse anderer Untersuchungen, die dieDepressivität der Bezugsperson mit einer unsicheren Bindung desKindes in Verbindung bringen (De Mulder & Radke-Yarrow, 1991;Frankel & Harmon, 1996; Teti et al., 1995).

Eine mögliche Erklärung dafür, daß sich nur die Depressi-vität/Ängstlichkeit der Mutter zum zweiten Erhebungszeitpunkt alsbedeutsam mit der Bindungssicherheit verknüpft erwies, ist neben

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der größeren zeitlichen Nähe von zweitem und drittem Erhe-bungszeitpunkt, die eine stärkere Assoziation wahrscheinlichermacht, die längere gemeinsame Zeitspanne von Mutter und Kind,durch die von einer stärkeren wechselseitigen Beeinflussung aus-zugehen ist.

Eine andere Erklärung wäre, daß der Zuwachs an Depressi-vität/Ängstlichkeit zwischen dem ersten und zweiten Erhebungs-zeitpunkt hier von besonderer Bedeutung ist. Vorstellbar ist, daßdieser Zuwachs mit Merkmalen des Kindes in Verbindung steht,daß sich beispielsweise ein Kind, das viel quengelt und schreitnegativ auf das Wohlbefinden der Mutter auswirkt. Relevant fürdie Entwicklung von Bindungssicherheit wäre damit nicht dieDepressivität/Ängstlichkeit der Mutter per se, sondern der Anteil,der in Zusammenhang steht mit der negativen Emotionalität desSäuglings. Bedeutsam wäre also die gemeinsame Varianz von müt-terlicher Depressivität/Ängstlichkeit und kindlicher negativer Emo-tionalität.

Zur weiteren Erörterung dieser Frage erscheint es sinnvoll, sichdie Interkorrelationen der potentiellen Prädiktorvariablen für Bin-dungssicherheit anzusehen.

In der vorliegenden Arbeit war die Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter signifikant mit dem Ausmaß der gezeigten negativenEmotionalität des Säuglings im Verhaltenstest verknüpft. Die Er-gebnisse der T-Test-Mittelwertsvergleiche zeigten, daß Säuglinge,die im Verhaltenstest öfter quengelten und schrien, Mütter mithöheren Depressionswerten (T2) hatten. Dies betraf die negativeEmotionalität des Säuglings zu beiden Zeitpunkten, also mit vierund acht Monaten.

Denkbar ist neben der genetischen Übertragung eines Depres-sionsrisikos eine Beeinflussung der Interaktionspartner in beideRichtungen: Einerseits könnte sich die Depressivität der Mutter inihrem Verhalten niederschlagen und sich so negativ auf den Säug-ling auswirken. Eine depressive Mutter könnte sich z. B. ihrem Kindgegenüber weniger responsiv verhalten, weniger positive Interak-tionszirkel initiieren, und sich so weniger kompetent als »externeRegulatorin« der Erregungsregulation des Kindes erweisen (vgl.Spangler, Schieche, Ilg, Maier & Ackermann, 1994; Tronick &

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Weinberg, 1997). Die Selbstregulation des Kindes, die aus der ex-ternen Regulation durch die Mutter hervorgeht, bliebe einge-schränkt, was zum Rückzug von erregenden Stimuli und zu ver-mehrter negativer Emotion beim Kind führen würde (vgl. Kap.1.3.1.1.).

In der vorliegenden Arbeit erwies sich das Ausmaß der Depres-sivität/Ängstlichkeit der Mutter als mit ihrem Interaktionsverhaltenunkorreliert. Lediglich die psychosoziale Risikobelastung wieseinen signifikanten Zusammenhang mit der Depressivität/Ängst-lichkeit der Bezugsperson auf, was als Validierung des Depressi-onsmaßes angesehen werden kann. Auch im Forschungsüber-blick wird deutlich, daß die theoretische Erwartung des verändertenInteraktionsverhaltens depressiver Mütter nicht durchgängig bestä-tigt werden konnten (Campbell et al., 1995; Field, 1992; Frankel& Harmon, 1996; vgl. Kap. 4.1.1.).

Neben den Auswirkungen einer depressiven Mutter auf ihrenSäugling ist jedoch auch die andere Beeinflussungsrichtung, vomSäugling auf die Mutter denkbar und nachgewiesen (vgl. Murray etal., 1996). Bei der Mutter stellt sich ein Gefühl der Effektivität ein,wenn die Interaktion mit dem Säugling im Sinne einer positivenWechselseitigkeit klappt (Gianino & Tronick, 1988). Ein von Geburtan irritierbares Kind, das viel negative Emotionen zeigt und nurschwer für positive Interaktionen (Lach-/Kitzelspiele) zu gewin-nen ist, könnte einer Mutter das Gefühl von verminderter Selbst-wirksamkeit und eventuell sogar des Abgelehntseins durch dasKind vermitteln. Die Mutter eines häufig negativ gestimmtenKindes macht weniger belohnende Erfahrungen mit dem Kind.Zusätzlich macht sie, beispielsweise aufgrund von vergeblichenBeruhigungsversuchen, weniger Selbstwirksamkeitserfahrungen,was sich ebenfalls auf ihr Verhalten gegenüber dem Säugling aus-wirken kann. Verschiedene Untersuchungen konnten belegen, daßeine erhöhte Irritierbarkeit von Neugeborenen die Depressivitätder Mutter vorhersagen konnte (Hopkins et al., 1987; Murray et al.,1996).

Im Anschluß an die Gruppenvergleiche von sicher und unsichergebundenen Dyaden, wurde eine multiple Regression zur Vorher-sage der Bindungssicherheit durchgeführt, in die die Variablen

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negative Emotionalität in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) zu T1und T 2 und mütterliche Depressivität/Ängstlichkeit zum zweitenErhebungszeitpunkte Variablen hatten sich vorher als signifikantmit der Bindungssicherheit verknüpft erwiesen (vgl. Kap. 4.1.3.).

In der multiplen Regression zeigte sich, daß die mütterlicheDepressivität/Ängstlichkeit über die beiden Maße der kindlichennegativen Emotionalität hinaus keine zusätzliche Varianz aufzu-klären vermochte. Es handelt sich demnach zum größten Teil umgemeinsame Varianz, was so interpretiert werden kann, daß derZusammenhang zwischen der Depressivität/Ängstlichkeit der Mut-ter (T 2) und der Bindungssicherheit durch die negative Emotiona-lität des Kindes in der Interaktion bedingt ist. Diese Interpretationwürde für den Einfluß von Temperamentsmerkmalen wie negativeEmotionalität/Irritierbarkeit auf die Bezugsperson sprechen. Mög-lich ist jedoch ebenso, daß die Depressivität/Ängstlichkeit der Mut-ter für die Korrelation von negativer Emotionalität und Bindungs-sicherheit verantwortlich ist. Das hieße, daß eine hohe Depressions-neigung der Bezugsperson sowohl eine vermehrte negative Emo-tionalität des Säuglings als auch dessen unsichere Bindung nachsich zieht.

Die bisherigen Ausführungen unterstützen eher die Möglich-keit, nach der die, durch die hohe Negativität des Säuglings beding-te Depressvität/Ängstlichkeit der Mutter, die dann als Mediatorfungieren würde, mit einer unsicheren Bindung assoziiert ist. Daßdas Maß der Depressivität/Ängstlichkeit der vorliegenden Studieauch Gefühle in der Beziehung zum Säugling, wie z. B. eine ängst-liche, überbesorgte und fatalistische Haltung gegenüber dem Kinderfaßt, macht diese Interpretationsalternative noch wahrschein-licher.

4.1.3. Frühkindliches Temperament/negativeEmotionalität

Die negative Emotionalität (MKI) erwies sich für das Alter desKindes von vier Monaten als signifikant mit der Bindungssicherheitverknüpft. Kinder, die im Alter von 18 Monaten als sicher gebunden

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eingestuft wurden, hatten mit vier Monaten in der Mutter-Kind-Interaktion weniger gequengelt und geweint als solche, die sichspäter als unsicher gebunden erwiesen.

Für beide Maße der negativen Emotionalität des Säuglings,sowohl in der Mutter-Kind-Interaktion als auch im Verhaltenstest,waren im theoretischen Abschnitt Hypothesen über ihre Verknüp-fung mit der Bindungssicherheit formuliert worden. Anhand derDaten war in der vorliegenden Arbeit jedoch lediglich ein Maß dernegativen Emotionalität bedeutsam mit der Bindungsentwicklungverknüpft, wie die Mittelwertsvergleiche durch T-Tests zeigten.

Als mögliche theoretische Verknüpfungen zwischen kindlichernegativer Emotionalität und Bindungssicherheit war zum einen dieAuswirkung negativer Emotionalität des Säuglings auf die mütter-liche Sensitivität angenommen worden. Zum anderen war der Ein-fluß der Qualität der Mutter-Kind-Interaktion (evtl. der Sensitivitätder Mutter) auf sowohl Selbstregulation als auch Bindungssicher-heit diskutiert worden.

Zur Bestätigung dieser Zusammenhänge müßte sich eine korre-lative Verknüpfung mütterlicher und kindlicher Variablen zeigen.Die negative Emotionalität (MKI) mit vier Monaten ist jedoch mitkeinem Interaktionsmaß der Mutter, weder bei T1 noch T 2 korre-liert. Außerdem wäre zu erwarten, daß auch das zweite Maß dernegativen Emotionalität im Verhaltenstest (VT) mit der Bindungs-sicherheit verknüpft ist. Dies war in der vorliegenden Arbeit zukeinem Zeitpunkt der Fall. Es ergab sich auch keine bedeutsameAssoziation zwischen den Merkmalen des mütterlichen Interak-tionsverhaltens und der Bindungssicherheit. Zur Erklärung dieserErgebnisse sollen im folgenden die für die Temperamentserhebungverwendeten Erfassungsmethoden genauer betrachtet werden.

Im theoretischen Teil dieser Arbeit ist unter anderem die Erhe-bung von kindlichen Temperamentsmerkmalen in der Interaktionmit der Mutter problematisiert worden (Kap 1.3.4.3.). Situative Ein-flüsse der Mutter bedingen in starkem Maße die Reaktionen desSäuglings, weshalb von einer Konfundierung von Mutter- und Kind-maßen in der Interaktion ausgegangen werden muß. Gerade beiFragestellungen, die sich mit der Vorhersage der Qualität vonBeziehungen, wie z. B. der Bindungssicherheit beschäftigen und

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die Funktion einzelner Variablen ermitteln möchten, ist es not-wendig, kindliche Temperamentsmerkmale außerhalb der Inter-aktion mit der Bezugsperson zu erfassen. Folgt man diesen Aus-führungen, so ist die kindliche negative Emotionalität in derMutter-Kind-Interaktion als Maß für die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung und weniger als Temperamentsmerkmal des Säuglingszu interpretieren. Im Sinne einer »dyadischen Kompetenz« oderWechselseitigkeit der beiden Partner (Spieker & Booth, 1988) wärevermehrte negative Emotionalität des Säuglings Ausdruck für eineStörung der Interaktion.

Zum zweiten Erhebungszeitpunkt zeigten sicher gebundeneKinder im Kontakt mit der Mutter (MKI) tendenziell mehr negativeEmotionen als unsicher gebundene Kinder. Für die negative Emo-tionalität des Kindes im Verhaltenstest (VT) waren die Zusammen-hangsmaße mit der Bindungssicherheit auch zu T 2 nicht signifi-kant.

Das erste, nur tendenziell signifikante Ergebnis ist schwer zuerklären. Angesichts der kleinen Stichprobe könnte es sein, daß essich möglicherweise um Zufall oder um Interaktionseffekte han-delt.

Zusammenfassend ergab sich für das, im Hinblick auf die Tem-peramentserfassung validere Maß der negativen Emotionalität desSäuglings, das Quengeln und Weinen im Verhaltenstest erfaßte,keine signifikante Verknüpfung mit der Bindungssicherheit. Inso-fern ist davon auszugehen, daß zwar die Interaktion von Mutterund Kind im ersten Lebensjahr, bei der sich beide Interaktions-partner wechselseitig beeinflussen, eine Prognose hinsichtlich derBindungssicherheit erlaubt, nicht jedoch kindliche Tempera-mentsmerkmale außerhalb der Interaktion.

4.2. Prädiktoren der Desorganisation

Zunächst sollen zusammenfassend alle Ergebnisse bezüglichder Prädiktoren der Desorganisation dargestellt werden. Im Hin-blick auf die Merkmale des mütterlichen Interaktionsverhaltensergaben sich für die Reaktivität/Sensitivität und den Emotionsaus-

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druck der Mutter keine signifikanten Unterschiede zwischen Müt-tern desorganisierter und nicht desorganisierter Kinder. Müttervon desorganisierten Kindern, zeichneten sich jedoch im Vergleichzu anderen Müttern durch signifikant weniger echtes Interaktions-verhalten aus. Zusätzlich waren diese Mütter zum zweiten Erhe-bungszeitpunkt depressiver und ängstlicher als Mütter von nichtdesorganisierten Kindern. Die negative Emotionalität des Säug-lings im Alter von acht Monaten erwies sich als mit der Desorgani-sation assoziiert, und zwar sowohl das Maß, welches die Häufigkeitdes Quengelns und Weinens in der Interaktion mit der Mutter be-zeichnete als auch das Verhaltenstestmaß.

Wie bereits erwähnt, sind aufgrund der geringen Anzahl desor-ganisierter Kinder, alle Aussagen, die sich auf die Desorganisationim kindlichen Verhalten beziehen, als vorläufig anzusehen. Nichts-destotrotz erscheinen die Ergebnisse sehr interessant, lassen siesich doch teilweise sehr gut mit aktuellen Forschungsbefundenanderer Untersucher vereinbaren.

4.2.1. Mütterliches Interaktionsverhalten

Emotionsausdruck

Als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung zeigte sich, ent-gegen der aufgestellten Hypothese, im Mittelwertsvergleich vonMüttern desorganisierter gegenüber nicht desorganisierter Kinderkein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Emotionsausdrucks,der während der Interaktion mit dem Säugling gezeigt wurde. Diesgalt für beide Erhebungszeitpunkte (vier und acht Monate).

Als Bedingungsfaktoren für desorganisiertes Verhalten wird inder Literatur, wie im Theorieteil dieser Arbeit dargestellt, ängsti-gendes oder geängstigtes Verhalten der Mutter gegenüber ihremSäugling diskutiert. Als Extremform der Ängstigung bzw. Zurück-weisung scheint die Mißhandlung des Säuglings durch die Bezugs-person mit desorganisiertem Verhalten in Verbindung zu stehen.

Möglicherweise drückt sich eine Ängstigung des Säuglings nichtdurch Angstausdruck oder Drohung der Mutter aus, sondern durch

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die »Verschleierung« derartiger emotionalen Regungen, die danndennoch z. B. durch eine Diskrepanz zwischen den Kommunika-tionskanälen deutlich werden.

Vorstellbar ist, daß sich bei einer Mutter, die tatsächlich sehrambivalent ihrem Kind gegenüber ist, aggressive Impulse als kurzeDurchbrüche im ansonsten normalen Verhalten zeigen. Möglicher-weise wird anschließend, um diesen Impuls wieder ungeschehenzu machen, eine besonders liebevolle Äußerung folgen. Dieses Ver-halten wurde mit einer anderen Skala erfaßt, denn er betrifft dieEchtheit des mütterlichen Verhaltens. Zu bedenken ist außerdem,daß im Verhalten der Mutter während der Beobachtung mögli-cherweise nur die »Spitze des Eisbergs« sichtbar wird und sie, alleinmit dem Kind, in stärkerem Maße Verhalten zeigt, welches das Kindaktiv ängstigt.

B. Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens

In bezug zur Desorganisation erwies sich die mütterliche Echt-heit in der vorliegenden Studie als tendenziell relevante Variable.Die Echtheit des Interaktionsverhaltens der Mutter im Kindesaltervon vier Monaten war mit der Desorganisation mit 18 Monaten ten-denziell assoziiert. Mehr unechte Mütter als statistisch erwartet,hatten desorganisierte Kinder, während das umgekehrte für eherechte Mütter galt. In Zahlen ausgedrückt gab es nur eine in derInteraktion mit dem Säugling als echt beurteilte Mutter, die eindesorganisiertes Kind hatte. Die restlichen Mütter der desorgani-sierten Kinder (N = 5) hatten alle im Kontakt mit dem Kind eherunechtes Verhalten gezeigt.

Bislang liegen nur die Daten des ersten Erhebungszeitpunktesfür die Echtheit der Mutter in der Interaktion mit dem Säugling vor,bezüglich der Achtmonatsdaten bleibt nur auf spätere Publikatio-nen, vorzugsweise an der Gesamtstichprobe zu verweisen.

Die Ergebnisse bestätigen demnach in der Tendenz die im theo-retischen Teil formulierte Hypothese, zumindest für den erstenErhebungszeitpunkt. Die mangelnde Echtheit der Mutter scheinteine Variable zu sein, die mit desorganisiertem Verhalten des Kin-des in Zusammenhang steht.

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Das Konzept der Echtheit des Verhaltens, das, wie im theoreti-schen Teil dieser Arbeit erläutert, mit verschiedenen Begriffenbelegt wurde, ist bislang vor allem in Studien zur Genese von des-organisiertem Verhalten berücksichtigt worden.

Die mangelnde Echtheit der Mutter äußert sich in der Interak-tion mit dem Säugling beispielsweise in rasch aufeinander folgen-den, sehr unterschiedlichen Impulsen, z. B. einer aggressiven odergehässigen Äußerung, die von einer lieblichen gefolgt wird. DerZweck der letzten Botschaft scheint dabei die Entkräftung derersten zu sein. Die nicht kompatiblem Botschaften führen beimSäugling zu verschiedenen Handlungsimpulsen, die die Selbst-regulation des Kindes unterlaufen und so Verunsicherung hervor-rufen. Dieses »Außerkraftsetzen« der Selbstregulationsmechanis-men scheint mit der Genese von desorganisiertem Verhalten, nichtjedoch mit Bindungssicherheit in Verbindung zu stehen (vgl. Kap.4.1.1). Durch die widerstreitenden Handlungsimpulse, die derSäugling nicht verarbeiten kann, wird sein Verhalten in der Folgedesorganisiert, in dem Sinne, daß organisiertes Verhalten, alsobereits erworbene Selbstregulationsmechanismen nicht mobilisiertwerden können.

Anhand der beobachteten und erwarteten Häufigkeiten des chi2-Tests zeigte sich, daß mütterliche Echtheit und negative Emotio-nalität des Kindes (VT) im Kindesalter von vier Monaten signifikantmiteinander verknüpft waren. Mütter, die in der Wickel- und Spiel-interaktion weniger echtes Verhalten zeigten, hatten eher Säuglinge,die im Verhaltenstest mehr quengelten und schrien als Kinder voneher echten Müttern. Echte Mütter hingegen hatten überzufällighäufig Kinder, die wenig negative Emotion ausdrückten.

Es wäre, wie bereits beschrieben, denkbar und plausibel, daß einSäugling in einem größeren zeitlichen Zusammenhang auf dasunechte Verhalten seiner Mutter mit Verunsicherung und Stressreagiert. Dies drückt der Säugling dann möglicherweise durch ver-mehrte negative Emotionalität aus. Unechtes Verhalten der Mutter,also z. B. eine Diskrepanz zwischen zwei Kommunikationsinhal-ten, könnte die selbstregulatorischen Fähigkeiten des Säuglingsuntergraben und ihn so aus dem Gleichgewicht und zum Quengelnoder Weinen bringen. Dieser Mechanismus ist auch für die Entste-

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hung von desorganisiertem Verhalten dargelegt worden. Wennnegative Emotionalität im ersten Lebensjahr nicht nur mit derEchtheit, sondern auch mit späterem desorganisierten Verhaltenbeim Kind zusammenhingen, wäre hier die Möglichkeit einerbedeutsamen Verknüpfung aufgezeigt. Tatsächlich findet sich derbeschriebene Zusammenhang zwischen negativer Emotionalität(acht Monate) und Desorganisation (18 Monate) und zwar für beideMaße (MKI, VT).

In der Diskussion um Entstehungsbedingungen desorganisier-ten Verhaltens wird, wie bereits erwähnt, die Auslösung von Angstdurch entsprechendes Verhalten der Mutter als Ursache späterendesorganisierten Verhaltens thematisiert. Es stellt sich die Frage, obAngst die Ursache der vermehrten negativen Emotionalität vonKindern unechter Mütter sein könnte. Einerseits ist vorstellbar, daßunechte und somit widersprüchliche und uneindeutige Botschaftenbeim Gegenüber aufgrund des unklaren Signalcharakters Angstauslösen. Bei einem Säugling von vier Monaten ist die emotionaleEntwicklung jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, daß er Angstempfinden könnte, die möglichen emotionalen Zustände in demAlter sind Erregung, Freude und Gestresstheit. Als Vorläufer derEmotion Angst werden Verunsicherung bzw. Erregung und Stressangesehen (vgl. Sroufe, 1995). Der Zusammenhang von Echtheitund negativer Emotionalität könnte erst in einer anderen Alters-stufe auf Angst begründet sein. Zu einem frühen Zeitpunkt wirktsich unechtes mütterlichem Verhalten möglicherweise durch ver-mehrte Induktion von Verunsicherung und damit negativer Emo-tionalität beim Kind aus.

Bei der Interpretation der Ergebnisse sind jedoch auch situatio-nale Einflüsse, die mit dem Versuchsablauf in Beziehung stehen, zubedenken (vgl. Kap. 4.1.1.). So könnte ein Kind, das während desVerhaltenstests mit zunehmender negativer Stimmung reagiert,auch noch während der Interaktion mit der Mutter vermehrt quen-geln und weinen. Die Echtheit der Mutter wird sich im Kontakt miteinem eher negativ gestimmten Kind viel eher zeigen als mit einempositiven, gut gelaunten Kind.

Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchung ist, daß die Echtheitder Mutter in der Interaktion mit ihrem Säugling mit dem psycho-

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sozialen Risiko der Familie korreliert. Mütter aus Familien mithoher psychosozialer Risikobelastung waren im Kindesalter vonvier Monaten im Kontakt mit ihrem Kind unechter als Mütter mitniedrigem oder ohne derartige Belastung.

Der in dieser Arbeit verwendete Risikoindex beruht auf insge-samt 10 Kriterien, die aus beengten Wohnverhältnissen, fehlen-dem Schulabschluß oder Berufsausbildung, psychischer Störungder eigenen Eltern, Heimaufenthalt/Scheidung, gestörter Paar-beziehung, junger Elternschaft, ungewollter Schwangerschaft,mangelnder sozialer Unterstützung, chronischer Belastung undmangelndem Coping bestehen. Einige dieser Kriterien kamen inunserer Stichprobe so gut wie gar nicht vor (z. B. ungewollteSchwangerschaft, junge Elternschaft, gestörte Paarbeziehung, man-gelndes Coping), so daß das Ergebnis eher auf den anderen Krite-rien beruht. Die verbleibenden Kriterien sind solche, die mit einermöglichen frühen Traumatisierung der Bezugsperson assoziiertsind, wie z. B. psychische Erkrankung der Eltern, Heimaufenthaltoder Scheidung. Möglicherweise beruht der Zusammenhang vonmütterlicher Echtheit und desorganisiertem Verhalten auf einerfrühen Traumatisierung von unechten Müttern, die auf eigenenErfahrungen mit psychisch kranken Eltern oder zerrütteten Fami-lienverhältnissen basieren.

Bezug nehmend auf theoretische Überlegungen zur Entstehungvon desorganisiertem Verhalten könnte Echtheit im mütterlichenVerhalten ein Merkmal sein, daß z. B. Mütter mit unverarbeitetenTraumata im Kontakt mit ihrem Kind auszeichnet. Untermauertwird diese Annahme durch eine Korrelation von psychosozialemRisiko und desorganisiertem Verhalten. Familien mit Kindern, dieim Alter von 18 Monaten im FST desorganisiertes Verhalten zeigten,gaben zum Zeitpunkt der ersten Erhebung eine höhere psycho-soziale Riskobelastung an als Familien von nicht desorganisiertenKindern. Die Ergebnisse bestätigen Befunde anderer Untersu-chungen, die bei einer Kumulation von psychosozialen Risiko-faktoren vor allem ein erhöhtes Risiko für desorganisiertes Ver-halten dokumentierten (Crittenden, 1988; Carlson et al., 1989;Lyons-Ruth et al., 1997; Carlson, 1998; Ward & Carlson, 1995).

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Um die innere Befindlichkeit nicht (immer) zu zeigen und wahr-scheinlich auch aufgrund von Schuldgefühlen, weil sie fürchtet,dem Kind durch die eigene Unansprechbarkeit zu schaden, paßtsich die in diesem Sinne traumatisierte Mutter unter Umständen andie äußeren Gegebenheiten an und legt nach außen hin ein positi-ves Verhalten an den Tag. Möglicherweise besteht hier auch einZusammenhang von unechtem Verhalten und Depressions- bzw.Angstneigung. In unserer Stichprobe ergab sich jedoch nur einenicht signifikante Korrelation (r = .25), wobei die geringe Stichpro-bengröße bedacht werden muß.

Zusammenfassend weisen die Ergebnisse in die erwarteteRichtung und deuten eine Relevanz des Konzeptes der Echtheitdes mütterlichen Verhaltens für die Entwicklung der Desorgani-sation an.

4.2.2. Mütterliche Persönlichkeitsmerkmale:Depressivität/Ängstlichkeit

Auch im Hinblick auf die Desorganisation erwies sich dieDepressivität/Ängstlichkeit der Mutter als relevanter Prädiktor. DieMittelwerte der Gruppe von Müttern desorganisierter Kinder warengegenüber denen von nicht desorganisierten Kindern signifikanterhöht, womit die Hypothese als bestätigt angesehen werden kann.Dieses Ergebnis gilt nur für den zweiten Erhebungszeitpunkt.

Die möglichen Erklärungen dafür, daß sich ein signifikanterZusammenhang nur bei den Achtmonatsdaten zeigte, wurdenbereits in Zusammenhang mit der Bindungssicherheit besprochen(vgl. Kap. 4.1.2.). Unter anderem könnte die Entwicklung derDepressivität der Mutter zwischen dem ersten und zweiten Erhe-bungszeitpunkt relevant sein und außerdem mit Merkmalen desKindes in Verbindung stehen.

Im Kindesalter von vier Monaten stehen die Eltern möglicher-weise noch unter dem Eindruck der Umstellung zur Elternschaft,kindliche Eigenschaften werden noch als vorläufig und veränder-bar angesehen und die Beziehung zwischen Mutter und Säuglinghat sich noch nicht in dem Maße etabliert, wie es vier Monate spä-

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ter der Fall ist. Vermehrtes kindliches Schreien wird unter Umstän-den mit der Diagnose »Dreimonatskoliken« versehen und mit derErwartung verknüpft, daß es jenseits des dritten/vierten Monatsaufhören möge. Tritt diese Veränderung jedoch nicht ein, wirktsich die Negativität des Kindes zunehmend auf das Wohlbefindender Mutter aus. Ihr fehlen Erfahrungen der eigenen Wirksamkeit(z. B. das Kind beruhigen zu können), anstelle derer Hilflosigkeit,Resignation und möglicherweise das Gefühl der Ablehnung durchdas eigene Kind auftreten können.

Eine depressive Mutter, die unter Umständen selbst Erfahrun-gen der frühen Traumatisierung bzw. Ablehnung hat, wird evtl.hinsichtlich der Bestätigung durch das Kind besonders bedürf-tig sein und sich selbst schneller in Frage gestellt sehen als eineMutter, die nicht zur Depressivität neigt. Bis zum zweiten Er-hebungszeitpunkt, im Kindesalter von acht Monaten könnte sichso die Negativität des Kindes auf die Depressivität der Mutterauswirken.

Diese Annahme wird durch bedeutsame Assoziationen zwischender kindlichen negativen Emotionalität (VT) im Alter von vier undacht Monaten und der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter zumzweiten Erhebungszeitpunkt unterstützt. Eine multiple Regression,die zur weiteren Analyse der Daten beigetragen hätte, ist aufgrundder niedrigen Anzahl desorganisierter Kinder, nicht möglich ge-wesen.

Zur weiteren Interpretation der Daten erscheint es sinnvoll, dieInterkorrelationen der Muttervariablen zu betrachten. Es ergabsich eine statistisch bedeutsame Korrelation zwischen der mütter-lichen Depressivität/Ängstlichkeit im Kindesalter von acht Monatenund ihrem psychosozialen Risikostatus. Dieser Zusammenhang ent-spricht Ergebnissen anderer Studien, die psychische Erkrankungenmit einer Kumulation von psychosozialen Belastungsfaktoren inVerbindung bringen (vgl. Rutter, 1997).

Keine Assoziation ergab sich mit den Merkmalen des Interak-tionsverhaltens der Mutter. Daß sich die Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter nicht an ihrem Verhalten gegenüber ihrem Säugling fest-machen läßt, ist ein unerwarteter Befund. Wie bereits erwähntkonnte jedoch auch in anderen Studien die Depressivität der Be-

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zugsperson nicht übereinstimmend mit inadäquatem Interaktions-verhalten in Verbindung gebracht werden. Als Ursache dafür sindmögliche Interaktionseffekte besprochen worden, die andere Risiko-faktoren, wie zusätzliche psychosoziale Belastungsfaktoren und eineerhöhte Irritierbarkeit des Säuglings mit einbeziehen (vgl. Kap.4.1.1.).

Beschrieben wurden in der Literatur außerdem unterschiedlicheVerhaltensmuster, die depressive Mütter im Kontakt mit ihrenBabys zeigen. Während manche depressiven Mütter durch vermin-derte Emotionalität und wenig Involviertheit bzw. Rückzug auf-fallen, zeigen andere ein Muster von feindseliger Intrusivität(Weinberg & Tronick; 1997; vgl. Kap. 1.3.2.2.). Denkbar wäre, daßsich die Depressionsneigung nur bei den zuletzt erwähntenMüttern als mangelnde Echtheit niederschlägt, denn im Verhaltendieser Mütter könnten aggressive Impulse vorkommen, die dannvon freundlich zugewandtem Verhalten gefolgt werden. Da diesjedoch nicht bei allen depressiven Müttern der Fall zu sein scheint,zeigte sich in den Ergebnissen zwar eine Verknüpfung von man-gelnder Echtheit der Mutter und Desorganisation, mit der Depres-sivität/Ängstlichkeit der Mutter war die Echtheit jedoch nicht sig-nifikant assoziiert.

4.2.3. Frühkindliches Temperament: negativeEmotionalität

Für beide Maße der negativen Emotionalität des Säuglings (MKIund VT) waren Hypothesen über die bedeutsame Verknüpfung mitder Desorganisation formuliert worden. Für den Zeitpunkt derersten Erhebung ergab sich jedoch für keines der Maße ein signi-fikanter Zusammenhang mit dem desorganisierten Verhalten imKindesalter von 18 Monaten. Die Hypothesen konnten für diesenZeitpunkt also nicht bestätigt werden.

Anders sah es bezüglich des zweiten Erhebungszeitpunktes aus:Hier hingen beide Maße der negativen Emotionalität (MKI und VT)signifikant mit dem Ausmaß des desorganisierten Verhaltens zu-sammen. Die Richtung des Zusammenhangs stellte sich entspre-chend der im Theorieteil hergeleiteten formulierten Hypothese dar:Kinder, die im Alter von acht Monaten sowohl in der Mutter-Kind-

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Interaktion als auch im Verhaltenstest verstärkt gequengelt undgeweint hatten, zeigten mit größerer Wahrscheinlichkeit im FSTmit 18 Monaten desorganisiertes Verhalten. Eine stärkere Irritier-barkeit und die damit verbundene mangelnde selbtregulatorischeKompetenz des Säuglings drückt sich vermutlich in vermehrternegativer Emotionalität aus.

Dieses Ergebnis paßt zu denen anderer Autoren, die Zusam-menhänge von frühen Kindmerkmalen und Desorganisation gefun-den hatten. Spangler et al. (1996) beispielsweise hatten mit denNeugeborenen ihrer Stichprobe den NBAS (Brazelton; 1984)durchgeführt und den FST im Alter von 12 Monaten. Sie fanden her-aus, daß die desorganisierten Kinder als Neugeborene eine schlech-tere Orientierungsfähigkeit (gegenüber externen Reizen) hattenals nicht desorganisierte. Außerdem unterschieden sie sich hin-sichtlich des Ausmaßes von negativer Vokalisation im Alter vondrei, sechs und neun Monaten, sowohl in einer Spiel- als auch ineiner Anforderungsituation (Spangler & Grossmann, 1999).

Die Ergebnisse sind ein Hinweis auf die stärkere Relevanz kind-licher Merkmale bei der Entstehung von Desorganisation im Ver-gleich zur Bindungssicherheit. Nicht nur das Maß der negativenEmotionalität aus der Interaktion, das nicht als reines Tempera-mentsmaß zu bezeichnen ist, korrelierte mit der Desorganisation,sondern auch das Maß außerhalb der Mutter-Kind-Interaktion.

Untermauert wird diese Annahme durch eine tendenzielle Ver-knüpfung des Apgarindexes, der die kindliche Anpassung fünfMinuten nach der Geburt kennzeichnet und der Desorganisation.Hier scheint die relative neurologische Unreife desorganisierterKinder für den Zusammenhang verantwortlich zu sein. Neurolo-gisch weniger weit entwickelt, reagieren desorganisierte Kindermöglicherweise zu einem frühen Zeitpunkt (vier Monate) wenigerauf ihre Umwelt, sind beispielsweise weniger reaktiv und wenigerzu Aufmerksamkeitsprozessen in der Lage. Dies würde erklären,daß desorganisierte Kinder zu diesem Zeitpunkt noch nicht mehrNegativität zeigen als andere Kinder. Im Alter von acht Monatenunterscheiden sie sich dann durch vermehrte Negativität von ande-ren Säuglingen, was die mangelnde Selbstregulation, die fehlendenCopingstrategien im Umgang mit Ereignissen verdeutlicht.

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Andere Untersucher zeigten Unterschiede in der physiolo-gischen Stressreaktion zwischen desorganisierten und nicht des-organisierten Kindern. Bei desorganisierten Kindern fand maneinen höheren Cortisolgehalt im Speichel, was als Zeichen für diemangelnde Verfügbarkeit von Copingstrategien angesehen wurde(Spangler et al., 1993; Hertsgaard et al., 1995).

Ein tendenzieller Zusammenhang von kognitivem Entwick-lungstand mit acht Monaten (MDI, Bayley) und desorganisiertemVerhalten mit 18 Monaten ergänzt die Ausführungen über die stär-kere Relevanz kindlicher Merkmale bei der Entstehung von des-organisiertem Verhalten. Desorganisierte Kinder wiesen in der vor-liegenden Stichprobe im Alter von acht Monaten einen in derTendenz niedrigeren kognitiven Entwicklungstand auf als nichtdesorganisierte Kinder. Dieser Zusammenhang wurde auch vonanderen Autoren gefunden: In ihrer Studie zur Vorhersage von Ver-haltensproblemen bei 5-jährigen fanden Karlen Lyons-Ruth undihre Mitarbeiterinnen eine signifikante Korrrelation der erhobe-nen Desorganisation und dem »Mental Development Index« (MDI)des Bayley-Tests (Bayley, 1969) mit 18 Monaten (Lyons-Ruth;Easterbrooks & Cibelli (1997).

In bezug auf die Bedeutung des mütterlichen Interaktionsver-haltens für die Entwicklung von desorganisiertem Verhalten erwiessich die Echtheit des mütterlichen Verhaltens als bedeutsam. DieErgebnisse zeigten außerdem, daß diese Variable mit der negativenEmotionalität des Kindes (VT) in Verbindung stand. Eher unechteMütter hatten häufiger als erwartet, Kinder, die im FST desorgani-siertes Verhalten zeigten als echte Mütter.

Denkbar wäre, daß, im Sinne einer Organismusspezifität, gera-de irritierbare Kinder besonders vulnerabel für ungünstige Um-welteinflüsse sind (vgl. Belsky, 1997; Rutter, 1990). SchädigendeUmweltbedingungen wie z. B. unechtes mütterliches Verhaltenwürden sich dann in Kombination mit erhöhter Irritierbarkeit desSäuglings als desorganisiertes Verhalten niederschlagen. DerartigeInteraktionseffekte müßten in zukünftigen Forschungsvorhaben aneiner größeren Stichprobe überprüft werden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß frühkindli-che Temperamentsmerkmale, genauer gesagt die negative Emo-

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tionalität, mit späterem desorganisiertem Verhalten verknüpft ist.Dies gilt zumindest für die vorliegende Stichprobe und muß repli-ziert werden. Mangelnde selbstregulatorische Fähigkeiten, die sichin vermehrter negativer Emotionalität ausdrücken, scheinen einRisikofaktor für desorganisiertes Verhalten zu sein. Die Ausbildungder Selbstregulation ist, wie im Theorieteil dargelegt, als Wechsel-spiel, zwischen konstitutionell bedingten kindlichen Faktoren undder externen mütterlichen Unterstützung der kindlichen Regulationdurch ihr Verhalten zu sehen. Hier hatte sich Echtheit des mütter-lichen Verhaltens als bedeutsam für die Entwicklung von desorga-nisiertem Verhalten beim Kind erwiesen. Bei der Desorganisationscheint jedoch in stärkerem Maße als bei der Bindungssicherheitdie Disposition des Säuglings eine Rolle zu spielen.

Auffallend ist, daß sich bezüglich der negativen Emotionalitätvon Säuglingen im ersten Lebensjahr und deren prognostischerBedeutung für Bindungssicherheit und Desorganisation ein kom-plementäres Bild ergibt. Betrachtet man nur die Mutter-Kind-Inter-aktion, so zeigen Kinder, die später anhand des FST als unsichergebunden klassifiziert werden, im Alter von vier Monaten mehrnegativen Emotionsausdruck, mit acht Monaten hingegen tenden-ziell weniger als sicher gebundene Kinder.

Kinder, die mit 18 Monaten im FST desorganisiertes Verhaltendarbieten, zeigen eher das umgekehrte Muster. Mit vier Monatenunterscheiden sie sich nicht (bzw. zeigen eher weniger negativeEmotionalität) von nicht desorganisierten Kindern, mit acht Mona-ten quengeln und weinen sie mehr als nicht desorganisierte Kinder.

Die Daten können als Hinweise auf zukünftige Forschungs-ansätze verstanden werden. Möglicherweise weisen nach demtraditionellen System sicher und unsicher gebundene (vermeidendund ambivalent) und desorganisierte Kinder während des erstenLebensjahres unterschiedliche charakteristische Muster von Tem-peramentsmerkmalen auf.

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4.3. Fazit/Ausblick

A. Bindungssicherheit

Zusammenfassend konnten die Hypothesen, die eine Verknüp-fung von Aspekten des mütterlichen Interaktionsverhaltens mit derBindungssicherheit zum Inhalt haben, nicht bestätigt werden.Weder der Emotionsausdruck der Mutter im Kontakt mit ihremSäugling noch die Echtheit ihres Verhaltens spielten eine bedeut-same Rolle bei der Vorhersage der Bindungssicherheit (Hypothese1 und 2).

Bezüglich der Reaktivität/Sensitivität der Mutter konnten For-schungsergebnisse anderer Untersucher nicht repliziert werden.Als signifikant mit der Bindungssicherheit verbunden erwies sichhingegen die Depressivität/Ängstlichkeit der Bezugsperson, womitHypothese 3 als bestätigt angesehen werden kann. Dieser Zusam-menhang galt für den zweiten Erhebungszeitpunkt.

Bezogen auf die Maße der kindlichen negativen Emotionali-tät/Irritierbarkeit erwies sich die negative Emotionalität, die derSäugling in der Interaktion mit der Mutter zeigte, als bedeutsamerPrädiktor der Bindungssicherheit (Hypothese 4). Das Ausmaß derim Verhaltenstest geäußerten negativen Emotionen war dagegennicht bedeutsam mit der Bindungssicherheit verknüpft, weshalbHypothese 5 zurückgewiesen werden muß. Mögliche Ursachen fürdie Ergebnisse wurden in den vorangehenden Kapiteln erörtert.

Demnach scheinen hinsichtlich der Entwicklung der Bindungs-sicherheit weniger Merkmale des Säuglings, wie eine erhöhte Irri-tierbarkeit, als vielmehr die Qualität der Mutter-Kind-Interaktionbzw. Beziehung von Bedeutung zu sein. Die negative Emotionalitätdes Säuglings in der Mutter-Kind-Interaktion muß, folgt man denAusführungen zur Validität von Temperamentsmaßen im Theorie-teil, als Maß der Dyade denn als individuelles Maß verstanden wer-den. Die signifikante Verknüpfung mit der Bindungssicherheit, dieja ebenfalls ein dyadisches Maß darstellt, ist vor diesem Hinter-grund weniger der kindlichen Verhaltensdisposition als vielmehrder Interaktion bzw. dem Zusammenspiel von Bezugsperson undSäugling zuzuschreiben. Der korrelative Zusammenhang von kind-

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licher negativer Emotionalität (MKI) und mütterlichem Emotions-ausdruck unterstützt diese Sichtweise.

Als relevante Prädiktoren der Bindungssicherheit konnten ins-gesamt anhand der Ergebnisse der vorliegenden Studie die negati-ve Emotionalität/Irritierbarkeit des Säuglings (MKI) mit vier Mona-ten und die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter zum Zeitpunktdes zweiten Erhebungszeitpunktes identifiziert werden. NiedrigeDepressivität/Ängstlichkeit der Mutter und geringe Negativität desKindes waren mit einer sicheren Bindung beim Kind verknüpft. Inder Tendenz war zusätzlich eine hohe negative Emotionalität mitacht Monaten mit sicherer Bindung assoziiert.

Bei der multiplen Regression klärte die Depressivität/Ängstlich-keit neben der kindlichen negativen Emotionalität (vierter und ach-ter Monat) keine zusätzliche Varianz auf. Dieses Ergebnis könnte soerklärt werden, daß die negative Emotionalität des Säuglings fürden Zusammenhang von Depressivität/Ängstlichkeit der Mutterund Bindungssicherheit verantwortlich ist. Umgekehrt wäre jedochauch denkbar, daß eine erhöhte mütterliche Depressivität/Ängst-lichkeit beides bedingt, die Negativität des Kindes und dessen un-sichere Bindung, also selbst die Verbindung von kindlicher Negati-vität und Bindungssicherheit erklärt. Zur weiteren Klärung diesermöglichen Zusammenhänge scheint es dringend notwendig, dieErgebnisse an größeren Stichproben zu replizieren und möglicheInteraktionseffekte zu überprüfen.

B. Desorganisation

Insgesamt konnten – immer mit der Einschränkung der Inter-pretierbarkeit durch die geringe Anzahl desorganisierter Kinder –einige Variablen, auf Seiten des Kindes sowie der Bezugspersonidentifiziert werden, die eine wichtige Rolle bei der Vorhersagedesorganisierten Verhaltens zu spielen scheinen. Als ein Aspektdes mütterlichen Interaktionsverhaltens, erwies sich die Echtheitdes Verhaltens für die Vorhersage von desorganisiertem Verhaltenvon Bedeutung (Hypothese 7). Auch drei weitere Hypothesen kön-nen als bestätigt angesehen werden.

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Die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter war signifikant mitder Desorganisation verknüpft (Hypothese 8), ebenso die negativeEmotionalität des Säuglings im Alter von acht Monaten. Der zuletztgenannte Zusammenhang war für beide Maße (MKI und VT)bedeutsam (Hypothese 9 und 10). Die Hypothese 6, die den müt-terlichen Emotionsausdruck in der Interaktion mit dem Säuglingals Prädiktor für Desorganisation postuliert, muß anhand der Er-gebnisse der vorliegenden Studie zurückgewiesen werden.

Zusammengenommen unterstützen die Ergebnisse die Positionvon Spangler et al. (1996, 1999), die die Desorganisation des Bin-dungsverhaltens im Gegensatz zur Bindungssicherheit eher alsindividuelles, denn als Beziehungskonstrukt betrachtet. Als Belegedafür, werden die eingeschränkte Verhaltensorganisation desorgani-sierter Kinder als Neugeborene und die Stabilität von desorgani-siertem Verhalten gegenüber beiden Elternteilen angesehen.

Für die Annahme der stärkeren Bedeutung von individuellenDeterminanten spricht aus den Ergebnissen der vorliegendenStudie außerdem der Befund, daß der Apgar-index und der kogni-tive Entwicklungstand bei desorganisierten Kindern tendenziellniedriger ausfielen als bei Kindern, die kein desorganisiertes Ver-halten zeigten.

Anders als bei Spangler et al. wurde jedoch in unserer Studieein Aspekt des mütterlichen Verhaltens identifiziert, der mit demAusmaß desorganisierten Verhaltens beim Kind tendenziell ver-knüpft war. Die Echtheit des mütterlichen Interaktionsverhaltens,die Authentizität mit der die Bezugsperson ihrem Säugling gegen-über agiert, war bei Müttern von desorganisierten Kindern gegen-über anderen Müttern erniedrigt.

Dieser Befund fügt sich in ein Bild, das durch einen anderen For-schungsstrang, mit sich zunehmend verdichtender Befundlage,gezeichnet wird. Wie im theoretischen Teil der Arbeit dargelegt,gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang von traumatischenEreignissen oder genauer einem unverarbeiteten Verlust in derVergangenheit der Mutter und desorganisiertem Bindungsverhaltenbeim Kind (Ainsworth & Eichberg; 1991; Main & Solomon, 1990;van Ijzendoorn et al., 199).

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Äußern soll sich dieser unverarbeitete Verlust der Mutter durchgeängstigtes oder ängstigendes Verhalten gegenüber dem Kind (vgl.Schuengel et al., 1999). In der vorliegenden Studie wurde nichtdirekt ängstigendes Verhalten erfaßt, sondern globaler ein Verhal-ten, bei dem davon auszugehen ist, daß es bei dem Säugling eineVerunsicherung hervorruft und seine selbstregulatorischen Fähig-keiten untergräbt. Derartige Verhaltensmuster wurden bereits inanderen Studien zur Desorganisation beschrieben, beispielsweiseLyons-Ruth und Mitarbeiter »disrupted affective communikation«(Lyons-Ruth, 1999).

Zusammen mit dem Ergebnis, daß die Depressivität/Ängstlich-keit der Mutter und ihre psychosoziale Risikobelastung ebenfalls alsmit der Entwicklung von desorganisiertem Verhalten verknüpft zubetrachten ist, entsteht ein Bild, das verschiedene Befunde andererUntersuchungen zu integrieren scheint.

Festzuhalten ist zum einen, daß individuelle Merkmale des Kin-des im Hinblick auf späteres desorganisiertes Verhalten von Bedeu-tung zu sein scheinen. Zweitens, daß auf Seiten der Bezugspersoneine Belastung, die mit möglichen früheren Verlusten, evtl. damit inVerbindung stehender mangelndem psychischem Wohlbefindenund einem Interaktionsverhalten, das sich durch mangelnde Echt-heit bzw. Schwierigkeiten/Brüche im Kontakt mit dem Säuglingauszeichnet, mit desorganisiertem Verhalten beim Kind tendenziellin Zusammenhang stehen.

Möglich wäre, daß im Sinne eines Interaktionseffektes, erst dasZusammentreffen verschiedener Faktoren zu desorganisiertemVerhalten führt. Beispielsweise könnte ein irritierbarer Säuglingbesonders anfällig für Verunsicherung z. B. durch unechtes Verhal-ten der Mutter sein. Nach Belsky (1997) ist es wahrscheinlich, daßhoch irritierbare Säuglinge besonders vulnerabel für ungünstigeUmweltbedingungen sind. Eltern mit hoher psychosozialer Risiko-belastung zeigen außerdem vergleichsweise wenig angemessenesVerhalten im Kontakt mit einem irritierbaren Kind (Papousek &Papousek, 1990). Wenn beide Faktoren zusammentreffen, ein hochirritierbares Kind und inadäquates Elternverhalten, wäre von derAusbildung mangelnder Selbstregulationsfähigkeit auszugehen,d.h. hohe Ärger- und Angstneigung, Rückzug von erregenden

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Reizen und anhaltende Unsicherheit bei nur durchschnittlichenErregungsniveaus (Fogel, 1982).

Betrachtet man sich die einzelnen Versuchspersonen genauer,die in unserer Studie als desorganisiert eingestuft worden waren,dann spricht die Häufung der Faktoren eher für das erste Modell. Inder vorliegenden Studie konnten fünf Variablen identifiziert wer-den, die mit desorganisiertem Verhalten assoziiert waren:

• erhöhte negative Emotionalität des Säuglings in der MutterKind-Interaktion mit acht Monaten,

• erhöhte negative Emotionalität des Säuglings im Verhaltenstestmit acht Monaten,

• mangelnde Echtheit des mütterlichen Verhaltens im Kindesaltervon vier Monaten,

• erhöhte Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter im Kindesaltervon acht Monaten,

• Häufung von psychosozialen Risikofaktoren,Von den insgesamt sechs Familien wiesen drei in allen Variablen

die Bedingungen in extremer Ausprägung (<P 33 oder >P 66) auf,die restlichen drei zeigen in vier der fünf Variablen extreme Aus-prägungen.

Fünf von den insgesamt sechs Säuglingen zeigten ein Ausmaß annegativer Emotionalität (MKI und VT) mit acht Monaten, das imoberen Drittel der Verteilung lag. Bei der negativen Emotionalität(MKI) handelt es sich bei dem restlichen Fall um fehlende Datenaufgrund einer nicht beurteilbaren Sequenz.

Alle Mütter außer einer zeigten in der Interaktion mit ihremSäugling ein Verhalten, dessen Echtheit im unteren Drittel der Ver-teilung aller Mütter lag. Das gleiche galt für die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter im Kindesalter von acht Monaten. Bis aufeine Mutter hatten alle Werte für Depressivität/Ängstlichkeit, dieüber der 66. Perzentile lagen. Alle Familien wiesen zumindest eineleichte Risikobelastung auf, die aus mindestens einem Risikofaktorbestand, davon drei eine leichte, weitere drei eine schwere Risiko-belastung. Zusätzlich wiesen desorganisierte Kinder tendenzielleinen niedrigeren Apgarindex nach der Geburt auf und im Alter vonacht Monaten war ihr kognitiven Entwicklungsstand (MDI, Bayley)in der Tendez niedriger als der der nicht desorganisierten Kinder.

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Insgesamt scheinen demnach bei allen Familien, in denen eindesorganisiertes Kind vorkommt, mehrere Faktoren zusammen zukommen, was darauf hindeuten könnte, daß die einzelnen Variab-len erst in der Kombination als Risikofaktoren für desorganisiertesVerhalten fungieren.

In der Literatur werden jedoch noch weitere Möglichkeiten vonBedingungskonstellationen desorganisierten Bindungsverhaltensdiskutiert. Die Existenz von Untergruppen, die sich auch hinsicht-lich ihrer Determinanten voneinander unterscheiden, ist eine sol-che theoretische Erwägung. In diese Richtung geht beispielsweisedie Argumentation von Lyons-Ruth und Mitarbeitern, die postu-liert, daß desorganisierte Kinder, mit sicherer Bindung als Zweit-klassifikation im Vergleich zu solchen mit unsicherer Bindungunterschiedliche Merkmale aufweisen. Während sie nur bei Müt-tern von desorganisiert-sicher gebundenen Kindern einen frühenVerlust einer Bindungsfigur fand, ging die desorganisiert-unsichereBindung mit einer Häufung psychosozialer Risikofaktoren einher(Lyons-Ruth et al., 1991).

Für die Überprüfung derartiger Zusammenhänge war in dervorliegenden Studie die Stichprobe zu klein, der geleistete Beitragin bezug auf die Desorganisation ist in der Anregung weiterer For-schungsbemühungen zu sehen. Zur weiteren Aufklärung der Be-dingungskonstellationen desorganisierten Verhaltens ist weitereForschung in dieser Richtung notwendig.

Abschließend stellt sich die Frage, ob es sich bei Bindungs-sicherheit und Desorganisation um voneinander unabhängige Kon-zepte handelt, wie beispielsweise Spangler postuliert (Spangler etal., 1996). Für eine solche Annahme spricht, daß bei der Entwick-lung der Desorganisation im Gegensatz zur Bindungssicherheitverstärkt individuelle Merkmale des Säuglings beteiligt zu seinscheinen.

In der Bindungsforschung wird üblicherweise als desorganisierteingestuften Kindern eine Zweitklassifikation zugeteilt, welche dieklassichen Bindungstypen beinhaltet (A, B, C). Im Falle der Unab-hängigkeit der Skalen müßten desorganisiert-sicher gebundeneKinder genauso häufig vorkommen wie desorganisiert-unsichere.Dies ist jedoch, der Metaanalyse von van Ijzendoorn und Mitar-

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beitern zufolge nicht der Fall, denn sie fanden in 80% der Fälle des-organisierte Kinder mit unsicherer Bindung als Zweitklassifikation(46% D/C, 34% D/A) und bei nur 14% die Kombination von Desor-ganisation und sicherer Bindung (van Ijzendoorn et al., 1999).

Wahrscheinlich ist demnach, daß es sich bei Bindungssicher-heit und Desorganisation nicht um zwei unabhängige Dimensionenhandelt, sondern daß beide mit Aspekten des mütterlichen Verhal-tens in Zusammenhang stehen. Auch wenn dies in der vorliegendenUntersuchung nicht repliziert werden konnte, ist der Forschungs-stand hinsichtlich des Zusammenhangs von Bindungssicherheitund mütterlichem Interaktionsverhalten eindeutig. Gezeigt wer-den konnte, daß auch die Desorganisation mit einem Merkmal desMutterverhaltens, der Echheit tendenziell assoziiert ist.

Denkbar wäre, daß es sich bei der Desorganisation um einenweiteren Typ der unsicheren Bindung handelt, der sich durch seineBedingungskonstellationen von den anderen unterscheidet. DieSeite des Säuglings scheint im Hinblick auf die Desorganisationeine wichtigere Rolle zu spielen, hier sind verschiedene Möglich-keiten vorstellbar. Eine neurologische Unreife, z. B. durch disposi-tionelle Faktoren oder Frühgeburt, könnte ebenso wie Mißbrauchs-erlebnisse im Kleinkindalter, die eine traumatisierende Wirkunghaben, eine erhöhte Vulnerabilität für inadäquate Behandlungdurch die Bezugsperson nach sich ziehen und in Verbindung mitinadäquatem Elternverhalten zu desorganisiertem Verhaltenführen.

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5. Zusammenfassung

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, die Entwicklungsbe-dingungen von Bindungssicherheit bzw. -unsicherheit und desor-ganisiertem Bindungsverhalten während des ersten Lebensjahreszu untersuchen.

Im Hinblick auf potentielle Einflußfaktoren wurde das Inter-aktionsverhalten und die Depressivität/Ängstlichkeit der Haupt-bezugsperson sowie die negative Emotionalität des Säuglings erho-ben. Bei den Aspekten des mütterlichen Verhaltens waren solcheMerkmale von Interesse, die über die, in der Bindungstheorie alsPrädiktor der Bindungssicherheit postulierte, Reaktivität/Sensi-tivität hinaus, zur Varianzaufklärung beitragen können. Der Emo-tionsausdruck der Bezugsperson während der Interaktion mitihrem Säugling und die Echtheit des mütterlichen Verhaltens wur-den aus diesem Grund erhoben.

Als frühkindliches Temperamentsmerkmal wurde die negativeEmotionalität/Irritierbarkeit aufgrund ihres potentiellen Einflus-ses auf das Interaktionsverhalten der Bezugsperson und ihrerFunktion als Indikator der selbstregulatorischen Fähigkeiten desSäuglings als bedeutsam für die Entwicklung von Bindungssicher-heit und Desorganisation angesehen.

Insgesamt nahmen 33 gesunde, erstgeborene Säuglinge und ihreEltern an der Erhebung teil. Das Interaktionsverhalten der Mutterund die negative Emotionalität des Säuglings wurden im Kindes-alter von vier und acht Monaten mit Hilfe von Videobeobachtungenund Hausbesuchen anhand der »Mannheimer Beurteilungsskalenzur Erfassung der Mutter-Kind-Interaktion im Säuglingsalter« (MBS-MKI-S) von Esser et al. (1989, 1993) beurteilt. Die negative Emo-tionalität des Kindes wurde zu beiden Zeitpunkten in zwei ver-schiedenen Kontexten erfaßt: während der Interaktion mit derBezugsperson und als Reaktion auf standardisierte Reize währenddes Verhaltenstests (Bayley-Test), mit dem zusätzlich der kognitiveEntwicklungsstand erfaßt wurde. Die Depressivität/Ängstlichkeitder Bezugsperson wurde per Fragebogen erhoben. Im Kindesalter

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von 18 Monaten wurde der »Fremde-Situations-Test« nach Ains-worth & Wittig (1969) durchgeführt.

Um eine Konfundierung von Bindungssicherheit und Desorga-nisation zu vermeiden, wurden bei der multiplen Regressionsana-lyse zur Vorhersage der Bindungssicherheit (sicher vs. unsicher)alle desorganisierten und unklassifizierbaren Kinder aus der Ana-lyse ausgeschlossen.

Niedrige Depressivität/Ängstlichkeit der Bezugsperson im Kin-desalter von acht Monaten und geringe negative Emotionalität desSäuglings während der Interaktion mit der Mutter zu beiden Zeit-punkten erwiesen sich als bedeutsame Prädiktoren der Bindungs-sicherheit. Die Depressivität/Ängstlichkeit klärte neben der kind-lichen negativen Emotionalität zu T1 und T 2 keine zusätzlicheVarianz auf, so daß anzunehmen ist, daß der Zusammenhang vonDepressivität/Ängstlichkeit und Bindungssicherheit durch dieNegativität des Säuglings erklärt werden kann. Denkbar ist jedochumgekehrt auch, daß die Depressivität/Ängstlichkeit der Mutterfür den Zusammenhang von negativer Emotionalität des Säuglingsund Bindungssicherheit verantwortlich ist, also beide Merkmalebedingt.

Mütterlicher Emotionsausdruck und die Echtheit ihres Verhal-tens standen in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Bin-dungssicherheit. Auch die negative Emotionalität des Säuglings imVerhaltenstest war nicht bedeutsam mit der Bindungssicherheitassoziiert. Dies deutet darauf hin, daß weniger kindliche Tempera-mentsmerkmale als solche, als vielmehr die Qualität der Mutter-Kind-Interaktion, als dessen Indikator man die Emotionalität desKindes während der Interaktion ansehen kann, von Bedeutung fürdie Bindungsentwicklung zu sein scheinen.

Zur Bearbeitung der Fragestellungen, die das desorganisierteVerhalten betrafen, wurden Kinder mit Werten für Desorganisationgrößer 5 und solche mit niedrigen Werten statistisch miteinanderverglichen. Desorganisiertes Verhalten war signifikant mit derEchtheit des mütterlichen Verhaltens, der Depressivität/Ängstlich-keit der Bezugsperson und beiden Maßen der kindlichen negativenEmotionalität verbunden. Ergänzt wurden diese Ergebnisse durcheinen tendenziellen Zusammenhang der Verhaltensanpassung der

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Kinder im Neugeborenenalter (Apgarindex) und des kognitivenEntwicklungsstandes mit acht Monaten (Mental DevelopmentIndex) mit desorganisiertem Verhalten im Alter von 18 Monaten.

Sieht man von der Einschränkung der Aussagen durch die ge-ringe Anzahl desorganisierter Kinder (n = 6) ab, scheinen insge-samt Verhaltensmerkmale des Säuglings bei der Entstehung des-organisierten Verhaltens eine bedeutsamere Rolle zu spielen alsbei der Bindungssicherheit. Die deskriptive Einzelfalldarstellungder Familien mit desorganisierten Kindern zeigte, daß die Ent-wicklung von desorganisiertem Verhalten dann wahrscheinlich ist,wenn mehrere Risikofaktoren zusammentreffen (z. B. hohe Negati-vität des Säuglings, mangelnde Echtheit der Mutter, hohes psycho-soziales Risiko).

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Anhang A

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Tabelle A 1Vergleich von teilnehmenden (n = 101) und nicht teilnehmenden (n = 80)Familien (Gesamtstichprobe)

Teilnehmer Absager Prüf- Signifi-

(n = 101) (n = 80) größe kanz-niveau

Geburts- x̄ 3423,5 3382,4 t = 0.60 0.55gewicht s 441,1 453,1

Gewicht x̄ 4488,5 4457,46 t = 0.33 0.74bei U 3 s 613,8 530,5

Größe x̄ 55,5 55,4 t = 0.30 0.77bei U 3 s 2,2 2,8

Auffällig- keine 77 (77,1) c 53 (52,9) c

keiten/ auffällig/22 (21,9) c 15 (15,1) c chi2=0.01 0.98

Er- krankkrankungen keineAngabe 2 14

Alter x̄ 28,8 28 t = 1.35 0.18der Mutter s 3,7 4,2

Alter x̄ 31,6 30,4 t = 1,53 1.29des Vaters s 4,8 4,9

Schul- Hauptschule 7 (9,4%) 9 (6,6%)bildung Realschule 32 (42,3%) 40 (29,7%)

der Mutter Abitur 41 (33,5%) 16 (23,5%) chi2=15.68 0.001Hochschule/ 21 (15,9%) 6 (11,1%)Fachhoch-

schule

Schul- Hauptschule 8 (10,1%) 9 (6,9%)bildung Realschule 30 (35,1%) 29 (23,9%)

des Vaters Abitur 42 (39,8%) 25 (27,2%) chi2=6.95 0,74Hochschule/ 21 (16,0%) 6 (11,0%)Fachhoch-

schule

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

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209

Tabelle A 2Stichprobenbeschreibung T 1 / Kinddaten (n = 33)

Geschlecht Mädchen 18 (54,5%)Jungen 15 (45,5%)

Geburtsgewicht x̄ 3463,03 gs 446,35 g

Apgar / 5 Minuten 7,8 3 (9,1%)9 7 (21,2%)

10 23 (69,7%)

Apgar / 10 Minuten 9 1 (3%)10 32 (97%)

Auffälligkeiten keine 26 (78,8%)von U 1 - U 3 auffällig/ krank bei U1-3 7 (21,2%)

Gewicht bei U 3 x̄ 4389,70 gs 593,83 g

Größe bei U 3 x̄ 55,42 cms 2,22 cm

Arztbesuche vor T 1 0 11 (33,3%)1-2 17 (51,6%)3-4 5 (15,2%)

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Tabelle A 3Stichprobenbeschreibung T 1 / Kinddaten

210

Alter der Mutter x̄ 28,70 Jahres 3,47 Jahre

Alter des Vaters x̄ 31,36 Jahres 3,90 Jahre

Schulbildung Hauptschule 3 (9,1%)der Mutter Realschule 7 (21,2%)

Abitur 11 (33,3%)Hochschule/ 12 (36,4%)

Fachhochschule

Schulbildung Hauptschule 2 (6,1%)des Vaters Realschule 9 (27,3%)

Abitur 11 (33,3%)Hochschule/ 11 (33,3%)

Fachhochschule

Berufstätigkeit nein 29 (87,9%)der Mutter bei T 1 halbtags 1 (3,0%)

ganz (inkl. Ausbildung/ 3 (9,1%)Studium)

Berufstätigkeit nein 1 (3,0%)des Vaters bei T 1 ganztags 32 (97,0%)

Schwangerschafts- nein 20 (60,6%)komplikationen Blutungen/vorz.Wehen 6 (18,2%)

Übelkeit 4 (12,1%)Gestosezeichen 2 (6,1%)

Sonstiges 1 (3,0%)

Geburtskomplikationen nein 21 (63,6%)Sectio 6 (18,2%)

Sonstiges 6 (18,2%)

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Tabelle A 4Stichprobenbeschreibung T 2 / Kind- und Elterndaten (n = 32)

Geschlecht Mädchen 18 (56,2%)Jungen 14 (43,8%)

Gewicht bei U 5 x̄ 7899,37 gs 873,52 g

Körpergröße bei U 5 x̄ 68,75 cms 2,53 cm

Auffälligkeiten/ keine 26 (81,2%)Erkrankungen bei auffällig/ 6 (18,8%)

U 4 oder U 5 krank bei U 4, 5

Arztbesuche 0 13 (40,6%)1-2 15 (46,9%)3-4 3 (9,4%)15 1 (3,1%)

Ernährung voll gestillt 1 (3,1%)gestillt und zugefüttert 15 (46,9%)

nicht gestillt 16 (50,0%)

Berufstätigkeit nein 22 (68,6%)der Mutter halbtags 5 (15,6%)

ganztags 3 (9,4%)stundenweise 2 (6,3%)

Berufstätigkeit nein 2 (6,3%)des Vaters halbtags 1 3,1%)

ganztags 29 (90,6%)

Fremdbetreuung nein 5 (16,1%)gelegentlich 22 (71,0%)regelmäßig 4 12,9%)

Fremdbetreuung x̄ 0,8 Std./Tagregelmäßig s 0,8 Std./Tag

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212

Tabelle A 5Stichprobenbeschreibung T 3 / Kind- und Elterndaten (n= 33)

Geschlecht Mädchen 18 (54,5%)Jungen 15 (45,5%)

Auffälligkeiten/ keine 26 (78,8%)Erkrankungen auffällig/krank 7 (21,2%)

Arztbesuche 0 8 (18,2%)1-2 19 (57,5%)3-7 9 (18,1%)24 1 (3,0%)

Berufstätigkeit nein 13 (39,4%)der Mutter halbtags 7 (21,2%)

ganztags 3 (9,1%)stundenweise 10 (30,0%)

Berufstätigkeit nein 1 (3,0%)des Vaters halbtags 2 (6,1%)

ganztags 30 (90,9%)

Fremdbetreuung gelegentlich 5 (16,1%)regelmäßig 28 (84,8%)

Fremdbetreuung x̄ 2,9 Std./Tagregelmäßig s 2,1 Std./Tag

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Tabelle A 6Statistischer Zusammenhang von Krankheit des Kindes, Berufstätigkeitder Mutter und Fremdbetreuung mit der Bindungssicherheit

Bindungssicherheitsicher vs. unsicher

(n = 27)

sicher unsicher Prüfgröße

Krankheit des gesund 3 (2,8) c 2 (2.2) c chi2 =

Kindes bei T 33 .05krank 12 (12.2) c 10 (9.8) c (p = .61)

Berufstätigkeit gar nicht 14 (13.3) c 10 (10.7) c chi2 =der Mutter3 .67(4 Monate) halb-/ganz 1 (1.7) c 2 (1.3) c (p = .41)

Berufstätigkeit gar nicht 7 (6.1) c 4 (4.9) c chi2 =der Mutter3 .49(8 Monate) teilweise/ganz 8 (8.9) c 8 (7.1) c (p = .38)

Fremdbetreuung3 gar nicht 5 (5.2) c 5 (4.8) c

chi2 =(4 Monate)gelegentlich 8 (8.2) c 8 (7.8) c .11

regelmäßig 4 (3.6) c 3 (3.4) c(p = .94)

Fremdbetreuung3 gelegentlich 2 (2.8) c 3 (2.2) c chi2 =(8 Monate) .60

regelmäßig 13 (12.2) c 9 (9.8) c (p = .74)

Betreuung Std. x̄ 2.94 2.65 t =täglich1 s 1.69 2.49 .34

(8 Monate) n 14 12 (p = .39)

Trennung3 ja 4 (5.6) c 6 (4.4) c chi2 =(> 1 Tag) 1.56

nein 11 (9.4) c 6 (7.6) c (p = .20)

Alter des Kindes x̄ 11.25 14.5 t =bei Trennung1 s 4.57 2.58 1.32

n 4 6 (p = .26)

Länge der x̄ 2.00 3.83 t =Trennung1 (Tage) s 1.41 2.23 -1.59

n 4 6 (p = .15)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeit

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Tabelle A 7Statistischer Zusammenhang von Krankheit des Kindes, Berufstätigkeitder Mutter und Fremdbetreuung mit der Desorganisation

214

Desorganisationnicht D vs. D

(n = 33)

nicht D D Prüfgröße

Krankheit des gesund 7 (6,5) c 1 (1,5) c chi2

Kindes bei T 33 .23krank 20 (20,5) c 5 (4,5) c (p = .54)

Berufstätigkeit gar nicht 24 (23,7) c 5 (5,3) c chi2 =der Mutter3 .14(4 Monate) halb-/ganz 3 (3,3) c 1 (0,7) c (p = .57)

Berufstätigkeit gar nicht 11 (10.6) c 2 (2.4) c chi2 =der Mutter3 .11(8 Monate) teilweise/ganz 16 (16.4) c 4 (3.6) c (p = .56)

Fremdbetreuung3 gar nicht 9 (8.2) c 1 (1.8) c

chi2 =(4 Monate)gelegentlich 12 (13.1) c 4 (2.9) c 1.02

regelmäßig 6 (5.7) c 1 (1.3) c(p = .60)

Fremdbetreuung3 gelegentlich 8 (8.2) c 0 (0.9) c chi2 =(8 Monate) 1.31

regelmäßig 4 (3.6) c 6 (5.1) c (p = .34)

Betreuung Std. x̄ 2.80 3.30 t =täglich1 s 2.06 2.40 -.47

(8 Monate) n 26 6 (p = .65)

Trennung3 ja 10 (10.6) c 3 (2.4) c chi2 =(> 1 Tag) .35

nein 17 (16.4) c 3 (3.6) c (p = .44)

Alter des Kindes x̄ 13.2 6.00 t =bei Trennung1 s 3.55 5.66 1.73

n 10 2 (p = .31)

Länge der Trennung x̄ 3.1 4.00 t =(Tage) s 2.08 3.00 -.486

n 10 3 (p = .66)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeit

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Tabelle A8Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalität desKindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und dem Interaktionsverhaltender Mutter mit 4 Monaten (T 1)

215

Negative Emotionalität (MKI)4 Monate(n = 31)

Mutter r =Reaktivität4 .06

4 Monate (p = .73)

Mutter r =Emotionsausdruck4 -.07

4 Monate (p = 70)

< Median x̄ = .49s = .28

Mutter n = 15 t =Echtheit1 .484 Monate > Median x̄ = .45 (p = .63)

s = .18n = 18

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test

4 = Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 9Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emtionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und derDepressivität/Ängslichkeit der Mutter mit 4 Monaten

216

Negative Emotionalität (MKI)4 Monate(n = 31)

Mutter r =Depressivität/ .08Ängstlichkeit (p = .67)

4 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist der Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 10Korrelationen zwischen der negativen Emotionalität des Kindesim Verhaltenstest (VT) und dem Interaktionsverhalten der Mutter imKindesalter von 4 Monaten (T 1)

217

Negative Emotionalität (VT)4 Monate(n = 31)

Mutter x̄ 6.23 6.38 t =Reaktivität s .87 .83 -.424 Monate n 23 8 (p = .68)

Mutter x̄ 2.89 2.70 t =Emotionsausdruck s .55 .76 .67

4 Monate n 23 8 (p = .52)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertvergleichen durch T-Tests

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Tabelle A 11Korrelationen zwischen der negativen Emotionalität des Kindesim Verhaltenstest (VT) und der Dpressivität/Ängstlichkeit der Mutter imKindesalter von 4 Monaten (T 1)

218

Negative Emotionalität (VT)4 Monate(n = 31)

Mutter x̄ -8.7 E -02 .36 t =Depressivität/Ängstlichkeit

s 2.58 2.31 -.45

4 Monaten 23 8 (p = .66)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertvergleichs durch T-Tests

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Tabelle A 12Korrelationen zwischen der negativen Emotionalität des Kindesin der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und der Reaktivität/Sensitivitätder Mutter im Kindesalter von 8 Monaten (T 2)

219

Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 30)

Mutter r =Reaktivität -.258 Monate (p = .18)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist der Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 13Korrelationen zwischen der negativen Emotionalität des Kindes inder Mutter-Kind-Interaktion (MKI) und der Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter im Kindesalter von 8 Monaten (T 2)

220

Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 30)

Mutter r =Depressivität/ -.12Ängstlichkeit (p = .53)

8 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist der Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 14Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) und dem Interaktionsverhaltender Mutter im Kindesalter von 8 Monaten (T 2)

221

Negative Emotionalität (VT)8 Monate(n = 31)

Mutter x̄ 6.31 6.07 t =Reaktivität s 1.29 .90 -.568 Monate n 19 12 (p = .58)

Mutter x̄ 2.58 2.46 t =Emotionsausdruck s .59 .45 .64

8 Monate n 19 12 (p = .53)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertvergleichen durch T-Tests

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Tabelle A 15Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 4 Monaten (T 1) unddem Interaktionsverhalten der Mutter mit 8 Monaten (T 2)

222

Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 32)

Mutter r =Reaktivität -.058 Monate (p = .80)

Mutter r =Emotionsausdruck -.16

8 Monate (p = .36)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten

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Tabelle A 16Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 4 Monaten (T 1) undder Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter mit 8 Monaten (T 2)

223

Negative Emotionalität (MKI)4 Monate(n = 32)

Mutter r =Depressivität/ .14Ängstlichkeit (p = .44)

8 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist der Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 17Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 4 Monaten und dem mütterlichenInteraktionsverhalten mit 8 Monaten (T 2)

224

Negative Emotionalität (VT)4 Monate(n = 30)

< Median > Median Prüfgröße

Mutter x̄ 6.27 5.97 t =Reaktivität s 1.21 1.03 -.698 Monate n 22 8 (p = .50)

Mutter x̄ 2.54 2.47 t =Emotionsausdruck s .56 .57 .26

8 Monate n 22 8 (p = .80)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertvergleichen durch T-Tests

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Tabelle A 18Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 8 Monaten und demmütterlichen Interaktionsverhalten mit 4 Monaten (T 1)

225

Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 30)

Mutter r =Reaktivität4 .10

4 Monate (p = .60)

Mutter r =Emotionsausdruck4 -.23

4 Monate (p = .21)

< Median x̄ = .58s = .38

Mutter n = 13 t =Echtheit1 1.454 Monate > Median x̄ = .40 (p = .16)

s = .28n = 17

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test

4 = Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 19Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 8 Monaten (T 2) undder Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter mit 4 Monaten (T 1)

226

Negative Emotionalität (MKI)8 Monate(n = 30)

Mutter r =Depressivität/ .02Ängstlichkeit4

(p = .92)4 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist der Pearson Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient

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Tabelle A 20Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalität desKindes im Verhaltenstest (VT) mit 8 Monaten (T 2), dem Interaktionsver-halten und der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutter mit 4 Monaten (T 1)

227

Negative Emotionalität (VT)8 Monate(n = 31)

< Median > Median Prüfgröße

Mutter x̄ 6.38 5.94 t =Reaktivität1 s .94 .59 1.58

4 Monate n 19 12 (p = .12)

Mutter < Median 7 (8.6) c 7 (5.4) c chi2 =Echtheit3 1.374 Monate > Median 12 (10.4) c 5 (6.6) c (p = .21)

Mutterx̄ -2.01 .25 t =Depressivität/s 2.26 2.88 -,46Ängstlichkeit1n 19 12 (p = .65)4 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson c = tatsächliche und (erwartete) Häufigkeiten

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228

Tabelle A 21Korrelationen zwischen dem mütterlichen Interaktionsverhalten(Reaktivität, Emotion, Echtheit der Mutter) mit 4 Monaten (T 1) und derBindungssicherheit (18 Monate)

Bindungssicherheitsicher vs. unsicher

(n = 27)

sicher unsicher Prüfgröße

Mutter x̄ 6.22 6.27 t =Reaktivität1 s .67 .98 -.15

4 Monate n 15 12 (p = .88)

Mutter x̄ 2.73 2.97 t =Emotionsausdruck1 s .59 .49 -1.68

4 Monate n 15 12 (p = .27)

Mutter < Median 6 (5.6) c 4 (4.4) c chi2 =Echtheit3 .134 Monate > Median 9 (9.4) c 8 (7.6) c (p = .52)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

1 = T-Test 3 = chi2 nach Pearson c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

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Tabelle A 22Statistische Zusammenhänge zwischen dem mütterlichen Interaktions-verhalten (Reaktivität, Emotionsausdruck, Echtheit der Mutter) mit8 Monaten (T 2) und der Bindungssicherheit (18 Monate)

229

Bindungssicherheitsicher vs. unsicher

(n = 26)

sicher unsicher Prüfgröße

Mutter x̄ 6.49 6.11 t =Reaktivität s 1.01 1.31 -.818 Monate n 14 12 (p = .43)

Mutter x̄ 2.36 2.67 t =Emotionsausdruck s .52 .44 1.68

8 Monate n 14 12 (p = .11)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben sind Ergebnisse von Mittelwertvergleichen durch T-Tests

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Tabelle A 23Korrelationen zwischen der Depressivität/Ängstlichkeit der Mutterim Kindesalter von 4 Monaten (T 1) und der Bindungssicherheit(18 Monate)

230

Bindungssicherheitsicher vs. unsicher

(n = 27)1

sicher unsicher Prüfgröße

Mutterx̄ -.75 .40 t =Depressivität/s 2.31 2.24 -1.30Ängstlichkeitn 15 12 (p = .20)4 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertvergleichs durch T-Tests

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Tabelle A 24Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 4 Monaten (T 1), und derBindungssicherheit (18 Monate)

231

BindungssicherheitB vs. A, C

sicher unsicher Prüfgröße

Negative < Median 11 (10.4) c 9 (9.6) c t =Emotionalität (VT) .36

4 Monate> Median 2 (2.6) c 3 (2.4) c (p = .46)

(n = 25)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines chi2-Tests nach Pearson

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

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Tabelle A 25Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 8 Monaten (T 2), und derBindungssicherheit (18 Monate)

232

BindungssicherheitB vs. A, C

sicher unsicher Prüfgröße

Negative < Median 9 (10.1) c 9 (7.9) c chi2 =Emotionalität (VT) .94

8 Monate> Median 5 (3.9) c 2 (3.1) c (p = .30)

(n = 25)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines chi2-Tests nach Pearson

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

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Tabelle A 26Statistische Zusammenhänge zwischen dem Emotionsausdruck derMutter im Kindesalter von 4 Monaten und der Desorganisation

233

Desorganisationnicht D vs. D

nicht D D Prüfgröße

Mutter x̄ 2.84 2.77 t =Emotionsausdruck s .55 .82 .26

4 Monate n 27 6 (p = .79)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertvergleichs durch T-Tests

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Tabelle A 27Statistische Zusammenhänge zwischen dem Emotionsausdruck derMutter im Kindesalter von 8 Monaten und der Desorganisation

234

Desorganisationnicht D vs. D

nicht D D Prüfgröße

Mutter x̄ 2.50 2.57 t =Emotionsausdruck s .50 .71 -.20

8 Monate n 26 6 (p = .84)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertvergleichs durch T-Tests

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Tabelle A 28Statistische Zusammenhänge zwischen der Depressivität/Ängstlichkeitder Mutter im Kindesalter von 4 Monaten und der Desorganisation

235

Desorganisationnicht D vs. D

nicht D D Prüfgröße

Mutterx̄ -.24 1.03 t =Depressivität/s 2.31 2.78 -1.04Ängstlichkeitn 27 6 (p = .34)4 Monate

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Mittelwertvergleichs durch T-Tests

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Tabelle A 29Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes in der Mutter-Kind-Interaktion (MKI) mit 4 Monaten (T 1) undder Desorganisation (18 Monate)

236

Desorganisationnicht D vs. D

nicht D D Prüfgröße

NegativeM-W-U =Emotionalität (MKI) mittlerer 18.17 11.75

49.54 Monate Rang (n = 27) (n = 6)(p = .14)(n = 33)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines Man-Whitney-U-Tests

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Tabelle A 30Statistische Zusammenhänge zwischen der negativen Emotionalitätdes Kindes im Verhaltenstest (VT) mit 4 Monaten (T 2) und derDesorganisation (18 Monate)

237

Desorganisationnicht D vs. D

nicht D D Prüfgröße

Negative < Median 20 (18.5) c 3 (4.5) c chi2Emotionalität (VT) 2.27

4 Monate> Median 5 (6.5) c 3 (1.5) c (p = .16)

(n = 31)

Signifikanzniveau: (tp < .10) *p < .05

Angegeben ist das Ergebnis eines chi2-Tests nach Pearson

c = beobachtete und (erwartete) Häufigkeiten

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238

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Anhang B

Kurzinterviews (T1 - T 3)

Soziale Anamnese (T1, T 2)

Fragebogen Fragebogen zur Erhebung der Einstellungen vonMüttern mit Kindern im Kleinskindalter (EMKK)von ENGFER (1984)

Skala »Hoffnungslosigkeit« von BECK,deutsche Übersetzung von KRAMPEN (1979)

Skala »Trait-Angst« aus dem STAI(»State-Trait-Angstinventar«) von LAUX et al. (1981)

Die folgenden Fragebogen sind von den Verfassern im Original auf DIN A 4 angelegt und zwangsläufig unter-schiedlich gestaltet. Für diese Dissertation wurden sie typographisch vereinheitlicht und damit der Gestaltung dieses Werkes angepaßt.Ich bitte bei den Autoren um Verständnis. Ulla Bade

239

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T1 Kurzinterview mit der Bezugsperson

Fragen zur Gesundheit des Kindes

1. Zeitraum seit der letzten Mahlzeit des Babys ______ Minuten

2. Geburtsgewicht ______ Gramm

3. Apgarwerte 5 Minuten ______ 10 Minuten ______

4. Geschlecht des Kindes � männlich � weiblich

5. Geburtsdatum _________

6. Schwangerschaftskomplikationen

______________________________________________________

7. Geburtskomplikationen

______________________________________________________

8. Wurden Auffälligkeiten oder Erkrankungen bei den Vorsorge-untersuchungen festgestellt?

nein ja wenn ja, welcheU’heft-Eintragung(a, b, c; Nummer)

U 1 � � ____________________ _________________

U 2 � � ____________________ _________________

U 3 � � ____________________ _________________

9. Bei der U 3: Körpergewicht ______ g Körpergröße ____ cm

10. Anzahl der Arztbesuche mit dem Baby außerVorsorgeuntesuchungen ____ mal

240

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11. Kamen bisher Erkältungskrankheiten vor?(Husten, Schnupfen) � nein � ja

12. Ist das Baby derzeit erkältet? � nein � ja

13. Kam bisher Fieber vor (temp. > 37,5° Celsius)? � nein � ja

14. Hat das Baby derzeit Fieber? � nein � ja

Fragen zur Ernährung des Kindes

15. Wird das Baby zur Zeit� voll gestillt � gestillt und zugefüttert � nicht gestillt

16. Bis zu welchem Alter des Kindes wurde gestillt? � nie, __ Wochen

17. Wurde in der letzten Woche die Ernährung desKindes umgestellt (abgestillt oder zugefüttert)? � nein � ja

18. Ist eine Umstellung der Ernährung in dieserWoche geplant? � nein � ja

19. Still- bzw. Fütterfrequenz: ca. alle __ Stunden

20. Das ist � sehr regelmäßig so� öfter mal unregelmäßig so� sehr unregelmäßig so

21. Hatte das Baby Koliken (Attacken unberuhig- � neinbaren Schreiens insbesondere am Nachmittag � etwasund Abend)? � deutlich

22. Hat das Baby derzeit Koliken? � nein� etwas� deutlich

241

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T 2 Kurzinterview mit der Bezugsperson

Gesundheit des Kindes im Intervall

1. Zeitraum seit der letzten Mahlzeit des Babys _____ Minuten

2. Wurden Auffälligkeiten der Erkrankungen bei den Vorsorgeunter-suchungen festgestellt?

nein ja wenn ja, welcheU’heft-Eintragung(a, b, c; Nummer)

U 4 � � ____________________ _________________

U 5 � � ____________________ _________________

3. Bei der U 5: Körpergewicht _____ g Körpergröße ____ cm

4. Anzahl der Arztbesuche mit dem Baby außerVorsorgeuntersuchungen im Intervall ____ mal

5. Kamen bisher Erkältungskrankheiten vor?(Husten, Schnupfen) � nein � ja

6. Ist das Baby derzeit erkältet? � nein � ja

7. Kam bisher Fieber vor (temp. > 37,5° Celsius)? � nein � ja

8. Hat das Baby derzeit Fieber? � nein � ja

242

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Fragen zur Ernährung des Kindes

9. Wird das Baby zur Zeit� voll gestillt � gestillt und zugefüttert � nicht gestillt

10. Bis zu welchem Alter des Kindes wurde gestillt? � nie, __ Wochen

11. Wurde in der letzten Woche die Ernährung desKindes umgestellt (abgestillt oder zugefüttert)? � nein � ja

12. Ist eine Umstellung der Ernährung in dieserWoche geplant? � nein � ja

13. Still- bzw. Fütterfrequenz: ca. alle __ Stunden

14. Das ist � sehr regelmäßig so� öfter mal unregelmäßig so� sehr unregelmäßig so

15. Wieviele Stunden schläft das Baby nachts(18 bis 6 Uhr Schlafbeginn) ohne Unterbrechung? __ Stunden

16. Wie oft schläft das Kind am Tag? __ mal

17. Ist das � sehr regelmäßig so� öfter mal unregelmäßig so� sehr unregelmäßig so

243

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T3 Kurzinterview mit der Bezugsperon

Gesundheit des Kindes im Intervall

1. Anzahl der Arztbesuche mit Kind außerVorsorgeuntersuchungen im Intervall ____ mal

2. Kamen bisher Erkältungskrankheiten vor?(Husten, Schnupfen) � nein � ja

3. Ist das Baby derzeit erkältet? � nein � ja

4. Kam bisher Fieber vor (temp. > 37,5° Celsius)? � nein � ja

5. Hat das Baby derzeit Fieber? � nein � ja

6. Liegen im Moment andere Erkrankungen vor? � nein � ja

wenn ja, welche ______________________

7. Nimmt das Kind Medikamente � nein � ja(außer D-Fluoretten)?wenn ja, welche ______________________

Angaben zu den Schlafgewohnheiten

8. Schläft Ihr Kind nachts durch (23 bis 6 Uhr)? � nein � ja

wenn ja, seit wann (Lebensmonat)? ________________________

9. Wieviele Stunden schläft das Baby nachts(18 bis 6 Uhr Schlafbeginn) ohne Unterbrechung? ____ Stunden

10. In wievielen Nächten pro Woche wacht Ihr Kind auf? ____ Nächte

11. Wie oft wacht Ihr Kind nachts auf? ____ mal

12. Kommt es vor, daß es dann länger als20 Minuten wach ist? � nein � ja

13. Benötigt Ihr Kind in der Regel mehr als30 Minuten zum Einschlafen? � nein � ja

14. Kommt es vor, daß Ihr Kind im Elternbett schläft?(auch wenn nachts dahin geholt) � nein � ja

244

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15. Wie oft schläft Ihr Kind am Tag? ____ mal

16. Ist das � sehr regelmäßig so� öfter mal unregelmäßig so� sehr unregelmäßig so

17. Hat Ihr Kind letzte Nacht normal geschlafen? � nein � ja

18. Wann ist es heute aufgewacht? ____ Uhr

19. Wann wird es voraussichtlich wieder schlafen? ____ Uhr

20. Ist Ihr Kind heute wie immer oder ausirgendeinem Grund verstimmt/unruhig etc. ___________________

Angaben zur Fremdbetreuung/Trennung

21. Sind Sie zur Zeit berufstätig? seit ___________________� nein � halb � voll � Studium/Ausbildung

22. Ist der Vater zur Zeit berufstätig?� nein � halb � voll � Studium/Ausbildung

23. Wir das Kind von dritten Personen betreut � nein � ja(auch Vater allein)? Wenn ja,

wer? ____________ wie lange? ___ Std./Tag, seit wann?_____

24. War Ihr Kind schon einmal längere Zeit von Ihnen getrennt?(z. B. wegen Krankenhausaufenthalt) � nein � ja

wenn ja, warum _________ wann ________ wie lange ________

25. Haben Sie danach Veränderungen an Ihrem � nein � jaKind bemerkt? _________________________________________

26. Wie verhält sich Ihr Kind sonstFremden gegenüber? ______________________________

27. Wie verhält es sich sonst,wenn Sie weggehen? ______________________________

28. Gab es seit dem letzten Termin (12 Mon.) � nein � jabesondere Vorkommnisse in der Familie(z. B. Krankheit, Todesfall, Arbeitslosigkeit,finanzielle Schwierigkeiten, Hausbau)? ____________________

245

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Soziale Anamnese (T 1)Befragung im Rahmen der Hausbesuche

Mutter Vater

Alter: _____ Jahre Alter: ______ Jahre

Schulbildung: Schulbildung:� kein Abschluß � kein Abschluß� Hauptschule � Hauptschule� Handelsschule � Handelsschule� Realschule � Realschule� Abitur � Abitur� Studium � Studium

Abgeschlossene AbgeschlosseneBerufsausbildung: Berufsausbildung:� ja � nein � ja � nein

Beruf: ___________________ Beruf: ___________________

berufstätig bis zurMutterschutzzeit?� ja� nein� Studium/Ausbildung

zur Zeit berufstätig? zur Zeit berufstätig?� ja � ja� halb � halb� voll � voll� Studium/Ausbildung � Studium/Ausbildung

Größe der Wohnung (m3) ______ Anzahl der Zimmer _______

Anzahl der Bewohner (incl. Baby) _______

Schwangerschaft ungewollt?� nein � ja (d. h. ernsthaft Abbruch erwogen)

246

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Vergangenheit der Eltern:Heimaufenthalte � Vater � Mutter � keineraufgewachsen mit einem Elternteil � Vater � Mutter � keinerkörperliche Erkrankungen � Vater � Mutter � keinerpsychische Erkrankungen � Vater � Mutter � keiner

Aktuell:Liegen Belastungen in der Familie vor? � nein � ja(z.B. Krankheit, Pflegefall, Arbeitslosigkeit,finanzielle Schwierigkeiten, Hausbau) __________________________

Dauer der Partnerschaft ____ Monate ____ Jahre

Güte der PartnerschaftWurde schon einmal ernsthaft eine Trennung erwogen?Mutter � nein � ja Vater � nein � ja

In welchen Bereichen gibt es Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Kind (z. B. wo es schläft,Fütterzeiten, Verwöhnung etc.)? _____________________Ist das � häufig � manchmal � selten

Wie gehen Sie damit um?� Ausblenden/Übergehen � offene Differenzen� sich einigen (konstruktiv) � mismatch

Hat sich Ihre Partnerschaft durch das KindMutter � eher verbessert � eher verschlechtert � weder nochVater � eher verbessert � eher verschlechtert � weder noch

Versorgung des BabysWieviel Stunden täglich beschäftigt sich der Vater mit dem Baby?wochentags ca. ____ Stunden wochenends ca. ____ Stunden

Wie ist die Versorgung des Babys in Ihrer Partnerschaft aufgeteilt?Vater � etwa gleich � Partnerin macht mehrt � ich mache mehrMutter � etwa gleich � Partner macht mehrt � ich mache mehr

Sind Sie zufrieden mit der Aufteilung?Vater � eher zufrieden � eher unzufriedenMutter � eher zufrieden � eher unzufrieden

Das Baby wird täglich ____ Stunden von einer dritten Person betreut

247

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Soziale Anamnese (T 2)Befragung im Rahmen der Hausbesuche

Mutter zur Zeit beruftätig? Vater zur Zeit berufstätig?� ja � halb � ja � halb� voll � Studium/Ausbildung � voll � Studium/Ausbildung

Güte der PartnerschaftHat sich Ihre Partnerschaft in den letzten 4 MonatenMutter � eher verbessert � eher verschlechtert � weder nochVater � eher verbessert � eher verschlechtert � weder noch

In welchen Bereichen gibt es Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Kind (z. B. wo es schläft,Fütterzeiten, Verwöhnung etc.)? _____________________Ist das � häufig � manchmal � selten � nie

Wie gehen Sie damit um?� Ausblenden/Übergehen � offene Differenzen� sich einigen (konstruktiv) � mismatch

Versorgung des BabysWie ist die Versorgung des Babys in Ihrer Partnerschaft aufgeteilt?Vater � etwa gleich � Partnerin macht mehrt � ich mache mehrMutter � etwa gleich � Partner macht mehrt � ich mache mehr

Wieviel Stunden täglich beschäftigt sich der Vater mit dem Baby?wochentags ca. ____ Stunden wochenends ca. ____ Stunden

Sind Sie zufrieden mit der Aufteilung?Vater � eher zufrieden � eher unzufriedenMutter � eher zufrieden � eher unzufrieden

Das Baby wird täglich ____ Stunden von einer dritten Person betreut

Life events im IntervallGab es bedeutsame Vorkommnisse im Intervall,erfolgte ein Umzug? � ja � neinwenn ja, ___ m2, Anzahl der Zimmer ___, Anzahl Personen ___

Todesfall naher Verwandter � ja � nein wer? ________________

Krankheit (bettlägerig) � Vater � Mutter � nein was ____________

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Fragebogen zur Erhebung der Einstellungenvon Müttern mit Kindern im Kleinstkindalter (EMKK)von Engfer (1984)

Die Aussagen in diesem Fragebogen geben Erfahrungen wieder, dieSie im Umgang mit Ihrem Kind machen können oder die allgemeiner mitKindern zu tun haben.

Bitte kreuzen Sie jeweils die Antwortmöglichkeiten an, die Ihrer Meinungnach am besten auf Sie zutrifft.

Bitte lassen Sie keinen Satz aus!trifft trifft trifft trifftsehr zu eher garzu nicht nicht

zu zu1. Es macht mich sehr kribbelig, wenn

mein Kind nicht richtig trinkt � � � �

2. Ich bin ständig in Sorge, daß meinemKind etwas zustoßen könnte � � � �

3. Seit der Entbindung bin ich vielnervöser geworden � � � �

4. Ich werde den Gedanken nicht los,daß mein Kind doch krank sein könnte � � � �

5. Seit das Kind da ist, fühle ich michinnerlich angespannt � � � �

6. Es ist für mich unvorstellbar, mein Kindauch nur für Minuten allein zu lassen � � � �

7. Im Grunde weiß ich nicht, ob ich wasbei meinem Kind falsch mache � � � �

8. Manchmal würde ich am liebsten nur noch schlafen und alle Problemevergessen � � � �

9. In der letzten Zeit weine ich vielhäufiger � � � �

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trifft trifft trifft trifftsehr zu eher garzu nicht nicht

zu zu10. Ich könnte mein Kind nie einem Baby-

sitter überlassen, aus Sorge, daß erdas Kind nicht richtig behandelt � � � �

11. Ich frage mich ständig, ob ich bei meinem Kind alles richtig mache � � � �

12. Im Grunde fühle ich mich mit meinenProblemen ganz allein gelassen, weilsich niemand wirklich um michkümmert � � � �

13. Andere Leute lasse ich an mein Kindnicht ran, weil man nie weiß, waspassieren kann � � � �

14. Bei meinem Kind habe ich das Gefühl,daß ich etwas falsch mache � � � �

15. Manchmal habe ich das Gefühl, daßmich mein Kind nicht mag � � � �

16. Ich schaue nachts manchmal nach,ob mein Kind auch wirklich nochatmet � � � �

17. Niemand scheint daran zu denken,daß auch ich Liebe und Hilfebrauche � � � �

18. Ich fühle mich recht erschöpft � � � �

19. Bei Krankheiten des Kindes überfälltmich plötzlich der Gedanke, daß mirdas Kind wieder genommen werdenkönnte � � � �

20. Ich finde es schwierig zu wissen, wasmeinem Kind fehlt, wenn es quengelt � � � �

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trifft trifft trifft trifftsehr zu eher garzu nicht nicht

zu zu21. Es macht mir große Mühe,überhaupt

noch Pläne zu machen und in die Tatumzusetzen � � � �

22. Manchmal kann ich nachts nichtschlafen, weil ich mir vorstelle,meinem Kind könnte etwas zustoßen � � � �

23. Ich habe manchmal Angst, daß ichmeinem Kind wehtue � � � �

24. Es kränkt mich, wenn mein Kindnicht trinken mag � � � �

25. Ich fühle mich oft am Ende meinerKraft � � � �

26. Ich frage mich manchmal, ob ichmeinem Kind beim Trockenlegen nichtsehr wehtue � � � �

27. Mein Alltag erscheint mir vollkommenzerstückelt � � � �

28. Manchmal überfällt mich der Gedanke,daß ich mein Kind verletzen könnte � � � �

29. Ich werde den Gedanken nicht los,daß ich im Grunde keine guteMutter bin � � � �

30. Ich darf nicht zulassen, daß das Kindso wird wie ich � � � �

31. Ich fühle mich enttäuscht, wenn meinKind meine Zärtlichkeiten abwehrt � � � �

32. Ich ärgere mich, wenn man mich füreine schlechte Mutter hält, bloß weildas Kind schreit � � � �

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H.-S.-Skala von G. Krampen

Im folgenden werden Sie gebeten, zu einigen Aussagen Stellung zunehmen. Markieren Sie bitte jeweils die Antwort, die Ihrer persönlichenMeinung am besten entspricht.

Bitte bearbeiten Sie alle Aussagen der Reihe nach, ohne eine auszu-lassen. Einige Aussagen haben einen ähnlichen Wortlaut oder Sinn. Bittenehmen Sie auch zu diesen Aussagen Stellung. Es geht bei allen Aus-sagen um Ihre ganz persönliche Sichtweise.

falsch richtig

1. Ich blicke mit Optimismus und Begeisterung indie Zukunft � �

2. Häufig möchte ich alles hinschmeißen, weil ich esdoch nicht besser machen kann � �

3. Wenn einmal alles schiefläuft, geht es mir besser,wenn ich daran denke, daß es ja auch wiederaufwärtsgehen wird � �

4. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Leben inzehn Jahren aussehen soll � �

5. Ich habe genug Zeit, um die Sachen, die mir Spaßmachen, zu tun � �

6. Das, womit ich mich im Moment am meistenbeschäftige, wird mir in der Zukunft Nutzen bringen � �

7. Die Zukunft liegt für mich im Dunkeln � �

8. Ich erwarte, in meinem Leben mehr Schönes zuerleben als der durchschnittliche Mensch � �

9. Ich kriege einfach keine richtigen Chancen im Leben � �

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falsch richtig

10. Meine Erfahrungen sind eine gute Vorbereitung fürkünftige Probleme � �

11. Alles was ich im Moment so vor mir liegen sehe,ist eher unschön als schön und angenehm � �

12. Ich glaube nicht, daß ich jemals das im Lebenbekomme, was ich mir in Wahrheit wünsche � �

13. Ich glaube, daß ich in künftigen Zeiten glücklichersein werde als heute � �

14. Die Dinge laufen einfach nicht so, wie ich esgerne hätte � �

15. Ich setze große Hoffnungen in die Zukunft � �

16. Ich bekomme einfach nie das, was ich will;es ist also Unsinn, überhaupt noch etwas zu wollen � �

17. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß das Leben mirnoch Befriedigung und Freude bringt � �

18. Die Zukunft erscheint mir sehr unsicher � �

19. Das Leben wird mir noch viel mehr schöne Zeitenbringen als schlechte � �

20. Es nützt nichts, etwas anzustreben,das ich gern hätte, da ich es wahrscheinlich jadoch nicht erreiche � �

Überprüfen Sie bitte, ob Sie alle Fragen beantwortet haben!

Bitte nicht ausfüllen!Auswertung: H-S-Rohwert _____ PR-Wert _____ T-Wert _____

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Fragebogen zur Selbstbeschreibung STAI-G Form X 1

Name ______________________ Mädchenname _______________

Vorname ____________________ Geburtsdatum ____ Alter__ Jahre

Beruf _______________________ Geschlecht m/w _____________

Datum ________ Uhrzeit ______ Institution __________________

Anleitung:

Im folgenden Fragebogenfinden Sie eine Reihe von Fest-stellungen, mit denen man sichselbst beschreiben kann.

Bitte lesen Sie jede Feststellungdurch und wählen Sie aus denvier Antworten diejenige aus, dieangibt, wie Sie sich jetzt,d. h. in diesem Moment, fühlen.

Kreuzen Sie bitte bei jederFeststellung das Kästchen unterder von Ihnen gewählten Antwortan. Es gibt keine richtigen oderfalschen Antworten.

Überlegen Sie bitte nicht langeund denken Sie daran, diejenigeAntwort auszuwählen, die Ihrenaugenblicklichen Gefühlszustandam besten beschreibt.

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über-haupt ein ziem-nicht wenig lich sehr

1. Ich bin ruhig � � � �

2. Ich fühle mich geborgen � � � �

3. Ich fühle mich angespannt � � � �

4. Ich bin bekümmert � � � �

5. Ich bin gelöst � � � �

6. Ich bin aufgeregt � � � �

7. Ich bin besorgt, daß etwas schiefgehen könnte � � � �

8. Ich fühle mich ausgeruht � � � �

9. Ich bin beunruhigt � � � �

10. Ich fühle mich wohl � � � �

11. Ich fühle mich selbstsicher � � � �

12. Ich bin nervös � � � �

13. Ich bin zappelig � � � �

14. Ich bin verkrampft � � � �

15. Ich bin entspannt � � � �

16. Ich bin zufrieden � � � �

17. Ich bin besorgt � � � �

18. Ich bin überreizt � � � �

19. Ich bin froh � � � �

20. Ich bin vergnügt � � � �

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Lebenslauf

Persönliche Daten Ulla BadeWeiseler Straße 9, 35510 ButzbachTelefon (06033) 96 82 94geboren am 6. 7. 1963 in Braunschweigledig

Schulbildung

1969 bis 1973 Grundschule in Braunschweig1973 bis 1979 Orientierungsstufe und Gymnasium,

Raabeschule in Braunschweig1979 bis 1981 Internatsgymnasium in Bad Harzburg

Berufsausbildung

9/1981 bis 8/1983 Lehranstalt für Medizinisch-technische Assistentinnen e. V.in Braunschweig

2/1984 bis 6/1985 Anstellung als MRTA, Orthopädische Klinik Melverode in Braunschweig

Zweiter Bildungsweg

08/1985 - 06/1988 Braunschweig Kolleg (Institut zurErlangung der Hochschulreife)Abschluß: Abitur

Universitäre Ausbildung

10/1988 - 07/1991 »Neuere Fremdsprachen«,Justus-Liebig-Universität in Gießen

10/1991 - 04/1996 »Psychologie«, Justus-Liebig-Universitätin Gießen; Abschluß: Diplom

Universitäre Tätigkeit

seit 08/1996 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Medizinische Psychologiedes Zentrums für PsychosomatischeMedizin, Klinikum der Justus-Liebig-Universität in Gießen

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Projektes»Untersuchung zum Konstrukt des frühkindlichen Temperamentsin der Säuglingszeit«.

Danken möchte ich deshalb zuerst allen Mitgliedern unsererArbeitsgruppe: Frau Dr. Ursula Pauli-Pott für zahlreiche Gesprächeund Anregungen, Frau Dipl.-Psych. Antje Haverkock für ihre Unter-stützung, Frau Dr. Tina Mertesacker und Frau Dipl.-Psych. ClaudiaBauer für die gute Zusammenarbeit.

Herrn Prof. Dieter Beckmann danke ich für die Betreuungund die konstruktiven Vorschläge und Frau Erika Nickerl für dieverläßliche Ermunterung und Hilfe. Außerdem danke ich meinenübrigen Kollegen, den an der Erhebung beteiligten Mitarbeiternder psychosomatischen Poliklinik, besonders Frau Lepper undHerrn Schäfer sowie den teilnehmenden Familien.

Schließlich danke ich meinen Eltern und meinem Lebensge-fährten Dr. Thomas Meybier.