2
Zur Erinnerung an Abraham Hirsch und Rosa Neumann geb. Lederberger und ihre Kinder, Salomon Leib und Jette Lea Abraham Hirsch Neumann (*2. April 1894, Po- dgorce bei Krakau) und Rosa geb. Lederberger (*1. März 1892, Wichnitz/Polen) kamen Ende 1919 nach Wiesbaden und heirateten 1920. Ihr Sohn Salomon Leib wurde am 24. Juni 1922 ge- boren, die Tochter Jette Lea am 21. Juni 1924. Die Familie hatte die polnische Staatsangehörigkeit. Die Eltern betrieben ein Antiquitäten-und Ge- brauchtwarengeschäft, zunächst in der Wage- mannstraße, wo auch Abrahams Bruder Moses Leib ein Geschäft führte. Familie Neumann wohnte an unterschiedlichen Adressen, von 1927 bis 1936 in der Hellmund- strasse 15. Sehr früh erlebte Salomon, als jüdisches Kind diskriminiert und massiver antisemitischer Het- ze ausgeliefert zu sein. So wurde er, 12 jährig, von einem Lehrer als Schwindler denunziert, die „Schule am Berg“ schaltete die Kriminalpo- lizei ein, Salomon wurde unter „Schutzaufsicht“ des Jugendamts gestellt. Sein Vater wehrte sich vehement dagegen, noch geschützt durch die polnische Staatsbürgerschaft. In „Der Stürmer“ erschien dazu ein Bericht: „Der junge und der alte Jude“. Um 1936 trennten sich die Eltern. Abraham wohnte danach in der Schützenhofstraße 9. 1937 wurde er verhaftet, kam in Untersuchungshaft und wurde nach einem Vierteljahr wieder entlassen. Vermutlich war er denunziert worden. Rosa ging nach der Trennung mit den Kindern nach Frankfurt und wohnte bei einer Schwester. Salomon begann dort eine Ersatzlehre in der jüdischen Anlernwerkstätte. Im Oktober 1938 kam es zur Deportation jüdischer polnischer Staatsbürger an die Reichsgrenze bei Beuthen. Davon waren auch Rosa, Jette und Salomon betroffen. Sie konnten aber nach Deutschland zurückkehren. Rosa und sicherlich auch Jette wohnten ab Juli 1940 wieder in Wiesbaden, die Wohnung oft wechselnd (Yorkstraße 17, Mauergasse 10, Birmarckring 27, Nero- straße 8). Am 10. Juni 1942 wurden sie über Lublin in das Vernichtungslager Sobibor depor- tiert und dort vermutlich umgebracht. Salomon wollte noch im Sommer 1939 nach England emigrieren, was nicht mehr gelang. Er und sein Vater Abraham wurden zeitgleich am 9. September 1939 von der Gestapo verhaftet, kamen in das Gefängnis Frankfurt-Preungesheim und wurden am 2. November 1939 als sog. Schutzhäftlinge in das Konzentrationslager Sach- senhausen verschleppt. Das Schicksal des Vaters ist ab da nicht geklärt. Salomon wurde am 28. Mai 1942 ermordet, „auf Befehl erschossen“, zusammen mit 95 weiteren Häftlingen des KZ Sachsenhausen, als Vergeltung für einen An- schlag außerhalb des Lagers. Anlernwerkstätte für jüdische Jugendliche Eine wichtige Frankfurter Adresse für Jugendliche wurde die Anlernwerk- stätte in der Fischerfeld- strasse 13. In unmittelbarer Nach- barschaft wurde ein Internat eingerichtet, das für die auswärtigen Schüler neben Wohnung und Essen auch religiöse Betreuung und Kurse in jüdischen und allgemei- nen Fächern anbot. 1933 wurde die Anlern- werkstätte von jüdischen Organisationen als betriebsunabhänge Aus- bildungseinrichtung gegründet. Nach der Machtübernah- me der Nationalsozia- listen stellten immer weni- ger nichtjüdische Hand- werker und Unternehmer jüdische Jugendliche als Lehrlinge ein, zugleich stieg aber die Nachfrage (auch aus dem Umland) nach Ausbildungsplätzen, weil die sonstigen Aus- bildungsmöglichkeiten durch die antijüdischen Maßnahmen immer stär- ker eingeschränkt wur- den. Diese Fähigkeiten konnten ihnen entweder bei der Auswanderung (vor allem nach Palästina) oder bei der Suche nach einem Juden noch zuge- standenen Arbeitsplatz helfen. Nach den Depor- tationen in die Todesla- ger wurde die Anlernwe- rkstätte 1942 aufgelöst. Quelle: Frankfurt 1933-45, Institut für Stadtgeschichte Mai 2020 Jürgen Kaucher Patenschaft für das Erinnerungsblatt: Jürgen Lutz-Kopp © Aktives Museum Spiegelgasse Salomon Leib mit Jette Lea, ca.1929 © Familienarchiv Leo Wrona Nijmwegen Salomon (Mitte) mit Cousins, 1935/36 © Familienarchiv Leo Wrona Nijmwegen Unterschrift Abraham Hirsch Neumann © HHStAW 409/3 10564

Zur Erinnerung - am-spiegelgasse.de · Familie Neumann wohnte an unterschiedlichen Adressen, von 1927 bis 1936 in der Hellmund-strasse 15. Sehr früh erlebte Salomon, als jüdisches

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zur Erinnerung - am-spiegelgasse.de · Familie Neumann wohnte an unterschiedlichen Adressen, von 1927 bis 1936 in der Hellmund-strasse 15. Sehr früh erlebte Salomon, als jüdisches

Zur Erinnerungan Abraham Hirsch und Rosa Neumann geb. Lederberger und ihre Kinder, Salomon Leib und Jette Lea

Abraham Hirsch Neumann (*2. April 1894, Po-dgorce bei Krakau) und Rosa geb. Lederberger (*1. März 1892, Wichnitz/Polen) kamen Ende 1919 nach Wiesbaden und heirateten 1920. Ihr Sohn Salomon Leib wurde am 24. Juni 1922 ge-boren, die Tochter Jette Lea am 21. Juni 1924. Die Familie hatte die polnische Staatsangehörigkeit.Die Eltern betrieben ein Antiquitäten-und Ge-brauchtwarengeschäft, zunächst in der Wage-mannstraße, wo auch Abrahams Bruder Moses Leib ein Geschäft führte. Familie Neumann wohnte an unterschiedlichen Adressen, von 1927 bis 1936 in der Hellmund-strasse 15. Sehr früh erlebte Salomon, als jüdisches Kind diskriminiert und massiver antisemitischer Het-ze ausgeliefert zu sein. So wurde er, 12 jährig, von einem Lehrer als Schwindler denunziert, die „Schule am Berg“ schaltete die Kriminalpo-lizei ein, Salomon wurde unter „Schutzaufsicht“ des Jugendamts gestellt. Sein Vater wehrte sich vehement dagegen, noch geschützt durch die polnische Staatsbürgerschaft. In „Der Stürmer“ erschien dazu ein Bericht: „Der junge und der alte Jude“. Um 1936 trennten sich die Eltern. Abraham wohnte danach in der Schützenhofstraße 9. 1937 wurde er verhaftet, kam in Untersuchungshaft und wurde nach einem Vierteljahr wieder entlassen. Vermutlich war er denunziert worden.Rosa ging nach der Trennung mit den Kindern nach Frankfurt und wohnte bei einer Schwester. Salomon begann dort eine Ersatzlehre in der jüdischen Anlernwerkstätte.

Im Oktober 1938 kam es zur Deportation jüdischer polnischer Staatsbürger an die Reichsgrenze bei Beuthen. Davon waren auch Rosa, Jette und Salomon betroffen. Sie konnten aber nach Deutschland zurückkehren. Rosa und sicherlich auch Jette wohnten ab Juli 1940 wieder in Wiesbaden, die Wohnung oft wechselnd (Yorkstraße 17, Mauergasse 10, Birmarckring 27, Nero-straße 8).Am 10. Juni 1942 wurden sie über Lublin in das Vernichtungslager Sobibor depor-tiert und dort vermutlich umgebracht. Salomon wollte noch im Sommer 1939 nach England emigrieren, was nicht mehr gelang. Er und sein Vater Abraham wurden zeitgleich am 9. September 1939 von der Gestapo verhaftet, kamen in das Gefängnis Frankfurt-Preungesheim und wurden am 2. November 1939 als sog. Schutzhäftlinge in das Konzentrationslager Sach-senhausen verschleppt.

Das Schicksal des Vaters ist ab da nicht geklärt.Salomon wurde am 28. Mai 1942 ermordet, „auf Befehl erschossen“, zusammen mit 95 weiteren Häftlingen des KZ Sachsenhausen, als Vergeltung für einen An-schlag außerhalb des Lagers.

Anlernwerkstätte für jüdische Jugendliche

Eine wichtige Frankfurter Adresse für Jugendliche wurde die Anlernwerk-stätte in der Fischerfeld-strasse 13.

In unmittelbarer Nach-barschaft wurde ein Internat eingerichtet, das für die auswärtigen Schüler neben Wohnung und Essen auch religiöse Betreuung und Kurse in jüdischen und allgemei-nen Fächern anbot.

1933 wurde die Anlern-werkstätte von jüdischen Organisationen als betriebsunabhänge Aus-b i l dungse in r i ch tung gegründet.

Nach der Machtübernah-me der Nationalsozia-listen stellten immer weni-ger nichtjüdische Hand-werker und Unternehmer jüdische Jugendliche als Lehrlinge ein, zugleich stieg aber die Nachfrage (auch aus dem Umland) nach Ausbildungsplätzen, weil die sonstigen Aus-bildungsmöglichkeiten durch die antijüdischen Maßnahmen immer stär-ker eingeschränkt wur-den. Diese Fähigkeiten konnten ihnen entweder bei der Auswanderung (vor allem nach Palästina) oder bei der Suche nach einem Juden noch zuge-standenen Arbeitsplatz helfen. Nach den Depor-tationen in die Todesla-ger wurde die Anlernwe-rkstätte 1942 aufgelöst.

Quelle: Frankfurt 1933-45, Institut für Stadtgeschichte

Mai 2020 Jürgen Kaucher

Patenschaft für das Erinnerungsblatt:Jürgen Lutz-Kopp

© Aktives Museum Spiegelgasse

Salomon Leib mit Jette Lea,ca.1929

© Familienarchiv Leo Wrona Nijmwegen

Salomon (Mitte) mit Cousins, 1935/36

© Familienarchiv Leo Wrona Nijmwegen

Unterschrift Abraham Hirsch Neumann© HHStAW 409/3 10564

Page 2: Zur Erinnerung - am-spiegelgasse.de · Familie Neumann wohnte an unterschiedlichen Adressen, von 1927 bis 1936 in der Hellmund-strasse 15. Sehr früh erlebte Salomon, als jüdisches

Geschäft von Moses Leib Neumann (Bruder von Abraham Hirsch Neumann),Wagemann-straße 29

© HHStAW Abt 518 Nr. 67387

Zeitung „Der Stürmer ", 1934Mikroverfilmung

aus UB Frankfurt a. Main

Zeitungskopf (oben)

Artikel zum Vorfallan Salomons Schule, Juni 1934 (rechts)