29

Zur Eschatologie von Joseph Ratzinger · Gerhard Nachtwei (Hg.) Hoff nung auf Vollendung Zur Eschatologie von Joseph Ratzinger Ratzinger-Studien VERLAG FRIEDRICH PUSTET Hoff nung

Embed Size (px)

Citation preview

Gerhard Nachtwei (Hg.)

Hoff nung auf VollendungZur Eschatologie von Joseph Ratzinger

Rat z inger -Stud ienV

ER

LA

G F

RIE

DR

ICH

PU

ST

ET

Hoff

nun

g au

f Vol

lend

ung

Ger

har

d N

ach

twei

(Hg.

)

ISBN 978-3-7917-2732-5

WW

W.V

ER

LA

G-P

US

TE

T.D

E

VIIIRat z inger -Stud ien

Joseph Ratzinger hat sich intensiv mit escha-tologischen Fragestellungen beschäftigt und dabei manche zeitgenössischen Entwicklungen in der Theologie scharf kritisiert, insbesondere im Zusammenhang mit dem Begriff der Seele und mit der Befreiungstheologie.Entlang den eschatologischen Zentralbegriff en wie »Geschichte«, »Seele«, »Erlösung« nehmen die Autoren diese kritischen Einsprüche auf, analysieren und diskutieren die Position Ratzingers und ziehen die Linien bis in den Pontifi kat Benedikts XVI. aus.

Gerhard NachtweiDr. theol., geboren 1944, ist Propst in Dessau.

Ratzinger-Studien

Band 8

Herausgegeben im Auftrag des Institut Papst Benedikt XVI.Regensburg

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 2 02.07.15 16:35

Gerhard Nachtwei (Hg.)

Hoffnung auf Vollendung

Zur Eschatologie von Joseph Ratzinger

Verlag Friedrich PustetRegensburg

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 3 02.07.15 16:35

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeAngaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7917-7092-5 (pdf)© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, RegensburgeBook-Produktion: Friedrich Pustet, RegensburgUmschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:ISBN 978-3-7917-2732-5

Weitere Publikationen aus unserem Programmfinden Sie auf www.verlag-pustet.deInformationen und Bestellungen unter [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Gerhard NachtweiGeleitwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. und der Osten Deutschlands

Geschichte: In Gegenwart und Zukunft

Gerhard NachtweiAuf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Erfahrungen mit der Theologie Joseph Ratzingers im Osten Deutschlands

Joseph Lam Cong QuyJoseph Ratzinger über Zeit und Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Ludwig WeimerDie Baugesetze der Geschichtstheologie Joseph Ratzingers . . . 55

Michaela C. Hastetter Eschatologische Pilger-Metaphorik im Werk von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

Seele: Zentraler Begriff der Eschatologie

Thomas Marschler „Seele“ – Joseph Ratzingers Stellungnahmen zu einem eschatologischen Zentralbegriff und ihre Relevanz für die aktuelle Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 5 02.07.15 16:35

6 Inhaltsverzeichnis

Christof GestrichJoseph Ratzinger / Benedikt XVI.: Seine Hoffnungslehre und seine Kritik an der zeitgenössischen theologischen Eschatologie, insbesondere an ihren Defiziten bei der Lehre von der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Wilko TeifkeZwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147Die „Memoria-Zeit“ als Zeit des Menschen und die Wiederentdeckung der Seele in der eschatologischen Konzeption Joseph Ratzingers

Michael StickelbroeckDie Auferstehung des Leibes in realer Identität nach Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Erlösung: Zwischen Utopie und Hoffnung

Siegfried WiedenhoferPolitische Utopie und christliche Vollendungshoffnung . . . . . . 187Joseph Ratzingers Auseinandersetzung mit Politischer Theologie und Befreiungstheologie

Veit NeumannIdeologiekritik und BefreiungstheologieDer Schutz des Glaubens vor einem totalisierenden System des Geistes, das sich als „Praxis“ versteht . . . . . . . . . . . 246

Josef KreimlDie Enzyklika Papst Benedikts XVI. über die christliche Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 „Spe salvi“ als reife Frucht eines langen Denkweges

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Autorin und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 6 02.07.15 16:35

Geleitwort des Herausgebers

Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. und der Osten Deutschlands

Gerhard Nachtwei

Es war eine gute Entscheidung des Instituts Papst Benedikt XVI., als Ort für ein Symposion über Joseph Ratzingers Eschatologie die Stadt Erfurt zu wählen und die Katholische Fakultät der Univer-sität Erfurt und Altbischof Joachim Wanke als Kooperationspart-ner zu gewinnen. Und es war eine gute Gelegenheit, als Men-schen, die lange unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus und Atheismus leben mussten, dem Theologen Joseph Ratzinger Dank abzustatten für seine vielfachen theologi-schen Anregungen.

Von 1962 bis 1967 habe ich in Erfurt Theologie studiert. 1969 wurde ich zum Priester geweiht. Zwei Jahre später habe ich begon-nen mit einer Dissertation über Ratzingers Theologie und Eschato-logie, immer neben der Gemeindearbeit her. Als Theologiestudent und junger Vikar haben mich – und nicht nur mich – Ratzingers ermutigende Schriften zum Kirchenverständnis und besonders seine „Einführung in das Christentum“ begeistert. Die „Einfüh-rung“ wurde übrigens nicht in der DDR gedruckt und durfte auch hier nicht gedruckt werden. Es war allerdings auch nicht einfach, das Buch aus dem Westen zu besorgen.

Es waren besonders vier Entdeckungen, die mir persönlich für meinen Glauben und meine Arbeit mit den Menschen in der Seel-sorge viel geholfen haben.

Erstens: Das Miteinander von Glaube und Vernunft. Denn den Menschen in der DDR wurde immer eingeredet, die Wissenschaft habe den Glauben widerlegt und abgelöst. Wir Christen galten als die Rückständigen.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 7 02.07.15 16:35

8 Gerhard Nachtwei

Zweitens: Das Verständnis von Menschsein als Bezogensein. Wir sind von Gott und auf ihn hin geschaffene Wesen. Nicht die ein-same Grübelei, sondern die Beziehung zu Gott, Mensch und Schöp-fung macht uns Menschen zum Menschen. Das hat sowohl meine Theologie wie die Seelsorge geprägt.

Drittens: Die Zusammenschau der Wirklichkeit. Schöpfung, Evo-lution, Eschatologie bilden eine innere Einheit. Gott hat eine sich entwickelnde Welt geschaffen, mit Geschöpfen, die er an der „Evo-lution“ mitbeteiligt und die er von Anfang an auf ein gutes Ende hin geschaffen hat. „Und Gott sah, dass es gut war.“ Die theologi-schen Traktate stehen nicht nebeneinander, sondern bilden eine innere Einheit.

Viertens: Das Ineinander von Theologie, Praxis und Spiritualität. Es sei gestattet, zu zitieren, was ich jüngst in einem Aufsatz über „Im Osten nichts Neues? Rückblick auf 25 Jahre Nachwendepasto-ral“1 als Einleitung geschrieben habe: „Die Theologie (Theorie) muss stimmen. Die Pastoral (Praxis) muss stimmen. Und beide müssen übereinstimmen. Was ist das Evangelium, das wir zu ver-künden haben? Und in welcher Situation befinden sich Menschen, denen wir es verkünden wollen? Wozu ist die Kirche da? Und wozu ist sie heute da?“

Fünftens gipfelt das alles in der für mich tiefsten und schönsten Entdeckung, die ich durch einen anderen Theologen aus dem Os-ten wiedergeben möchte. Pater Dr. Reinhard Körner OCD aus Bir-kenwerder bei Berlin ist ein bei uns gern gelesener geistlicher Schriftsteller. Manche sagen, er sei der Anselm Grün des Ostens. Allerdings wehrt er sich gegen Bitten, doch noch mehr zu schrei-ben, da er um die Tiefe der Gedanken fürchtet. In seinem neuesten Buch „Mit Gott auf Du und Du“ schreibt er offen darüber, wie er durch negative Erfahrungen in einem bischöflichen Vorseminar dem Atheismus und Marxismus in die Arme getrieben wurde. „Dass, wer sich nicht an die Hausregeln hält, wie Judas handle, und Judas sei gewiss in der Hölle“ hat seinen bis dahin erlebten und gelebten Glauben vergiftet. Erst durch die Begegnung mit Johan-nes vom Kreuz und durch die Schriften von Teresa von Ávila fand er zu dem Gott der Liebe, einer absoluten, bedingungslosen Liebe, und so auch zur Liebe herausfordernden Gott. Und dann schreibt

1 Diakonia, November 2014, 259–265.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 8 02.07.15 16:35

9Geleitwort des Herausgebers

2 Reinhard Körner, Mit Gott auf Du und Du. Von der christlichen Art, Mensch zu sein, Münsterschwarzach 2010, 48–50.

Pater Körner in seinem Buch: „Ich hatte nicht mehr geglaubt, dass es meine Generation noch erleben würde. Doch dann kam der 25. Januar 2006. Für 13.00 Uhr war schon Tage zuvor die Internet-Veröffentlichung der ersten, seit Monaten erwarteten Enzyklika von Papst Benedikt XVI. angekündigt worden. Pünktlich klickte ich mich zu den Seiten der Deutschen Bischofskonferenz durch. Und dann las ich und las, vergaß die mir heilige Stunde Mittagsruhe, vergaß beinahe auch den Vortrag, den ich um 15.30 Uhr zu halten hatte. […] Nun hatte es – tatsächlich – ein Papst gesagt: ‚Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm‘ (1 Joh 4, 16). In diesen Worten aus dem ersten Johannesbrief ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen in einzigartiger Klar-heit ausgesprochen. […] Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder gar eine große Idee, sondern die Begeg-nung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt. […] Der 25. Januar 2006 war – wenn auch für viele Christen noch unerkannt – einer der lichtvollsten Tage in der Geschichte der Kirche. Wie weit und wie tief in die Herzen hinein wird das Licht dieser Sternstunde strahlen?“2

In unserer Dessauer Propsteikirche steht im Zentrum die als brennender Dornbusch gestaltete Tabernakelstele. Sie erinnert alle daran, dass Gott die Liebe ist, die immer für uns da ist, und dass er uns sagt: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen. Und nun geh und befreie die Menschen aus jeglicher Sklaverei.“ 1989 hat mich dieser Ruf so getroffen, dass ich unseren damaligen Bischof schon im September zu einem Engagement für die friedliche Revolution überzeugen konnte. Doch höre ich den Anruf auch heute noch je-des Mal, wenn ich bete.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 9 02.07.15 16:35

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 10 02.07.15 16:35

Geschichte: In Gegenwart und Zukunft

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 11 02.07.15 16:35

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 12 02.07.15 16:35

1 Gerhard Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit. Eine Untersuchung zu Joseph Rat-zingers Eschatologie und Theologie (EThS 54), Leipzig 1986.

2 Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR (Hg.), Alles hat am Ende sich gelohnt. Material für weltliche Trauerfeiern, Leipzig 1974.

3 Frank Kretzschmar, Der Tag hat sich geneigt. Zur Gestaltung weltlicher Trauerfeiern, Leipzig 1982.

4 Zentralhaus (Hg.), Alles hat am Ende sich gelohnt (Anm. 2), 6.

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

Erfahrungen mit der Theologie Joseph Ratzingers im Osten Deutschlands

Gerhard Nachtwei

Der Beitrag ist eine erweiterte Fassung des auf dem Symposion in Erfurt gehaltenen Vortrages. Er fußt zum Teil auf meiner 1986 erschienenen Dis-sertation.1 Die Seitenzahlen sind den jeweiligen Abschnitten vorange-stellt.

Der „locus theologicus“ ist die DDR mit ihrer sich wissenschaftlich ge-bärdenden Fortschrittsideologie und der Verheißung eines vom Menschen zu schaffenden Paradieses auf Erden. Der Tod wurde tabuisiert oder mate-rialistisch wegerklärt. Dafür nur ein Beispiel: 1974 und 1982 sind in Leip-zig zwei Rituale für weltliche Trauerfeiern erschienen: „Alles hat am Ende sich gelohnt“2; „Der Tag hat sich geneigt“3. Im ersten Heft lesen wir: „Als Materialisten wissen wir: Natur hat keinen Sinn. Tod und Leben an sich sind sinnlos wie die Sonne oder der Schnee. Kein Gott, kein Geist ist der Schöpfer der Welt.“4 1982 ist immerhin eine Entwicklung festzustellen. Man bleibt zwar der materialistischen Sicht treu, räumt aber ein: Die Trauerrede „hat den Gefühlen der Hinterbliebenen und Anwesenden

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 13 02.07.15 16:35

14 Gerhard Nachtwei

5 Kretzschmar, Der Tag hat sich geneigt (Anm. 3), 9.6 Ebd., 10f.

Rechnung zu tragen, nicht aber deren Berechtigung in Frage zu stellen“5. Und weiter: „Nahezu in jedem zu Ende gegangenen Leben gibt es so viel Wertvolles und Darstellungswertes, dass es den Inhalt einer würdigenden Trauerrede trägt. Sollte das in Ausnahmen nicht der Fall sein, so ist gege-benenfalls dem musikalischen Teil breiterer Raum zu geben.“6 Ja, wohin in einem materialistischen Denksystem mit Schuld, mit Hoffnung auf Ver-gebung und mit den Unfertigkeiten einer Werdewelt?

Der vorliegende Beitrag muss sich bescheiden geben. Gern hätte ich mehr Zeit für tiefere Reflexion und treffendere Formulierung gehabt und auch mehr Zeit für das Aufgreifen der aktuellen eschatologischen Diskussion. Vielfältige pastorale Aufgaben in Gemeinde, Gefängnis, Kita und Kranken-haus hatten den Vorrang. Aber zugleich haben mich die Fragen der Men-schen (wie schon während der Abfassung der Dissertation) bei zu abgeho-benen theologischen Höhenflügen immer wieder auf die Erde zurückgeholt.

Biografischer Einstieg

Ich kann und möchte meinen Vortrag zu Joseph Ratzingers Escha-tologie nicht beginnen, ohne an die Zeit meines Studiums in Erfurt von 1962 bis 1967 und des Aufbaustudiums von 1973 bis 1983 zu erinnern, und nicht ohne zuallererst meinen Dank auszudrücken. Ich bin Gott dankbar für diese Zeiten in Erfurt. Ich begrüße beson-ders alle derzeit hier Studierenden, mit denen ich mich als theolo-gisch immer noch Lernender und durch die Botschaft Jesu für die Menschen in die Pflicht Genommener verstehe. Ich sage Dank mei-nen damaligen Dozenten, besonders Professor Ottfried Müller, der mich als Assistenten für Dogmatik nach Erfurt holen wollte, und Professor Lothar Ullrich, der dann mein Doktorvater wurde. Für mich ist es ein Wink des Himmels, dass er am 16. April von Gott heimgerufen wurde, dem Geburtstag von Joseph Ratzinger, übri-gens zugleich mein Geburtstag.

Ich erinnere mich zurück, wie ich mich damals mit Begeisterung in die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Theologie und Phi-losophie gestürzt habe. Es war eine Hochzeit neuer theologischer Entwürfe, ich nenne nur Karl Rahner. Und es war die Zeit des Zwei-ten Vatikanischen Konzils. Erst später begannen mich die Schriften

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 14 02.07.15 16:35

15Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

von Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger zu faszinieren. Und damit eröffnete sich mir sozusagen damals ein neues Tor. Ich entdeckte, wie Theologie, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Exe-gese, Spiritualität, Pastoral eine innere Einheit bilden und nicht zu trennen sind von meiner persönlichen Lebens- und Glaubens-geschichte und dass ich sozusagen mit meiner Biografie immer in das theologische Ringen hineingehöre. So war ja auch der moder-nen Physik aufgegangen, dass selbst im Experiment der Beobachter nicht von dem Beobachteten zu trennen ist. Besonders war es Rat-zingers „Einführung in das Christentum“, das mir diese neuen Horizonte eröffnete.

Es gibt einen konkreten biografischen Einstieg, wie es zu dem Pro-motionsthema „Dialogische Unsterblichkeit. Eine Untersuchung zu Joseph Ratzingers Eschatologie und Theologie“ gekommen ist.

Es war etwa zwei Jahre nach meiner Priesterweihe. Ich bin an meiner ersten Vikarsstelle in Zeitz. Eine Mutter von vier Kindern erzählt in einem Familienkreis von ihrem jüngsten Sohn, der ein kleines Küken, das von den anderen immer gehackt wurde, mit in die Wohnung nehmen durfte, um es zu pflegen. Als es dann trotz-dem starb, begraben sie es mit Gebet im Garten. Abends weint der Junge, weil das Küken jetzt in der schmutzigen, nassen Erde liegen muss. Die Mutter tröstet ihn damit, dass das Küken nun beim lie-ben Gott im Himmel sei. Er beruhigt sich, aber – und das ist viel-leicht Zeichen unserer modernen Zeit – er will es nachprüfen und gräbt am anderen Tag nach. Er findet das Küken, läuft schreiend zur Mutter, sie habe ihn belogen. Der Mutter fiel Gott sei Dank eine Erklärung ein. Mit dem Hinweis auf den im Nebenhaus praktizie-renden Arzt sagt sie: „Du weißt doch, wie lange die Leute manch-mal bei Dr. Möckel warten müssen. Sicher sind zurzeit sehr viele gestorben und das Küken muss warten, bis es an der Reihe ist.“ Am Abend überlegen die Eltern einen frommen Betrug zugunsten der Seelenruhe ihres Jüngsten. Sie graben das Küken heimlich aus und an einer anderen Stelle wieder ein. Natürlich sieht der Junge am anderen Tag nochmals nach. Diesmal berichtet er freudestrahlend der Mutter, dass das Küken nun bei Gott im Himmel sei.

Wir amüsierten uns zunächst herzlich über diese Geschichte. Doch die ihrer selbst nicht sichere Mutter fragte hartnäckig nach, ob sie richtig gehandelt habe. So diskutierten wir heftig darüber, etwa dass nur die Seele zu Gott geht und nur der Leib aber in die Erde, etwa dass nur Menschen und nicht Tiere in den Himmel kom-

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 15 02.07.15 16:35

16 Gerhard Nachtwei

7 Hans Urs von Balthasar, Eschatologie, in: Johannes Feiner u. a. (Hg.), Fragen der Theo-logie heute, Einsiedeln 1957, 403–421, 403.

8 Ebd., 407.

men. Aber der Stachel blieb mir und die Frage: Wie kann man Menschen wie diesem Jungen von heute, die Auferstehungshoff-nung glaubwürdig und überzeugend verkündigen?

Auf die theologische Entwicklung geschaut, ereignete sich diese Geschichte zu einer Zeit, in der aus der Eschatologie als einem „harmlosen Kapitelchen am Ende der Dogmatik der Wetterwinkel der Theologie“7 geworden war, wie Hans Urs von Balthasar es for-muliert hat. Neue theologische Überlegungen machten die Runde. So etwa, dass die Auferstehung schon im Tode geschehe und sich so ein Zwischenzustand erübrige. So etwa, dass wegen der Inkommen-surabilität von Zeit und Ewigkeit alle am gleichen Tag in den Jüngs-ten Tag hinein sterben. So etwa, dass die Vollendung der Schöpfung sich in einem unendlichen Prozess vollziehe. So etwa, dass über die Vollendung der materiellen Schöpfung in der Bibel nichts ausgesagt sei und die Materie sich nur als durch den Geist im Menschen ver-leiblichte vollendet. Balthasar hatte auf die Personalisierung der letzten Dinge hingewiesen: „Gott ist das ‚letzte Ding‘ des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer.“8 Karl Barth entwickelte die Auferstehungshoffnung direkt aus dem Gottesglauben: „Auferste-hung ist nur ein anderer Name für Gott.“ Es gab also genug Zünd-stoff für eine theologische Auseinandersetzung.

Mein damaliger Bischof war dann nicht bereit, mich für ein Weiter-studium freizustellen. Er brauche mich in der Gemeindearbeit, was mir nur entgegenkam, da ich aus diesem Grunde ja Priester gewor-den war. Ich solle die Dissertation neben meiner Gemeindearbeit her machen. Das wollten aber die Professoren in Erfurt zunächst nicht. Als sie dann schließlich doch zustimmten, erklärte mir Prof. Ullrich offen, dass ich mir klar darüber sein müsse, dass darunter leiden würde: entweder die Wissenschaftlichkeit der Arbeit, die Pastoral oder ich persönlich. Ich denke heute, es hat alles drei gelitten, wobei ich besonders darauf bedacht war, dass es möglichst wenig zu Lasten der mir in der Seelsorge anvertrauten Menschen geschehe. Aber so brauchte ich zehn Jahre bis zur Fertigstellung. Positiv habe ich aber empfunden, dass ich so gezwungen war, mich weiter theologisch zu beschäftigen. Und positiv empfinde ich bis heute für meine Arbeit in

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 16 02.07.15 16:35

17Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

Gemeinde, Kita, Krankenhaus und Gefängnis, wie für meine Spiritu-alität, die gegenseitige Befruchtung von Theologie und Pastoral.

Dass aber die Eschatologie Ratzingers zu meinem Promotions-thema wurde, verdanke ich zwei Tatsachen: erstens meinem ju-gendlichen Übermut und zweitens dem professoralen Mut von Lo-thar Ullrich, der eigentlich ein ganz anderes Thema (ein historisches Thema aus dem Vaticanum I) für mich vorgesehen hatte. Schließ-lich aber meinte er, da ich neben der Gemeindearbeit eine Disser-tation schreiben müsse, wäre ich wohl motivierter, wenn ich ein mich auch pastoral bewegendes Thema zu bearbeiten hätte. Aber ich bin heute noch erstaunt über meinen jugendlichen Übermut und Professor Ullrichs wissenschaftlichen Mut. Schließlich ging die Arbeit über die Theologie eines Menschen, der noch lebte, also ers-tens immer noch weiter schreiben würde und von dem man zwei-tens nicht wusste, was aus ihm noch werden würde. Als ich mit der Arbeit begann, war Ratzinger Professor in Regensburg. Bald wurde er Erzbischof von München, dann Kardinal. Als ich die Arbeit abge-schlossen hatte, war er immerhin Präfekt der Glaubenskongre-gation. Dass er auch noch Papst werden würde, damit hatte ich allerdings wirklich nicht rechnen können.

Übrigens hatte ich zunächst in meiner jugendlichen Unbedarft-heit vorgeschlagen, eine Dissertation über alle damals diskutierten eschatologischen Entwürfe zu schreiben. Aber Professor Ullrich meinte, dies wäre das Werk eines in der Dogmatik versierten und in Forschung und Lehre ergrauten Professors und nicht eines blu-tigen Anfängers. Und das sei schon gar nicht mehr nebenbei zu erledigen. Weil ich aber so begeistert von Ratzingers Theologie sprach, meinte er, ich solle mich doch auf ihn beschränken. Ratzin-gers Eschatologie war damals noch nicht erschienen. Es gab nur einige Ausführungen in der „Einführung in das Christentum“ und wenige kleine Artikel zur Thematik.

Dialogische Unsterblichkeit – ein theologischer Paradigmenwechsel9

Es waren solche Sätze aus Ratzingers „Einführung“, die mich be-geisterten: „[D]ass Unsterblichkeit immer aus Liebe hervorkommt,

9 Vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit (Anm. 1), 253.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 17 02.07.15 16:35

18 Gerhard Nachtwei

10 Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, in: JRGS 4, 29–322, 278f.

nie aus der Autarkie dessen, das sich selbst genügt. Wir dürfen so-gar verwegen genug sein, zu behaupten, dass dieser Satz, recht ver-standen, selbst noch in Bezug auf Gott zutrifft, wie ihn der christli-che Glaube sieht. Auch Gott ist deshalb allem Vergehenden gegenüber schlechthinniges Stehen und Bestehen, weil er Zuord-nung der drei Personen aufeinander, ihr Aufgehen im Füreinander der Liebe ist, Akt-Substanz der absoluten und darin ganz ‚relati-ven‘ und nur im Bezogensein aufeinander lebenden Liebe. Nicht die Autarkie, die niemand als sich selber kennt, ist göttlich, so sag-ten wir früher; die Revolution des christlichen Welt- und Gottesbil-des gegenüber der Antike fanden wir darin, dass es das ‚Absolute‘ als absolute ‚Relativität‘, als ‚Relatio subsistens‘, verstehen lehrt.

Kehren wir zurück. Liebe gründet Unsterblichkeit, und Unsterb-lichkeit kommt allein aus Liebe. Diese Aussage, die wir nun erar-beitet haben, bedeutet dann ja auch, dass der, der für alle geliebt hat, für alle Unsterblichkeit gegründet hat. Das genau ist der Sinn der biblischen Aussage, dass seine Auferstehung unser Leben ist. Die für unser Empfinden zunächst so eigenartige Argumentation des heiligen Paulus in seinem ersten Korintherbrief wird von hier aus verständlich: Wenn er auferstanden ist, dann auch wir, denn dann ist die Liebe stärker als der Tod; wenn er nicht auferstanden ist, dann auch wir nicht, denn dann bleibt es dabei, dass der Tod das letzte Wort hat, nichts sonst […]. Dolmetschen wir es uns, da es um eine zentrale Aussage geht, nochmals auf andere Weise: Entweder ist Liebe stärker als der Tod, oder sie ist es nicht. Wenn sie es in ihm geworden ist, dann gerade als Liebe für die anderen. Das heißt dann freilich auch, dass unsere eigene, alleingelassene Liebe nicht ausreicht, den Tod zu überwinden, sondern für sich genommen ein unerfüllter Ruf bleiben müsste. Es bedeutet, dass allein seine mit Gottes eigener Lebens- und Liebesmacht ineinanderfallende Liebe unsere Unsterblichkeit gründen kann. Trotzdem bleibt dabei beste-hen, dass die Weise unserer Unsterblichkeit von unserer Weise zu lieben abhängen wird.“10

Gegen alle heute wohl noch zunehmenden Vereinzelungs- und Individualisierungstendenzen: Wir leben immer schon nicht aus uns selbst. Wir leben immer schon von Gott her und auf ihn zu in der Gemeinschaft der Menschen und der Schöpfung.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 18 02.07.15 16:35

19Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

11 Vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit (Anm. 1), 182f.12 Hans Urs von Balthasar, Theodramatik I. Prolegomena, Einsiedeln 1973, 588. 13 Gabriel Marcel äußerte diese Gedanken seit etwa 1918 im „Journal Métaphysique“,

Gallimard 1927. Ferdinand Ebner, Das Wort und die geistigen Realitäten. Pneumato-logische Fragmente, erschien zuerst 1921, jetzt in: Ferdinand Ebner, Schriften I. Frag-mente, Aufsätze, Aphorismen. Zu einer Pneumatologie des Wortes, München 1963, 75–342. Franz Rosenzweig, „Der Stern der Erlösung“ erschien 1921; jetzt Heidelberg 31954. Martin Buber, „Ich und Du“ zuerst 1923; hier zitiert nach: Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1965, 7–121.

Ratzinger und mein philosophischer und theologischer Neuaufbruch

Ich habe damals einen ähnlichen Aufbruch erlebt, wie er sich in Philosophie und Theologie um 1920 ereignet haben muss. In mei-ner Dissertation habe ich ihn so reflektiert und zu systematisieren versucht:

Der moderne dialogische Personalismus in seinem Selbstverständnis: die Überwindung des subjektivistisch-monologischen Person- und Seinsverständnisses11

„Es ist nicht von ungefähr, dass im Todesjahr Simmels, 1918, und im folgenden, eines der seltsamsten Phänomene ‚akausaler Kontem-poralität‘ in der Geistesgeschichte sich ereignet: der gleichzeitige Aufbruch des ‚dialogischen Prinzips‘ auf getrenntesten Feldern“12, schreibt Hans Urs von Balthasar.

Bei Gabriel Marcel, Ferdinand Ebner, Franz Rosenzweig und Martin Buber wuchsen Einsichten, die schließlich zur Ausfaltung einer neuen Denkweise führten, die durch die Grundworte „perso-nal“ und „dialogisch“ gekennzeichnet ist.13

Ratzinger stellte die Entwicklung zu diesem neuen Aufbruch des dialogischen Denkens so dar: Das abendländische Denken war seit Descartes auf einen Weg geraten, auf dem Denken und Sein immer mehr auseinanderdrifteten. Das aber konnte weder dem Sein noch dem Denken gut tun. Auf der Seite des Denkens führte es zu einem Subjektivismus, der vergebens sich selbst zu begründen suchte. Die aufklärerische Vernunft wandte sich schließlich am Ende in einer Art philosophischen Selbstmords gegen sich selbst, um ihrer

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 19 02.07.15 16:35

20 Gerhard Nachtwei

14 Ebner, Das Wort und die geistigen Realitäten (Anm. 13), 155.15 Vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit (Anm. 1), 186f.

eigenen Kritik zum Opfer zu fallen. In der Sprache Ebners liest sich das so: „Ursprünglich ein Ausdruck und eine Form des Angelegt-seins des Geistigen im Menschen, des Ichs, auf eine eo ipso persön-liche Beziehung zum Du – also ein Ausdruck des Gottesverhältnis-ses –, wurde die Vernunft dann erst, als sich das Ich in dieser Beziehung vor dem Du abschloss, sachlich und unpersönlich, spe-kulativ und ideenschöpferisch […]. In all seinen philosophischen und metaphysischen Spekulationen – und schwärmerischen Aus-schweifungen seiner Vernunft – verharrt der menschliche Geist in der Icheinsamkeit seiner von Gott abgefallenen Existenz. Die spe-kulierende Vernunft aber sucht vergebens Gott und geht schließ-lich an dem Widerstreit mit sich selbst, in den sie sich immer tiefer verwickelt, zugrunde.“14

Auf der anderen Seite, der Seite des Seins, verschloss sich die Wirklichkeit immer mehr dem Erkennen. Die Dinge wurden zu blo-ßen, in ihrem An-sich unerkennbaren Erscheinungen, die allein durch die Integrations- und Systematisierungskraft des Denkens in ein nachträgliches Beziehungs- und Bedeutungsgeflecht gebracht werden konnten. Ein Übriges tat dann noch der Historizismus, der die geschichtliche Bedingtheit auch der Vernunfterkenntnisse auf-deckte. Das dialogische Denken verstand sich als der neue Weg aus dieser Sackgasse des Denkens heraus. Von daher bezog es auch seine quasiprophetische Grundstimmung und seine Anziehungskraft.

Die beiden Quellen für Ratzingers dialogisches Verständnis15

Ich fand heraus, dass Ratzinger nicht so sehr durch die moderne Philosophie zu seinem dialogischen Verständnis der Gesamtwirk-lichkeit gefunden hat, sondern dass es zwei andere Quellen gibt.

Erstens stammt für Ratzinger das dialogische Verständnis der Person aus dem Ringen um das rechte Verständnis der Trinität. Zweitens ergibt es sich ihm aus der Erfahrung des Glaubens, der nur dialogisch zu realisieren und darzustellen ist. Daher wird das dialogische Verständnis durch zwei Begriffe konkretisiert: von der Trinität her durch den Begriff der Relation; hinsichtlich der Kirche

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 20 02.07.15 16:35

21Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

16 Ratzinger, Einführung (Anm. 10), 218.17 Joseph Ratzinger, Zum Personenverständnis in der Theologie, in: ders., Dogma und

Verkündigung, München 1973, 205–223, 222.18 Vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit (Anm. 1), 187–190.19 Joseph Ratzinger, Weltoffene Kirche? Überlegungen zur Struktur des Zweiten Vatika-

nischen Konzils, in: JRGS 7/2, 980–1002, 982.

durch den Begriff der Communio, der wiederum gefüllt ist durch die Begriffe Tradition und Memoria. Beide – relatio und communio – sind christologisch unterfasst und gegründet in der Offenbarung Jesu als des Sohnes, „der wahre Mensch, der am meisten ent-schränkt ist, der das Unendliche – den Unendlichen! – nicht nur berührt, sondern eins mit ihm ist“16 –, ganz Sein-von-her und Sein-auf-zu ist. Beide Quellen führen über die Christologie auch in die christliche Existenz hinein, deren eigentliches Existenzial das Sein-für ist. Man kann also sagen: Ratzingers dialogisches Denken hat seinen Erkenntnisgrund im Wir Gottes und seinen Erkenntnisort im Wir der Kirche. Beide stehen in einer tiefen Bezogenheit und sind nur innerhalb dieser richtig zu betrachten. Ratzinger: „Es gibt im Christlichen nicht einfach ein dialogisches Prinzip im modernen Sinn der reinen Ich-Du-Beziehung, und zwar weder vom Men-schen her, der in der geschichtlichen Kontinuität des Gottesvolkes, in dem umfassenden geschichtlichen Wir, das ihn trägt, seinen Standort hat; noch gibt es dieses reine dialogische Prinzip von Gott her, der seinerseits kein einfaches Ich, sondern wiederum das Wir von Vater, Sohn und Geist ist.“17

1. Die Kirche als Erkenntnisort des dialogischen Verständnisses18

Wesentlich angeregt worden ist Ratzinger dazu durch die Schriften des heiligen Augustinus. Meiner Ansicht nach hat er von ihm her die dialogische Sicht, die dann auch zur Formulierung der dialogi-schen Unsterblichkeit führte, zunächst im Zusammenhang der Ek-klesiologie erkannt, reflektiert und dargestellt. Die Beschäftigung mit Augustinus ist sicher für Ratzinger einer der entscheidenden Impulse (wenn nicht sogar der entscheidende Impuls) für die frühe Herausarbeitung seiner eigenen communionalen Ekklesiologie. Diese sieht er immer auch in einem engen Zusammenhang mit der Trinität. Die Erfahrung des Ich als Ich im Wir der Kirche ist kein losgelöster Ort neben der Erkenntnis des trinitarischen Gottes. Denn „Kirche lebt vom trinitarischen Geheimnis her“19.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 21 02.07.15 16:35

22 Gerhard Nachtwei

20 Ratzinger, Einführung (Anm. 10), 97.21 So ist ein Abschnitt in der Theologischen Prinzipienlehre überschrieben, der drei

schon anderweitig und früher veröffentlichte Aufsätze enthält. Vgl. Jospeh Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, 15–57.

22 Joseph Ratzinger, Was ist für den christlichen Glauben heute konstitutiv?, in: Ratzin-ger, Theologische Prinzipienlehre (Anm. 21), 15–27.

Kirche ist sozusagen die Inkarnation der sich verströmenden in-nertrinitarischen Liebe Gottes in die Welt hinein. Diese enge Ver-bindung zwischen Trinität und Kirche besagt gerade, dass für den Glaubenden die Communio der Ort ist, an dem er die dialogische Personalität erkennt und erfährt. Der schillernde Begriff dialogisch erhält von dieser konkreten Erfahrung her eine plastische Füllung und deutliche Färbung. Das ergibt sich etwa aus der Gemeinsam-keit der Formulierung des Glaubens, aus dem Symbolum, das sei-nen Ursprung im Dialog hat. Denn – so sagt Ratzinger dazu –: Glaube ist „nicht Ergebnis einsamer Grübelei“, in der das Ich los-gelöst nach der Wahrheit sucht, sondern „Ergebnis eines Dialogs, Ausdruck von Hören, Empfangen und Antworten, das den Men-schen durch das Zueinander von Ich und Du in das Wir der glei-chermaßen Glaubenden einweist“.20 Das Wort (Logos und Dia-Lo-gos) hat im Glauben (anders als in der Philosophie) Vorrang vor dem Gedanken. Ratzinger bezeichnet die „Wir-Struktur des Glau-bens als Schlüssel zu seinem Gehalt“21.

Darum ist für den christlichen Glauben konstitutiv – und zwar heute, wie immer schon – nicht ein Katalog von zu glaubenden oder zu bestimmten Zeiten zu vernachlässigenden, gar zu eliminieren-den Glaubensinhalten, sondern das lebendige Glaubenssubjekt Kirche, das in synchroner und diachroner Dialogizität die einzelnen „Ichs“ transtemporal und kollegial zu einer Communio zusammen-fasst, die das Ich nicht auslöscht, sondern eben gerade erst ermög-licht. In der Kirche gewinnt der Grund des Seins eine unübertrof-fene geschichtliche Abbildhaftigkeit. „Trinitarischer Glaube ist communio, trinitarisch glauben heißt: communio werden. Histo-risch besagt dies, dass das Ich der Credo-Formeln ein kollektives Ich ist, das Ich der glaubenden Kirche, dem das einzelne Ich zugehört, soweit es glaubend ist.“22 Folgerichtig müssen auch die Sakramente diese dialogische – trinitarische, communionale – Struktur haben. Das weist Ratzinger besonders an der Taufe auf als dem entschei-denden Eingangssakrament in die Gemeinschaft des Glaubens.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 22 02.07.15 16:35

23Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

23 Joseph Ratzinger, Taufe, Glaube und Zugehörigkeit zur Kirche – die Einheit von Struktur und Gehalt, in: JRGS 4, 495–515, 497f.

„Das Gottesverhältnis erhebt sich nicht einfach aus dem Kosmos und seinen immerwährenden Symbolen, sondern aus einer ge-meinsamen Geschichte, in der Gott Menschen zusammengeführt hat und ihnen Weg wurde. Das Wort im Sakrament drückt den ge-schichtlichen Charakter des Glaubens aus; Glaube kommt dem Menschen nicht als isoliertem Ich zu, sondern er empfängt ihn aus der Gemeinschaft derer, die vor ihm geglaubt haben und die ihm Gott als eine gegebene Realität ihrer Geschichte zutragen.“23

1981 durfte ich in Dessau eine 18-Jährige taufen. Mit der Jugend-gruppe haben wir ein Wochenende gestaltet, in dem wir darüber nachgedacht haben: Wie geschieht das, dass ein Erwachsener zum Glauben findet? Es geschieht, wie im Gespräch Jesu mit Nikode-mus, durch Begegnung und Dialog und ist wie eine zweite Geburt, eine Wiedergeburt. In meiner Dissertation habe ich das Ergebnis so zusammengefasst:

Ein Mensch wird geboren und man spricht mit ihm. Bald beginnt er mitzusprechen. Durch diesen Dialog hindurch geschieht so et-was wie eine zweite Geburt, die eigentliche Geburt zum Mensch-sein. Der Mensch hört andere Menschen, hört sie über dies reden und über jenes. Er hört sie über Dinge reden, die ihnen wichtig sind und die ihnen weniger wichtig sind. Und er hört sie schließlich auch reden über das, was sie für das Allerwichtigste halten. Mit zu-nehmendem Alter redet er auch darüber mit. Er fragt sich, mehr und mehr Worte hörend und selbst redend, ob das, was andere für wichtig halten, auch für ihn wichtig ist. Er fragt, was das Wichtigste ist, vielleicht auch schon nach dem, über das hinaus es nichts Wich-tigeres mehr geben kann. Schließlich begegnet er Christen – Men-schen, die Worte sagen, die er noch nie gehört hat oder nur selten, die ihm dann aber keinen Sinn erschlossen haben. Er hört und sieht die Christen anderes wichtig nehmen. Er gerät mit ihnen ins Gespräch. Und er beginnt zu entdecken, dass vieles, was vorher als Allerwichtigstes erklärt worden ist, nicht das Letzte und Unbe-dingte sein kann. Er durchschaut die selbst gemachten Götter, de-nen er widersagen muss, um Gott selbst finden zu können. Er ent-deckt hinter diesen Göttern den wirklichen Gott. Er entdeckt ihn – und das immer in Gespräch und Begegnung mit der Gemein-schaft der Christen – als Allmacht der Liebe, die im Glauben als

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 23 02.07.15 16:35

24 Gerhard Nachtwei

24 Ratzinger, Einführung (Anm. 10), 101.25 Vgl. Nachtwei, Dialogische Unsterblichkeit (Anm. 1), 193–197.

Vater, Sohn und Geist erfahren worden ist und wird. Aus dem „Ich widersage“ den selbst gemachten Göttern folgt so für ihn immer mehr das „Ich glaube“ an den wahren Gott: Vater, Sohn und Heili-ger Geist. So wächst er nach und nach in diesen Glaubensdialog hinein, als Hörender und Redender – und diesen Dialog betend und handelnd Mit-Praktizierender –, bis er eines Tages das ganze „Ich widersage“ und: „Ich glaube“ sprechen kann. Und er spricht von da an diesen Dialog als Glaubender – und diesen Dialog in Liebe und Hoffnung Realisierender – voll mit. Der Mensch auf der Suche nach Sinn hat Gott so gefunden, dass sich Gott ihm mehr und mehr im Dialog zum Vorschein gebracht hat, bis er diese dialo-gische Urwirklichkeit ganz bejahen und sich in diesen Dialog voll hineinziehen lassen konnte. Ratzinger sagt: „Ja, vielleicht ist das Geheimnis Gott von Anbeginn die zwingendste und die nie zum fertigen Resultat zu führende Herausforderung des Menschen zum Dialog, der, wie versperrt und verstört er auch sein mag, den ‚Logos‘, das eigentliche Wort durchtönen lässt, von dem alle Wörter kommen und das auszusagen alle Wörter in einem immerwähren-den Anlauf versuchen.“24

Aus dem Mund eines 12-jährigen Jungen klingt das so: Als ihn sein Onkel, Dozent an der SED-Parteihochschule, wegen seines Glaubens verspottete, sagte er: „Du, Onkel, glaubst auch an etwas. Du glaubst an Erich Honecker.“ Und dann legt er noch einmal nach: „Aber mein Gott ist größer als deiner.“ Ein Jugendlicher er-klärte nach einigen Wochen im Gesprächskreis der am Glauben Interessierten: „Ich fühle, dass Gott mich anzieht, etwa wie ein Magnet weit im Unendlichen.“ Das ist der Weg vom „cogito ergo sum“ der zweifelnden Vernunft zum „amor ergo sum“ des von Gottes Liebe getragenen Menschen.

2. Die Trinität als Erkenntnisgrund des dialogischen Verständnisses25

Ratzinger wertet in seinem Kommentar zu GS Art. 12 das Bemü-hen des Konzilstextes zwar positiv, „die moderne Philosophie der Person, etwa das dialogische Prinzip von Ferdinand Ebner und

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 24 02.07.15 16:35

25Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

26 Joseph Ratzinger, Kommentar zum ersten Kapitel des ersten Teils der Pastoralkonsti-tution über die Kirche in der Welt von heute ‚Gaudium et spes‘, in: JRGS 7/2, 795–862, 805.

27 Ebd.28 Ebd., 804.29 Ratzinger, Zum Personenverständnis (Anm. 17), 210.30 Ebd., 211.

Martin Buber, hier in die Grundkonzeption vom Menschen ein-zubeziehen“26.

Zugleich macht er jedoch darauf aufmerksam, dass der Mensch nicht erst in der zwischenmenschlichen Beziehung als Person be-gründet wird. „[D]ass der Mensch des absoluten Du fähig ist, dies ist der Grund dafür, dass er ein Ich ist, das dem anderen Ich zum Du werden kann“27. Der Grund der menschlichen Personalität liegt nach dem Konzilstext in Gott selbst: „Mit Augustin (Trin XIV 8, 11) wird Gottebenbildlichkeit als Gottfähigkeit gedeutet, als die Befähigung, Gott zu erkennen und zu lieben“28. Erst von Gott her sind dem Menschen Gedanke und Bedeutung der Per-son aufgegangen. Erst von Gott her ist ihm sein eigenes Wesen deutlich geworden.

(Ratzinger sieht zwei Stadien dieser Entwicklung. Das erste: Der Personenbegriff entspringt aus dem Umgang mit der Schrift – als Erfordernis ihrer Auslegung. Er ist Produkt des Umgangs mit der Bibel. Die Erfahrung des biblischen Gottes, der im Dialog ist, hat ihn provoziert. „Der Personbegriff drückt von seinem Ursprung her die Idee des Dialogs aus und Gottes als des dialogischen Wesens. Er meint Gott als das Wesen, das im Worte lebt und im Wort als Ich und Du und Wir besteht. Von dieser Erkenntnis her ist dem Men-schen auf eine neue Weise sein eigenes Wesen deutlich gewor-den.“29 Im zweiten Stadium des christlichen Ringens um das Ver-ständnis Gottes als des trinitarischen gewann nach Ratzinger der Personbegriff seine volle Reife.)

Ende des 4. und Anfang des 5. Jahrhunderts formuliert die Theo-logie: Die Differenzen in Gott sind als Personen anzusehen und Person ist als Relation zu verstehen. So findet es sich bei Augusti-nus und in der spätpatristischen Theologie. „Person in Gott ist die reine Relativität des Einander-zugewandt-Seins, sie liegt nicht auf der Substanzebene – die Substanz ist eine –, sondern auf der Ebene des Dialogischen, der Relativität aufeinander hin.“30

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 25 02.07.15 16:35

26 Gerhard Nachtwei

31 Vgl. ebd., 212.

Für Ratzinger bedeutet diese im Glauben gewachsene Erkennt-nis eine Umwälzung des gesamten Menschen- und Weltbildes. Hatte das antike Denken nur zwei kategoriale Grundformen ge-kannt: Substanz und Akzidenz, kommt jetzt gleichrangig zu diesen eine dritte hinzu, die nach Ratzinger sogar die grundlegende ist: die Relation.31 Diese Wirklichkeit des Personalen (als Relationalen) ist erst durch die Konfrontation des Menschen mit dem christlichen Glauben entdeckt und durchreflektiert worden. Das Personale hat damit im Denken seine eigene Geschichte durchgemacht. Im wei-teren Verlauf ist allerdings das Existenzielle und Relationale des Personenbegriffs wieder verdunkelt worden.

Der moderne, dialogische Personalismus hat nichts gänzlich Neues herausgefunden. Ohne die altchristliche Entdeckung des Personalen ist er nicht denkbar. Doch diese Entdeckung reicht über den Bereich des Personalen hinaus. Das ganze Seinsverständnis wird umgestülpt, wenn höchstes Sein nicht bedeutet: Völlig-für-sich-Sein, absolutes In-sich-Stehen, abgeschlossenes Sein in reiner Fülle. Es führt zu alles verändernden Konsequenzen, dass im christlichen Glauben das höchste Sein, Gott selbst, als relatives Sein, Sein als Liebe, erkannt wird, Gott nicht als in sich glückliche Ich-Monade, sondern als bezie-hentlicher Gott. Von der christlichen Entdeckung des Personal-Rela-tionalen im Gottesbegriff führt ein direkter Weg zu den Erkenntnis-sen der modernen Physik, die als letzte Bausteine der Wirklichkeit nicht das Atom, das Unteilbare, ansehen, sondern die Energie, die Kraft, die Welle. Ja, mit Hilfe des physikalischen Modells der Komple-mentarität, das von Niels Bohr in die Physik eingeführt wurde (wobei dieser bezeichnenderweise auf die Theologie verwies mit ihrer Kom-plementarität von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes), kann Ratzinger deuten und illustrieren, dass Gott (als Grund eben auch der physikalisch zu erfassenden Wirklichkeit) als letztes Sein und höchstes Sein nicht Autarkie ist, die nur sich selber kennt, sondern als das absolute Sein auch absolute Relativität sein muss.

Gott ist die Liebe. Und darum ist Gott unsterblich, weil Unsterb-lichkeit immer aus Liebe kommt. Und darum macht er unsterblich, weil er (= diese absolute Relativität) Grund alles anderen Seins ist, das er auf sich hin (also in Einheit und Differenz) geschaffen hat. Das biblisch-christliche Gottesverständnis enthält die Idee der Unsterblichkeit des Menschen schon in sich.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 26 02.07.15 16:35

27Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

Die trinitarisch-dialogische Ontologie

Bei allen Unterscheidungen zwischen dem frühen und dem späte-ren Ratzinger scheint mir zu wenig berücksichtigt zu werden, dass er diese neue Sicht (sozusagen das neue Paradigma), die man auch als trinitarisch-dialogische Ontologie versus Substanzmetaphysik oder analogia caritatis versus analogia entis bezeichnen kann, nie-mals aufgegeben hat, auch wenn auf diese nicht ständig ausdrück-lich hingewiesen wird.

Ich fühle mich in dieser Meinung auch durch Ratzinger selbst bestätigt. In seinen Anmerkungen zur Eschatologie schreibt er: „Die in meinen Augen hilfreichste und ausgewogenste Veröffentli-chung zum ganzen Themenkreis möchte ich an das Ende dieses Überblicks stellen. Ich meine die 1986 in Leipzig veröffentlichte theologische Dissertation von Gerhard Nachtwei ‚Dialogische Un-sterblichkeit‘, in der der Verfasser eine Analyse meiner Eschatolo-gie im Kontext meiner gesamten theologischen Arbeit unternom-men hat. Dieses Buch scheint mir die umfassendste und objektivste Gesamtwürdigung der durch meine Eschatologie ausgelösten Dis-kussion im deutschen Sprachraum zu bieten. Eines seiner wesent-lichen Verdienste ist es, der Fragestellung wieder ihre richtige Weite und Tiefe gegeben zu haben. Denn ich hatte ja nicht einfach irgend-eine ‚griechische‘ oder ‚neuscholastische‘ Leib-Seele-Theorie zu repristinieren versucht, sondern im Kontext einer von Bibel und Vätern her konzipierten dialogischen Anthropologie diesen Begrif-fen ihren richtigen Ort zu geben mich bemüht. Weil Nachtwei die-sen positiven Rahmen wiederherstellt, lösen sich die Verengungen der Polemik auf, und die Gegensätze verlieren an Härte. […] Vor dem Erscheinen der großen Arbeit von Nachtwei hatte sich, wie schon gesagt, die Debatte über meine Eschatologie zu meinem Kummer beinahe ausschließlich auf das Leib-Seele-Problem be-schränkt, so dass geradezu der Eindruck entstehen konnte, Escha-tologie reduziere sich bei mir auf diese Frage.“32

Zustimmung findet man auch bei Franz-Josef Nocke: „Die Wen-dung, die Identität des Auferweckten beruhe darauf, dass der Mensch ‚im Gedächtnis Gottes‘ fortlebe, ist geeignet, gerade den relationalen Charakter der Unsterblichkeit und das Auferwe-ckungshandeln Gottes zu unterstreichen. Allerdings wird man bei

32 Joseph Ratzinger, Eschatologie. Tod und ewiges Leben, in: JRGS 10, 29–276, 249f.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 27 02.07.15 16:35

28 Gerhard Nachtwei

33 Theodor Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, Düsseldorf 1992, 462.34 Uwe Swarat, Jenseits des Todes. Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung des Lei-

bes?, in: ders. / Thomas Söding (Hg.), Gemeinsame Hoffnung – über den Tod hinaus. Eschatologie im ökumenischen Gespräch (QD 257), Freiburg-Basel-Wien 2013, 31f.

dieser Wendung den Eindruck vermeiden müssen, die Gottesbe-ziehung bleibe dem Menschen äußerlich und präge nicht sein Sein. Der Begriff der dialogischen oder relationalen Unsterblichkeit könnte beide Gesichtspunkte vereinen: Der Mensch ist unsterblich, weil und solange Gott sich ihm liebend zuwendet. Dieser Begriff lässt sich mit dem der Seele verbinden, ist aber nicht notwendig an ihn gebunden.“33

Uwe Swarat sieht in der dialogischen Unsterblichkeit sogar eine Anschlussfähigkeit für eine ökumenische Eschatologie: „Ratzinger bejaht die in der christlichen Tradition behauptete Unsterblichkeit der Seele, weil sie für ihn keine Übernahme heidnisch-griechischen Denkens darstellt, sondern eine genuin christliche Aussage über das Wesen des Menschen in seiner Beziehung zu Gott. Der Mensch, sagt er, ist als Geschöpf Gottes in einer Relation erschaffen, die Un-zerstörbarkeit einschließt. Er ist als ein Wesen geschaffen, das zur Gotteserkenntnis und Gottesliebe fähig und gerufen ist. Nicht ein beziehungsloses Selbersein macht den Menschen unsterblich, son-dern die Offenheit seiner Existenz zu Gott als dem Grund seines Seins. Diese grundsätzliche Hinordnung zu Gott bleibt bestehen, auch wenn der Mensch sie vergisst oder negiert. Unsterblichkeit ist nicht nur erlösende Gnade, sondern Schöpfungsgabe, nämlich un-zerstörbare Relation zu Gott im Sinne eines Dialogs zwischen Schöpfer und Geschöpf. Mit diesem ‚dialogischen‘ Konzept ist ein Verständnis von Unsterblichkeit entworfen, das für evangelische Anthropologie und Eschatologie anschlussfähig ist und auch vor der Vernunft verantwortet werden kann.“34

Das sieht Wilko Teifke in seiner ausführlichen Auseinanderset-zung mit Ratzingers Eschatologie allerdings anders, wobei aber auch er auf den grundsätzlich neuen Ansatz Ratzingers abhebt: „Wie auch in Bezug auf Ratzingers fundamentaltheologischen Ansatz nicht von einer grundsätzlichen Veränderung auszugehen ist, sondern allenfalls von einer Entwicklung in Form von Akzen-tuierungen, so gibt es auch in der Entwicklung der Eschatologie keinen. Vielmehr ist Gerhard Nachtwei zuzustimmen, dass in

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 28 02.07.15 16:35

29Auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen

Ratzingers Eschatologie und Theologie von einer dialogischen Grundthese auszugehen sei und von da aus die Wandlung von einer Antithese zum griechischen Denken zu einer Antithese zur ‚modernen‘ katholischen Theologie vollzogen werde. Diese dialo-gische Grundthese, die auch das Stichwort von der ‚dialogischen Unsterblichkeit‘ hervorgebracht hat, ist also der Rahmen, in dem der ansonsten sperrige Ansatz gesehen werden kann. Nicht nur wegen seiner Rückkehr zur ‚Unsterblichkeit der Seele‘ ist er umstritten – auch in der katholischen Diskussion –, sondern auch wegen seiner Auferstehung des Leibes am Jüngsten Tag als Aufer-stehung des irdischen, geschichtlichen Leibes wie der daraus fol-genden Lehre von einem Zwischenzustand. Vor dem Hintergrund der oben vollzogenen Verhältnisbestimmung von Relationalität und Metaphysik ist zur dialogischen Grundthese der Ratzinger-schen Eschatologie, die von Nachtwei nicht nur für die Eschatolo-gie im Besonderen aufgestellt wird, sondern die er auf seinen theologischen Gesamtentwurf ausweitet, Folgendes zu bemerken: Die Relationalität hat bei Ratzinger eine ganz andere Funktion als in der protestantischen Eschatologie. Gerade im Vergleich zu Alt-haus, von dem Ratzinger m. E. den für ihn zentralen Gedanken der Gottesgemeinschaft in gewisser Weise übernimmt, lässt sich das beobachten. Bei Althaus ist die Eschatologie in ihren zwei Dimensionen von axiologischer und teleologischer Eschatologie interessant, weil die axiologische Eschatologie die fundamental-theologische Funktion der Eschatologie hervorhebt, indem die Beziehung von Gott und Mensch – auch wenn dies bei Althaus eher phänomenologisch als personal durchgeführt wird – begrün-det wird. Diese Gottesbeziehung ist der Grund für die Heilsge-wissheit sowie für die Unsterblichkeit, aus der die teleologische Eschatologie erst abgeleitet werden kann. Wenn Ratzinger den Gedanken der Gottesgemeinschaft von Althaus und damit den Gedanken der Relationalität für seine dialogische Grundthese übernimmt, dann geschieht dies bezogen auf die Eschatologie allein in ihrer teleologischen Dimension.“35

35 Wilko Teifke, Offenbarung und Gericht. Das Verhältnis von Fundamentaltheologie und Eschatologie bei Guardini, Rahner und Ratzinger, Göttingen 2012, 211f.

Ratzinger-Studien Bd 8 Hoffnung auf Vollendung #2.indd 29 02.07.15 16:35